Brüssel, den 14.4.2016

COM(2016) 204 final

BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 18 Absatz 2 der Richtlinie 2004/35/EG über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden

{SWD(2016) 121 final}
{SWD(2016) 122 final}


1.    Einleitung

In diesem zweiten Bericht 1 über die Durchführung der Richtlinie 2004/35/EG über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (im Folgenden die „Umwelthaftungsrichtlinie“, die „Richtlinie“ oder die „UHRL“) 2 wird dargestellt, welche Erfahrungen bei der Durchführung der Richtlinie im Zeitraum 2007-2013 gewonnen wurden. Der Bericht ist zusammen mit einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen 3 zu lesen. Er wurde gemäß Artikel 18 Absatz 2 der Richtlinie erstellt. Der Bericht enthält, basierend auf der in den vergangenen zwei Jahren durchgeführten „REFIT-Evaluierung“, Schlussfolgerungen und Empfehlungen zur Verbesserung der konkreten Durchführung. Bewertet wurde, wie die Richtlinie funktioniert und ob sie „ihren Zweck erfüllt“ 4 , wobei auf zwei Studien aus dem Jahr 2012 und drei weitere aus dem Jahr 2013 zurückgegriffen wurde. 5

Die Umwelthaftungsrichtlinie betrifft Fälle von erheblichen Umweltschäden. Sie setzt das in Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerte „Verursacherprinzip“ um, wonach der Öffentlichkeit keine Kosten entstehen sollten, wenn eine industrielle Tätigkeit zu erheblichen Umweltschäden führt. Betreiber, die eine in Anhang III der Richtlinie aufgeführte gefährliche berufliche Tätigkeit ausüben (siehe Nummer 2), haften für die von ihnen verursachten Umweltschäden, ohne dass ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) nachgewiesen werden muss. Betreiber, die eine andere als eine gefährliche berufliche Tätigkeit ausüben, haften verschuldensabhängig.

Die Hauptziele der Richtlinie bestehen darin, Umweltschäden zu vermeiden, wenn die unmittelbare Gefahr solcher Schäden besteht, bzw. bereits aufgetretene Umweltschäden zu sanieren. Im Einklang mit dem Verursacherprinzip muss der haftbare Betreiber die erforderlichen Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen durchführen und trägt sämtliche Kosten. Ein Schaden gilt als saniert, sobald die Umwelt in den Ausgangszustand zurückversetzt wurde. Die Richtlinie gilt für Schädigungen der biologischen Vielfalt (geschützte Arten und natürliche Lebensräume), der Gewässer und des Bodens. Schäden im herkömmlichen Sinne (Sachschäden, Verlust von Menschenleben, Personenschäden oder wirtschaftliche Verluste) fallen nicht unter die Richtlinie.

2.    Umsetzung und Anwendung

Mehrere Mitgliedstaaten haben die Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht (30. April 2007) nicht eingehalten. Die vollständige Umsetzung durch alle 27 Mitgliedstaaten 6 war erst Mitte 2010 erreicht. Im ersten Bericht der Kommission wurde auf diese Verzögerungen und andere Mängel hingewiesen. Darüber hinaus untersuchte die Kommission eingehend die komplexe Situation, die dadurch entstanden war, dass ergänzend zu den in den meisten Mitgliedstaaten bereits bestehenden nationalen Rechtsvorschriften ein recht flexibles Rahmeninstrument der EU eingeführt wurde. Insgesamt hat sich dadurch die Kohärenz in rechtlicher Hinsicht gegenüber der Situation vor der Umsetzung der Richtlinie bis zu einem gewissen Grad verbessert (so gab es in einigen Mitgliedstaaten zuvor überhaupt keine Umwelthaftungsregelung). Die derzeitige Situation ist aber in rechtlicher und praktischer Hinsicht weiter uneinheitlich, und es wären weitere Maßnahmen erforderlich, um europaweit ausgewogenere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. 7

 

Die Kommission hat wegen verspäteter Umsetzung und Fällen von Nichtkonformität (sieben Mitgliedstaaten müssen noch bestimmte Nichtkonformitäten bereinigen) Schritte unternommen. Dadurch hat sich die Kohärenz zwischen den bestehenden Rechtssystemen der Mitgliedstaaten leicht verbessert. Aufgrund des Rahmencharakters der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten ein erhebliches Maß an Flexibilität einräumt, gibt es jedoch nach wie vor Unterschiede.

