5.7.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 228/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Für einen umfassenden Rahmen der Europäischen Union für endokrine Disruptoren“

(COM(2018) 734 final)

(2019/C 228/12)

Berichterstatter: Brian CURTIS (UK/II)

Befassung

Europäische Kommission, 14.12.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Präsidiums

10.7.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

27.2.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

21.3.2019

Plenartagung Nr.

542

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

173/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Kommission über endokrine Disruptoren, mit der ein besserer Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier angestrebt wird. Insbesondere hält der EWSA die Durchführung einer umfassenden Eignungsprüfung der geltenden Rechtsvorschriften sowie eine Untersuchung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen für erforderlich, um den tatsächlichen Sachstand zu ermitteln. Ein ganzheitlicher Ansatz ist von entscheidender Bedeutung für die Förderung einer langfristigen Strategie, die einen kohärenten, konsequenten und wissenschaftlichen Ansatz für den Umgang mit endokrinen Disruptoren ermöglicht. Trotzdem sollte diese Strategie durch einen realistischen Aktionsplan untermauert werden, der Ziele und Fristen enthält.

1.2.

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, einen kohärenteren Rechtsrahmen festzulegen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Grundsatz „ein Stoff, eine Toxikologie“einzuhalten und die neue Strategie im Einklang mit den bereits für Biozide und Pestizide geltenden Bestimmungen (1) auf eine harmonisierte Anwendung des Vorsorgeprinzips zu stützen. Die neue Strategie könnte unter das „sektorübergreifende Dach“der REACH-Verordnung aufgenommen werden.

1.3.

Die Steuerung sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußen, damit für die Bürger und die Interessenträger Transparenz gegeben ist. Daher sollte die öffentliche und unabhängige Forschung durch einen angemessenen Haushalt unterstützt werden. Insbesondere könnte unabhängige Forschung vereinbarte wissenschaftliche Kriterien und/oder Methoden hervorbringen, die FuI-Aktivitäten und Produktion in der europäischen Industrie anregen, unterstützen und fördern könnten. Der EWSA empfiehlt, dass dieser Haushalt nicht kleiner sein sollte als der derzeitige Haushalt im Rahmen von Horizont 2020. Insbesondere empfiehlt der Ausschuss, eine eigene Haushaltslinie für die frühzeitige Identifizierung endokriner Disruptoren und der von ihnen ausgehenden Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier, für die Identifizierung unbedenklicher Alternativstoffe und die Umweltsanierung vorzusehen.

1.4.

Das Verbot oder die Beschränkung bestimmter Stoffe oder Produkte, sobald sie plausibel als endokrine Disruptoren identifiziert sind, könnte erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsplätze haben. Daher empfiehlt der EWSA, dass die Kommission einen spezifischen Finanzierungsmechanismus vorsehen sollte, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Produktion zu unterstützen, die Produktionstechniken und -verfahren der Industrie zu verbessern und die Kompetenzen der Arbeitnehmer auf dem neuesten Stand zu halten.

1.5.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, jährlich ein Treffen der Interessenträger zu veranstalten. Nach Auffassung des Ausschusses müsste ein wirklich effizienter Dialog zwischen den Interessenträgern und der Europäischen Kommission jedoch ein ständiges und strukturiertes System für den Informationsaustausch und die Konsultation umfassen.

1.6.

Der EWSA ruft dazu auf, für endokrine Disruptoren einen ähnlichen Ansatz wie bei der umfassenden Sensibilisierungskampagne über POP zu konzipieren, die die Kommission auf EU-Ebene organisieren wird. Der EWSA bekräftigt ferner seine Empfehlung der Einrichtung einer offen zugänglichen Datenbank über POP und endokrine Disruptoren, um Unternehmen und Verbrauchern ein nützliches Instrument an die Hand zu geben.

1.7.

