9.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 267/4


MITTEILUNG DER KOMMISSION

Leitlinien für die nationalen Gerichte zur Schätzung des Teils des auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzten Preisaufschlags

(2019/C 267/07)

INHALTSVERZEICHNIS

1.

EINLEITUNG 7

1.1.

Zweck, Anwendungsbereich und Aufbau dieser Leitlinien 7

1.2.

Was bedeutet „Abwälzung von Preisaufschlägen“? 8

2.

RECHTLICHER RAHMEN 9

2.1.

Abwälzung des Preisaufschlags und Recht auf vollständigen Schadensersatz 9

2.2.

Szenarien, in denen nationale Gerichte die Schadensabwälzung beurteilen müssen 11

2.3.

Befugnis der Gerichte zur Schätzung der Schadensabwälzung 13

2.4.

Die Rolle von Beweismitteln 14

3.

WIRTSCHAFTSTHEORIE DER SCHADENSABWÄLZUNG 16

3.1.

Übersicht 16

3.2.

Beispiele 19

4.

ERMITTLUNG DER SCHADENSABWÄLZUNG UND DES MENGENEFFEKTS — ALLGEMEINE ASPEKTE 21

4.1.

Für die Ermittlung der Auswirkungen der Schadensabwälzung erforderliche Daten und Informationen 22

4.2.

Einsatz von ökonomischen Sachverständigen 23

5.

ERMITTLUNG UND SCHÄTZUNG DER DURCH DIE SCHADENSABWÄLZUNG VERURSACHTEN PREISEFFEKTE 24

5.1.

Vergleichsmethoden 24

5.1.1.

Ansätze 25

5.1.1.1.

Der „Vorher-während-nachher“-Ansatz 25

5.1.1.2.

Der Querschnittsansatz („cross-sectional method“) 26

5.1.1.3.

Der Differenz-von-Differenzen-Ansatz 26

5.1.2.

Umsetzung von vergleichsgestützten Ansätzen in der Praxis 28

5.1.3.

Herausforderungen 30

5.2.

Weitere Methoden 31

5.2.1.

Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung 31

5.2.2.

Umsetzung des Ansatzes zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung in der Praxis 32

5.2.3.

Das Simulationsmodell 33

6.

ERMITTLUNG UND SCHÄTZUNG VON MENGENEFFEKTEN 33

6.1.

Einleitung 33

6.2.

Vergleichsgestützter Ansatz 35

6.2.1.

Erforderliche Informationen 35

6.2.2.

Methoden und Herausforderungen 35

6.3.

Elastizitätsansatz 35

6.3.1.

Methoden und erforderliche Informationen 35

6.3.2.

Herausforderungen 36

7.

WAHL DER METHODE 36

8.

ANHANG 1 — WIRTSCHAFTSTHEORIE 37

8.1.

Einleitung 37

8.2.

Inputkosten und deren Auswirkung auf Preisentscheidungen 37

8.3.

Nachfragemerkmale und ihr Zusammenhang mit den Preisen 38

8.4.

Preisentscheidungen eines Unternehmens 40

8.5.

Wettbewerbsintensität und Zusammenhang mit der Schadensabwälzung 40

8.5.1.

Kontinuum der Wettbewerbsfähigkeit der Märkte 40

8.5.2.

Branchenweite und unternehmensspezifische Preisaufschläge und Schadensabwälzung 41

8.6.

Weitere Faktoren mit Auswirkung auf die Schadensabwälzung 41

9.

ANHANG 2 — GLOSSAR 43

VERZEICHNIS DER KÄSTEN

Kasten 1:

Abwälzung einer Preissteigerung für Kupfer (hypothetisches Beispiel) 8

Kasten 2:

Die zwei typischen Abwälzungsszenarien 11

Kasten 3:

Beispiel für einen Fall, in dem von ökonomischen Sachverständigen beigebrachte Beweise verwendet wurden 23

Kasten 4:

Beispiel eines Falles, in dem das Gericht einen ökonomischen Sachverständigen ernannt hat 23

Kasten 5:

Beispiel für den „Vorher-während-nachher“-Ansatz 25

Kasten 6:

Beispiel die für den Querschnittsansatz 26

Kasten 7:

Veranschaulichung des Differenz-von-Differenzen-Ansatzes 27

Kasten 8:

Der deutsche Autoglas-Fall 28

Kasten 9:

Schätzung der Schadensabwälzung auf der Grundlage qualitativer Beweismittel — Cheminova, 2015 29

Kasten 10:

Schätzung der Schadensabwälzung auf der Grundlage qualitativer Beweismittel — DOUX Aliments, 2014 29

Kasten 11:

Mengeneffekt 34

Kasten 12:

Schätzung der Mengeneffekte — Cheminova, 2015 34

Kasten 13:

Beispiele für Grenz- und Fixkosten 37

Kasten 14:

Die standardmäßige Nachfragekurve — Preis- und Mengeneffekte 38

Kasten 15:

Krümmung der Nachfragekurve 39

Kasten 16:

Austauschbeziehung zwischen Preissteigerungen und Absatzeinbußen 40

1.   EINLEITUNG

1.1.   Zweck, Anwendungsbereich und Aufbau dieser Leitlinien

(1)

Ziel dieser Leitlinien ist es, nationalen Gerichten, Richtern und anderen Interessenträgern bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) praktische Orientierungshilfen für die Schätzung der Abwälzung von Preisaufschlägen an die Hand zu geben. Insbesondere werden in diesen Leitlinien die wirtschaftlichen Grundsätze, Methoden und die Terminologie im Bereich der Schadensabwälzung unter anderem anhand verschiedener Beispiele dargelegt. Darüber hinaus sollen die Leitlinien die Beantwortung der Frage, welche Quellen relevanter Beweismittel es gibt und ob ein Offenlegungsantrag verhältnismäßig ist, sowie die Beurteilung der Erklärungen der Parteien zur Schadensabwälzung und der Wirtschaftsgutachten, die unter Umständen bei den Gerichten eingereicht werden, erleichtern.

(2)

Rechtsgrundlage für die Leitlinien ist Artikel 16 der Schadensersatzrichtlinie (1). Die Leitlinien sind unverbindlich und ändern nach dem Recht der EU oder der Mitgliedsstaaten bestehende Rechtsvorschriften nicht. Aus diesem Grund sind die nationalen Gerichte nicht verpflichtet, sie einzuhalten. Die Leitlinien lassen auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „EuGH“) unberührt. Sie verweisen auf die harmonisierten Bestimmungen der Schadensersatzrichtlinie, die besagen, dass die nationalen Gerichte in der Praxis nationale Vorschriften anwenden werden, einschließlich der Vorschriften zur Umsetzung besagter Richtlinie.

(3)

Die Leitlinien enthalten bewährte Vorgehensweisen und geben Hinweise zu relevanten Parametern, die beim Umgang mit wirtschaftlichen Beweismitteln für die Schätzung der Abwälzung von Preisaufschlägen herangezogen werden können. Sie stützen sich auf die von der Kommission zusammengetragenen relevanten Wirtschaftsstudien und ergänzen den Praktischen Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2) (im Folgenden „Praktischer Leitfaden“), der der Mitteilung der Kommission über die Ermittlung des kartellrechtlichen Schadens bei Schadensersatzklagen (3) beigefügt ist. Während das Augenmerk im Praktischen Leitfaden auf Preisaufschlägen liegt, wird in den Leitlinien genauer auf die Abwälzung solcher Preisaufschläge eingegangen (4). Der Praktische Leitfaden und die vorliegenden Leitlinien sollten zusammen gelesen werden (5).

(4)

Wie in den Randnummern 17-19 erläutert, können diese Leitlinien nützlich sein, wenn ein Rechtsverletzer bei einer Schadensersatzklage gegenüber dem Kläger die Einwendung der Schadensabwälzung geltend macht (als „Schild“) oder wenn ein mittelbarer Abnehmer gegenüber dem Rechtsverletzer aufgrund der Schadensabwälzung eines Preisaufschlags auf Schadensersatz klagt (als „Schwert“). Wie bei jeder Schadensersatzklage hängt das Ausmaß, in dem das Gericht den Sachverhalt eines Falles berücksichtigen muss, von der Art und Weise ab, wie der Kläger seine Klage und der Beklagte seine Einwendung vorbringt. In manchen Fällen mag ein Kläger zum Beispiel aufgrund der möglicherweise zusätzlich entstehenden Komplexität keinen infolge des Mengeneffekts entgangenen Gewinn geltend machen (6). Die Klage eines mittelbaren Abnehmers gegen einen Rechtsverletzer berücksichtigt jedoch typischerweise die Schadensabwälzung, da dies für die Klage wesentlich ist.

(5)

Gleichermaßen hängt die Art und Weise, wie ein nationales Gericht die Schadensabwälzung beurteilen und einschätzen wird, aller Wahrscheinlichkeit nach von der Art und dem Umfang der Ansprüche, von den wesentlichen Punkten des Sachvortrags und von der Verfügbarkeit von Daten ab. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zur Offenlegung von Informationen kann das Gericht die Wahl der verschiedenen wirtschaftlichen Methoden und Ansätze berücksichtigen, die in den vorliegenden Leitlinien erläutert werden. So sind die bei Ansprüchen in Höhe von 20 Mio. EUR angemessenen Datenmengen und Kosten für Sachverständigenanalysen bei Ansprüchen in Höhe von 200 000 EUR möglicherweise nicht verhältnismäßig.

(6)

Unter Bezugnahme auf die Rechtsgrundsätze, die ergangene Rechtsprechung sowie die Bestimmungen in der Schadensersatzrichtlinie wird in diesen Leitlinien der rechtliche Rahmen für die Schadensabwälzung beschrieben. In einem kurzen Abschnitt zum rechtlichen Rahmen werden die Verfahrensvorschriften und -instrumente zusammengefasst, nach denen die nationalen Gerichte die Abwälzung von Preisaufschlägen bei Schadensersatzklagen berücksichtigen können. Dieser rechtliche Rahmen bezieht sich auf Unionsrecht, nationales Recht und die jeweilige Praxis. In diesem Zusammenhang müssen Richter ein besonderes Augenmerk auf den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz legen (7). Das bedeutet zum einen, dass sie nationale Vorschriften so anwenden müssen, dass die Ausübung des Rechts auf vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht verursachten Schadens nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (Effektivitätsgrundsatz) (8). Zum anderen müssen Richter beachten, dass nationale Vorschriften und Verfahren für Klagen auf Ersatz des Schadens, der aus Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV entsteht, für mutmaßlich Geschädigte nicht weniger günstig sein dürfen als die Vorschriften und Verfahren für ähnliche Klagen auf Ersatz des Schadens, der aus Zuwiderhandlungen gegen nationales Wettbewerbsrecht entsteht (Äquivalenzgrundsatz).

(7)

Im Hauptabschnitt dieser Leitlinien werden die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Schadensabwälzung erläutert. Dabei geht es um die Wirtschaftstheorie und die Ermittlungsmethoden, die zum Zwecke der Schätzung der Schadensabwälzung zur Anwendung kommen. Im Teil über die Wirtschaftstheorie werden theoretische Konzepte, die der Schadensabwälzung zugrunde liegen, sowie Faktoren, die sie beeinflussen können, erläutert. Im Teil über die wirtschaftliche Quantifizierung werden verschiedene Ansätze und Methoden zur Ermittlung der Auswirkungen der Schadensabwälzung vorgestellt.

1.2.   Was bedeutet „Abwälzung von Preisaufschlägen“?

(8)

Die Abwälzung von Preisaufschlägen kann auf verschiedenen Vertriebsstufen auftreten. In Kasten 1 wird dies anhand eines hypothetischen Beispiels erläutert. Zur Veranschaulichung sowie als Ausgangspunkt für Abwandlungen zur weiteren Erläuterung der Schadensabwälzung wird im Beispiel in Kasten 1 ein relativ einfacher Fall der Festlegung von Preisen für Kupfer und der Abwälzung der jeweiligen Preissteigerung in der Automobilindustrie dargelegt. In der Praxis kann die Schadensabwälzung auf komplexeren Vertriebsstufen auftreten. So könnte etwa die von der Kartellbildung betroffene Ware oder Dienstleistung einen noch kleineren Input darstellen und das Endprodukt von mehr als einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise betroffen sein.

Kasten 1

Abwälzung einer Preissteigerung für Kupfer (hypothetisches Beispiel)

Image 1

Unternehmen A ist Kupferhersteller und bildete durch Absprachen mit seinen Wettbewerbern bezüglich der Festsetzung der Absatzpreise für Kupfer — unter Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV — ein Kartell. Die Absprache erlaubte es A, von seinen Kunden, einschließlich Unternehmen B, höhere Preise für Kupfer zu verlangen.

Der Preisunterschied zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Preis, der sich ohne die Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht ergeben hätte, wird als Preisaufschlag bezeichnet (9).

Unternehmen B, ein Zulieferer von Kfz-Teilen, verwendete das von A gekaufte Kupfer zur Herstellung von Kabelbäumen, die es dem Automobilhersteller C verkaufte. Infolge der durch das Kartell verursachten Preissteigerung für Kupfer erhöhte B seinen Absatzpreis für die an C gelieferten Kabelbäume ebenfalls. Dieses Verhalten wird als Abwälzung von Preisaufschlägen bezeichnet, in diesem Fall von B auf C. Gemäß den Begriffsbestimmungen der Schadensersatzrichtlinie kann A als Rechtsverletzer, B als unmittelbarer Abnehmer und C als mittelbarer Abnehmer bezeichnet werden (10).

(9)

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es kompliziertere Beispiele für Schadensabwälzungen gibt. Auf einige davon wird in nachstehenden Kästen verwiesen. In diesen Kästen werden bestimmte Aspekte der Schadensabwälzung hervorgehoben. Ferner wird aufgezeigt, wie sich nationale Gerichte der Schätzung des auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzten Teils eines Preisaufschlags in vorherigen Fällen genähert haben.

(10)

Wenn der unmittelbare Abnehmer den Preisaufschlag ganz oder teilweise auf den mittelbaren Abnehmer abwälzt, wird Letzterer nicht nur einem Preiseffekt ausgesetzt sein, sondern in vielen Fällen auch seine Nachfrage senken, sodass auch der Umsatz des unmittelbaren Abnehmers zurückgeht. Der Wert des ausbleibenden Absatzes betrifft den sogenannten Mengeneffekt der Schadensabwälzung. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Mengeneffekts werden im Folgenden genauer erörtert.

(11)

Ein Preisaufschlag kann auf sämtliche nachgelagerte Vertriebsstufen abgewälzt werden und sowohl Waren als auch Dienstleistungen betreffen. Betrachtet man etwa das in Kasten 1 dargestellte Beispiel, hätte der Automobilhersteller C die Preise, die er von seinem Kunden, dem unabhängigen Automobilhändler D, verlangt, möglicherweise ebenfalls erhöht. Folglich hätte auch D seine Endverbraucherpreise für die Kraftfahrzeuge, in denen das durch Kartellbildung verteuerte Kupfer verarbeitet wurde, unter Umständen erhöht. C, D und die Endverbraucher sind mittelbare Abnehmer im Sinne der Begriffsbestimmungen der Schadensersatzrichtlinie (11).

2.   RECHTLICHER RAHMEN

2.1.   Abwälzung des Preisaufschlags und Recht auf vollständigen Schadensersatz

(12)

Sowohl die Rechtsprechung des EuGH als auch die Schadensersatzrichtlinie sind für die Beurteilung der Schadensabwälzung von Bedeutung. Zum einen ist daran zu erinnern, dass gemäß der ständigen Rechtsprechung des EuGH „jedermann“ Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen kann, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (12). Aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Schadensersatzrichtlinie geht hervor, dass jede Person, die einen durch Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV verursachten Schaden erlitten hat, das Recht, den vollständigen Ersatz dieses Schadens zu verlangen, wirksam geltend machen können muss (13). Zum anderen beruhen die in der Schadensersatzrichtlinie enthaltenen Bestimmungen über die Abwälzung von Preisaufschlägen auf dem Kompensationsprinzip, das der gesamten Richtlinie zugrunde liegt. Das bedeutet, dass eine Person, die Ersatz des ihr entstandenen Schadens verlangen kann, in die Lage versetzt werden muss, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung nicht begangen worden wäre.

(13)

Im Zusammenhang mit der Abwälzung von Preisaufschlägen bestimmt Artikel 12 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie, dass der Begriff „jedermann“ unmittelbare und mittelbare Abnehmer umfasst. Demnach können in dem obigen Beispiel in Kasten 1 der Kabelbaumhersteller B als unmittelbarer Abnehmer und der Automobilhersteller C als mittelbarer Abnehmer ebenso Schadensersatz gegenüber dem Kupferhersteller A als Rechtsverletzer geltend machen. Andere mittelbare Abnehmer auf nachgelagerten Vertriebsstufen haben ebenfalls das Recht, Schadensersatz vom Rechtsverletzer zu erhalten. Wie in Randnummer 11 dargelegt, wären dies im Beispiel in Kasten 1 der unabhängige Kraftfahrzeughändler D und die Endverbraucher.

(14)

Es ist anzumerken, dass die Elemente des Kompensationsprinzips, d. h. das Recht einer Person, vollständigen Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, wenn der Schaden ursächlich mit einer Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht zusammenhängt, auch auf unmittelbare und mittelbare Lieferanten des Rechtsverletzers anwendbar sind. In der Schadensersatzrichtlinie wird die Situation eines Einkaufskartells als Beispiel angeführt, bei dem Schaden durch den niedrigeren Preis entstehen kann, den Rechtsverletzer an ihre Lieferanten zahlen (14).

(15)

Vollständiger Schadensersatz umfasst den Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße (damnum emergens) und des entgangenen Gewinns (lucrum cessans), zuzüglich der Zahlung von Zinsen (15). Im Allgemeinen bedeutet eingetretene Vermögenseinbuße eine Verringerung des vorhandenen Vermögens einer Person, entgangener Gewinn das Ausbleiben einer Vermögenssteigerung, die ohne die Zuwiderhandlung eingetreten wäre (16). Im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung spielt diese Unterscheidung hinsichtlich der spezifischen wirtschaftlichen Auswirkungen und ihrer rechtlichen Einordnung eine wichtige Rolle. Die allgemeine Regel ist im Folgenden dargelegt.

Der Preiseffekt bezieht sich auf den Preisaufschlag als Erhöhung des Preises, den unmittelbare oder mittelbare Abnehmer aufgrund der Zuwiderhandlung gegen EU-Wettbewerbsrecht für Waren oder Dienstleistungen zahlen müssen (17). Er umfasst Preisschirmeffekte (18). Der Preiseffekt kann sich in dem von einem unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer geltend gemachten Schadensersatz für die eingetretene Vermögenseinbuße widerspiegeln. Er ist Teil des Schadens, der in der Schadensersatzrichtlinie als Schaden in Form des Preisaufschlags bezeichnet wird (19). Unmittelbare oder mittelbare Abnehmer können die Preisaufschläge jedoch unter Umständen teilweise oder vollständig auf nachgelagerte Vertriebsstufen abwälzen. Bei ihrer Schätzung der teilweisen oder vollständigen Abwälzung eines Preisaufschlags in einer Schadensersatzklage ermitteln die nationalen Gerichte somit den Schaden in Form des Preisaufschlags, der auf einer bestimmten Vertriebsstufe verursacht wurde. Je nach Rechtssystem kann das nationale Gericht eine solche Schadensabwälzung als eine Verringerung der tatsächlichen Vermögenseinbuße in Betracht ziehen oder diesbezüglich auf andere Vorschriften oder Grundsätze wie die compensatio lucri cum damno zurückgreifen (20).

Der Mengeneffekt kann im allgemeineren Sinne als Schaden beschrieben werden, der darauf zurückzuführen ist, dass der Absatz der betreffenden Waren oder Dienstleistungen aufgrund des Preisaufschlags sinkt (21). Der Schwerpunkt dieser Leitlinien liegt jedoch auf dem Mengeneffekt, der als entgangener Gewinn aufgrund von Absatzeinbußen infolge der Schadensabwälzung verstanden wird. Gemäß der Schadensersatzrichtlinie kann er als entgangener Gewinn ausgleichsfähig sein (22).

(16)

Auf Grundlage der Schadensersatzrichtlinie kann zwischen eingetretener Vermögenseinbuße aufgrund von Preisaufschlägen einerseits und entgangenem Gewinn aufgrund eines verringerten Absatzes andererseits unterschieden werden. Allerdings besteht auch eine unmittelbare Verbindung zwischen dem zugrunde liegenden Preis- und Mengeneffekt (23). Deshalb sollten beide Effekte und ihr Zusammenspiel berücksichtigt werden, sofern dies für die Beurteilung der Schadensabwälzung wird. Die wirtschaftlichen Methoden dazu werden im Folgenden ausführlicher dargelegt.

2.2.   Szenarien, in denen nationale Gerichte die Schadensabwälzung beurteilen müssen

(17)

Bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen das EU-Wettbewerbsrecht begegnen nationale Gerichte der Abwälzung von Preisaufschlägen in der Regel in zwei Szenarien.

(18)

Erstens besteht die Möglichkeit, dass ein Rechtsverletzer die Abwälzung von Preisaufschlägen als Einwendung gegen Schadensersatzansprüche geltend macht, d. h. vorbringt, dass der unmittelbare oder mittelbare Abnehmer den Preisaufschlag vollständig oder teilweise auf seine eigenen Abnehmer abgewälzt hat (24). Dieses Szenario, in dem die Schadensabwälzung als „Schild“ verstanden werden kann, wird in Kasten 2 unter Bezugnahme auf die Ansprüche eines unmittelbaren Abnehmers näher erläutert. Die Einwendung der Schadensabwälzung kann auch gegen Ansprüche von mittelbaren Abnehmern auf nachgelagerten Vertriebsstufen geltend gemacht werden.

(19)

Zweitens besteht die Möglichkeit, dass mittelbare Abnehmer sich bei Schadensersatzklagen darauf berufen, dass die unmittelbaren Abnehmer der Rechtsverletzer die Preisaufschläge (teilweise) auf sie abgewälzt haben und sie aus diesem Grund Schaden erlitten haben. In einem solchen Szenario kann die Schadensabwälzung als „Schwert“ verstanden werden. Dieses Szenario wird ebenfalls in Kasten 2 dargestellt.

Kasten 2

Die zwei typischen Abwälzungsszenarien

Image 2

(20)

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass in Artikel 17 Absatz 2 der Schadensersatzrichtlinie die allgemeine Vermutung aufgestellt wird, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen. Darüber hinaus enthalten die Artikel 13 und 14 der Schadensersatzrichtlinie spezifische Vorschriften zur Beweislast im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung.

(21)

Im ersten Szenario, d. h., wenn die Abwälzung von Preisaufschlägen als Einwendung gegen eine Klage wegen einer Zuwiderhandlung gegen EU-Wettbewerbsrecht geltend gemacht wird, muss der Beklagte beweisen, dass der Kläger die Preisaufschläge abgewälzt hat (25). Die Beweislast bezieht sich auf das Vorliegen und den Umfang der Abwälzung des Preisaufschlags. Wenn die Einwendung der Schadensabwälzung vollständig oder teilweise Erfolg hat, kann der Kläger nach Artikel 12 Absatz 3 der Schadensersatzrichtlinie gemäß nationalem Verfahrensrecht unter Berücksichtigung des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes weiterhin Schadensersatz für den entgangenen Gewinn verlangen (26). In diesem Fall trägt der Kläger die Beweislast für den durch die Schadensabwälzung verursachten Mengeneffekt.

(22)

Die Schadensersatzrichtlinie enthält zudem anwendbare Vorschriften für das zweite Szenario, d. h., wenn ein mittelbarer Abnehmer einen Schaden geltend macht, der ihm aufgrund einer Abwälzung des Preisaufschlags entstanden ist. In diesem Szenario liegt die Beweislast für das Vorliegen und den Umfang einer solchen Schadensabwälzung beim mittelbaren Abnehmer, der gegenüber dem Rechtsverletzer Schadensersatzansprüche geltend macht.

(23)

In der Schadensersatzrichtlinie wird jedoch speziell auf die Schwierigkeiten eingegangen, denen sich mittelbare Abnehmer gegenübersehen, wenn sie Schadensersatz aufgrund der Abwälzung eines Preisaufschlags geltend machen (27). Artikel 14 Absatz 1 und Erwägungsgrund 41 der Schadensersatzrichtlinie verweisen auf die Tatsache, dass es gängige Geschäftspraxis sein kann, Preissteigerungen auf nachgelagerte Vertriebsstufen abzuwälzen. Bei Feststellung einer solchen Geschäftspraxis können sich nationale Gerichte auf Beweislasterleichterungen im Rahmen eines Anscheinsbeweises für eine Schadensabwälzung stützen. Diesbezüglich enthält Artikel 14 Absatz 2 der Schadensersatzrichtlinie die widerlegbare Vermutung, nach der angenommen wird, dass ein Kläger (d. h. der mittelbare Abnehmer) den Beweis dafür erbracht hat, dass eine Abwälzung von dem unmittelbaren auf den mittelbaren Abnehmer stattgefunden hat, sofern er die Erfüllung der folgenden Voraussetzungen nachweisen kann:

a)

Der Beklagte hat eine Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht begangen (28),

b)

die Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht hatte einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer des Beklagten zur Folge und

c)

der mittelbare Abnehmer hat Waren oder Dienstleistungen erworben, die Gegenstand der Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht waren, oder hat Waren oder Dienstleistungen erworben, die aus solchen hervorgingen oder sie enthielten.

(24)

Artikel 14 Absatz 2 der Schadensersatzrichtlinie findet keine Anwendung, wenn der Beklagte gegenüber dem Gericht glaubhaft machen kann, dass der Preisaufschlag nicht oder nicht vollständig an den mittelbaren Abnehmer weitergegeben wurde (29).