Was die Durchführung anbelangt, so haben die Mitgliedstaaten von April 2007 bis April 2013 rund 1245 bestätigte Fälle von Umweltschäden gemeldet, bei denen die Richtlinie zur Anwendung kam. Allerdings ist die Anzahl der Fälle von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich. Auf zwei Mitgliedstaaten entfallen mehr als 86 % aller gemeldeten Schadensfälle (Ungarn: 563 Fälle, Polen: 506 Fälle), und die meisten der übrigen Fälle wurden aus sechs Mitgliedstaaten gemeldet (Deutschland (60), Griechenland (40), Italien (17) 8 , Lettland, Spanien und Vereinigtes Königreich). Elf Mitgliedstaaten haben seit 2007 keine UHRL-relevanten Schadensfälle gemeldet, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sie diese Fälle ausschließlich im Rahmen ihrer nationalen Regelungen behandeln.

Die Zahl der jährlichen UHRL-Fälle pro Mitgliedstaat ist unterschiedlich und reicht von 95 bis weniger als 1. Eine hohe Anzahl von Fällen in einem Mitgliedstaat bedeutet nicht notwendigerweise, dass dieser Mitgliedstaat die Richtlinie strenger als gefordert anwendet. Aus der Bewertung und den Arbeiten zur Konformitätskontrolle geht hervor, dass diese Unterschiede auf unterschiedliche Rechtsrahmen und -traditionen (insbesondere Aufhebung bzw. Nichtaufhebung bereits bestehender Rechtsvorschriften), mögliche Unterschiede beim Zustand der Umwelt und unterschiedliche Auslegungen von Schlüsselbegriffen und konzepten (siehe weiter unten) zurückzuführen sind. Eine häufigere Anwendung der Richtlinie hat oft folgende Gründe:

Es werden Register von UHRL-Fällen verwendet;

interessierte Parteien haben bessere Möglichkeiten, Stellung zu nehmen und sich mit den zuständigen Behörden in Verbindung zu setzen;

die zuständigen Behörden sind sekundär verpflichtet, Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen durchzuführen, wenn die Betreiber dies nicht tun;

Öffentlichkeit und Interessenträger (insbesondere Betreiber) sind mit der Richtlinie stärker vertraut.

Im Gegensatz dazu ist der Geltungsbereich der Richtlinie offenbar keine wesentliche Ursache für die Unterschiede bei der Durchführung (siehe Abschnitt 4).

 

Rund 50 % der gemeldeten Fälle von Umweltschäden betreffen Schädigungen des Bodens. 30 % betreffen Schädigungen von Gewässern und etwa 20 % Schädigungen der biologischen Vielfalt.

Abbildung 1: Kategorien von Umweltschäden, bezogen auf 1450 Fälle 9

Bei den gefährlichen beruflichen Tätigkeiten (mit verschuldensunabhängiger Haftung), die zu Umweltschäden führen, handelt es sich in der Hauptsache um

Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen;

Behandlung gefährlicher Stoffe, Zubereitungen, Pflanzenschutzmittel oder Biozidprodukte;

unter die Richtlinie über Industrieemissionen 10 fallende Tätigkeiten;

Beförderung gefährlicher oder umweltschädlicher Güter auf der Straße, auf der Schiene, auf Binnengewässern, auf See oder in der Luft.

Andere berufliche Tätigkeiten (mit verschuldensabhängiger Haftung) haben ebenfalls zu Umweltschäden geführt, verursachen aber gemäß der Richtlinie ausschließlich Schädigungen der biologischen Vielfalt.

