20.10.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 425/147


P9_TA(2020)0336

Das Abtreibungsrecht in Polen

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. November 2020 zu der De-facto-Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in Polen (2020/2876(RSP))

(2021/C 425/17)

Das Europäische Parlament,

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf Artikel 2 und Artikel 7 Absatz 1,

unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4. November 1950 und die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),

unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“),

unter Hinweis auf die Verfassung der Republik Polen,

unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948,

unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) vom 16. Dezember 1966 und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 16. Dezember 1966,

unter Hinweis auf das Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,

unter Hinweis auf die abschließenden Feststellungen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vom 23. November 2016 zum siebten periodischen Bericht Polens,

unter Hinweis auf die internationalen technischen Leitlinien der UNESCO vom 10. Januar 2018 zur Sexualaufklärung,

unter Hinweis auf die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD), die 1994 in Kairo stattfand, sowie auf ihr Aktionsprogramm, die Ergebnisse ihrer Überprüfungskonferenzen und das Gipfeltreffen von Nairobi im Jahr 2019 zum 25. Jahrestag der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD25),

unter Hinweis auf die Erklärung und die Aktionsplattform von Peking, die am 15. September 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz angenommen wurden, sowie auf die darauffolgenden entsprechenden Abschlussdokumente, die im Rahmen der Sondertagungen der Vereinten Nationen Peking + 10 (2005), Peking + 15 (2010) und Peking + 20 (2015) angenommen wurden,

unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul), das am 1. August 2014 in Kraft trat, sowie auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 28. November 2019 zum Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul und zu weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt (1),

unter Hinweis auf die im Jahr 2015 vereinbarten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG),

unter Hinweis auf das Themenpapier des Menschenrechtskommissars des Europarats vom 4. Dezember 2017 mit dem Titel „Women“s sexual and reproductive health and rights in Europe“ (Sexuelle und reproduktive Gesundheit und diesbezügliche Rechte von Frauen in Europa),

unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des von der Kommission ausgerichteten jährlichen Grundrechtekolloquiums von 2017 zum Thema „Frauenrechte in turbulenten Zeiten“,

unter Hinweis auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation von 2018 zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und den damit verbundenen Rechten von Jugendlichen,

unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter vom 10. Juli 2017 über seine Delegationsreise vom 22. bis 24. Mai 2017 nach Polen sowie auf den Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres vom 3. Dezember 2018 im Anschluss an die Entsendung einer Ad-hoc-Delegation nach Polen zur Prüfung der Lage der Rechtsstaatlichkeit (19.–21. September 2018),

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Polen, insbesondere jene vom 15. November 2017 zur Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Polen (2) und jene vom 17. September 2020 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen (3),

unter Hinweis auf die vier von der Kommission gegen Polen eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit der Reform der polnischen Justiz und unter Hinweis auf den Vorschlag für einen Beschluss des Rates vom 20. Dezember 2017 zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen (COM(2017)0835),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 1. März 2018 zu dem Beschluss der Kommission, im Hinblick auf die Lage in Polen das Verfahren gemäß Artikel 7 Absatz 1 EUV einzuleiten (4),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. November 2019 zur Kriminalisierung der Sexualerziehung in Polen (5),

unter Hinweis auf seine legislative Entschließung vom 4. April 2019 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten (6) und unter Hinweis auf seine legislative Entschließung vom 17. April 2019 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms „Rechte und Werte“ (7),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. Februar 2019 zur Erfahrung von Gegenreaktionen gegen die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter in der EU (8),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. Dezember 2019 zur öffentlichen Diskriminierung von und Hetze gegen LGBTI-Personen sowie zu LGBTI-freien Zonen (9),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. April 2020 zu abgestimmten Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und ihrer Folgen (10),

unter Hinweis auf den von der Kommission am 30. September 2020 vorgelegten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 mit dem Titel „Die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union“ (COM(2020)0580) und das Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen,

unter Hinweis auf das Schreiben der Vorsitzenden der fünf Mehrheitsfraktionen des Europäischen Parlaments vom 30. Oktober 2020 an den polnischen Ministerpräsidenten (11),

gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass die Union von sich behauptet, sich auf die in Artikel 2 EUV genannten Werte der Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, der Rechtsstaatlichkeit, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung zu gründen; in der Erwägung, dass alle Mitgliedstaaten im Rahmen des Völkerrechts und der EU-Verträge Verpflichtungen zur Achtung, zur Gewährleistung und zur Durchsetzung der Grundrechte eingegangen sind;

B.

in der Erwägung, dass ein wirksames, unabhängiges und unparteiisches Justizwesen eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Grundrechte und der bürgerlichen Freiheiten der Menschen in der EU gewährleistet sind;

C.