Der Ausschuss ist der festen Überzeugung, dass die europäische Strategie für endokrine Disruptoren eine internationale Dimension haben muss, um die Gesundheit der Bürger wirksam vor potenziell gefährlichen Produkten aus Drittstaaten zu schützen. Daher unterstützt der EWSA den Vorschlag der Kommission für eine proaktivere Rolle der EU auf globaler Ebene, auch um die OECD bei der Verbesserung ihrer Tests zu unterstützen. Außerdem ist der EWSA der Auffassung, dass die EU die Nachhaltigkeit fördern und die Bestimmungen zu endokrinen Disruptoren in bilateralen und multilateralen Handelsabkommen durchsetzen sollte. Diesbezüglich könnte die EU mit der WHO und dem UNEP zusammenarbeiten, um auf der Grundlage der bestehenden UN-Liste der identifizierten oder potenziellen endokrinen Disruptoren und nach dem Vorbild des Stockholmer Übereinkommens über POP ein globales Übereinkommen über endokrine Disruptoren zu unterzeichnen. Diese Initiativen werden auch dabei helfen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und das europäische Produktionsmodell vor unlauterem Wettbewerb zu schützen.

1.8.

Der EWSA unterstützt die von der Kommission verfolgte offene Strategie und ist der Ansicht, dass die organisierte Zivilgesellschaft bei der Entwicklung nationaler Sensibilisierungskampagnen eine entscheidende Rolle spielen könnte, um die breite Öffentlichkeit besser über die Maßnahmen der EU zum Schutz der Gesundheit der Bürger zu informieren. Solche Initiativen sollten in den Schulen ansetzen, um die Risiken einer Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren zu verringern und sicheres Verhalten zu fördern. Insbesondere empfiehlt der EWSA, die Initiativen in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu harmonisieren und als Teil einer einzigen Strategie anzusehen, die auf dem Konzept des lebenslangen Lernens beruht. Gezielte Schulungen sollten für alle jene Arbeitnehmer in der EU verfügbar und verbindlich sein, die bei ihrer Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar mit endokrinen Disruptoren in Berührung kommen.

2.   Einleitung

2.1.

Endokrine Disruptoren sind synthetische oder natürliche chemische Stoffe, die die Funktionsweise des Hormonsystems verändern und sich folglich schädlich auf die Gesundheit von Mensch und Tier auswirken, u. a. auf den Stoffwechsel, das Wachstum, den Schlaf und die Stimmung. Eine Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren kann auf eine Reihe unterschiedlicher Quellen zurückgehen, wie etwa Pestizidrückstände, Metalle und Zusatzstoffe oder Schadstoffe in Lebensmitteln und Kosmetika. Einige endokrine Disruptoren sind Stoffe, die natürlich in der Umwelt vorkommen. Menschen und Tiere können endokrinen Disruptoren ausgesetzt werden durch Lebensmittel, Staub oder Wasser, durch Einatmen von Gasen und Partikeln in der Luft oder einfach durch Hautkontakt (Körperpflegeprodukte). Mitunter sind die Wirkungen, die durch einen endokrinschädigenden Stoff hervorgerufen werden, erst sehr lange nach der tatsächlichen Exposition gegenüber diesem Stoff zu sehen (2). Zu Stoffen mit endokrinschädigenden Eigenschaften können auch in bestimmten Nahrungsmitteln (z. B. Gemüse), einigen Vitaminpräparaten und anderen Nahrungsergänzungsmitteln enthaltene Substanzen sowie wichtige Arzneimittel (z. B. für die Krebsbehandlung wie auch insbesondere Verhütungsmittel für Frauen) zählen, wodurch die Bürger endokrinen Disruptoren in erheblichen Mengen ausgesetzt sein können.

2.2.

Seit den 1990er-Jahren haben die Bedenken gegen endokrine Disruptoren stetig zugenommen. Im Dezember 1999 nahm die Kommission die Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone (3)an, auf der seither mit Maßnahmen in den Bereichen Forschung, Regulierung und internationale Zusammenarbeit aufgebaut worden ist. In einer umfassenden Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde das Problem der großen Auswirkungen von endokrinen Disruptoren auf eine große Zahl von Menschen und Tieren untersucht, insbesondere auf Föten und Schwangere (Frühgeburten und geringes Geburtsgewicht, Fehlbildungen und neurologische Entwicklungsstörungen), Kinder und Heranwachsende (Veränderung der normalen Entwicklung und der Funktionsweise des Fortpflanzungssystems, wie etwa eine verfrühte Brustentwicklung bei Mädchen), aber auch auf Erwachsene (Fruchtbarkeitsprobleme, Adipositas, Krebs) (4).