 Abbildung 2: Zahl von gemeldeten UHRL-Fällen nach Art der den Schaden verursachenden Tätigkeit

Den Berichten zufolge gab es relativ wenige Aufforderungen zum Tätigwerden seitens Personen, die von einem Umweltschaden betroffen waren, oder von im Umweltbereich tätigen NRO. 11 In etwa 60 Fällen (davon 44 in Polen) wurde eine gerichtliche Überprüfung beantragt.

Der durchschnittliche Zeitraum von der Einleitung bis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten betrug 12 Monate. In einigen Fällen zog sich die Sanierung jedoch über mehr als sechs Jahre hin.

3. Bewertung und regulatorische Eignung 12

3.1. Relevanz

Die Ziele der Richtlinie, nämlich die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, sind nach wie vor relevant und entsprechen den derzeitigen Erfordernissen, da immer die Gefahr von derartigen Schäden und Unfällen besteht. Die Bewertung zeigt, dass die Richtlinie dazu beigetragen hat, den Umweltschutz in der EU bis zu einem gewissen Grad zu verbessern. Ihr Potenzial ist jedoch noch nicht ausgeschöpft. Da die Richtlinie zudem in einigen Mitgliedstaaten von größerer Relevanz ist als in anderen, muss ihre Relevanz vor dem Hintergrund der unterschiedlichen bereits vorhandenen nationalen Rechtsrahmen und traditionen bewertet werden.

3.2. Wirksamkeit

Die Wirksamkeit der Richtlinie ist ziemlich unterschiedlich, da sie in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich durchgeführt wurde. Dies liegt zum Teil am Rahmencharakter der Richtlinie, die zahlreiche Ausnahmen, Optionen und ein hohes Maß an Flexibilität vorsieht. Insbesondere wurde die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der „Erheblichkeitsschwelle“ für Umweltschäden als Hauptgrund für die uneinheitliche Anwendung der Richtlinie ermittelt. Zuständige Behörden, Wirtschaftsteilnehmer und Versicherer haben häufig mehr Klarheit und Orientierungshilfe zu diesem Punkt gefordert. Die Wirksamkeit der Richtlinie spiegelt sich am besten im wertmäßigen Umfang der sanierten Umweltschäden wider (rund 6 Mio. EUR ohne fünf große Schadensfälle und 180 Mio. EUR, wenn die fünf großen Fälle mitgezählt werden). Der Anreizeffekt, der sich in verstärkten Vorsorgemaßnahmen und einer besseren Deckungsvorsorge äußert, und die Schäden, die durch sofortiges Handeln bei unmittelbarer Gefahr vermieden werden konnten, sind wegen fehlender Daten noch weitgehend unbekannt.

Was den Geltungsbereich des Begriffs „Umweltschaden“ anbelangt, so bestätigte die Bewertung, dass es ausreicht, Schäden an den wichtigsten natürlichen Ressourcen zu erfassen. Der Erfassungsbereich der verschuldensunabhängigen Haftung, nämlich gefährliche Tätigkeiten (Anhang III), scheint ebenfalls den gegenwärtigen Erfordernissen zu entsprechen, mit der möglichen Ausnahme des Transports gefährlicher Stoffe in Rohrleitungen außerhalb von Anlagen. Allerdings haben Interessenträger auf Probleme bei der Haftung Dritter in diesem Zusammenhang hingewiesen.

3.3. Effizienz

Bei der Bewertung der Effizienz wurden die wichtigsten Kostenkategorien berücksichtigt: Sanierungskosten, Verwaltungskosten und Kosten der Deckungsvorsorge.

