15.10.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 418/11


Zusammenfassung des Beschlusses der Kommission

vom 20. Mai 2021

in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens

Sache AT.40324 – Europäische Staatsanleihen

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2021)3489)

(Nur der englische und der deutsche Text sind verbindlich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2021/C 418/08)

Am 20. Mai 2021 hat die Kommission einen Beschluss in einem Verfahren nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) und Artikel 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden „EWR-Abkommen“) erlassen. Nach Artikel 30 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (1) des Rates veröffentlicht die Kommission hiermit die Namen der Parteien und den wesentlichen Inhalt des Beschlusses einschließlich der verhängten Sanktionen, wobei sie den berechtigten Interessen der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung trägt. Eine nichtvertrauliche Fassung des Beschlusses ist auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb unter folgender Adresse abrufbar: http://ec.europa.eu/competition/antitrust/cases/

1.   EINLEITUNG

(1)

Die Adressaten des Beschlusses waren an einer einzigen, fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens beteiligt. Gegenstand der Zuwiderhandlung (Kartell) war die Einschränkung und/oder Verfälschung des Wettbewerbs im Bereich des Handels mit europäischen Staatsanleihen (European Government Bonds, im Folgenden „EGB“).

2.   VERFAHREN

(2)

Die Kommission leitete ihre Untersuchung am 29. Juli 2015 auf der Grundlage eines von RBS( jetzt NatWest) nach der Kronzeugenregelung gestellten Antrags auf Geldbußenerlass ein. (2) Die Kommission richtete Auskunftsverlangen nach Artikel 18 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 an verschiedene Banken, woraufhin zwei von ihnen, UBS und Natixis, im Rahmen der Kronzeugenregelung eine Geldbußenermäßigung beantragten. Neben der freiwilligen Mitarbeit der Antragsteller auf Anwendung der Kronzeugenregelung stützte sich die Untersuchung auf weitere Auskunftsverlangen, die an die von der Untersuchung betroffenen Banken gerichtet wurden.

(3)

Die Kommission leitete am 31. Januar 2019 das Verfahren nach Artikel 11 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ein und erließ eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, auf die die Adressaten schriftlich und mündlich im Rahmen einer mündlichen Anhörung antworteten. Anschließend versandte die Kommission ein weiteres Auskunftsverlangen, ein Sachverhaltsschreiben sowie ein Schreiben, in dem die Berechnung des Hilfswerts für den Umsatz in der vorliegenden Kartellsache erläutert wurde. Alle betroffenen Parteien übermittelten Stellungnahmen.

(4)

Der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen wurde gehört und gab eine befürwortende Stellungnahme ab. Der Anhörungsbeauftragte legte seinen Abschlussbericht vor. Am 20. Mai 2021 nahm die Kommission den Beschluss an.

3.   WETTBEWERBSWIDRIGES VERHALTEN

(5)

Die Zuwiderhandlung betrifft Kartellverhalten auf dem Primär- und dem Sekundärmarkt für den EGB-Handel während eines Zeitraums von fast fünf Jahren.

(6)

EGB sind Staatsanleihen, die von den Zentralregierungen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets in Euro emittiert werden. Es handelt sich dabei um Schuldtitel, mit denen europäische Regierungen liquide Mittel zur Finanzierung von Ausgaben oder Investitionen beschaffen oder bestehende Schulden refinanzieren können. Mit EGB kann sich die emittierende Regierung (der Emittent) für einen bestimmten Zeitraum (die Laufzeit der Anleihen) Geld (den Kapitalbetrag) von Anlegern beschaffen. Als Gegenleistung zahlt die Regierung dem Anleger, d. h. dem Inhaber der Anleihe, einen festen oder variablen Zinssatz (den Kupon); bei Fälligkeit der Anleihe zahlt sie dem Anleger, der zum Zeitpunkt der Fälligkeit Inhaber der Anleihe ist, den Kapitalbetrag zurück.

