14.10.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CI 342/1


Schlussfolgerungen des Rates

„Zugang zur Justiz – die Chancen der Digitalisierung nutzen“

(2020/C 342 I/01)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

UNTER HINWEIS AUF

die Schlussfolgerungen des Rates vom 9. Juni 2020 zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas,

die Schlussfolgerungen des Rates vom 3. Dezember 2019 zur Zukunft der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen,

die Schlussfolgerungen des Rates vom 7. Oktober 2019 zu Eurojust: die Europäische Stelle für justizielle Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter,

die Schlussfolgerungen des Rates vom 18. Februar 2019 zum koordinierten Plan für die Entwicklung und Nutzung künstlicher Intelligenz „Made In Europe“,

die Schlussfolgerungen des Rates vom 8. Juni 2017 zum weiteren Vorgehen zur Verbesserung des Informationsaustauschs und zur Sicherstellung der Interoperabilität der EU-Informationssysteme,

die Strategie des Rates für die E-Justiz (2019-2023) vom 6. Dezember 2018,

den Aktionsplan für die europäische E-Justiz 2019-2023 vom 6. Dezember 2018,

die vom deutschen Vorsitz am 16. Juli 2020 ausgerichtete Konferenz „Zugang zum Recht im Zeitalter der Digitalisierung – Perspektiven und Herausforderungen“,

die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die Stunde Europas – Schäden beheben und Perspektiven für die nächste Generation eröffnen“ (COM(2020) 456 final),

das EU-Justizbarometer 2020 (COM(2020) 306 final),

die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Gestaltung der digitalen Zukunft Europas“ (COM(2020) 67 final),

die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Eine europäische Datenstrategie“ (COM(2020) 66 final),

das Weißbuch der Kommission mit dem Titel „Künstliche Intelligenz – ein europäisches Konzept für Exzellenz und Vertrauen“ (COM(2020) 65 final),

die Erhebung zu den Grundrechten (2020): „Your rights matter: Data protection and privacy, Fundamental Rights Survey“ (Ihre Rechte: Datenschutz und Schutz der Privatsphäre) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte,

das „Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen des Zugangs zur Justiz“ (2016) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,

die von der Kommission am 14. September 2020 veröffentlichte Studie über den Einsatz innovativer Technologien im Justizbereich,

die von der Kommission am 14. September 2020 veröffentlichte Studie über die grenzüberschreitende digitale Strafjustiz,

die Empfehlung der Menschenrechtskommissarin des Europarats vom 19. Mai 2019 mit dem Titel „Unboxing Artificial Intelligence: 10 Steps to protect Human Rights“ (Künstliche Intelligenz verstehen: 10 Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte),

die Leitlinien zur künstlichen Intelligenz und zum Datenschutz des Beratenden Ausschusses zum Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten des Europarates von 2019,

die Europäische Ethik-Charta über den Einsatz künstlicher Intelligenz in Justizsystemen, die am 3./4. Dezember 2018 von der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz des Europarats angenommen wurde,

das Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit („Rule of Law Checklist“) der Venedig-Kommission von 2016 —

Zugang zur Justiz

1.

BETONT, dass der Zugang zur Justiz ein Grundrecht ist und ein Kernelement der Rechtsstaatlichkeit darstellt, die zu den wesentlichen Werten gehört, auf die sich die Europäische Union gemäß Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union gründet und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Gemäß Artikel 19 des Vertrags über die Europäische Union schaffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom EU-Recht erfassten Bereichen gewährleistet ist, und die nationalen Gerichte tragen die gemeinsame Verantwortung dafür, die gerichtliche Kontrolle im Rahmen der Rechtsordnung der EU zu gewährleisten;

2.

ERINNERT an das Mandat der EU, das sich aus den Artikeln 81 und 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich der Entwicklung einer justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen mit grenzüberschreitendem Bezug ergibt, und bekräftigt das damit verbundene Ziel, einen wirksamen Zugang zur Justiz in der EU und in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten;

3.

