5.7.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 228/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der Weg der weißen Taube — Vorschlag einer EU-geführten globalen Strategie der Friedenskonsolidierung“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 228/05)

Berichterstatterin: Jane MORRICE

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

15.1.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

20.3.2019

Plenartagung Nr.

542

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

160/3/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Union gründet auf einem Friedensauftrag. Auch wenn ihr der Friedensnobelpreis verliehen wurde, kann sie es sich nicht leisten, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Stattdessen sollte das größte Friedensprojekt der Moderne den ihm gebührenden Platz als globaler Vorreiter und Vorbild für die Friedenskonsolidierung in Europa und der Welt einnehmen. Vor dem Hintergrund großer existenzieller Herausforderungen, mit denen Europa heute konfrontiert ist, der anstehenden umfassenden Neubesetzung der Organe der EU und 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gibt es für die EU keinen besseren Zeitpunkt in der Geschichte der europäischen Integration, die Initiative zu ergreifen und den Weg für eine neue Weichenstellung in der Friedenskonsolidierung weltweit vorzugeben.

1.2.

Der Weg der weißen Taube ist eine metaphorische und reale Marschroute für den Weg in die Zukunft. Er ist ein Vorschlag für eine dynamische, neue, EU-geführte globale Strategie der Friedenskonsolidierung mit dem Schwerpunkt auf Konfliktprävention, Einbeziehung der Zivilgesellschaft und einer wirksamen Kommunikation mit der Hilfe von Aufklärung und Information. Außerdem ist er ein europäischer Friedensweg, der von Nordirland bis Nikosia reicht und die Bürgerinnen und Bürger physisch einbezieht, sodass sie Teil des EU-Friedensprozesses werden und dazu beitragen können, dessen Ziel zu erreichen.

1.3.

Zu diesem Zweck fordert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), im neuen EU-Haushalt erheblich mehr Mittel für die Konfliktprävention in allen EU-Friedensprogrammen im Rahmen ihrer Außenbeziehungen vorzusehen und die Kohärenz und Stimmigkeit zwischen der Binnen- und Außenhandels-, Entwicklungshilfe-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik zu erhöhen.

1.4.

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, die Zivilgesellschaft stärker in die Beschlussfassung einzubeziehen, nach dem Vorbild von Initiativen der EU zur Friedenskonsolidierung auf der ganzen Welt, wie etwa dem EU-Programm PEACE in Nordirland, bei denen die aktive Beteiligung von Unternehmen, Gewerkschaften sowie von Vereinen und Verbänden eine wichtige Rolle spielt.

1.5.

Ausgehend vom Erfolg des Erasmus-Programms fordert der EWSA ernsthafte Kommunikationsanstrengungen zur Förderung der Rolle von Bildung und Aufklärung, um die Erfolge der Friedenskonsolidierung der EU zu vermitteln, das Lernen zwischen NRO aus der EU und aus Drittstaaten zu erleichtern und ein Markenzeichen der „WEISSEN TAUBE“für Friedensprojekte der EU zu schaffen und diese im In- und Ausland bekannter zu machen.

1.6.

Um die Bürgerinnen und Bürger aktiv einzubeziehen, schlägt der EWSA einen Friedensweg von Nordirland bis Nikosia vor, der zwei geteilte Inseln am jeweils anderen Ende Europas miteinander verbindet. Der Erfolg von Kulturwegen wie dem Jakobsweg legt nahe, dass die Reisenden solche Wege als Pilgerroute beschreiten oder um durch Gespräche und Begegnungen mehr über andere Kulturen zu erfahren. Auf dem Weg der weißen Taube werden sie auch die Tragweite des durch die Europäische Union geschaffenen Friedens besser begreifen.

1.7.

„Weiße Taube“ist die Übersetzung des Namens „Columban“, eines irischen Wandermönches, der als Schutzpatron der europäischen Einheit gilt. Er ist auch der Schutzheilige der Motorradfahrer. Auf den Spuren von Columbans Pilgerweg von Irland nach Frankreich, in die Schweiz, nach Österreich und Italien wird der Weg der weißen Taube durch frühere Kriegs- und Konfliktgebiete führen, wie z. B. an die Westfront, nach Südtirol und auf den Balkan. Außerdem wird er einen „virtuellen“Wanderweg bieten mit einem Hightech-Geschichtsbuch, das dem Weg der EU von Krieg zu Frieden folgt und zu einer Art zu leben und zu lernen auffordert, die für die Werte der EU steht: Respekt, Toleranz und gegenseitiges Verständnis.

