Brüssel, den 12.3.2021

JOIN(2021) 6 final

GEMEINSAMER BERICHT AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

Sonderverwaltungsregion Hongkong:
Jahresbericht 2020


GEMEINSAMER BERICHT AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

SONDERVERWALTUNGSREGION HONGKONG:

JAHRESBERICHT 2020

Zusammenfassung

Seit der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China im Jahr 1997 haben die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Sonderverwaltungsregion (SVR) Hongkong aufmerksam verfolgt. Die EU unterstützt konsequent das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ und dessen Anwendung.

Gemäß der 1997 gegenüber dem Europäischen Parlament eingegangenen Verpflichtung legen die Kommission und der Hohe Vertreter jährlich einen Bericht über die Entwicklungen in Hongkong vor. Über die Jahre hinweg standen darin vor allem die Umsetzung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ und die im Grundgesetz verankerte Autonomie Hongkongs im Mittelpunkt.

Mit dem Jahresbericht 2020 wird der 23. Bericht vorgelegt. Das Jahr war zum einen von wichtigen politischen Entwicklungen und zum anderen von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie geprägt, die auch Hongkongs Wirtschaft schwer getroffen hat.

Überblick über politische und soziale Entwicklungen

Politisch hat sich im Jahr 2020 die Aushöhlung des hohen Maßes an Autonomie Hongkongs sowie der Rechte und Freiheiten, die bis mindestens 2047 geschützt werden sollten, merklich beschleunigt. Vorausgegangen waren Maßnahmen der Behörden Festlandchinas, die Zweifel an der Bereitschaft Chinas aufkommen lassen, seinen internationalen Verpflichtungen und seinen Zusagen gegenüber den Einwohnern Hongkongs im Rahmen des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ und des Grundgesetzes von Hongkong nachzukommen.

Die Einführung eines Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSL) am 30. Juni durch einen Beschluss des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (NPCSC) gab Anlass zu großer Besorgnis hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts des Gesetzes. Viele prodemokratische Aktivisten, Abgeordnete und Journalisten wurden im Laufe des Jahres festgenommen, unter anderem aufgrund von Beschuldigungen im Zusammenhang mit dem NSL und wegen Störung der öffentlichen Ordnung.

Das breite Spektrum der Straftaten im Zusammenhang mit dem NSL und die Ungewissheit darüber, wie sie verfolgt werden, gaben Anlass zu großer Besorgnis und hielten die Menschen in Hongkong teils davon ab, ihre geschützten Rechte und Freiheiten auszuüben. Obwohl es wenig offenkundige Zensur als Reaktion auf das NSL gab und keine prodemokratischen Veröffentlichungen direkt eingestellt wurden, hat sich der Trend zur Selbstzensur in den Medien, an den Hochschulen und in der Zivilgesellschaft beschleunigt.

Die Behörden des Festlandes haben die Aufsicht über die Angelegenheiten Hongkongs auf andere Weisen gestärkt. Die Befürchtungen über die Anfälligkeit des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ verschärften sich im April, als das Verbindungsbüro Hongkong (HKLO), das die Behörden Festlandchinas in Hongkong vertritt, behauptete, es sei nicht an die im Grundgesetz verankerte Verpflichtung zur Nichteinmischung in Hongkong gebunden.

Die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz bleiben wesentliche Garantien für die Wahrung der grundlegenden Rechte und Freiheiten in Hongkong. Die Gerichte wurden im Laufe des Jahres von Politikern mit unbegründeten Vorwürfen der Voreingenommenheit konfrontiert, was zu einer Stellungnahme des Obersten Richters führte, in der er an die Bestimmungen des Grundgesetzes und die Prinzipien des Rechtssystems erinnerte und die Rolle, die Unabhängigkeit und die Integrität der Gerichte verteidigte.

Es herrscht weiterhin ein hohes Maß an Vertrauen in die Kompetenz und Integrität der Richter und ihre Bereitschaft, die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, und es ist zu früh, um sagen zu können, wie die Gerichte Hongkongs das NSL und den Umfang, in dem Rechte und Freiheiten im Rahmen seiner Umsetzung geschützt sind, auslegen werden. In den meisten Fällen im Zusammenhang mit dem NSL gewährten die Gerichte eine Freilassung auf Kaution bis zur Verhandlung, in anderen Fällen warf die Verweigerung der Kaution für hochrangige Persönlichkeiten jedoch Fragen auf. In einem dieser Fälle wurde einem NSL-Richter auf Antrag der Anklage der Vorsitz in einem Nicht-NSL-Fall übertragen, in dem es um sicherheitsrelevante Angelegenheiten ging. Dies wirft Fragen bezüglich des Geltungsbereichs und der Auslegung der Bestimmungen zur Benennung von Richtern gemäß Artikel 44 des NSL auf.

Die Wahlen zum Legislativrat (LegCo), die am 6. September anstanden, wurden um ein Jahr verschoben. Die Regierung begründete dies mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Der NPCSC beschloss, die Legislaturperiode des LegCo um mindestens ein Jahr bis zu den Wahlen zu verlängern, und die meisten Pandemokraten entschieden sich dafür, ein weiteres Jahr im LegCo zu verbleiben.

Mit dem Beschluss des NPCSC vom 11. November zur Qualifikation der Mitglieder des Legislativrats der SVR Hongkong wurden Kriterien für die Absetzung amtierender Abgeordneter und für den Ausschluss möglicher zukünftiger Abgeordneter festgelegt. Dies diente den Behörden Hongkongs als Grundlage dafür, vier prodemokratische LegCo-Abgeordnete noch am selben Tag auszuschließen, wodurch das hohe Maß an Autonomie Hongkongs und der Schutz der Grundrechte und Freiheiten weiter untergraben wurde. Der Beschluss des NPCSC führte zum Rücktritt der verbliebenen prodemokratischen LegCo-Abgeordneten. Die Legislative funktionierte weiter, jedoch mit geringerer demokratischer Kontrolle und Gegenkontrolle.

Die EU bestärkt die SVR Hongkong und die Zentralregierung darin, die im Grundgesetz verankerte Wahlreform fortzusetzen. Es ist wichtig, ein Wahlsystem zu schaffen, das demokratisch, gerecht, offen und transparent ist und durch das allgemeine Wahlrecht im Sinne des Grundgesetzes gestützt wird. Das allgemeine Wahlrecht würde der Regierung Hongkongs eine stärkere Legitimation verschaffen, was zur Verwirklichung der wirtschaftlichen Ziele und zur Bewältigung der sozioökonomischen Herausforderungen Hongkongs beitragen würde.

Überblick über die Reaktionen der EU auf die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes

Der Hohe Vertreter gab im Namen der EU folgende Erklärungen in Bezug auf Hongkong ab:

-29. Mai – zur Zustimmung zum Entwurf nationaler Sicherheitsgesetze durch den Nationalen Volkskongress;

-1. Juli – zur Einführung des NSL;

-3. August – zur Verschiebung der Wahlen zum Legislativrat;

-12. November – zum Ausschluss von Mitgliedern des Legislativrats Hongkongs.

EU-Sprecher gaben Stellungnahmen zu Hongkong im Hinblick auf folgende Themen ab:

-10. August – Festnahmen und Razzien auf Grundlage des NSL;

-24. September – Verhaftung von Joshua Wong und anderen prodemokratischen Aktivisten;

-2. November – Verhaftung von acht prodemokratischen Abgeordneten und Politikern;

-29. Dezember – Gerichtsverfahren gegen zehn Hongkonger in Shenzhen.

Die G7-Außenminister veröffentlichten am 17. Juni eine gemeinsame Stellungnahme zu Hongkong.

In den im Juli angenommenen Schlussfolgerungen des Rates 1 legte die EU ein Paket mit Maßnahmen als erste Reaktion auf das NSL fest. Es deckt unter anderem folgende Bereiche ab: Asyl- und Visapolitik; Ausfuhrkontrollen; Beobachtung von Gerichtsverfahren; Unterstützung der Zivilgesellschaft; Stipendien und akademische Austauschprogramme; Überprüfung von Auslieferungsabkommen; keine Aufnahme neuer Verhandlungen.

Der Rat (Auswärtige Angelegenheiten) beschloss am 7. Dezember, dass die EU die im Juli vereinbarten Maßnahmen fortführen und gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen in Betracht ziehen sollte, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt.

Die EU äußerte ihre Bedenken in Bezug auf die Entwicklungen in Hongkong gegenüber der chinesischen Führung beim Gipfeltreffen EU-China am 22. Juni und bei den Tagungen der Staats- und Regierungschefs am 14. September und 30. Dezember.

Überblick über die COVID-19-Situation und wirtschaftliche Entwicklungen

Was COVID-19 betrifft, so haben Hongkongs hervorragendes Gesundheitssystem und die umfassenden politischen Reaktionen einschließlich strenger Quarantänemaßnahmen sowie die verantwortungsvolle Haltung der Bevölkerung, die sich im allgegenwärtigen Tragen von Gesichtsmasken während des Ausbruchs zeigte, zum effektiven Umgang mit dem COVID-19-Ausbruch beigetragen.

2020 war ein herausforderndes Jahr für die Weltwirtschaft, und auch Hongkong stellte keine Ausnahme dar. Die Wirtschaft schrumpfte beträchtlich und die meisten wichtigen Branchen der Stadt mit Ausnahme der Finanzbranche waren betroffen. Der Rückgang der Touristenzahlen hatte erhebliche Auswirkungen auf die Luxusgüterbranche, das Gastgewerbe, den Lebensmittel- und Getränkesektor sowie auf den Verkehrssektor, während Handel und Logistik vom schwachen internationalen Handel betroffen waren. Trotz mehrerer Maßnahmenrunden der Regierung zur Unterstützung der Wirtschaft verdoppelte sich die Arbeitslosenquote im Laufe des Jahres (auf 6,6 % im letzten Quartal 2020). Die Haushaltslage der SVR begann ebenfalls schwächer zu werden, wobei Hongkong noch über erhebliche Reserven verfügt.

Auch die europäischen Unternehmen in der Stadt blieben nicht verschont, insbesondere solche, die auf Touristenströme und internationalen Handel angewiesen sind. Die Reisebeschränkungen stellten eine große Herausforderung dar, da viele EU-Unternehmen von Hongkong aus ihre Geschäfte in der Region und mit Festlandchina steuern. Die Unternehmen zeigen sich ebenfalls besorgt über die politischen Entwicklungen in Hongkong, unter anderem über die Aushöhlung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ und die politischen Auswirkungen des NSL auf die Rahmenbedingungen für Unternehmen.

I. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen

Die sozialen Unruhen und umfangreichen Proteste, die 2019 als Reaktion auf das von der Regierung vorgeschlagene Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen begannen, hörten 2020 auf. Allerdings fanden noch sporadisch Demonstrationen statt. Die Einführung des NSL durch einen Beschluss des NPSCS am 30. Juni und die Maßnahmen, die die Regierung Hongkongs zur Bekämpfung des COVID-19-Ausbruchs ergriff, waren Schlüsselfaktoren für die Abschreckung vor öffentlichen Demonstrationen.

Etwa 10 000 Personen wurden bisher aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit den Unruhen festgenommen, darunter viele Jugendliche. Die langwierigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung in zahlreichen Fällen haben dazu geführt, dass für viele der Festgenommenen Ungewissheit darüber besteht, wie mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen umgegangen wird, was Fragen bezüglich der Fairness aufwirft. Bisher wurden in rund 20 % der Fälle Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen.

Das NSL gibt in mehrfacher Hinsicht Anlass zu Besorgnis. Die Art und Weise, wie das Gesetz erlassen wurde, stand nicht im Einklang mit Artikel 23 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass die SVR Hongkong solche Maßnahmen „allein“ ergreift. Interessenträger aus Hongkong hatten nur eine minimale Gelegenheit, einen Beitrag zum Entwurf des Gesetzes vor seiner Einführung zu leisten, da der vollständige Text erst nach dem Erlass des Gesetzes verfügbar war. Der LegCo hatte keine Möglichkeit, eine demokratische Kontrolle auszuüben. In der Woche vor der Einführung des NSL teilte die Regierungschefin öffentlich mit, dass sie nicht alle Einzelheiten des Gesetzgebungsvorschlags gesehen habe.

Der Ausschluss mehrerer pandemokratischer Abgeordneter von der Wiederwahl zum LegCo ist zum Teil mit ihrem Widerstand gegen das NSL zu begründen. Dies schränkt den Spielraum für gewählte Vertreter weiter ein, die Umsetzung der NSL-Maßnahmen zu kontrollieren.

Das NSL sieht vier Straftatbestände vor: Abspaltung, Staatsgefährdung, terroristische Aktivitäten und geheime Absprachen (Kollusion) mit ausländischen Kräften oder externen Elementen. Das breite Spektrum der Straftaten und die Ungewissheit darüber, wie sie verfolgt werden, geben Anlass zu großer Sorge und verhindern die Ausübung der geschützten Rechte und Freiheiten in Hongkong. Derzeit lässt sich schwer abschätzen, wie tief greifend dieser Verhinderungseffekt ist.

Das EU-Büro und die Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten in Hongkong verfügen über zahlreiche Kontakte zu Vertretern der Zivilgesellschaft, der Hochschulen und der Medien und können daher die Auswirkungen des NSL auf ihre Arbeit gut einschätzen. Das Gesetz hat unzweifelhaft zu einer vermehrten Selbstzensur, einem „Safety-first-Ansatz“ bezüglich der Speicherung von Informationen und der Nutzung sozialer Medien sowie zu Bedenken darüber geführt, dass legitime Kontakte mit ausländischen Vertretungen eine Strafverfolgung aufgrund von „Kollusion“ nach sich ziehen könnten.

Das NSL hat einen uneingeschränkten extraterritorialen Geltungsbereich und sieht in bestimmten Fällen vor, dass die gerichtliche Zuständigkeit bei den Behörden Festlandchinas liegt. Darüber hinaus können gerichtliche Anhörungen zu NSL-Fällen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, was aufmerksam beobachtet werden sollte.

Die Befugnis der Regierungschefin, einen Pool von Richtern für die Anhörung von NSL-Fällen zu benennen, stieß auf Kritik. Bei der Benennung dieser Richter kann die Regierungschefin jedoch den Rat des Obersten Richters einholen. Außerdem kann die Regierungschefin einem bestimmten Richter nicht einen bestimmten Fall zuweisen.

Es bleibt unklar, inwieweit die NSL-Bestimmung, dass die Regierung Hongkongs die Überwachung und Regulierung von Angelegenheiten, die die nationale Sicherheit betreffen, an Schulen, Universitäten, in sozialen Organisationen, in den Medien und im Internet verstärken muss, Auswirkungen auf Menschenrechte und Grundfreiheiten haben wird.

Ausländische Unternehmen in Hongkong sind vom NSL betroffen. In den Artikeln 21 und 23 des NSL sind harte Gefängnisstrafen für Personen vorgesehen, die zu Straftaten der Staatsgefährdung oder Abspaltung anstiften, daran mitwirken, sie begünstigen oder durch Geld oder andere finanzielle Mittel oder Eigentum unterstützen. Da eine solche Unterstützung nicht vorsätzlich sein muss, um nach dem Gesetz als Straftat zu gelten, haben Banken damit begonnen, ihre Dienstleistungen für Personen und Gruppen, die sich für prodemokratische und andere politische Aktivitäten engagieren, genau zu überprüfen. Gemäß Artikel 31 des NSL können Unternehmen und Organisationen strafrechtlich haftbar gemacht werden, mit einer Geldstrafe belegt werden, und ihre Lizenz kann entzogen werden.

2020 kam es zu 31 Festnahmen im Zusammenhang mit dem NSL, und in vier Fällen wurde Anklage erhoben. Viele dieser Festnahmen betrafen prominente prodemokratische Aktivisten. Nach der Festnahme des Medienmagnaten Jimmy Lai am 10. August aufgrund von Vorwürfen der geheimen Absprache mit ausländischen Kräften führten etwa 200 Polizisten eine Razzia bei seinem Mediendienst „Apple Daily“ durch. Diese groß angelegte Polizeiaktion gegen eine prominente kritische Mediengruppe ließ Vermutungen aufkommen, dass dabei politische Motivationen eine Rolle spielten. Auch Agnes Chow, die Mitbegründerin der mittlerweile aufgelösten prodemokratischen Plattform „Demosisto“, wurde am 10. August aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit dem NSL festgenommen.

Ähnliche Bedenken wurden im Hinblick auf die Entscheidung des Justizministeriums geäußert, prodemokratische Aktivisten und Abgeordnete aufgrund von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung im Zusammenhang mit Demonstrationen und Unruhen und aufgrund ihres Verhaltens bei LegCo-Sitzungen strafrechtlich zu verfolgen. Gegen Mitglieder von Pro-Establishment-Parteien, die auch an einigen dieser Zwischenfälle im LegCo beteiligt waren, wurden jedoch keine Anklagen erhoben. Auch die fehlenden überzeugenden Maßnahmen, um die Täter, die 2019 an dem Angriff in einem U-Bahnhof in Yuen Long beteiligt waren, vor Gericht zu bringen, hat Fragen hinsichtlich der Redlichkeit der Strafverfolgungsentscheidungen aufgeworfen.

Noch ist es zu früh, um sagen zu können, wie Hongkongs Gerichte das NSL und den Umfang, in dem Rechte und Freiheiten geschützt werden, auslegen werden. Laut NSL sind allerdings die Menschenrechte bei der Gewährleistung der nationalen Sicherheit zu achten und zu schützen. In einem ersten „NSL-Testfall“ betonte das Gericht erster Instanz, dass die Gerichte bei der Auslegung des neuen Gesetzes auf die Grundsätze des Common Law zurückgreifen und den Schutz der Menschenrechte beachten werden. Es besteht weiterhin ein hohes Maß an Vertrauen in die Kompetenz und Integrität der Richter und in ihre Bereitschaft, die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass letztendlich der NPCSC das Recht hat, „Interpretationen“ in Bezug auf das Gesetz abzugeben. Die erste Verhandlung eines NSL-Falles soll erst 2021 beginnen.

Meinungsumfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der Befragten das NSL ablehnt. Im Rahmen einer Studie des Hong Kong Public Opinion Research Institute (PORI) im Auftrag von Reuters vom August 2020 äußerten fast 60 % der Befragten diese Ansicht. Die Umfrage lieferte auch Hinweise darauf, dass die Unterstützung für die Protestbewegung abgenommen hat. Nur 44 % der Befragten gaben an, sie zu befürworten.

Die Polizei ging hart gegen nicht genehmigte Versammlungen vor und berief sich dabei auf eine Kombination aus dem NSL, den Gesetzen über die öffentliche Ordnung und den COVID-bedingten Einschränkungen. Die Polizei setzte eine neue violette Flagge, die vor mutmaßlichen Verletzungen des NSL warnen soll, wobei die Interpretation der Behörden dessen, was eine potenzielle Verletzung des neuen Gesetzes im Zusammenhang mit Demonstrationen darstellt, weit gefasst ist. Dazu gehört die Verwendung des beliebten Protest-Slogans „Liberate Hong Kong, revolution of our times“ und sogar das Hochhalten von leeren Plakaten durch Protestierende. Die in Verbindung mit den Protesten verwendete Hymne „Glory to Hong Kong“ wurde zwar noch nicht ausdrücklich verboten, darf aber in Schulen nicht mehr gesungen werden. Darüber hinaus richtete die Einheit für nationale Sicherheit der Polizei eine Hotline ein, um die Meldung von mutmaßlichen Verstößen gegen das NSL zu erleichtern.

Reaktionen der EU auf die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes

Im Juli nahmen die EU-Minister die Schlussfolgerungen des Rates an, in denen betont wird, dass Chinas Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Erlass des NSL nicht im Einklang mit seinen internationalen Verpflichtungen gemäß der chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung von 1984 oder dem Grundgesetz standen.  Laut den Schlussfolgerungen wurde durch diese Maßnahmen Chinas Bereitschaft infrage gestellt, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, das Vertrauen wurde untergraben und die Beziehungen zwischen der EU und China wurden beeinträchtigt.  In den Schlussfolgerungen wurde ein koordiniertes Maßnahmenpaket als erste Reaktion der EU auf das NSL festgelegt:

1.Berücksichtigung der Auswirkungen des Gesetzes über nationale Sicherheit auf die Asyl-, Migrations-, Visum- und Aufenthaltspolitik im Einklang mit dem geltenden Recht, auch durch Erörterung relevanter Aspekte auf EU-Ebene;

2.weitere Prüfung und Beschränkung der Ausfuhr bestimmter sensibler Ausrüstung und Technologien für die Endverwendung in Hongkong, insbesondere wenn Grund zu der Annahme besteht, dass eine unerwünschte Verwendung im Zusammenhang mit interner Repression, der Überwachung der internen Kommunikation oder der Cyberüberwachung vorliegt;

3.Prüfung von Möglichkeiten zum Ausbau und zur Koordinierung von Stipendien und akademischen Austauschprogrammen, an denen Studierende und Universitäten aus Hongkong beteiligt sind;

4.weitere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Hongkong und ihre Unterstützung;

5.Gewährleistung einer kontinuierlichen Beobachtung der Gerichtsverfahren gegen prodemokratische Aktivisten in Hongkong;

6.Erörterung – auf EU-Ebene – der potenziellen Risiken, die das Gesetz über nationale Sicherheit für EU-Bürgerinnen und ‑Bürger darstellt;

7.Überwachung der extraterritorialen Wirkung des Gesetzes über nationale Sicherheit;

8.Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes über nationale Sicherheit auf die Durchführung der Auslieferungsabkommen und anderer einschlägiger Abkommen der Mitgliedstaaten mit Hongkong;

9.derzeit keine Aufnahme neuer Verhandlungen mit Hongkong.

