6.12.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 440/124


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzübergreifenden Kontext“

(COM(2018) 373 final — 2018/0198 (COD))

(2018/C 440/20)

Berichterstatter:

Etele BARÁTH

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat der Europäischen Union, 19.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 175 und 304 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

7.9.2018

Verabschiedung im Plenum

19.9.2018

Plenartagung Nr.

537

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

195/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission über einen Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzübergreifenden Kontext (nachfolgend: „Mechanismus“). Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Bestimmungen des Vorschlags einen neuen Ansatz widerspiegeln, die Kooperationsmöglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Subsidiarität stärken und zu einer ausgewogeneren, nachhaltigen sozioökonomischen Entwicklung der Grenzregionen sowie zur Steigerung des BIP der Union beitragen können.

1.2.

Der EWSA hält den Vorschlag für begründet, denn obwohl diese Gebiete derzeit durch mehrere institutionelle Instrumente unterstützt werden (insbesondere Interreg und EVTZ), verfügen sie nicht über die entsprechenden Kompetenzen zur Ergreifung solcher rechtlichen Maßnahmen.

1.3.

Nach Ansicht des EWSA kann der Verordnungsentwurf einen Beitrag zum Abbau historischer Schranken, zur Verbreitung des europäischen Geistes im Alltag und zur Stärkung eines europäischen Gemeinsinns leisten.

1.4.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, alle zu Rechtsunsicherheit führenden Fragen zu klären, sodass die komplizierten und allzu abgesichert wirkenden Prozesse nicht abschreckend auf die möglichen Anwender des Rechtsakts wirken. Es ist unverzichtbar, deutlich zu machen, auf welche Weise zwei benachbarte Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit angeregt werden können, wenn deren Vorstellungen von der Konzeption eines Projekts oder allgemein von der Herangehensweise voneinander abweichen.

1.5.

Der EWSA meint, dass ständig im Auge behalten werden muss, wie die Verordnung funktioniert, da sie nicht die Lösungen, sondern den Prozess selbst regelt und den Rahmen für unzählige Kooperationsmöglichkeiten festlegt.

1.6.

Ein Vorteil des Verordnungsvorschlags ist, dass er eine Angleichung und keine Vereinheitlichung beinhaltet, daher ist auch die Festlegung seines räumlichen Anwendungsbereichs ein wichtiges Element seiner Durchführbarkeit (siehe Ziffer 2.7.4).

1.7.

Darüber hinaus beruht der Verordnungsentwurf auf dem Prinzip, dass eine Möglichkeit, ein bestimmtes Problem zu lösen, darin bestehen könnte, die jenseits der Grenze geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden. Jedoch ist dies in zahlreichen Fällen nicht möglich: Es kann vorkommen, dass es weder auf der einen noch auf der anderen Seite der Grenze eine Rechtsvorschrift zur Behebung des betreffenden Problems gibt; eine Lösung könnte sich dann am Modell eines Drittlandes orientieren. Ein Mechanismus sollte auch für solche Fälle vorgeschlagen werden.

1.8.

Der EWSA begrüßt die Koordinierung der Europäischen Kommission bzw. zählt auf die grenzübergreifenden Koordinierungsstellen bei der Verbreitung der bisherigen „erfolgreichen Verfahren“ (grenzübergreifende Programme usw.) bzw. der Einbettung der Initiativen in den territorialen Zusammenhang (z. B. Übereinstimmung mit makroregionalen Strategien, integrierten Stadtentwicklungsstrategien). Der Ausschuss empfiehlt, zu diesem Zweck auf das Fachwissen und das Koordinierungsvermögen der Organisationen der Zivilgesellschaft zuzugreifen (siehe Ziffer 2.14.2).

1.9.