in der Erwägung, dass das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung ein in den Verträgen und der Charta verankertes Grundrecht ist und uneingeschränkt geachtet werden muss; in der Erwägung, dass die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen und ihre damit verbundenen Rechte gemäß der Charta, der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR mit zahlreichen Menschenrechten zusammenhängen, etwa mit dem Recht auf Leben, dem Recht, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, dem Recht auf Zugang zu Gesundheitsfürsorge, dem Recht auf Privatsphäre, Informationen und Bildung und dem Diskriminierungsverbot; in der Erwägung, dass diese Menschenrechte auch in der polnischen Verfassung verankert sind;

D.

in der Erwägung, dass sich das Parlament in seinem kürzlich angenommenen Programm EU4Health mit der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und den damit verbundenen Rechten befasst hat, um den rechtzeitigen Zugang zu Gütern sicherzustellen, die erforderlich sind, um auf sichere Weise für sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Gewährung der damit verbundenen Rechte zu sorgen (etwa Arzneimittel, Kontrazeptive und medizinische Ausrüstung);

E.

in der Erwägung, dass der Verfassungsgerichtshof in Polen als eines der zentralen Elemente eingerichtet wurde, mit denen das zu einer konstitutionellen Demokratie gehörende Prinzip der Gewaltenteilung und das Rechtsstaatsprinzip geschützt werden sollten;

F.

in der Erwägung, dass der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau und der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im August 2018 eine gemeinsame Erklärung abgegeben haben, in der sie betonten, dass der Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung sowie zu den damit verbundenen Diensten und Informationen ein wesentlicher Aspekt der reproduktiven Gesundheit von Frauen ist, und in der sie die Länder nachdrücklich aufforderten, von Beschränkungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte von Frauen und Mädchen abzusehen, da durch diese Beschränkungen ihre Gesundheit und ihr Leben gefährdet werden; in der Erwägung, dass der Zugang zu Abtreibung ein Menschenrecht ist, wohingegen die Verzögerung oder Verweigerung einer Abtreibung eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt und Folter und/oder grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen kann; in der Erwägung, dass die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte Ziele im Rahmen des SDG 3 der Vereinten Nationen sind, und in der Erwägung, dass die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlicher Praktiken zu den Zielen im Rahmen des SDG 5 gehört;

G.

in der Erwägung, dass der Zugang zu umfassenden und altersgerechten Informationen, Sexualerziehung sowie sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten — einschließlich Familienplanung, Verhütungsmethoden und sicherer und legaler Abtreibung — sowie die Selbstbestimmtheit von Mädchen und Frauen und ihre Fähigkeit, freie und unabhängige Entscheidungen über ihren Körper und ihr Leben zu treffen, Voraussetzungen für ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und daher von wesentlicher Bedeutung für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter und die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt sind; in der Erwägung, dass es ihr Körper und somit ihre Entscheidung ist;

H.

in der Erwägung, dass Polen das Übereinkommen von Istanbul, die Lanzarote-Konvention, den IPBPR, den IPWSKR und das Kinderrechtsübereinkommen ratifiziert hat und gemäß den internationalen Menschenrechtsnormen verpflichtet ist, Zugang zu ganzheitlicher Sexualaufklärung und entsprechenden Informationen zu gewähren, was auch Informationen über die Gefahren sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs umfasst, und Geschlechterstereotype in der Gesellschaft infrage zu stellen; in der Erwägung, dass Polen die Urteile des EGMR zum Zugang zu legaler Abtreibung nicht umgesetzt hat; in der Erwägung, dass das Ministerkomitee des Europarates Polen kritisiert hat, weil das Land in dieser Hinsicht keine Fortschritte erzielt;

I.

in der Erwägung, dass es in den Mitgliedstaaten zahlreiche Unterschiede beim Zugang zu Abtreibungen gibt; in der Erwägung, dass Polen im European Contraception Policy Atlas (Europäischer Atlas für die Politik im Bereich der Empfängnisverhütung) von 2020 einen der niedrigsten Werte in der Europäischen Union aufweist und die Politik des Landes im Bereich des Zugangs zu Verhütungsmitteln, der Familienplanung, der Beratung und der Bereitstellung von Online-Informationen zu den restriktivsten in Europa gehört; in der Erwägung, dass Polen eines der wenigen Länder ist, in dem für Notfallverhütungsmittel eine Verschreibung erforderlich ist, welche von Ärzten aufgrund persönlicher Überzeugungen häufig verweigert wird;

J.