(25)

Aufgrund i) des Kompensationsprinzips, ii) der Praxis der Abwälzung von Preisaufschlägen und iii) der vorstehend genannten Vermutungen ist es möglich, dass Abnehmer auf verschiedenen Vertriebsstufen gleichzeitig Ansprüche geltend machen. In diesen Situationen sollten die nationalen Gerichte versuchen, sowohl eine Über- als auch eine Unterkompensation zu vermeiden (30). Dies kann unter anderem durch die — soweit möglich — hinreichende Berücksichtigung von anderen Schadensersatzklagen, die dieselbe Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht betreffen, von Urteilen, mit denen über solche Schadensersatzklagen entschieden wird, sowie von relevanten Informationen, die hinsichtlich der wettbewerbsbehördlichen Durchsetzung im jeweils vorliegenden Fall öffentlich zugänglich sind, erzielt werden (31). Es liegt im Interesse der Parteien einer Schadensersatzklage, das nationale Gericht über solche Klagen, Urteile oder Informationen zu unterrichten und zu erläutern, warum sie im vorliegenden Fall relevant sind.

(26)

Wenn bei den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten im Zusammenhang stehende Klagen anhängig sind, können nationale Gerichte Artikel 30 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (32) anwenden, auf den in der Schadensersatzrichtlinie Bezug genommen wird (33). Nach dem genannten Artikel können später angerufene nationale Gerichte das Verfahren aussetzen oder sich unter bestimmten Voraussetzungen für unzuständig erklären. Soweit das Recht eines Mitgliedstaats Vorschriften zur Verfahrensaussetzungen enthält, können die Gerichte dieses Mitgliedsstaates auch auf solche Vorschriften zurückgreifen.

(27)

Im Interesse der Kohärenz zwischen Urteilen in im Zusammenhang stehenden Verfahren sollten die nationalen Gerichte auch in Betracht ziehen, ob auf geeignete Verfahrensmittel zurückgegriffen werden kann, die ihnen nach nationalem Recht zur Verfügung stehen. In der Schadensersatzrichtlinie wird als Beispiel die Verbindung von Klagen angeführt (34). Außerdem wird in dieser Richtlinie auf die Möglichkeit verwiesen, dass eine Person den Anspruch einer anderen Person erwerben kann (35). Ziel eines solchen Erwerbs kann eine Bündelung von Ansprüchen sein, welche auch zur Kohärenz bei der gerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beitragen kann, die mit derselben Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht in Zusammenhang stehen (36).

(28)

Andere Instrumente wie z. B. Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, Streitverkündung oder Beteiligung Dritter sowie Möglichkeiten zur Verfahrensaussetzung können je nach nationalem Rechtssystem zur Anwendung kommen. So kann beispielsweise ein unmittelbarer Abnehmer der Schadensersatzklage eines mittelbaren Abnehmers gegen den Rechtsverletzer beitreten. In einem solchen Fall können sowohl der unmittelbare Abnehmer (der Streithelfer) als auch der Rechtsverletzer (der Beklagte) anführen, dass der Preisaufschlag nicht oder nicht vollständig an den mittelbaren Abnehmer (Kläger) abgewälzt wurde.

(29)

Die Verfügbarkeit der genannten Verfahrensmittel kann auch dann von Bedeutung sein, wenn ein nationales Gericht über die Verhältnismäßigkeit eines Offenlegungsantrags entscheidet. Die Verbindung einer Reihe kleinerer Klagen könnte beispielsweise den Streitwert in einem Ausmaß erhöhen, dass das Gericht die für eine kostenaufwendigere Sachverständigenanalyse geforderte Datenmenge als verhältnismäßig erachtet.

2.3.   Befugnis der Gerichte zur Schätzung der Schadensabwälzung

(30)

In Artikel 12 Absatz 5 der Schadensersatzrichtlinie wird ausdrücklich festgelegt, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass nationale Gerichte gemäß den nationalen Verfahren befugt sind, zu schätzen, welcher Teil eines Preisaufschlags weitergegeben wurde. Eine solche Befugnis umfasst sämtliche Auswirkungen der Schadensabwälzung, d. h. den Preis- und Mengeneffekt. Dies folgt auch aus Artikel 17 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie, der die Ermittlung des Schadensumfangs im Allgemeinen regelt.

(31)

Wenn die nationalen Gerichte von dieser Befugnis zur Schätzung Gebrauch machen, müssen sie die Vorschriften und Grundsätze berücksichtigen, die in der Schadensersatzrichtlinie sowie in der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH festgelegt sind. Das bedeutet, dass die Gerichte auch den ursächlich mit einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV zusammenhängenden Schaden auf der Grundlage des Kompensationsprinzips schätzen müssen. Mit anderen Worten muss der betreffende Schadensersatz das Ziel haben, die geschädigte Partei in die Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre (siehe Randnummer 12). Zu diesem Zweck müssen die nationalen Gerichte ihre Verfahrensinstrumente entsprechend einsetzen. So müssen sie insbesondere die relevanten Vorschriften zur Beweislast und dem Beweismaß so anwenden, dass die volle Wirksamkeit von Artikel 101 AEUV nicht beeinträchtigt wird.

(32)

Der EuGH befand beispielsweise im Fall Kone, dass die Opfer von Preisschirmeffekten Schadensersatz für durch Zuwiderhandlungen gegen das EU-Wettbewerbsrecht verursachte Schäden geltend machen können, und stellte fest, dass die volle Wirksamkeit von Artikel 101 AEUV beeinträchtigt würde, wenn bei der Anwendung des nationalen Rechts kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falles ihr Recht auf Schadensersatz ausgeschlossen würde. Der Fall Kone zeigt auch, dass sich bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen EU-Wettbewerbsrecht sowohl tatsächliche als auch rechtliche Fragen zur Kausalität ergeben können. Derartige Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung (37).

(33)

Gleichermaßen müssen nationale Gerichte, wenn sie, wie in der Schadensersatzrichtlinie festgelegt, den Schaden und den Teil der abgewälzten Preisaufschläge im Einklang mit nationalen Verfahren schätzen, den vorstehend angeführten Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz beachten. In Bezug auf die Befugnis zur Schätzung bedeutet dies, dass nationale Gerichte Vorbringen zur Schadensabwälzung nicht allein deswegen zurückweisen können, weil es der vortragenden Partei unmöglich ist, die Effekte der Schadensabwälzung präzise zu quantifizieren.

(34)

Darüber hinaus erfordert die Befugnis zur Schätzung nach Artikel 12 Absatz 5 und Artikel 17 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie, dass sich nationale Gerichte bei ihrer Beurteilung erstens auf die mit zumutbarem Aufwand verfügbaren Informationen stützen und zweitens einen Näherungswert für die Schadensabwälzung anstreben, der plausibel ist. Dies ergibt sich aus der Schadensersatzrichtlinie, die auf das Vorliegen von Informationsasymmetrien verweist und anerkennt, dass der Schadensumfang selten mit vollkommener Genauigkeit ermittelt werden kann (38). Die Ausübung der Befugnis zur Schätzung ist Gegenstand des nationalen Rechts. Tatsächlich kannten eine Reihe von Mitgliedstaaten bereits Vorschriften, die eine Befugnis zur Schätzung vorsehen, wie in der Schadensersatzrichtlinie angelegt (39).

(35)

In der Praxis müssen sich nationale Gerichte häufig auf Annahmen stützen, z. B. in Bezug auf hypothetische Preise, Absatzmengen oder Gewinne. Sie können daher über einen weiten Beurteilungsspielraum sowohl in Bezug auf die maßgeblichen statistischen Daten und Werte als auch vor allem in Bezug auf die Verwendung dieser Daten und Werte bei der Berechnung und Bemessung des Schadens verfügen (40). Darüber hinaus sind Annahmen in der Regel bei der Erstellung eines kontrafaktischen Szenarios zur Ermittlung der Schadensabwälzung und der Mengeneffekte wichtig, wie im nachstehenden Kapitel 4 beschrieben. Aufgrund dieser Bedeutung ist es ratsam, zu verlangen, dass in jeglichem Vortrag vor Gericht die Annahmen sorgfältig dargelegt werden und ausdrücklich auf die Sensitivität von Vorhersagen in Bezug auf eine Veränderung der Annahmen verwiesen wird, wie die Generaldirektion Wettbewerb dies in ihren „Best practices for the submission of economic evidence and data collection in cases concerning the application of Article 101 and 102 TFEU and in merger cases“ (Bewährte Verfahren für die Vorlage wirtschaftlichen Beweismaterials und die Datenerhebung in Fällen im Zusammenhang mit der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV und in Fusionsfällen) (im Folgenden „Best Practices“) fordert (41).

2.4.   Die Rolle von Beweismitteln

(36)

Die rechtliche Beurteilung der Schadensabwälzung erfordert in der Regel eine komplexe Analyse der zugrunde liegenden Tatsachen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Während die Erhebung der erforderlichen Beweismittel in der Regel ein wichtiger Bestandteil jeder Schadensersatzklage aufgrund von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV ist, kommt den Beweismitteln im Hinblick auf die Schadensabwälzung je nach den beiden vorstehend angeführten Szenarien und dem Umfang, in dem eine Vermutung eingreift, eine unterschiedliche Rolle zu (42). In jedem Fall können die tatsächlich relevanten und verfügbaren Fakten die Beweiserhebung und letztlich die Beurteilung der Schadensabwälzung bestimmen.

(37)

Die Art der erforderlichen Beweismittel für den Nachweis und die Quantifizierung der Schadensabwälzung hängt davon ab, welche der in den nachstehenden Kapiteln 5 und 6 beschriebenen ökonomischen Methoden verwendet werden. Für Beweismittel gibt es unterschiedliche Kategorisierungsmöglichkeiten, sie werden jedoch in der Regel in qualitative und quantitative Beweismittel kategorisiert. In der Schadensersatzrichtlinie selbst wird hervorgehoben, dass der Begriff „Beweismittel“ alle vor dem nationalen Gericht zulässigen Arten von Beweismitteln umfasst (43). Darunter kann Folgendes fallen:

qualitative Beweismittel für das Verständnis des Geschäftsgebarens oder der Preisstrategien, z. B. i) Verträge, ii) interne Unterlagen, iii) Finanz- und Rechnungslegungsberichte, iv) Zeugenaussagen, v) Sachverständigengutachten sowie vi) Branchenberichte und Marktstudien, oder

quantitative Beweismittel, die sich insbesondere auf Daten zur Verwendung ökonometrischer Techniken (44) beziehen, wie z. B. i) Absatzpreise, Einzelhandels- und Endverbraucherpreise für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen und für vergleichbare Waren oder Dienstleistungen, ii) Finanzberichte, iii) Sachverständigengutachten, iv) regulierte Preise, v) Mengenverkäufe, vi) Rabatte sowie vii) andere Inputkosten und Kostenelemente.

Wie den vorstehenden nicht erschöpfenden Aufzählungen zu entnehmen ist, können bestimmte Beweismittel als qualitativ und als quantitativ angesehen werden, so z. B. Finanzberichte und Sachverständigengutachten.

(38)

Wie im Praktischen Leitfaden allgemeiner erläutert, sind normalerweise die Eigenheiten des jeweiligen Falls und die vorliegenden Beweismittel der Ausgangspunkt für die Feststellung, ob eine Zuwiderhandlung zu einem Schaden für den Kläger geführt hat, und ggf. für die Ermittlung des Schadensumfangs (45). Die relevanten Beweismittel können direkte Beweise umfassen, zu denen — zumindest im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung — Dokumente, die vom unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer erstellt wurden, sowie Zeugenaussagen darüber, ob der Preisaufschlag abgewälzt wurde, zählen können. Die Verfügbarkeit solcher Beweismittel kann eine wichtige Rolle spielen, wenn ein Gericht entscheidet, ob und gegebenenfalls welche der im Folgenden dargelegten Methoden eine Partei verwenden kann, um das nach anwendbarem Recht erforderliche Beweismaß zu erfüllen.

(39)

Bei der Beurteilung der Schadensabwälzung müssen sich die nationalen Gerichte häufig mit ökonomischen Sachverständigengutachten befassen. Nach Maßgabe der nach nationalem Recht verfügbaren Mittel können diese Gutachten von Sachverständigen vorgelegt werden, die von einer Partei, vom Gericht selbst zum Zwecke der Unterstützung oder sowohl von einer Partei als auch vom Gericht bestellt wurden. Die nationalen Gerichte sind unter Umständen bestrebt, den ökonomischen Sachverständigen soweit möglich Orientierungshilfe zu geben — etwa in einem frühen Verfahrensstadium, wenn die Parteien die Offenlegung von Beweismitteln beantragen — und ihnen konkretere Fragen zu der anzuwendenden Methode für die Ermittlung des Schadensumfangs und den benötigten Daten zu stellen. Eine solche Orientierungshilfe und diesbezügliche Fragen können für die Bearbeitung von Schadensersatzklagen, aber auch für die inhaltliche Beurteilung relevant sein. Insbesondere können die nationalen Gerichte, wie oben erwähnt, bei der Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung prüfen, ob ein ökonomisches Sachverständigengutachten mit bewährten Vorgehensweisen im Einklang steht, z. B. ob die relevanten Annahmen und die Sensitivität von Vorhersagen in Bezug auf eine Veränderung dieser Annahmen sorgfältig dargelegt werden. So können die nationalen Gerichte die ökonomischen Sachverständigen ersuchen, alternative Erklärungen zu ihren Feststellungen zu liefern, Reproduzierbarkeit zu gewährleisten und die Parteien dazu Stellung nehmen zu lassen.

(40)

In der Schadensersatzrichtlinie sind Vorschriften zur Offenlegung von Beweismitteln festgelegt, um die wirksame Rechtsausübung zu gewährleisten und den Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren. Diese Vorschriften gelten für beide vorstehend erwähnten Abwälzungsszenarien. In Bezug auf das Szenario, in dem die Schadensabwälzung als Einwendung geltend gemacht wird, wird in Artikel 13 der Schadensersatzrichtlinie ausdrücklich erwähnt, dass der Beklagte in angemessener Weise die Offenlegung von dem Kläger oder von Dritten verlangen kann. Für ein Szenario, in dem ein mittelbarer Abnehmer Schadensersatzansprüche geltend macht, ist in Artikel 14 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie festgelegt, dass der mittelbare Abnehmer in angemessener Weise die Offenlegung von dem Beklagten oder von Dritten verlangen kann.

(41)

Diese Vorschriften der Schadensersatzrichtlinie beschränken die Offenlegung von Beweismitteln dahin gehend, dass die Partei, die die Beweislast für das Vorliegen und den Umfang der Schadensabwälzung trägt, nur in angemessener Weise Offenlegungen verlangen kann. Im Einklang mit den in Artikel 5 der Schadensersatzrichtlinie festgelegten Vorschriften über die Offenlegung kann das nationale Gericht verlangen, dass die Partei, die die Offenlegung beantragt, plausibel macht, dass der Schaden in Form des Preisaufschlags vom unmittelbaren auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzt wurde. Die Partei, die die Offenlegung beantragt, muss sich auf Tatsachen berufen, die ihr bereits mit zumutbarem Aufwand zugänglich sind. Im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung kann dies Informationen beinhalten, die im Rahmen der Geschäftsbeziehung mit der anderen Partei gesammelt wurden, oder die mit zumutbarem Aufwand von Dritten, wie z. B. Marktforschungsunternehmen, eingeholt werden können.

(42)

Im ersten Satz von Artikel 5 Absatz 3 der Schadensersatzrichtlinie ist der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verankert, der vorschreibt, „dass die von den nationalen Gerichten angeordnete Offenlegung von Beweismitteln verhältnismäßig ist“. Dieser Grundsatz ist wichtig für die Bearbeitung von Schadensersatzklagen aufgrund von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV. Wie vorstehend erwähnt, wenden Richter nationale Verfahrensvorschriften an und müssen ein besonderes Augenmerk auf den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz legen. Im Rahmen dieser rechtlichen Vorschriften können die nationalen Gerichte allerdings die Kosten und den Nutzen der Anordnung einer Offenlegung von Beweismitteln berücksichtigen. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die nationalen Gerichte zu dem Ergebnis kommen können, dass die von den Parteien vorgelegten Beweismittel bereits ausreichen, um den Teil des abgewälzten Preisaufschlags zu schätzen.

(43)

Die Offenlegung von Beweismitteln kann von der gegnerischen Partei oder von Dritten durch das nationale Gericht unter dessen strenger Kontrolle beantragt werden. Der Antrag muss genau bezeichnete einzelne Beweismittel oder Kategorien von Beweismitteln betreffen (46). Sofern das nationale Gericht die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Schutzes berechtigter Interessen berücksichtigt, kann es unter Umständen auch anordnen, dass Beweismittel, die vertrauliche Informationen enthalten, der Partei offengelegt werden, die die Beweislast für die Schadensabwälzung trägt. Diese Informationen können beispielsweise Dokumente oder Daten zu Einnahmen, Preisen oder Margen umfassen. Bei der Anordnung der Offenlegung solcher Beweismittel müssen die nationalen Gerichte indes darauf achten, dass wirksame Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen ergriffen werden (47). In der Schadensersatzrichtlinie wird auf einige solcher Maßnahmen verwiesen, etwa die Unkenntlichmachung sensibler Passagen von Dokumenten, die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Beschränkung des zur Kenntnisnahme der Beweismittel berechtigten Personenkreises und die Anweisung an Sachverständige, eine Zusammenfassung der Informationen in aggregierter oder sonstiger nichtvertraulicher Form vorzulegen (48). Im Einklang mit nationalem Recht können die nationalen Gerichte auch Maßnahmen in Erwägung ziehen, die in den Best Practices (z. B. Datenraumverfahren) (49) oder in Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie über Geschäftsgeheimnisse (50) genannt sind.

(44)

Die Offenlegung von Beweismitteln, die Bestandteil der Akte einer Wettbewerbsbehörde sind, kann für die Ermittlung des Preisaufschlags möglicherweise relevant sein, hat im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung jedoch in der Regel weniger Relevanz (insbesondere, da die Abwälzung von Preisaufschlägen das Preisverhalten von Abnehmern betrifft, über das die Wettbewerbsbehörde normalerweise keine Informationen besitzt). Die nichtvertrauliche Fassung der Zuwiderhandlungsentscheidung kann allgemeinere Informationen enthalten, die möglicherweise relevant sind, wie Informationen darüber, welche Waren oder Dienstleistungen Gegenstand des wettbewerbswidrigen Verhaltens waren. Nach Artikel 6 Absatz 10 der Schadensersatzrichtlinie stellt die Offenlegung von Beweismitteln durch eine Wettbewerbsbehörde das letzte Mittel dar.

(45)

Zu guter Letzt können, wie in Artikel 15 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie dargelegt, auch Schadensersatzklagen, die dieselbe Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht betreffen, sowie damit zusammenhängende Urteile eine für die Ermittlung der Schadensabwälzung relevante Informationsquelle bilden.

3.   WIRTSCHAFTSTHEORIE DER SCHADENSABWÄLZUNG

3.1.   Übersicht

(46)

Die Abwälzung von Preisaufschlägen und der damit verbundene Preis- und Mengeneffekt entstehen dadurch, dass für Unternehmen ein Anreiz besteht, auf Kostensteigerungen mit Preissteigerungen zu reagieren (51). Der ursprüngliche Preisaufschlag kann als Anstieg der Inputkosten für den unmittelbaren Abnehmer aufgefasst werden. Zur Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung würde das Gericht typischerweise berücksichtigen müssen, welche Auswirkungen solche Kostensteigerungen auf 1) die durch den unmittelbaren Abnehmer auf den nachgelagerten Vertriebsstufen festgelegten Preise und 2) die Höhe der Absatzeinbußen des unmittelbaren Abnehmers hätten.

(47)

Nationale Gerichte schätzen die Schadensabwälzung auf der Grundlage der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Ein allgemeines Verständnis der Wirtschaftstheorie der Schadensabwälzung und der einschlägigen Auswirkungen kann für das Gericht jedoch aus verschiedenen Gründen wichtig sein. Erstens können Vorhersagen auf Grundlage der Wirtschaftstheorie ein Faktor von mehreren sein, die für die Beurteilung relevant sind, ob das erforderliche Beweismaß in einem bestimmten Fall erfüllt ist. Beispielsweise gibt die Wirtschaftstheorie dem Gericht einen Rahmen, innerhalb dessen quantitative und qualitative Beweismittel bewertet werden können (52). Zweitens kann die Wirtschaftstheorie Richtern vor allem in einem frühen Stadium eines Rechtsstreits als Unterstützung dienen, wenn sie Entscheidungen über die Offenlegung von Daten oder Informationen treffen und dabei deren Relevanz beurteilen müssen. Drittens können theoretische oder konzeptuelle Erwägungen auch die Grundlage für die Würdigung der Glaubhaftigkeit und Verlässlichkeit der verschiedenen wirtschaftlichen Erklärungen bilden, die den von den Parteien geltend gemachten Zusammenhang zwischen Preisaufschlag und Abwälzung stützen.

(48)

In der Schadensersatzrichtlinie wird nicht unterschieden zwischen Schäden aufgrund 1) von Preissteigerungen (Preiseffekten) und der Abwälzung solcher Preisaufschläge einschließlich des Mengeneffekts und 2) anderen sich ergebenden Effekten wie einer Qualitätsminderung der Waren oder der Behinderung von Innovationen (nicht preisbezogenen Effekten). Diese Leitlinien legen den Schwerpunkt auf die Abwälzung von Preissteigerungen und die damit verbundenen Mengeneffekte (53).

(49)

Nach der Wirtschaftstheorie werden das Vorliegen und der Umfang der Auswirkungen der Schadensabwälzung, d. h. die damit verbundenen Preis- und Mengeneffekte, durch eine Reihe von Faktoren bestimmt (54). Diese Faktoren wirken sich gleichzeitig auf das Ergebnis eines Schadensabwälzungsszenarios aus. Daher sollte ihre gegenseitige Abhängigkeit berücksichtigt werden.

(50)

Die relative Bedeutung der einzelnen Faktoren kann sich von Fall zu Fall unterscheiden. Somit kann es für den Richter relevant sein, zu verstehen, welche Faktoren sich höchstwahrscheinlich auf den Grad der Schadensabwälzung in einem bestimmten Fall auswirken. Zu diesem Zweck kann sich der Richter je nach nationalem Recht auf Erläuterungen der von den Parteien herangezogenen ökonomischen Sachverständigen oder des vom Gericht selbst bestellten ökonomischen Sachverständigen beziehen. Darüber hinaus dürfte ein Unternehmen in der Praxis nicht immer Preisentscheidungen treffen, die mit den auf Grundlage der Wirtschaftstheorie getroffenen Vorhersagen gänzlich übereinstimmen. Daher ist es wichtig, die wirtschaftstheoretischen Erkenntnisse auch im Lichte der im jeweiligen Fall verfügbaren Beweismittel zu beurteilen. Solche Beweismittel können sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur sein, zum Beispiel interne Unterlagen, die den Grad der Schadensabwälzung beschreiben, und die im nachstehenden Kapitel 4 beschriebenen quantitativen Methoden.

(51)

Wie in Anhang 1 ausführlicher dargelegt, sind nach der Wirtschaftstheorie die wichtigsten Faktoren in Bezug auf das Vorliegen und den Umfang der Auswirkungen der Schadensabwälzung u. a. folgende:

i)

die Art der Inputkosten (55), die Gegenstand eines Preisaufschlags sind (ob dies nun fixe oder variable Kosten sind, ob durch die Zuwiderhandlung die Kosten nur für einen Kunden, für alle Kunden oder für die große Mehrheit der Kunden auf dem jeweiligen Markt steigen),

ii)

die Art der Warennachfrage bei unmittelbaren oder mittelbaren Kunden (insbesondere der Zusammenhang zwischen der Nachfrage und dem Preisniveau),

iii)

die Stärke und Intensität des Wettbewerbs auf den Märkten, auf denen die unmittelbaren oder mittelbaren Kunden tätig sind, und

iv)

weitere Elemente wie Preisanpassungskosten, die Auswirkungen des Preisaufschlags auf die Kostenverteilung eines Unternehmens, die Nachfragemacht, die vertikale Integration der unmittelbaren und mittelbaren Kunden, Preisregulierung oder die Zeitpunkte, zu denen die Preisentscheidungen auf den jeweiligen Vertriebsstufen getroffen wurden.

(52)

Erstens beeinflusst die Art der Inputkosten, die von Preisaufschlägen betroffen sind, ob und in welchem Umfang der Preisaufschlag abgewälzt werden kann. Wenn der Preisaufschlag die Kosten des unmittelbaren Abnehmers beeinflusst, die nicht von der Inputmenge abhängig sind (d. h. Fixkosten), ist eine Abwälzung weniger wahrscheinlich, da solche Kosten die Preisfestlegung der unmittelbaren Abnehmer in der Regel nicht oder zumindest nicht kurzfristig beeinflussen. Langfristig können jedoch auch Fixkosten strategische Entscheidungen eines Unternehmens beeinflussen, z. B. die Produktionskapazität, was wiederum Auswirkungen auf den darauf folgenden (kurzfristigen) Preisbildungsmechanismus haben kann. In einem solchen Szenario können auch die Fixkosten abgewälzt werden. Wenn der Preisaufschlag dagegen die Kosten des unmittelbaren Abnehmers beeinflusst, die von der Inputmenge abhängig sind (d. h. variable Kosten), ist die Wahrscheinlichkeit in der Regel größer, dass er, zumindest teilweise, abgewälzt wird. Der Grund dafür ist, dass die Grenzkosten (eine Unterkategorie der variablen Kosten, die definiert werden kann als Kostensteigerung, die beim Kauf eines zusätzlichen Inputs entsteht) (56) die Entscheidungen unmittelbarer Abnehmer bei der Preisfestlegung in der Regel beeinflussen (57).

