EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 11.9.2017
COM(2017) 468 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
über die Notwendigkeit, börsengehandelte Derivate vorübergehend vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente auszunehmen
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND
DEN RAT
über die Notwendigkeit, börsengehandelte Derivate vorübergehend vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente auszunehmen
1.EINLEITUNG
Dieser Bericht an das Europäische Parlament und den Rat (im Folgenden „Bericht“) enthält eine Beurteilung der Notwendigkeit, börsengehandelte Derivate vorübergehend vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente (im Folgenden „MiFIR“) auszunehmen. Nach Artikel 52 Absatz 12 ist die Europäische Kommission verpflichtet, dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht vorzulegen, in dem beurteilt wird, ob es notwendig ist, börsengehandelte Derivate vorübergehend von den Bestimmungen über einen diskriminierungsfreien Zugang zu zentralen Gegenparteien („CCP“) und Handelsplätzen nach Artikel 35 und 36 MiFIR auszunehmen, was ab dem 3. Januar 2018 für bis zu dreißig Monate möglich wäre.
In Artikel 52 Absatz 12 MiFIR ist vorgesehen, dass die Europäische Kommission ihren Bericht auf der Grundlage einer Risikobewertung erstellt, die von der ESMA in Konsultation mit dem ESRB vorgenommen wird, und dabei den Risiken Rechnung trägt, die aufgrund der im Zusammenhang mit börsengehandelten Derivaten bestehenden Bestimmungen über den offenen und diskriminierungsfreien Zugang für die Stabilität im Allgemeinen und das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte in der Union bestehen können. Im Juli 2015 beauftragte die Kommission die ESMA, eine solche Risikobewertung in Zusammenarbeit mit dem ESRB vorzunehmen. Die ESMA übergab ihre Risikobewertung am 31. März 2016 auf der Basis der am 9. Februar 2016 veröffentlichten Stellungnahme des ESRB.
Die ESMA wurde von der Kommission ersucht, bei der Durchführung der Risikobewertung (i) mögliche Risikofaktoren zu bestimmen und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens sowie das Ausmaß der schädlichen Auswirkungen auf die Finanzsysteme zu prüfen, (ii) die Existenz von Systemrisiken auf Grundlage von Risikofaktoren zu beurteilen, die für die Zugangsvereinbarungen nach MiFIR als spezifisch angesehen werden können, und (iii) eine detaillierte qualitative und quantitative Analyse zur Unterstützung ihrer Argumente vorzulegen.
Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass die ESMA die von der Kommission erbetene quantitative Bewertung nicht durchführen konnte, da keine Daten über geltende Zugangsvereinbarungen für börsengehandelte Derivate im Rahmen von MiFIR verfügbar waren.
2.GEGENSTAND DES BERICHTS
Wie für OTC-Derivate in der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (EMIR) wird in MiFIR eine Clearingpflicht für börsengehandelte Derivate sowie ein diskriminierungsfreier und transparenter Zugang zu den zentralen Gegenparteien und Handelsplätzen für übertragbare Wertpapiere, Geldmarktinstrumente und börsengehandelte Derivate eingeführt.
In EMIR werden OTC-Derivate als Derivatekontrakte definiert, die nicht auf einem geregelten Markt oder einem Drittlandsmarkt, der als einem geregelten Markt gleichwertig gilt, abgeschlossen werden. Im Gegensatz dazu wird ein börsengehandeltes Derivat in MiFIR als „ein Derivat, das auf einem geregelten Markt oder auf einem Drittlandsmarkt gehandelt wird, der als einem geregelten Markt gleichwertig gilt“ definiert und fällt als solches nicht unter die Definition von OTC-Derivaten in EMIR.
Während also die Bestimmungen für den offenen und diskriminierungsfreien Zugang in MiFIR für Derivate gelten, die auf mindestens einem geregelten Markt gehandelt werden, sind die Bestimmungen zum offenen Zugang in EMIR nur für außerbörslich gehandelte Derivate anzuwenden; das schließt Derivate ein, die über multilaterale Handelssysteme oder organisierte Handelssysteme gehandelt werden, sofern sie ansonsten auf keinem geregelten Markt oder Drittlandsmarkt, der als einem geregelten Markt gleichwertig gilt, gehandelt werden.