in der Erwägung, dass seit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2015 zum Gesetz vom 5. Dezember 1996 über die ärztlichen und zahnärztlichen Berufe weder Angehörige der Gesundheitsberufe noch medizinische Einrichtungen rechtlich verpflichtet sind, eine andere Einrichtung bzw. einen anderen Arzt anzugeben, falls sie die Ausführung von Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit aufgrund persönlicher Überzeugungen verweigern; in der Erwägung, dass die im Juli 2020 geänderte endgültige Fassung des Gesetzes nicht, wie ursprünglich vorgeschlagen, die Verpflichtung vorsieht, eine andere Einrichtung bzw. einen anderen Arzt anzugeben,; in der Erwägung, dass eine derartige Auslassung eine vollständige Missachtung der Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates hinsichtlich der Umsetzung der Urteile des EGMR gegen Polen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte darstellt;

K.

in der Erwägung, dass nach Aussage von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Föderation für Frauen und Familienplanung 2018 nur 10 % der Krankenhäuser, die Verträge mit dem polnischen Nationalen Gesundheitsfonds abgeschlossen haben, legale Abtreibungen durchführten, was bedeutet, dass es in Polen ganze Wojewodschaften gibt, in denen keine Möglichkeit besteht, eine sichere und legale Abtreibung durchführen zu lassen, so dass für Frauen der Zugang zu diesen ärztlichen Leistungen extrem schwierig und oft unmöglich ist;

L.

in der Erwägung, dass Ärzte in Polen aus Angst und aufgrund des Drucks von Kollegen und Gesundheitsbehörden nicht mit Abtreibungen in Verbindung gebracht werden wollen; in der Erwägung, dass Ärzte neben der häufig angewendeten Gewissensklausel zusätzliche, gesetzlich nicht vorgesehene Hindernisse schaffen, wie etwa unnötige ärztliche Untersuchungen, psychologische Beratungsgespräche oder zusätzlichen Beratungen durch Experten, oder das Recht von Frauen auf pränatale Untersuchungen und Information verletzen, das im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung für alle Patientinnen und Patienten gelten sollte;

M.

in der Erwägung, dass der Zugang zu gynäkologischer Versorgung in Polen sehr eingeschränkt und in einigen Regionen fast unmöglich ist, was eine hohe Anzahl an ungewollten Schwangerschaften, mangelhafte reproduktive Gesundheit, ein häufiges Vorkommen von Gebärmutterhalskrebs und ungenügenden Zugang zu Verhütungsmitteln nach sich zieht; in der Erwägung, dass der Zugang zu ärztlichen Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und die Rechte von LGBTI+-Personen sehr stark eingeschränkt sind; in der Erwägung, dass Transpersonen und nicht binäre Personen, die gynäkologische Leistungen benötigen, in den medizinischen Einrichtungen oft diskriminiert werden und ihnen der Zugang zu ärztlichen Leistungen verweigert wird;

N.

in der Erwägung, dass seit Anfang 2019 über 80 Wojewodschaften, Landkreise oder Gemeinden in Polen Anti–LGBTI+–Entschließungen verabschiedeten, mit denen sie sich für frei von der sogenannten „LGBT-Ideologie“ erklärten, oder die „Regionalen Chartas der Familienrechte“ vollständig oder teilweise annahmen, mit denen insbesondere Alleinerziehende und LGBTI–Eltern und –Personen diskriminiert werden und die Freizügigkeit dieser Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern de facto eingeschränkt wird;

O.

in der Erwägung, dass jedes Jahr in Polen bis zu 200 000 Frauen eine Schwangerschaft abbrechen und sich gezwungen sehen, heimliche Abtreibungen vorzunehmen, wobei sie zumeist Abtreibungspillen verwenden, die sie ohne die erforderliche ärztliche Überwachung und Beratung einnehmen; in der Erwägung, dass geschätzt wird, dass sich bis zu 30 000 Frauen gezwungen sehen, von Polen aus ins Ausland zu reisen, um die ärztliche Behandlung zu erhalten, die sie benötigen, und eine Abtreibung durchführen zu lassen (12); in der Erwägung, dass für diese ärztlichen Leistungen bezahlt werden muss, so dass sie nicht in gleicher Weise für alle Frauen zugänglich sind und der Zugang insbesondere für Frauen, die sich in einer sozial und wirtschaftlich benachteiligten Lage befinden, sowie für Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus erschwert ist; in der Erwägung, dass sichere Abtreibungen in Polen nur einer eingeschränkten Gruppe von Frauen zugänglich sind;

P.

in der Erwägung, dass der Verfassungsgerichtshof am 22. Oktober 2020 auf Antrag von 119 Mitglieder des polnischen Parlaments mit Unterstützung der sogenannten Pro–Life–Bewegung die Bestimmung des Gesetzes von 1993 über die Familienplanung, den Schutz des menschlichen Fötus und die Voraussetzungen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch, das eine Abtreibung in Fällen zulässt, in denen Pränataluntersuchungen oder andere medizinische Erwägungen auf eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und bleibenden Behinderung oder einer unheilbaren Erkrankung des Fötus, die sein Leben bedroht, hinweisen, für verfassungswidrig erklärt hat;