2.3.

Von einer großen Zahl synthetisch hergestellter und natürlicher chemischer Stoffe ist bekannt, dass sie die Hormonsynthese, ihre Wirkung oder den Stoffwechsel stören können, aber nur ein kleiner Teil davon wurde eingehend auf ihr Potenzial untersucht, durch endokrine Mechanismen eine schädigende Wirkung hervorzurufen, wie auch in einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen dargelegt wurde. Die Geschwindigkeit, mit der die Erkrankungsfälle in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, schließt genetische Faktoren als einzige plausible Erklärung aus. Auch Umweltfaktoren und andere nicht genetische Faktoren, wie Ernährung, das Alter der Mutter, Viruserkrankungen und chemische Expositionen, spielen eine Rolle, die jedoch nicht immer leicht zu erkennen ist (5).

2.4.

Beim Verständnis und der Regulierung von endokrinen Disruptoren wurden erhebliche Fortschritte erzielt, und die EU gilt inzwischen als Vorreiter beim Umgang mit diesen Chemikalien. Die EU-Rechtsvorschriften zählen heute anerkanntermaßen zu den am besten schützenden Vorschriften weltweit. So enthalten die Rechtsakte über Pflanzenschutzmittel, Biozide, chemische Stoffe allgemein (REACH-Verordnung), Medizinprodukte und Wasser nun spezifische Bestimmungen (6). Andere Rechtsakte wie die über Lebensmittelkontaktmaterialien, kosmetische Mittel, Spielzeug oder über den Schutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit (7)weisen keine besonderen Bestimmungen für endokrine Disruptoren auf. Allerdings unterliegen Stoffe mit endokrinschädigenden Eigenschaften einer Einzelfallregulierung auf der Grundlage der in den Rechtsakten festgelegten allgemeinen Anforderungen. Die mangelnde Koordinierung führt jedoch dazu, dass die geltenden Rechtsvorschriften zerstückelt und zuweilen inkohärent sind (z. B. ist Bisphenol A ein Rohstoff, der in verschiedenen Produktionssektoren in großem Umfang verwendet wird. In Kosmetika und Babyflaschen ist Bisphenol A verboten, in anderen Nahrungs- und Futtermittel-Kontaktmaterialien und in Thermopapier jedoch noch erlaubt.)

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1.

Fast zwanzig Jahre nach der Annahme der Gemeinschaftsstrategie will die Kommission laut ihrer Mitteilung eine Eignungsprüfung der geltenden Rechtsvorschriften durchführen, um den Sachstand festzustellen. Dies ist als erster Schritt zur Aktualisierung der EU-Rechtsvorschriften gedacht, die in Bezug auf drei entscheidende Aspekte kohärent gemacht und aufeinander abgestimmt werden sollen: Definition, Identifizierung und regulatorische Folgen (insbesondere in Bezug auf Schutzmaßnahmen).

3.2.

Eine gemeinsame Definition endokriner Disruptoren ist der Ausgangspunkt für den horizontalen Ansatz und ein Schlüsselelement der neuen Herangehensweise. Sie wird auf der WHO-Definition von endokrinen Disruptoren basieren (8). Eine gemeinsame Definition ist erforderlich, um eine harmonisierte Methode für die Identifizierung von endokrinen Disruptoren festzulegen.

3.3.

In Bezug auf die Identifizierung will die Kommission drei Aktionslinien verstärken:

ein horizontaler Mechanismus für die Identifizierung von endokrinen Disruptoren;

Aktualisierung der Datenanforderungen in den Rechtsvorschriften mit dem Ziel einer besseren Identifizierung endokriner Disruptoren;

in der gesamten Lieferkette Verbesserung der Kommunikation in Bezug auf endokrine Disruptoren im Rahmen der REACH-Verordnung (Sicherheitsdatenblätter).