WEIST DARAUF HIN, dass gemäß Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union jede Person das Recht hat, bei einem unabhängigen und unparteiischen Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, damit jede Verletzung ihrer Rechte und Freiheiten in einem fairen und öffentlichen Verfahren geprüft wird, und sich von einer Person beraten, verteidigen und vertreten zu lassen;

4.

TEILT DIE AUFFASSUNG, dass dieses Recht auf wirksamen Rechtsschutz auch unter den im Rahmen des digitalen Wandels geschaffenen Bedingungen vollständig gewahrt werden muss, um die uneingeschränkte und wirksame Anwendung des EU-Rechts zu gewährleisten, die Akzeptanz der Justizsysteme zu verbessern und das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit zu stärken;

5.

BEKRÄFTIGT, dass die digitale Entwicklung der Justiz auf den Menschen ausgerichtet sein sollte und sich ständig an den Grundsätzen der Justizsysteme – nämlich der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit der Gerichte, der Garantie eines wirksamen Rechtsschutzes und dem Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist – orientieren und mit ihnen in Einklang stehen muss;

6.

BETONT, dass digitale Technologien in den Justizsystemen eingesetzt werden können, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards sowie die Ausübung und die Achtung der Grundrechte voranzubringen;

7.

BETONT, dass alle Bürgerinnen und Bürger von den zusätzlichen digitalen Möglichkeiten profitieren und in Bezug auf den digitalen Zugang zur Justiz und zu fairen Verfahren die gleichen Chancen haben sollten und dass die digitale Teilhabe daher bedingungslos allen gesellschaftlichen Gruppen ohne jegliche Diskriminierung garantiert werden muss. Die Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen, einschließlich Kindern und schutzbedürftigen Erwachsenen wie älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen, und der Opfer von Straftaten sollten besonders berücksichtigt werden. In jedem Fall sollte der Einsatz digitaler Technologien in Justizsystemen die Verfahrensgarantien für Personen, die keinen Zugang zu diesen Technologien haben, nicht einschränken;

E-Justiz

8.

IST SICH BEWUSST, dass der digitale Wandel das Leben der Menschen in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat und dies auch in Zukunft tun wird;

9.

ERKENNT AN, dass die Justizsysteme als zentrale Säule der Rechtsstaatlichkeit diesen sich wandelnden Anforderungen gerecht werden und den Bürgerinnen und Bürgern bereits geeignete technologische Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Das EU-Justizbarometer, ein jährlich von der Europäischen Kommission veröffentlichtes vergleichendes Informationsinstrument, stellt bereits Daten zu mehreren Indikatoren für die Digitalisierung der Justizsysteme aller Mitgliedstaaten zur Verfügung, wie zum Online-Zugang zu Urteilen oder zur Online-Geltendmachung einer Forderung und ihrer Verfolgung online;

10.

HEBT HERVOR, dass Maßnahmen wie digitale Gerichtsverfahren, die elektronische Kommunikation zwischen Parteien, Gerichten und Behörden, die elektronische Übermittlung von Dokumenten sowie die Nutzung von Audio- und Videoanhörungen und ‐konferenzen bereits in zahlreichen Mitgliedstaaten zu wichtigen Elementen einer effizienten Justizverwaltung geworden sind;

11.

BEGRÜßT die Fortschritte, die im letzten Jahrzehnt im Bereich der E-Justiz erzielt wurden, insbesondere die aufeinanderfolgenden Strategien und Aktionspläne (derzeit die Strategie und der Aktionsplan für die E-Justiz (2019-2023));

12.

BEOBACHTET eine dynamische Entwicklung der digitalen Technologien im Justiz- und Rechtswesen der EU, in dem immer mehr Pläne zur Entwicklung und Nutzung neuer Technologien, einschließlich künstliche-Intelligenz-Systemen für die Justiz, ausgearbeitet werden;

13.