Nach Artikel 52 Absatz 12 MiFIR deckt dieser Bericht nur börsengehandelte Derivate ab und schließt daher keine übertragbaren Wertpapiere, Geldmarktinstrumente und OTC-Derivate ein.
3.BESTIMMUNGEN ÜBER DEN DISKRIMINIERUNGSFREIEN ZUGANG IN MiFIR
Die Bestimmungen über den offenen und diskriminierungsfreien Zugang sollen den Wettbewerb zwischen den Handelsplätzen und den zentralen Gegenparteien stärken und letztlich die Kosten für den Endanleger senken, indem möglicherweise existierende diskriminierende Praktiken – sowohl auf der Ebene der zentralen Gegenparteien als auch auf der Ebene der Handelsplätze – verhindert werden.
In Artikel 35 MiFIR wird festgelegt, dass eine zentrale Gegenpartei Handelsplätzen den Zugang auf diskriminierungsfreie und transparente Weise gewähren muss, um das Clearing von Geschäften unabhängig vom Handelsplatz, auf dem das Geschäft ausgeführt wird, zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang soll der offene und diskriminierungsfreie Zugang gewährleisten, dass ein Handelsplatz hinsichtlich (i) der Anforderungen für Sicherheiten und des Nettings wirtschaftlich vergleichbarer Verträge und (ii) des Cross-Marginings korrelierter Kontrakte, die von derselben zentralen Gegenpartei gecleart wurden, den Anspruch auf eine diskriminierungsfreie Behandlung der über seine Plattform gehandelten Kontrakte hat. Dies sollte den Handelsplätzen die Möglichkeit geben, zu entscheiden, welche zentrale(n) Gegenpartei(en) die über ihre Plattformen getätigten Geschäfte clearen.
Zugleich wird in Artikel 36 MiFIR festgelegt, dass ein Handelsplatz auf Antrag zentralen Gegenparteien, die an diesem Handelsplatz abgeschlossene Geschäfte zu clearen gedenken, auf nichtdiskriminierender und transparenter Basis Zugang zu seinen Handelsdaten gewähren kann.
MiFIR lässt jedoch nicht außer Acht, dass der offene Zugang zu den zentralen Gegenparteien und Handelsplätzen unter bestimmten Umständen die Risiken erhöhen und mögliche Nachteile mit sich bringen kann, die die politische Zielsetzung, den Wettbewerb zu fördern, überwiegen können. Aus diesem Grund legen Artikel 35 und 36 MiFIR fest, unter welchen Umständen der Zugang verwehrt werden kann. Die zuständigen Behörden der zentralen Gegenparteien und Handelsplätze können den Zugang zu einer bestimmten zentralen Gegenpartei oder einem bestimmten Handelsplatz verweigern, wenn die Gewährung des Zugangs (i) das reibungslose und ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte, insbesondere durch Fragmentierung der Liquidität, gefährden oder Systemrisiken erhöhen würde oder (ii) eine Interoperabilitätsvereinbarung (für börsengehandelte Derivate) erforderlich machen würde, es sei denn, der Handelsplatz und die beteiligten zentralen Gegenparteien haben einer solchen Vereinbarung zugestimmt und die Risiken, die aus dieser Vereinbarung erwachsen, werden von einer dritten Partei abgesichert. Darüber hinaus kann der Zugang durch zentrale Gegenparteien und Handelsplätze verweigert werden, wenn er erhebliche unangemessene Risiken schaffen würde, denen auf der Grundlage des voraussichtlichen Geschäftsvolumens, des operativen Risikos und der operativen Komplexität sowie anderer erhebliche unangemessene Risiken schaffender Faktoren nicht begegnet werden kann.