(53)

Zweitens beeinflusst die Warennachfrage, der sich der unmittelbare Kunde gegenübersieht, die Höhe der Schadensabwälzung. Ein Standardpreisbildungsmechanismus basiert darauf, dass die Nachfrage, die ein Unternehmen bedient (d. h. die Menge, die es verkauft), sinkt, wenn es seine Preise erhöht. Wie stark ein unmittelbarer Abnehmer seine eigenen Preise aufgrund von Preisaufschlägen erhöht, hängt davon ab, ob sich eine solche Preisänderung stark auf die Nachfrage auswirkt oder nicht. Wenn der unmittelbare Abnehmer zum Beispiel über ein Monopol verfügt, die Nachfrage nach seinen Waren auf allen Preisniveaus gleich sensibel auf Preisänderungen reagiert und seine Grenzkosten konstant sind, legt die Wirtschaftstheorie nahe, dass die Hälfte der Preisaufschläge abgewälzt wird. Sinkt die Nachfrage nach Waren eines Monopolisten bei Preissteigerungen „immer mehr“ (d. h. mit zunehmender Rate), ist es im Vergleich zu einer Situation, in der die Nachfrage nach Waren eines Monopolisten bei Preissteigerungen „immer weniger“ (d. h. mit abnehmender Rate) sinkt, weniger wahrscheinlich, dass der Preisaufschlag abgewälzt wird, wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben (58).

(54)

Drittens beeinflussen auch die Art und die Intensität der wettbewerblichen Interaktion zwischen den Unternehmen auf dem Markt, auf dem die unmittelbaren Abnehmer tätig sind, den Umfang der Schadensabwälzung. Es ist wichtig zu beachten, dass die Auswirkung eines stärkeren Wettbewerbs auf den Grad der Schadensabwälzung davon abhängt, ob der ursprüngliche Preisaufschlag nur den unmittelbaren Kunden (unternehmensspezifischer Preisaufschlag) oder auch die Wettbewerber des unmittelbaren Kunden (branchenweiter Preisaufschlag) betrifft. Wenn der Preisaufschlag nur einen unmittelbaren Abnehmer betrifft, der mit anderen unmittelbaren Abnehmern in einem scharfen Wettbewerb steht, ist eine Schadensabwälzung weniger wahrscheinlich, als wenn nur schwacher Wettbewerbsdruck auf den einzigen betroffenen unmittelbaren Abnehmer ausgeübt wird. Bei branchenweiten Preisaufschlägen bewirkt eine große Anzahl an stark konkurrierenden unmittelbaren Abnehmern in der Regel eine stärkere Abwälzung dieser Preisaufschläge als dies in einer Situation der Fall ist, in der ein schwächerer Wettbewerb unter diesen unmittelbaren Abnehmern herrscht (59).

(55)

In einer Reihe von Urteilen nationaler Gerichte zu Schadensersatzklagen wird betont, dass es wichtig ist zu berücksichtigen, wie die Nachfrage auf Preisänderungen reagiert, wie stark der Wettbewerb ist und ob Wettbewerber des unmittelbaren Abnehmers von den Preisaufschlägen betroffen sind (60).

(56)

Viertens können, wie in Randnummer 51 und in Anhang 1 erwähnt, unter bestimmten Umständen auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle beim Preisbildungsmechanismus des unmittelbaren Abnehmers und damit auch bei der Abwälzung des Preisaufschlags durch denselben spielen. Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Ermittlung der Schadensabwälzung ist beispielsweise die Frage, ob der durch den Preisaufschlag betroffene Input einen großen oder kleinen Teil der variablen Kosten des unmittelbaren Abnehmers ausmacht. Einem unmittelbaren Abnehmer können bei der Änderung seiner Preise sogenannte „Preisanpassungskosten“ entstehen. Wenn der Preisaufschlag nur einen geringen Anteil der variablen Kosten ausmacht, hält der unmittelbare Abnehmer es möglicherweise nicht für gewinnbringend, einen solchen Preisaufschlag aufgrund von Preisanpassungskosten abzuwälzen. Weitere Aspekte, welche den Grad der Schadensabwälzung beeinflussen können, sind beispielsweise der Grad der Nachfragemacht oder die Zeitpunkte, zu denen die Preisentscheidungen auf den jeweiligen Vertriebsstufen getroffen wurden. Einige dieser in Randnummer 51 genannten Faktoren wurden in Fällen zur Schadensabwälzung von nationalen Gerichten ebenfalls berücksichtigt (61).

(57)

Das Vorliegen und der Umfang der Schadensabwälzung hängen mit dem Rückgang des Absatzes zusammen, der in der Regel mit Preissteigerungen einhergeht. Wie vorstehend beschrieben, wird der Rückgang des Absatzes als Mengeneffekt bezeichnet, den ein Abnehmer als entgangenen Gewinn geltend machen kann. Der Mengeneffekt entsteht, da der Abnehmer sich normalerweise einer abwärts gerichteten Nachfragekurve gegenübersieht. Wenn der ursprüngliche Preisaufschlag auf nachgelagerte Vertriebsstufen abgewälzt wird, entsteht ein Mengeneffekt auf allen Ebenen der vertikalen Kette. Deshalb müssen die Gerichte einen solchen Effekt bei Klagen, die Schadensersatzansprüche für Mengeneffekte beinhalten, unter Umständen ebenfalls schätzen.

(58)

Wie vorstehend erwähnt, hat jeder, der Opfer einer Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht geworden ist, das Recht, den vollständigen Ersatz des erlittenen Schadens zu fordern, der in kausalem Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung steht. Wenn die Schadensabwälzung geltend gemacht wird, kann eine Beurteilung des Mengeneffekts wichtig sein, um den Schaden in Form eines Preisaufschlags im Rahmen einer Schadensersatzklage zu ermitteln. Es sei angemerkt, dass in einem solchen Fall eine Schätzung des vollständigen Schadens durch einfaches Abziehen des mit der Schadensabwälzung verbundenen Preiseffekts von den Auswirkungen des Preisaufschlags zu einer Unterschätzung des von den unmittelbaren oder mittelbaren Kunden erlittenen Schadens führen würde, wenn der Mengeneffekt nicht berücksichtigt wird.

(59)

Die durch Preisaufschläge verursachten Absatzeinbußen werden durch die Sensibilität der Nachfrage bei dem Abnehmer und die Reaktion seiner Wettbewerber auf die Preisaufschläge beeinflusst. Wenn der Abnehmer zum Beispiel einer unelastischen Nachfrage ausgesetzt ist, d. h., wenn seine Kunden nur in geringem Maße sensibel auf Preissteigerungen reagieren, führen diese Preissteigerungen nur zu einem relativ geringen Rückgang der verkauften Menge. Dies führt bei Gleichbleiben aller anderen Faktoren zu einem geringeren Mengeneffekt, als es bei einer elastischeren Nachfrage der Fall ist. Wenn die Wettbewerber des Abnehmers ihre Preise infolge von Preisaufschlägen ebenfalls erhöhen, könnte dies auch eine Verringerung der Auswirkungen der Preissteigerungen des Abnehmers auf seinen Absatz zur Folge haben (62).

3.2.   Beispiele

(60)

Die nachstehenden hypothetischen Beispiele sollen die Relevanz der wirtschaftstheoretischen Erkenntnisse veranschaulichen, die in diesem Abschnitt und in Anhang 1 erläutert werden.

(61)

Beispiel 1 beschreibt unternehmensspezifische Preisaufschläge in einem Markt mit starkem Wettbewerb.

Beispiel 1

Situation: Auf einem relevanten Markt sind 10 Apfelsafthersteller tätig. Einer der Hersteller kauft Äpfel von einem Lieferanten, der einem Preiskartell angehört. Dieser Apfelsafthersteller macht Schadensersatzansprüche für einen Preisaufschlag geltend. Der Beklagte (der Apfellieferant) macht die Einwendung der Schadensabwälzung geltend und bringt vor, dass der Apfelsafthersteller den gesamten Preisaufschlag auf die mittelbaren Abnehmer abgewälzt habe.

Analyse: Der Apfelsafthersteller, der den Preisaufschlag zahlen soll, steht in starkem Wettbewerb mit neun anderen Unternehmen, die Apfelsaft herstellen und liefern. Die gesamte Ware, die von den zehn Unternehmen verkauft wird, wird von den Verbrauchern als nahezu gleichartig wahrgenommen. Sofern die anderen Hersteller keine Äpfel von den Kartellmitgliedern beziehen, sondern sie zu einem niedrigeren Preis anderswo einkaufen können, hat der Hersteller, der beim Kartell einkaufen muss, gegenüber seinen Wettbewerbern einen Wettbewerbsnachteil. Die Möglichkeit des Apfelsaftherstellers, die Kostensteigerungen abzuwälzen, würde somit dadurch eingeschränkt, dass er in großem Umfang Absatz (und Gewinn) an seine Wettbewerber verlieren würde, wenn er die Preisaufschläge — auch nur zum Teil — abwälzen würde. Je stärker der Wettbewerb zwischen den zehn Apfelsaftherstellern ist, desto begrenzter ist der Umfang, in dem Kostensteigerungen abgewälzt werden können. In diesem Szenario wird der unmittelbare Kunde somit in der Regel nicht in der Lage sein, die Kostensteigerungen (den Preisaufschlag) abzuwälzen.

(62)

In Beispiel 2 geht es um branchenweite Preisaufschläge bei starkem Wettbewerb.

Beispiel 2

Situation: Alle 10 Apfelsafthersteller aus Beispiel 1 kaufen Äpfel von Zulieferern, die einem Preiskartell angehören. Die Mitglieder des Kartells machen geltend, dass sämtliche Preisaufschläge an die mittelbaren Abnehmer abgewälzt werden.

Analyse: Die Apfelsafthersteller sind den Preisaufschlägen in vergleichbarer Weise ausgesetzt und der Markt ist von Wettbewerb geprägt. Da alle Hersteller dem Preisaufschlag ausgesetzt sind, gibt es kein Unternehmen, das gegenüber den übrigen einen Wettbewerbsnachteil hätte. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlicher, dass im Gegensatz zu dem Fall in Beispiel 1 (in dem der Preisaufschlag unternehmensspezifisch ist) alle Apfelsafthersteller den Preisaufschlag weitgehend abwälzen werden. Als Erläuterung sei angeführt, dass der Preis in einem vollständig von Wettbewerb geprägten Markt den Grenzkosten entspricht, und der Kostenanstieg eines Inputs deshalb unmittelbar zu einer Preissteigerung in gleicher Höhe führt.

(63)

In Beispiel 3 wird der Grad der Schadensabwälzung bei Monopolisten beschrieben, bei denen die Nachfrage unterschiedlich ist.

Beispiel 3

Situation: Apfelsafthersteller A hat auf dem Markt für die Apfelsaftherstellung in Mitgliedstaat 1 eine Monopolstellung inne, während Apfelsafthersteller B in demselben sachlichen Markt in Mitgliedstaat 2 Monopolist ist. Die Kosten für die Herstellung einer zusätzlichen Einheit Apfelsaft sind konstant und für A und B gleich.

Beide Apfelsafthersteller kauften Äpfel von C, einem Lieferanten, der einem Preiskartell angehört. Folglich mussten A und B einen Preisaufschlag von 6 EUR pro Kiste Äpfel bezahlen, da sie Äpfel von C kauften.

A und B sahen sich in den jeweiligen Mitgliedstaaten einer unterschiedlichen Nachfrage durch Einzelhandelsketten für Lebensmittel gegenüber. In Mitgliedstaat 1 reagierte die Nachfrage auf allen Preisstufen ähnlich sensibel auf Preisänderungen (die Nachfrage war linear, siehe Kasten 15). In Mitgliedstaat 2 war dies nicht der Fall. Dort sank die Nachfrage bei Preissteigerungen „immer weniger“ (d. h. mit abnehmender Rate) (die Nachfrage war konvex, siehe ebenfalls Kasten 15).

A und B fordern von C (dem Kartellmitglied) Ersatz für den durch die Preisaufschläge verursachten Schaden. C macht die Einwendung der Schadensabwälzung geltend und führt an, dass A und B die Hälfte des Preisaufschlags abgewälzt haben.

Analyse: Die Monopolisten in Mitgliedstaat 1 und Mitgliedstaat 2 sahen sich im jeweiligen Mitgliedstaat einer unterschiedlichen Nachfrage der Einzelhandelsketten für Lebensmittel gegenüber. Ihre Kosten für die Herstellung einer zusätzlichen Einheit Apfelsaft waren konstant. Der Preisaufschlag von 6 EUR pro Kiste Äpfel wurde als Zunahme der Grenzkosten für beide Hersteller angesehen. Der Umfang, in dem die Hersteller infolge solcher Kostensteigerungen ihre Preise nach oben anpassen können, hängt davon ab, wie viel Ware sie zur Abwälzung eines bestimmten Teils der Kostenänderungen, d. h. Preissteigerungen, mit Verlust verkaufen müssen.

Der Grund dafür ist folgender: Wenn die Absatzeinbußen bei Preissteigerungen relativ gering ausfallen, sind Preissteigerungen attraktiver, als wenn die Absatzeinbußen hoch sind. Die Absatzeinbußen bei Preissteigerungen stehen im Zusammenhang mit der Krümmung der Kurve, die die Nachfrage bei einem Monopolisten abbildet. Diese kann linear, konvex oder konkav sein. Siehe dazu auch Kasten 15.

In Bezug auf Monopolist A in Mitgliedstaat 1 könnte aufgrund der Wirtschaftstheorie argumentiert werden, dass der Monopolist die Hälfte des Preisaufschlags, d. h. 3 EUR, abgewälzt hat. Da die Nachfrage bei Monopolist B jedoch konvex war, wäre die verbleibende Nachfrage mit steigenden Preisen weniger preissensibel gewesen. Im Gegensatz zu A (bei dem die Nachfrage linear war), hätte B bei Erhöhung seiner Preise um 3 EUR geringere Absatzeinbußen gehabt. Das bedeutet, dass B einen Anreiz hatte, mehr als 3 EUR abzuwälzen.

(64)

In Beispiel 4 wird auf die Frage von Preisanpassungskosten sowie von variablen Kosten gegenüber Fixkosten auf kurze sowie lange Sicht eingegangen.

Beispiel 4

Situation: Unternehmen A und B sind die einzigen Unternehmen, die Turmdrehkräne in Mitgliedstaat 1 besitzen und vermieten. Von 2005 bis 2015 waren Unternehmen A und B an einem Kartell beteiligt und vereinbarten, den Mietpreis von Turmdrehkränen um 80 % zu erhöhen. Unternehmen C ist eine in mehreren Städten in Mitgliedstaat 1 tätige Baufirma. Das Unternehmen plant, baut und verkauft Wohnungen in Hochhäusern an Endkunden. Die Wohnungspreise werden in einer Reihe unterschiedlicher Medien und Standorte bekannt gemacht, u. a. im Internet, in Zeitungen und auf Plakaten. Die nationale Wettbewerbsbehörde in Mitgliedstaat 1 hat festgestellt, dass die Preisabsprachen im Bausektor gegen Wettbewerbsrecht verstoßen, und ihre Entscheidung, Geldbußen gegen die Kartellmitglieder zu verhängen, wurde weder von Unternehmen A noch von Unternehmen B angefochten.

Unternehmen C ist ein unmittelbarer Kunde des Kartells. Das Unternehmen hat von den Kartellmitgliedern A und B Schadensersatz gefordert. Die Unternehmen A und B haben jedoch die Schadensabwälzung als Einwendung geltend gemacht und behaupteten, dass Unternehmen C den gesamten Preisaufschlag an die mittelbaren Abnehmer, d. h. die Endkunden, die Wohnungen in den Hochhäusern kauften, abgewälzt habe.

Analyse: Die Anmietung von Turmdrehkränen ist eine von vielen Inputkosten, die das Unternehmen C bei der Planung und dem Bau von Hochhäusern zu tragen hat. Beispiele für andere Inputkosten sind Rohstoffe wie Stahl und Beton, Arbeitskosten und Finanzierungskosten. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Anmietung von Turmdrehkränen nur einen geringen Teil der Gesamtkosten ausmacht. Da die Wohnungspreise auf breiter Ebene bekannt gemacht werden, können Unternehmen C erhebliche Preisanpassungskosten entstehen. Angesichts der Tatsache, dass das Kartell über einen Zeitraum von zehn Jahren bestanden hatte, können die Preisanpassungskosten im Vergleich zu dem Preisaufschlag nach einem bestimmten Zeitraum allerdings unerheblich sein, sodass Unternehmen C den Anreiz erhält, den Preisaufschlag bei der Festsetzung der Preise für die Wohnungen zu berücksichtigen. Deshalb kann es möglich sein, dass Unternehmen C aufgrund der Preisanpassungskosten keinen Anreiz hat, den Preisaufschlag auf kurze Sicht abzuwälzen. Jedoch kann sich der Anreiz für die Abwälzung des Preisaufschlags im Laufe des Zuwiderhandlungszeitraums ändern. Zur Beurteilung der tatsächlichen Schadensabwälzung im maßgeblichen Zeitraum sollte das Gericht daher die Auswirkungen der Schadensabwälzung auf Grundlage der verfügbaren Beweismittel schätzen, beispielsweise anhand einer der in Kapitel 4 genannten Methoden.

4.   ERMITTLUNG DER SCHADENSABWÄLZUNG UND DES MENGENEFFEKTS — ALLGEMEINE ASPEKTE

(65)

Der Ersatz für erlittenen Schaden zielt darauf ab, die geschädigte Partei in die Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre. Um diese Lage zu beurteilen, muss die beobachtete Situation, d. h. die Situation, in der die Zuwiderhandlung begangen wurde, mit einer hypothetischen Situation, in der die Zuwiderhandlung nicht begangen wurde, verglichen werden. Diese hypothetische Situation wird als „kontrafaktisches Szenario“ bezeichnet.

(66)

Zweck eines kontrafaktischen Szenarios ist es, die Auswirkungen der Zuwiderhandlung von anderen Faktoren zu isolieren, die den Preis einer Ware oder Dienstleistung beeinflusst hätten, auch wenn die Zuwiderhandlung nicht begangen worden wäre (63). Ein Anstieg der Nachfrage führt beispielsweise auch bei Nichtvorliegen eines Kartells für gewöhnlich zu einer Preissteigerung. Unmittelbare oder mittelbare Abnehmer sollten jedoch keinen Ersatz für diese Auswirkungen erhalten. Somit ist es bei der Erstellung eines kontrafaktischen Szenarios erforderlich, zu prüfen, ob Faktoren vorliegen, die nicht mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen (64).

(67)

Da das kontrafaktische Szenario hypothetisch ist, kann es nicht direkt beobachtet werden. Wie im Folgenden dargelegt, wurden in den Wirtschaftswissenschaften und der Rechtsprechung verschiedene Methoden und Techniken entwickelt, um kontrafaktische Szenarien zu erstellen. Diese Methoden und Techniken unterscheiden sich hinsichtlich der zugrunde liegenden Annahmen und der Vielfalt der erforderlichen Daten.

(68)

Während diese Methoden eine Einschätzung erlauben, wie sich der Markt ohne die Zuwiderhandlung entwickelt hätte, können für die Ermittlung des Schadens in einem konkreten Fall wichtige Informationen nach Maßgabe der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften auch direkten Beweisen entnommen werden, die den Parteien und dem Gericht vorliegen (z. B. interne Unterlagen, in denen beschrieben wird, wie der unmittelbare Abnehmer den ursprünglichen Preisaufschlag in einer konkreten Situation abgewälzt hat) (65).

(69)

Wenn sich nationale Gerichte in einer Schadensersatzklage wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht mit der Schadensabwälzung befassen müssen, müssen sie unter Umständen drei Komponenten des Schadens berücksichtigen, für den ein unmittelbarer oder mittelbarer Abnehmer Ersatz verlangen kann: den Preisaufschlag, den durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekt und den durch die Schadensabwälzung verursachten Mengeneffekt (66). Die nationalen Gerichte und die ökonomischen Sachverständigen können diese drei Komponenten nacheinander, d. h. in einem aus drei Schritten bestehenden Verfahren, schätzen, das im Folgenden beschrieben wird.

(70)

Im ersten Schritt kann der Preisaufschlag quantifiziert bzw. geschätzt werden. Dazu kann eine Reihe verschiedener Methoden herangezogen werden. Die von den Parteien und Gerichten am häufigsten verwendeten Methoden zur Schätzung des ursprünglichen Preisaufschlags sind die sogenannten Vergleichsmethoden. Die verschiedenen Methoden zur Schätzung des Preisaufschlags werden im Praktischen Leitfaden eingehend behandelt.

(71)

Ein zweiter Schritt beinhaltet die Schätzung des Umfangs des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts. Das Ausmaß dieses Effekts kann unmittelbar geschätzt werden, indem Vergleichsmethoden, d. h. ähnliche Methoden wie bei der Ermittlung des Preisaufschlags, verwendet werden. Wenn bestimmte Annahmen erfüllt sind, kann das Ausmaß dieses Effekts auch mittelbar geschätzt werden. Dazu kann die Rate, mit der die Steigerung der betroffenen Inputkosten hätte abgewälzt werden sollen, geschätzt und diese Schätzung mit Informationen über Preisaufschlag und Absatz kombiniert werden. In den Abschnitten 5.1 bis 5.2 wird ein Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Ermittlung dieser Effekte gegeben.

(72)

In einem dritten Schritt wird der durch die Schadensabwälzung verursachte Mengeneffekt geschätzt. Der Mengeneffekt kann wie der durch die Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt unmittelbar oder mittelbar geschätzt werden. In den Abschnitten 6.2 und 6.3 werden unterschiedliche Ansätze zur Ermittlung dieser Effekte dargelegt.

(73)

Andere Ansätze wie das Simulationsmodell, bei dem die durch die Schadensabwälzung verursachten Preis- und Mengeneffekte gleichzeitig berücksichtigt werden, können ebenfalls verwendet werden, um Schäden in Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten im Zusammenhang mit einer Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht zu ermitteln. Das Simulationsmodell wird in Abschnitt 5.2 kurz erläutert.

4.1.   Für die Ermittlung der Auswirkungen der Schadensabwälzung erforderliche Daten und Informationen

(74)

Wie in Abschnitt 2.2 erläutert, enthält die Schadensersatzrichtlinie Vorschriften zur Regelung der Offenlegung von Beweismitteln. Daten und Informationen, die den Parteien oder Dritten vorliegen, sind wichtige Faktoren bei der Durchführung fundierter ökonomischer Analysen hinsichtlich der Auswirkungen der Schadensabwälzung. Daher kann es bei der Ermittlung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts sinnvoll sein, zunächst festzustellen, ob Daten erforderlich und verfügbar sind, um das kontrafaktische Szenario zu erstellen.

(75)

Bei der Entscheidung darüber, welche Art von Daten und Informationen in einem bestimmten Fall relevant sind, kann es für den Richter hilfreich sein, die in Kapitel 3 dargelegten allgemeinen wirtschaftstheoretischen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Diese Erkenntnisse können außerdem relevant sein, wenn der Richter einander widersprechende Ansichten von ökonomischen Sachverständigen beurteilen muss (67). Des Weiteren erfordern die für die Schätzung der Schadensabwälzung relevanten Daten je nach Art in der Regel eine gute Kenntnis der betreffenden Branche und der vorherrschenden Markteigenschaften in dem jeweiligen Fall. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, zunächst Unterlagen heranzuziehen, die die Plausibilität eines tatsächlichen Vorliegens der Schadensabwälzung zeigen, wie zum Beispiel bereits ergangene Gerichtsurteile, Dokumente über parallele Zivilverfahren auf derselben oder einer anderen Vertriebsstufe desselben Marktes, Marktstudien oder Beschlüsse von Wettbewerbsbehörden, die die Marktdynamik beschreiben (68).

(76)

Das Gericht muss unter Umständen sowohl qualitative als auch quantitative Beweismittel berücksichtigen (69). Qualitative Beweismittel, wie zum Beispiel interne Dokumente zur Preisfestsetzung, zur Strategie, zu Verträgen und zur Finanzberichterstattung, können im Kontext der Wirtschaftstheorie analysiert werden. Sie können auch Aufschluss darüber geben, ob es Beweise für einen Zusammenhang zwischen der Preisfestsetzung auf nachgelagerten Vertriebsstufen und dem durch die Zuwiderhandlung verursachten Preisaufschlag auf vorgelagerten Vertriebsstufen gibt.

(77)

Um ein kontrafaktisches Szenario zu erstellen und zu prüfen, ob die Schadensabwälzung von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird, sind in vielen Fällen aber auch quantitative Beweismittel hilfreich. Solche Beweismittel können Daten über tatsächliche Preise, Kosten oder Margen sowie externe Indikatoren, die Preisentscheidungen von Unternehmen beeinflussen könnten, z. B. aggregierte Maße wirtschaftlicher Aktivität (z. B. BIP-Wachstum, Inflation und Beschäftigungsquoten) umfassen. In bestimmten Fällen können regionale Variablen der wirtschaftlichen Aktivität nützlich sein, um den Fall auf verschiedene regionale Tendenzen zu prüfen, die nicht mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehen.

(78)

Das Gericht kann auch stärker unternehmens- oder branchenspezifische Faktoren, die die Preisgestaltung beeinflussen, berücksichtigen. Wäre zum Beispiel in dem hypothetischen Fall in Kasten 1 im Zeitraum der Zuwiderhandlung, als der Kupferhersteller A mit seinen Wettbewerbern die Absprache über die Festlegung der Preise für Kupfer als wesentlicher Input für den Kabelbaumhersteller B traf, auch Kunststoff ein wesentlicher Input für die Herstellung von Kabelbäumen gewesen, so hätte B eine Steigerung der Kunststoffpreise, die nicht Gegenstand einer Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht war, wahrscheinlich ebenfalls an seine Kunden weitergegeben. In diesem Fall könnte bei einer Schätzung der Schadensabwälzung, die die Auswirkungen der Kunststoffpreissteigerung nicht berücksichtigt, die Schadensabwälzung des Preisaufschlags überschätzt werden, da fälschlicherweise die gesamte Preissteigerung auf die Zuwiderhandlung zurückgeführt wird. Eine ähnliche Argumentation gilt für mögliche Senkungen anderer Inputkosten, die, wenn sie nicht berücksichtigt und auf nachgelagerte Vertriebsstufen abgewälzt werden, die Schätzung der Abwälzung von Preisaufschlägen durch das Kartell künstlich verringern würden.