Zu den wichtigsten Maßnahmen, die im Rahmen der Schlussfolgerungen des Rates getroffen wurden, gehört Folgendes: die Aussetzung der Auslieferungsabkommen bzw. der Verhandlungen über solche Abkommen mit Hongkong durch sechs EU-Mitgliedstaaten 2 nach der Annahme der Schlussfolgerungen; eine verschärfte Prüfung von relevanten Ausfuhren für die Endverwendung in Hongkong durch die Behörden der Mitgliedstaaten; die koordinierte Anwesenheit von diplomatischen Vertretern der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Hongkong, um Anhörungen prodemokratischer Aktivisten vor Gericht zu beobachten; und eine Intensivierung ihrer Kontakte mit zivilgesellschaftlichen Organisationen.   Studierende und Mitarbeiter von Hochschulen und Universitäten aus Hongkong nahmen weiterhin an einer Vielzahl von Hochschulaustauschprogrammen im Rahmen von Erasmus+ und bilateralen Austauschprogrammen der Mitgliedstaaten teil. Es wurden keine neuen Verhandlungen mit Hongkong aufgenommen. 

Die Umsetzung der in den Schlussfolgerungen des Rates vorgesehenen Maßnahmen wurde in den einschlägigen Ratsgremien genau verfolgt.  Anlässlich der Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) am 7. Dezember überprüfte der Hohe Vertreter die Umsetzung des NSL, seine Auswirkungen auf Rechte und Freiheiten und auf die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Hongkong sowie die Wirkung des Maßnahmenpakets der EU.  Auf dieser Grundlage beschlossen die Minister, dass die EU die im Juli beschlossenen Maßnahmen fortführen und gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen in Betracht ziehen sollte, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt.

 

Bedenken in Bezug auf das NSL wurden beim Gipfeltreffen EU-China am 22. Juni zum Ausdruck gebracht, und Hongkong war auch Thema bei den Tagungen der Staats- und Regierungschefs der EU und Chinas am 14. September und 30. Dezember. Die EU zeigte sich tief besorgt über die Aushöhlung der Grundrechte und Freiheiten infolge der Einführung des NSL. Außerdem äußerte die EU Bedenken hinsichtlich der Verschiebung der LegCo-Wahlen um ein ganzes Jahr und hinsichtlich des Ausschlusses mehrerer prodemokratischer Kandidaten. In ihrer Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament am 16. September sprach die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Menschenrechtsverletzungen in Hongkong an. 

Am 19. Juni nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zum nationalen Sicherheitsgesetz der VR China für Hongkong und zur Notwendigkeit der Verteidigung des hohen Maßes an Autonomie Hongkongs durch die EU an. Das Parlament verurteilt in der Entschließung die Einführung des NSL als Angriff auf die Autonomie Hongkongs und als eine Verletzung der internationalen Verpflichtungen Chinas, u. a. gemäß der chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung von 1984. Die Entschließung enthält mehrere Vorschläge für Maßnahmen durch die EU und weitere Akteure.

Internationale Reaktionen auf die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes

Internationale Akteure einschließlich der G7, des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte und der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen äußerten ebenfalls ihre Bedenken bezüglich des NSL.

 
Am 27. Mai teilte die US-Regierung mit, dass China die Autonomie Hongkongs erheblich untergraben habe und dass Hongkong keine andere Behandlung als Festlandchina mehr sicher sei. Nach dieser Ankündigung wurde am 14. Juli der Hong Kong Autonomy Act der USA unterzeichnet und in Kraft gesetzt. Am 7. August verhängten die USA Sanktionen gegen elf Personen aus den Regierungen Hongkongs und Festlandchinas aufgrund ihrer Beteiligung an der Aushöhlung der Autonomie der SVR und an der Einschränkung der Meinungs- oder Versammlungsfreiheit. Zu diesen Personen gehörten die Regierungschefin, die Justizministerin, der Minister für Sicherheit, der Minister für Verfassungs- und Festlandangelegenheiten, der Polizeipräsident, der Direktor des HKLO, Luo Huining, und andere hochrangige Offizielle des Festlandes, die für Angelegenheiten Hongkongs zuständig sind. Die Sanktionen sehen die Beschlagnahme von Eigentum und das Einfrieren von Vermögenswerten in den USA als Reaktion auf die „ungewöhnliche und außergewöhnliche Bedrohung“ vor, die durch die Aushöhlung der Autonomie Hongkongs durch China entstehe. Am 9. November und am 7. Dezember verhängten die USA gegen weitere 18 Personen Sanktionen im Zusammenhang mit der Einführung des NSL.

 
Das Vereinigte Königreich erweiterte die Einwanderungsrechte, um einen Weg zur Staatsbürgerschaft für Hongkonger mit dem Status als Bürger der britischen Überseegebiete (BNO) zu ermöglichen; schätzungsweise besitzen etwa 3 Millionen Einwohner von Hongkong den BNO-Status. Nach den neuen Regelungen erhalten Personen mit BNO-Status eine befristete fünfjährige Aufenthaltserlaubnis im Vereinigten Königreich mit dem Recht zu arbeiten oder zu studieren. Nach fünf Jahren können sie eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragen und nach weiteren zwölf Monaten mit dauerhaftem Status können sie die Staatsangehörigkeit beantragen. Im Oktober wurden die Visa-Bestimmungen zu den neuen Regelungen bekannt gegeben.

 
Als Reaktion auf das NSL setzten das Vereinigte Königreich, Australien und Neuseeland auch ihre Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus. 

Brutales Vorgehen gegen Dissidenten

Schon vor dem Erlass des NSL kam es 2020 zu Festnahmen von prodemokratischen Aktivisten aufgrund verschiedener Vorwürfe. Sie gingen das ganze Jahr über weiter. Im April wurden 15 in der Öffentlichkeit stehende Personen festgenommen, darunter: Martin Lee, Gründer der Democratic Party und prominenter Rechtsanwalt; Albert Ho, ein hochrangiger Jurist und früherer Vorsitzender der Democratic Party; Jimmy Lai, Gründer von Apple Daily. Die Festnahmen standen im Zusammenhang mit „unrechtmäßigen Versammlungen“ bei Kundgebungen und Protesten im August und Oktober 2019, ein Tatbestand, der mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Sie wurden bis zum Beginn der Verhandlungen, die 2021 stattfinden sollen, auf Kaution freigelassen. Jimmy Lai wurde am 10. August im Zusammenhang mit dem NSL erneut verhaftet, aber später wegen Betrugs angeklagt. Am 3. Dezember wurde seine Freilassung auf Kaution abgelehnt.

Am 23. August wurden zwölf Hongkonger bei dem Versuch, per Boot aus der Region zu fliehen, von der chinesischen Küstenwache gestoppt und in Festlandchina inhaftiert. Die Fälle wurden am 27. November an die Strafverfolgungsbehörden übergeben, mit dem Vorwurf des Versuchs der Grenzüberschreitung.

Am 24. September wurde der prodemokratische Aktivist Joshua Wong als Teil einer Reihe von Festnahmen im Laufe des Sommers festgenommen, von denen auch die anderen Aktivisten Ivan Lam und Agnes Chow betroffen waren. Am 2. Dezember wurden die drei Aktivisten zu Haftstrafen zwischen sieben und dreizehneinhalb Monaten wegen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung im Zusammenhang mit Protesten im Jahr 2019 verurteilt.

Am 7. Dezember verhaftete die Polizei acht Personen aufgrund von Protesten, die im Monat zuvor an der Chinese University of Hong Kong stattgefunden hatten. Drei dieser Personen wurden verdächtigt, durch „Anstiftung zur Abspaltung“ gegen das NSL verstoßen zu haben. Am 8. Dezember wurden acht weitere prodemokratische Aktivisten aufgrund ihrer mutmaßlichen Beteiligung an einer nicht genehmigten Versammlung im Juli festgenommen.

Am 15. Mai veröffentlichte der Unabhängige Rat der Polizei für Beschwerden (IPCC) seinen Bericht über die Proteste, die durch das geplante Auslieferungsgesetz ausgelöst wurden. Der Bericht deckt die Ereignisse von Juni bis Oktober 2019 ab und kommt zu dem Schluss, dass es kein systemimmanentes Problem bei der Polizei gab. Der IPCC fand keinen Fehler bei den Polizeiaktionen während des Mobangriffs in Yuen Long im Juli 2019, als eine Gruppe weiß gekleideter Männer, von denen angenommen wird, dass sie in Verbindung mit Triaden-Banden standen, U-Bahn-Passagiere attackierten. Der IPCC warnte vor den Gefahren eines beginnenden Terrorismus in Hongkong und vor „offensichtlicher Propaganda“ gegen die Polizei. In den 52 Empfehlungen des Berichts wird betont, dass zusätzliche Schulungen zu Taktik, zur Verwendung von Tränengas, eine verbesserte Kommunikation und die Zerstreuung von Gerüchten erforderlich sind. Der IPCC ist nur mit begrenzten Befugnissen ausgestattet, und der Report wurde heftig kritisiert, weil die Bedenken in Bezug auf die Rechenschaftspflicht nicht überzeugend ausgeräumt werden konnten.

Zum ersten Mal seit 30 Jahren verweigerten die Behörden in Hongkong die Genehmigung von Veranstaltungen zum Gedenken an die Geschehnisse auf dem Tiananmen-Platz 1989 in China. Sie begründeten dies mit Sorgen um die öffentliche Gesundheit in Verbindung mit COVID-19. Die Organisatoren der jährlichen Mahnwache, die Hong Kong Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements in China, waren der Meinung, dass das Verbot politisch motiviert gewesen sei. Im Anschluss an eine Mahnwache, die trotz des Verbots stattfand, wurden mehrere Personen festgenommen und wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung angeklagt. Aktivitäten in Bezug auf die Geschehnisse auf dem Tiananmen-Platz sind ansonsten erlaubt, und das von der Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements in China betriebene Museum wurde im Mai wiedereröffnet.