Diese Bedingungen werden in dem technischen Regulierungsstandard zum Clearingzugang in Bezug auf Handelsplätze und zentrale Gegenparteien detailliert ausgeführt, der auch die Bedingungen, unter denen der Zugang gewährt wird, die Meldeverfahren und andere Anforderungen abdeckt. Insbesondere spezifiziert der technische Standard die verschiedenen Risikoarten, die auf dem erwarteten Geschäftsvolumen, dem operativen Risiko und der operativen Komplexität sowie anderen erhebliche unangemessene Risiken schaffenden Faktoren (z. B. neue Produkte, Bedrohung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der zentralen Gegenpartei oder des Handelsplatzes, rechtliche Risiken oder Unvereinbarkeit zwischen den Handels- und Clearingregeln) basieren können.
Darüber hinaus führt die MiFIR spezifische Bestimmungen ein, um die Komplexität der börsengehandelten Derivate und die sich aus dem offenen und diskriminierungsfreien Zugang möglicherweise ergebenden Herausforderungen angemessen zu berücksichtigen. Börsengehandelte Derivate sind insbesondere aufgrund ihrer langen Laufzeiten und ihrer Leverage-Effekte komplex.
Im Fall von börsengehandelten Derivaten muss der Handelsplatz oder die zentrale Gegenpartei innerhalb von sechs Monaten, anstelle der drei Monate für andere Finanzinstrumente, schriftlich antworten und den Zugang drei Monate nach Übermittlung einer positiven Antwort auf den Zugangsantrag ermöglichen. Wenn eine zuständige Behörde, der Handelsplatz oder die zentrale Gegenpartei den Zugang untersagt, muss sie dies in ihrer Antwort ausführlich begründen und die relevanten zuständigen Behörden über ihren Beschluss unterrichten.
MiFIR sieht auch eine Übergangsregelung für Handelsplätze vor, die den Handel von börsengehandelten Derivaten mit einem jährlichen Nominalbetrag von unter 1 000 000 Millionen EUR anbieten und die sich für einen Zeitraum von 30 Monaten (unter bestimmten Bedingungen bis zu 60 Monaten) ab dem Tag des Inkrafttretens von MiFIR von den Bestimmungen für den offenen und diskriminierungsfreien Zugang ausnehmen lassen können.
Schließlich kann die Kommission nach Artikel 52 Absatz 12 MiFIR und vorbehaltlich der Ergebnisse dieses Berichts beschließen, auf Grundlage einer in Konsultation mit dem ESRB entstandenen Risikobewertung durch die ESMA börsengehandelte Derivate für einen Zeitraum von maximal 30 Monaten vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 MiFIR auszunehmen. In Artikel 54 Absatz 2 MiFIR ist außerdem vorgesehen, dass eine zentrale Gegenpartei oder ein Handelsplatz für den Fall, in dem die Kommission beschließt, börsengehandelte Derivate nicht vorübergehend vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 MiFIR auszunehmen, bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Inanspruchnahme der Übergangsregelung stellen kann. Die zuständige Behörde kann die Risiken der Anwendung des offenen und diskriminierungsfreien Zugangs für das ordnungsgemäße Funktionieren der relevanten zentralen Gegenpartei oder des Handelsplatzes in Hinblick auf börsengehandelte Derivate prüfen und entscheiden, dass die betreffende zentrale Gegenpartei oder der betreffende Handelsplatz für eine Übergangszeit bis zum 3. Juli 2020 von den Zugangsverpflichtungen ausgenommen wird.
4.MARKTSTRUKTUR FÜR BÖRSENGEHANDELTE DERIVATE
Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Risikobewertung der ESMA im April 2016 veröffentlicht wurde, zu einem sehr frühen Zeitpunkt oder noch vor der Umsetzung der neuen rechtlichen Anforderungen, die darauf abzielen, dass (i) der Handel mit liquiden und standardisierten Derivaten so weit wie möglich an Handelsplätzen erfolgt und (ii) sowohl OTC-Derivate als auch börsengehandelte Derivate zentral gecleart werden, um Systemrisiken zu mindern.