Q.

in der Erwägung, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und bleibenden Behinderung oder unheilbaren Erkrankung des Fötus die Rechtsgrundlage für 1 074 der 2019 erfolgten 1 110 Schwangerschaftsabbrüche darstellte, während die übrigen Fälle aufgrund einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit der Frau erfolgten oder weil die Schwangerschaft aufgrund einer verbotenen Handlung (etwa einer Vergewaltigung) entstanden ist, was die einzigen anderen Fälle sind, in denen eine Abtreibung nach dem Gesetz von 1993 über die Familienplanung gestattet ist;

R.

in der Erwägung, dass das Urteil mit seiner Veröffentlichung, die nach polnischem Recht verbindlich ist, Gültigkeit erlangt, und dass es mit seiner Veröffentlichung zu einem fast vollständigen Verbot von Abtreibungen in Polen kommen und die Durchführung von Abtreibungen strafbar gemacht wird, was eine Ausweitung von heimlichen Abtreibungen unter unsicheren Bedingungen und des nur wenigen Frauen möglichen Abtreibungstourismus nach sich ziehen und damit die Gesundheit von Frauen und ihre Rechte sowie ihr Leben gefährden wird; in der Erwägung, dass das Urteil zwar noch nicht veröffentlicht wurde, dass aber für viele Schwangere, die erfahren haben, dass ihr Fötus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere und bleibende Behinderung oder eine unheilbare Krankheit aufweist, der Zugang zu einer legalen Abtreibung dennoch eingeschränkt wurde;

S.

in der Erwägung, dass das Urteil einen weiteren Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in Polen sowie einen weiteren Versuch zur Einschränkung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte in der langen Reihe der in den vergangenen Jahren erfolgten darstellt; in der Erwägung, dass diese Angriffe in den Jahren 2016, 2018 und 2020 aufgrund des massenhaften Widerstands polnischer Bürgerinnen und Bürger, die sich etwa in den „Black–Friday“–Protestmärschen ausdrückten und von Mitgliedern verschiedener Fraktionen des Europäischen Parlaments entschieden unterstützt wurden, zunächst abgewendet wurden;

T.

in der Erwägung, dass dieses Urteil zu einem Zeitpunkt erging, als aufgrund der zweiten Welle der COVID–19–Pandemie in allen Mitgliedstaaten der EU, auch in Polen, Einschränkungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit galten, die eine angemessene demokratische Debatte und einen echten demokratischen Prozess verhinderten, was bei Entscheidungen über Grundrechte von entscheidender Bedeutung ist;

U.

in der Erwägung, dass trotz der Hygienemaßnahmen und gesundheitlichen Gefährdungen in ganz Polen und weltweit Protestveranstaltungen in nie dagewesenem Ausmaß stattfanden; in der Erwägung, dass weiterhin Tausende Protestierende gegen die schwerwiegenden Einschränkungen ihrer grundlegenden Rechte im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit demonstrieren; in der Erwägung, dass Bereitschaftspolizei und Militärgendarmerie eingesetzt wurden, um die Proteste zu überwachen, und die Polizisten in übertriebenem Maße körperliche Gewalt gegen friedlich Protestierende eingesetzt haben, unter denen sich auch Mitglieder des polnischen Parlaments und polnische Mitglieder des Europäischen Parlaments befanden; in der Erwägung, dass diese Maßnahmen im Widerspruch zu den Verpflichtungen der polnischen Regierung aufgrund von internationalen Menschenrechtsnormen wie etwa der Charta, die Versammlungsfreiheit gewähren, und den Leitlinien des Sonderberichterstatters für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, nach denen das Militär im Allgemeinen nicht für die Überwachung von Versammlungen herangezogen werden sollte, stehen;

V.

in der Erwägung, dass die staatlichen Stellen zu Drohungen griffen, um polnische Bürgerinnen und Bürger und in Polen lebende Personen von der Teilnahme an Kundgebungen abzuhalten, darunter etwa die Verhängung von hohen Bußgeldern, während der Generalstaatsanwalt und Justizminister Zbigniew Ziobro ankündigte, dass gegen die Organisatorinnen und Organisatoren der Proteste Strafanzeigen gestellt würden, die Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren nach sich ziehen können; in der Erwägung, dass viele Protestierende, unter anderem Minderjährige, rechtswidrig festgehalten wurden;

W.