IST ÜBERZEUGT, dass die weitere Digitalisierung der Justizsysteme der Mitgliedstaaten ein enormes Potenzial dafür birgt, den Bürgerinnen und Bürgern in der gesamten EU den Zugang zur Justiz zu erleichtern und zu verbessern. Digitale Instrumente können dazu beitragen, Verfahren besser zu strukturieren und die Bearbeitung von standardisierten und einheitlichen Aufgaben zu automatisieren und zu beschleunigen, wodurch die Wirksamkeit und Effizienz von Gerichtsverfahren erhöht wird;

14.

ERMUTIGT die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang, die digitalen Instrumente, die durch den eIDAS-Rahmen angeboten werden, wie sichere elektronische Identifizierungsmittel und Vertrauensdienste als äußerst wirksame Instrumente zur Förderung eines raschen, bequemen, sicheren, vertrauenswürdigen und breiten Zugangs zum Justizsystem stärker zu nutzen;

15.

BETONT, dass digitale Lösungen nach Möglichkeit für den gesamten Verlauf von Gerichtsverfahren entwickelt werden sollten, um schnellere und sicherere Verfahren zu ermöglichen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Diese Lösungen sollten so weit wie möglich interoperabel sein;

16.

BEKRÄFTIGT das Ziel, die hohe Qualität und Transparenz von Gerichtsurteilen im Einklang mit der Rechtsstaatlichkeit durch den Einsatz digitaler Technologien weiter zu verbessern;

17.

BETONT jedoch, dass der Einsatz digitaler Technologien und elektronischer Kommunikationsmittel das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere das Recht auf Waffengleichheit und das Recht auf kontradiktorische Verfahren, das Recht auf eine öffentliche Verhandlung, in bestimmten Fällen auch das Recht auf eine mündliche Anhörung in Anwesenheit der betroffenen Partei, sowie das Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels nicht untergraben darf;

18.

HEBT HERVOR, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, um Bürgerinnen und Bürgern sowie Angehörigen der Rechtsberufe – soweit dies nach nationalem Recht zulässig ist – jederzeit umfassenden Zugang zu rechtlichen Informationen wie Rechtsvorschriften, anonymisierten Gerichtsurteilen sowie Informationen über den Stand ihrer eigenen Rechtssache zu ermöglichen, und VERWEIST AUF die technologischen Möglichkeiten, mit denen diese Informationen offen zugänglich, interoperabel, leichter auffindbar und verständlicher sowie nutzerfreundlicher und leichter wiederverwendbar werden;

19.

BETONT, dass ein besserer digitaler Zugang zur Justiz und digitale Verfahren insbesondere Menschen aus abgelegenen und ländlichen Gebieten zugutekommen können, sofern alle erforderlichen technischen Voraussetzungen – wie Breitband-Internetzugang mit hoher Kapazität – erfüllt sind;

20.

ERKENNT jedoch AN, dass traditionelle analoge Verfahren und, soweit vorhanden, physische Anlaufstellen neben den neuen digitalen Formen beibehalten werden müssen, um Bürgerinnen und Bürgern, die noch nicht in vollem Umfang an technologischen Entwicklungen teilhaben können, wirksamen Rechtsschutz und Zugang zur Justiz zu bieten. Gleichzeitig müssen die Bürgerinnen und Bürger umfassend in einfacher und verständlicher Sprache darüber informiert werden, wie sie digitale Dienste nutzen und ihre Rechte auf diese Weise geltend machen können;

21.

IST SICH BEWUSST, dass der Einsatz digitaler Technologien im Justizwesen höchst sensibel ist und daher den aktuellen Standards hinsichtlich Informations- und Cybersicherheit entsprechen sowie vollständig im Einklang mit den Rechtsvorschriften zum Schutz der Privatsphäre und zum Datenschutz stehen muss. Der verstärkte Einsatz digitaler Technologie und insbesondere automatisierter Verfahren erfordert eine sorgfältige Überwachung dieser Systeme – auch der Systeme mit künstlicher Intelligenz – durch den Menschen und mehr Transparenz, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewährleisten;

22.