Gemeinsam mit dem ESRB erwartet die ESMA, dass die auf Artikel 28 MiFIR gestützte Einführung der Pflicht, OTC-Derivate, die bestimmte Anforderungen erfüllen, über Handelsplätze zu handeln, die Zahl derjenigen Derivate ansteigen lassen wird, die an Handelsplätzen, einschließlich geregelter Märkte, gehandelt werden. Derivate, die auf geregelte Märkte gebracht werden, werden daher als börsengehandelte Derivate bezeichnet und unterliegen daher der Verpflichtung nach Artikel 29 MiFIR, durch eine zentrale Gegenpartei gecleart werden zu müssen.
Laut den Ergebnissen der ESMA wird auf dem europäischen Derivatemarkt überwiegend außerbörslich gehandelt. Ende Juni 2016 belief sich der weltweite Markt börsengehandelter Derivate auf etwas mehr als 10 % des weltweiten Derivatemarkts, der seinerseits seit 2008 einen rückläufigen Trend aufweist. Betrachtet man den ausstehenden Nominalbetrag, besteht der Markt börsengehandelter Derivate vor allem aus Zinsderivaten, die sich zu 60 % auf Optionsgeschäfte und zu 40 % auf Termingeschäfte aufteilen.
Die Risikobewertung durch ESMA unterstreicht außerdem einen ständigen signifikanten Rückgang des Anteils täglich geclearter ausstehender Nominalbeträge für börsengehandelte Derivate in den letzten Jahren bei zunehmender Verschiebung in Richtung auf Instrumente mit längerer Laufzeit.
Die ESMA beschreibt den europäischen Handel börsengehandelter Derivate sowohl auf Handels- als auch auf Clearingebene als stark konzentriert, kombiniert mit einer vertikal integrierten Marktinfrastruktur, in der die herrschenden Handels- und Clearingstrukturen Teil derselben integrierten Gruppen sind. 2014 hielt die größte zentrale Gegenpartei bei den geclearten Verkäufen börsengehandelter Derivate 58 % der Marktanteile, während die drei größten zusammen einen Marktanteil von 90 % hielten. Eine Reihe kleinerer Akteure teilte sich die verbleibenden Marktanteile.
Bei der Beurteilung der Marktstruktur auf der Basis von Anlageklassen kommt die ESMA zum Schluss, dass der Markt hier noch stärker konzentriert ist, wobei eine Börse über 70 % der Handelswerte von börsengehandelten Eigenkapitalderivaten hält, eine andere über 80 % der Handelswerte von börsengehandelten Obligationen.
Die Verhältnisse sind – mit Ausnahme von Energiederivaten – bei börsengehandelten Warenderivaten etwas anders, da der Warenderivatemarkt durch eine hohe Spezialisierung und nur wenige Überlappungen zwischen den Handelsplätzen und zentralen Gegenparteien gekennzeichnet ist.
Gleichzeitig hat die laufende Umsetzung der Clearingverpflichtung nach EMIR beim OTC-Handel bereits jetzt einen wesentlichen Teil der außerbörslich gehandelten Derivatekontrakte dem zentralen Clearing zugeführt und wird dies auch weiterhin tun. Den nach EMIR erlassenen technischen Regulierungsstandards der ESMA folgend hat die Europäische Kommission in der Tat bereits delegierte Rechtsakte für das Clearing von Zinsswaps (IRS) (die auf EUR, GBP, JPY, USD, NOK, PLN und SEK lauten) und Index Credit Default Swaps (CDS) (die auf EUR lauten) verabschiedet und führt so etwa 70 % des OTC-Derivathandels dieser Klassen dem Clearing zu. Außerdem ist anzumerken, dass, obwohl das Clearingangebot stark konzentriert ist, sechs verschiedene zentrale Gegenparteien Clearingdienste für IRS anbieten.
Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass (i) Zinsderivate den größten Teil des Marktes für börsengehandelte Derivate ausmachen, (ii) die Handelspflicht nach MiFIR einen Teil der Zinsderivate unter die Begriffsbestimmung für börsengehandelte Derivate fallen lässt, (iii) die Clearingpflicht nach EMIR bereits auf IRS anwendbar ist und (iv) der Zinsderivatemarkt trotz der Marktkonzentration auf sechs verschiedene zentrale Gegenparteien aufgeteilt ist. Die Kommission stimmt daher den Schlussfolgerungen der ESMA zu, dass Zinsderivate die wichtigste Anlageklasse geht, wenn bewertet wird, wie sich die Umsetzung der Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang für börsengehandelte Derivate auswirkt.