Am 4. Juni verabschiedete der LegCo das umstrittene Nationalhymnengesetz, nach dem eine Beleidigung des „Marsches der Freiwilligen“ eine Straftat darstellt, die mit einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 50 000 HKD [5530 EUR] und einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden kann. Zuerst verabschiedete der NPCSC in Peking im September 2017 das Nationalhymnengesetz und entschied zwei Monate später, es zu Anhang III des Grundgesetzes hinzuzufügen. Nach der Zustimmung des LegCo erhielt die Entscheidung Gültigkeit in Hongkong.

Das HKLO gewinnt zunehmend an Einfluss auf die politischen Entscheidungen und das politische Establishment Hongkongs, was Fragen hinsichtlich der Aufrechterhaltung des hohen Maßes an Autonomie Hongkongs aufwirft. Mit dem NSL wurde auch eine neue Festlandinstitution in Hongkong geschaffen, das Amt für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit, das in schweren Fällen, die die nationale Sicherheit betreffen, die Gerichtsbarkeit ausübt, unter anderem, wenn es „komplexe“ Elemente in Verbindung mit der Einmischung eines anderen Staates oder „externer Elemente“ gibt, die gegenüber den Institutionen Hongkongs nicht rechenschaftspflichtig sind. Diese Bestimmungen wurden bisher noch nicht geltend gemacht.

Die LegCo-Wahlen sollten am 6. September stattfinden. Am 30. Juli wurden zwölf prodemokratische Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen. Die Wahlleiter erklärten, nicht der Ansicht zu sein, dass die Kandidaten sich wirklich an das Grundgesetz halten würden, wie es formell durch eine unterzeichnete Erklärung versichert werden muss. Unter den ausgeschlossenen Personen waren vier amtierende Abgeordnete. Auch drei amtierende Bezirksräte, die in allgemeinen Wahlen gewählt worden waren, wurden ausgeschlossen, zusammen mit dem früheren Demosisto-Chef Joshua Wong.

Die Regierung Hongkongs gab eine Stellungnahme ab, in der sie die Ausschlüsse unterstützte und Beispiele für das tatsächliche oder mutmaßliche Verhalten der ausgeschlossenen Personen als Rechtfertigungsgrund für diesen Schritt nannte, unter anderem: die Unterstützung der Unabhängigkeit Hongkongs (für die sich die betroffenen Personen nicht direkt einsetzen); Einwände gegen das NSL; die Absicht, willkürlich gegen die Gesetzesvorlagen der Regierung zu stimmen; und die Bemühung um Interventionen durch ausländische Regierungen. Die Regierung beharrte darauf, dass es keine politische Zensur oder Einschränkungen von Freiheiten gebe und erinnerte daran, dass Beleidigungen oder Drohungen gegen Wahlleiter polizeilich untersucht würden. Das HKLO begrüßte die Entscheidung der Wahlleiter ebenfalls.

Die massenhaften Ausschlüsse wurden international heftig kritisiert. In einer Erklärung des Hohen Vertreters Josep Borrell im Namen der EU hieß es, dass der Ausschluss „dem internationalen Ansehen Hongkongs als freie und offene Gesellschaft“ schade.

Die Pandemokraten hielten am 11. und 12. Juli Vorwahlen ab, um die LegCo-Kandidaten zu bestimmen. Daran beteiligten sich etwa 600 000 Wähler. Eine junge Generation von Aktivisten, die im Allgemeinen eine stärkere Selbstbestimmung fordern, schnitt dabei gut ab.

Am 31. Juli wurden die LegCo-Wahlen unter Berufung auf die Notstandsverordnung um ein Jahr verschoben. Die Regierungschefin rechtfertigte diese Maßnahme mit den Gesundheitsrisiken, die bestünden, wenn die Wahlen mitten in der „dritten Welle“ der COVID-19-Pandemie stattfinden würden. Sie wies auf die besondere Gefährdung älterer Wähler hin sowie darauf, dass etwa 100 000 Wahlberechtigte, die sich zu dieser Zeit in Festlandchina befanden, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen könnten und dass der Wahlkampf durch die Social-Distancing-Maßnahmen beeinträchtigt worden sei. Sie verwies auf verschobene Wahlen in anderen Ländern und Gebieten.

Im Grundgesetz ist keine Situation vorgesehen, in der Wahlen um solch einen langen Zeitraum verschoben werden. Laut Artikel 69 beträgt die Legislaturperiode des LegCo vier Jahre. Der NPCSC fasste daraufhin kurzfristig den Beschluss, dass der sechste LegCo seine Pflichten für mindestens ein weiteres Jahr nach Ablauf der Legislaturperiode am 30. September erfüllen wird. Der nächste LegCo wird für die vorgeschriebenen vier Jahre gewählt.

Die amtierenden Abgeordneten, die von der Wiederwahl ausgeschlossen wurden, mussten ursprünglich ihren Sitz für die um ein Jahr verlängerte Legislaturperiode nicht abgeben. Allerdings gab es eine erhitzte Debatte innerhalb des pandemokratischen Lagers darüber, ob die prodemokratischen Abgeordneten in der LegCo-Kammer verbleiben sollten. Da die Bewegung in dieser Frage gespalten war, wurde eine Umfrage durchgeführt, um die Meinung der Öffentlichkeit einzuholen. Nachdem die Ergebnisse der Umfrage nicht eindeutig waren, behielten alle Abgeordneten bis auf zwei ihre Sitze. Ein dritter Abgeordneter trat aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Am 11. November fasste der NPCSC einen Beschluss, der als Grundlage für den sofortigen Ausschluss von vier prodemokratischen Abgeordneten aus dem LegCo durch die Regierung Hongkongs diente. Mit dem Beschluss wurden auch weitreichende Kriterien festgelegt, um zu bestimmen, wann ein Abgeordneter oder potenzieller Abgeordneter als unfähig gilt, seinen Eid auf das Grundgesetz zu erfüllen, und deshalb von dem Amt ausgeschlossen werden sollte. Zu diesen Kriterien gehören die Unterstützung der Unabhängigkeit Hongkongs, die Weigerung, Chinas Souveränität über Hongkong anzuerkennen, die Unterstützung anderer Länder oder „externer Elemente“ bei der Einmischung in die Angelegenheiten Hongkongs oder das Begehen von Handlungen, die die nationale Sicherheit gefährden. Der Beschluss des NPCSC wurde in Hongkong und von der internationalen Gemeinschaft heftig kritisiert, unter anderem, weil er das hohe Maß der Autonomie Hongkongs und den Schutz der Grundrechte und Freiheiten untergräbt.

Der Ausschluss der vier Abgeordneten führte zum Rücktritt der 15 verbliebenen prodemokratischen LegCo-Abgeordneten. Die Legislative funktionierte weiter, jedoch mit erheblich geringerer demokratischer Kontrolle und Gegenkontrolle.

Infolge dieser Entwicklungen traten mehrere führende prodemokratische Politiker von ihren Parteiämtern zurück. Ted Hui von der Democratic Party, gegen den mehrere Anklagen mit verbundenen Kautionsbedingungen erhoben wurden, begab sich ins Selbstexil ins Vereinigte Königreich, was heftige Reaktionen der Behörden aus Hongkong nach sich zog.

Die Gerichte sahen sich im Laufe des Jahres Vorwürfen der Voreingenommenheit ausgesetzt, insbesondere in Bezug auf die Rechtsprechung in Fällen im Zusammenhang mit Protesten. Am 23. September gab der Oberste Richter eine seiner seltenen Stellungnahmen ab, in der er die Justiz verteidigte und davor warnte, dass Angriffe gegen Richter das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit zerstören könnten. Im September trat der australische Richter James Spigelman als einer der 14 ausländischen Richter zurück, die als nicht ständige Richter im letztinstanzlichen Berufungsgericht (CFA) Hongkongs sitzen. Die Regierung Hongkongs bekräftigte ihr Bekenntnis zum System der Benennung ausländischer Richter und wies auf dessen Bedeutung für die Unabhängigkeit des Justizsystems hin. Im Oktober berief die Regierung den Richter Patrick Hodge, stellvertretender Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs, in das CFA.

Am 21. Dezember lehnte das CFA einschließlich des Obersten Richters Geoffrey Ma und des nicht ständigen Mitglieds Lord Hoffman aus dem Vereinigten Königreich einstimmig die rechtliche Anfechtung des von der Regierung erlassenen Verbots der Gesichtsverhüllung von prodemokratischen Aktivisten ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Notstandsverordnung (ERO), die als Grundlage für das Verbot diente. Das CFA rechtfertigte mit dieser Entscheidung die Berufung der Regierung auf die ERO während der Unruhen und betonte, dass die Notfallbefugnisse zwar weitreichend und flexibel seien, ihre Ausübung aber einer „sinnvollen Kontrolle“ in Form einer gerichtlichen Überprüfung, einer Überprüfung durch den LegCo und den Bestimmungen des Grundgesetzes unterliege, wonach solche Verordnungen gesetzlich vorgeschrieben und verhältnismäßig sein müssen.

Im 30. Jahr des Bestehens des Grundgesetzes wurde die Frage der Gewaltenteilung kontrovers diskutiert. Im Zusammenhang mit der Überarbeitung von Schulbüchern behauptete die Regierung Hongkongs, dass das Prinzip für Hongkong nicht gelte. Dies löste eine tief greifende Debatte aus, in der führende Anwälte erklärten, dass das Grundgesetz zwar nicht ausdrücklich die Gewaltenteilung erwähne, die Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Regierungsbereichen jedoch klar abgegrenzt seien, und dass die Unabhängigkeit der Justiz durch Artikel 85 gewahrt bleibe.

Im LegCo spielten sich im Laufe des Jahres hässliche Szenen gewalttätiger Unordnung ab. Ein Grund dafür war die Kontroverse um den Vorsitz des Hausausschusses. Der Ausschuss war für mehrere Monate aufgrund der Hinhaltetaktik der Pandemokraten und der Uneinigkeit über die Abgabe des Vorsitzes an den stellvertretenden Vorsitzenden bis zur Wahl des neuen Vorsitzenden im Mai arbeitsunfähig. Acht pandemokratische Politiker, darunter fünf amtierende Abgeordnete und zwei ehemalige Abgeordnete, wurden später wegen der Vorfälle im LegCo festgenommen. Die Festnahmen lösten ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Anwendung strafrechtlicher Bestimmungen gegen Abgeordnete und ehemalige Abgeordnete sowie über die gezielte Ausrichtung auf prodemokratische Politiker aus.

Die Regierungschefin verschob ihre jährliche Grundsatzrede, die am 14. Oktober anstand, um einen Monat. Sie erklärte die Verschiebung damit, dass die Behörden der Zentralregierung wegen Hilfsmaßnahmen für die Erholung Hongkongs konsultiert werden müssten, und reiste zu diesem Zweck Anfang November nach Peking.