in der Erwägung, dass der stellvertretende Premierminister Jarosław Kaczyński am 28. Oktober 2020 die Menschen dazu aufrief, die traditionellen polnischen Werte zu verteidigen und die Kirchen „um jeden Preis“ zu schützen, was dazu führte, dass Protestierende von nationalistischen Fußballfans tätlich angegriffen wurden; in der Erwägung, dass damit kulturelle und religiöse Werte in Polen missbraucht werden, um die umfassende Umsetzung der Frauenrechte, die Gleichstellung der Frauen und ihr Recht, selbst über ihren Körper zu entscheiden, zu verhindern; in der Erwägung, dass eine fundamentalistische Organisation namens Ordo Iuris, die eng mit der Regierungskoalition verbunden ist, die treibende Kraft hinter den Kampagnen zur Bekämpfung der Menschenrechte und der Gleichstellung der Geschlechter in Polen ist, etwa der Versuche, Abtreibung zu verbieten, und zum Austritt Polens aus dem Übereinkommen von Istanbul und zur Schaffung von „LGBTI–freien Zonen“ aufruft;

X.

in der Erwägung, dass sich nach den jüngsten Umfragen die Mehrheit der Menschen in Polen für das Recht auf Abtreibung auf Wunsch der Schwangeren bis zur 12. Woche aussprechen; in der Erwägung, dass die Demonstrierenden auch den Rücktritt der Regierung fordern, die wiederholt gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat; in der Erwägung, dass die Proteste zum größten Teil von durch Frauen geleitete Organisationen, Aktivistinnen und Aktivisten und Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert und koordiniert und von der politischen Opposition in Polen unterstützt wurden; in der Erwägung, dass der durch den polnischen Präsidenten im Anschluss an die Proteste unterbreitete Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der Abtreibung unbefriedigend ist;

Y.

in der Erwägung, dass die am 22. Dezember 2015 und 22. Juli 2016 durch das polnische Parlament verabschiedeten Gesetze über den Verfassungsgerichtshof sowie das aus drei Gesetzen bestehende Paket, das Ende 2016 angenommen wurde, die Unabhängigkeit und die Legitimität des Verfassungsgerichtshofs in schwerwiegender Weise beschädigt haben; in der Erwägung, dass die Gesetze vom 22. Dezember 2015 und vom 22. Juli 2016 vom Verfassungsgerichtshof am 9. März 2016 bzw. 11. August 2016 für verfassungswidrig erklärt wurden; in der Erwägung, dass diese Urteile von den staatlichen Stellen Polens damals nicht veröffentlicht oder umgesetzt wurden; in der Erwägung, dass die Verfassungsmäßigkeit der polnischen Gesetze seit dem Inkrafttreten der genannten Gesetzesänderungen in Polen nicht mehr wirksam gewährleistet werden kann (13);

Z.

in der Erwägung, dass das erwähnte Urteil von Richterinnen und Richtern gefällt wurde, die von Politikerinnen und Politikern der von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) angeführten Regierungskoalition ernannt wurden und vollständig von diesen abhängig sind; in der Erwägung, dass der Präsident des polnischen Senats das Urteil nicht beachtete und die Regierung aufforderte, es nicht zu veröffentlichen, insbesondere da es die Verpflichtungen Polens im Bereich der Menschenrechte verletze und der vorangegangenen Rechtsprechung zur polnischen Verfassung nicht entspreche, sowie aufgrund der unrechtmäßig erfolgten Ernennung dreier Richter und der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs (14);

AA.

in der Erwägung, dass Kommission und Parlament schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit geäußert haben, darunter auch zur Legitimität, Unabhängigkeit und Wirksamkeit des Verfassungsgerichtshofs; in der Erwägung, dass die Kommission aufgrund der 2015 erfolgten Reformen des Justizwesens in Polen ein Verfahren gemäß Artikel 7 Absatz 1 ausgelöst hat;

1.

verurteilt das Urteil des Verfassungsgerichtshofs und den Rückschlag, den es für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die diesbezüglichen Rechte der Frauen in Polen bedeutet, auf das Schärfste; weist darauf hin, dass mit dem Urteil die Gesundheit und das Leben von Frauen aufs Spiel gesetzt werden; weist darauf hin, dass es alle Vorschläge für Rechtsakte oder Einschränkungen, die darauf abzielten, den Zugang zu einer legalen Abtreibung unter sicheren Bedingungen in Polen weiter zu verbieten und einzuschränken, stark kritisiert hat, die praktisch einem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen gleichkommen, da die meisten der legal durchgeführten Abtreibungen aufgrund einer schweren und bleibenden Schädigung des Fötus oder aufgrund einer unheilbaren, für den Fötus lebensbedrohlichen Krankheit durchgeführt werden; weist darauf hin, dass die umfassende Zugänglichkeit von ärztlichen Leistungen und die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die diesbezüglichen Rechte grundlegende Menschenrechte sind;

2.