5.RISIKOBEWERTUNG DER BESTIMMUNGEN FÜR DEN OFFENEN UND DISKRIMINIERUNGSFREIEN ZUGANG FÜR BÖRSENGEHANDELTE DERIVATE
Obwohl die Bestimmungen für den offenen Zugang nach MiFIR noch nicht umgesetzt sind, berichtet die ESMA, dass einige zentrale Gegenparteien und Handelsplätze im EWR bereits Zugangsvereinbarungen für börsengehandelte Derivate oder außerbörslich gehandelte Derivate getroffen haben und erfolgreich anwenden. Die ESMA ist der Auffassung, dass die Zugangsvereinbarungen, wie sie von der Marktinfrastruktur nach den EMIR-Bestimmungen angewendet werden, bislang keine feststellbaren Systemrisiken verursacht haben. Dies gilt trotz der Tatsache, dass OTC-Derivate in der Regel weniger standardisiert und komplexer sind als börsengehandelte Derivate.
Dennoch ist die Europäische Kommission in Übereinstimmung mit der Bewertung durch die ESMA der Ansicht, dass die bereits vorhandenen Zugangsvereinbarungen für börsengehandelte Derivate grundsätzlich noch Risiken bergen können, die das reibungslose und ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes gefährden oder Systemrisiken erhöhen können.
In dieser Hinsicht und unter Berücksichtigung der Beurteilung der Makroaufsichtsrisiken durch den ESRB, unterstreicht die ESMA eine Reihe von potenziellen Risiken, die sich aus der Umsetzung der Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang für börsengehandelte Derivate nach MiFIR ergeben könnten.
5.1. Risiken durch den offenen und diskriminierungsfreien Zugang auf der Ebene der zentralen Gegenparteien
Der offene und diskriminierungsfreie Zugang zu zentralen Gegenparteien stellt sicher, dass die Handelsplätze in der Lage sind, ihre Geschäfte durch die zentrale Gegenpartei ihrer Wahl clearen zu lassen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der erwarteten Umsetzung der Handelspflicht von Bedeutung, die zahlreiche OTC-Derivate in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den offenen und diskriminierungsfreien Zugang nach MiFIR bringen wird und vom Eintritt neuer Handelsplätze ohne Zugang zu vertikal integrierten zentralen Gegenparteien begleitet sein könnte. Wie von der ESMA in ihrer Risikobewertung dargelegt, sind Handels- und Clearing-Kosten eng miteinander verknüpft. Die Kosten für den Handel an einem Handelsplatz werden von den Marktteilnehmern zusammen mit den dazugehörigen Clearingkosten bewertet. Ein Handelsplatz kann nicht wettbewerbsfähig sein, wenn er keinen Zugang zu attraktiven Clearingkosten gewähren kann. Ohne diese Bestimmungen wären neue und vertikal nicht integrierte Handelsplätze vom Eintritt in den Markt ausgeschlossen und nicht in der Lage, einen wettbewerbsfähigeren und weniger konzentrierten Markt voranzutreiben.
Konzentrationsrisiko
In Anbetracht dieser Zielvorstellungen teilt die Kommission die Ansicht der ESMA, dass eines der wesentlichen Risiken der Regelungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang für börsengehandelte Derivate ein neues Konzentrationsrisiko ist („Single Point of Failure“). Im Rahmen dieses Risikoszenarios könnte die Möglichkeit für Handelsplätze, ihre zentrale Gegenpartei selbst auszusuchen, zu einer Situation führen, in der die attraktivste zentrale Gegenpartei für ein bestimmtes börsengehandeltes Derivat oder eine Anlageklasse zum einzigen zentralen Clearingplatz heranwächst. Diese Situation könnte auch entstehen, wenn sich Markteilnehmer für eine einzige (die größte) zentrale Gegenpartei entscheiden, um die Nettingeffizienz zu maximieren und Anforderungen für Sicherheiten zu senken.