BETONT, dass durch den Einsatz digitaler Technologien auch der Zugang zu außergerichtlichen und alternativen Streitbeilegungsverfahren unter gleichzeitiger Wahrung des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz in jedem Einzelfall und des Rechts auf ein faires Verfahren sowie der Zugang zu Informationsinstrumenten zu den Rechten und Pflichten für Bürgerinnen und Bürger verbessert werden kann, was zur Vermeidung von Streitigkeiten beitragen kann;

23.

ERKENNT AN, dass eine weitere Digitalisierung der Justiz und der verstärkte Einsatz neuer Technologien wesentliche Voraussetzungen für die Gewährleistung der Effizienz und Widerstandsfähigkeit der Justizsysteme darstellen, und UNTERSTREICHT, dass die Mitgliedstaaten und die EU ihre Bemühungen verstärken sollten, die Digitalisierung dieses Bereichs zu fördern und weiter auszubauen, um für einen gleichberechtigten Zugang zu digitalen Diensten und deren Verfügbarkeit für alle zu sorgen;

24.

HEBT HERVOR, dass die COVID-19-Krise gezeigt hat, dass in digitale Instrumente investiert werden muss und diese in Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten und in grenzüberschreitenden Verfahren genutzt werden müssen;

25.

ERKENNT AN, wie wichtig es ist, geeignete interoperable Kanäle zu entwickeln, um sicherzustellen, dass die Justizsysteme auf effiziente und sichere Weise digital zusammenarbeiten können. E-CODEX ist das wichtigste Instrument für die sichere Kommunikation in grenzüberschreitenden Zivil- und Strafverfahren, und seine Nutzung sollte weiter gefördert werden;

26.

ERSUCHT die Kommission, einen Legislativvorschlag vorzulegen, der in der zuständigen Gruppe auszuhandeln ist und mit dem für die Nachhaltigkeit von e‐CODEX mithilfe einer angemessenen, mit eu‐LISA kompatiblen Governance- und Verwaltungsstruktur gesorgt wird, die mit der Unabhängigkeit der Justiz und den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten im Einklang steht und mit der gleichzeitig eine angemessene Vertretung der Justizbehörden der EU und der Mitgliedstaaten sowie der wichtigsten Interessenträger sichergestellt wird;

27.

ERSUCHT die Kommission, unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten potenzielle Maßnahmen zu bewerten und ihre Vorschläge für deren Umsetzung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit vorzulegen, und zwar

im Bereich der Zivil- und Handelssachen, indem auf den Fortschritten aufgebaut wird, die bei der Modernisierung des grenzüberschreitenden Austauschs zwischen Behörden durch die Digitalisierung und den Einsatz von IT im Zusammenhang mit der Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken und der Beweisaufnahmeverordnung bereits erzielt wurden, und indem das Potenzial für die Modernisierung der Kernbestimmungen der Instrumente im Bereich der Zivil- und Handelssachen im Einklang mit dem Grundsatz „standardmäßig digital“ weiterhin ausgelotet wird, mit besonderem Schwerpunkt auf Instrumenten, die für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen von unmittelbarer Bedeutung sind,

im Bereich der Strafsachen, indem die Ergebnisse der jüngsten Studie über Digitale Strafjustiz und die Arbeit der Mitgliedstaaten, der Kommission, von Eurojust und allen beteiligten Interessenträgern in diesem Zusammenhang herangezogen werden, sowie indem geprüft wird, auf welche anderen Instrumente für die justizielle Zusammenarbeit im Bereich der Strafsachen das System für den digitalen Austausch elektronischer Beweismittel ausgeweitet werden könnte, mit dem bereits Verfahren im Zusammenhang mit der Europäischen Ermittlungsanordnung und der Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten unterstützt werden, wobei alle Mitgliedstaaten von Anfang an einzubeziehen sind, um so ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten zu vermeiden;

28.

FORDERT die Kommission AUF, bis Ende 2020 eine umfassende EU-Strategie für die Digitalisierung der Justiz auszuarbeiten, beispielsweise in Form einer Mitteilung, und die Überwachung der einschlägigen Indikatoren für die Digitalisierung im EU-Justizbarometer weiterzuentwickeln, um die EU und die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, für einen reibungslosen Zugang zur Justiz zu sorgen, die Wirksamkeit der Justizsysteme zu verbessern und eine effiziente grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit zu ermöglichen;

Digitale Kompetenzen

29.