(79)

In den folgenden Beispielen liegt der Schwerpunkt der Anwendung der Methoden auf dem Preis. Abhängig von der Verfügbarkeit der Daten und den Umständen des betreffenden Falls kann das Gericht dieselben Methoden auch zur Schätzung anderer wirtschaftlicher Variablen, wie z. B. der Gewinnmargen oder der Höhe der Kosten eines Unternehmens, heranziehen. Die zum Vergleich des betroffenen Marktes mit dem kontrafaktischen Szenario verwendeten Daten können sich auf den gesamten Markt (z. B. den durchschnittlichen Preis von Kabelbäumen für alle Kunden in anderen sachlichen oder räumlichen Märkten) oder auf bestimmte Kunden oder Kundengruppen beziehen.

4.2.   Einsatz von ökonomischen Sachverständigen

(80)

In vielen Fällen, in denen die Abwälzung von Preisaufschlägen beurteilt wird, werden auch ökonomische Sachverständige bei Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten herangezogen. Die Vorschriften zum Sachverständigenbeweis unterscheiden sich deutlich zwischen den Mitgliedstaaten (70). In jedem Fall können Orientierungshilfen zu allgemeinen Grundsätzen und Werkzeugen, die bei der Heranziehung wirtschaftlicher Sachverständiger relevant sind, sich für nationale Gerichte als hilfreich erweisen.

(81)

Sofern dies nach nationalem Recht zulässig ist, kann das Gericht in einem frühen Stadium des Verfahrens einen Austausch zwischen den Sachverständigen fördern, die für die beteiligten Parteien tätig sind. Ein solcher Austausch kann darauf abzielen, die Bereiche einzugrenzen, in denen Einverständnis bzw. kein Einverständnis über die für den Fall relevanten Fragen besteht, einschließlich der Fragen, die sich auf die Offenlegungsanforderungen beziehen. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz ist in Kasten 3 zu finden.

Kasten 3

Beispiel für einen Fall, in dem von ökonomischen Sachverständigen beigebrachte Beweise verwendet wurden (71)

In einem vor einem Gericht des Vereinigten Königreichs anhängigen Fall hatten ökonomische Sachverständige beider Seiten (des Rechtsverletzers und des Klägers) ihre eigene spezifische Methode zur Schätzung der Schadensabwälzung vorgeschlagen. Der Richter äußerte Bedenken in Bezug auf die mögliche Komplexität der Beweise der Sachverständigen der Parteien und rief die Sachverständigen dazu auf, eine Einigung über den zu verwendenden Ansatz bezüglich der ökonomische Beweise für die Schadensabwälzung zu erzielen, bevor eine Offenlegung angeordnet wurde. Sollten die Sachverständigen keine Einigung erzielen, würde der Richter die Vorbringen über die jeweiligen Ansätze einschließlich einer Erklärung der Vorschläge der Sachverständigen, der erforderlichen Informationen und der Kosten der Durchführung, anhören und dann entscheiden, welche Methode angewendet werden sollte.

(82)

In bestimmten Rechtsordnungen können nationale Gerichte ökonomische Sachverständige ernennen, die die Richter bei der Schätzung der Schadensabwälzung unterstützen; dieser Ansatz kam traditionell bei der Schätzung des ursprünglichen Preisaufschlags zur Anwendung. Das Gericht kann bei der Schätzung der Schadensabwälzung einen ähnlichen Ansatz anwenden, z. B. indem es auf sogenannte Vergleichsmethoden zurückgreift. Die bei der Schätzung von Preisaufschlägen mit dem Einsatz von durch das Gericht ernannten Sachverständigen gemachten Erfahrungen können demnach auch für die Schätzung der Schadensabwälzung relevant sein. Ein Beispiel für einen Ansatz, bei dem das Gericht einen ökonomischen Sachverständigen ernannt hat, ist Kasten 4 zu entnehmen.

Kasten 4

Beispiel eines Falles, in dem das Gericht einen ökonomischen Sachverständigen ernannt hat (72)

In diesem vor einem deutschen Gericht verhandelten Fall wurde ein wirtschaftlicher Sachverständiger vom Gericht ernannt. Aufgabe des Sachverständigen war es, eine Methode vorzuschlagen und die Preisaufschläge anschließend zu ermitteln. Als ersten Schritt schlug der Sachverständige eine empirische Methode zur Schätzung der Preisaufschläge vor. Der durch den Sachverständigen vorgeschlagene Ansatz wurde schriftlich und in einer mündlichen Verhandlung diskutiert, bevor das Gericht darüber entschied, welcher Ansatz angewendet werden solle.

Im nächsten Schritt wurde die gewählte Methode angewendet und die Preisaufschläge wurden berechnet. Die den Berechnungen zugrunde liegenden Daten wurden dem Gericht und den Parteien vorgelegt.

Der dritte Schritt bestand in einer Soliditätsprüfung, in deren Rahmen die Parteien die Gelegenheit erhielten, Stellung zu nehmen und Fragen zu stellen. Die Stellungnahmen flossen in eine endgültige Bewertung ein, die dem Gericht vorgelegt wurde. In der endgültigen Bewertung wurden auch die Plausibilität der geschätzten Ergebnisse, die Solidität der geschätzten Auswirkungen und die Qualität der zugrunde liegenden Daten berücksichtigt.

(83)

In Fällen, in denen die ökonomischen Sachverständigen, die für die Parteien tätig sind, unterschiedliche Meinungen über die anzuwendende Methode zur Schätzung der Schadensabwälzung haben, kann das nationale Gericht auch bei der nationalen Wettbewerbsbehörde Rat darüber einholen, welche Methode zu verwenden ist (73). Darüber hinaus kann ein nationales Gericht sich bei der Bewertung des Grades der Schadensabwälzung grundsätzlich auch auf Informationen aus der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde stützen, z. B. bezüglich des ursprünglichen Preisaufschlags (74).

5.   ERMITTLUNG UND SCHÄTZUNG DER DURCH DIE SCHADENSABWÄLZUNG VERURSACHTEN PREISEFFEKTE

(84)

Bei der Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts können nationale Gerichte sich auf verschiedene Arten wirtschaftlicher Ermittlungsansätze stützen, insbesondere vergleichsgestützte Ansätze, aber auch den Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung (75) oder das Simulationsmodell. Diese im vorliegenden Kapitel beschriebenen Ansätze stützen sich zur Schätzung der Schadensabwälzung auf quantitative Daten. Das Gericht kann in vielen Fällen aber auch die Beurteilung qualitativer Beweismittel, wie interne Unterlagen oder mündliche Zeugenaussagen, bei der Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung als hilfreich erachten. Die Verfügbarkeit solcher qualitativen Beweismittel kann eine wichtige Rolle bei der Entscheidung spielen, ob und gegebenenfalls welche der Techniken eine Partei verwenden kann, um das nach anwendbarem Recht erforderliche Beweismaß zu erfüllen (76).

5.1.   Vergleichsmethoden

(85)

Der durch Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt auf verschiedenen Vertriebsstufen kann durch eine unmittelbare Schätzung der Preissteigerungen oder Margenänderungen berechnet werden, die sich als Folge des ursprünglichen Preisaufschlags ergeben haben. Im Rahmen der Beurteilung, ob ein Preisaufschlag vom unmittelbaren Abnehmer abgewälzt wird, wird mit dieser Methode der vom unmittelbaren Abnehmer während des Zuwiderhandlungszeitraums verlangte Preis mit dem Preis verglichen, der auf den Vergleichsmärkten verlangt wurde.

(86)

Bei der Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts kann das Gericht die Differenz zwischen den beobachteten und den kontrafaktischen Preisen oder Margen (77) anhand derselben Vergleichsmethoden schätzen, die auch zur Berechnung des ursprünglichen Preisaufschlags herangezogen wurden. Das diesen Methoden zugrunde liegende Konzept ist im Praktischen Leitfaden ausführlich beschrieben; weitere Erläuterungen zur Anwendung solcher Methoden im Zusammenhang mit der Schadensabwälzung finden sich in den nachfolgenden Abschnitten.

(87)

Der Vorteil von Vergleichsmethoden liegt darin, dass sie reale Daten verwenden, die auf demselben oder einem ähnlichen Markt beobachtet wurden (78). Sie stützen sich auf die Tatsache, dass das Vergleichsszenario als repräsentativ betrachtet werden kann für das Szenario, bei dem keine Zuwiderhandlung vorliegt. Diese Methoden wurden auch von den Wettbewerbsbehörden in Europa anerkannt und angewandt, um ähnliche Analysen anzustellen wie die Schätzung der Schadensabwälzung, z. B. bei der Ex-post-Bewertung der Wettbewerbspolitik (79).

(88)

Bei Verwendung der Vergleichsmethode würde man den Preis oder die Marge während des Zuwiderhandlungszeitraums idealerweise mit den Preisen und Margen auf genau demselben Markt, auf dem keine Zuwiderhandlung vorliegt, vergleichen. Allerdings ist es naturgemäß nicht möglich, genau festzustellen, wie ein Markt sich ohne die Zuwiderhandlung entwickelt hätte. So ist es beispielsweise möglich, dass wichtige Faktoren, welche die vom unmittelbaren Abnehmer festgelegten Preise beeinflussen (z. B. Veränderungen der Nachfrage oder der Preise anderer Inputs) während des Zuwiderhandlungszeitraums und im kontrafaktischen Szenario nicht in etwa dieselben Auswirkungen auf die Preise haben.

(89)

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmter Vergleichsmarkt als kontrafaktisches Szenario geeignet ist, ist es daher wichtig, diese Faktoren vor Augen zu haben. Wie in Abschnitt 5.1.1 näher erläutert, sind verschiedene Techniken verfügbar, um die Unterschiede zwischen dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt und den Vergleichsmärkten zu berücksichtigen. Ob der Grad der Ähnlichkeit zwischen dem Markt, auf dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, und den Vergleichsmärkten als ausreichend beurteilt wird, damit die Ergebnisse des Vergleichs bei der Schätzung der Schadensabwälzung verwendet werden können, hängt von den nationalen Rechtssystemen ab (80).

5.1.1.   Ansätze

(90)

Bei Verwendung der Vergleichsmethode zur Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung wird der vom unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer während des Zuwiderhandlungszeitraums verlangte Preis mit dem zuwiderhandlungsfreien bzw. kontrafaktischen Szenario verglichen. Das kontrafaktische Szenario kann erstellt werden auf der Grundlage (81):

von Preis- oder Margendaten in Bezug auf den betreffenden Markt vor und/oder nach der Zuwiderhandlung: „Vorher-während-nachher“-Ansatz,

von Daten in Bezug auf denselben (sachlich relevanten) Markt, jedoch in einem anderen räumlichen Gebiet, oder in Bezug auf einen anderen sachlich relevanten Markt, von dem angenommen wird, dass er sich ähnlich entwickelt wie der Markt, auf dem der unmittelbare oder mittelbare Anbieter tätig ist: Querschnittsansatz („cross-sectional method“), oder

einer Kombination von zeitlichen Vergleichen und Vergleichen zwischen Märkten: Differenz-von Differenzen-Ansatz.

5.1.1.1.   Der „Vorher-während-nachher“-Ansatz

(91)

Ein häufig verwendeter Ansatz bei der Schätzung ursprünglicher Preisaufschläge ist der zeitliche Vergleich von Preisen auf demselben Markt, d. h. ein „Vorher-während-nachher“-Vergleich (im nachstehenden Kasten 5 veranschaulicht) (82). Bei Anwendung dieses Ansatzes zur Schätzung der Schadensabwälzung ist der Vergleichsmarkt genau derselbe sachliche Markt wie der Markt, auf dem der unmittelbare oder mittelbare Abnehmer zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung tätig war, er wird jedoch zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht. Die zugrunde liegende Annahme ist daher, dass der fragliche sachliche Markt im zuwiderhandlungsfreien Zeitraum eine gute Annäherung an das kontrafaktische Szenario darstellt, d. h. die Situation, die auf dem sachlichen Markt geherrscht hätte, wenn im Zuwiderhandlungszeitraum keine Zuwiderhandlung stattgefunden hätte. Diese Annahme ist möglicherweise fehlerhaft, da es in der Praxis keinen räumlichen oder sachlichen Vergleichsmarkt gibt, der eine zusätzliche Isolierung anderer Faktoren in Bezug auf die Auswirkung der Zuwiderhandlung gestatten würde.

Kasten 5

Beispiel für den „Vorher-während-nachher“-Ansatz (83)

Preis für Kabelbäume

Image 3

(92)

In dem im vorstehenden Kasten 5 dargestellten Beispiel wird angenommen, dass die rechtswidrige Preissetzung in der Kupferbranche fünf Jahre von 2005 bis 2010 dauerte. In diesem Zeitraum wurde der ursprüngliche Preisaufschlag auf den Automobilhersteller C abgewälzt. In diesem Zeitraum (84) wurde der ursprüngliche Preisaufschlag auf den Automobilhersteller C abgewälzt. Bei Anwendung dieser Methode wird der vom Automobilhersteller im Zuwiderhandlungszeitraum gezahlte Preis mit dem vom Automobilhersteller in einem zuwiderhandlungsfreien Zeitraum ohne Schadensabwälzung, z. B. 2003 und 2004, gezahlten Preis verglichen. Ein Beispiel für einen Fall, in dem ein Kläger diesen Ansatz anwendete, wird in Kasten 8 angeführt.

5.1.1.2.   Der Querschnittsansatz („cross-sectional method“)

(93)

In einigen Fällen kann es schwierig sein, Preisentwicklungen auf dem Vergleichs- oder dem Zuwiderhandlungsmarkt im Laufe der Zeit zu beobachten. In diesen Fällen kann eine weitere Vergleichsmethode verwendet werden, nämlich eine Methode, die verschiedene räumliche Märkte vergleicht. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass der andere räumliche Markt mit dem Zuwiderhandlungsmarkt in allen Aspekten mit Ausnahme des Zuwiderhandlungsereignisses übereinstimmt. Auch diese Annahme geht unter Umständen zu weit.

(94)

Wie zum Beispiel in Kasten 6 dargestellt, kann ein nationales Gericht einen Vergleich der von Automobilhersteller C1 während des Zuwiderhandlungszeitraums in Mitgliedstaat 1 (p1) gezahlten Preise mit den von ähnlichen Automobilherstellern gezahlten Preisen in Mitgliedstaat 2, d. h. in einem anderen räumlichen Markt, der nicht von der Zuwiderhandlung betroffen ist (p2), anstellen. Diese Methode wird als Marktvergleich bezeichnet (85).

Kasten 6

Beispiel die für den Querschnittsansatz

Image 4

Wenn p1 höher als p2 ist, deutet dies auf einen Preiseffekt durch Schadensabwälzung von Kabelbaumzulieferer B1 auf Automobilhersteller C1 in Mitgliedstaat 1 hin. Dieselbe Art von Vergleich kann auch in Bezug auf andere ökonomische Variablen angestellt werden, z. B. Margen oder Absatzmengen.

5.1.1.3.   Der Differenz-von-Differenzen-Ansatz

(95)

Aus ökonomischer Sicht ist die genaueste Methode der Vergleichsmethoden diejenige, die den „Vor-während-nach“-Ansatz und den Querschnittsansatz kombiniert. Diese Methode ist der Differenz-von-Differenzen-Ansatz (86). Dabei wird die Entwicklung der betreffenden ökonomischen Variablen auf dem von der Schadensabwälzung betroffenen Markt während eines bestimmten Zeitraums (Differenz im Laufe der Zeit auf dem Schadensabwälzungsmarkt) betrachtet und mit der Entwicklung derselben Variablen während desselben Zeitraums auf einem nicht betroffenen Vergleichsmarkt (z. B. einem anderen räumlichen Markt) verglichen.

(96)

Kasten 7 veranschaulicht den Differenz-von-Differenzen-Ansatz.

Kasten 7

Veranschaulichung des Differenz-von-Differenzen-Ansatzes

Image 5

(97)

In Kasten 5 und Kasten 6 wird davon ausgegangen, dass Automobilhersteller C1 in Mitgliedstaat 1 (mittelbarer Abnehmer) Schadensersatz von Kupferhersteller A1 (Rechtsverletzer) verlangt und sämtliche von C1 erlittenen Schäden, wie in Randnummer 8 beschrieben, durch die Abwälzung des Preisaufschlags durch den Kabelbaumhersteller B1 verursacht worden sind. Bei der Verwendung des Differenz-von-Differenzen-Ansatzes würde die Entwicklung des von Automobilhersteller C1 in Mitgliedstaat 1 (dem Markt mit durch Schadensabwälzung verursachten Preiseffekten) gezahlten Preises während eines bestimmten Zeitraums gewürdigt und mit der Entwicklung des von Automobilhersteller C2 in Mitgliedstaat 2 (nicht von der Zuwiderhandlung betroffen und somit ohne durch Schadensabwälzung verursachte Preiseffekte) gezahlten Preises während desselben Zeitraums verglichen. Dieser Vergleich zeigt die Preisunterschiede im Laufe der Zeit auf. Somit können die Änderungen des von dem Automobilhersteller gezahlten Preises unter Ausschluss aller Faktoren, die die Märkte in Mitgliedstaat 1 und Mitgliedstaat 2 auf dieselbe Weise beeinflusst haben, geschätzt werden. Mithilfe dieser Methode kann folglich der durch die Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt von anderen Einflüssen auf den Preis von Kabelbäumen, die in beiden Märkten auftreten, isoliert werden.

(98)

Diese Methode kann durch eine weitere Abwandlung des in Kasten 6 und Kasten 7 dargestellten Falles veranschaulicht werden. Angenommen ein „Vorher-während-nachher“-Vergleich in Mitgliedstaat 1 (wo die Zuwiderhandlung und die Schadensabwälzung auftraten) ergibt eine Steigerung der Stückpreise von Kabelbäumen um 100 EUR im Zeitraum von 2005 bis 2010. Eine Untersuchung des nicht betroffenen Marktes in Mitgliedstaat 2 während desselben Zeitraums zeigt möglicherweise, dass die Stückpreise von Kabelbäumen nur um 10 EUR angestiegen sind, und zwar aufgrund einer Steigerung bei anderen Inputkosten, z. B. Kunststoff. Angenommen, die höheren Inputkosten (von Kunststoff) beträfen auch Mitgliedstaat 1, dann würde sich — unter der Voraussetzung, dass alle anderen Bedingungen gleich sind — aus dem Vergleich der unterschiedlichen Preiseentwicklungen bei Kabelbäumen in Mitgliedstaat 1 und Mitgliedstaat 2 die durch die Abwälzung von Preisaufschlägen verursachte Preissteigerung ergeben. Das wären in diesem Beispiel 90 EUR.

(99)

Ein wichtiger Vorteil des Differenz-von-Differenzen-Ansatzes besteht folglich darin, dass Veränderungen, die nicht mit dem durch Schadensabwälzung verursachten Preiseffekt im Zusammenhang stehen, aber in demselben Zeitraum wie die Schadensabwälzung erfolgt sind, herausgefiltert werden können. Der Ansatz stützt sich jedoch auf die Annahme, dass andere Faktoren, wie im vorstehenden Beispiel der Kunststoffpreis, beide Märkte in ähnlicher Weise beeinflussen. Ist dies nicht der Fall, kann eine ökonometrische Umsetzung der Differenz-der-Differenzen-Methode erforderlich sein. Die entsprechenden Techniken werden im nachstehenden Abschnitt 5.1.2 näher beschrieben.

5.1.2.   Umsetzung von vergleichsgestützten Ansätzen in der Praxis

(100)

Für die Schätzung der durch Schadensabwälzung verursachten Preiseffekte auf der Grundlage der Vergleichsmethode gibt es verschiedene Techniken. Bestimmte Faktoren wie z. B. eine Steigerung der Rohstoffkosten im vorstehend genannten Beispiel beeinflussen häufig nur den Vergleichsmarkt oder nur den von der Schadensabwälzung betroffenen Markt. Wie vorstehend ausgeführt, sollten Anpassungen an den beobachteten Daten vorgenommen werden, um solche Einflüsse zu berücksichtigen. In Fällen, in denen der Einflussfaktor und das Ausmaß seiner Auswirkungen relativ leicht berücksichtigt werden kann, kann es sich dabei um einfache Anpassungen an den Daten handeln.

(101)

In bestimmten Fällen, in denen die Verfügbarkeit und die Qualität der Daten es erlauben, können Anpassungen an den Vergleichsdaten auf der Grundlage ökonometrischer Techniken, insbesondere durch Anwendung der Regressionsanalyse, vorgenommen werden. Die Regressionsanalyse ist eine statistische Methode, die der Untersuchung von Mustern in der Beziehung zwischen wirtschaftlichen Variablen dient.

(102)

Bei einer Regressionsanalyse werden beobachtete Daten für die betrachtete Variable und die wahrscheinlichen Einflussvariablen untersucht. Die festgestellte Beziehung wird in der Regel als Gleichung dargestellt. Diese Gleichung ermöglicht die Schätzung der Auswirkungen von Einflussvariablen auf die betrachtete Variable und ihre Isolierung von den Auswirkungen der Zuwiderhandlung. Auf der Grundlage einer Regressionsanalyse lässt sich schätzen, wie stark die relevanten Variablen miteinander korrelieren, was in einigen Fällen ein Hinweis auf einen Kausalzusammenhang zwischen den beiden Variablen sein kann (87).

(103)

Die verschiedenen verfügbaren Techniken zur Anpassung von Vergleichsdaten werden im Praktischen Leitfaden genauer beschrieben (88). Auf der Grundlage von Beispielen und Erläuterungen bietet der Praktische Leitfaden Orientierungshilfen zu den Konzepten, Ansätzen und Voraussetzungen für die Anwendung der verschiedenen Techniken. Dieser Leitfaden sollte als Grundlage im Zusammenhang mit Fragen zu verfügbaren Ansätzen für die Umsetzung von Vergleichsmethoden dienen.

(104)

Das Gericht sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Verwendung von Regressionsanalysen die Genauigkeit einer Schadensschätzung erhöhen und somit dazu beitragen kann, das geforderte Beweismaß zu erfüllen (89). So haben sich nationale Gerichte in Fällen, in denen Schadensersatz zuerkannt wurde, mit der Beweiskraft statistischer Beweismittel wie der Regressionsanalyse befasst (90).

(105)

Allgemein hängt die Beweiskraft statistischer Beweismittel davon ab, ob sie in der Lage sind, das Risiko sogenannter Fehler 1. Art, d. h. die Feststellung eines Schadensabwälzungseffekts, wenn tatsächlich keiner vorhanden ist, sowie das Risiko sogenannter Fehler 2. Art, d. h. das Versäumnis, einen Schadensabwälzungseffekt festzustellen, wenn tatsächlich einer vorhanden ist, zu vermeiden. Um diesen Risiken Rechnung zu tragen, kann ein statistisches Modell die Konzepte der „statistischen Signifikanz“ und „statistischen Aussagekraft“ anwenden. Bei der statistischen Signifikanz wird die Schwelle dafür, dass vom Vorliegen eines Schadensabwälzungseffekts ausgegangen wird, hoch angesetzt. Weit verbreitet ist der Ansatz, für die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers 1. Art fünf Prozent anzunehmen, d. h. ein sogenanntes Konfidenzintervall von 95 Prozent (91). Jedoch können Regressionsmodelle auch das Risiko von Fehlern 2. Art reduzieren (92). Wenn in einem konkreten Fall die Schadensabwälzung zu schätzen ist, obliegt es dem Gericht, zu entscheiden, ob ein ihm vorgelegtes Regressionsmodell das Risiko von Fehlern 1. und 2. Art in einem Ausmaß verhindert, dass das Modell Beweiskraft hat.

(106)

Die potenzielle Bedeutung der Anpassung der Vergleichsdaten durch die Verwendung quantitativer Techniken wie Regressionsanalysen kann durch ein Urteil eines deutschen Gerichts veranschaulicht werden (siehe Kasten 8).

Kasten 8

Der deutsche Autoglas-Fall (93)

Kläger in dieser Schadensersatzklage war ein mittelbarer Abnehmer der Mitglieder eines Automobilglas-Kartells. Die Mitglieder des Kartells begingen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV und wurden von der Europäischen Kommission im Jahr 2008 mit einer Geldbuße belegt.

Die Sachverständigen des Klägers führten eine Analyse der Preisentwicklungen vor, während und nach dem Kartellzeitraum durch. Sie führten keine Regressions- oder Korrelationsanalysen durch, sondern versuchten, einen Zusammenhang zwischen dem Preis von Autoglas (der vom Kartell betroffenen Ware) und einer Autoglas-Ersatzware herzustellen, indem sie lediglich die Preisgefüge beobachteten.

Das Gericht befand jedoch, dass diese Analyse nicht in ausreichendem Maße einen unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen der Preisfestsetzung der zwei vorstehend angeführten Waren zeigte. Hauptgründe dafür waren die in der Sachverständigenanalyse des Klägers verwendeten Daten sowie die Tatsache, dass in der Analyse andere Auswirkungen auf die Preise sowie Markttendenzen nicht gebührend berücksichtigt wurden. Um die Argumente für die Schadensabwälzung zurückzuweisen, berücksichtigte das Gericht im vorliegenden Fall auch die Marktbedingungen.

(107)

Auf ökonometrischen Analysen basierende Techniken können in bestimmten Fällen allerdings mit erheblichen Kosten verbunden sein. In solchen Fällen mag das Gericht es als ausreichend erachten, die Schadensabwälzung durch die gleichzeitige Beurteilung quantitativer Daten ohne Durchführung einer Regressionsanalyse und unter Berücksichtigung qualitativer Beweismittel zu schätzen. Darüber hinaus kann das Gericht bei Anwendung der in diesem Abschnitt beschriebenen quantitativen Methoden in den meisten Fällen auch die Bewertung qualitativer Beweismittel als hilfreich erachten, beispielsweise unmittelbare Beweise für die Schadensabwälzung.

