25.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 70/1


MITTEILUNG DER KOMMISSION

Änderung der Berechnungsmethode für Pauschalbeträge und Tagessäte für das Zwangsgeld, die von der Kommission im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgeschlagen werden

(2019/C 70/01)

1.   Einführung

Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann der Gerichtshof der Europäischen Union in zwei Fällen finanzielle Sanktionen verhängen, wenn die Kommission einen Mitgliedstaat aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht vor den Gerichtshof der Europäischen Union bringt:

wenn der Gerichtshof entschieden hat, dass ein gegen Unionsrecht verstoßender Mitgliedstaat einem früheren Urteil, in dem dieser Verstoß festgestellt wurde, noch nicht nachgekommen ist (Artikel 260 Absatz 2 AEUV);

wenn ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer gemäß einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzuteilen (Artikel 260 Absatz 3 AEUV).

In beiden Fällen setzt sich die Sanktion aus einem Pauschalbetrag zur Ahndung des Verstoßes selbst (1) und einem Tagessatz für das Zwangsgeld zur Ahndung der Fortsetzung des Verstoßes für den Zeitraum nach dem Urteil des Gerichtshofs (2) zusammen. Die Kommission schlägt dem Gerichtshof einen Betrag für die finanziellen Sanktionen vor; der Gerichtshof trifft dann die endgültige Entscheidung.

Der allgemeine Ansatz der Kommission zur Berechnung der vorgeschlagenen Sanktion ist fest etabliert. Seit 1997 (3) und wie in den nachfolgenden Mitteilungen dargelegt (4), verfolgt sie einen Ansatz, der sowohl die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats als auch dessen institutionelles Gewicht widerspiegelt. Dies wird durch den sogenannten Faktor „n“ (5) bewerkstelligt. Dazu kommen noch andere Faktoren, wie die Schwere des Verstoßes und seine Dauer, die bei der Berechnung einer vorgeschlagenen Sanktion seitens der Kommission berücksichtigt werden. Bis jetzt wurde der Faktor n auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Mitgliedstaats und seiner Stimmrechte im Rat berechnet (6).

Der Gerichtshof hat jedoch vor Kurzem festgestellt, dass die Abstimmungsregeln im Rat nicht mehr für diese Berechnung herangezogen werden können (7). Daher würde sie sich vorwiegend auf das BIP des Mitgliedstaats stützen.

Die Kommission war stets der Auffassung, dass die Sanktionen sowohl der Abschreckung dienen als auch verhältnismäßig sein sollen, und ihre an den Gerichtshof gerichteten Vorschläge für dessen abschließende Entscheidung sollten bereits diese Anforderungen widerspiegeln. Die Kombination aus der Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaats und seinem institutionellen Gewicht sorgten für dieses Gleichgewicht. Die Berücksichtigung des BIP allein würde dieses Gleichgewicht stören, da es lediglich die wirtschaftliche Dimension der Mitgliedstaaten widerspiegeln würde. Dies hätte sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Mitgliedstaaten und würde insbesondere eine wesentliche Erhöhung der Beträge der vorgeschlagenen Sanktionen für mehr als ein Drittel der Mitgliedstaaten bedeuten. Die Kommission ist daher der Ansicht, dass der Faktor n weiterhin sowohl das BIP als auch das institutionelle Gewicht widerspiegeln sollte. In dieser Mitteilung wird dargelegt, wie dieses Gleichgewicht im Einzelnen gewahrt werden kann, während die Kommissionsmethode zur Berechnung der vorgeschlagenen finanziellen Sanktionen angepasst wird.

2.   Überarbeitung des Faktors n

Der Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass die Methode zur Berechnung der von der Kommission vorgeschlagenen Sanktionen ein geeignetes Instrument darstellt, um die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats unter Beibehaltung einer angemessenen Differenzierung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen (8).

In seinem Urteil vom 14. November 2018 (9) stellte der Gerichtshof jedoch fest, dass sich das im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) festgelegte Abstimmungsverfahren des Rates seit dem 1. April 2017 geändert hat (10). Er schloss daraus, dass der Faktor n die Stimmrechte eines Mitgliedstaats im Rat nicht mehr berücksichtigen könne und dass er sich auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Mitgliedstaats als Hauptfaktor stützen müsse.

Zusammensetzung des Faktors n

Die Kommission ist der Auffassung, dass der Faktor n zusätzlich zur Zahlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten auch deren institutionelles Gewicht berücksichtigen sollte. Dies bedeutet, dass sich die Methode zur Berechnung des Faktors n nicht nur auf das demographische oder wirtschaftliche Gewicht stützen sollte, sondern auch auf die Überlegung, dass jeder Mitgliedstaat einen eigenen Wert im institutionellen Gefüge der Europäischen Union hat.