STELLT FEST, dass digitale Kompetenzen im Justizwesen gefördert werden müssen, damit Richter, Staatsanwälte, Justizbedienstete und andere Angehörige der Rechtsberufe digitale Technologien und Instrumente wirksam und unter gebührender Achtung der Rechte und Freiheiten der Personen, die sich an die Justiz wenden, nutzen und anwenden können;

30.

HEBT HERVOR, wie wichtig es ist, das Bewusstsein für die Nutzung digitaler Technologien in der Zivilgesellschaft zu schärfen, und BEGRÜßT Initiativen zur Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger und zur Verbesserung ihrer digitalen Kompetenzen, einschließlich durch Forschung sowie Aus- und Weiterbildung, damit sie von diesen digitalen Technologien profitieren und ihren Zugang zur Justiz weiter verbessern können;

31.

BETONT, dass vor allem Richter, Staatsanwälte, Justizbedienstete und andere Angehörige der Rechtsberufe ausreichend geschult sein müssen, damit sie die Vorteile der digitalen Technologien, einschließlich künstlicher Intelligenz, nutzen und auch den mit der Nutzung verbundenen Risiken und ethischen Anforderungen hinsichtlich ihres eigenen Verhaltens Rechnung tragen können. Um die kompetente Nutzung zu gewährleisten und eine übermäßige Abhängigkeit von digitalen Ergebnissen sowie ein unbegründetes Misstrauen ihnen gegenüber zu vermeiden, müssen Nutzer auch ein adäquates Verständnis davon haben, wie Instrumente mit künstlicher Intelligenz funktionieren und welche Möglichkeiten und Grenzen sie haben, einschließlich der Annahmen über Personen und Gruppen, auf die sie sich stützen. Der Schwerpunkt der justiziellen Aus- und Weiterbildung sollte auch auf einem angemessenen Schutz der Rechte des Einzelnen im digitalen Raum, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre und Datenschutz, liegen;

32.

FORDERT die Kommission AUF, Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich digitale Kompetenzen und Qualifikationen für Richter, Staatsanwälte, Justizbedienstete und andere Angehörige der Rechtsberufe, unter anderem durch das Europäische Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN), sowie den Einsatz digitaler Technologien bei den Schulungsmethoden im Bereich Justiz zu fördern;

Künstliche Intelligenz

33.

STELLT FEST, dass die Einführung von Systemen mit künstlicher Intelligenz im Justizwesen der EU bereits erforscht und entwickelt wird und dass die praktische Einführung solcher Systeme in einigen Mitgliedstaaten bereits unmittelbar bevorsteht; ERKENNT AN, dass ein ausreichendes Maß an Digitalisierung auch eine Voraussetzung für den Einsatz von Anwendungen mit künstlicher Intelligenz ist;

34.

BEGRÜßT die Studie der Europäischen Kommission über den Einsatz innovativer Technologien im Justizbereich, bei der Bilanz über den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Blockchain-Technologien bei nationalen Behörden gezogen und in der empfohlen wird, die Koordinierung auf EU-Ebene zu verstärken, um für Synergien und Interoperabilität zu sorgen;

35.

BETONT, dass Systeme mit künstlicher Intelligenz im Justizwesen künftig in der Lage sein könnten, komplexere Aufgaben – innerhalb des Rechtsrahmens eines Mitgliedstaats – auszuführen, wie beispielsweise die Analyse, Strukturierung und Vorbereitung von Informationen über den Gegenstand von Rechtssachen, die automatische Transkription mündlicher Anhörungen, maschinelle Übersetzungen, die Unterstützung der Analyse und Bewertung von Rechtsdokumenten und Gerichtsurteilen, die Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits, die automatische Anonymisierung der Rechtsprechung sowie die Bereitstellung von Informationen mithilfe von juristischen Chatbots;

36.