(108)

Im Rahmen der Schätzung der Schadensabwälzung auf Grundlage qualitativer Beweismittel können interne Dokumente, die die Preisfestsetzungsstrategie eines Unternehmens darlegen, besonders relevant sein. Bei der Bewertung interner Dokumente sollte das Gericht sich der Tatsache bewusst sein, dass Unternehmen in verschiedenen Branchen oder sogar innerhalb derselben Branche verschiedene Preisfestsetzungsstrategien anwenden können. In einigen Fällen kann ein Unternehmen eine eindeutige Strategie oder feststehende Praxis haben, die Preisanpassungen aufgrund von spezifischen Kostenänderungen ausweist. Beispielsweise können Abnehmer in einigen Fällen Preisanpassungen an die Veränderung bestimmter Indizes knüpfen, die von dem wettbewerbswidrigen Verhalten des Rechtsverletzers möglicherweise nicht betroffen sind, z. B. Verbraucherpreisindizes. In anderen Fällen können Abnehmer bestimmte Leistungsziele anstreben, z. B. durch Anwendung einer spezifischen Marge auf die Preise der von ihnen vertriebenen Waren. Grundsätzlich kann die erstgenannte Strategie gegen die Feststellung einer Schadensabwälzung sprechen, während letztere Strategie die Vermutung nahelegt, dass der Abnehmer Kostenänderungen abwälzt.

(109)

Darüber hinaus sollte das Gericht bei der Beurteilung von Preisfestsetzungsstrategien überprüfen, ob die Preisfestsetzungsstrategie des betreffenden Unternehmens tatsächlich umgesetzt wurde, z. B. indem es Preisinformationen berücksichtigt, um zu ermitteln, ob diese der betreffenden Preisfestsetzungsstrategie entsprechen.

(110)

Im Folgenden sind Beispiele für Fälle angeführt, in denen nationale Gerichte qualitative Beweismittel berücksichtigt haben.

Kasten 9

Schätzung der Schadensabwälzung auf der Grundlage qualitativer Beweismittel — Cheminova, 2015 (94)

In diesem Urteil stellte das Gericht fest, dass ein Pestizidhersteller 50 % des ursprünglichen Preisaufschlags auf die mittelbaren Kunden abgewälzt hatte. Diese Feststellung erfolgte auf der Grundlage der Wirtschaftstheorie. In diesem Fall konnte das Gericht sich auf öffentlich verfügbare Marktstudien stützen, die den Markt, auf dem der unmittelbare Kunde tätig war, als Monopolmarkt beschrieben. In einem von dem unmittelbaren Kunden vorgelegten Bericht wurde geltend gemacht, dass der Markt nicht als Monopolmarkt sondern eher als von Wettbewerb geprägt bezeichnet werden sollte. Der unmittelbare Kunde brachte vor, dass eine Vielzahl von Waren auf diesem Markt im Wettbewerb stehe und dass moderate Marktanteile auf einen von Wettbewerb geprägten Markt hindeuteten. Aufgrund der Umstände des spezifischen Falles widersprach das Gericht jedoch dieser Auffassung.

Kasten 10

Schätzung der Schadensabwälzung auf der Grundlage qualitativer Beweismittel — DOUX Aliments, 2014 (95)

In diesem Urteil befand das Gericht, dass der Kläger das Nichtvorliegen einer Schadensabwälzung nachgewiesen hatte. Der Preisaufschlag betraf in diesem Fall Lysin, ein Input bei der Aufzucht von Masthühnern. Das Gericht befand, dass Lysin nur 1 % der Kosten für die Masthuhnaufzucht ausmachte. Eine solch geringe Kostensteigerung reichte nicht aus, um das Gericht davon zu überzeugen, dass diese Kostensteigerung auch eine Steigerung der Preise von Masthühnern bewirken würde. Das Gericht befand, dass die Preise auf andere Faktoren reagiert hätten, wie etwa den Wettbewerb mit anderen Fleischprodukten und die Nachfragemacht. Bei seiner Schlussfolgerung, dass der Preisaufschlag nicht auf die mittelbaren Einzelhändler abgewälzt wurde, berief sich das Gericht auf die Tatsache, dass die Masthühner auf einem internationalen und von Wettbewerb geprägten Markt verkauft wurden und dass die Einzelhandelsketten für Lebensmittel eine große Nachfragemacht besaßen.

(111)

Bei der Anwendung von Vergleichsmethoden zur Schätzung von Preisaufschlägen nehmen die Gerichte manchmal auch einen sogenannten Sicherheitsabschlag vor. Das bedeutet, dass sie einen Betrag anpassen, um Unsicherheiten bei Schätzungen auf Grundlage der beobachteten Daten hinreichend zu berücksichtigen (96). Wenn ökonometrische Analysen nicht durchführbar sind, kann ein solcher Ansatz auch bei der Schätzung der Schadensabwälzung angewendet werden. Das Ziel eines solchen Ansatzes wäre der Ausschluss von Auswirkungen anderer möglicher Faktoren auf die betrachtete Variable, zum Beispiel den Preis, der vom mittelbaren Kunden angeboten wird.

5.1.3.   Herausforderungen

(112)

Bei der Schätzung des durch Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts kann das Gericht insbesondere Techniken in Betracht ziehen, mit denen so weit wie möglich geprüft werden kann, ob andere Faktoren vorliegen, die nicht mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen. Die Differenz-der-Differenzen-Methode ist eine solche Technik. Sie erfordert Informationen oder Daten zu einem Vergleichsmarkt (zum Beispiel einem anderen räumlichen Markt) und Zeitreihendaten zu dem von der Schadensabwälzung betroffenen Markt. Das Gericht sollte jedoch berücksichtigen, dass es mögliche Herausforderungen gibt, die die Gültigkeit von Vergleichsmethoden einschränken können.

(113)

Der Vergleichsmarkt ähnelt im Idealfall dem Zuwiderhandlungsmarkt, ist jedoch selbst nicht von der Zuwiderhandlung betroffen. Die Abnehmer auf beiden Märkten verwenden jedoch häufig denselben Input. In einem solchen Fall kann es schwierig sein, einen nicht betroffenen Vergleichsmarkt zu finden. Insbesondere, wenn sich die Zuwiderhandlung auf ein großes räumliches Gebiet erstreckt, ist es wahrscheinlich, dass Waren, die der betroffenen Ware ähneln und dasselbe Input enthalten, unter Umständen ebenfalls betroffen sind. Dies kann die Suche nach einem geeigneten Vergleichsmarkt schwierig gestalten.

(114)

Unter anderen Umständen kann der Vergleichsmarkt mittelbar von dem ursprünglichen Preisaufschlag betroffen sein. In dem hypothetischen Beispiel des Kupferkartells in Kasten 6 kauft der Kabelbaumzulieferer B1 Kupfer vom Rechtsverletzer A1. Obwohl der Kabelbaumzulieferer B2 im Vergleichsmarkt nicht beim Rechtsverletzer A1 einkauft, können die Kabelbaumzulieferer B2 und B1 Wettbewerber auf denselben nachgelagerten räumlichen Märkten sein. Wenn der Kabelbaumzulieferer B1 seine Preise infolge der ursprünglichen Zuwiderhandlung erhöht, könnten seine Wettbewerber ihre Preise deshalb ebenfalls anheben. In diesem Fall könnte der Preis, den der Kabelbaumzulieferer B2 anbietet, mittelbar durch die Zuwiderhandlung beeinflusst worden sein und wäre somit nicht als Vergleich geeignet (97).

(115)

Was den zeitlichen Vergleich angeht, kann es sich als schwierig erweisen, mit ausreichender Genauigkeit festzustellen, in welchem Zeitraum der Markt von einer bestimmten Zuwiderhandlung betroffen war. Die Parteien können die Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde vorlegen, in der ein Zuwiderhandlungszeitraum, d. h. das Datum von Beginn und Ende der Zuwiderhandlung, angegeben wird. Dieser Zeitraum entspricht jedoch möglicherweise nicht dem Zeitraum, in dem ein Markt tatsächlich von der Zuwiderhandlung betroffen war. Es ist auch wichtig anzumerken, dass die Bestimmung der Daten des Zuwiderhandlungszeitraums oder des Zeitraums, in dem der Markt betroffen war, große Auswirkungen auf das Ergebnis der Analyse haben kann. Tatsächlich ist es möglich, dass die Auswirkungen der Zuwiderhandlung nicht auf den in einer solchen Entscheidung angegebenen Zeitraum beschränkt sind (98). Auf der einen Seite kann das durch die Wettbewerbsbehörde ermittelte Anfangsdatum, z. B. aufgrund eines Mangels an verlässlichen Beweisen, nach dem tatsächlichen Beginn der Zuwiderhandlung liegen (99). Auf der anderen Seite kann das in der Zuwiderhandlungsentscheidung angegebene Enddatum vor dem tatsächlichen Ende der Zuwiderhandlung liegen.

(116)

Die Auswirkungen einer Zuwiderhandlung sind unter Umständen nicht auf die Dauer der Zuwiderhandlung beschränkt. So ist es möglich, dass die Zuwiderhandlung den betroffenen Markt auch nach der Beendigung des nach EU-Wettbewerbsrecht verbotenen Verhaltens weiter beeinflusst. Dies kann insbesondere bei oligopolistischen Märkten der Fall sein, wenn die während der Zuwiderhandlung gesammelten Informationen den Verkäufern einer bestimmten Ware erlauben, nach Ende der Zuwiderhandlung eine fortdauernde Strategie zu verfolgen, die darauf abzielt, ihre Waren zu einem höheren Preis als dem Wettbewerbspreis — d. h. dem Preis, der ohne die Zuwiderhandlung verlangt worden wäre — zu verkaufen, ohne gegen EU-Wettbewerbsrecht zu verstoßen (100).

(117)

Auch die Möglichkeit, dass Abnehmer auf verschiedenen Vertriebsstufen die Abwälzung eines Preisaufschlags verzögern können, kann den Vergleich erschweren (101). Dies lässt sich anhand des in Kasten 1 angeführten Beispiels veranschaulichen. Angenommen, der Automobilhersteller C handelt einmal jährlich mit dem Kabelbaumzulieferer B die Preise aus. Der Kabelbaumzulieferer B passt seine Preise nur einmal im Jahr nach Abschluss der Verhandlungen mit dem Automobilhersteller C an. Wenn ein Preiskartell auf dem Kupfermarkt direkt nach Abschluss der Verhandlungen zwischen dem Kabelbaumzulieferer und dem Automobilhersteller gebildet wird, hat der Kabelbaumzulieferer erst nach den Preisverhandlungen im nächsten Jahr die Möglichkeit, die Steigerung seiner eigenen Preise für Kupfer abzuwälzen.

(118)

Somit kann die Verzögerung der Schadensabwälzung auf nachgelagerte Vertriebsstufen die Entscheidung erschweren, welcher Zeitraum für die Preisvergleiche während und vor oder während und nach der Zuwiderhandlung (oder beides) relevant ist. Das Gericht kann die Analyse anpassen, indem es die Art des jeweiligen Falles berücksichtigt, z. B. durch die Analyse der Preisfestsetzungsstrategien der Parteien, und kann auf dieser Grundlage einer bestimmten Zeitverzögerung Rechnung tragen, wenn es die Preisfestsetzungsgefüge auf verschiedenen Vertriebsstufen analysiert.

(119)

Regressionsanalysen können bei Anwendung des vergleichsgestützten Ansatzes die Genauigkeit der geschätzten Auswirkung der Schadensabwälzung verbessern. Ein Richter sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Arten von Regressionsmodellen zwar eine unmittelbare Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung bieten, mit ihnen aber nicht ermittelt werden kann, in welchem Umfang jeder der für die Schadensabwälzung relevanten theoretischen Faktoren, die in Kapitel 3 behandelt werden (z. B. Art der Inputkosten und Art der Produktnachfrage), dazu beigetragen hat. Ein Vorteil von Regressionsanalysen besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit geringer ist, Annahmen auf Grundlage der Wirtschaftstheorie zu treffen, die fehlerhaft sind. Zwar ist für die Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung ihre faktorbasierte quantitative Aufschlüsselung in der Regel nicht notwendig, doch ist darauf hinzuweisen, dass die im nachstehenden Abschnitt 5.2.3 beschriebenen Techniken unter Umständen eine quantitative Aufschlüsselung der Faktoren liefern.

5.2.   Weitere Methoden

5.2.1.   Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung

(120)

Im vorstehenden Abschnitt wurden die Methoden und Techniken für vergleichsgestützte Ansätze zur Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts erläutert. Im Allgemeinen ist der vergleichsgestützte Ansatz zu bevorzugen, sofern seine Anwendung möglich und verhältnismäßig ist. Dieser Ansatz hat den eindeutigen Vorteil, dass er eine Schätzung der Schadensabwälzung auf der Grundlage der tatsächlichen Preise ermöglicht, die von einem unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer innerhalb des Zeitraums der Zuwiderhandlung festgesetzt wurden. Allerdings hängt er unter anderem von der Verfügbarkeit von Daten zu diesen Preisen ab, die zusätzlich zu den Preisen auf einem oder mehreren Vergleichsmärkten herangezogen werden. In vielen Fällen liegen solche Informationen vor. Können dem Gericht allerdings keine Informationen über die tatsächlichen Preise auf dem Zuwiderhandlungsmarkt und dem oder den Vergleichsmärkten vorgelegt werden, zum Beispiel falls das Gericht befindet, dass die Offenlegung solcher Informationen in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert der Forderung in dem jeweiligen Fall steht, so kann die Schadensabwälzung auf Grundlage anderer Methoden, beispielsweise des Ansatzes zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung, geschätzt werden.

(121)

Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung kann dadurch umgesetzt werden, dass untersucht wird, inwiefern frühere Änderungen der Kosten eines Unternehmens sich vor oder nach dem Zeitraum der Zuwiderhandlung auf dessen Preise ausgewirkt haben. Bei dem in Kasten 1 genannten Beispiel kann der Grad der Schadensabwälzung geschätzt werden, indem untersucht wird, inwiefern sich frühere Änderungen bei den Kupferkosten auf den Preis für Kabelbäume ausgewirkt haben. Oder einfach ausgedrückt: Hat ein Kostenanstieg bei Kupfer um 10,00 EUR eine Preissteigerung der Kabelbäume um 5,00 EUR zur Folge, so wird der Grad der Schadensabwälzung auf 50 Prozent geschätzt. Um die Schadensabwälzung im Zeitraum der Zuwiderhandlung zu schätzen, könnte das Gericht dann diesen geschätzten Grad der Schadensabwälzung mit Informationen über den Preisaufschlag und über den Absatz zusammenführen.

(122)

Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung ist allerdings nicht frei von Risiken und kann in einigen Fällen sogar zu irreführenden Ergebnissen führen. Bei Anwendung dieses Ansatzes zur Schätzung der Schadensabwälzung kann das Gericht nämlich weder feststellen, ob der Preisaufschlag tatsächlich abgewälzt wird, noch beobachten, ob sich die Änderungen der Kosten für den betroffenen Input auf die Preise auf den nachgelagerten Vertriebsstufen niederschlagen. Das Gericht muss sich deshalb unbedingt darüber im Klaren sein, dass sich der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung auf die Annahme stützt, dass sich Änderungen bei den Inputkosten während des Zuwiderhandlungszeitraums auf die Preise auf den nachgelagerten Vertriebsstufen niederschlagen. Trifft diese Annahme nicht zu, kann dieser Ansatz zu Schätzungen führen, die insofern irreführend sind, als sie eine Abwälzung des Preisaufschlags nahe legen, die in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat.

(123)

Bei Anwendung des Ansatzes zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung ist das Gericht in der Regel bestrebt, die Schätzung der Abwälzung darauf zu gründen, inwieweit die Kostenänderungen des betreffenden Inputs sich bisher auf die Preise auf den nachgelagerten Vertriebsstufen ausgewirkt haben. Sind keine entsprechenden Informationen verfügbar, kann das Gericht die Entwicklung anderer Bestandteile der Grenzkosten des Abnehmers betrachten und untersuchen, inwieweit solche Kostenänderungen die Preise auf den nachgelagerten Vertriebsstufen beeinflussen. Im hypothetischen Fall, der in Randnummer8 dargelegt und in den Randnummern 78 und 98 modifiziert und weiter erläutert wurde, bedeutet dies, dass das Gericht eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Preis von Kabelbäumen und den Kosten für Kunststoff (nicht von der Zuwiderhandlung betroffen) in Erwägung ziehen und den Grad der Schadensabwälzung auf der Grundlage dieses Verhältnisses schätzen könnte.

(124)

In den meisten Fällen betrifft die geprüfte Zuwiderhandlung die Kosten für einen bestimmten Input, welche nur einen Teil der Grenzkosten des Abnehmers ausmachen. Macht der von der Zuwiderhandlung betroffene Input nur einen sehr geringen Teil der Grenzkosten aus, so ist sogar eine deutliche Steigerung der Kosten für diesen Input in den Preisdaten des Abnehmers möglicherweise nur schwer erkennbar — selbst wenn der Anstieg in vollem Umfang abgewälzt wird. Ein alternativer Ansatz könnte darin bestehen, den Grad der Schadensabwälzung auf Grundlage der Kostenänderungen für bedeutendere Inputs und nicht nur auf Grundlage der Kosten für den betroffenen weniger bedeutenden Input zu schätzen. Der Nachteil wäre allerdings, dass ein solcher Ansatz möglicherweise auf der zu weit gehenden Annahme beruht, dass die Grenzkostensteigerungen unabhängig von der Ursache der Kostensteigerung in gleichem Maße abgewälzt werden. Ergibt eine Vergleichsmethode (Schätzung auf Grundlage des tatsächlichen Preises) keine statistisch signifikante Schadensabwälzung, kann dies außerdem als Beweis zugunsten der Hypothese betrachtet werden, dass tatsächlich keine Schadensabwälzung stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Die Feststellung nach der Vergleichsmethode, dass keine Schadensabwälzung stattgefunden hat, ist an sich kein gültiges oder ausreichendes Argument für die Anwendung des Ansatzes zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung.

(125)

Wie in Anhang 1 erläutert, kann ein Unternehmen gute Gründe haben, geringe Änderungen seiner Grenzkosten nicht immer oder zumindest nicht kurzfristig abzuwälzen, selbst wenn es stärkere Kostenänderungen abwälzen würde. Die Annahme, dass der Grad der Schadensabwälzung bei unterschiedlichen Änderungen der Inputkosten ähnlich hoch ausfällt, ist deshalb nicht unbedingt gerechtfertigt. Ein Grund dafür kann sein, dass bei einem Unternehmen sogenannte Preisanpassungskosten anfallen und es deshalb eher wartet, bis mehrere Grenzkostensteigerungen zusammenkommen und eine bestimmte Schwelle überschreiten, bevor es seine Preise ändert.

(126)

Bei der Beurteilung der mittelbaren Beweismittel für eine auf eine Schadensabwälzung zurückgehende Entwicklung von Kostenbestandteilen, die nicht von dem Preisaufschlag betroffen sind, ist es ratsam, im Einzelfall auch qualitative Beweismittel zu berücksichtigen, aus denen hervorgeht, dass die Abwälzung geringer Kostensteigerungen der Geschäftspraxis des unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmers entspricht.

(127)

In bestimmten Fällen können Informationen über Preise verfügbar sein, die der unmittelbare Abnehmer während des Zuwiderhandlungszeitraums verlangt hat, wobei sich diese Informationen dann ausschließlich auf diesen Zeitraum beziehen. Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung kann auch in solchen Szenarien irreführende Ergebnisse liefern. Grund ist, dass in diesem Fall durch Schadensabwälzung verursachte Preiseffekte aufgrund von Änderungen der Kosten des Inputs, der Gegenstand einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht war, festgestellt würden. In vielen Fällen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Änderungen der Kosten des Inputs, der Gegenstand einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht war, während des Zuwiderhandlungszeitraums wesentlich geringer sind als der sich aus der Zuwiderhandlung ergebende Kostenanstieg. Wie oben erläutert, können geringe Kostensteigerungen nicht in gleichem Maße abgewälzt werden wie höhere Kostensteigerungen, und daher könnte die Betrachtung relativ geringer Kosten- und Preisänderungen während des Zeitraums der Zuwiderhandlung zu einer ungenauen Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung führen.

5.2.2.   Umsetzung des Ansatzes zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung in der Praxis

(128)

Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung erfordert Informationen über den ursprünglichen Preisaufschlag und den relevanten Grad der Schadensabwälzung. Liegt keine frühere Schätzung des Preisaufschlags vor, so kann das Gericht die im Praktischen Leitfaden erwähnten Techniken in Erwägung ziehen (102).

(129)

Ein Vorteil der Vergleichsmethode besteht darin, dass dabei ein kontrafaktisches Szenario erstellt werden kann. Wie in Randnummer 66 dieser Leitlinien bereits erwähnt, wird damit der Zweck verfolgt, die Auswirkungen der Zuwiderhandlung von anderen Faktoren zu isolieren, die sich ebenfalls auf die Preise auswirken. Wenngleich ein solcher Ansatz bei der Methode zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung nicht vorgesehen ist, ist es dennoch wichtig zu prüfen, ob Faktoren vorliegen, die nicht mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen. Ein Ansatz dafür können quantitative Techniken wie etwa die Regressionsanalyse sein (103). In dem in Kasten 1 veranschaulichten Beispiel könnte das Gericht beispielsweise eine Analyse des Verhältnisses zwischen den Preisen des Kabelbaumzulieferers und den Änderungen bei den Inputkosten für Kabelbäume berücksichtigen. Die Preise auf den nachgelagerten Vertriebsstufen können allerdings auch durch andere Faktoren beeinflusst worden sein, zum Beispiel durch Schwankungen bei der Nachfrage seitens der Automobilhersteller. Versäumt es das Gericht, solche zusätzlichen Faktoren zu berücksichtigen, führt das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzerrung des geschätzten Grades der Schadensabwälzung.

(130)

Für eine Regressionsanalyse wird in der Regel eine große Menge an Kosten- und Preisdaten benötigt. Alternativ dazu kann das Gericht zur Schätzung des Grades der Schadensabwälzung deshalb prüfen, ob anhand von Schätzungen aus anderen Quellen eine sinnvolle Schätzung des Grades der Schadensabwälzung möglich ist. Beispiele für solche anderen Quellen können etwa Grade der Schadensabwälzung, die in anderen Fällen innerhalb derselben oder einer anderen Branche festgestellt wurden, für die Branche in dem jeweiligen Fall relevante wissenschaftliche Studien oder Beweise aus Zeugenaussagen sein. Eine solche Alternative ist besonders dann tragfähig, wenn die erforderlichen Daten nicht verfügbar sind oder die quantitativen Methoden keine relevanten Kontrollfaktoren beinhalten.

(131)

Allerdings muss man sich unbedingt darüber im Klaren sein, dass bei Schätzungen auf der Grundlage anderer Quellen die Gefahr besteht, dass Faktoren vernachlässigt werden, die für den Grad der Schadensabwälzung im betreffenden Fall relevant sind. Insbesondere kann es wichtig sein, die Methode, die der Schätzung aus anderen Quellen zugrunde liegt, sowie die Sensibilität etwaiger Ergebnisse gegenüber potenziellen Unterschieden zwischen einer solchen Schätzung und dem Grad der Schadensabwälzung zu prüfen. Zu diesem Zweck kann das Gericht einschlägige wirtschaftstheoretische Erkenntnisse wie etwa den Grad des Wettbewerbs berücksichtigen, wie in Abschnitt 2.3 dieser Leitlinien und in Anhang 1 erläutert. Sind zum Beispiel über die verschiedenen Marktbedingungen oder die Art, wie der Grad der Schadensabwälzung bestimmt wurde, nur begrenzt Informationen verfügbar, ist der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung unter Umständen ungeeignet.

5.2.3.   Das Simulationsmodell

(132)

Als weitere Methode zur Ermittlung des durch ein wettbewerbswidriges Verhalten verursachten Schadens wird im Praktischen Leitfaden ebenfalls das sogenannte Simulationsmodell angeführt (104). Dieser Ansatz kann ebenfalls zur Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preis- und Mengeneffekts herangezogen werden. Bei diesem Ansatz werden die durch die Schadensabwälzung verursachten Preis- und Mengeneffekte gleichzeitig berücksichtigt. Zur Anwendung dieser Methode muss ein wirtschaftlicher Sachverständiger ein Wettbewerbsmodell auf der Vertriebsstufe, auf der der Kläger tätig ist, entwickeln und die Auswirkung des betreffenden Preisaufschlags auf den Gewinn des Klägers während des Zeitraums der Zuwiderhandlung simulieren. So kann der ökonomische Sachverständige z. B. testen, wie verschiedene Krümmungen der Nachfragekurve den Grad der Schadensabwälzung beeinflussen können. Auf der Grundlage der Spezifikationen auf der Nachfrage- und der Angebotsseite können die Gleichgewichtspreise auf dem einschlägigen Markt berechnet werden. Des Weiteren ist in einem nächsten Schritt die Bewertung möglich, wie diese Preise durch einen Preisaufschlag beeinflusst werden.

(133)

Ein Richter muss sich unbedingt darüber im Klaren sein, dass dieser Ansatz eine große Menge von Daten über Preise und Mengen für den betroffenen Markt erfordert. Darüber hinaus stützt sich dieser Ansatz auf Annahmen über das Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern, was zu weit gehen und schwer zu beurteilen sein könnte. Daher kann es bei Anwendung dieser Methode in vielen Fällen schwierig sein, das nach anwendbarem Recht erforderliche Beweismaß zu erfüllen.

6.   ERMITTLUNG UND SCHÄTZUNG VON MENGENEFFEKTEN

6.1.   Einleitung

(134)

Wenn ein durch eine Schadensabwälzung verursachter Preiseffekt vorliegt, bedeutet dies zwangsläufig, zumindest theoretisch, dass auch ein Mengeneffekt vorliegt (105). Wird bei der Ermittlung des Preiseffekts der Mengeneffekt nicht mitberücksichtigt, kann das daher zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Schadensumfangs führen. Zur Vermeidung zu hoher als auch zu niedriger Schadensersatzsummen ist die Schätzung des Mengeneffekts deshalb genauso wichtig wie die Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts, sofern der Abnehmer aufgrund des Mengeneffekts Schadensersatz für entgangenen Gewinn verlangt (106).