weist darauf hin, dass mit der Einschränkung des Rechts auf Abtreibung oder ihrem Verbot Abtreibungen keinesfalls abgeschafft, sondern lediglich in den Untergrund verlagert werden, was zu einer größeren Zahl an illegal und unter gefährlichen Bedingungen heimlich durchgeführten Abtreibungen führt, die lebensbedrohlich sein können; weist erneut darauf hin, dass die Durchführung einer Abtreibung keine strafbare Handlung sein sollte, da dies eine abschreckende Wirkung auf Ärztinnen und Ärzte hat, die im Ergebnis die Durchführung von Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte ablehnen, da sie strafrechtliche Sanktionen fürchten;

3.

bedauert, dass das Urteil zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wurde, als ordnungsgemäße demokratische Verfahren durch die im Zusammenhang mit der COVID–19–Pandemie geltenden Hygieneregelungen stark behindert waren; kritisiert entschieden das strenge Verbot von öffentlichen Versammlungen, das ohne die Ausrufung des bei Naturkatastrophen gemäß Artikel 232 der polnischen Verfassung vorgesehenen Notstands ausgesprochen wurde;

4.

weist darauf hin, dass Frauenrechte grundlegende Menschenrechte sind und dass die Organe und Einrichtungen der EU und die Mitgliedstaaten daher rechtlich verpflichtet sind, diese Rechte im Einklang mit den Verträgen und der Charta sowie dem Völkerrecht zu wahren und zu schützen;

5.

weist darauf hin, dass die ungerechtfertigten und unangemessenen Einschränkungen des Zugangs zu Abtreibungen, die sich aus dem erwähnten Urteil des Verfassungsgerichtshofs ergeben, gegen den Schutz der angeborenen und unveräußerlichen Würde der Frauen verstoßen, da sie gegen die Charta, die EMRK, die Rechtsprechung des EGMR, zahlreiche von Polen unterzeichnete internationale Übereinkommen sowie die Verfassung der Republik Polen verstoßen;

6.

fordert das polnische Parlament und die polnischen staatlichen Stellen nachdrücklich auf, keine weiteren Bemühungen zur Einschränkung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte zu unternehmen, da derartige Maßnahmen gegen den Grundsatz der internationalen Menschenrechtsnormen verstoßen, dass einmal gewährte Rechte nicht zurückgenommen werden; bekräftigt nachdrücklich, dass die Verweigerung von sexueller und reproduktiver Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte eine Form der geschlechtsbezogenen Gewalt darstellt; fordert die polnischen staatlichen Stellen auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die in Fällen gegen Polen ergangenen Urteile des EGMR umfassend umzusetzen, der entschied, dass restriktive Abtreibungsgesetze gegen die Menschenrechte von Frauen verstoßen; betont, dass die ungehinderte und rechtzeitige Bereitstellung von Leistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit und die Achtung der reproduktiven Autonomie und Entscheidungsfindung von Frauen entscheidend für den Schutz der Menschenrechte von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter ist;

7.

hebt hervor, dass eine umfassende, faktengestützte, diskriminierungsfreie und altersgerechte Sexualerziehung sowie die Vermittlung von diesbezüglichen Informationen an alle Menschen erforderlich sind, da fehlende Informationen und Bildung zu Sex und Sexualität eine größere Zahl an ungewollten Schwangerschaften nach sich ziehen;

8.

verurteilt auf das Schärfste die jüngste Entscheidung des polnischen Justizministers, das Austrittsverfahren Polens aus dem Übereinkommen von Istanbul offiziell zu beginnen, was einen Rückschlag für die Gleichstellung der Geschlechter, die Frauenrechte und die Bekämpfung von geschlechtsbezogener Gewalt bedeuten würde; fordert die staatlichen Stellen Polens auf, das Übereinkommen wirksam in der Praxis umzusetzen, darunter auch die Bestimmung, dass geeignete Schutzunterkünfte in ausreichender Zahl für weibliche Gewaltopfer und ihre Kinder vorhanden sein müssen, und dabei die Eskalation geschlechtsbezogener Gewalt während der COVID–19–Pandemie zu berücksichtigen, und dafür Sorge zu tragen, dass die wesentlichen Hilfs– und Gesundheitsangebote auch im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zur Verfügung stehen;

9.

äußert sein Bedauern angesichts der Tatsache, dass der Zugang zu ärztlichen Leistungen in bestimmten Gebieten Polens immer noch eingeschränkt ist und dass nach Angaben des Obersten Rechnungshof im Jahr 2018 nur bei 2 % der in ländlichen Gegenden Polens lebenden Schwangeren alle während einer Schwangerschaft erforderlichen Standarduntersuchungen wie Ultraschalluntersuchung des Fötus, CTG oder Blutuntersuchung der Mutter vorgenommen wurden;

10.