STELLT FEST, dass die Entwicklung von Systemen mit künstlicher Intelligenz, insbesondere von Systemen für maschinelles Lernen, von der umfassenden Verfügbarkeit großer Datensätze wie anonymisierter Gerichtsakten und Urteile abhängt, die in Bezug auf die Zwecke, für die sie verwendet werden sollen, von hoher Qualität sind;

37.

FORDERT die Kommission AUF, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten nicht nur die Bedingungen zu prüfen, unter denen diese Informationen maschinenlesbar, verfügbar, zuverlässig, wiederverwendbar und analysierbar gemacht werden können – auch indem der ECLI-Rahmen genutzt wird –, sondern auch zu prüfen, wie die Datensätze bearbeitet werden können, um diskriminierende Ergebnisse zu vermeiden;

38.

ERKENNT AN, dass der Einsatz von Instrumenten mit künstlicher Intelligenz das Potenzial birgt, die Funktionsweise der Justizsysteme zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen zu verbessern, indem Richter und Justizbedienstete bei ihren Tätigkeiten unterstützt und Verfahren beschleunigt werden und dazu beigetragen wird, die Vergleichbarkeit, Kohärenz und letztlich die Qualität von Gerichtsurteilen zu verbessern;

39.

UNTERSTREICHT, dass der Einsatz von Instrumenten mit künstlicher Intelligenz nicht die Entscheidungsgewalt der Richter oder die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen darf. Eine gerichtliche Entscheidung muss immer von einem Menschen getroffen werden und darf nicht einem Instrument mit künstlicher Intelligenz überlassen werden;

40.

BETONT, dass die Anwendung künstlicher Intelligenz im Justizwesen auch die Gefahr bergen kann, dass bestehende Formen der Diskriminierung wie Stereotypen, Vorurteile oder strukturelle Ungleichheiten fortgeführt und möglicherweise bestärkt werden und dass verzerrte oder undurchsichtige Entscheidungsfindungen ermöglicht werden, was zu einer Beeinträchtigung der Grundrechte wie der Menschenwürde, des Rechts auf Freiheit, Nichtdiskriminierung, Privatsphäre und Datenschutz sowie des Rechts auf ein faires Verfahren führen könnte;

41.

BETONT, dass in bestimmten Fällen die Ergebnisse von Systemen mit künstlicher Intelligenz, die auf maschinellem Lernen basieren, nicht rückverfolgt werden können, was zu einem Blackboxeffekt führt, der die angemessene und notwendige Urheberangabe verhindert und es unmöglich macht zu überprüfen, wie ein Ergebnis erzielt wurde und ob es den einschlägigen Vorschriften entspricht. Dieser Mangel an Transparenz könnte die Möglichkeit beeinträchtigen, Entscheidungen, die auf solchen Ergebnissen beruhen, wirksam anzufechten, und somit das Recht auf ein faires Verfahren und einen wirksamen Rechtsbehelf verletzen, wodurch die Bereiche, in denen diese Systeme legal eingesetzt werden können, eingeschränkt werden;

42.

TEILT die Einschätzung der Kommission in ihrem Weißbuch zur künstlichen Intelligenz, dass das Justizwesen einen Bereich darstellt, in dem die Rechte der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar beeinträchtigt werden können, und dass daher in diesem Bereich ein klarer europäischer Rechtsrahmen relevant sein könnte;

43.

UNTERSTÜTZT die Auffassung der Kommission, dass es sich bei der Justiz um einen Bereich handelt, in dem aufgrund der Merkmale der gewöhnlich ausgeführten Tätigkeiten mit erheblichen Risiken zu rechnen ist. Ausreichende Sicherheitsmaßnahmen sind erforderlich, um den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten und eine verantwortungsvolle, vertrauenswürdige, auf öffentliche Interessen und den Menschen ausgerichtete Entwicklung und Nutzung von Anwendungen mit künstlicher Intelligenz im Justizwesen sicherzustellen;

44.