(135)

Wie in Kasten 11 dargestellt, bezieht sich der Mengeneffekt auf den entgangenen Gewinn aufgrund eines durch die Schadensabwälzung verringerten Absatzes, d. h. eine geringere Absatzmenge aufgrund von Preissteigerungen. Bei dem in Randnummer 69 erwähnten schrittweisen Vorgehen besteht der dritte Schritt bei der Ermittlung der Schäden infolge eines Preisaufschlags darin, den Umfang des Mengeneffekts zu schätzen.

Kasten 11

Mengeneffekt

Image 6

(136)

Der Mengeneffekt entspricht der Differenz zwischen q 1 und q 2. Fläche C stellt den aufgrund von Absatzeinbußen entgangenen Gewinn dar. Er kann durch Multiplikation der Absatzeinbußen mit der Gewinnmarge (p1-c1), die der Abnehmer ohne Vorliegen einer Zuwiderhandlung und einer Schadensabwälzung erzielt hätte, ermittelt werden

(137)

Zur Schätzung des Mengeneffekts müssen zwei Faktoren beurteilt werden, nämlich i) die mengenmäßige Änderung aufgrund der Preissteigerungen und ii) die kontrafaktische Marge. Die Schätzung dieser Faktoren erfordert Daten über andere Parameter als die, die bei der Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts erforderlich sind. Je nach verfügbaren Daten kommen unterschiedliche Methoden in Frage. Wie bei der Schätzung des durch Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts kann das Gericht bei der Schätzung des Mengeneffekts unmittelbare qualitative Beweismittel berücksichtigen (107). Das Vorliegen solcher Beweismittel kann eine wichtige Rolle spielen, wenn ein Gericht entscheidet, ob und welche der im Folgenden näher beschriebenen Methoden in einem bestimmten Fall anzuwenden sind.

(138)

Der Mengeneffekt wurde von nationalen Gerichten bisher nur in einer begrenzten Zahl von Fällen geschätzt. Ein Beispiel hierfür ist im nachstehenden Kasten 12 aufgeführt. In diesem Fall stützte sich ein vom Gericht ernannter wirtschaftlicher Sachverständiger zur Schätzung des Mengeneffekts sowohl auf qualitative als auch auf quantitative Daten.

Kasten 12

Schätzung der Mengeneffekte — Cheminova, 2015 (108)

Wie in Kasten 9 oben erläutert, betrifft dieser Fall den Verkauf von Pestiziden in Dänemark. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Hälfte des ursprünglichen Preisaufschlags vom unmittelbaren Abnehmer abgewälzt wurde. Aufgrund der Beurteilung seitens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wurde auch der Mengeneffekt geschätzt. Der Sachverständige schätzte den Mengeneffekt durch Multiplikation der kontrafaktischen Marge mit der Anzahl der Verkäufe, die aufgrund der Schadensabwälzung nicht erzielt wurden.

Zur Schätzung der Anzahl der Verkäufe, die während des Zuwiderhandlungszeitraums nicht getätigt wurden, verwendete der Sachverständige eine geänderte Fassung des Elastizitätsansatzes, der im untenstehenden Abschnitt 6.3 näher erläutert wird. Da keine quantitativen Daten zu Preisen und Mengen zur Verfügung standen, bildete der Sachverständige zur Messung der Elastizität den Durchschnitt der Elastizitätswerte, die in 23 auf Pestizide bezogenen Marktstudien gefunden wurden. Außerdem schätzte der Sachverständige die kontrafaktische Marge durch Anpassung der tatsächlichen Marge während des Zuwiderhandlungszeitraums. Auf dieser Grundlage kam das Gericht zu dem Schluss, dass der durch den Mengeneffekt verursachte Schaden 20 Prozent des Preisaufschlags entsprach.

6.2.   Vergleichsgestützter Ansatz

6.2.1.   Erforderliche Informationen

(139)

Der vergleichsgestützte Ansatz zur Schätzung des Mengeneffekts erfordert Informationen über i) die beobachtete Absatzmenge des Unternehmens, das von dem Preisaufschlag betroffen ist, ii) die kontrafaktische Absatzmenge und iii) die Preis-Kosten-Marge, die der Abnehmer ohne die Zuwiderhandlung erzielt hätte. Dabei sei allerdings darauf hingewiesen, dass es sich bei der beobachteten Preis-Kosten-Marge nicht um die für die Schätzung des Mengeneffekts maßgebliche Marge handelt. Wälzt der Abnehmer beispielsweise die Hälfte des Preisaufschlags ab, verringert sich dadurch seine Marge, was bedeutet, dass die beobachtete Marge kleiner ausfallen wird als der entsprechende kontrafaktische Wert. In diesem Fall würde durch das Heranziehen der beobachteten Marge der Umfang des Mengeneffekts unterschätzt werden.

(140)

Darüber hinaus sollte sich das Gericht darüber im Klaren sein, dass die für die Schätzung des Mengeneffekts maßgebliche Marge nicht zwangsläufig dem Maßstab entspricht, nach dem die buchhalterische Marge eines Unternehmens — wie etwa das „Ergebnis vor Zinsen und Steuern“ (EBIT) oder das Nettoeinkommen des Unternehmens — normalerweise bemessen wird.

(141)

Die für die Beurteilung der Mengeneffekte maßgeblichen Margen sind durch die Preise der relevanten Waren abzüglich der vermiedenen Kosten definiert, d. h. der Kosten, die aufgrund der verringerten Produktion eingespart wurden. Neben einer Beurteilung, welche Kosten als vermeidbar gelten, kann das Gericht deshalb die Offenlegung der Preise für die relevanten Waren anordnen. Darüber hinaus kann es in diesem Zusammenhang auch die Offenlegung interner Dokumente anordnen, die Auskunft darüber erteilen, welche Deckungsbeiträge der Abnehmer bei seinen eigenen Preisentscheidungen anwendet.

6.2.2.   Methoden und Herausforderungen

(142)

Der aufgrund des Mengeneffekts entgangene Gewinn kann mithilfe des vergleichsgestützten Ansatzes geschätzt werden, indem das Produkt aus der kontrafaktischen Marge und den Absatzeinbußen aufgrund der Abwälzung des Preisaufschlags gebildet wird.

(143)

Mithilfe der vom Abnehmer vorgelegten relevanten Daten kann das Gericht die Schätzung der kontrafaktischen Marge und der kontrafaktischen Menge anhand der vorstehend erläuterten Vergleichsmethoden vornehmen. Da die beobachtete Gewinnmarge und die Menge von Faktoren beeinflusst werden können, die nicht mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen, wird in vielen Fällen zu prüfen sein, ob solche zusätzlichen Faktoren vorliegen. Deshalb ist es normalerweise notwendig, mithilfe eines der vorstehend beschriebenen Ansätze zu prüfen, ob Faktoren vorliegen, die nicht mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen, zum Beispiel durch eine Regressionsanalyse.

(144)

Sind die für die Differenz-von-Differenzen-Methode erforderlichen Daten nicht verfügbar, kann eine der anderen vorstehend beschriebenen Techniken, d. h. ein Marktvergleich oder ein zeitlicher Vergleich, in Erwägung gezogen werden. Bei der Anwendung solcher Techniken muss allerdings auch ein solides kontrafaktisches Szenario erstellt werden, bei dem Faktoren berücksichtigt werden, die je nach Markt oder Zeitraum variieren.

(145)

Die Vergleichsmethoden beruhen auf der Annahme, dass der Bezugszeitraum oder der Bezugsmarkt eine ausreichende Ähnlichkeit aufweisen — insbesondere hinsichtlich der Markteigenschaften, die für die Gewinnmargen relevant sind, wie etwa der Grad des Wettbewerbs auf dem Markt oder die Kostenstruktur der Zulieferer. Die Überprüfung dieser Annahme ist nicht einfach, da die Margen eines Unternehmens in der Regel von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren und strategischen Entscheidungen bestimmt werden.

6.3.   Elastizitätsansatz

(146)

Der Mengeneffekt kann auch dadurch geschätzt werden, dass die als Folge des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts beobachtete Preissteigerung mit einer Schätzung der Preissensibilität der entsprechenden Nachfrage kombiniert wird. Wie bereits dargelegt, wird die Stärke der Beziehung zwischen Preis und Nachfrage von der Preissensibilität der Nachfrage bestimmt. Ist etwa eine Preissteigerung um 1 EUR mit einem signifikanten Rückgang der Abnahmemenge verbunden, wäre die Nachfrage preissensibler als bei einem weniger starken Rückgang der Abnahmemenge bei der gleichen Preissteigerung um 1 EUR. Die sogenannte Preiselastizität der Nachfrage gibt an, um wie viel Prozent sich die Nachfragemenge bei einer Preissteigerung um ein Prozent ändert (109).

6.3.1.   Methoden und erforderliche Informationen

(147)

Im Allgemeinen wird der mengenmäßige Rückgang, in Kasten 11 oben als Rückgang des Absatzes von q 1 zu q 2 dargestellt, von der eigenen Preissteigerung des Unternehmens sowie von den Preisänderungen der Wettbewerber beeinflusst, sofern Unternehmen sich im Preiswettbewerb befinden. Das Ausmaß der Absatzeinbußen erfordert folglich eine Beurteilung der Auswirkungen der Schadensabwälzung auf die Preise aller Wettbewerber auf dem Markt sowie der Sensibilität der Nachfrage auf diese Preisänderungen. Bei der Bewertung dieser Methode berechnet sich der Mengeneffekt (110) durch Multiplikation der Absatzeinbußen mit der kontrafaktischen Marge.

(148)

Welche Daten bei der Schätzung des Mengeneffekts unter Anwendung des Elastizitätsansatzes erforderlich sind, hängt davon ab, ob die relevanten Unternehmen in gleichem Maße vom Preisaufschlag betroffen sind, d. h., ob es sich um einen branchenweiten Preisaufschlag handelt. Die Mengeneffekte sowohl der Eigenpreis- als auch der Kreuzpreiselastizität könnten von der Marktpreiselastizität erfasst werden. Unter diesen Umständen kann der Mengeneffekt auf Grundlage der kontrafaktischen Marge, der Elastizität der Nachfrage auf dem Markt und der beobachteten Preise (p 1) und Mengen (q 2) geschätzt werden.

(149)

Die kontrafaktische Marge kann auch durch Anwendung des vergleichsgestützten Ansatzes geschätzt werden. Eine quantitative Schätzung der Elastizität der Nachfrage auf dem Markt kann große Mengen an Preis- und Mengendaten erfordern, die im Einzelfall möglicherweise nicht verfügbar oder unverhältnismäßig sind. Unter diesen Umständen kann das Gericht es für ausreichend halten, andere Beweismittelquellen heranzuziehen, zum Beispiel Informationen über den relevanten Markt aus früheren Marktstudien oder interne Dokumente mit Informationen über die relevante Elastizität (111).

(150)

Ein weiterer vereinfachter Ansatz könnte darin bestehen, bei der Schätzung des Mengeneffekts Erkenntnisse aus der Wirtschaftstheorie heranzuziehen. Ein solcher Ansatz kann sich auf den vom unmittelbaren Abnehmer während des Zuwiderhandlungszeitraums festgesetzten Preis (den durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekt) und die kontrafaktische Menge stützen. Da die Fähigkeit eines Unternehmens, die Preise zu erhöhen, davon abhängt, wie preissensibel die Nachfrage nach seiner Ware ist, wird in der Regel von einer umgekehrten Beziehung zwischen der Gewinnmarge eines Unternehmens und der Eigenpreiselastizität der Nachfrage ausgegangen. Ausgehend von dieser Annahme können sich Eigenpreiselastizität und kontrafaktische Marge gegenseitig aufheben. Da in diesem Stadium eines Verfahrens bereits Informationen über den vom unmittelbaren Abnehmer festgesetzten Preis (der durch die Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt) verfügbar sind, ist die kontrafaktische Menge der einzige zusätzliche Input, der zur Schätzung des Mengeneffekts erforderlich ist.

6.3.2.   Herausforderungen

(151)

Bei der Anwendung des Elastizitätsansatzes wird das Gericht unter Umständen die relevanten Elastizitätsparameter schätzen. Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht in der Entwicklung eines Nachfragemodells und in der Anwendung ökonometrischer Methoden. Wie bereits erwähnt, werden bei diesem Ansatz große Anforderungen an die verfügbaren Daten und die Annahmen gestellt. Stehen bestimmte Daten nicht zur Verfügung und werden andere Quellen wie beispielsweise Marktstudien oder Informationen aus früheren Fällen herangezogen, ist zu beachten, dass solche Quellen möglicherweise ungeeignet sind, falls der Markt in dem jeweiligen Fall eine andere Marktstruktur aufweist als der in den Marktstudien beschriebene Markt. Unter solchen Umständen ermöglicht der Elastizitätsansatz unter Umständen keine genaue Schätzung des Mengeneffekts.

(152)

Wie in der Einleitung des vorliegenden Kapitels über die Ermittlung und Schätzung von Mengeneffekten bereits erwähnt, ergeben sich die drei potenziellen Komponenten des Schadens in einer Schadensersatzklage aus dem ursprünglichen Preisaufschlag, dem durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekt und dem durch die Schadensabwälzung verursachten Mengeneffekt (112). Das Gericht kann sich dazu entscheiden, diese drei Komponenten nacheinander zu schätzen; die Ermittlung des Preisaufschlags wäre dabei der erste Schritt, die Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Preiseffekts der zweite Schritt und die Schätzung des durch die Schadensabwälzung verursachten Mengeneffekts der dritte Schritt.

7.   WAHL DER METHODE

(153)

Die Wahl einer Methode zur Schätzung der durch die Schadensabwälzung verursachten Preis- und Mengeneffekte hängt in der Regel von einer Reihe von Aspekten ab. Wenn der Kläger und der Beklagte zum Beispiel verschiedene Methoden heranziehen und die Anwendung dieser Methoden zu widersprüchlichen Ergebnissen führt, ist es normalerweise nicht angemessen, die geschätzte Schadensabwälzung mit dem Durchschnitt beider Ergebnisse anzusetzen oder die beiden widersprüchlichen Ergebnisse in der Annahme, dass sie sich gegenseitig aufheben, nicht zu berücksichtigen. Wie im Praktischen Leitfaden erwähnt, wäre es stattdessen angemessen, die Gründe für die abweichenden Ergebnisse zu untersuchen und die Stärken und Schwächen beider Methoden und ihrer jeweiligen Umsetzung zu berücksichtigen (113).

(154)

Die in den Kapiteln 5 und 6 beschriebenen verschiedenen Techniken zur Schätzung der durch die Schadensabwälzung verursachten Preis- und Mengeneffekte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Komplexität und der erforderlichen Daten; sie reichen von Analysen auf Grundlage qualitativer Beweismittel einerseits bis hin zu ökonometrischen Techniken (114) auf Grundlage quantitativer Daten andererseits. Außerdem führen die verschiedenen Techniken zu unterschiedlichen Genauigkeiten bei der Schätzung der jeweiligen Effekte.

(155)

In diesem Zusammenhang gibt es keine Technik, die grundsätzlich in allen Fällen anderen Techniken überlegen wäre. Ein Beispiel ist die Verwendung ökonometrischer Techniken. In den meisten Fällen kann der Einsatz solcher Techniken den Grad der Genauigkeit einer Schätzung erhöhen. Diese Techniken erfordern jedoch in der Regel eine große Menge an Daten, die möglicherweise nicht immer verfügbar sind. So können den Parteien, Dritten und dem Gericht erhebliche Kosten für die Sammlung von Daten und deren wirtschaftliche Analyse entstehen. Diese Kosten stehen unter Umständen nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe des in Rede stehenden Schadensersatzes.

(156)

Bei der Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung können die nationalen Gerichte auch einzelne für den Fall relevante unmittelbare Beweismittel verwenden. Dies können zum Beispiel interne oder andere qualitative Dokumente sein, die der unmittelbare oder mittelbare Abnehmer in Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Preisaufschlägen und den Veränderungen seiner Preise vorgelegt hat. Wenn diese Art von Beweismitteln verfügbar ist, erachtet das Gericht es möglicherweise als ausreichend, die Auswirkungen der Schadensabwälzung (Preis- und Mengeneffekte) zu schätzen, indem es qualitative Beweismittel berücksichtigt oder die quantitativen Daten ohne die Verwendung einer Regressionsanalyse anpasst. Daher kann die Verfügbarkeit qualitativer Beweismittel eine wichtige Rolle spielen, wenn ein Gericht darüber entscheidet, ob oder welche der quantitativen Techniken, die vorstehend beschrieben wurden, von einer Partei verwendet werden können, um das nach anwendbarem Recht erforderliche Beweismaß zu erfüllen (115).

8.   ANHANG 1 — WIRTSCHAFTSTHEORIE

8.1.   Einleitung

(157)

In diesem Anhang werden die wirtschaftstheoretischen Elemente, die im Zusammenhang mit der Schätzung der Schadensabwälzung relevant sind, näher erläutert. Wie in den Randnummern 49 ff. dargelegt, kann der Grad der Schadensabwälzung von unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden, zum Beispiel von der Art der Inputkosten, die Gegenstand eines Preisaufschlags sind, von der Art der Warennachfrage bei unmittelbaren oder mittelbaren Kunden, von Art und Intensität der Wettbewerbsinteraktionen zwischen den Unternehmen auf dem Markt, auf dem die unmittelbaren oder mittelbaren Kunden tätig sind, sowie von anderen Elementen wie etwa dem Anteil der verschiedenen von dem Preisaufschlag betroffenen Inputs eines Unternehmens oder vom Zeitrahmen der Zuwiderhandlung.

8.2.   Inputkosten und deren Auswirkung auf Preisentscheidungen

(158)

Wie in Randnummer 46 erläutert, führt der ursprüngliche Preisaufschlag zu höheren Inputkosten für die Abnehmer der von dem Preisaufschlag betroffenen Waren und Dienstleistungen. Ob diese Abnehmer in der Lage und willens sind, den Preisaufschlag auf ihre eigenen Kunden abzuwälzen — und ggf. in welchem Umfang — hängt unter anderem von der Kostenstruktur der Abnehmer ab.

(159)

Um die Auswirkungen der Schadensabwälzung zu identifizieren, ist es wichtig zu bestimmen, ob die Inputkosten eines Abnehmers, der von einem Preisaufschlag betroffen ist, von der von ihm bestellten Inputmenge abhängen (variable Inputkosten) oder nicht (fixe Inputkosten). Aus wirtschaftstheoretischer Sicht sind die variablen Kosten — oder genauer gesagt die Grenzkosten — die relevante Kostenkategorie bei der kurzfristigen Preisbildung, d. h. relevant ist die Kostensteigerung, die beim Kauf eines zusätzlichen Inputs entsteht (siehe Kasten 13). Das Gegenstück zu diesen Kosten sind die Fixkosten, die in der Regel die langfristigen strategischen Entscheidungen eines Unternehmens beeinflussen, wie etwa die Marktbeteiligung, die Wareneinführung und die Höhe der Investitionen.

Kasten 13

Beispiele für Grenz- und Fixkosten

Um die Begriffe „Grenzkosten“ (variable Kosten) und „Fixkosten“ zu erläutern, ist es hilfreich, das in Kasten 1 beschriebene Beispiel zu betrachten.

In diesem Beispiel wären die variablen Kosten des Kabelbaumzulieferers die Kosten, die für die Herstellung eines zusätzlichen Kabelbaums anfallen. Solche Kosten können Inputs umfassen, die zur Herstellung des zusätzlichen Kabelbaums erforderlich sind, einschließlich Kupfer und Kunststoff, sowie Strom- und Arbeitskosten, die durch die zusätzliche Produktion anfallen.

Bei der Produktion entstehen dem Kabelbaumzulieferer aber auch Fixkosten, wie etwa die Kosten für die Vermarktung der Waren und Investitionskosten für neue Maschinen. Die Produktion eines zusätzlichen Kabelbaums wirkt sich nicht auf diese Kosten aus; sie werden deshalb als Fixkosten bezeichnet.

(160)

Normalerweise werden die Auswirkungen des Preisaufschlags auf die Grenzkosten bzw. die variablen Kosten des Abnehmers als maßgeblicher Ausgangspunkt für die Beurteilung der Auswirkungen der Schadensabwälzung betrachtet.

(161)

Verträge zwischen Unternehmen verschiedener Vertriebsstufen, die die Bedingungen enthalten, zu denen die Unternehmen ihre Waren oder Dienstleistungen an die Abnehmer verkaufen, können variable bzw. fixe Kostenbestandteile betreffen. Bestimmte Bestandteile des vom Abnehmer gezahlten Preises hängen zum Beispiel häufig nicht von der bezogenen Menge ab, wohingegen dies bei anderen Bestandteilen der Fall ist. Soweit im Rahmen einer Schadensersatzklage das Argument der Schadensabwälzung vorgebracht wird, ist es folglich wichtig zu klären, ob die von der Zuwiderhandlung betroffenen Preisbestandteile aus der Sicht des Abnehmers zu den Fixkosten zählen oder nicht.

(162)

Der Zeitraum, über den die Preisgestaltung betrachtet wird, wirkt sich auf die Frage aus, ob bestimmte Kosten als variable Kosten oder als Fixkosten gelten. Im Allgemeinen gilt in der Wirtschaftstheorie folgende Annahme: Je länger der maßgebliche Zeitraum, desto größer der Anteil der Gesamtkosten, der als variabel betrachtet werden sollte. Mit anderen Worten: Eine bestimmte Kostenkategorie, die kurzfristig den Fixkosten zugeschrieben wird, kann langfristig betrachtet von einem Unternehmen als variabel angesehen werden. Bei der Beurteilung des maßgeblichen Zeitraums in einem spezifischen Fall kann es für das Gericht sinnvoll sein, Informationen aus den internen Unterlagen der Partei zu berücksichtigen, zum Beispiel Informationen darüber, welche Kosten ein Unternehmen in seine Preisentscheidungen einbezieht.

(163)

Die Erwägungen zu Fixkosten und variablen Kosten sind vor allem bei der Schätzung des Mengeneffekts von Bedeutung, da hierbei die Marge der an dem jeweiligen Fall beteiligten Unternehmen beurteilt werden muss.

8.3.   Nachfragemerkmale und ihr Zusammenhang mit den Preisen

(164)

Ein anderer wichtiger Faktor bei der Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung ist die Art der Nachfrage, der sich die unmittelbaren Abnehmer auf dem Markt, auf dem sie tätig sind, gegenübersehen. In der Wirtschaftswissenschaft ist die Beziehung zwischen der Nachfrage und dem Preisniveau ein wichtiger Faktor bei der Beschreibung der Funktionsweise eines Marktes. Die Nachfrage wird — unabhängig von dem Markt — als die Menge der fraglichen Ware oder Dienstleistung bezeichnet, die die Abnehmer auf dem jeweiligen Markt zu einem bestimmten Preis kaufen würden.

(165)

Daraus folgt üblicherweise, dass je höher das Preisniveau ist, desto niedriger ist die Gesamtmenge der Waren, die die Abnehmer auf dem Markt zu kaufen bereit sind. Wie stark der Preis und die Nachfrage miteinander in Beziehung stehen, hängt von der Preissensibilität der Nachfrage ab. Ist etwa eine Preissteigerung um 1 EUR mit einem signifikanten Rückgang der Abnahmemenge verbunden, wäre die Nachfrage preissensibler als bei einem weniger starken Rückgang der Abnahmemenge bei der gleichen Preissteigerung um 1 EUR.

(166)

Im nachstehenden Kasten 14 ist die standardmäßige abfallende umgekehrte Nachfragekurve dargestellt (116). In dieser Darstellung entspricht die Fläche A dem Preisaufschlag aus der Zuwiderhandlung. Die Preissteigerung, die der unmittelbare Abnehmer erleidet, wird als Anstieg seiner Inputkosten berücksichtigt. Sie bestimmt sich durch c 2-c 1. Der durch die Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt ist als Fläche B dargestellt, der entsprechende Mengeneffekt als Fläche C. Wie daraus hervorgeht, entspricht ein relativ hohes Preisniveau (p 2) einer relativ geringen gelieferten Menge (q 2).

Kasten 14

Die standardmäßige Nachfragekurve — Preis- und Mengeneffekte

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(167)

Diese Preissensibilität wird häufig als sogenannte Preiselastizität der Nachfrage zusammengefasst. Sie gibt an, um wie viel Prozent sich die Nachfragemenge bei einer Preissteigerung um ein Prozent ändert. Liegt die Eigenpreiselastizität der Nachfrage eines Unternehmens beispielsweise bei – 0,5, bedeutet das, dass bei einer Preissteigerung um ein Prozent die Nachfrage um 0,5 Prozent zurückgeht. Eine Elastizität von – 0,2 bedeutet hingegen, dass die Nachfrage bei einer Preissteigerung um ein Prozent nur um 0,2 Prozent zurückgeht. Die Nachfrage im letzteren Fall wird als weniger elastisch — d. h. weniger preissensibel — als im ersten Fall bezeichnet, da die Abnahmemenge weniger stark auf die Preissteigerung reagiert.

(168)

Bei der Beurteilung der Abwälzung eines Preisaufschlags von einem unmittelbaren auf einen mittelbaren Abnehmer ist die Nachfrage beim unmittelbaren Abnehmer von Interesse. Der mittelbare Abnehmer könnte seine Nachfrage als Reaktion auf eine vom unmittelbaren Abnehmer vorgenommene Preissteigerung zurückfahren.

(169)

Die Preissensibilität der Nachfrage wirkt sich unmittelbar auf den Umfang des Mengeneffekts aus. Der Grund dafür ist, dass die Preissensibilität den Rückgang der Nachfrage infolge einer Preissteigerung bestimmt. Bei jeder Preissteigerung gilt Folgendes: je preissensibler die Nachfrage, desto stärker der Produktionsrückgang. Der Mengeneffekt, d. h. der aufgrund des Rückgangs bei der Produktion (Nachfrage) entgangene Gewinn des Kunden des Rechtsverletzers, steht deshalb in einem engen Zusammenhang mit der Preissensibilität der Nachfrage.