Sie hielt ihre vierte Grundsatzrede am 25. November vor einem LegCo, aus dem die Stimmen der Opposition verschwunden waren. Die Regierungschefin wies auf die „zahlreichen Rückschläge“ für Hongkong hin, unter anderem auf die menschlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 und auf die sozialen Unruhen. Sie verteidigte das NSL und andere politische Entwicklungen der letzten Zeit, darunter den Ausschluss von prodemokratischen Abgeordneten. Die Rede enthielt außerdem einen Abschnitt über die „volle Unterstützung der Zentralregierung“. Sie nannte Artikel 9 und 10 des NSL als Grundlagen für die Pläne der Regierung, die Vorschriften in Bezug auf Sozialorganisationen, Medien und Internet zu verschärfen und den Unterricht in nationaler Sicherheit an Schulen und Universitäten zu fördern. Darüber hinaus bestätigte sie, dass die Regierung ein Gesetz zur Änderung der Bestimmungen für Vereidigungen erlassen werde.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie meldete Hongkong 8847 Fälle und 148 Todesfälle. Hongkongs hervorragendes Gesundheitssystem, die umfassenden politischen Reaktionen einschließlich strenger Quarantänemaßnahmen sowie die verantwortungsvolle Haltung der Bevölkerung, die sich im allgegenwärtigen Tragen von Gesichtsmasken während des Ausbruchs zeigte, haben zum effektiven Umgang mit dem COVID-19-Ausbruch beigetragen. Hongkong konnte auch auf seine Erfahrungen mit der SARS-Epidemie im Jahr 2003 zurückgreifen.

Seinen ersten Fall vermeldete Hongkong Ende Januar. Kurz danach schloss die SVR alle Grenzübergänge mit Ausnahme des internationalen Flughafens und der Shenzhen-Bay- und der Hong Kong-Zhuhai-Macau-Brücken, sodass Einwohner von Hongkong in die Stadt zurückkehren konnten. Es gab einige Kritik an der ersten Reaktion der Regierung auf den Ausbruch, einschließlich der Beschaffung von Masken. Mit Unterstützung der Zentralregierung führte Hongkong im September ein stadtweites freiwilliges Testprogramm durch, an dem etwa 1,78 Mio. Menschen teilnahmen. Die Regierung ergriff eine Reihe von Maßnahmen, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie abzuschwächen.

Während der Pandemie mit drei „Infektionswellen“ im Laufe des Jahres lockerte und verschärfte die Regierung immer wieder die Social-Distancing-Maßnahmen. Zu diesen Maßnahmen gehörten die Schließung bestimmter, als risikoreich eingestufter Gewerbebetriebe, Einschränkungen in Bezug auf den Abstand und die Gästeanzahl in Restaurants sowie die Begrenzung der Anzahl der Personen, die sich in einer Gruppe versammeln dürfen.

In der zweiten Jahreshälfte wurde in Hongkong über die Einrichtung sogenannter „Reiseblasen“ diskutiert, durch die Reisen zwischen elf Ländern erleichtert werden sollen. Eine grundsätzliche Vereinbarung über die Einrichtung einer „Blase“ wurde im Oktober mit Singapur geschlossen. Die Umsetzung wurde allerdings aufgrund eines Anstiegs der COVID-19-Fälle verschoben. Im Oktober stufte die EU die SVR Hongkong und die SVR Macau als Regionen ein, mit denen der nicht unbedingt notwendige Reiseverkehr auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und soweit die Bedingungen es zulassen wieder aufgenommen werden kann.

Rechte, Freiheiten und Chancengleichheit

Das NSL hatte unzweifelhaft Auswirkungen auf die Ausübung von Freiheiten, und die Führungspersonen von Demosisto lösten nach der Einführung des Gesetzes die prodemokratische Partei auf. Die Partei hatte die Selbstbestimmung Hongkongs befürwortet, gab dieses Ziel aber im Januar 2020 auf.

Die Selbstzensur im öffentlichen Leben nahm zu, wobei das genaue Ausmaß schwer einzuschätzen ist. Direkte Zensur ist in der Medienlandschaft noch nicht sehr verbreitet, jedoch berichteten einige Journalisten von fragwürdigen redaktionellen Entscheidungen und von zunehmendem „Gatekeeping“ durch Redakteure bei sensiblen Themen. Auch wenn kein direkter Zusammenhang mit dem NSL besteht, wurde verstärkt Druck auf die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RTHK ausgeübt, Aktivitäten und Berichte, die von der Regierung als „provokativ“ eingestuft werden, zu vermeiden.

Die Festnahme einer freien Journalistin am 3. November aufgrund ihrer Arbeit an einer investigativen Dokumentation über den Angriff in einem U-Bahnhof in Yuen Long im Juli 2019 wurde heftig kritisiert, da dadurch legitime journalistische Arbeit kriminalisiert würde.

Unter Universitätslehrkräften herrscht Ungewissheit darüber, was sie angesichts des NSL lehren dürfen und was nicht. Das gilt insbesondere für „sensible“ Themen und für den Unterricht von Studierenden vom Festland. Einige Universitätslehrkräfte bemühen sich nicht mehr um Fördermittel aus ausländischen Quellen, insbesondere aus den USA, um heikle Situationen zu vermeiden.

NRO versuchen sicherzustellen, dass sie nicht gegen das NSL verstoßen, woraus sich Komplikationen für ihre Arbeit ergeben. Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist die erste große internationale Stiftung, die ihre Aktivitäten in Hongkong infolge des NSL einstellt.

Schulen stehen zunehmend unter Druck, nachdem die Behörden in Peking und Hongkong erklärt haben, dass eine Neuausrichtung des Unterrichts erforderlich sei, um den Patriotismus und das Verständnis des NSL zu fördern. Ein Lehrer wurde wegen der unabhängigkeitsfreundlichen Diskussionen im Unterricht vor Einführung des NSL durch das Büro für Bildung auf Lebenszeit suspendiert, Schulbücher wurden überarbeitet, und Lehrer wurden darauf hingewiesen, nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. Der Bildungssektor wird zunehmend politisiert. Personen, die pro-Peking eingestellt sind, behaupten, dass viele Lehrer die Demokratie oder sogar die Unabhängigkeit unterstützen und dass die Schüler im Unterricht mit westlichen Ideologien indoktriniert und ermutigt werden, sich an sozialen Bewegungen zu beteiligen. Die Regierungschefin hat Reformen der Lehrerausbildung angestoßen, um für die Einhaltung der Regierungslinie zu sorgen.

Die Versammlungsfreiheit wurde im Zusammenhang mit dem COVID-19-Ausbruch und dem NSL eingeschränkt. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 gab es 107 Anträge auf öffentliche Versammlungen, von denen 87 abgelehnt wurden. Alle Anträge seit Juli 2020 wurden abgelehnt. Die COVID-19-Pandemie wurde regelmäßig als Hauptgrund für die Ablehnung genannt, da öffentliche Versammlungen von mehr als vier und später acht Personen seit März verboten waren. Die Polizei hat bei nicht genehmigten Versammlungen eine violette Fahne gehisst, um vor möglichen Verletzungen des NSL zu warnen, obwohl der Umfang dessen, was an politischen Äußerungen erlaubt ist und was nicht, unklar ist.

In den Gerichten Hongkongs wurden einige Fortschritte im Hinblick auf die Anerkennung der Rechte von LGBTI-Personen erzielt. Im März wurde eine Richtlinie der Wohnungsbehörde, die es gleichgeschlechtlichen Paaren, die im Ausland geheiratet haben, untersagte, sich für Sozialwohnungen zu bewerben, vom Berufungsgericht für verfassungswidrig und rechtswidrig erklärt . Im Juni änderte das Finanzministerium das Steuergesetz, um es verheirateten Personen (gemischt- oder gleichgeschlechtliche Ehen) zu ermöglichen, zwischen Einzelveranlagung und Zusammenveranlagung mit dem Ehegatten zu wählen. Am 18. September entschied das Hohe Gericht Hongkongs, dass gleichgeschlechtliche Paare, die nach ausländischen Gesetzen geheiratet haben, in Hongkong erbrechtlich gleichgestellt werden sollten. Am selben Tag lehnte das Gericht es jedoch ab, im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen eine breitere Anerkennung zu gewähren, und stellte fest, dass bestimmte Fälle von Diskriminierung durch bestimmte Gerichtsverfahren angegangen werden könnten. Bedenken kamen 2020 auf, als ein Richter homophobe Bemerkungen im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung eines Asylsuchenden machte.

Hongkong hat einige Schritte unternommen, um den Menschenhandel zu bekämpfen. Allerdings setzten die Vereinigten Staaten Hongkong auf die Tier-2-Beobachtungsliste. Im US-Jahresbericht über den Menschenhandel werden als bedenkliche Punkte unter anderem ein ineffektiver Identifizierungsmechanismus, die geringe Anzahl der Strafverfolgungen und die Bestrafung von Opfern für illegale Handlungen, zu deren Begehung sie gezwungen waren, genannt. Am 17. und 18. Dezember fand das fünfte EU-Hongkong-Seminar zum Menschenhandel statt, bei dem gemeinsame Themen besprochen wurden. Unter anderem ging es dabei um die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Menschenhandels, die Unterstützung der Opfer und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.

Es ist anzunehmen, dass die COVID-19-Pandemie negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen einiger ausländischer Hausangestellter hatte. Unter anderem gab es Berichte darüber, dass manche Arbeitgeber ihren Angestellten nicht gestattet haben, an ihrem gesetzlich vorgeschriebenen freien Tag pro Woche das Haus zu verlassen. Die Hong Kong Federation of Asian Domestic Workers Unions berichtete von einer zunehmenden Diskriminierung von Angestellten infolge der Pandemie. Zum Beispiel soll es zu unrechtmäßigen Kündigungen von Verträgen gekommen sein, wenn angenommen wurde, dass die Angestellten sich mit dem Coronavirus infiziert hatten, sowie zur Verweigerung der Zahlung des Lohns für ausländische Hausangestellte, während diese sich in der obligatorischen Quarantäne befanden. Viele der Hausangestellten, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, saßen in Hongkong fest und waren stark auf wohltätige Unterstützung angewiesen, da ihnen ansonsten nicht geholfen wurde. Die Regierung Hongkongs hat COVID-19-Tests und Masken für ausländische Hausangestellte eingeführt, die in speziellen Unterkünften darauf warten, in die Haushalte ihrer neuen Arbeitgeber einzutreten.

Das System zur Korruptionsbekämpfung erwies sich weiterhin als robust und widerstandsfähig. Bei den Maßnahmen zur Förderung der Transparenz und zur Korruptionsbekämpfung weist Hongkong sehr hohe Standards auf. Die Behörden sowie politische und wirtschaftliche Vertreter erkennen an, dass Transparenz von entscheidender Bedeutung ist, um die starke Position Hongkongs als internationales Wirtschaftszentrum zu erhalten.