BEKRÄFTIGT, dass verbindliche rechtliche Anforderungen für die Planung, Entwicklung, Einführung, Nutzung und Bewertung von Systemen mit künstlicher Intelligenz im Justizwesen geprüft und beschlossen werden müssen, um die potenziellen Risiken für die Grundrechte wirksam bewältigen zu können. Diese Vorschriften könnten insbesondere ein Verbot der Automatisierung, die die gerichtliche Entscheidungsfindung undurchsichtig machen würde, sowie ein angemessenes Maß an Transparenz, Verständlichkeit, Überprüfbarkeit, Robustheit, Genauigkeit, Sicherheit, Zurechenbarkeit sowie Anforderungen zur Verhinderung von Diskriminierung umfassen;

45.

UNTERSTREICHT, dass Systeme mit künstlicher Intelligenz im Justizwesen, insbesondere solche, die in Gerichtsverfahren verwendet werden, einer Ex-ante-Bewertung unterzogen werden sollten, die unter anderem die Funktionssicherheit, Verständlichkeit, Robustheit und Sicherheit des Systems betrifft; WEIST DARAUF HIN, dass ein angemessenes und wirksames System für die Überwachung und Überprüfung von Anwendungen mit künstlicher Intelligenz und ihrer Ergebnisse erforderlich ist;

46.

FORDERT die Kommission AUF, bei der Gestaltung eines möglichen künftigen EU-Rechtsrahmens für künstliche Intelligenz den potenziellen Nutzen sowie die spezifischen Risiken und Anforderungen des Justizwesens zu berücksichtigen;

Finanzierung

47.

HEBT HERVOR, dass die Digitalisierung der Justiz zwar konkrete und dauerhafte Vorteile im Hinblick auf die Senkung der Kosten im Zusammenhang mit dem Zugang zur Justiz und der Funktionsweise der Justizsysteme bietet, für anfängliche Investitionen in verschiedene Maßnahmen jedoch eine angemessene Finanzierung notwendig ist; FORDERT die Kommission AUF, für angemessene Finanzmittel für die Unterstützung der Digitalisierung der Justiz zu sorgen, insbesondere im Rahmen des Programms „Digitales Europa“;

48.

ERMUTIGT die Mitgliedstaaten, sich an den Aufforderungen der EU zur Einreichung von Vorschlägen für eine Finanzierung zu beteiligen und aktiv Maßnahmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Justiz auszuarbeiten und dabei verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten aus dem EU-Haushalt, beispielsweise den Kohäsionsfonds, die Aufbau- und Resilienzfazilität und das Programm „Justiz“, zu nutzen;

49.

WEIST DARAUF HIN, dass der Zugang zu Finanzmitteln auf EU-Ebene erleichtert werden muss, insbesondere durch eine möglichst einfache Gestaltung der Verwaltungsformalitäten , wobei allerdings die Haushaltsordnung einzuhalten ist;

50.

FORDERT die Kommission, alle Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament AUF, dafür zu sorgen, dass Maßnahmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Justiz über verschiedene Finanzierungsinstrumente des mehrjährigen Finanzrahmens finanziert werden; FORDERT die Kommission auf, in den Arbeitsprogrammen aktiv Maßnahmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und technologischen Innovation im Justizwesen voranzubringen, auch in der Phase der Forschung und Entwicklung;

Weitere Zusammenarbeit

51.

FORDERT alle Interessenträger, einschließlich der Kommission, aller Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und Vertreter der Rechtsberufe, auf, gemeinsam, konstruktiv und nachhaltig zusammenzuarbeiten, um die weitere Digitalisierung der Justizsysteme kontinuierlich voranzubringen;

52.

WÜRDIGT die wertvolle Arbeit und die wertvollen Initiativen, die im Europarat und seinen Institutionen wie der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz und dem Ad-hoc-Ausschuss für künstliche Intelligenz sowie in anderen Foren wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den Vereinten Nationen im Bereich der Nutzung digitaler Technologien, einschließlich künstlicher Intelligenz, durchgeführt werden, und wird diese berücksichtigen und BETONT, wie wichtig Kohärenz und Zusammenarbeit in diesem Bereich sind.