(170)

Der Umfang der Schadensabwälzung — und damit das Ausmaß der Auswirkungen der Schadensabwälzung — ist auch mit der Beziehung zwischen Preis und Nachfrage verknüpft. In diesem Fall ist allerdings nicht die Preissensibilität der Nachfrage direkt relevant, sondern stattdessen die Änderung der Preissensibilität der Nachfrage bei Änderungen des Preisniveaus. Diese Änderung der Preissensibilität in Bezug auf das Preisniveau wird als Krümmung der Nachfragekurve bezeichnet.

(171)

Die Krümmung der Nachfragekurve gibt an, wie stark die Reaktion der Nachfrage auf Preisänderungen variiert, sobald es Änderungen bei den Preisen oder bei der Produktion gibt. Ist die Nachfragekurve linear, liegt keine Krümmung vor und die Steigung ist konstant. Bei der konvexen Nachfrage nimmt die Sensibilität der Nachfrage gegenüber Preisänderungen mit steigendem Preis ab. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die von dem Preisaufschlag betroffenen Waren oder Dienstleistungen als essenzielle Güter gelten. Ein hypothetisches Beispiel dafür kann die Nachfrage nach Trinkwasser in der Wüste sein, weil sich die Sensibilität eines Durchschnittskunden gegenüber einer Preissteigerung mit abnehmender Verfügbarkeit der Menge möglicherweise verringert. Umgekehrt kann sich die Sensibilität eines solchen Kunden gegenüber einer Preissteigerung bei Zunahme der verfügbaren Menge erhöhen.

(172)

Bei der konkaven Nachfragekurve (mittlere Darstellung in Kasten 15) erhöht sich mit steigenden Preisen auch die Sensibilität der Nachfrage gegenüber Preisänderungen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn dem Kunden ein Substitut der von dem Preisaufschlag betroffenen Ware zur Verfügung steht. Ein Beispiel dafür kann die Nachfrage nach Benzin sein. Ab einem bestimmten Preisniveau steigen die Kunden möglicherweise von Benzinautos zu Elektroautos um und ändern damit ihr Verbrauchsverhalten. Das würde bedeuten, dass die Sensibilität der Benzinnachfrage gegenüber Preisänderungen ansteigen würde, da mehr Kunden umsteigen, wenn der Benzinpreis nach oben geht.

(173)

Die Krümmung der Nachfragekurve kann sich unter Umständen erheblich auf die Abwälzung von Preisaufschlägen auswirken. Bei einem gegebenen Grad des Wettbewerbs verstärkt sich die Abwälzung eines branchenweiten Preisaufschlags mit steigender Konvexität der Nachfragekurve. Ist die Nachfragekurve ausreichend konvex, kann der Grad der Schadensabwälzung über 100 Prozent betragen.

Kasten 15

Krümmung der Nachfragekurve

Je nach den Markteigenschaften kann die Nachfragekurve — wie nachstehend dargestellt — linear, konvex oder konkav sein. Fällt eine Nachfragekurve nach unten ab, bedeutet das, dass die Nachfrage der Kunden nach einem gewissen Produkt mit sinkendem Preis steigt. Die Steigung der Nachfragekurve zeigt, wie sich die Nachfragemenge je nach Preis ändert. Je steiler die Nachfragekurve, desto geringer die Sensibilität der Nachfrage gegenüber Preissteigerungen.

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8.4.   Preisentscheidungen eines Unternehmens

(174)

Wie in den Randnummern 52 und 53 erläutert, hängt der Anreiz eines Unternehmens, einen Preisaufschlag auf seine Abnehmer abzuwälzen, von der Art der Nachfrage und den betroffenen Kosten ab (117). Aus wirtschaftstheoretischer Sicht passt ein Unternehmen seine Preise nur dann an, wenn es dadurch eine Gewinnsteigerung erzielt. Um höhere Preise zu erzielen, muss ein Unternehmen aber normalerweise eine geringere Absatzmenge in Kauf nehmen. Um den Umfang der Auswirkungen einer Schadensabwälzung im Rahmen einer Schadensersatzklage zu verstehen, ist es wichtig, die Austauschbeziehung zwischen dem gesteigerten Gewinn aufgrund der höheren Preise und dem geringeren Gewinn aufgrund des verringerten Absatzes zu beurteilen.

(175)

Diese Austauschbeziehung wird in Kasten 16 unten veranschaulicht. Erhöht ein Unternehmen, beispielsweise ein unmittelbarer Kunde eines Rohstoffherstellers, seine Preise, können die aufgrund der höheren Preise erzielten Auswirkungen auf den Gewinn auf der linken Seite des Kasten 16 als Fläche A dargestellt werden. Der entsprechende entgangene Gewinn aufgrund von Absatzeinbußen entspricht der Fläche B. Wird die Fläche A aufgrund einer weiteren kleinen Preissteigerung gleich der Fläche B, gibt es keinen Spielraum mehr, durch weitere Preisanpassungen einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Bei einer Preissteigerung über diesen Punkt hinaus fällt die durch die verringerte Absatzmenge entgangene Gewinnmarge stärker ins Gewicht als die gesteigerten Margen, die durch den übrigen Absatz erzielt wurden.

(176)

Fallen beim unmittelbaren Abnehmer höhere Rohstoffkosten an, zum Beispiel falls die Rohstofflieferanten ihre Preise unter Verstoß gegen Artikel 101 AEUV erhöhen, kann das die Bedingungen der in Randnummer 175 beschriebenen Austauschbeziehung verändern. Ein Anstieg der Kosten des unmittelbaren Abnehmers verringert die Margen auf den Absatz zum aktuellen Preis. Was den Gewinn anbelangt, ist es deshalb günstiger, den Preis zulasten leichter Absatzeinbußen zu erhöhen. Der aufgrund des niedrigeren Absatzes entgangene Gewinn nach einer Kostensteigerung ist rechts im Kasten 16 als Fläche D dargestellt. Da die Fläche D kleiner ist als die Fläche B, besteht für den unmittelbaren Kunden ein Anreiz, seinen Preis als Reaktion auf die Kostensteigerung zu erhöhen, d. h. die Kostenänderung zumindest teilweise abzuwälzen.

Kasten 16

Austauschbeziehung zwischen Preissteigerungen und Absatzeinbußen

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8.5.   Wettbewerbsintensität und Zusammenhang mit der Schadensabwälzung

8.5.1.   Kontinuum der Wettbewerbsfähigkeit der Märkte

(177)

Auf einer bestimmten Vertriebsstufe kann der Wettbewerb zwischen den Unternehmen mehr oder weniger intensiv sein. Im einen Extremfall, nämlich wenn ein Unternehmen auf seiner Vertriebsstufe ein Monopolist ist, gibt es überhaupt keinen Wettbewerb. Im anderen Extremfall kann der Wettbewerb zwischen den Unternehmen äußerst intensiv sein (wenn etwa viele Unternehmen eher homogene Waren auf einem Markt mit niedrigen Eintrittsschranken verkaufen), sodass jedes Unternehmen als Preisnehmer fungiert und die Marktpreise, die auf dem Niveau oder sehr nahe an den Grenzkosten der Produktion liegen, nicht von einzelnen Unternehmen beeinflusst werden. Im letzteren Fall spricht man von vollkommenem Wettbewerb. Zwischen diesen beiden Extremfällen liegt ein breites Spektrum von Zwischenszenarien, in denen der Wettbewerb mehr oder weniger intensiv ist, je nachdem, wie viele Unternehmen die Branche beispielsweise umfasst oder ob die von den unterschiedlichen Unternehmen verkauften Waren nahe Substitute sind oder nicht.

(178)

Der auf einem Markt bestehender Wettbewerb wirkt sich unmittelbar auf die Schadensabwälzung aus. Im Referenzfall des vollkommenen Wettbewerbs werden branchenweite Kostenschocks zu 100 Prozent auf die unmittelbaren Kunden abgewälzt. Die stilisierte Marktstruktur des vollkommenen Wettbewerbs kann dem Gericht bei der Beurteilung der Auswirkungen der Schadensabwälzung als Referenz dienen (selbst wenn sie auf den realen Märkten vergleichsweise selten vorkommt). Im Gegensatz dazu werden Preisaufschläge bei einem Monopol oder diversen Zwischenszenarien möglicherweise nicht zu 100 Prozent abgewälzt; stattdessen kann die Abwälzung über oder unter dieser Schwelle liegen oder auch einen Wert von null Prozent annehmen.

(179)

Ein Beispiel für Marktstrukturen, die von einem unvollkommenen Wettbewerb gekennzeichnet sind, ist ein Markt mit differenzierten Waren. Eine Differenzierung kann entweder im Hinblick auf die Warenmerkmale oder auf räumlicher Ebene erfolgen. Ein unmittelbarer Abnehmer kann zum Beispiel Waren anbieten, die sich hinsichtlich ihrer tatsächlichen Qualität oder der von den Kunden der Ware wahrgenommenen Qualität unterscheiden. Alternativ dazu können die Transportkosten der angebotenen Waren aufgrund der unterschiedlichen Standorte der unmittelbaren Abnehmer je nach Kunden (deren Standorte ebenfalls variieren können) unterschiedlich hoch ausfallen. Differenzierung kann dazu führen, dass Waren nicht gänzlich vollkommene Substitute voneinander sind. Die Kunden betrachten möglicherweise nicht alle Waren als vollkommen austauschbar.

(180)

Diese nicht gänzlich vollkommene Substituierbarkeit kann bei Lieferanten, die keine Wettbewerber haben, die beinahe austauschbare Waren anbieten, zu einem geringeren Wettbewerbsdruck führen. Mit anderen Worten: Aus wirtschaftstheoretischer Sicht nimmt die Intensität des Wettbewerbs mit zunehmender Differenzierung der Waren ab. Wie in den Randnummern 177 ff. erläutert, führt ein schwächerer Wettbewerb bei zunehmender Differenzierung zwischen den Waren der unmittelbaren Abnehmer zu einem geringeren Grad der Schadensabwälzung eines branchenweiten Preisaufschlags und der Grad der Schadensabwälzung des branchenweiten Preisaufschlags, von dem die unmittelbaren Abnehmer betroffen waren, nähert sich dem Grad, bei dem jeder unmittelbare Abnehmer ein Monopolist ist. Umgekehrt fällt der Grad der Schadensabwälzung eines branchenweiten Preisaufschlags bei einer begrenzten Warendifferenzierung höher aus.

8.5.2.   Branchenweite und unternehmensspezifische Preisaufschläge und Schadensabwälzung

(181)

Die Abwälzung von Preisaufschlägen durch einen bestimmten Abnehmer auf seine eigenen Kunden variiert normalerweise je nachdem, ob die Wettbewerber des Abnehmers ebenfalls vom Preisaufschlag betroffen sind oder nicht. Ist nur ein einziger Abnehmer von dem Preisaufschlag betroffen, handelt es sich zwangsläufig um eine unternehmensspezifische Schadensabwälzung. Sind hingegen alle Abnehmer auf einer bestimmten Vertriebsstufe von dem Preisaufschlag betroffen, können sowohl der Grad der Schadensabwälzung der einzelnen Unternehmen als auch die branchenweite Schadensabwälzung betrachtet werden.

(182)

Ist nur ein Abnehmer betroffen, d. h. ist der Preisaufschlag unternehmensspezifisch, sind die Auswirkungen der Schadensabwälzung möglicherweise eher begrenzt, vor allem dann, wenn dieser Abnehmer aufgrund eines intensiven Wettbewerbsdrucks nicht in der Lage ist, die Verkaufspreise auf seinem Markt zu beeinflussen.

(183)

Im umgekehrten Fall, wenn alle Unternehmen auf einem Markt von einem Preisaufschlag betroffen sind und es sich daher um einen branchenweiten Preisaufschlag handelt, entstehen bei allen Unternehmen höhere Inputkosten; das bedeutet, dass sie den Preisaufschlag möglicherweise zumindest teilweise auf ihre eigenen Kunden abwälzen können. Dennoch kann sich ein branchenweiter Preisaufschlag unterschiedlich auf die Wettbewerber auswirken.

8.6.   Weitere Faktoren mit Auswirkung auf die Schadensabwälzung

(184)

Auf bestimmten Märkten, z. B. im Lebensmittelendkundenmarkt, verkaufen Unternehmen eine Vielzahl von Produkten. Auf solchen Märkten können die Waren über die Nachfrage nach ihnen miteinander verknüpft sein, zum Beispiel, wenn ein Einzelhändler konkurrierende Marken zahlreicher Warenkategorien verkauft. Sind die Waren Substitute, kann ein Kostenschock bei einer Ware sich auch auf die Preise für andere Waren des Einzelhändlers auswirken. Umgekehrt kann eine Preisänderung bei anderen Waren auch zu einer Preisänderung der Ware führen, die unmittelbar vom Kostenschock betroffen ist. Derartige durch andere Waren erzeugte Rückkoppelungseffekte können auf Märkten, auf denen Unternehmen eine Vielzahl von Produkten verkaufen, die ursprüngliche Kostenabwälzung verstärken.

(185)

In welchem Umfang Auswirkungen der Schadensabwälzung zu beobachten sind, kann auch vom Zeitraum abhängen, der bei der Schätzung dieser Auswirkungen berücksichtigt wurde, denn die Abwälzung des Preisaufschlags auf die nachgelagerten Vertriebsstufen kann sich aus verschiedenen Gründen verzögern. Zunächst wirkt sich der ursprüngliche Preisaufschlag möglicherweise nur auf die Fixkosten der Unternehmen aus, die von dem Preisaufschlag betroffen sind. Selbst wenn die Auswirkungen des Preisaufschlags auf die Grenz- bzw. variablen Kosten des Abnehmers den maßgeblichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der Auswirkungen der Schadensabwälzung darstellen, könnten höhere Fixkosten die strategischen Entscheidungen eines Unternehmens und damit auch die Auswirkungen der Schadensabwälzung beeinflussen.

(186)

Darüber hinaus können bei den Unternehmen, wie in Randnummer 56 erwähnt, sogenannte Preisanpassungskosten anfallen, d. h. Kosten, die im Zusammenhang mit dem Preisanpassungsprozess stehen. Ist das der Fall, wird ein Unternehmen die Anzahl der Preisänderungen vorzugsweise möglichst gering halten und etwaige Preisaufschläge möglicherweise erst später abwälzen. Das Unternehmen wird also zum Beispiel so lange warten, bis mehrere Grenzkostensteigerungen zusammenkommen und eine bestimmte Schwelle überschreiten, und erst bei Erreichen dieser Schwelle seine Preise anpassen. In einigen Fällen kann der Preisaufschlag zu einer so geringen Steigerung der Grenzkosten führen, dass der betroffene Abnehmer es möglicherweise nicht für gewinnbringend hält, den Preisaufschlag überhaupt abzuwälzen. Umgekehrt kann das Vorliegen von Preisanpassungskosten auch zu einer Schadensabwälzung führen, die höher als der ursprüngliche Preisaufschlag ist (118). Dies kann der Fall sein, wenn der unmittelbare Abnehmer kurz davorsteht, seine Preise zu ändern, ohne dass ein Preisaufschlag vorliegt. Daher kann selbst ein geringer Preisaufschlag eine erhebliche Preiserhöhung auslösen, die nicht nur den Preisaufschlag, sondern auch alle anderen Kostensteigerungen widerspiegelt, die nach der letzten Preisanpassung aufgelaufen sind. Während diese anderen Kostensteigerungen möglicherweise nicht dem Rechtsverletzer anzulasten sind, ist es für ein nationales Gericht unter Umständen sinnvoll zu wissen, dass in einem solchen Szenario selbst ein relativ geringer Preisaufschlag zu einer erheblichen Preiserhöhung führen kann.

(187)

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Preisanpassungskosten sich auf den Grad der Schadensabwälzung auswirken können, hängt mit der sogenannten „psychologischen Preisgestaltung“ zusammen. Auf vielen Märkten, typischerweise auf Endkundenmärkten, liegen Preise häufig geringfügig unter einer runden Zahl, z. B. 99 EUR oder 19 900 EUR. Die Verbraucher können diese Preise niedriger wahrnehmen, als sie tatsächlich sind. Eine solche Preisstrategie könnte die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein unmittelbarer Abnehmer sich gegen die Abwälzung eines Preisaufschlags entscheidet, da die Preisänderung, zum Beispiel von 19 900 EUR auf 20 000 EUR, zu einem erheblichen Rückgang seiner Nachfrage führen würde. Der mögliche Einfluss auf die Schätzung der Auswirkungen der Schadensabwälzung aufgrund von Preisanpassungskosten ist in Abschnitt 5.2.1 näher erläutert.

(188)

Unter bestimmten Umständen kann ein mittelbarer Abnehmer ferner in der Lage sein, seine Verhandlungsposition zu nutzen, um die Fähigkeit eines unmittelbaren Abnehmers zur Abwälzung eines Preisaufschlags zu beschränken. Die Verhandlungsposition des mittelbaren Abnehmers kann auch als Nachfragemacht bezeichnet werden (119). Die Nachfragemacht beschränkt sich nicht nur auf die Fähigkeit, zu anderen Lieferanten zu wechseln, sondern bezeichnet beispielsweise auch die Fähigkeit, sich auf einer vorgelagerten Vertriebsstufe zu integrieren.

(189)

Allgemein verhindert die Nachfragemacht bei einem branchenweiten Preisaufschlag die Schadensabwälzung zwar nicht, sie wirkt sich aber dennoch auf den Grad der Schadensabwälzung aus. Einerseits ist ein Szenario denkbar, bei dem eine starke Nachfragemacht die unmittelbaren Abnehmer zwingt, den Preisaufschlag zu akzeptieren und die Schadensabwälzung folglich zu begrenzen. Andererseits ist auch ein Szenario denkbar, bei dem die große Verhandlungsmacht eines mittelbaren Abnehmers die unmittelbaren Abnehmer dazu zwingt, einen Aufschlag von null Prozent anzuwenden („zero mark-up“) und die Waren zu einem Preis zu verkaufen, der lediglich ihre Grenzkosten abdeckt, was im Falle eines Preisaufschlags zu einem Grad der Schadensabwälzung von 100 Prozent führt.

(190)

Da der Grad der Nachfragemacht und seine Folgen für die Auswirkungen der Schadensabwälzung von der Art der einzelnen Verhandlungen und dem spezifischen Kontext abhängen, in dem diese stattfinden, würde das Gericht diese Frage im Einzelfall beurteilen.

(191)

Ist ein unmittelbarer Abnehmer, der von einem Preisaufschlag betroffen ist, vertikal in einem nachgelagerten Endkundenmarkt integriert, d. h. ist er ebenfalls auf dem Markt tätig, auf dem die mittelbaren Abnehmer tätig sind, kann das den Anreiz der unmittelbaren Abnehmer zur Abwälzung des ursprünglichen Preisaufschlags beeinflussen. Des Weiteren hat in einem solchen Szenario der von einem Preisaufschlag betroffene unmittelbare Abnehmer möglicherweise einen Anreiz, den gesamten Preisaufschlag innerhalb des integrierten Unternehmens abzuwälzen. Im Gegensatz dazu würde sich der Grad der Schadensabwälzung auf nicht integrierte mittelbare Abnehmer davon im Allgemeinen unterscheiden, zum Beispiel je nach den Kosten oder Gewinnmargen der einzelnen mittelbaren Abnehmer.

(192)

In bestimmten Branchen unterliegt der von dem unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer angebotene Preis möglicherweise einer Regulierung, wie etwa einer Preisregulierung durch staatliche Stellen. Preisregulierungen können den Umfang der Schadensabwälzung beeinflussen. Wird der regulierte Preis beispielsweise unabhängig von den spezifischen Kosten der Ware festgelegt, die zum Zeitpunkt der Preisfestlegung von einem Preisaufschlag betroffen ist, kann der durch die Schadensabwälzung verursachte Preiseffekt begrenzt oder null sein. Wie in Randnummer Error: Wie in Randnummer 48 bereits dargelegt, kann ein durch eine Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts verursachter Schaden allerdings auch andere Faktoren als den Preis beeinflussen. Werden die Kosten der von einem Preisaufschlag betroffenen Ware bei der Festlegung des regulierten Preises von der Regulierungsbehörde in vollem Umfang berücksichtigt, kann der Grad der Schadensabwälzung andererseits auch auf regulierten Märkten erheblich sein.

9.   ANHANG 2 — GLOSSAR

(193)

Der vorliegende Anhang enthält einen Überblick über die Wirtschaftsbegriffe, die in den Leitlinien verwendet werden.

Krümmung der Nachfragekurve: Änderung der Elastizität der Nachfrage bei Änderung des Preisniveaus.

Nachfrage: Menge einer Ware oder Dienstleistung, die die Abnehmer auf einem Markt zu einem bestimmten Preis kaufen würden.

Nachfragekurve: Darstellung der Beziehung zwischen der nachgefragten Menge und dem Preis einer Ware.

Ökonometrische Technik: Statistische Technik, auch als Regressionsanalyse bezeichnet, die darauf abzielt, in der Beziehung zwischen ökonomischen Variablen bestimmte Muster zu erkennen (z. B. inwieweit sich die Kostenentwicklung auf die Preisentwicklung auf einem bestimmten Markt auswirkt).

Elastizität der Nachfrage: Prozentuale Änderung der nachgefragten Menge bei einer Preissteigerung um ein Prozent.

Unternehmensspezifischer Preisaufschlag: Nur ein einziger Abnehmer ist von dem Preisaufschlag betroffen.

Fixkosten: Kosten, die sich in Abhängigkeit von der produzierten Menge nicht ändern.

Branchenweiter Preisaufschlag: Alle Abnehmer auf einer bestimmten Vertriebsstufe sind von dem Preisaufschlag betroffen.

Grenzkosten: Anstieg der Gesamtkosten aufgrund einer zusätzlichen Produktionseinheit.

Regressionsanalyse: Siehe ökonometrische Technik.

Steigung der Nachfrage: Verhältnis einer mengenmäßigen Änderung zu einer preislichen Änderung zwischen zwei willkürlich gewählten und einander naheliegenden Punkten auf der Nachfragekurve.

Variable Kosten: Kosten, die sich in Abhängigkeit von der produzierten Menge ändern.


(1)  Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 349 vom 5.12.2014, S. 1).

(2)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen — Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 11.6.2013, SWD(2013) 205.

(3)  Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. C 167 vom 13.6.2013, S. 19).

(4)  Im Praktischen Leitfaden wird nur kurz in den Randnummern 161-171 auf die Schadensabwälzung eingegangen.

(5)  Der Schwerpunkt dieser Leitlinien liegt auf der Abwälzung von Preisaufschlägen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 AEUV, insbesondere Kartellen im Sinne von Artikel 2 Absatz 14 der Schadensersatzrichtlinie und anderen horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen. Sie können jedoch auch bewährte Vorgehensweisen bei Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten wegen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen, wie der Preisbindung der zweiten Hand, und wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 102 AEUV, z. B. Missbrauch einer beherrschenden Stellung wie überhöhte Preise, aufzeigen, sofern die Besonderheiten der geltenden Unionsvorschriften ausreichend berücksichtigt werden.

(6)  Der Mengeneffekt wird in Randnummer 10 kurz erläutert. In Kapitel 6 werden die Methoden zur Ermittlung und Schätzung dieses Effekts beschrieben.

(7)  Siehe Artikel 4 der Schadensersatzrichtlinie.

(8)  Siehe Randnummern 12 ff. zum Recht auf vollständigen Schadensersatz.

(9)  Siehe Artikel 2 Absatz 20 der Schadensersatzrichtlinie.

(10)  Siehe Artikel 2 Absätze 2, 23 und 24 der Schadensersatzrichtlinie.

(11)  Nach Artikel 2 Absatz 24 der Schadensersatzrichtlinie bedeutet „‚mittelbarer Abnehmer‘ eine natürliche oder juristische Person, die Waren oder Dienstleistungen nicht unmittelbar von einem Rechtsverletzer, sondern von einem unmittelbaren Abnehmer oder einem nachfolgenden Abnehmer erworben hat, wobei die Waren oder Dienstleistungen entweder Gegenstand einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht waren, oder diese Waren oder Dienstleistungen enthalten oder aus diesen hervorgegangen sind.“

(12)  Urteil des Gerichtshofs vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C-724/17, ECLI:EU:C:2019:204, Rn. 26, und Urteil des Gerichtshofs vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C-637/17, ECLI:EU:C:2019:263, Rn. 40, jeweils unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 22, und die darin genannte Rechtsprechung, d. h. das Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 2006, Manfredi, C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 61, und das Urteil des Gerichtshofs vom 6. November 2012, Otis u. a., C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684, Rn. 43.

(13)  In Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung ist die Regelung der Modalitäten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffs „ursächlicher Zusammenhang“ Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind (Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317, Rn. 24; Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 2006, Manfredi, C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 64).

(14)  Siehe Erwägungsgrund 43 der Schadensersatzrichtlinie. Im Falle eines Einkaufskartells kann der von den Rechtsverletzern gezahlte niedrigere Preis als „Unterzahlung“ berücksichtigt werden, wodurch ebenfalls Mengeneffekte auf vorgelagerten Vertriebsstufen entstehen könnten. Es ist jedoch anzumerken, dass Zulieferer ebenfalls in der Situation eines Verkaufskartells geschädigt werden können. Dies kann der Fall sein, wenn sie aufgrund des Mengeneffekts weniger an die Rechtsverletzer liefern, was einen entgangenen Gewinn infolge der zurückgegangenen Nachfrage auf der Ebene des unmittelbaren oder selbst des mittelbaren Abnehmers auf der nachgelagerten Vertriebsstufe bedeutet. Der Rückgang der Nachfrage im Zusammenhang mit dem von der Kartellbildung betroffenen Input kann gleichfalls zu einer verringerten Nachfrage in Bezug auf andere Inputs führen. Die Zulieferer solcher anderen Inputs können ebenfalls Schadensersatz verlangen, sofern sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihrem Schaden und der Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht nachweisen können.

(15)  Siehe Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 der Schadensersatzrichtlinie.

(16)  Schlussanträge des Generalanwalts Capotorti vom 12. September 1979 in der Rechtssache 238/78, Ireks-Arkady/Rat und Kommission, ECLI:EU:C:1979:203, Rn. 9.

(17)  Erwägungsgrund 39 der Schadensersatzrichtlinie.

(18)  Von Preisschirmeffekten wird gesprochen, „wenn Unternehmen, die selbst nicht an einem Kartell beteiligt sind (sogenannte Kartellaußenseiter), im Windschatten der Machenschaften dieses Kartells, gleichsam ‚unter dem Schirm des Kartells‘, ihre eigenen Preise — wissentlich oder unwissentlich — höher festsetzen, als ihnen dies ansonsten unter Wettbewerbsbedingungen möglich gewesen wäre“. Schlussantrag der Generalanwältin Kokott vom 30. Januar 2014 in der Rechtssache C-557/12, Kone u. a., ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 2.

(19)  Artikel 12 Absatz 2 der Schadensersatzrichtlinie.

(20)  Mit anderen Worten lassen diese Leitlinien die Erwägung der Schadensabwälzung nach nationalem Recht unberührt, sofern dieses Recht im Einklang mit dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz steht (siehe Randnummer 6). Wenn von der Schadensabwälzung als einer Verringerung der tatsächlichen Vermögenseinbuße gesprochen wird, beinhaltet dies die Erwägung der Schadensabwälzung durch Verweis auf andere Vorschriften und Grundsätze wie die compensatio lucri cum damno.

(21)  Praktischer Leitfaden, Randnummer 128.

(22)  Siehe Artikel 12 Absatz 3 der Schadensersatzrichtlinie.

(23)  Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Preis- und Mengeneffekt wird in Anhang 1 näher erläutert.

(24)  Siehe Erwägungsgrund 39 der Schadensersatzrichtlinie.

(25)  Siehe Artikel 13 Satz 2 der Schadensersatzrichtlinie.

(26)  In Artikel 12 Absatz 3 der Schadensersatzrichtlinie ist festgelegt, dass die Vorschriften zur Schadensabwälzung das Recht des Geschädigten unberührt lassen, Ersatz für den entgangenen Gewinn infolge einer vollständigen oder teilweisen Abwälzung des Preisaufschlags zu verlangen und zu erwirken.

(27)  Siehe Erwägungsgrund 41 der Schadensersatzrichtlinie.

(28)  Im Speziellen kann der mittelbare Abnehmer die Erfüllung dieser ersten Voraussetzung nachweisen, indem er sich auf die bindende Wirkung einer Entscheidung der Kommission oder einer nationalen Wettbewerbsbehörde beruft. In Bezug auf Entscheidungen der Kommission besagt Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1) Folgendes: Wenn nationale Gerichte nach Artikel 101 AEUV über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen. Im Falle einer bestandskräftigen Zuwiderhandlungsentscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde können Abnehmer von Artikel 9 der Schadensersatzrichtlinie profitieren. In diesem Artikel wird dahin gehend unterschieden, welche nationale Wettbewerbsbehörde die entsprechende Zuwiderhandlungsentscheidung erlassen hat. Nach Artikel 9 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie gilt eine bestandskräftige Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats als eine vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats unwiderlegbar festgestellte Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht. Demgegenüber besagt Artikel 9 Absatz 2 dieser Richtlinie, dass nationale Gerichte eine bestandskräftige Entscheidung, die von der nationalen Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurde, zumindest als Anscheinsbeweis dafür betrachten müssen, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde.

(29)  Artikel 14 Absatz 2 letzter Satz der Schadensersatzrichtlinie.

(30)  Siehe Artikel 12 Absätze 1 und 2 und Artikel 15 der Schadensersatzrichtlinie.

(31)  Siehe Artikel 15 Absatz 1 der Schadensersatzrichtlinie.

(32)  Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1).

(33)  Siehe Erwägungsgrund 44 und Artikel 15 Absatz 2 der Schadensersatzrichtlinie.

(34)  Erwägungsgrund 44 der Schadensersatzrichtlinie.

(35)  Siehe Artikel 2 Absatz 4 der Schadensersatzrichtlinie (am Ende).

(36)  Siehe Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zum Weißbuch über Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (KOM(2008) 165 final), Rn. 223 und 224.

(37)  Das bei der Schadensabwälzung unter Umständen bestehende Spannungsverhältnis zwischen der Kausalität im wirtschaftlichen und im rechtlichen Sinne ist in den Urteilen nationaler Gerichte zutage getreten, in denen die Schadensabwälzung als Schild durch Verweis auf nationales Recht beschränkt wurde, insbesondere im Vereinigten Königreich (siehe Urteil des Wettbewerbsberufungsgerichts (Competition Appeal Tribunal) vom 14. Juli 2016, Sainsbury’s Supermarkets Ltd/MasterCard Inc, [2016] CAT 23, insbesondere Rn. 484, und Urteil des Berufungsgerichts (Court of Appeal) vom 4. Juli 2018, Sainsbury’s Supermarkets Ltd/Mastercard Inc, [2018] EWCA 1536 (Civ), insbesondere Rn. 332 und 340) sowie in den Niederlanden (Urteil des Obersten Gerichts der Niederlande (Hoge Raad) vom 8. Juli 2016, TenneT/ABB, 15/00167, Rn. 4.4.1-4.4.5).

(38)  Siehe Erwägungsgrund 46 der Schadensersatzrichtlinie. Zur Behandlung solcher Fragen enthält die Schadensersatzrichtlinie unter anderem Vorschriften zur Offenlegung (siehe nachstehende Randnummern 40 ff.), die Möglichkeit der Amtshilfe durch nationale Wettbewerbsbehörden im Einklang mit Artikel 17 Absatz 3 der Richtlinie und die Verpflichtung, andere Verfahren, die dieselbe Zuwiderhandlung betreffen, zu berücksichtigen (siehe vorstehende Randnummer 25).

(39)  Im Vereinigten Königreich ermitteln nationale Gerichte den Schadensumfang beispielsweise mithilfe einer soliden Vorstellungskraft und der Breitbeil-Methode (siehe Feststellung in der Rechtssache Watson, Laidlaw & Co Ltd/Pott, Cassels & Williamson, [1914] S.C. (H.L.) 18, Rn. 29 und 30, und spätere Anwendung auch im Zusammenhang mit Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Wettbewerbsrecht, siehe z. B. Urteil des Berufungsgerichts (Court of Appeal) vom 14. Oktober 2008, Devenish Nutrition Ltd/Sanofi-Aventis SA, [2008] EWCA Civ 1086, Rn. 110). In den Niederlanden kann das nationale Gericht, das Schadensersatz zuspricht, die Schadenssumme in dem Umfang ermitteln, in dem dies möglich ist (siehe Artikel 612 Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering), und ihn in der Weise schätzen, die in Anbetracht der spezifischen Merkmale des Schadens am besten geeignet ist (siehe Artikel 6:97 Burgerlijk Wetboek).

(40)  Praktischer Leitfaden, Randnummer 16 und Fußnote 15 unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs vom 27. Januar 2000, Mulder u. a./Rat und Kommission, verbundene Rechtssachen C-104/89 und C-37/90, ECLI:EU:C:2000:38, Rn. 79. Der allgemeine Ansatz der Ermittlung des Schadensumfangs in Wettbewerbsfällen wird auch in den Randnummern 11-20 des Praktischen Leitfadens dargelegt.

(41)  Abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/best_practices_submission_en.pdf.

(42)  Siehe vorstehende Randnummern 17 ff.

(43)  Siehe Artikel 2 Absatz 13 der Schadensersatzrichtlinie, in dem ausdrücklich klargestellt wird, dass der Begriff „Beweismittel“ Unterlagen und alle sonstigen Gegenstände umfasst, die Informationen enthalten, unabhängig von dem Medium, auf dem die Informationen gespeichert sind.

(44)  Ökonometrische Techniken werden in Abschnitt 5 sowie in Anhang 2 erläutert.

(45)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummern 13 ff.

(46)  In Erwägungsgrund 16 der Schadensersatzrichtlinie wird klargestellt, dass eine Kategorie durch Bezugnahme auf gemeinsame Merkmale ihrer wesentlichen Elemente wie Art, Gegenstand oder Inhalt der Unterlagen, deren Offenlegung beantragt wird, Zeit, in der sie erstellt wurden, oder andere Kriterien bestimmt werden sollte.

(47)  Siehe Artikel 5 Absatz 4 der Schadensersatzrichtlinie.

(48)  Erwägungsgrund 18 der Schadensersatzrichtlinie.

(49)  Siehe Best Practices, Randnummer 45.

(50)  Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. L 157 vom 15.6.2016, S. 1).

(51)  Diese Anreize werden in Anhang 1 näher erläutert.

(52)  Diese Beweismittel werden in Abschnitt 4.1 näher erläutert.

(53)  Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die in diesen Leitlinien beschriebenen Methoden und Techniken in Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit anderen Schadensarten, d. h. nicht preisbezogenen Effekten, angewandt werden können.

(54)  Die Gründe, aus denen die in Randnummer 51 aufgeführten Faktoren bei der Bestimmung des Vorliegens und des Umfangs des mit der Schadensabwälzung verbundenen Preis- und Mengeneffekts von Bedeutung sein könnten, werden in diesem Abschnitt erläutert. Eine genauere Erklärung der Auswirkungen der einzelnen Faktoren ist zusammen mit einer Erklärung der Standardpreisbildungsmechanismen in Anhang 1 zu finden.

(55)  Dies wird in Anhang 1 näher erläutert.

(56)  Siehe nachstehende Randnummer 159.

(57)  Siehe auch Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. C 31 vom 5.2.2004, S. 5, Ziffer 80). In bestimmten Fällen ist es für ein Unternehmen möglich, bei der Festsetzung seiner Preise auch Fixkosten zu berücksichtigen. Ist dies der Fall, sollte die Partei, die eine solche Sichtweise unterstützt, einen entsprechenden Nachweis erbringen, z. B. anhand der in Kapitel 4 dargelegten Schätzmethoden.

(58)  Die Bedeutung der Form der Warennachfrage wird in Beispiel 3 in Abschnitt 3.2 und in Anhang 1 näher erläutert.

(59)  Diese Voraussagen der Wirtschaftstheorie werden in Beispiel 2 in Abschnitt 3.2 genauer dargestellt und erklärt.

(60)  Für Beispiele für Urteile zur Bedeutung der Marktdynamik und zu den Auswirkungen von Preisänderungen auf die Nachfrage siehe z. B. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 2011, ORWI, KZR 75/10, Rn. 59 und 69, und das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2015, Autoglas-Kartell Deutschland, 14d O 4/14, Rn. 221. Die Bedeutung des Grades des Wettbewerbs sowie der Frage, ob der ursprüngliche Preisaufschlag unternehmensspezifisch oder branchenweit ist, ist ebenfalls Gegenstand einer Reihe von Urteilen nationaler Gerichte, siehe z. B. ein dänisches Urteil des See- und Handelsgerichts (Sø- og Handelsretten) vom 3. Oktober 2002, EKKO/Brandt Group Norden u. a., V 15/01 (UfR2004.2600S), und ein spanisches Urteil des Obersten Gerichtshofs Spaniens (Tribunal Supremo de España) vom 7. November 2013, Nestlé u. a./Ebro Puleva, 5819/2013.

(61)  Siehe als Beispiel für einen Fall, bei dem geprüft wurde, ob eine Schadensabwälzung wahrscheinlich ist, wenn der durch den Preisaufschlag betroffene Input einen geringen Teil der variablen Kosten des unmittelbaren Abnehmers ausmacht, ein französisches Urteil des Berufungsgerichts Paris (Cour d’Appel de Paris) vom 27. Februar 2014, SNC Doux Aliments Bretagne u. a./Société Ajinomoto Eurolysine, 10/18285. Dieses Urteil wird in Kasten 10 unten eingehender erläutert.

(62)  Erhöht nur der Abnehmer seine Preise, dann kaufen seine Kunden möglicherweise bei den Wettbewerbern. Wenn die Wettbewerber ihre Preise jedoch ebenfalls in gewissem Maße erhöhen, könnte der Wechsel für die Kunden weniger interessant sein, sodass die Verringerung des Gesamtabsatzes des ersten Abnehmers kleiner ausfallen würde. Es ist jedoch anzumerken, dass der Mengeneffekt sogar noch größer ausfallen könnte als in dem Beispiel mit der Preissteigerung des einzelnen Abnehmers, wenn einige oder alle Kunden im Falle einer marktweiten Preissteigerung vollständig aufhören würden, die Ware zu kaufen.

(63)  Das Erfordernis, zur Beurteilung der Schadensabwälzung ein kontrafaktisches Szenario zu erstellen, steht mit der Rechtsprechung des EuGH über die Schadensabwälzung im Zusammenhang mit der Erstattung von rechtswidrig von den Mitgliedstaaten erhobenen Abgaben und Zöllen im Einklang: siehe Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 1979, Ireks-Arkady/Rat und Kommission, C-238/78, ECLI:EU:C:1979:226, Rn. 14; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2000, Michailidis, C-441/98, ECLI:EU:C:2000:479, Rn. 33 ff.; Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Lady & Kid u. a., C-398/09, ECLI: EU:C:2011:540. Generalanwalt Geelhoed wies in seinem Schlussantrag vom 3. Juni 2003 in der Rechtssache Kommission/Italien, C-129/00, ECLI: EU:C:2003:319, Rn. 78, darauf hin, dass ein kontrafaktisches Szenario erforderlich wäre, um zu zeigen, wie die Preise sich auf den nachgelagerten Vertriebsstufen ohne die ursprünglichen Preisaufschläge entwickelt hätten.

(64)  Siehe die entsprechende Diskussion in Randnummer 77.

(65)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummern 14 und 30.

(66)  Siehe Kasten 16 in Anhang 1.

(67)  Siehe vorstehende Randnummer 39.

(68)  Siehe vorstehende Randnummer 25.

(69)  Siehe vorstehende Randnummer 37 und die Beispiele in Kasten 9 und Kasten 10 unten.

(70)  So greifen die Gerichte in Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich in großem Maße unmittelbar auf die Unterstützung von durch die Parteien bestellten ökonomischen Sachverständigen zurück. In anderen Mitgliedstaaten wie Belgien, Dänemark, Deutschland, Ungarn und Italien ernennen die Gerichte in vielen Fällen selbst Sachverständige. Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften bestehen auch in Bezug auf die Frage, gegenüber wem der Sachverständige eine Verpflichtung hat. In einigen Mitgliedstaaten wie dem Vereinigten Königreich und Irland ist der Sachverständige gegenüber dem Gericht verpflichtet, auch wenn seine Gebühren von den Parteien getragen werden. In Spanien sind durch die Parteien ernannte Sachverständige zu Objektivität und Unabhängigkeit verpflichtet, während es in Mitgliedstaaten wie Deutschland und Italien keine solche ausdrückliche Anforderung gibt.

(71)  Urteil des High Court of Justice of England and Wales vom 4. Oktober 2017, Emerald Supplies/British Airways Plc, [2017] EWHC 2420 (Ch).

(72)  Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Juni 2009, Zement, VI-2a Kart 2 — 06/08.

(73)  Nach Artikel 17 Absatz 3 der Schadensersatzrichtlinie kann eine nationale Wettbewerbsbehörde auf Antrag eines nationalen Gerichts dem jeweiligen nationalen Gericht bei der Ermittlung der Höhe des Schadensersatzes behilflich sein, wenn die nationale Wettbewerbsbehörde dies für sinnvoll hält.

(74)  Siehe z. B. Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. April 2013, VI-4 Kart 2 — 6/10 (OWi), und das anschließende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 2018, Flüssiggas I, KRB 51/16, zu Entscheidungen des Bundeskartellamts vom 14.12.2007, 26.2.2008, 12.2.2009 und 9.4.2009, Flüssiggas, B11-20/50, in denen das Bundeskartellamt den kartellbedingten Mehrerlös und die Erörterungen hinsichtlich der verschiedenen Methoden zur Berechnung des Preisaufschlags berücksichtigt hatte.

(75)  Der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung stützt sich unter anderem auf die Annahme, dass Veränderungen der Inputkosten in gleicher Höhe abgewälzt werden, unabhängig von der Relevanz der Inputkosten und dem Umfang der Veränderungen solcher Inputkosten. Diese Annahme geht unter Umständen zu weit. Wie in den Randnummern 120 ff. beschrieben, sollte der Ansatz zur Ermittlung des Grades der Schadensabwälzung in der Regel nur verwendet werden, wenn die Annahme angesichts der Faktenlage plausibel ist.

(76)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 14.

(77)  Der Ansatz, bei dem die Margendaten verwendet werden, wird im Abschnitt 6.3 über die Schätzung des Mengeneffekts genauer erläutert.

(78)  Diese Tatsache wird im Praktischen Leitfaden, Randnummer 37, und der dort angeführten Rechtsprechung zur Schätzung von Preisaufschlägen hervorgehoben. Ein deutsches Gericht führt, ebenfalls im Zusammenhang mit der Schätzung von Preisaufschlägen, an, dass Vergleichsmethoden gegenüber anderen Methoden vorzuziehen sein können; siehe Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Juni 2009, Zement, VI-2a Kart 2 — 06/08, Rn. 469 ff.

(79)  Siehe beispielsweise „Reference guide on ex-post evaluation of competition agencies’ enforcement decisions“ (Leitfaden zur Ex-post-Bewertung der Durchsetzungsentscheidungen von Wettbewerbsbehörden), OECD 2016.

(80)  Der Praktische Leitfaden behandelt diese Frage im Zusammenhang mit der Beurteilung der Preisaufschläge, siehe zum Beispiel Randnummern 37 sowie die Randnummern 59-95.

(81)  Wenn für ein kontrafaktisches Szenario Vergleichsmärkte in anderen Ländern berücksichtigt werden, sollten die nationalen Gerichte auch mögliche Unterschiede in den Rechtsvorschriften beachten. Dies ist besonders wichtig bei geregelten Märkten, so z. B. im Pharmazie- oder Energiebereich.

(82)  Siehe Praktischer Leitfaden, Randnummern 38-48.

(83)  Der Einfachheit halber zeigt diese Grafik nur den durch die Zuwiderhandlung verursachten Preiseffekt. In einem realen Szenario werden die Preise auch durch andere Faktoren als den Grad der Schadensabwälzung beeinflusst, z. B. durch Inflation oder andere Kostenschocks.

(84)  Es sei jedoch angemerkt, dass die Frage der verzögerten Schadensabwälzung, die in Anhang 1 erwähnt wird, bei dem Vergleich von Preisen im Zuwiderhandlungszeitraum mit „Vorher-nachher-Preisen“ wichtig sein kann.

(85)  Diese Methode kam häufig zum Einsatz, um den ursprünglichen Preisaufschlag bei Schadensersatzklagen zu beurteilen; siehe zum Beispiel die in Fußnote 45 des Praktischen Leitfadens angeführten Fälle.

(86)  Siehe auch nachstehende Randnummer 112.

(87)  Regressionsanalysen werden im Praktischen Leitfaden, Randnummern 69 ff., eingehender erläutert.

(88)  Ebenda, Kapitel II B.

(89)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 92.

(90)  Siehe beispielsweise einen Fall aus dem Vereinigten Königreich: Urteil des High Court of Justice of England and Wales vom 9. Oktober 2018, Britned/ABB, [2018] EWHC 2616 (Ch), Zulassung zur Berufung.

(91)  Die Verwendung von Konfidenzintervallen bei der Schadensschätzung wird auch im Praktischen Leitfaden (Randnummern 86 ff.) erläutert.

(92)  Zwischen den beiden Fehlerarten besteht eine gewisse Austauschbeziehung in folgendem Sinn: Bei einem gegebenen Stichprobenumfang führt die weitere Reduzierung der Wahrscheinlichkeit von Fehlern 1. Art (z. B. durch die Verwendung eines strengeren Konfidenzintervalls von 99 % statt von 95 %) im Allgemeinen zu einer Zunahme der Wahrscheinlichkeit von Fehlern 2. Art. Art. Generell können beide Fehlerarten nur durch eine Erhöhung des Stichprobenumfangs begrenzt werden. Daher ist es in der Praxis wichtig, zu bewerten, ob für die Methoden ein ausreichend großer Datensatz herangezogen wurde.

(93)  Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2015, Autoglas-Kartell, 14d O 4/14.

(94)  Urteil des dänischen See- und Handelsgerichts (Sø- og Handelsretten) vom 15. Januar 2015, Cheminova A/S gegen Akzo Nobel Functional Chemicals BV u. a., SH2015.U-0004-07.

(95)  Urteil des Berufungsgerichts Paris (Cour d’Appel de Paris) vom 27. Februar 2014, SNC Doux Aliments Bretagne u. a./Société Ajinomoto Eurolysine, 10/18285.

(96)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 95.

(97)  Dieser Effekt ähnelt den vorstehend in Randnummer 32 erwähnten Preisschirmeffekten.

(98)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 43.

(99)  Die nationalen Gerichte können die Auffassung vertreten, dass die relativ hohe Beweislast, die die Wettbewerbsbehörden in ihren Zuwiderhandlungsverfahren erfüllen müssen, dem Opfer einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht de facto nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn in einer Schadensersatzklage der Schaden dieses Opfers geschätzt wird.

(100)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 153. Zu einem Beispiel für einen Fall, in dem ein nationales Gericht urteilte, dass die Preise, die in den fünf Monaten nach Beendigung der Zuwiderhandlung verlangt wurden, weiterhin durch das Kartell beeinflusst wurden, siehe das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2010, 6 U 118/05, auch angeführt im Praktischen Leitfaden, Randnummer 44.

(101)  Darüber hinaus ist den Unternehmen möglicherweise bekannt, dass Schadensersatzansprüche gegen sie geltend gemacht werden können und dass der Umfang solcher Ansprüche unter Umständen anhand der Preise nach Beendigung der Zuwiderhandlung geschätzt wird. Dies könnte ein Anreiz für sie sein, das Preisniveau aufrechtzuerhalten, auch wenn die Zuwiderhandlung bereits beendet ist.

(102)  Siehe Praktischer Leitfaden, Randnummern 26 ff.

(103)  Siehe vorstehende Randnummern 101 ff. Das Konzept der Regressionsanalyse wird in Kapitel II Randnummer 2 des Praktischen Leitfadens ausführlich erklärt.

(104)  Praktischer Leitfaden, Randnummern 96 ff.

(105)  Aufgrund der Tatsache, dass der Abnehmer sich normalerweise einer abwärts gerichteten Nachfragekurve gegenübersieht. Die zugrunde liegende ökonomische Intuition wird in Anhang 1 näher erläutert.

(106)  Die nationalen Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten haben die Bedeutung der Schätzung des Mengeneffekts in mehreren Fällen bestätigt. So befand das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom 9. November 2016 in der Rechtssache 6 U 214/15 Kart (2), Grauzementkartell, dass die Abwälzung eines Preisaufschlags in der Folge zu einer geringeren Absatzmenge des mittelbaren Abnehmers führen könnte.

(107)  Beispielsweise interne Unterlagen des unmittelbaren oder mittelbaren Kunden, in denen erläutert wird, wie sich eine Preiserhöhung für die von der Zuwiderhandlung betroffene Ware während des Zuwiderhandlungszeitraums auf die gelieferte Menge ausgewirkt hat.

(108)  Urteil des dänischen See- und Handelsgerichts (Sø- og Handelsretten) vom 15. Januar 2015, Cheminova A/S gegen Akzo Nobel Functional Chemicals BV u. a., SH2015.U-0004-07.

(109)  Siehe auch Anhang 1 Randnummer 167.

(110)  Der Mengeneffekt ist in Kasten 11 oben sowie in Kasten 14 unten als Fläche C dargestellt.

(111)  Siehe beispielsweise das Urteil des dänischen See- und Handelsgerichts (Sø- og Handelsretten) vom 15. Januar 2015, Cheminova A/S gegen Akzo Nobel Functional Chemicals BV u. a., SH2015.U-0004-07.

(112)  Siehe Randnummer 69.

(113)  Siehe auch Praktischer Leitfaden, Randnummer 125.

(114)  Das Konzept der ökonometrischen Techniken wird in Kapitel 5 sowie in Anhang 2 näher erläutert.

(115)  Dies wird auch im Praktischen Leitfaden, Randnummer 14, dargelegt.

(116)  Die Abbildung zeigt die Preise (vertikale Achse) als Funktion der nachgefragten Menge (horizontale Achse). Diese Nachfragekurve wird häufig als „umgekehrte Nachfragekurve“ bezeichnet, während eine Kurve, die die Nachfrage auf der vertikalen Achse als Funktion der Preise auf der horizontalen Achse darstellt, einfach als „Nachfragekurve“ bezeichnet wird. In den nachstehenden Grafikbeispielen werden jeweils umgekehrte Nachfragekurven dargestellt. Der Einfachheit halber werden sie aber als „Nachfragekurven“ bezeichnet.

(117)  Siehe auch „Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag“ (2004/C 101/08), Ziffer 98.

(118)  Es sei darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftstheorie ferner zeigt, dass eine Schadensabwälzung auch ohne das Vorliegen von Preisanpassungskosten größer sein könnte als der ursprüngliche Preisaufschlag. Dies ist z. B. bei einer ausreichend konvexen Nachfragekurve der Fall (siehe Erläuterung in Abschnitt 8.3 oben).

(119)  Die Beurteilung der Nachfragemacht der Abnehmer spielt auf dem Gebiet der EU-Fusionskontrolle eine wichtige Rolle. In Ziffer 64 der Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse wird die Nachfragemacht der Abnehmer als die Verhandlungsmacht definiert, die ein Käufer gegenüber seinem Lieferanten angesichts seiner Größe, seiner wirtschaftlichen Bedeutung für den Verkäufer und seiner Fähigkeit ausspielen kann, zu anderen Lieferanten überzuwechseln.