Aufgrund des Urteils des Gerichtshofs muss ein anderes Kriterium für das institutionelle Gewicht zur Berechnung finanzieller Sanktionen herangezogen werden. Damit das Gleichgewicht zwischen der Zahlungsfähigkeit und dem institutionellen Gewicht eines Mitgliedstaats aufrechterhalten wird, wird die Kommission den Faktor n auf der Grundlage von zwei Elementen berechnen: das BIP sowie die Anzahl der Sitze für die Vertreter des Europäischen Parlaments, die jedem Mitgliedstaat zugewiesen werden (11). Die Kommission ist der Auffassung, dass dies die am besten geeignete Methode zur Berücksichtigung des institutionellen Gewichts der Mitgliedstaaten ist, die derzeit nach den EU-Verträgen zur Verfügung steht.

Spanne des Faktors n zwischen den Mitgliedstaaten

Ein weiterer Grund dafür, das institutionelle Gewicht der Mitgliedstaaten in die Berechnung des Faktors n einfließen zu lassen, ist der Umstand, dass die Berechnung auf der Grundlage des BIP allein die Spanne des Faktors n zwischen den Mitgliedstaaten deutlich erhöhen würde. Die Differenz zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Faktor n liegt derzeit bei 55 — sie würde sich auf 312 erhöhen, wenn lediglich das BIP herangezogen wird.

Durch die Berücksichtigung der Anzahl der Sitze eines Mitgliedstaats im Europäischen Parlament bei der Berechnung des Faktors n würde sichergestellt, dass sich die Differenz zwischen den Mitgliedstaaten weiterhin innerhalb einer vernünftigen Spanne bewegt.

Die Kommission ist ferner der Auffassung, dass die neue Methode zur Berechnung des Faktors n zu Beträgen führen sollte, die keine ungerechtfertigten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten verursachen und so weit wie möglich den Beträgen nach der derzeitigen Berechnungsmethode entsprechen; diese sind sowohl verhältnismäßig als auch ausreichend abschreckend. Während die sich daraus ergebenden Beträge im Vergleich zur derzeitigen Situation niedriger sein könnten, entsprechen sie eher der Praxis des Gerichtshofs, der allgemein eher niedrigere Geldbußen als die von der Kommission vorgeschlagenen Beträge vorsieht.

Referenzwert für den Faktor n

Bis jetzt hat die Kommission den Faktor n für Luxemburg als Referenzwert herangezogen. Dies stammt aus einer Zeit, als Luxemburg das Land mit dem niedrigsten Gesamt-BIP unter den Mitgliedstaaten war. Die Kommission hält es für angemessen, einen Referenzwert zu verwenden, der die heutige wirtschaftliche und politische Realität besser widerspiegelt. Die Kommission wird den Referenzwert für den Faktor n daher bestimmen, indem sie den Durchschnittswert beider Faktoren, des BIP und der Zahl der Vertreter im Europäischen Parlament, heranzieht (12). Die Verwendung von Durchschnittswerten erhöht auch die Stabilität des Referenzwerts über einen längeren Zeitraum.

Werden diese Faktoren jedoch ohne Anpassung verwendet, so liegt der Referenzwert für den Faktor n erheblich unter dem derzeitigen Wert. Es bedarf daher einer Anpassung, damit die von der Kommission vorgeschlagenen Beträge weiterhin verhältnismäßig und ausreichend abschreckend sind. Mit einem Anpassungsfaktor von 4,5 würden sich die Beträge dem derzeitigen Niveau annähern, ohne dass ein Mitgliedstaat mit einer Erhöhung konfrontiert wäre. Die jeweiligen einheitlichen Grundbeträge für die Berechnung des Tagessatzes für das Zwangsgeld und der Pauschalbeträge werden daher wie folgt angepasst:

Einheitlicher Grundbetrag des Tagessatzes für das Zwangsgeld: 690 EUR × 4,5 = 3 105 EUR;

Einheitlicher Grundbetrag des Pauschalbetrags: 230 EUR × 4,5 = 1 035 EUR.

Nach derselben Logik wird auch der aktuelle Referenzmindestpauschalbetrag von 571 000 EUR mit dem neuen Faktor n multipliziert, um den Mindestpauschalbetrag für jeden Mitgliedstaat zu berechnen. Um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Beträge verhältnismäßig und ausreichend abschreckend sind, wird der Betrag auch mit dem Anpassungsfaktor multipliziert: 571 000 EUR × 4,5 = 2 569 500 EUR. Diese Beträge werden jährlich an die Inflation angepasst.

Der sich daraus ergebende Faktor n je Mitgliedstaat ist in Anhang I und der sich daraus ergebende Mindestpauschalbetrag in Anhang II enthalten.

3.   Anwendung

Die Kommission wird die in dieser Mitteilung dargelegte Methode für die Berechnung von dem Gerichtshof vorgeschlagenen finanziellen Sanktionen ab dem Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt anwenden. Die Kommission wird die in dieser Mitteilung dargelegte Berechnungsmethode spätestens fünf Jahre nach ihrer Annahme überprüfen.