bedauert die immer häufigere Anwendung der Gewissensklausel, was das Fehlen von verlässlichen Verfahren für die Weiterverweisung von Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen, und langwierige Einspruchsverfahren für Frauen, denen eine derartige Leistung verweigert wurde, nach sich zieht, und bedauert zudem, dass sich Frauenärzte häufig auf die Gewissensklausel berufen, wenn sie um die Verschreibung von Verhütungsmitteln gebeten werden, und damit den Zugang zu Verhütung in Polen faktisch einschränken; weist darauf hin, dass die Gewissensklausel zudem den Zugang zu pränatalen Untersuchungen behindert, was nicht nur eine Verletzung des Rechts auf Information über den Zustand des Fötus darstellt, sondern zudem die erfolgreiche Behandlung des Kindes während oder direkt nach der Schwangerschaft behindert; fordert die polnischen staatlichen Stellen auf, das Gesetz, mit dem der Zugang zu Notfallverhütungsmitteln eingeschränkt wird, aufzuheben;

11.

äußert große Bedenken angesichts der Tatsache, dass Tausende von Frauen ins Ausland reisen müssen, um eine grundlegende ärztliche Leistung wie Abtreibung in Anspruch nehmen zu können; hebt hervor, dass Abtreibungen, für die eine Staatsgrenze überquert werden muss, keine realistische Option für sehr schutzbedürftige und ausgegrenzte Menschen sind; äußert sich besorgt angesichts der Tatsache, dass diese Auslandsreisen ein Risiko für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen darstellen, da sie oft allein reisen; hebt hervor, dass ärztliche Versorgung nach einer Abtreibung von großer Bedeutung ist, insbesondere wenn die Frau aufgrund einer unvollständigen Abtreibung oder einer Abtreibung unter unsicheren Bedingungen unter Komplikationen leidet;

12.

verleiht seiner Unterstützung und Solidarität für Tausende polnischer Bürgerinnen und Bürger, insbesondere für Frauen und LGBTI+–Personen, Ausdruck, die trotz der gesundheitlichen Gefährdungen auf die Straße gegangen sind, um gegen die schwerwiegenden Einschränkungen ihrer grundlegenden Freiheiten und Rechte zu protestieren; weist darauf hin, dass die Protestierenden nicht nur die Rücknahme des Urteils des Verfassungsgerichtshofs fordern, sondern auch den sogenannten „Abtreibungskompromiss“ anprangern und eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts und die Achtung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung fordern; weist darauf hin, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auch während einer Pandemie ein entscheidender Bestandteil der Europäischen Union ist;

13.

verurteilt auf das Schärfste die übertriebene und unverhältnismäßige Anwendung von körperlicher Gewalt gegen Protestierende, darunter Aktivistinnen und Aktivisten und Organisationen für Frauenrechte, durch Polizistinnen und Polizisten und nichtstaatliche Akteure, wie etwa rechtsextreme nationalistische Gruppierungen; fordert die polnischen staatlichen Stellen auf, dafür Sorge zu tragen, dass Angriffe auf Protestierende geahndet werden;

14.

fordert die polnischen staatlichen Stellen nachdrücklich auf, die einzelstaatliche Gesetzgebung zur Verbesserung der Wahrung der Frauenrechte und der Gleichstellung der Geschlechter auszubauen, indem Einrichtungen, die sich mit Diskriminierung aufgrund von biologischem bzw. gesellschaftlichem Geschlecht befassen, alle erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen bereitgestellt werden;

15.

fordert die Kommission auf, eine gründliche Bewertung der Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs vorzunehmen, da aufgrund von dessen rechtswidriger Zusammensetzung seine Urteile und damit seine Fähigkeit, die polnischen Verfassung zu schützen, in Frage gestellt werden können; hebt hervor, dass das erwähnte Urteil ein weiteres Beispiel für die Übernahme des Justizwesens durch die Politik und den strukturellen Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit in Polen ist;

16.

fordert den Rat auf, dieses Thema und andere mutmaßliche Verstöße gegen die Grundrechte in Polen zu behandeln, indem er den Themenbereich der derzeitigen Anhörungen zur Lage in Polen nach Artikel 7 Absatz 1 EUV erweitert; fordert den Rat auf, die für den 10. und 11. Dezember 2020 vorgesehene förmliche Anhörung zum Sachstand in Polen wie geplant durchzuführen;

17.

begrüßt die am 5. November 2020 erzielte vorläufige Einigung über Bestimmungen zur Schaffung eines Verfahrens, das die Aussetzung von Haushaltszahlungen an einen Mitgliedstaat ermöglicht, der gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt; fordert die Kommission auf, die vor Kurzem vereinbarte Konditionalitätsregelung für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2021–2017 mit Entschlossenheit anzuwenden;

18.