Die vorgeschlagene Verordnung kann ein Beitrag zur weiteren Stärkung einer innovativen und verantwortlichen europäischen Verwaltung sein, jedoch erachtet es der EWSA als notwendig, dass zur Erschließung der Möglichkeiten der grenzübergreifenden Zusammenarbeit eine Informationspflicht gegenüber den Betroffenen eingeführt wird, und er empfiehlt die Nutzung der Möglichkeiten des eGovernment, um die Mitwirkung an den Prozessen zu fördern und attraktiv zu machen.

1.10.

Der EWSA empfiehlt, zu berücksichtigen, dass zwischen den möglichen teilnehmenden Initiatoren ein erhebliches Kräfteungleichgewicht bestehen kann, zu dessen Ausgleich Hilfen vorzusehen sind, durch die Partnern mit einer schlechteren Ausgangslage die Teilnahme erleichtert wird.

1.11.

Bei den grenzübergreifenden Initiativen und in der grenzübergreifenden Rechtspraxis ist darauf zu achten, dass es nicht zu einem Rückschritt kommt. Es ist insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass keine der beteiligten Parteien eine Benachteiligung oder einen Schaden aus der Zusammenarbeit erleidet.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt die Initiativen, die den Abbau der Hemmnisse des Gemeinsamen Marktes bzw. die Verwirklichung der vier Freiheiten fördern (1). Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag über die Schaffung eines grenzübergreifenden Mechanismus — ein Ausdruck der erfolgreichen Arbeit des luxemburgischen Vorsitzes — ein weiterer Schritt in diese Richtung ist.

2.2.

In der Europäischen Union gibt es 40 Grenzregionen an Binnengrenzen, die 40 % des Territoriums der Union und knapp 30 % der EU-Bevölkerung ausmachen. Täglich pendeln 1,3 Mio. EU-Arbeitnehmer über die Grenzen (2).

2.3.

Die Grenze zu überqueren, um Beschäftigung zu finden, eine bessere Gesundheitsversorgung zu erhalten, staatliche Einrichtungen zu nutzen oder Nothilfe in Anspruch zu nehmen, kann jedoch immer noch Schwierigkeiten bereiten. Die Nichtanerkennung von Steuer- bzw. Rentenansprüchen, Gesetzen und Normen und das Fehlen eines gemeinsamen Notfalldienstes können erhebliche Probleme bedeuten. Die meisten bestehenden Hindernisse ergeben sich aus den unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften, den miteinander unvereinbaren administrativen Prozessen oder einfach dem Fehlen einer gemeinsamen territorialen Planung beiderseits der Grenze (3).

2.4.

Daher schneiden Grenzregionen im Allgemeinen wirtschaftlich weniger gut ab als andere Regionen eines Mitgliedstaats. Außerdem ist dort der Zugang zu öffentlichen Diensten wie Krankenhäusern und Universitäten im Großen und Ganzen schlechter. Menschen, Unternehmen und Behörden in Grenzregionen sind beim Lavieren zwischen verschiedenen Verwaltungs- und Rechtssystemen mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert. Forscher der Technischen Universität Mailand haben festgestellt, dass der Abbau der derzeit vorhandenen administrativen Hindernisse zu einer Steigerung des BIP der Union um rund 8 % führen würde (4).

2.5.

In Bezug auf die sozialen Aspekte dieser Herausforderung erachtet der EWSA die Entwicklung von Mechanismen, die durch den Abbau administrativer Hindernisse die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie den Ausbau von Infrastruktur und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse fördern, als besonders wichtig.

2.6.

Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist zu begrüßen, dass der Vorschlag sowohl im Interesse der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer in Richtung einer weiteren Verringerung des Verwaltungsaufwands weist.

2.7.

Aus der Randlage ergibt sich für die Grenzgebiete oft ein wirtschaftlicher und sozialer Nachteil (5). Eine derartige Initiative kann positiv zur Stärkung des territorialen Zusammenhalts beitragen, dessen Ziel die Gewährleistung der harmonischen Entwicklung sämtlicher Regionen ist, und kann ermöglichen, dass die dort lebenden Bürger die Vorzüge der Region optimal ausnutzen können. Im Einklang mit dem Vertrag von Lissabon (6) ist der EWSA der Auffassung, dass die Vielfalt zu einem Vorteil werden kann, der zur nachhaltigen Entwicklung der gesamten Europäischen Union beiträgt.