Allerdings ist dieses Szenario aufgrund des Wettbewerbs, der Marktstrukturen und der Dynamik nicht sehr wahrscheinlich. Insbesondere trägt die ESMA vor, dass eine so bedeutende Verschiebung des Clearings in Richtung auf eine einzige zentrale Gegenpartei durch das Risiko verhindert würde, dass die betreffende zentrale Gegenpartei ihre Clearinggebühren für alle Clearing-Mitglieder so weit erhöhen könnte, dass sie für die Gegenparteien nicht länger attraktiv wäre. Darüber hinaus würde ein hohes Konzentrationsniveau das Finanzsystem der Gefahr eines Single Point of Failure aussetzen, was systemische Konsequenzen haben und es den Marktteilnehmern unmöglich machen könnte, ihre Positionen im Falle eines Ausfalls effizient auf eine andere zentrale Gegenpartei zu übertragen.
Die Kommission stimmt auch mit den Ergebnissen von ESRB und ESMA überein, dass der Clearingmarkt in der EU bereits stark konzentriert ist, wobei einige börsengehandelte Derivate oder Anlageklassen ausschließlich oder überwiegend von einer einzigen zentralen Gegenpartei gecleart werden. Unabhängig von der Umsetzung der Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang ist sogar zu erwarten, dass die Konzentration infolge „der ‚natürlichen‘ geschäftlichen Expansion einer zentralen Gegenpartei, deren Dienstleistungen die Präferenzen der Marktteilnehmer erfolgreich bedienen,“ künftig weiter zunehmen könnte.
Gegensätzlich dazu könnte argumentiert werden, dass die bereits bestehende Konzentration durch Zugangsschranken zu erklären ist, die durch die Bestimmungen für einen offenen und diskriminierungsfreien Zugang abgebaut werden sollen. In der Tat sind die Zugangsschranken für neue zentrale Gegenparteien dort niedriger, wo die zentralen Gegenparteien einen Zugang zu Handelsplätzen nach den Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang der MiFIR verlangen können.
Die Kommission stellt fest, dass EMIR und MiFIR Schutzvorkehrungen enthalten, um mit solchen Konzentrationsrisiken umzugehen. Zunächst werden zentrale Gegenparteien nach EMIR, die organisatorische und aufsichtsrechtliche Standards sowie Makroaufsichtsregeln festlegt, durch die zuständigen Behörden reguliert. Darüber hinaus erteilt MiFIR den zuständigen Behörden die Befugnis, den Zugang zu zentralen Gegenparteien zu verweigern, sollte dieser das reibungslose und ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte gefährden, Systemrisiken verstärken oder eine Interoperabilitätsvereinbarung voraussetzen.
Operatives Risiko
Weitere bedeutende Gefahren erwachsen aus dem unangemessenen Risiko, das die zentrale Gegenpartei auf der Grundlage des voraussichtlichen Geschäftsvolumens des Handelsplatzes, des operativen Risikos und der operativen Komplexität sowie anderer erhebliche unangemessene Risiken schaffender Faktoren nicht steuern kann. Die ESMA ist der Auffassung, dass diese Risiken Systemrisiken möglicherweise erhöhen können, indem sie Clearing-Mitglieder anderer zentraler Gegenparteien beeinflussen.
In diesem Zusammenhang erlaubt MiFIR zentralen Gegenparteien parallel zu den organisatorischen und aufsichtsrechtlichen Anforderungen sowie Verhaltensregeln des Titels IV EMIR, den Zugang zu verweigern, wenn die zentrale Gegenpartei, nachdem sie alle angemessenen Anstrengungen zur Steuerung ihrer Risiken unternommen hat, zum Schluss gelangt, dass nach wie vor erhebliche unangemessene, nicht steuerbare Risiken bestehen.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist die Kommission der Ansicht, dass die Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu zentralen Gegenparteien für börsengehandelte Derivate nach MiFIR insgesamt einen positiven Einfluss auf den Markt haben werden. Und dort, wo durch solche Bestimmungen bedingte potenzielle Risiken nicht übersehen werden können, geht die Kommission davon aus, dass EMIR und MiFIR bereits effektive Schutzmaßnahmen zur Abfederung unangemessener operativer Risiken für zentrale Gegenparteien oder erhöhte Systemrisiken enthalten.