Die Sanierungskosten für die Wiederherstellung der geschädigten natürlichen Ressourcen gehen im Einklang mit dem Verursacherprinzip zu Lasten des Haftenden. Den vorliegenden Informationen zufolge liegen die Kosten von Sanierungsmaßnahmen im Schnitt bei etwa 42 000 EUR. 13 Griechenland meldete einen Durchschnittswert von 60 000 EUR. Die Sanierungskosten im Einzelfall reichen jedoch von einigen Tausend Euro bis zu mehr als 50 Mio. EUR für umfangreiche Verluste aufgrund schwerer Unfälle (wie in Kolontár, Ungarn, und Moerdijk in den Niederlanden).

Die Verwaltungskosten für die Behörden sind die laufenden Kosten, die von den haftenden Betreibern nicht wieder eingezogen werden können. Nur drei Mitgliedstaaten haben genaue Daten über die Verwaltungskosten vorgelegt, die von 55 000 EUR (in der Flämischen Region Belgiens) bis zu 2 Mio. EUR (in einigen Autonomen Gemeinschaften Spaniens) reichen. Zu den Verwaltungskosten für Unternehmen wurden keine Daten übermittelt. Aufgrund der nur begrenzten Informationen über die Verwaltungskosten für Behörden und Privatwirtschaft können keine zuverlässigen Schlussfolgerungen über die Verwaltungskosten gezogen werden. Allerdings haben sich keine Interessenträger über den Verwaltungsaufwand beklagt.

Die Kosten, die den haftbaren Betreibern aufgrund von Umweltschäden entstehen, können durch den Einsatz von Instrumenten der Deckungsvorsorge (Versicherungen und alternative Instrumente wie Bankgarantien, Bürgschaften oder Fonds) verringert werden. Die meisten Märkte bieten eine ausreichende Deckung für sämtliche UHRL-relevanten Risiken, doch ist die Nachfrage gering, da in vielen Mitgliedstaaten zu wenig solche Fälle vorkommen, Unklarheiten in Bezug auf einige UHRL-Konzepte bestehen 14 und die Entstehung von Versicherungsmärkten langsamer verläuft 15 . Einem vor kurzem veröffentlichten Bericht zufolge haben europäische Unternehmen vermehrt Umwelthaftpflichtversicherungen abgeschlossen (durchschnittlicher jährlicher Anstieg um 13,6 % seit 2006, insbesondere in den Sektoren mit hohem Risiko). 16 Trotz der Fortschritte bei der Deckungsvorsorge bestehen weiterhin Probleme, was die Anwendung der Richtlinie auf Großunfälle und Insolvenz von haftbaren Wirtschaftsteilnehmern anbelangt.

Anhand der verfügbaren Informationen ist eine aussagekräftige Gesamtbewertung der Effizienz der Richtlinie nicht möglich. Es bedarf weiterer Arbeiten, einschließlich der Erhebung zusätzlicher Daten, um die Mängel der vorliegenden Bewertung zu beheben.

3.4. Kohärenz

Die Bewertung ergab, dass die Richtlinie generell mit anderen Teilen des EU-Umweltrechts und mit den in den Anhängen IV und V aufgeführten einschlägigen internationalen Übereinkünften im Einklang steht. Die Richtlinie ist hinreichend in den EU-Besitzstand integriert und ergänzt andere Umweltrechtsvorschriften 17 , insbesondere die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung 18 , die Richtlinie über Industrieemissionen 19 sowie das Abfallrecht. Eine ausführlichere Bewertung bestimmter Aspekte findet sich in Abschnitt 4, in dem auch auf die Notwendigkeit möglicher weiterer Arbeiten eingegangen wird, sowie in der beigefügten Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen.

3.5. EU-Mehrwert

Die Bewertung ergab erneut, dass insofern ein gewisser EU-Mehrwert besteht, als – vor allem bei grenzüberschreitenden Vorkommnissen (z. B. grenzüberschreitende Wasserverschmutzung) – ein Mindestmaß an Umweltschutz gewährleistet wird. Die Richtlinie zielt ferner darauf ab, ausgewogenere Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu schaffen, hat dieses primäre Ziel einer EU-weiten Harmonisierung aber noch nicht erreicht. Die Richtlinie hat zwar zur verstärkten Anwendung von Vorsorgemaßnahmen geführt, indem z. B. auf dem Markt in größerem Umfang ein Umweltversicherungsschutz angeboten wird (siehe Nummer 3.3); in der Praxis verhindern die weiter oben festgestellten Mängel jedoch einen höheren Mehrwert für die EU.

4.    Spezifische zu überprüfende Punkte

Dieser Bericht enthält gemäß Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie eine Überprüfung von deren Anwendung in vier spezifischen Bereichen.

4.1. Ausschluss einiger in den Anhängen IV und V der Richtlinie aufgeführten internationalen Übereinkünfte vom Geltungsbereich der Richtlinie

Einige Übereinkünfte im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und entsprechende Übereinkommen 20 sind vom Anwendungsbereich der Umwelthaftungsrichtlinie ausgeschlossen. Diese Übereinkommen gelten weltweit für Schiffseigner, deren Schiffe in einem Vertragsstaat der Übereinkommen registriert sind, und sehen eine verschuldensunabhängige Haftung für Schiffseigner, eine obligatorische Deckungsvorsorge 21 und für bestimmte Arten von Schäden besondere Entschädigungsfonds vor, aus denen über die Haftung der Schiffseigner hinausgehende Forderungen beglichen werden. Bei Ölverschmutzung durch Tankschiffe gilt ein dreistufiges System, über das Opfer von Ölverschmutzungen eine Entschädigung erhalten. Nach diesen internationalen Übereinkommen ist den Vertragsparteien die Aufstellung zusätzlicher Schadensersatzforderungen untersagt.

Wie die für die Kommission durchgeführte Studie über die Wirksamkeit der Umwelthaftungsrichtlinie gezeigt hat, werden im Rahmen der Richtlinie und dieser internationalen Übereinkommen unterschiedliche Sanierungsstandards angewendet. 22 Dieser Unterschied kann im Einzelfall von Bedeutung sein. Der Internationale Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden (IOPC-Fonds) und die International Group of P&I Clubs haben zudem Berichte über die Kosten von Vermeidungsmaßnahmen und Umweltschäden infolge von Ölverschmutzungen durch Tankschiffe seit 2002 vorgelegt. Diese Berichte enthalten keine Anhaltspunkte für eine unzureichende Entschädigung für Umweltschäden.

Auf der Grundlage dieser Informationen wird die Kommission in Erwägung ziehen, eingehender zu prüfen, ob das Problem der unterschiedlichen Sanierungsstandards durch nichtlegislative Maßnahmen angegangen werden kann, insbesondere durch Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses von Konzepten, z. B. durch Auslegung im „Claims Manual“ des IOPC-Fonds und/oder in Foren der Vertragsparteien der Übereinkommen.

Der Kommission sind keine neuen Umstände zur Kenntnis gelangt, die den Ausschluss nuklearer Schäden vom Geltungsbereich der Richtlinie in Frage stellen könnten.

4.2. Anwendung auf genetisch veränderte Organismen (GVO)

Im Berichtszeitraum sind in der EU keine durch GVO verursachten Umweltschäden aufgetreten. 23 Der Besitzstand steht mit den Anforderungen des Zusatzprotokolls von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit von Oktober 2010 voll und ganz im Einklang, so dass für den Abschluss des Protokolls keine weiteren Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich waren.

4.3. Anwendung auf geschützte Arten und natürliche Lebensräume

In der Studie über Schädigungen der biologischen Vielfalt 24 wurde untersucht, wieweit durch eine Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf alle „geschützten Arten und natürlichen Lebensräume“ in den Mitgliedstaaten ausgewogenere Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden könnten. Die Hälfte der Mitgliedstaaten wenden nämlich dieses breiter gefasste Konzept an 25 , während sich die anderen auf den in der FFH-Richtlinie festgelegten Geltungsbereich beschränken. