15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/301


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union“

(COM(2018) 568 final — 2018/0299 (COD))

(2019/C 62/48)

Hauptberichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 10.9.2018

Rat, 11.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 172 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Beschluss des Präsidiums

18.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

118/1/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag als Vorbereitungsmaßnahme zur Gewährleistung eines zusammenhängenden TEN-V-Netzes und zur Anpassung des Kernnetzkorridors „Nordsee — Mittelmeer“ (NSM-Korridor) an ein Szenario, bei dem das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil der transeuropäischen Verkehrsnetze ist.

1.2.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, die Lage Irlands nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu berücksichtigen und sich ernstlich mit den möglichen, daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft und die irische Wirtschaft zu befassen. Dementsprechend ist es ratsam, bei der Festlegung neuer Streckenführungen besondere Umsicht walten zu lassen.

1.3.

Nach Meinung des EWSA sind eine oder mehrere Direktverbindungen zwischen dem EU-Festland und der Republik Irland notwendig, um einen zusammenhängenden NSM-Korridor zu erhalten und den Verkehrsbetrieb zwischen Irland und den kontinentalen Gebieten der EU ohne Grenzkontrollen zu ermöglichen.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verkehrsströme nach und von Irland voraussichtlich auf andere Routen verlagert werden, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr zum TEN-V-Netz gehört und dann Beförderungen durch das Vereinigte Königreich durch Grenzkontrollen verlangsamt werden dürften.

1.5.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die nun von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Gestaltung des Korridors im Verlauf der Konsultation im Vorfeld ihres Vorschlags aus verschiedenen Gründen infrage gestellt wurde. U. a. wurden Zweifel an der Auswahl der Häfen geäußert und die Notwendigkeit hervorgehoben, auch die Streckenführung des Atlantik-Kernnetzkorridors zu überprüfen.

1.6.

Der EWSA ruft in Erinnerung, dass die transeuropäischen Verkehrsnetze zum Ziel haben, Zusammenhalt, Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr zu gewährleisten, wofür das Kernnetz von hoher strategischer Bedeutung ist.

1.7.

Der EWSA hegt deshalb Zweifel an der Anordnung des vorgeschlagenen neuen Korridorabschnitts, der womöglich nicht den künftigen Verkehrsflüssen entspricht und damit auch nicht dem Ziel der TEN-V-Kernnetzkorridore gerecht wird, die wichtigsten Fernverkehrsflüsse zu unterstützen.

1.8.

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass einige der Häfen, die aufgrund der neuen Gegebenheiten in den Fokus rücken könnten, keine Kernnetzhäfen sind und somit eine grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in einen Kernnetzkorridor nicht erfüllen. Eine Überprüfung der Verordnung über die TEN-V-Leitlinien findet indes erst 2023 statt.

1.9.

Der EWSA räumt ein, dass vermutlich noch nicht absehbar ist, wie sich die Verkehrsströme im konkreten Anwendungsfall ändern würden.

1.10.

Der EWSA stimmt deshalb zu, dass die vorgeschlagene Anordnung eine geeignete Übergangslösung darstellt, bis die Änderungen der Verkehrsströme konkrete Gestalt annehmen.

1.11.

Der EWSA bedauert jedoch, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde, um zu prüfen, inwieweit die vorgeschlagene Auslegung beispielsweise für die Beförderung verderblicher Güter geeignet ist, und um die effizienteste und nachhaltigste Auslegung einer Streckenführung zu ermitteln, die den Überlandtransport durch das Vereinigte Königreich als transeuropäische Verkehrsverbindung nach und von Irland ersetzen soll.

1.12.

Der EWSA empfiehlt daher, in den Vorschlag eine spezifische Überprüfungsklausel aufzunehmen, der zufolge die Europäische Kommission die verabschiedete Verordnung innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten überprüfen muss. Diese Überprüfung sollte sich auf eine Bewertung der veränderten konkreten Verkehrsflüsse zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland stützen und als Grundlage für geeignete Vorschläge zur Streckenführung einschlägiger TEN-V-Kernnetzkorridore dienen.

1.13.

Vorbehaltlich einer solchen Überprüfung gibt es nach Meinung des EWSA keinen Grund, den Vorschlag inhaltlich abzuändern, zumal die Situation der Kernnetzhäfen im Ärmelkanal, die derzeit zum NSM- oder zum Atlantik-Kernnetzkorridor gehören, von der Streckenänderung unberührt bleibt.

1.14.

Der EWSA fragt sich, warum nicht die Streichung bestehender Verbindungsstrecken zum Vereinigten Königreich und Transitstrecken durch das Vereinigte Königreich vorgeschlagen wird. Wenn die EU-Rechtsvorschriften über die transeuropäischen Verkehrsnetze nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, gibt es auch keine Rechtsgrundlage für die Nutzung dieser Strecken. Es wäre deshalb angebracht, sie zu streichen.

2.   Der Vorschlag

2.1.

Im Rahmen der Maßnahmen zur Vorbereitung des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union vorgelegt.

2.2.

Das Vereinigte Königreich hat am 29. März 2017 seine Absicht mitgeteilt, aus der EU auszutreten. Gemäß Artikel 50 EUV erfolgt dieser Austritt am 30. März 2019. Von diesem Zeitpunkt an wird das EU-Recht nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, das zum Drittland wird und somit auch nicht mehr Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes und seiner Kernnetzkorridore sein wird, es sei denn, in einem ratifizierten Austrittsabkommen werden andere Vereinbarungen getroffen.

2.3.

In ihrer Mitteilung „Vorbereitung auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 30. März 2019“ (COM(2018) 556 final) unterstrich die Europäische Kommission die Notwendigkeit, sich auf alle möglichen Ergebnisse einschließlich eines Scheiterns der Austrittsverhandlungen vorzubereiten.

2.4.

Ziel des Vorschlags ist es, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass die laufenden Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht zur Festlegung von Übergangsregelungen in einem Austrittsabkommen führen. Insbesondere geht es darum, eine direkte Anbindung der Republik Irland an den NSM-Kernnetzkorridor sicherzustellen, wenn die Streckenführung dieses Korridors durch das Vereinigte Königreich entfällt.

2.5.

Der Vorschlag beinhaltet die Änderung der Streckenführung des Korridors durch Einfügung der Verbindung „Baile Átha Cliath/Dublin/Corcaigh/Cork — Zeebrugge/Antwerpen/Rotterdam“. Die Änderung soll ab dem Tag gelten, der auf den Tag folgt, an dem die Geltungsdauer der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 für das Vereinigte Königreich endet.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag als Maßnahme zur Gewährleistung eines zusammenhängenden TEN-V-Netzes und zur Erhaltung des Kernnetzkorridors „Nordsee — Mittelmeer“ (NSM-Korridor) auch für den Fall, dass die laufenden Verhandlungen über den Austritt und Übergangsregelungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich scheitern. Damit ist der Vorschlag Teil der Vorbereitungen der Europäischen Kommission auf den denkbar schlimmsten Fall, dass das Vereinigte Königreich die EU ohne Austrittsabkommen verlässt.

3.2.

Nach Annahme gilt der Vorschlag ab dem Tag, an dem das Vereinigte Königreich aus der EU austritt und das EU-Recht nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt, was bedeutet, dass das Vereinigte Königreich auch nicht mehr zum transeuropäischen Verkehrsnetz gehört.

3.3.

Der EWSA hält eine oder mehrere Direktverbindungen zwischen dem EU-Festland und der Republik Irland für notwendig, um einen zusammenhängenden NSM-Korridor zu erhalten und den Verkehrsbetrieb zwischen Irland und den kontinentalen Gebieten der EU ohne Grenzkontrollen zu ermöglichen.

3.4.

Der EWSA hebt nachdrücklich die möglichen gravierenden Folgen für die irische Wirtschaft und das Wohlergehen der irischen Bevölkerung hervor, zumal mit absehbaren und unvorhergesehenen Auswirkungen der veränderten Lage gerechnet werden muss.

3.5.

Jede neue Streckenführung muss daher unbedingt die Anbindung Irlands an das EU-Festland verbessern. Da gegenwärtig ein Großteil der Frachtströme im Straßengüterverkehr zwischen Irland und dem europäischen Festland durch das Vereinigte Königreich verläuft, sollten in jedem Fall neue Seeverbindungen zwischen den irischen Kernnetzhäfen Dublin und Cork und den Festlandshäfen des NSM-Korridors hinzugefügt werden.

3.6.

Der EWSA stellt fest, dass der vorgeschlagenen Auslegung des Korridors ein Anwendungsfall zugrunde liegt, bei dem das Vereinigte Königreich nicht mehr zum TEN-V-Netz gehört und Beförderungen durch das Vereinigte Königreich durch Grenzkontrollen verlangsamt werden, weshalb die Verkehrsströme nach und von Irland voraussichtlich auf andere Routen verlagert werden.

3.7.

Der EWSA gibt ferner zu bedenken, dass die nun von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Streckenführung des Korridors sowohl in Einzelheiten als auch allgemein hinterfragt worden ist. Während der Konsultation im Vorfeld des Vorschlags wurde die Karte des Kernnetzes, auf die der Vorschlag sich weitgehend stützt, von mehreren Häfen an der Südküste des Ärmelkanals, vom Verband der französischen Häfen sowie von Regionalbehörden infrage gestellt, die forderten, die Häfen von Dunkerque, Calais, Le Havre, Roscoff und Brest in die vorgeschlagene Verbindung des NSM-Korridors aufzunehmen und die Streckenführung des Atlantik-Kernnetzkorridors zu ändern. Desgleichen haben verschiedene irische Interessenträger die Effizienz einer Langstrecken-Seeverkehrsverbindung als Ersatz der Überlandstrecke durch das Vereinigte Königreich angezweifelt, zumal es kürzere Seeverkehrsverbindungen gibt, beispielsweise zwischen Irland und bretonischen Häfen. Es wurde argumentiert, dass kürzere Seeverkehrsverbindungen u. a. für den Transport verderblicher Güter besser geeignet sind.

3.8.

Ziel der transeuropäischen Verkehrsnetze ist die Gewährleistung von Zusammenhalt, Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr. Das Kernnetz ist von maßgebender strategischer Bedeutung für die Erreichung dieser Ziele, und über die TEN-V-Kernnetzkorridore werden die wichtigsten Fernverkehrsflüsse im Kernnetz unterstützt (1).

3.9.

Der EWSA hegt deshalb Zweifel an der Streckenführung des vorgeschlagenen neuen Korridorabschnitts und befürchtet, dass die geänderte Streckenführung womöglich nicht den künftigen Verkehrsflüssen entspricht und damit auch nicht dem Ziel der TEN-V-Kernnetzkorridore gerecht wird, die wichtigsten Fernverkehrsflüsse zu unterstützen (2).

3.10.

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass einige der Häfen, die aufgrund der neuen Gegebenheiten in den Fokus rücken könnten, wie Brest oder Roscoff, keine Kernnetzhäfen sind und somit eine grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in einen Kernnetzkorridor nicht erfüllen. Eine Überprüfung der Verordnung über die TEN-V-Leitlinien findet indes erst 2023 statt.

3.11.

Der EWSA räumt ferner ein, dass vermutlich noch nicht absehbar ist, wie sich die Verkehrsströme im konkreten Anwendungsfall ändern würden.

3.12.

Der EWSA stimmt deshalb zu, dass die vorgeschlagene Anordnung eine geeignete Übergangslösung darstellt, bis die Änderungen der Verkehrsströme konkrete Gestalt annehmen.

3.13.

Der EWSA bedauert jedoch, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde, um zu prüfen, inwieweit die vorgeschlagene Auslegung beispielsweise für die Beförderung verderblicher Güter geeignet ist, und um die effizienteste und nachhaltigste Auslegung einer Streckenführung zu ermitteln, die den Überlandtransport durch das Vereinigte Königreich als transeuropäische Hauptverkehrsverbindung zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland ersetzen soll, wobei sich allerdings die Veränderungen der Verkehrsflüsse infolge eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU ohne Austrittsabkommen nur schwierig absehen lassen.

3.14.

Nach Auffassung des EWSA sind die möglichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme relevant genug, um eine Folgenabschätzung im Einklang mit der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung (3) zu rechtfertigen.

3.15.

Der EWSA empfiehlt daher, in den Vorschlag eine spezifische Überprüfungsklausel aufzunehmen, der zufolge die Europäische Kommission die verabschiedete Verordnung innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten überprüfen muss. Diese Überprüfung sollte sich auf eine Bewertung der veränderten konkreten Verkehrsflüsse zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland stützen und als Grundlage für geeignete Vorschläge zur Streckenführung einschlägiger TEN-V-Kernnetzkorridore dienen.

3.16.

Vorbehaltlich einer solchen Überprüfung gibt es nach Meinung des EWSA keinen Grund, den Vorschlag abzuändern, zumal die Situation der Kernnetzhäfen im Ärmelkanal, die derzeit zum Korridor gehören, von der Streckenänderung unberührt bleibt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA fragt sich, warum nicht die Streichung der Verbindungsstrecken zum Vereinigten Königreich und Transitstrecken durch das Vereinigte Königreich vorgeschlagen wird. Wenn die EU-Rechtsvorschriften über die transeuropäischen Verkehrsnetze nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, können diese Strecken auch nicht mehr im Rahmen des EU-Rechts genutzt werden. Es wäre deshalb angebracht, sie zu streichen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 348 vom 20.12.2013, S. 1), Artikel 38.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 1315/2013, Artikel 43 Absatz 1.

(3)  ABl. L 123 vom 12.5.2016, S. 1; Siehe auch die Mitteilung der Kommission über bessere Rechtsetzung (COM(2016) 615 final) und die Mitteilung der Kommission zur Vollendung der Agenda für bessere Rechtsetzung (COM(2017) 651 final, Kapitel 2.3).