3.4.

Der dritte Aspekt besteht in der Umsetzung der gleichen Maßnahmen und Bestimmungen im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip, um die Öffentlichkeit vor einer schädlichen Exposition zu schützen‚ wenn die wissenschaftliche Untersuchung ein plausibles Risiko gefunden hat. Dies sollte dazu führen, dass die Herstellung solcher Stoffe mit einigen wenigen Ausnahmeregelungen untersagt wird. Aus diesem Grund wird im Rahmen der Eignungsprüfung der Kohärenz und Intensität der Maßnahmen zum Schutz aller Bürger besondere Aufmerksamkeit gewidmet‚ wobei besonderes Augenmerk auf gefährdete Bevölkerungsgruppen gelegt wird, die besonders empfindlich auf endokrine Disruptoren reagieren, wenn sich das Hormonsystem im Wandel befindet, wie Föten, Heranwachsende und Schwangere.

3.5.

Die Forschung wird im künftigen Rechtsrahmen von entscheidender Bedeutung sein, da nach wie vor mehrere Wissenslücken bestehen, z. B.:

wie genau die Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren zur Entwicklung von Krankheiten beiträgt;

ob für endokrine Disruptoren ein „sicherer Schwellenwert“festgelegt werden kann, unterhalb dem keine Schadwirkung zu erwarten ist;

welche Mischung einen „Cocktaileffekt“erzeugen kann und wie Gemische generell wirken;

wie wir unsere Prüfmethoden verbessern können.

3.6.

Seit 1999 wurden mehr als 50 Projekte zu endokrinen Disruptoren im Rahmen der EU-Rahmenprogramme für Forschung und Entwicklung finanziert (über 150 Mio. EUR in Form von Fördermitteln (9)). Im Rahmen des Programms Horizont 2020 werden weitere 52 Mio. EUR bereitgestellt. Im Rahmen des Programms Horizont Europa werden neue Projekte finanziert (10). Die Kommission schlägt insbesondere folgende Forschungslinien vor:

Weiterentwicklung von Gefahrenbewertung, Risikobewertung und Management von Chemikalien (einschließlich Cocktaileffekten) sowie Erhebung, Austausch und Verknüpfung der benötigten Daten;

Eliminierung besorgniserregender Stoffe in der Produktion und in den Phasen am Ende des Produktlebenszyklus; Unterstützung bei der Entwicklung unbedenklicher Alternativen und sicherer und kostenwirksamer Produktionstechnologien;

Öko-Innovation zur Vermeidung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen durch gefährliche und chemische Stoffe, die für wichtig gehalten werden, auch unter Berücksichtigung des Schnittfeldes zwischen Chemikalien, Produkten und Abfall.

3.7.

Um die neue Strategie wirksamer zu machen, strebt die Kommission eine aktivere Rolle der EU auf globaler Ebene und einen offenen Dialog mit den Interessenträgern und der breiten Öffentlichkeit an. Vier Initiativen bilden den Rahmen für diese Tätigkeiten:

Die Kommission wird jährlich ein Forum zum Thema endokrine Disruptoren veranstalten. Dieses Forum bietet Wissenschaftlern und öffentlichen wie privaten Interessenträgern die Möglichkeit, Daten und bewährte Verfahren auszutauschen, Herausforderungen zu ermitteln und Synergien zu nutzen, um so die Arbeit der Kommission zu unterstützen;

stärkere Unterstützung der Arbeiten einschlägiger internationaler Organisationen, mit besonderem Schwerpunkt auf der adäquaten Unterstützung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei der Ausarbeitung international vereinbarter Prüfleitlinien;

Prüfung, ob endokrine Disruptoren in das bestehende internationale System zur Klassifizierung von Chemikalien aufgenommen werden können. Damit würde eine globale Lösung für die Identifizierung endokriner Disruptoren geschaffen (ähnlich wie bei anderen Klassen von Gefahrstoffen wie Mutagenen, Karzinogenen und reproduktionstoxischen Stoffen);

Einrichtung eines Web-Portals als zentrale Informationsquelle für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Interessenträger zum Thema endokrine Disruptoren. Da das Informationsniveau und das Bewusstsein in Europa unterschiedlich stark ausgeprägt sind, werden die Mitgliedstaaten ermutigt, spezifische Kampagnen auszuarbeiten, die sich gezielt an gefährdete Gruppen richten.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die Kommissionsmitteilung über endokrine Disruptoren. Insbesondere hält der Ausschuss die Durchführung einer umfassenden Eignungsprüfung der geltenden Rechtsvorschriften sowie eine Untersuchung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen für erforderlich, um den tatsächlichen Sachstand zu ermitteln. Ein ganzheitlicher Ansatz ist von entscheidender Bedeutung für die Förderung einer langfristigen Strategie (11), die einen kohärenten, konsequenten und wissenschaftlichen Ansatz für den Umgang mit endokrinen Disruptoren ermöglicht.

4.2.

Der Ausschuss teilt die Auffassung der Kommission, dass endokrine Disruptoren besonders besorgniserregende Stoffe sind. Aus diesem Grund unterstützt der Ausschuss den Vorschlag, einen kohärenten Rechtsrahmen zu schaffen und das Vorsorgeprinzip im Einklang mit den bereits für Biozide und Pestizide geltenden Bestimmungen (12) harmonisiert anzuwenden.

4.3.

Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die Kohärenz des neuen Rechtsrahmens die größte Herausforderung für die EU sein wird, da mehrere Stoffe, wie z. B. „Bisphenol A“, die als Zusatzstoffe in den verschiedensten Bereichen verwendet werden, sehr unterschiedlich behandelt werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, den wissenschaftlichen Grundsatz „ein Stoff, eine Toxikologie (13)“einzuhalten. Das bedeutet, dass die Kriterien für die Identifizierung eines Stoffes als endokriner Disruptor in allen regulatorischen Bereichen der EU konsequent und kohärent sein müssen. Nur so wären regulatorische Beschlüsse in der Regel kohärent und koordiniert, auch wenn Ausnahmen möglich wären. Nicht zuletzt könnte die neue Strategie unter das „sektorübergreifende Dach“der REACH-Verordnung aufgenommen werden, um Kohärenz zu gewährleisten.

4.4.

Im neuen Kontext sollte die Steuerung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußen, damit für die Bürger und die Interessenträger Transparenz gegeben ist. Daher ist es wichtig, die öffentliche und unabhängige Forschung mit einem angemessenen Haushalt finanziell zu unterstützen. Der EWSA ist der Auffassung, dass vereinbarte wissenschaftliche Kriterien und/oder Methoden auf der Grundlage unabhängiger Forschungsdaten die FuI-Aktivitäten und Produktion in der europäischen Industrie anregen, unterstützen und fördern könnten.

4.5.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Verbot oder die Beschränkung bestimmter Stoffe oder Produkte, sobald sie plausibel als endokrine Disruptoren identifiziert sind, erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsplätze haben könnte. Die Kommission sollte daher einen spezifischen Finanzierungsmechanismus vorsehen, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Produktion zu unterstützen, und zwar sowohl für die Unternehmen, damit ihre Produktionstechniken und -verfahren innovativer werden, als auch für die Arbeitnehmer, um ihre Kompetenzen auf dem neuesten Stand zu halten (14).

4.6.

Unabhängige Forschung ist von entscheidender Bedeutung, um unser Wissen über endokrine Disruptoren zu erweitern und zu vervollständigen. Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission in ihrem Vorschlag keine genauen Angaben darüber macht, welche Mittel sie im Rahmen des Programms Horizont Europa für Forschung und Innovation zu endokrinen Disruptoren zur Verfügung stellt. Der EWSA empfiehlt, dass dieser Haushalt nicht kleiner sein sollte als der derzeitige Haushalt im Rahmen von Horizont 2020.

4.7.

Der EWSA stimmt dem Vorschlag der Kommission zu Investitionen in Forschung und Innovation zu, ist jedoch der Auffassung, dass einige andere Bereiche in den nächsten Jahren wichtig sein werden und daher finanziell unterstützt werden sollten:

a)

die frühzeitige Identifizierung endokriner Disruptoren. Nach Angaben der WHO gelten mehr als 800 Stoffe als potenzielle endokrine Disruptoren (15). Aufgrund ihrer weitverbreiteten Nutzung ist es wichtig, in schnellere wissenschaftliche Erkennungsmethoden und Verfahren für die Datenanalyse zu investieren (um die vorhandenen Daten besser interpretieren zu können);

b)

Identifizierung unbedenklicher Alternativstoffe und -verfahren. Der von der Kommission eingeschlagene neue Pfad könnte zur Entdeckung vieler neuer endokriner Disruptoren führen. Einige dieser Stoffe sind in vielen Produktionssektoren besonders nützlich, weshalb es wichtig ist, in die Erforschung unbedenklicher Alternativen und sicherer Produktionsverfahren zu investieren. Das Fehlen von Daten bedeutet nicht, dass ein Stoff unbedenklich ist, weshalb es wichtig ist, die wissenschaftliche Untersuchung zu intensivieren. Die Liste der bewerteten Stoffe sollte dringend erweitert werden, wobei das Augenmerk nicht nur auf die Stoffe gerichtet werden sollte, die bereits umfassend getestet worden sind;

c)

Umweltsanierung. Sobald ein neuer Stoff plausibel als endokriner Disruptor identifiziert wurde, muss ein besonderes Verfahren für die Risikobewertung und das Risikomanagement solcher Stoffe in der Umwelt angewandt werden, um erforderlichenfalls (insbesondere aufgrund ihrer Persistenz) eine spezifische Strategie für die Umweltsanierung zu entwickeln.

4.8.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, jährlich ein Treffen der Interessenträger zu veranstalten. Nach Auffassung des Ausschusses müsste ein wirklich effizienter Dialog zwischen den Interessenträgern und der Europäischen Kommission jedoch ein ständiges und strukturiertes System für den Informationsaustausch und die Konsultation umfassen. Der EWSA würde an dem jährlichen Treffen gerne teilnehmen und hieran mitwirken.

4.9.

Endokrine Disruptoren und persistente organische Schadstoffe (POP) sind unterschiedliche Stoffe mit unterschiedlichen Auswirkungen auf den Menschen und die Umwelt. Sie sind aber gleich gefährlich für die Gesundheit und in der Bevölkerung gleichermaßen unbekannt. Da die Strategie der EU in Bezug auf POP mehrere Parallelen zu der Mitteilung der Kommission zu endokrinen Disruptoren aufweist, schlägt der Ausschuss vor, diese Strategien mit einem ähnlichen Konzept zu entwickeln, um den politischen und wissenschaftlichen Prozess zu verbessern. Insbesondere fordert der Ausschuss im Einklang mit seiner Stellungnahme NAT/719 zur Neufassung der POP-Verordnung dazu auf, endokrine Disruptoren im Rahmen der umfassenden Sensibilisierungskampagne über POP, die von der Kommission auf EU-Ebene organisiert werden soll, besonders zu berücksichtigen. Der EWSA bekräftigt ferner seine Empfehlung der Einrichtung einer offen zugänglichen Datenbank über POP und endokrine Disruptoren, um Unternehmen und Verbrauchern ein nützliches Instrument an die Hand zu geben.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA hält die Mitteilung der Kommission für einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem besseren Schutz der Gesundheit der Bürger durch die Festlegung eines nachhaltigeren Produktionssystems. Trotzdem sollte diese Strategie durch einen realistischen Aktionsplan untermauert werden, der Ziele und Fristen enthält.

5.2.