5.2 Risiken aus dem offenen und diskriminierungsfreien Zugang auf Ebene der Handelsplätze
Der offene und diskriminierungsfreie Zugang zu Handelsplätzen erlaubt den zentralen Gegenparteien, Geschäfte, die auf Handelsplätzen ihrer Wahl abgeschlossen wurden, zu clearen. Über die Förderung eines wettbewerbsfreundlicheren Umfelds hinaus hat diese Bestimmung zum Ziel, den Handelsteilnehmern eines Handelsplatzes die Möglichkeit zu geben, ihre Transaktionen durch eine zentrale Gegenpartei ihrer Wahl clearen zu lassen, selbst dann, wenn zentrale Gegenpartei und Handelsplatz in derselben Gruppe vertikal integriert sind.
Dies kann besonders für Marktteilnehmer von Vorteil sein, die die Nettingeffizienz und die Besicherungsanforderungen über all ihre Positionen auf den verschiedenen Handelsplätzen hinweg maximieren bzw. reduzieren wollen.
Darüber hinaus teilt die Kommission in Hinsicht auf die Finanzstabilität die Ansicht von ESMA und ESRB, dass ein Umfeld mit vielen zentralen Gegenparteien dazu beiträgt, das Systemrisiko zu verringern, indem deren Ersetzbarkeit im Falle eines Ausfalls erhöht wird. Gerät eine zentrale Gegenpartei, die mit einem Handelsplatz verbunden ist, in Schwierigkeiten, wären die übrigen mit dem Handelsplatz verbundenen zentralen Gegenparteien in der Lage, das Clearing der Transaktionen fortzusetzen.
Risiken im Zusammenhang mit Interoperabilitätsvereinbarungen
In Artikel 2 EMIR ist eine „Interoperabilitätsvereinbarung“ definiert als eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehr zentralen Gegenparteien über die systemübergreifende Ausführung von Transaktionen. Solche Vereinbarungen sollen sicherstellen, dass zwei oder mehr zentrale Gegenparteien ihre gegenseitigen Forderungen aus der Verrechnung des Handels ihrer Teilnehmer zwischen den verbundenen zentralen Gegenparteien abwickeln können.
Ohne eine Interoperabilitätsvereinbarung müssten Mitglieder, die Positionen bei verschiedenen zentralen Gegenparteien halten, eine geringere Nettingeffizienz, höhere Besicherungsanforderungen und fragmentierte Liquidität hinnehmen. Eine Umgebung mit mehreren zentralen Gegenparteien wäre für die Marktteilnehmer damit weniger interessant. Was das Systemrisiko angeht, unterstreicht der Bericht der ESMA, dass ein solches Szenario darüber hinaus auch die Prozyklizität ungünstig verstärken würde.
Während die meisten der beschriebenen Risiken entfielen, wenn die verschiedenen mit einem Handelsplatz verbundenen zentralen Gegenparteien Interoperabilitätsvereinbarungen nutzten, nimmt die Kommission zu Kenntnis, dass den ESRB vor allem das Risiko besorgt, das mit der potenziellen Vervielfachung solcher Interoperabilitätsvereinbarungen bei Umsetzung des offenen und diskriminierungsfreien Zugangs für börsengehandelte Derivate einhergeht. Interoperabilitätsvereinbarungen nach EMIR gelten tatsächlich nur für übertragbare Wertpapiere und Geldmarktinstrumente. ESMA und ESRB warnen ferner davor, dass ihre Anwendung im Zusammenhang mit börsengehandelten Derivaten ein erhebliches Maß an Komplexität und den Merkmalen von Derivaten innewohnende Risiken mit sich bringen und nachteilige Auswirkungen auf das gesamte operative Risikomanagement auf der Ebene der zentralen Gegenparteien haben könnte.
Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass die MiFIR Schutzmaßnahmen enthält, die dafür sorgen, dass solche Risiken angemessen gemindert werden. Erstens verweigert die zuständige Behörde nach Artikel 36 Absatz 4 Buchstabe a den Zugang zur zentralen Gegenpartei, wenn der Zugang eine solche Interoperabilitätsvereinbarung voraussetzen würde. Eine Interoperabilitätsvereinbarung kann daher nur zwischen den verschiedenen zentralen Gegenparteien des Handels und den Handelsplätzen eingerichtet werden, die der Vereinbarung zugestimmt haben. Zweitens können die zuständigen Behörden den Zugang zu den Handelsplätzen verweigern, sollte die Interoperabilitätsvereinbarung das reibungslose und ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes bedrohen.
Operatives Risiko
Operative Risiken, die aus der Komplexität des erwarteten Geschäftsvolumens erwachsen, werden ebenso wie andere Faktoren, die erhebliche unangemessene Risiken schaffen, bei MiFIR ebenfalls in den Blick genommen.
In diesem Fall kann der Handelsplatz nach Artikel 36 Absatz 6 MiFIR und nach den Bestimmungen der technischen Regulierungsstandards zum Clearingzugang in Bezug auf Handelsplätze und zentrale Gegenparteien den Zugang verweigern.
6.SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Kommission stellt fest, dass die in EMIR festgelegten Bestimmungen für den offenen und diskriminierungsfreien Zugang für OTC-Derivate, übertragbare Wertpapiere und Finanzmarktinstrumente bereits ohne vorübergehende Ausnahmen gelten. Nach der von der ESMA angestellten Bewertung scheinen diese Zugangsvereinbarungen kein nennenswertes Systemrisiko verursacht zu haben. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass OTC-Derivate im Allgemeinen weniger standardisiert und komplexer sind als börsengehandelte Derivate. Daher ist zu erwarten, dass die Umsetzung der in MiFIR festgelegten Bestimmungen zum offenen und diskriminierungsfreien Zugang in Bezug auf börsengehandelte Derivate keine größere Komplexität verursachen dürfte als bei OTC-Derivaten.
Die Umsetzung des offenen und diskriminierungsfreien Zugangs für börsengehandelte Derivate nach MiFIR könnte allerdings Risiken mit sich bringen, die das reibungslose und ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes gefährden oder das Systemrisiko erhöhen könnten. Insbesondere werden in diesem Bericht eine Reihe von potenziellen Risiken beschrieben, die Folgendes betreffen: (i) die Konzentration der Handels- und Clearingaktivitäten in vertikal integrierten Gruppen und (ii) die potenzielle Vervielfältigung von Interoperabilitätsvereinbarungen, die die Komplexität des Gesamtrisikomanagements interoperabler zentraler Gegenparteien wesentlich erhöhen würde.
Nach Prüfung dieser Risiken ist die Kommission der Ansicht, dass der derzeit nach MiFIR und EMIR gültige regulatorische Rahmen die festgestellten potenziellen Risiken angemessen adressiert. In Ergänzung zur Regulierung durch die zuständigen Behörden stellt EMIR organisatorische und aufsichtsrechtliche Standards sowie Makroaufsichtsregeln für die zentralen Gegenparteien auf. Zugleich ermöglicht es MiFIR den zentralen Gegenparteien, Handelsplätzen und zuständigen Behörden, wie in den technischen Regulierungsstandards zum Clearingzugang in Bezug auf Handelsplätze und zentrale Gegenparteien ausgeführt, den Zugang zur relevanten Infrastruktur zu verweigern, sollte die zentrale Gegenpartei, der Handelsplatz oder der Markt potenziellen Risiken ausgesetzt werden.
Auf dieser Grundlage stellt die Kommission fest, dass es nicht notwendig ist, börsengehandelte Derivate vorübergehend vom Anwendungsbereich der Artikel 35 und 36 MiFIR auszunehmen.