2.7.1.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission es versäumt hat, einen partizipativen Prozess einzuleiten, der in eine übergreifende und integrierte Strategie für ein nachhaltiges Europa bis 2030 und darüber hinaus mündet (7). Besonders wichtig ist daher die Einbettung des neuen Mechanismus in einen Kontext: Der EWSA geht davon aus, dass die Aufgabe der neuen grenzübergreifenden Koordinierungsstellen neben der Harmonisierung der Rechtsvorschriften auch in der Integration der Initiativen in die verschiedenen territorialen Prozesse besteht.

2.7.2.

Zu diesen territorialen Prozessen gehören insbesondere die auf unterschiedlicher Ebene bestehenden territorialen Strategien (z. B. makroregionale Strategien, Strategien der integrierten Stadtentwicklung) und die Mitberücksichtigung der Erfahrungen aus den Programmen für europäische territoriale Zusammenarbeit, insbesondere unter Beachtung der Erfahrungen und Ergebnisse grenzübergreifender Programme.

2.7.3.

Die besondere Stärke des jetzigen Vorschlags gegenüber früher vorgebrachten Ideen liegt darin, dass die Möglichkeit der Zusammenarbeit an Seegrenzen nicht ausgeschlossen ist (dies macht die Anwendbarkeit des Instruments auf die rege Zusammenarbeit an Seegrenzen wie in der Region Groß-Kopenhagen, zwischen Helsinki und Tallinn oder bei den sich derzeit intensivierenden italienisch-kroatischen Verbindungen möglich).

2.7.4.

Auch wenn im Vorschlag der territoriale Anwendungsbereich auf der NUTS-3-Ebene liegt, ist darin dennoch vorgesehen, die Anwendung des Mechanismus auf das kleinstmöglich zu rechtfertigende Gebiet zu konzentrieren, was zu begrüßen ist. Dessen ungeachtet ist es wichtig, dass die Verordnung auch auf die Fälle angewendet werden kann, in denen der territoriale Anwendungsbereich über die empfohlenen administrativen Grenzen ausgedehnt werden muss (z. B. wenn die Funkfrequenz von Rettungswagen in einem entsprechend größeren Gebiet funktionieren muss).

2.8.

Wie auch der neue Vorschlag für den EU-Haushalt zeigt, ist heutzutage der Umweltschutz zu einer wichtigen Priorität geworden: Dementsprechend schlägt die Kommission die Aufstockung der Fördermittel für Umwelt- und Klimaschutz vor (8). Alle Bemühungen im Interesse einer einheitlichen Herangehensweise an das europäische Ökosystem und somit an den Umweltschutz sind selbstverständlich zu begrüßen.

2.9.

Der EWSA geht im Einklang mit der Mitteilung der Europäischen Kommission „Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen“ (9) (in der anhand von zehn Empfehlungen dargelegt wird, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten dafür sorgen können, dass die grenzübergreifende Interaktion weniger komplex, langwierig und teuer ist, und wie sie die Zusammenlegung von Diensten an den Binnengrenzen fördern können) davon aus, dass die Zusammenarbeit über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften hinausgehen muss (Förderung von Mehrsprachigkeit usw.).

2.10.

Dessen ungeachtet steht zu befürchten, dass eine Einführung des Mechanismus auf freiwilliger Basis zu einer weiteren Fragmentierung in der europäischen Rechtspraxis und administrativen Struktur führt und dass sich darüber hinaus in der Praxis erhebliche Unterschiede zwischen hochentwickelten und weniger entwickelten Mitgliedstaaten ergeben können. Letztere würden somit nicht nur vor anderen rechtlichen Hindernissen stehen, sondern auch vor größeren Herausforderungen, beispielsweise wirtschaftlicher Art.