(7)

EGB werden auf dem Primärmarkt emittiert und anschließend auf dem Sekundärmarkt gehandelt. Regierungen beauftragen das Finanzministerium, genauer gesagt ihre Schuldenverwaltungsstelle (Debt Management Office, im Folgenden „DMO“), mit der Emission von Anleihen. Sie können EGB in Auktionen, d. h. in einem Tenderverfahren, oder über Syndizierungen, d. h. über eine Privatplatzierung, anbieten und platzieren. Primärhändler erwerben die Anleihen auf dem Primärmarkt und platzieren sie bei ihren Kunden auf dem Sekundärmarkt. Auf dem Sekundärmarkt werden die Anleihen zwischen Tradern und mit anderen institutionellen Anlegern gehandelt. In der Regel handeln große Investmentbanken alle EGB über ihren EGB-Trading-Desk, unabhängig vom Emissionsdatum, vom Kapitalbetrag und vom Fälligkeitstermin der EGB.

(8)

In der Zeit von Januar 2007 bis November 2011 stand eine Gruppe von EGB-Tradern persönlich, telefonisch, über Sofortnachrichten und über beständige Chatrooms in engem Kontakt miteinander. In beständigen Chatrooms kommen mehrere Beteiligte zusammen; sie begegnen einander allerdings nicht physisch und kommunizieren auch nicht mündlich, sondern verständigen sich durch Senden von Sofortnachrichten an die Gruppe; diese Sofortnachrichten können von allen Beteiligten eingesehen und beantwortet werden. Ein beständiger Chatroom ist eine ständige Konferenz, an der Mitglieder „nur auf Einladung“ teilnehmen können; diese erhalten automatischen Zugang zu sämtlichen geführten „Gesprächen“ (Chats).

(9)

Zwei beständige Chatrooms, die für den Informationsaustausch im Rahmen dieses Kartells von besonderer Bedeutung waren, wurden Anfang 2007 von einer Gruppe von vier Tradern eingerichtet. Diese vier Trader hatten von Anfang an Zugang zu beiden Chatrooms und behielten diesen Zugang auch nach einem Arbeitgeberwechsel, als der Zugang technisch erneuert werden musste. Diese Trader standen während des Bestehens der Chatrooms miteinander in Kontakt und luden auch andere Trader ihrer eigenen oder anderer Banken ein, sich an einem oder beiden Chatrooms zu beteiligen. Diese Trader waren somit ebenfalls an der Zuwiderhandlung beteiligt, wenn auch in geringerem Umfang und während kürzerer Zeiträume. Für das Verhalten all dieser Trader haften die Banken, bei denen sie beschäftigt waren und in deren Namen sie Handel getrieben haben.

(10)

In den beständigen Chatrooms wurde regelmäßig, manchmal täglich, kommuniziert, insbesondere, wenn eine EGB-Auktion anstand. Die Kommunikation konnte verhältnismäßig umfangreich sein und sich über einen ganzen Tag oder auch über mehrere Tage erstrecken. Die Trader verwendeten Insider-Ausdrücke, Abkürzungen, Aliasnamen und Codewörter.

(11)

Die Kommission hat diese Kontakte für die Zwecke dieses Beschlusses in die folgenden vier Kategorien von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen eingeteilt, die miteinander verflochten sind und sich teils überschneiden:

a)

Bemühungen um Einflussnahme auf den vorherrschenden Marktpreis auf dem Sekundärmarkt in Abhängigkeit vom Verhalten auf dem Primärmarkt;

b)

Bemühungen um Abstimmung der Gebote auf dem Primärmarkt;

c)

Bemühungen um Abstimmung der Höhe von Überbietungen auf dem Primärmarkt;

d)

sonstiger Austausch sensibler Informationen, u. a. über i) Faktoren für die Preisfestsetzung, Positionen und/oder Volumina und Strategien für bestimmte Gegenparteien in Bezug auf die einzelnen EGB-Handelsgeschäfte auf den Sekundärmärkten, ii) einzelne Empfehlungen an ein DMO und iii) Zeitpunkte der Preisfestsetzung bei Syndizierungen.

(12)

Bei diesen Kontakten tauschten die Trader sensible Geschäftsinformationen aus, die sie über das Verhalten und die Strategien der anderen Trader im Bereich des Erwerbs von EGB auf dem Primärmarkt und des EGB-Handels auf dem Sekundärmarkt auf dem Laufenden hielten. Dieser Austausch ermöglichte es ihnen, ihr Verhalten aufeinander abzustimmen und/oder zu koordinieren und einander bei der Emission, der Platzierung und dem Handel von EGB Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zu den relevanten ausgetauschten Informationen zählten Informationen über Kurse, Volumina und Handelspositionen: Mittelpreise, Renditekurven und Spreads von kürzlich auf dem Sekundärmarkt gehandelten oder angebotenen Anleihen, Volumina, die bei den Auktionen erworben werden sollten, Informationen über Gebote, die Höhe von Überbietungen und Überbietungsstrategien bei den Auktionen usw. Die zwischen Wettbewerbern ausgetauschten Informationen waren häufig präzise und geschäftlich sensibel. Sie waren für die Entscheidungen der Trader relevant und erlaubten ihnen somit eine Anpassung ihrer Handelsstrategien.

(13)

Das übergeordnete Ziel der Zusammenarbeit zwischen der Gruppe von Tradern bestand darin, einander durch Erhöhung der Transparenz und Verringerung der Ungewissheiten in Bezug auf die Emission von EGB und/oder den Handel mit EGB bei ihrer Tätigkeit auf dem Markt zu unterstützen und damit bewusst – zum Schaden anderer Marktteilnehmer, der Banken, ihrer Kunden oder der DMO – die Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs zu setzen.

(14)

Diese wettbewerbswidrigen Kontakte waren miteinander verbunden und ergänzten sich. In Anbetracht einer Vielzahl objektiver Elemente wie Inhalt und Häufigkeit der Kontakte, die betroffenen Produkte, die angewandten Methoden, das Muster, der Zeitraum und die beteiligten Akteure bildeten die wettbewerbswidrigen Kontakte eine einzige, fortgesetzte Zuwiderhandlung in Form von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs im Bereich des EGB-Handels bezweckten.

(15)

Die Zuwiderhandlung erstreckte sich zumindest auf den gesamten EWR.

4.   BETEILIGUNG DER EINZELNEN UNTERNEHMEN

(16)

Folgende Unternehmen haben sich in den nachstehend genannten Zeiträumen an dem Verhalten beteiligt und damit gegen Artikel 101 Absatz 1 AEUV und Artikel 53 Absatz 1 des EWR-Abkommens verstoßen:

Bank of America vom 29. Januar 2007 bis zum 6. November 2008,

Natixis vom 26. Februar 2008 bis zum 6. August 2009,

NatWest vom 4. Januar 2007 bis zum 28. November 2011 (3),

Nomura vom 18. Januar 2011 bis zum 28. November 2011,

Portigon vom 19. Oktober 2009 bis zum 3. Juni 2011,

UBS vom 4. Januar 2007 bis zum 28. November 2011 und

UniCredit vom 9. September 2011 bis zum 28. November 2011.

5.   ABHILFEMASSNAHMEN

(17)

Die individuelle Beteiligung von Bank of America und Natixis an dem Verhalten endete mehr als fünf Jahre vor dem Beginn der Untersuchung der Kommission. Nach Artikel 25 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a dieser Verordnung nicht mehr anwenden und gegen Bank of America und Natixis keine Geldbuße verhängen. Daher werden mit dem Beschluss nur Geldbußen gegen die Unternehmen NatWest, Nomura, Portigon, UBS und UniCredit verhängt.

(18)

Im Beschluss werden die Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 (4) angewandt. Der Grundbetrag der Geldbuße wird anhand eines Hilfswerts für den Umsatz festgesetzt. Die Kommission hat den Jahresumsatz auf der Grundlage des Nennbetrags der EGB berechnet, die von den Parteien während des Zeitraums ihrer individuellen Beteiligung auf dem Sekundärmarkt im EWR gehandelt wurden, korrigiert um einen Faktor, der den Besonderheiten des EGB-Handels und insbesondere der Tatsache Rechnung trägt, dass EGB laufend gehandelt werden. Zu diesem Zweck hat die Kommission die annualisierten Nennbeträge der gehandelten EGB um einen Faktor angepasst bzw. korrigiert, der den Geld-Brief-Spannen auf diesem Markt Rechnung trägt. Aufgrund der während des gesamten Zeitraums der Zuwiderhandlung hohen Volatilität der Geld-Brief-Spannen der EGB und ihrer je nach Ausgabestaat und Laufzeit unterschiedlichen Höhe hat die Kommission für jede Partei einen unterschiedlichen Korrekturfaktor angewandt.

(19)

Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen wurde Folgendem Rechnung getragen: dem besonders schwerwiegenden Charakter von Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen, der Dauer und der räumlichen Ausdehnung des Kartells sowie den Tatsachen, dass sich das Verhalten durch den gesamten EGB-Handel auf dem Primär- und Sekundärmarkt zog, dass EGB für die Beschaffung öffentlicher Finanzmittel eingesetzt werden und dass das Verhalten in die Zeit einer sehr schweren Finanzkrise fiel. Im Einklang mit der Kommissionspraxis wird ein zusätzlicher Betrag hinzugefügt, um Unternehmen davon abzuhalten, sich in Zukunft an solchen rechtswidrigen Praktiken zu beteiligen (sogenannte „Eintrittsgebühr“).

(20)

Bei den Unternehmen, gegen die Geldbußen verhängt werden sollen, werden keine erschwerenden oder mildernden Umstände berücksichtigt; allerdings fließt die Tatsache, dass der Trader von UniCredit nur auf dem Sekundärmarkt tätig war, in die Berechnung des Schwerefaktors für UniCredit ein.

(21)

Die gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbußen übersteigen bei keinem Unternehmen 10 % des Gesamtumsatzes, den das jeweilige Unternehmen im Geschäftsjahr vor dem Zeitpunkt des Kommissionsbeschlusses erzielt hat; dies gilt mit Ausnahme von WestLB/Portigon. Der jüngste Nettoumsatz (2020) von WestLB/Portigon war negativ, sodass die Geldbuße auf null begrenzt ist.

(22)

Die Kommission gewährt NatWest einen vollständigen Geldbußenerlass und UBS – aufgrund seiner Kooperation im Rahmen der Untersuchung – eine Ermäßigung der Geldbuße um 45 %.

6.   SCHLUSSFOLGERUNG

(23)

Mit dem Beschluss, der an die nachfolgend aufgeführten Unternehmen gerichtet ist, da sie gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens verstoßen haben, wird nach Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 eine Geldbuße gegen folgende juristische Personen verhängt, die gesamtschuldnerisch für die Zahlung der jeweiligen Geldbuße haften:

Unternehmen und juristische Personen

Geldbußen (EUR)

Bank of America:

 

Bank of America Corporation

 

Bank of America, National Association

entfällt (verjährt)

Natixis:

 

Natixis S.A.

entfällt (verjährt)

NatWest:

 

NatWest Group plc

 

NatWest Markets plc

 

NatWest Markets N.V

0 (Kronzeuge)

Nomura:

 

Nomura Holdings Inc

 

Nomura International plc

129 573 000

Portigon:

 

Portigon AG

0 (negativer Umsatz im Jahr 2020)

UBS:

 

UBS Group AG

 

UBS AG

172 378 000

UniCredit:

 

UniCredit S.p.A.

 

Unicredit Bank AG

69 442 000


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).

(2)  Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 298 vom 8.12.2006, S. 17).

(3)  NatWest Group plc und NatWest Markets plc vom 4. Januar 2007 bis zum 28. November 2011 und NatWest Markets N.V. vom 17. Oktober 2007 bis zum 28. November 2011.

(4)  Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. C 210 vom 1.9.2006, S. 2).