Die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie haben sich auf das Armutsniveau ausgewirkt: Die Arbeitslosenquote stieg bis Ende 2020 auf 6,6 % 3 und war damit so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr, und die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren erreichte 11 %. Die Armutsrate war 2019 bereits auf 20,4 % gestiegen. Im Januar 2020 kündigte die Regierungschefin zehn neue Initiativen an, um unterprivilegierte Menschen an der Basis zu unterstützen, unter anderem durch eine Erhöhung des Ziels für Übergangsunterkünfte bis 2023 von 10 000 auf 15 000 und durch die Gewährung von Bargeldzulagen an Antragsteller für Mietwohnungen, die schon länger als drei Jahre warten.

II. Wirtschaftliche Entwicklungen

Hongkongs Wirtschaft verschlechterte sich 2020 erheblich und befand sich nach dem Rückgang des BIP 2019 um 1,2 % im zweiten Jahr in Folge in einer Rezession. Trotz einiger Verbesserungen gegen Ende des Jahres im Windschatten der Erholung Chinas schrumpfte die Wirtschaft verglichen mit 2019 im ersten Quartal um 9,1 %, im zweiten Quartal um 9,0 % und im dritten Quartal um 3,5 %. COVID-19 war ein wesentlicher Grund für den Rückgang, doch auch zuvor gab es schon Gegenwind, beispielsweise durch die Unruhen von 2019 und den Handelskrieg zwischen den USA und China.

Die SVR verfügt über eine sehr offene Wirtschaft und floriert traditionell als dreifache Drehscheibe: für China zur Beschaffung von Offshore-Kapital, für den weltweiten und chinesischen Handel und für den Tourismus (hauptsächlich für chinesische Touristen). Von den vier Schlüsselindustrien der Stadt – Finanzdienstleistungen, Tourismus, Handel und Logistik sowie freiberufliche und Produzentendienstleistungen – war die Finanzbranche die einzige, die sich 2020 gut entwickelte.

Branchen, die stark auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind, wurden in diesem Jahr mit am härtesten getroffen. Dazu gehören der Einzelhandel, der Lebensmittel- und Getränkesektor, das Gastgewerbe, der Verkehrssektor und der Luftverkehr. Die Einzelhandelsumsätze fielen in den ersten elf Monaten 2020 im Jahresvergleich um 25,3 %, die Einnahmen der Restaurants gingen in den ersten drei Quartalen des Jahres um 30,8 % im Jahresvergleich zurück und die Passagierzahlen am Flughafen für das ganze Jahr sanken im Jahresvergleich um 87,5 %. Dies ist hauptsächlich mit dem massiven Einbruch der Touristenzahlen aufgrund der Reisebeschränkungen und der Angst vor Reisen zu erklären. Im Jahresvergleich sank die Zahl um 93,6 % auf lediglich 3,6 Millionen Touristen. Üblicherweise kommen etwa 80 % der Touristen aus Festlandchina. Sie machen schätzungsweise 40 % der Einzelhandelsumsätze in der Stadt aus, insbesondere im Luxussektor. Auch die Ausgaben der Privathaushalte waren von der schwachen Wirtschaft und den Social-Distancing-Regeln in Restaurants und anderen Geschäften betroffen.

Dank einiger Verbesserungen in der zweiten Jahreshälfte und dank des Wirtschaftsaufschwungs in China und anderen Teilen der Welt hielten sich die Auswirkungen der Pandemie auf Hongkongs Außenhandel in Grenzen: In den ersten elf Monaten des Jahres 2020 gingen die Ausfuhren von Waren (fast ausschließlich Wiederausfuhren) um 2,8 % und die Einfuhren um 5,0 % im Jahresvergleich zurück. Dies wiederum wirkte sich auf den Handel und die Logistikbranche aus, die etwa 20 % des BIP Hongkongs ausmachen.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechterte sich im Laufe des Jahres erheblich. Die Arbeitslosenquote erreichte zum Ende des Jahres 6,6 %, verglichen mit 3,3 % Ende 2019. Es bestehen auch erhebliche Unterschiede zwischen den Sektoren: Im Finanzsektor beträgt die Arbeitslosenquote nur 3,2 %.

Die Immobilienpreise stiegen im Laufe des Jahres um 0,3 % (verglichen mit 5,5 % 2019). Hongkong ist nach wie vor der am wenigsten bezahlbare Ballungsraum für Eigenheimerwerber. Die Wohnungsnot ist ein langfristiges Problem, das viele Haushalte betrifft.

 

Der Finanzsektor erwies sich als weitaus widerstandsfähiger als die restliche Wirtschaft und wuchs 2020 weiter. Der Sektor profitierte von einer hohen Anzahl von Börsengängen (IPOs). Im Laufe des Jahres gab es 154 IPOs mit einem Gesamterlös von 397,5 Mrd. HKD (42,4 Mrd. EUR). Dies stellt einen Anstieg des Gesamterlöses um 26,5 % im Jahresvergleich dar, obwohl der duale Börsengang der Ant Group in Hongkong und Schanghai, der der größte der Geschichte werden sollte, in letzter Minute aufgrund der Einwände der festlandchinesischen Regulierungsbehörden abgesagt wurde.

IPOs stellen eine Einnahmequelle für viele Akteure im Finanzsektor dar und ziehen Investoren und Kapital an. Neue, strengere Regeln für chinesische Unternehmen, die in den USA börsennotiert sind, und die Spannungen zwischen den USA und China gelten als Grund für Börsengänge chinesischer Unternehmen in Hongkong. Ein weiterer Grund für die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors ist sein relativ kleines Engagement in der lokalen Wirtschaft. Festlandchinesische Unternehmen machen rund 80 % der Aktienmarktkapitalisierung Hongkongs aus. Das bedeutet, dass der Sektor stark in der chinesischen Wirtschaft engagiert ist, die sich im Laufe des Jahres besser entwickelte als die Wirtschaft Hongkongs. Der durchschnittliche tägliche Umsatz an der Hong Kong Stock Exchange stieg 2020 im Jahresvergleich um 49 % und die Marktkapitalisierung erreichte ein Rekordhoch von 47,5 Billionen HKD (5,1 Billionen EUR). Der Hang Seng Index fiel um etwa 3,4 %. Der Bankensektor blieb gut kapitalisiert und verfügte über starke Puffer. Trotz der unsicheren Wirtschaftslage und der destabilisierenden lokalpolitischen Entwicklungen verzeichnete die SVR keine bedeutenden Kapitalabflüsse. Der Hongkong-Dollar war stark und die Hongkonger Währungsbehörde musste bei mehreren Gelegenheiten eingreifen, damit er nicht zu stark an Wert gewann und in der Bandbreite zum US-Dollar blieb. Die Stärke der Währung wurde durch die Geldzuflüsse infolge der IPO-Aktivitäten in Verbindung mit starken Devisenreserven gestützt.

 

Die durchschnittliche Inflationsrate lag in den ersten elf Monaten 2020 bei 0,4 %.

Regierungshilfen und Haushaltslage

Aufgrund der wirtschaftlichen Rezession und zur Unterstützung der Bevölkerung führte die Regierung im Laufe des Jahres mehrere Runden von Hilfsmaßnahmen durch. Laut Angaben der Regierung beliefen sich die Maßnahmen auf insgesamt 311,5 Mrd. HKD (33,2 Mrd. EUR) bzw. rund 10 bis 11 % des BIP der Stadt. Zu den Maßnahmen gehörten eine einmalige Barzahlung in Höhe von 10 000 HKD (1066 EUR) für jeden Einwohner, ein Gehaltszuschussprogramm, verschiedene Steuersenkungen, die Abschaffung von Abgaben und Gebühren sowie Zuschussprogramme für verschiedene Branchen.

 

Die Maßnahmen, die wichtig für die Unterstützung der Wirtschaft waren, wurden aber auch dafür kritisiert, dass sie nicht zielgerichtet genug waren, wodurch ihre Wirksamkeit verringert und die Kosten für den Haushalt erhöht wurden. Dies traf auf die beiden teuersten Maßnahmen – die Barzahlung und den Gehaltszuschuss – zu, da sie den meisten Einwohnern und Unternehmen ungeachtet ihrer finanziellen Situation zur Verfügung standen. Die meisten Maßnahmen wurden in der ersten Jahreshälfte angekündigt, und die Regierung reduzierte später ihre Unterstützung.

Ergänzt wurden diese Maßnahmen durch eine Reihe von Maßnahmen der Hongkonger Währungsbehörde, darunter die Erhöhung der Liquidität im Bankensektor, die Reduzierung der vorgeschriebenen Reserven um die Hälfte zur Schaffung von Darlehenskapazität und die Ermöglichung von Tilgungsaufschub für Kredite der Bankkunden.

Im Sommer rettete die Regierung Hongkongs nationale Fluggesellschaft Cathay Pacific mit einer großen Liquiditätsspritze und dem erklärten Ziel, Arbeitsplätze und den Status Hongkongs als Luftfahrtdrehkreuz zu sichern. Trotz dieser Unterstützung kündigte das Unternehmen wenige Monate später eine massive Umstrukturierung an.

Im Bereich der öffentlichen Finanzen verschlechterte sich die Situation 2020 aufgrund der geringen Einnahmen und der Kosten für die Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft erheblich, nachdem bereits 2019 das erste Haushaltsdefizit seit 15 Jahren verzeichnet wurde. Infolgedessen erreichte das Haushaltsdefizit im Zeitraum von April bis November einen Rekord von 318 Mrd. HKD (34 Mrd. EUR), während die Haushaltsreserven von 1,16 Billionen HKD auf 842 Mrd. HKD (90 Mrd. EUR) sanken.

 

Rahmenbedingungen für Unternehmen

Die wirtschaftliche Rezession und die Auswirkungen von COVID-19 auf die Geschäfte und den Umsatz der Unternehmen stellten in diesem Jahr die Hauptprobleme für europäische Unternehmen dar. Gleichzeitig achteten viele Unternehmen auch genau auf das sich verändernde politische Umfeld in der Stadt einschließlich der Einführung des NSL und des wachsenden Einflusses Pekings.

Wie bei den Unruhen 2019 nahmen die europäischen Unternehmen 2020 weitgehend eine abwartende Haltung ein. In der Geschäftswelt gibt es jedoch die Auffassung, dass das NSL dem internationalen Ruf Hongkongs geschadet hat. Es bestehen darüber hinaus Bedenken in Bezug auf die potenziellen Auswirkungen des Gesetzes auf Unternehmen und auf die allgemeinen Rahmenbedingungen für Unternehmen in der SVR. Diese Auswirkungen unterscheiden sich von Branche zu Branche, im Allgemeinen geht es aber unter anderem darum, die Unabhängigkeit der Justiz, die Redefreiheit und die Gewerbefreiheit sowie den Zugang zu Daten sicherzustellen und um die Auswirkungen auf die Einstellung und Bindung von Talenten. 4 Aus diesem Grund bewerten einige Unternehmen ihre Präsenz in der Stadt neu, während andere an Notfallplänen arbeiten. Obwohl es auch Unternehmen gibt, die das NSL als positive Entwicklung betrachten (beispielsweise im Hinblick auf gesellschaftliche Stabilität), zeigen Unternehmensumfragen, dass es sich dabei nicht um eine Mehrheitsmeinung handelt.

Aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs haben einige europäische Unternehmen ihre Aktivitäten in der SVR reduziert. Die Unternehmen aus Branchen, die stark auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind, waren am stärksten betroffen und verzeichneten erhebliche Umsatzeinbußen. Unternehmen im Handels- und Logistiksektor waren vom schwachen Welthandel und dem weltweiten Wirtschaftsabschwung betroffen.

Die Beschränkungen für Reisen aus und nach Hongkong hatten ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf europäische Unternehmen, vor allem, weil viele von ihnen Geschäfte mit China und dem asiatischen Raum betreiben.

 

Hongkongs operative Effizienz, sein hohes Maß an Autonomie, die Rechtsstaatlichkeit und die unabhängige Justiz wurden lange als wesentliche Wettbewerbsvorteile angesehen. Eine Aushöhlung eines oder mehrerer dieser Elemente würde die Attraktivität Hongkongs deutlich beeinträchtigen. Die Spannungen zwischen China und den USA, unter anderem im Zusammenhang mit Hongkong, stellen einen weiteren Grund für Bedenken der Unternehmen dar.

 

Handelspolitik und andere Politikbereiche

Im Januar trat ein Freihandelsabkommen (FHA) mit Australien in Kraft, das im März 2019 unterzeichnet worden war und auch ein geändertes Investitionsabkommen beinhaltet. Im März trat ein Investitionsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kraft. Auch ein 2017 unterzeichnetes FHA mit den ASEAN-Staaten trat weiter schrittweise in Kraft.

Die Regierung kündigte Maßnahmen zur Unterstützung der Rolle Hongkongs als Finanzzentrum und wichtigstes grünes Zentrum in der Region an. Dazu gehören die Abschaffung der Stempelgebühren für Exchange Traded Funds (ETF) und Maßnahmen, um Anreize für Aktienfonds zu schaffen. Außerdem wurde ein neuer Technologie-Index eingeführt, der Hang Seng TECH Index. Er enthält die Werte der 30 größten in Hongkong börsennotierten Unternehmen, die ein hohes technologisches Engagement aufweisen und die Screening-Kriterien des Index erfüllen. Im Hinblick auf das grüne Finanzwesen haben die Regierung und Finanzaufsichtsbehörden in der Stadt die Green and Sustainable Finance Cross-Agency Steering Group gegründet, und die Regierung teilte mit, in den nächsten Jahren neue grüne Staatsanleihen ausgeben zu wollen (nach einer ersten Ausgabe 2019).

 

Zur Förderung von Innovation und Technik – eine der Hauptprioritäten – hat die Regierung 3 Mrd. HKD (320 Mio. EUR) für die Erweiterung von Hongkongs Wissenschaftspark vorgesehen und ihr Technology-Voucher-Programm gestärkt. Im Dezember veröffentlichte die Regierung außerdem den Smart City Blueprint for Hong Kong 2.0. Was den Wohnungsbau betrifft, legte die Regierung für 2024 das Ziel fest, 100 400 soziale Wohneinheiten (und 19 600 private Wohneinheiten pro Jahr bis 2024) zur Verfügung zu stellen. Im Bereich des Umweltschutzes bestand eine der Prioritäten darin, die Nutzung von Elektrofahrzeugen weiter zu fördern und umweltschädlichere Fahrzeuge allmählich aus dem Verkehr zu ziehen. Die Regierung brachte ein Zuschussprogramm in Höhe von 2 Mrd. HKD (212 Mio. EUR) auf den Weg, um die Ausrüstung privater Wohngebäude mit Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge zu fördern.

Im Energiebereich möchte die Regierung den Anteil von Erdgas im Energiemix erhöhen, um die Nutzung von Kohle zu reduzieren. Die Abfallwirtschaft bleibt ein wichtiges Thema in der Stadt, da nur ein kleiner Teil der Abfälle der Stadt vor Ort recycelt wird. Im Juni gab es einen Rückschlag, als Abgeordnete eine lange aufgeschobene Gesetzesvorlage über eine obligatorische Abfallentsorgungsgebühr, die 2018 eingeführt worden war, zurückzogen.

In ihrer am 25. November gehaltenen Grundsatzrede 2020 schlug die Regierungschefin vor, die Erholung Hongkongs zu stärken. Der kurzfristige Fokus war darauf ausgerichtet, die Pandemie im Griff zu behalten, während durch längerfristige Wirtschaftspläne folgende etablierte Prioritäten bestätigt wurden: verstärkte Integration in der Greater Bay Area und mit Festlandchina; Unterstützung der Rolle Hongkongs als Drehscheibe für Handel, Finanzen und unternehmensbezogene Dienstleistungen; Förderung von Innovationen und Technologie und Entwicklung einer Smart City. Zwar enthielt die Grundsatzrede einige Maßnahmen für Unternehmen und das Versprechen, die Ausgaben für die Infrastruktur zu erhöhen, es wurden aber keine wesentlichen zusätzlichen Ausgaben zu den 10 bis 11 % des BIP zugesagt, die bereits im Laufe des Jahres in die Wirtschaft geflossen waren.

Einmal mehr wurde in der Grundsatzrede betont, dass das seit Langem bestehende Problem der Knappheit und Unerschwinglichkeit von Wohnungen gelöst werden müsse. In Bezug auf diesen Punkt bekräftigte die Regierungschefin ihre Unterstützung für Lantau Tomorrow Vision, ein massives und umstrittenes Landgewinnungsprojekt. Angesichts der Herausforderungen im Hinblick auf den Ruf Hongkongs wurde in der Grundsatzrede auch eine groß angelegte Publicity-Maßnahme angekündigt, um für Hongkong als Wirtschaftszentrum zu werben. 

Bemerkenswert war die Verkündung der Entscheidung, dass Hongkong bis 2050 Klimaneutralität erreichen soll. Zu diesem Zweck soll Hongkongs Klimaaktionsplan bis Mitte 2021 aktualisiert werden. Die Rede enthielt weitere „grüne“ Ankündigungen, zum Beispiel für die Bereiche Verkehr, Bau, grünes Finanzwesen und energetische Abfallverwertung.

Der Besuch der Regierungschefin in Peking weckte Erwartungen dahin gehend, dass China bald wieder seine Grenze zu Hongkong öffnen könnte. Viele Unternehmen haben Niederlassungen, Kunden und/oder Lieferanten in Festlandchina, und Touristen aus China sind für Hongkong wichtige Einnahmequellen für den Einzelhandel, den Lebensmittel- und Getränkesektor, das Gastgewerbe und den Verkehrssektor. Ende des Jahres waren die Reisebeschränkungen, unter anderem mit obligatorischer Quarantäne, jedoch noch in Kraft.

III. Beziehungen zwischen Hongkong und Festlandchina

Das HKLO gewinnt zunehmend an Einfluss auf die politischen Entscheidungen und das politische Establishment Hongkongs, was Fragen hinsichtlich der Aufrechterhaltung des hohen Maßes an Autonomie Hongkongs aufwirft. Die im April geäußerte Behauptung, das HKLO sei nicht an den im Grundgesetz festgelegten Schutz der Autonomie Hongkongs gegen die Einmischung durch die Zentralregierung (Artikel 22) gebunden, war ein besorgniserregendes Signal in Bezug auf Chinas Bereitschaft, das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ aufrechtzuerhalten. In der Stellungnahme des HKLO, die diese Interpretation bestätigt, heißt es, das HKLO verfüge über weitreichende Autorität in Hongkong und unter anderem über Befugnisse zur Beaufsichtigung. Die Ernennung von Luo Huining zum HKLO-Direktor im Januar 2020 deutete auf eine proaktivere Haltung des HKLO hin, die sich in der regelmäßigen Veröffentlichung von Pressemitteilungen äußerte, in denen die Entwicklungen in Bezug auf Hongkong kommentiert wurden. Diese Pressemitteilungen enthielten scharfe Kritik an pandemokratischen Abgeordneten.

Festlandchina blieb Hongkongs größter Handelspartner im Warenhandel. In den ersten elf Monaten des Jahres 2020 gingen 59 % der Ausfuhren Hongkongs nach Festlandchina, und 43 % der Einfuhren kamen von dort. Die SVR ist ein bedeutendes Handelszentrum für das Festland und war 2020 Chinas fünftgrößter Handelspartner. Die chinesische Provinz Guangdong ist nach wie vor ein wichtiger Stützpunkt für den passiven Veredelungsverkehr.

Hongkong ist ebenfalls weiterhin Chinas wichtigstes Offshore-Finanzzentrum und wichtigster Investitionsstandort. Ende 2019 war Festlandchina Hongkongs größte Quelle ausländischer Direktinvestitionen (FDI) (Offshore-Zentren ausgenommen) und das wichtigste Ziel für Direktinvestitionen Hongkongs mit 28 % bzw. 45 % der gesamten Wertpapiere. Im Gegenzug stammen etwa 65 % der FDI in Festlandchina aus Hongkong, und 61 % der chinesischen FDI fließen nach Hongkong. In Hongkong sind 1319 Festlandunternehmen notiert, die 80 % der gesamten Marktkapitalisierung in der Stadt ausmachen. Die Kapitalmärkte Hongkongs und Festlandchinas sind über das Stock-Connect-Programm, das die Hongkonger Börse mit ihren Pendants in Schanghai und Shenzhen verbindet, sowie über das Bond-Connect-Programm für den gegenseitigen Marktzugang für Anleihemärkte miteinander verbunden.

 

Im Laufe des Jahres bauten Hongkong und Festlandchina ihre Beziehung im Rahmen des 2003 unterzeichneten Umfassenden Partnerschaftsabkommens China-Hongkong (CEPA) weiter aus. Neue Liberalisierungsmaßnahmen für den Handel mit Dienstleistungen, die im November 2019 unterzeichnet wurden, traten im Juni 2020 in Kraft.