Eine gut konzipierte Kreislaufwirtschaft mit einem besonderen Schwerpunkt auf Sekundärrohstoffen (16) könnte dazu beitragen, die Exposition der EU-Bürger gegenüber endokrinen Disruptoren zu minimieren. Nach Auffassung des EWSA müsste der Vorschlag der Kommission eindeutig und streng mit den geltenden Rechtsvorschriften, die im Rahmen des 7. Umweltaktionsprogramms (17) aufgestellt wurden, bzw. auch mit den anderen wichtigen politischen Nachhaltigkeitsinitiativen verbunden sein, wie etwa dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft und der Strategie für Kunststoffe, mit denen die Herstellung toxischer Stoffe ausgeschlossen werden soll. Bei diesem Thema ist große Sorgsamkeit vonnöten, insbesondere im Hinblick auf Cocktaileffekte, die Erkrankungen beim Menschen hervorrufen können und schädlich für die Umwelt sind.

5.3.

Der EWSA fordert die Kommission auf, den Vorschlag zur Durchführung einer öffentlichen Konsultation zu endokrinen Disruptoren genauer auszuführen. Der Ausschuss ist überzeugt, dass die organisierte Zivilgesellschaft besser als einzelne Bürger eine wichtige Rolle einnehmen kann, vor allem, weil es Sachverstands und Erfahrung bedarf, um nützliche, verlässliche und wissenschaftlich fundierte Ratschläge geben zu können (18).

5.4.

Der Ausschuss ist der festen Überzeugung, dass jede europäische Strategie für endokrine Disruptoren eine internationale Dimension haben und auf internationaler Ebene entwickelt werden muss, um die Gesundheit der Bürger wirksam vor potenziell gefährlichen Produkten aus Drittstaaten zu schützen. Daher unterstützt der EWSA den Vorschlag der Kommission für eine proaktivere Rolle der EU auf globaler Ebene, auch um die OECD bei der Verbesserung ihrer Tests zu unterstützen. Außerdem ist der EWSA der Auffassung, dass die EU die Nachhaltigkeit fördern und die Bestimmungen zu endokrinen Disruptoren in bilateralen und multilateralen Handelsabkommen durchsetzen sollte. Diesbezüglich könnte die EU mit der WHO und dem UNEP zusammenarbeiten, um auf der Grundlage der bestehenden UN-Liste der identifizierten oder potenziellen endokrinen Disruptoren und nach dem Vorbild des Stockholmer Übereinkommens über POP ein globales Übereinkommen über endokrine Disruptoren zu unterzeichnen (19). Diese Initiativen werden auch dabei helfen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und das europäische Produktionsmodell vor unlauterem Wettbewerb zu schützen (20).

5.5.

Der EWSA unterstützt die von der Kommission eingeschlagene offene Strategie und ist der Ansicht, dass die organisierte Zivilgesellschaft bei der Entwicklung nationaler Sensibilisierungskampagnen eine entscheidende Rolle spielen könnte, um die breite Öffentlichkeit besser über die Maßnahmen der EU zum Schutz der Gesundheit der Bürger zu informieren. Eine wirksame Sensibilisierungskampagne sollte in den Schulen ansetzen, um die Risiken einer Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren zu verringern und sicheres Verhalten zu fördern (21). Insbesondere empfiehlt der EWSA, die Initiativen in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu harmonisieren und als Teil einer einzigen Strategie anzusehen, die auf dem Konzept des lebenslangen Lernens beruht. Der Ausschuss ist ferner der Ansicht, dass gezielte Schulungen für alle jene Arbeitnehmer in der EU verfügbar und verbindlich sein sollten, die bei ihrer Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar mit endokrinen Disruptoren in Berührung kommen (22).

Brüssel, den 21. März 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1); Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1).

(2)  Website der ECHA. https://echa.europa.eu/de/-/chemicals-in-our-life-hot-topics-endocrine. Gemäß der weithin anerkannten WHO-Definition (WHO-IPCS) aus dem Jahr 2002 sind Chemikalien mit endokriner Wirkung von außen zugeführte Stoffe oder Stoffgemische, die die Funktion(en) des Hormonsystems verändern und dadurch Gesundheitsschädigungen in einem intakten Organismus, bei seinen Nachkommen oder in (Teil-)Populationen verursachen.

(3)  COM(1999) 706.

(4)  Weltgesundheitsorganisation, State of the Science of Endocrine Disrupting Chemicals, 2012, Seiten VII-XII.

(5)  https://www.unenvironment.org/explore-topics/chemicals-waste/what-we-do/emerging-issues/scientific-knowledge-endocrine-disrupting

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1107/2009; Verordnung (EU) Nr. 528/2012; Verordnung (EG) Nr.1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1); Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 1); Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 1).

(7)  Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 338 vom 13.11.2004, S. 4); Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 342 vom 22.12.2009, S. 59); Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 170 vom 30.6.2009, S. 1); Richtlinie 98/24/EG des Rates (ABl. L 131 vom 5.5.1998, S. 11); Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 50).

(8)  „Von außen zugeführte Stoffe oder Stoffgemische, die die Funktion(en) des Hormonsystems verändern und dadurch Gesundheitsschädigungen in einem intakten Organismus, bei seinen Nachkommen oder in (Teil-)Populationen verursachen.“

(9)  Angaben der Kommission.

(10)  COM(2018) 435 final und COM(2018) 436 final — vgl. insbesondere den zweiten Pfeiler „Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit“, den Cluster „Gesundheit“(mit einem veranschlagten Budget von 7,7 Mrd. EUR) und die „direkten Maßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle außerhalb des Nuklearbereichs“(mit einem veranschlagten Budget von 2,2 Mrd. EUR).

(11)  Stellungnahme des EWSA zur „Trinkwasserrichtlinie“(ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 107); Stellungnahme des EWSA zu dem Aktionsplan der EU für einen besseren Vollzug des Umweltrechts und eine bessere Umweltordnungspolitik (ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 83); Stellungnahme des EWSA „Das gegenwärtige System zur Gewährleistung von Lebensmittel- und Versorgungssicherheit in der EU und Möglichkeiten zu seiner Verbesserung“(ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 1); Stellungnahme des EWSA Sicherheit von Spielzeug (ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 8); Stellungnahme des EWSA „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“(ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18).

(12)  Verordnung (EU) Nr. 528/2012; Verordnung (EG) Nr. 1107/2009; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Biozidprodukte“(ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 62).

(13)  „Scientific principles for the identification of endocrine-disrupting chemicals: a consensus statement“, Solecki, 2017. https://link.springer.com/article/10.1007/s00204-016-1866-9

(14)  Stellungnahme des EWSA „Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit“, ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 56; Stellungnahme des EWSA Neufassung der Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP), ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 93.

(15)  Laut TEDX (Endocrine Disruption Exchange) umfasst diese Liste mehr als 1 000 Stoffe.

(16)  Stellungnahme des EWSA „Schnittstelle zwischen Chemikalien-, Produkt- und Abfallrecht“(ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 56).

Stellungnahme des EWSA zur Europäischen Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft (einschließlich Maßnahmen gegen Abfälle im Meer) (ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 61).

(17)  Beschluss Nr. 1386/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 354 vom 28.12.2013, S. 171).

(18)  Stellungnahme des EWSA „Neufassung der Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP)“(ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 93).

(19)  Im August 2018 veröffentlichten die Vereinten Nationen eine Liste mit 45 Chemikalien oder Gruppen von Chemikalien, die nach einer gründlichen wissenschaftlichen Bewertung auf der Grundlage der WHO/IPCS Definition von 2002 als endokrine Disruptoren oder potenzielle endokrine Disruptoren identifiziert wurden. Es ist bedauerlich, dass aufgrund des Fehlens eines internationalen Übereinkommens über endokrine Disruptoren kein international vereinbartes Verfahren für den Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren vor der Exposition gegenüber solchen Stoffen aufgestellt werden kann. https://www.unenvironment.org/explore-topics/chemicals-waste/what-we-do/emerging-issues/scientific-knowledge-endocrine-disrupting.

(20)  Stellungnahme des EWSA „Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft Europas“(ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 44).

(21)  Z. B. Dekalog für Bürger über endokrine Disruptoren. http://old.iss.it/inte/index.php?lang=2&id=289&tipo=29.

(22)  Stellungnahme des EWSA „Neufassung der Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP)“(ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 93).