1.8.

Der EWSA fordert die EU auf, eine neue globale Strategie der Friedenskonsolidierung mit drei Aktionsbereichen aufzustellen:

Aktionsbereich 1 — Konfliktprävention, Zivilgesellschaft, Kohärenz

Verdoppelung der Mittel für die Friedenskonsolidierung in allen einschlägigen Politikbereichen der EU mit einem Schwerpunkt auf Konfliktprävention, Aussöhnung, interkulturellem Dialog zur Förderung von Toleranz und Respekt im In- und Ausland;

strukturierte Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen der Beschlussfassung in den Außenbeziehungen der EU und den Programmen im Zusammenhang mit der Friedenskonsolidierung;

stärkere Kohärenz und Stimmigkeit zwischen den verteidigungs-, entwicklungs- und handelspolitischen Strategien und den Konfliktlösungsstrategien der EU in allen Ländern weltweit, in denen sich die EU engagiert;

Aufnahme von Komponenten mit Bezug zu Friedenskonsolidierung, Unionsbürgerschaft, gegenseitigem Respekt und Toleranz in die Programme für junge Menschen, wie Erasmus und das Solidaritätskorps;

bessere Koordinierung auf behördenübergreifender und zwischenstaatlicher Ebene und Austausch von Erfahrungen mit lokalen Basisorganisationen, nationalen und internationalen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen für die Friedenskonsolidierung.

Aktionsbereich 2 — Information, Kommunikation, Aufklärung

Schulungen in Mediation, Verhandlungen und dem Dialog zwischen lokalen, nationalen und internationalen, in der Friedenskonsolidierung tätigen nichtstaatlichen Organisationen;

Anreize zur Förderung des Lehrens und Lernens in Fragen der europäischen Integration, der Friedenskonsolidierung und des bürgerschaftlichen Engagements auf Hochschulebene sowie an weiterführenden und Grundschulen in der EU;

Einrichtung von europäischen Zentren für die Friedenskonsolidierung in Belfast und Nikosia sowie von Zentren des Lernens, die strategische Standorte entlang des Weges der weißen Taube verbinden;

offizielle Anerkennung des Symbols der weißen Taube als „Markenzeichen“für alle Friedensprojekte der EU und verstärkte Verpflichtung der Projekte, auf die EU-Förderung hinzuweisen;

größere Anstrengungen auf Ebene der Kommission, Friedensprojekte der EU unter Nutzung des „Markenzeichens“der weißen Taube bekannt zu machen.

Aktionsbereich 3 — Europäischer Friedensweg

Einrichtung einer EU-Taskforce „Weiße Taube“, um Folgendes anzustoßen und zu unterstützen:

Konsultation mit örtlichen Stadt- und Gemeinderäten, regionalen Einrichtungen, anderen bereits bestehenden Wegen, wie dem Western Front Way, Museen und Kulturstätten, die mit dem Weg der weißen Taube verbunden sind;

engere Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Unesco, der OSZE und dem Europarat;

Vernetzung mit Marathonläufer-, Wander-, Rad- und Motorrad- sowie mit anderen Bürgerinitiativen;

Unterstützung des Antrags der „Friends of Columbanus“beim Europarat auf offizielle Anerkennung als europäischer Kulturweg, der eine der Querverbindungen zum Weg der weißen Taube wäre;

logistische Vorbereitung eines Weges, der von Irland nach Zypern durch ehemalige Konfliktgebiete führt, mit „Abstechern“zu Orten, die maßgeblich zum Frieden beigetragen haben, z. B. in den skandinavischen Ländern und in Mittel- und Osteuropa;

finanzielle und technische Unterstützung für einen „virtuellen“Weg der weißen Taube zur Verwendung in Schulen und an Hochschulen in ganz Europa als eine Art „Hightech“-Geschichtsbuch der Zukunft;

Unterstützung für eine interaktive Online-Version des Weges der weißen Taube, die Orte und Zentren der Friedenskonsolidierung durch Storytelling auch für diejenigen verbindet, die den Weg nicht zu Fuß begehen können.

2.   Hintergrund

2.1.