Sobald der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union rechtswirksam wird und unabhängig davon, ob das Austrittsabkommen (13) in Kraft tritt oder nicht, wird die Kommission die entsprechenden Durchschnittswerte neu berechnen und die in den Anhängen I und II enthaltenen Zahlen entsprechend anpassen.


(1)  SEK(2005) 1658, Punkt 10.3.

(2)  SEK(2005) 1658, Punkt 14.

(3)  Methode zur Berechnung der Zwangsgelder gemäß Artikel 171 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) (ABl. C 63 vom 28.2.1997, S. 2).

(4)  Siehe insbesondere die Neufassung der Mitteilung SEK(2005) 1658, die Mitteilung „Anwendung von Artikel 260 Absatz 3 des Vertrags“ (ABl. C 12 vom 15.1.2011, S. 1) und die Mitteilung „EU-Recht: Bessere Ergebnisse durch bessere Anwendung“ (ABl. C 18 vom 19.1.2017, S. 10).

(5)  SEK(2005) 1658, Punkt 14.

(6)  Wie im EG-Vertrag festgelegt.

(7)  Urteil vom 14. November 2018 in der Rechtssache C-93/17, Kommission gegen Griechenland.

(8)  Rechtssache C-93/17, Kommission gegen Griechenland, EU:C:2018:903, Rn. 132.

(9)  Rechtssache C-93/17, Kommission gegen Griechenland, EU:C:2018:903, Rn. 138 und 142.

(10)  Durch das System der doppelten Mehrheit gemäß Artikel 16 Absatz 4 EUV ersetzt. Vor Auslaufen des im EG-Vertrag vorgesehenen Abstimmungsverfahrens im Rat hatte jeder Mitgliedstaat eine feste Anzahl von Stimmen im Rat. Gemäß dem Vertrag von Lissabon hat jeder Mitgliedstaat eine Stimme im Rat; eine qualifizierte Mehrheit ist dann erreicht, wenn 55 % der Mitgliedstaaten dafür stimmen und diese Mitgliedstaaten 65 % der EU-Bevölkerung ausmachen. Dies kann nicht in eine einfache Gewichtung umgerechnet und in gleicher Weise wie das bisherige System verwendet werden.

(11)  Siehe — für die laufende Wahlperiode — Artikel 3 des Beschlusses 2013/312/EU des Europäischen Rates vom 28. Juni 2013 über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments (ABl. L 181 vom 29.6.2013, S. 57) und Artikel 3 des Beschlusses (EU) 2018/937 des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 für die nächste Wahlperiode, die am 2. Juli 2019 beginnt.

(12)  Der Durchschnittswert wird wie folgt berechnet: Der Faktor n ist ein geometrisches Mittel und wird als Quadratwurzel des Produkts aus den Faktoren berechnet, die auf dem BIP der Mitgliedstaaten sowie auf der Anzahl ihrer Sitze im Europäischen Parlament beruhen. Er wird nach folgender Formel berechnet: Formula

Dabei ist: GDP n = das in Mio. EUR ausgedrückte BIP des betreffenden Mitgliedstaats, GDP avg = das durchschnittliche BIP der EU28; Seat n = Anzahl der Sitze des betreffenden Mitgliedstaats im Europäischen Parlament; Seat avg = durchschnittliche Anzahl der Sitze aller Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament.

(13)  Das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft im Anhang des Vorschlags für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung dieses Abkommens im Namen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, COM(2018) 833 final.


ANHANG I

Faktor n

Belgien

0,79

Bulgarien

0,24

Tschechische Republik

0,51

Dänemark

0,50

Deutschland

4,60

Estland

0,09

Irland

0,46

Griechenland

0,51

Spanien

2,06

Frankreich

3,40

Kroatien

0,19

Italien

2,93

Zypern

0,09

Lettland

0,12

Litauen

0,17

Luxemburg

0,15

Ungarn

0,41

Malta

0,07

Niederlande

1,13

Österreich

0,67

Polen

1,23

Portugal

0,52

Rumänien

0,62

Slowenien

0,15

Slowakei

0,27

Finnland

0,44

Schweden

0,81

Vereinigtes Königreich

3,50


ANHANG II

Mindestpauschalbetrag (in 1 000 EUR)

Belgien

2 029

Bulgarien

616

Tschechische Republik

1 310

Dänemark

1 284

Deutschland

11 812

Estland

231

Irland

1 181

Griechenland

1 310

Spanien

5 290

Frankreich

8 731

Kroatien

488

Italien

7 524

Zypern

231

Lettland

308

Litauen

437

Luxemburg

385

Ungarn

1 053

Malta

180

Niederlande

2 902

Österreich

1 720

Polen

3 158

Portugal

1 335

Rumänien

1 592

Slowenien

385

Slowakei

693

Finnland

1 130

Schweden

2 080

Vereinigtes Königreich

8 987