fordert den Rat und die Kommission auf, Organisationen der Zivilgesellschaft auf nationaler und lokaler Ebene in angemessener Weise finanziell zu unterstützen, um Basisinitiativen zu fördern, die sich in den Mitgliedstaaten, darunter auch in Polen, für Demokratie, Rechtstaatlichkeit und grundlegende Menschenrechte einsetzen; fordert die Kommission auf, Programme und Organisationen der Zivilgesellschaft in Polen, die sich für den Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte von Frauen einsetzen, unverzüglich und unmittelbar zu unterstützen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Sensibilisierungs- und Fortbildungsmaßnahmen mit Hilfe von Förderprogrammen zu unterstützen;

19.

fordert die Kommission auf, der Gewährleistung eines gleichwertigen und belastbaren Schutzes aller Menschen durch die Justiz aus allen in Artikel 19 AEUV genannten Gründen hohe Bedeutung einzuräumen; fordert den Rat auf, die Verhandlungen über die horizontale Richtlinie über Nichtdiskriminierung unverzüglich aus der Sackgasse zu führen und abzuschließen, und begrüßt die neuen Zusagen der Kommission in diesem Bereich;

20.

fordert die Kommission auf, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, allgemeinen Zugang zu ärztlichen Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, wie etwa Abtreibungen, sicherzustellen; fordert die Kommission auf, für die Wahrung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und die diesbezüglichen Rechte Sorge zu tragen, indem das Recht auf Abtreibung in die nächste Gesundheitsstrategie der EU aufgenommen wird;

21.

hebt hervor, dass viele Mitgliedstaaten ihre Unterstützung für den Kampf der polnischen Frauen und ein hohes Interesse daran ausdrückten; fordert die EU auf, Organisationen finanziell zu fördern, die eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Organisationen unterstützen, die sichere und legale Abtreibungen durchführen;

22.

fordert die Kommission auf, zu bestätigen, dass Richtlinie 2004/113/EG (15) auch auf Produkte und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte angewendet wird, und anzuerkennen, dass Einschränkungen und Hürden beim Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte eine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstellen, da sie ein Geschlecht (Frauen) oder schutzbedürftige Personen (z. B. Transpersonen und nicht binäre Personen) unverhältnismäßig stark betreffen; verurteilte den Missbrauch der Justiz und ihrer Rechtsetzungsbefugnissen durch die polnische Regierung, deren Ziel es ist, das Leben und die Gesundheit von Frauen und LGBTI+–Personen zu instrumentalisieren und zu politisieren, was ihre diesbezügliche Diskriminierung nach sich zieht;

23.

fordert die Kommission auf, Leitlinien für die Mitgliedstaaten zu erlassen, damit gemäß EU–Recht und der Rechtsprechung des EGMR für gleichberechtigten Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der diesbezüglichen Rechte gesorgt ist;

24.

fordert den Rat nachdrücklich auf, die Ratifizierung des Übereinkommens von Istanbul durch die EU abzuschließen; verurteilt nachdrücklich die Versuche in einigen Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu widerrufen, die zur Umsetzung des Übereinkommens von Istanbul und geschlechtsbezogene Gewalt zu bekämpfen, bereits getroffen wurden; fordert die Kommission auf, einen Vorschlag vorzulegen, mit dem geschlechtsbezogene Gewalt in das Verzeichnis der Straftaten gemäß Artikel 83 AEUV aufgenommen wird;

25.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission und dem Rat sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament Polens und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten

(1)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0080.

(2)  ABl. C 356 vom 4.10.2018, S. 44.

(3)  Angenommene Texte, P9_TA(2020)0225.

(4)  ABl. C 129 vom 5.4.2019, S. 13.

(5)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0058.

(6)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0349.

(7)  Angenommene Texte, P8_TA(2019)0407.

(8)  Angenommene Texte, P8_TA(2019)0111.

(9)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0101.

(10)  Angenommene Texte, P9_TA(2020)0054.

(11)  Manfred Weber, Vorsitzender der PPE-Fraktion, Iratxe García Pérez, Vorsitzende der S&D-Fraktion, Dacian Cioloș, Vorsitzender der Renew-Fraktion, Philippe Lamberts, Ko-Vorsitzender der Verts/ALE-Fraktion, und Manon Aubry und Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzende der GUE/NGL-Fraktion.

(12)  https://www.theseus.fi/handle/10024/138222

(13)  Stellungnahme der Venedig–Kommission vom 14. und 15. Oktober 2016 zu dem Gesetz über den Verfassungsgerichtshof, Randnummer 128; Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, Abschließende Bemerkungen zum siebten periodischen Bericht Polens, 23. November 2016, Nrn. 7–8; Empfehlung (EU) 2017/1520 der Kommission vom 26. Juli 2017 zur Rechtsstaatlichkeit in Polen (ABl. L 228 vom 2.9.2017, S. 19).

(14)  https://www.senat.gov.pl/aktualnoscilista/art,13159,zespol-ekspertow-przy-marszalku-senatu-o-wyroku-trybunalu-konstytucyjnego.html

(15)  Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37).