Die großen Herausforderungen, vor denen die EU heute steht, bedrohen das europäische Ideal in seinem Mark. Der Flüchtlings- und Zuwanderungsstrom, die Folgen der Finanzkrise, die Sparpolitik, Extremismus, Sicherheitsbedrohungen, zunehmende politische Polarisierung und die Auswirkungen des Brexits haben die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert. Die EU muss angemessen reagieren, wenn die bislang längste Zeit des Friedens in Europa weiter Bestand haben soll. Angesichts dieser äußerst instabilen Lage benötigt die EU eine positive Reaktion mit ehrgeizigen, kreativen und konstruktiven Maßnahmen und einer Vision, die den zentralen Auftrag des europäischen Projekts widerspiegeln: die Förderung und Erhaltung des Friedens.

2.2.

Der Erfolg des Friedensprojekts Europäische Union bringt es mit sich, dass neue Generationen von Europäern Krieg nur aus weiter Ferne kennen. Wenn die EU die Bürgerinnen und Bürger an ihre Ursprünge erinnert, schafft sie ein verbindendes Ideal, das die Glaubwürdigkeit der EU und ihres Auftrags stärken wird. Um dies zu erreichen, muss die EU ihre Friedenskonsolidierungsbemühungen nicht nur in der ganzen Welt, sondern auch in Europa selbst intensivieren. Durch einen Austausch über Fälle von basisgesteuerter Konfliktlösung, Kompromissfindung und Konsensbildung zwischen verschiedenen Kulturen, Bevölkerungsgruppen und Ländern kann die EU ihre Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Toleranz, Solidarität und Demokratie im In- und Ausland stärken und fördern.

2.3.

Die „Außenwelt“muss die EU als weltweiten Vorreiter für Frieden, Demokratie und Menschenrechte wahrnehmen. Konflikte in Syrien, Afghanistan, dem Jemen und anderswo zwingen uns jedoch zu einem kritischen Überdenken der Reaktion der EU auf humanitäre Krisen, die auf Militäreinsätze folgen. Um ihren erklärten Zielen und Grundsätzen gerecht zu werden, hat die EU die moralische Verpflichtung, unabhängig von geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen das Leben unschuldiger Opfer von Konflikten, vor allem von Kindern, zu schützen. Die finanzielle Unterstützung der EU kann einen maßgeblichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen in diesen Gebieten leisten, die Ergebnisse halten sich jedoch in Grenzen. Durch die Konzentration auf die Konfliktprävention in Gebieten, in denen Frieden und Sicherheit bedroht sind, und eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft kann die EU eine größere Mitwirkung der Bürger gewährleisten und die Wahrscheinlichkeit für einen dauerhaften Frieden erhöhen.

2.4.

Ausgehend von der Prämisse, dass jeder Euro, der in den Frieden investiert wird, 7 Euro für die Verteidigung spart, fordert der EWSA die EU auf, die Friedenskonsolidierung in ihren Vorschlägen für den neuen EU-Haushalt (MFR 2021-2027) vorrangig zu behandeln. Die neue, von der Europäischen Kommission vorgeschlagene und mit 10 Mrd. EUR ausgestattete „Europäische Friedensfazilität“sollte eine echte Komponente der Friedenskonsolidierung enthalten, an der lokale und internationale zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt sind, mit einem beiderseitigen Austausch zwischen Fachleuten, Zentren für den Wissenstransfer und einer Strategie für die Vermittlung ihrer Botschaft in der ganzen Welt. Der EWSA mahnt ferner die vollständige Umsetzung der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik von 2016 an, um Konflikte zu verhüten, die Sicherheit der Menschen zu erhöhen, die Ursachen von Instabilität zu bekämpfen und auf eine sicherere Welt hinzuarbeiten.

3.   Der Kontext — Gedenken, Begehen, Mitteilen

3.1.

Genau 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gedachten die Bürgerinnen und Bürger der EU nicht nur der Kriegstoten, sondern sie dachten auch über den hohen Preis nach, den Konflikte fordern. Wenn die politischen Entscheidungsträger begreifen, wie der Frieden zustande gekommen ist, können sie Lehren und Erkenntnisse aus der Geschichte ziehen und nachvollziehen, wie der Friedensprozess Fuß gefasst hat. Das Gedenken an wichtige Friedenszeiten erinnert an die Hinterlassenschaft des Krieges und die gelebte Solidarität in der Zeit danach. In den kommenden Jahren stehen Gedenktage und -jahre wichtiger Ereignisse an: 30 Jahre Fall der Berliner Mauer und Frieden im Libanon (2019); 25 Jahre Friedensabkommen von Dayton (2020); 2018 wurde zudem der 20. Jahrestag des Karfreitagsabkommens von Belfast und der zweite Jahrestag des Friedensabkommens in Kolumbien begangen. Indem die EU auf ihren Beitrag zu diesen Abkommen hinweist, macht sie weltweit auf den Wert ihrer Bemühungen aufmerksam.

3.2.

Anlässlich des Europäischen Jahres des Kulturerbes sollten die Bemühungen, die Lehren aus Konflikten der Vergangenheit aktiv zum Wohle Europas und der Welt zu nutzen, eine wichtige neue kulturelle Komponente enthalten. Die Hohe Vertreterin der Union, Federica Mogherini, hat die Kulturdiplomatie als zentrales Instrument der EU in ihren internationalen diplomatischen Beziehungen hervorgehoben. Beispiele, die vom Schutz von Kulturerbestätten bis zur Förderung der kulturellen Identität und der Sprache reichen, tragen zur Schaffung stabiler politischer Rahmenbedingungen bei, in denen sich unterschiedliche ethnische, nationale, religiöse und/oder sprachliche Gruppen sicher fühlen und eher bereit zu einem friedlichen Miteinander sind. Zwar werden die Vorzüge der Kulturdiplomatie im Rahmen der Außenbeziehungen anerkannt, doch kann dieses Konzept angesichts der zunehmenden innereuropäischen Polarisierung genauso gut zur Bewältigung der Dissonanzen innerhalb der EU eingesetzt werden. Der irische Wandermönch Columban (1), der im 6. Jahrhundert lebte und als Schutzheiliger eines vereinten Europas gilt, liefert das Vermächtnis, die Geschichte und das kulturelle Band für eine neue globale Strategie der EU zur Förderung des gemeinsamen Verständnisses und Handelns durch Frieden. Diese Initiative trägt das internationale Friedenssymbol der weißen Taube in ihrem Namen.

4.   Der Weg der weißen Taube

Durch die Kombination von modernen Methoden der sozialen Interaktion mit altbewährten Methoden der Mundpropaganda skizziert der Weg der weißen Taube eine neue Richtung für die EU, die ihre Vergangenheit mit ihrer Gegenwart und Zukunft verbindet.

4.1.    Auf dem Weg vorangehen — Stärkung der Führungsrolle der EU bei der weltweiten Friedenskonsolidierung

Durch ihre aktive Förderung der Schaffung stabiler, gerechter, fairer und florierender Gesellschaften auf der ganzen Welt fördert die EU mehr als den Frieden. Zwar sind die Bemühungen der EU manchmal nicht so erfolgreich wie erhofft, doch motiviert die Förderung der Werte der EU von Konflikten betroffene Länder dazu, die Gewalt hinter sich zu lassen. Gute Beispiele hierfür sind das EU-Programm PEACE in Nordirland und die Unterstützung der EU für den Friedensprozess in Kolumbien. Weitere Vorbilder sind die EU-Strategie für die Jugend aus dem Jahr 2015, die eine Marginalisierung junger Menschen in der EU verhindern soll. Auch durch Schaffung von mehr Kohärenz und Stimmigkeit zwischen den kultur-, verteidigungs-, entwicklungs- und handelspolitischen Strategien und den Konfliktlösungsstrategien und mit internationalen Organisationen könnte die EU eine Führungsrolle bei der weltweiten Friedenskonsolidierung übernehmen.

4.2.    Den Weg weisen — durch Information, Kommunikation und Aufklärung

Durch ihre Vorbildwirkung und die Förderung ihrer grundlegenden Werte kann die EU den Weg aufzeigen, indem sie kreativere Wege bei Strategien für Information, Aufklärung und Kommunikation einschlägt. Der Erfahrungsaustausch zwischen basisnahen Friedensstiftern in Europa und auf internationaler Ebene ist von entscheidender Bedeutung. Die in früheren Stellungnahmen (2) angeregte Einrichtung von europäischen Friedenszentren, die Schulungen im Bereich Mediation, Verhandlungsführung, Dialog und Konsensfindung anbieten, und die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Friedensstiftern sind von wesentlicher Bedeutung. Indem die EU ihre Arbeit über gut ausgestattete und gezielte Aufklärungs- und Informationsprogramme bekannt macht, fördert sie das Verständnis für ihre Rolle und rechtfertigt ihre Bemühungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, vermittelt ihnen den Wert von multikulturellem Engagement und trägt dazu bei, das Vertrauen in die Ursprünge des europäischen Projekts wiederherzustellen.

4.3.    Den Weg beschreiten — ein für alle zugänglicher Kulturweg

4.3.1.

Dieser permanente Weg des Friedens von Nordirland nach Nikosia wird Menschen aus allen Gesellschaftsschichten physisch und gedanklich einbinden und dazu anregen, neue Freundschaften zu knüpfen und andere Menschen zu treffen, die bereit sind, über ihre Erfahrungen mit Konflikten zu sprechen. Der Kulturweg, der sich auf den Spuren von Columban über 5 000 Kilometer durch Europa erstreckt, wird über die ursprüngliche Pilgerroute des Mönchs von Irland nach Italien hinausgehen und an Orten entlangführen, die von Krieg und Konflikten schwer gezeichnet sind, wie z. B. die Westfront, Südtirol und der Balkan, und Menschen und Orte entlang des Wegs miteinander verbinden. Die Wanderer werden Geschichten hören und mit eigenen Augen sehen können, wie lange die Narben des Krieges bestehen bleiben. Am wichtigsten ist jedoch, dass sie auch etwas über die Mechanismen erfahren, die Frieden schaffen. Der Weg der weißen Taube wird ferner Zentren des Lernens einrichten und Abstecher nach Nord-, Ost-, Mittel- und Südeuropa schaffen, sodass Wanderer ihre Route frei wählen und entscheiden können, wie viele Stätten sie besichtigen möchten. Der Weg der weißen Taube würde zu solchen „Abstechern“sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU einladen und nicht nur physischen Wegen, sondern auch kulturellen Verbindungen folgen, wie zum Beispiel nach Schottland und dort insbesondere nach Iona. Auch Verbindungen der Friedenskonsolidierung, beispielsweise in die Ukraine und den Nahen Osten, würden berücksichtigt. Es könnten auch Möglichkeiten für eine Anbindung an andere, schon lange bestehende Pilgerwege wie den Jakobsweg gesucht werden.

4.3.2.

Er wird ein Internetportal umfassen, das eine virtuelle und interaktive Erfahrung mit audiovisuellen Beiträgen aller Etappenziele und den gleichen Oral-History-Berichten bietet, die man entlang des Weges hören kann, damit auch diejenigen daran teilhaben können, die nicht mobil genug sind, um den Weg der weißen Taube tatsächlich zu gehen. Der virtuelle Weg würde als pädagogisches Instrument für die Vermittlung der Friedenskonsolidierung an Schulen eingesetzt und anhand der jeweiligen Lokalgeschichte und eventueller Verbindungen zu dem Weg Kreativität und Verständnis und so die Entstehung eines Zugehörigkeitsgefühls in der EU und darüber hinaus fördern. In Anlehnung an die Technik, die für die Kadettenausbildung zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Konfliktprävention eingesetzt wird, schafft der Weg die Erfahrung von Konflikt und Friedenskonsolidierung durch eine virtuelle Realität. Als virtuelles Lehrbuch entspricht dies den pädagogischen Anforderungen des digitalen Zeitalters und ergänzt althergebrachte Unterrichtsmethoden, bei denen eher Kriegstreiber anstelle derjenigen im Mittelpunkt stehen, die sich für Frieden einsetzen.

5.   Friedenskonsolidierung und größtmögliche Einbeziehung der Zivilgesellschaft im neuen EU-Haushalt (MFR)

5.1.

Bei der Suche nach Lösungen für die Friedenskonsolidierung gibt es zwar keine einfachen Antworten, aber es gibt Möglichkeiten, Strategien und die Prioritätensetzungen zu ändern, um die schlimmsten Auswirkungen von Konflikten abzumildern. Der neue EU-Haushalt bietet hierfür eine gute Gelegenheit, indem „Kohärenz, Koordination und Komplementarität“zwischen den Maßnahmen der EU zur Friedenskonsolidierung und innerhalb der Europäischen Kommission hergestellt werden, in der die Komplexität der Strukturen die praktische Koordinierung zwischen dem EAD und anderen Einrichtungen schwierig gestaltet. Ebenso wichtig ist Kohärenz zwischen der Handels-, Entwicklungshilfe-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik sowie die Anerkennung der Notwendigkeit, die praktische Umsetzung zwischen den EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten und anderen wichtigen Gebern in Einklang zu bringen.