Die regionale Integration im Rahmen der Guangdong-Hong Kong-Macao Greater Bay Area (GBA) wurde 2020 fortgesetzt. Das im Jahr 2019 veröffentlichte Konzept beinhaltet das Ziel eines ungehinderten Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalflusses innerhalb der GBA bis 2035. Im Laufe des Jahres kündigte die Regierung Maßnahmen für die weitere Integration und zur Erleichterung der Geschäftstätigkeit in verschiedenen Sektoren an. Im Finanzbereich wurde im Juni von der People's Bank of China, der Hongkonger Währungsbehörde und der Währungsbehörde von Macau ein gemeinsamer Plan zur Umsetzung eines grenzüberschreitenden Pilotprogramms für die Vermögensverwaltung („Wealth Management Connect“) angekündigt. Dadurch könnten die Einwohner von Hongkong, Macau und von neun Städten in der Provinz Guangdong grenzüberschreitende Investitionen in Vermögensverwaltungsprodukte tätigen, die von Banken in der Region angeboten werden. Eine Verbindung im Versicherungsbereich in der GBA ist ebenfalls geplant.

 

Unternehmen stehen den Chancen, die die GBA bietet, weitgehend positiv gegenüber, jedoch gibt es Herausforderungen in Bezug auf Steuerpolitik, regulatorische und rechtliche Aspekte, politische Unsicherheit, Transparenz und Sichtbarkeit sowie Schutz der Rechte des geistigen Eigentums. Im weiteren Sinne gibt es noch offene Fragen dahin gehend, wie drei verschiedene Wirtschafts-, Rechts-, Steuer- und Zollsysteme zusammengeführt werden können und ob möglicherweise Rivalitäten zwischen den teilnehmenden Städten bestehen. Hongkongs Wettbewerbsvorteil als „Super-Konnektor“ zu China könnte auch untergraben werden, wenn Städte in Guangdong ihre Volkswirtschaften liberalisieren, ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und sich über Finanzen und Handel mit der Welt verbinden.

IV. Bilaterale Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen der EU und Hongkong im Jahr 2020

2020 fand der jährliche strukturierte Dialog zwischen Hongkong und der EU zum ersten Mal seit seiner Einführung 2006 nicht statt. In der Vergangenheit bot der strukturierte Dialog eine Gelegenheit, die Zusammenarbeit in Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Handel, Investitionen, Beschaffung, Zoll, Innovationstechnologien, Menschenhandel und Umwelt zu überprüfen und ihr neue Anstöße zu geben. Nach Ansicht der EU ist es wichtig, dass beide Seiten einen regelmäßigen institutionellen Dialog führen, der es ermöglicht, die Beziehungen umfassend zu überprüfen und alle Probleme oder Themen von gegenseitigem Interesse, die unter die Zuständigkeit oder Gerichtsbarkeit der anderen Seite fallen, anzugehen. Die EU hofft, dass die Bedingungen sich so entwickeln, dass der strukturierte Dialog 2021 wieder stattfinden kann.

Im Jahr 2020 haben sich 1560 Unternehmen aus der EU in Hongkong niedergelassen, und viele von ihnen nutzen Hongkong als regionalen Hauptsitz oder Regionalbüro. EU-Unternehmen sind in einer Vielzahl von Sektoren vertreten, vor allem in den Bereichen Finanz- und Unternehmensdienstleistungen, (Einzel-)Handel, Logistik, im Lebensmittel- und Getränkesektor sowie im Baugewerbe.

2020 stand Hongkong an 25. Stelle der größten Handelspartner der EU 5 im Warenhandel und war der zwölftgrößte Handelspartner der EU in Asien. Der gesamte bilaterale Handel belief sich im Berichtszeitraum auf 27,4 Mrd. EUR, ein Rückgang von 10,8 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Warenausfuhren der EU nach Hongkong beliefen sich in diesem Zeitraum auf 23,0 Mrd. EUR, während sich die Einfuhren aus Hongkong auf 7,1 Mrd. EUR beliefen, was für die EU einen Überschuss von 15,8 Mrd. EUR ergab. Die EU war im Jahr 2020 nach China und Taiwan Hongkongs drittgrößter Handelspartner im Warenhandel. Die EU war Hongkongs zweitgrößte Ausfuhrdestination und fünftgrößter Einfuhrlieferant. Hongkong blieb weiterhin ein wichtiger Umschlagplatz für den Handel zwischen Festlandchina und der EU.

2019 war Hongkong der viertgrößte Handelspartner der EU im Dienstleistungssektor in Asien. Im Jahr 2019 (das letzte Jahr, für das Angaben zur Verfügung stehen) belief sich der bilaterale Handel mit Dienstleistungen (mit der EU-27) auf 26,8 Mrd. EUR (+9 % gegenüber dem Vorjahr). Die EU-Einfuhren von Dienstleistungen aus Hongkong erreichten 11,0 Mrd. EUR, und die Ausfuhren nach Hongkong 15,8 Mrd. EUR, was zu einem Überschuss in Höhe von 4,7 Mrd. EUR auf EU-Seite führte. 6

Die wechselseitigen Investitionen zwischen der EU und Hongkong waren nach wie vor bedeutend. Den Statistiken Hongkongs zufolge ist die EU – von Offshore-Zentren abgesehen – der siebtgrößte ausländische Investor in Hongkong und das zweitwichtigste Ziel für Direktinvestitionen Hongkongs (Stand 2019, letzte verfügbare Daten). Ende 2019 belief sich der Gesamtbestand an ausländischen Direktinvestitionen aus Hongkong in die EU-27 laut Daten von Eurostat auf 185,8 Mrd. EUR, womit Hongkong zu einer bemerkenswerten Quelle ausländischer Direktinvestitionen in die EU geworden ist, während die Investitionen der EU-27 in Hongkong bei 163 Mrd. EUR lagen. In Bezug auf die Investitionsströme zeigen die jüngsten Daten für die ersten drei Quartale des Jahres 2020 einen Nettozufluss ausländischer Direktinvestitionen aus Hongkong in die EU von 7,6 Mrd. EUR (gegenüber 49,8 Mrd. EUR in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019).

Im Laufe des Jahres setzten die EU und Hongkong ihre Zusammenarbeit im Zollbereich im Rahmen eines Aktionsplans zur Verbesserung des Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums und im Rahmen des Abkommens über die Zusammenarbeit und gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich sowie des Aktionsplans über den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums durch die Zollbehörden fort. 2020 funktionierte der gegenseitige Austausch von Risikoinformationen reibungslos, wobei einige geplante operative Aktivitäten von der COVID-19-Krise betroffen waren. Trotz hervorragender Zusammenarbeit ist Hongkong nach wie vor der zweitgrößte Herkunftsort von in die EU eingeführten Waren, die gegen die Rechte des geistigen Eigentums verstoßen, auch wenn diese Waren nicht in der Stadt hergestellt werden.

Im Bereich Forschung, Wissenschaft und Innovation veröffentlichten die Behörden Hongkongs 2020 zwei neue Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für Mittel zur Unterstützung der Teilnehmer von Horizont 2020 aus der SVR. Die Frist für die Einreichung endete Mitte Januar 2021. Da das derzeitige Kooperationsprogramm im Rahmen von Horizont 2020 zusammen mit dem Europäischen Rahmenprogramm Ende 2020 abgeschlossen wird, sollten die Gespräche mit Hongkong wieder aufgenommen werden, um das Programm im Rahmen von Horizont Europa zu erweitern, einschließlich eines für den privaten Sektor offenen Kofinanzierungsmechanismus. Bei künftigen Gesprächen über Horizont Europa werden Gegenseitigkeit, gleiche Wettbewerbsbedingungen, Offenheit, Inklusivität und die Einhaltung hoher ethischer und Integritätsstandards Vorrang haben. In diesem Sinne werden die Auswirkungen des NSL auf Forscher und Forschungsmobilität, akademische Freiheit und Forschungseinrichtungen künftig von EU-Seite genau überwacht.

In Bezug auf die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (AML/CFT) veröffentlichte die Financial Action Task Force (FATF) im vergangenen Jahr den Bericht über die gegenseitige Evaluierung Hongkongs 7 , wonach das Gebiet einer regelmäßigen Nachverfolgung unterzogen wurde. Angesichts der Tatsache, dass Hongkong ein florierendes Finanz- und Handelszentrum ist, besteht ein hohes Risiko, dass sein System als Umschlagplatz für ausländische Erlöse aus Straftaten missbraucht wird. Im Hinblick darauf sollte Hongkong weiterhin Maßnahmen ergreifen, damit Informationen über wirtschaftliche Eigentumsverhältnisse für alle relevanten rechtlichen Vereinbarungen verfügbar und korrekt sind.

Der fünfte jährliche Workshop zwischen der EU und Hongkong zur Bekämpfung des Menschenhandels fand vom 17. bis 18. Dezember statt. Der Workshop bestand aus zwei halbtägigen Online-Sitzungen, in denen internationale Standards, Partnerschaften zur Bekämpfung des Menschenhandels, die Unterstützung der Opfer und der Stand der Bekämpfung des Menschenhandels in der EU und in Hongkong thematisiert wurden. Auf Seiten Hongkongs gab es eine hervorragende Beteiligung mit rund 80 Teilnehmern aus verschiedenen Regierungsabteilungen. Das TAIEX-Instrument mobilisierte sieben Experten aus Europa, die bei dem Workshop sprachen.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie mussten die meisten geplanten Aktivitäten mit direkten Kontakten ausgesetzt werden, darunter kulturelle Veranstaltungen und Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Hochschulzusammenarbeit, Mobilität von Studierenden sowie Kultur und Kreativwirtschaft. Das EU-Büro suchte deshalb nach Alternativen, um öffentliche diplomatische Veranstaltungen stattfinden lassen zu können. Im Februar veranstaltete das EU-Büro mit Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten das EU-Filmfestival 2020 unter strengen Gesundheitsschutzmaßnahmen. Zusammen mit EU-Mitgliedstaaten organisierte das EU-Büro die dritte Ausgabe von „Make Music, Hong Kong“ in einem Online-Format. Außerdem organisierte das EU-Büro einen Designwettbewerb in Zusammenarbeit mit dem Berufsbildungsrat.

Das EU-Büro kam regelmäßig mit Regierungsbeamten, Gesetzgebern, Vertretern der Hochschulen und der Zivilgesellschaft zusammen.

(1)

  https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/07/28/hong-kong-council-expresses-grave-concern-over-national-security-law/ .

(2)

Deutschland, Frankreich, Irland, die Niederlande, Finnland und Italien.

(3)

Bei diesen und den folgenden Statistiken handelt es sich um die zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts aktuellsten verfügbaren Statistiken.

(4)

Diese Bedenken wurden in mehreren im Laufe des Jahres durchgeführten Unternehmensumfragen hervorgehoben.

(5)

Auf der Grundlage von Zahlen für die EU-27.

(6)

Vorläufige Statistiken von Eurostat.

(7)

http://www.fatf-gafi.org/media/fatf/documents/reports/mer4/MER-Hong-Kong-China-2019.pdf