2.11.

Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Angleichung der Rechtsvorschriften zeitraubend ist, dennoch ermuntert er die Mitgliedstaaten zur Schaffung möglichst homogener Strukturen. Insgesamt ist im Verordnungsvorschlag das Bemühen um eine möglichst kurze Verfahrensdauer zum Schutz der lokalen Akteure festzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Komplexität und der bürokratische Zeitbedarf des Mechanismus eine wirkliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit erfordern, damit die vorgegebenen Fristen eingehalten werden können.

2.12.

Auch die Bildung eines neuen institutionellen Systems auf mehreren Ebenen wirft Fragen auf. Es ist wichtig, den operativen Rahmen der Einrichtungen so zu bestimmen, dass auftretende Hindernisse sich nicht auf die Behörden niederschlagen (fehlende Kapazitäten usw.).

2.13.

In diesem Sinne begrüßt der EWSA die koordinierende Rolle der Europäischen Kommission, die durch die im September 2017 geschaffene „Anlaufstelle Grenze“ ermöglicht wird (10).

2.13.1.

Der Ausschuss zeigt sich jedoch besorgt über das Fehlen einer europäischen Finanzierung, was insbesondere für die weniger entwickelten Mitgliedstaaten problematisch sein kann. Daher erachtet er es als wichtig, die Möglichkeit zu schaffen, dass unterschiedliche Fonds mit dem Mechanismus verbunden werden können.

2.14.

Als besonders positiv beurteilt der EWSA den „Bottom-up“-Ansatz der Initiative, bei dem die lokalen Akteure, die tatsächlich die genannten Hindernisse erfahren und bewältigen müssen, die Harmonisierungsverfahren initiieren können.

2.14.1.

Durch ihre Fähigkeit zur Mobilisierung der vor Ort betroffenen Akteure sind die Organisationen der Zivilgesellschaft besonders gut in der Lage, die örtlichen Probleme aufzuzeigen und Vorschläge zu formulieren. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass ihre Teilnahme von besonderer Bedeutung ist, und empfiehlt, ihr Fachwissen und ihre Fähigkeit zur Koordinierung zu nutzen (und sich dabei z. B. auf die interregionalen Indikatoren der Handelskammern oder auf Kooperationen zwischen Gewerkschaften oder Interessenvertretungen zu stützen). Ebenfalls für wichtig hält der Ausschuss die Berücksichtigung der Arbeiten der nationalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialräte.

2.14.2.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten die Zivilgesellschaft in großem Maße unterstützen, sodass auch wirtschaftlich schwächere Akteure die Möglichkeiten kennen und wahrnehmen können.

2.14.3.

Diesbezüglich empfiehlt der EWSA die Förderung der Tätigkeit der von Grenzregionen geschaffenen Organisationen (z. B. die Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen (AGEG), die Mission Opérationnelle Transfrontalière (MOT) oder der Central European Service for Cross-border Initiatives (CESCI)), um die Interessen der Grenzregionen, die Vernetzung der verschiedenen Akteure und den Erfahrungsaustausch unter ihnen sowie die Kooperationsmöglichkeiten zu fördern.

Brüssel, den 19. September 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 1.

(2)  http://ec.europa.eu/regional_policy/de/information/publications/communications/2017/boosting-growth-and-cohesion-in-eu-border-regions.

(3)  http://ec.europa.eu/regional_policy/de/policy/cooperation/european-territorial/cross-border/review/.

(4)  Camagni et al., „Quantification of the effects of legal and administrative border obstacles in land border regions“, Europäische Kommission, Brüssel, 2017.

(5)  http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/reports/cohesion7/7cr_de.pdf.

(6)  ABl. C 306 vom 17.12.2007.

(7)  ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 91.

(8)  http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4002_de.htm.

(9)  http://ec.europa.eu/regional_policy/de/information/publications/communications/2017/boosting-growth-and-cohesion-in-eu-border-regions.

(10)  http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-3270_de.htm.