5.2.    Fokus auf Konfliktprävention

In den Vorschlägen für den neuen EU-Haushalt 2021-2027 für das auswärtige Handeln muss der Friedenskonsolidierung eine größere Priorität eingeräumt werden. Diese Vorschläge umfassen eine Aufstockung um 40 % für die Sicherheit auf 4,8 Mrd. EUR, einen neuen 13 Mrd. EUR schweren Verteidigungsfonds, 6,5 Mrd. EUR für „militärische Mobilität“durch die Fazilität „Connecting Europe“und eine Aufstockung der Mittel für das auswärtige Handeln um 26 % auf 120 Mrd. EUR. Entscheidend ist der Vorschlag der Kommission für eine mit 10,5 Mrd. EUR ausgestattete „europäische Friedensfazilität“außerhalb des Haushaltsplans für ein gemeinsames Engagement in Drittländern, mit der ideal sichergestellt werden kann, dass die Maßnahmen der EU tatsächlich auf die Konfliktprävention ausgerichtet sind. 2017 nahm die EU eine Verordnung an, mit der eine neue Unterstützung im Rahmen des Stabilitäts- und Friedensinstruments (IcSP) geschaffen wurde, um den Aufbau von Kapazitäten militärischer Akteure zur Förderung der Entwicklung und der Sicherheit (Capacity Building in support of Security and Development, CBSD) zu fördern. Das European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) hat diesbezüglich wiederholt Bedenken geäußert und darauf hingewiesen, dass hier eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft erforderlich ist.

5.3.    Einbeziehung der Zivilgesellschaft — Fokus auf Frauen und jungen Menschen

Es wird mehr und mehr anerkannt, dass die Zivilgesellschaft einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, die Wirksamkeit und langfristige Nachhaltigkeit jeder Strategie der Friedenskonsolidierung zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit mit Akteuren an der Basis dient nicht nur dazu, ein tieferes Verständnis von Konflikten von unten her zu ermöglichen, sondern führt auch dazu, dass sich die Menschen diesen Prozess in ihrem Alltag zu eigen machen, indem stärker auf eine „konfliktsensible“Friedenskonsolidierung und positive Verstärkung gesetzt wird. In der Resolution 2419 der Vereinten Nationen wird die Rolle Jugendlicher bei der Aushandlung und Durchführung von Friedensabkommen betont, ebenso wie in der Resolution 1325 der Vereinten Nationen die Rolle der Frauen. Auch Gewerkschaften sowie große und kleine Unternehmen spielen eine zentrale Rolle für die Mobilisierung der Zivilgesellschaft. Schutzbedürftige Gruppen, vor allem Opfer, benötigen die Aufmerksamkeit von Fachleuten. Daneben ist auch der „gutnachbarliche“Ansatz für die Beziehungen im eigenen Umfeld und am Arbeitsplatz von Bedeutung. Ein „strukturierter Dialog“zwischen der EU und der Zivilgesellschaft schafft bahnbrechende und dauerhafte Beziehungen, wie der EWSA in Beziehungen z. B. mit EU-Nachbarländern sowie in Afrika, Asien und darüber hinaus gezeigt hat.

5.4.    Sensibilisierung durch die EU

Offensichtlich wissen die Bürger wenig über die Bemühungen der EU im Bereich der Friedenskonsolidierung, daher muss im neuen Haushalt stärker auf Strategien für Information, Aufklärung und Kommunikation gesetzt werden, insbesondere durch den Einsatz der herkömmlichen und der sozialen Medien. Zwar bestehen Bedenken angesichts der Gefahren der sozialen Medien und der möglichen Gefährdung der Demokratie, der Nutzen der Medien für die Herbeiführung positiver Veränderungen wird jedoch zu wenig erschlossen. Der Friedensjournalismus, die Kulturdiplomatie und der interkulturelle Dialog sollten im neuen EU-Haushalt mit mehr Mitteln unterstützt werden. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Bildung, d. h. dass Kindern und Jugendlichen vermittelt wird, dass sie Unterschiede nicht nur „tolerieren“, sondern respektieren müssen. Dies wird durch die EU-Sonderprogrammstelle und die Bewegung für konfessionsübergreifende Bildung in Nordirland veranschaulicht.

5.5.    Austausch bewährter Verfahren

Die EU verfügt über enorme Erfahrungen in Regionen wie Südostasien, im Nahen und Mittleren Osten, in Mittelamerika, auf dem Balkan und im südlich der Sahara gelegenen Afrika. Mitunter war sie äußerst erfolgreich, mitunter weniger. Die EU muss Lehren aus der Geschichte ziehen und einen ethischen Ansatz bei ihrem Tätigwerden einhalten und fördern, wie die Initiative für die Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (3) beispielhaft zeigt, bei der durch umfassende partizipative Verfahren zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft gegen Ausbeutung und Korruption vorgegangen und eine gute Regierungsführung gefördert wird. Die Politik muss diese guten wie auch schlechten Erfahrungen und Erkenntnisse berücksichtigen. Zwar gibt es keine Patentlösung, doch existieren Grundprinzipien, die auf Konfliktgebiete zutreffen und die nicht ignoriert werden dürfen. Dieser Erfahrungsaustausch sollte stärker etabliert werden, wenn er sowohl das interne als auch das auswärtige Handeln der EU betrifft, bei dem bisher jeder systematische Ansatz, was die Übernahme von Lehren angeht, fehlt. Dies ist eine verpasste Chance und ein schwerer politischer Fehler, den es zu beheben gilt.

5.6.    Die nächsten Schritte

Das Gedenken an das Kriegsende vor hundert Jahren und die Feier des Friedens und des Kulturerbes bieten der EU eine hervorragende Gelegenheit, ihren Wert weltweit erneut unter Beweis zu stellen, nicht nur als Wirtschaftsmacht, sondern als weltweit führende Kraft für die Schaffung, Sicherung und Förderung des Friedens. Durch die Konzentration auf Frieden angesichts der terroristischen Bedrohung im In- und Ausland kann die EU auf ihre eigenen Erfahrungen als ein Beispiel für das zurückblicken, was erreicht werden kann, was aber auch konsequent gepflegt werden muss, um den interkulturellen Dialog, Toleranz, Solidarität und gegenseitigen Respekt zu fördern.

Der Weg der weißen Taube dient durch eine Marschroute für eine EU-geführte globale Strategie der Friedenskonsolidierung neben einem real und virtuell beschreitbaren Wanderweg als ein Signal dafür, wie wir in einer zunehmend globalisierten Welt leben, lernen und in Kontakt treten können. Jung und Alt, Menschen aus unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen, Altersklassen, Glaubens-, Kultur- oder sonstigen Gemeinschaften werden aus unterschiedlichen Gegenden der EU und der Welt zusammenkommen, um verschiedene Kulturen und Traditionen kennenzulernen und neue Brücken zu schlagen, die sich auf ein besseres Verständnis der Werte der EU gründen.

Mit dem Symbol der weißen Taube als Wegweiser wäre der Weg der weißen Taube nicht nur ein Symbol der Friedenskonsolidierung der EU überall auf der Welt, sondern auch eine neue Vision für die EU und ein Zeichen der Hoffnung in immer schwieriger werdenden Zeiten.

Bei der Friedenskonsolidierung gilt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg der weißen Taube!“

Brüssel, den 20. März 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Der irische Wandermönch, der im 6. Jahrhundert lebte, wurde vom Gründervater der EU, Robert Schuman, als „Schutzheiliger all derer, die ein vereintes Europa aufbauen wollen“beschrieben.

(2)  Stellungnahme des EWSA zur Rolle der EU im nordirischen Friedensprozess vom 23.10.2008 (ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 100).

Stellungnahme des EWSA zum Thema „Der Beitrag der Europäischen Union zur Friedenskonsolidierung im Bereich der Außenbeziehungen: Bewährte Methoden und Aussichten“vom 19.1.2012 (ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 21).

(3)  Siehe hierzu die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Sicherstellung von für die EU wichtigen Einfuhren durch die derzeitige EU-Handelspolitik und verwandte Politikbereiche“vom 16.10.2013 (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 47).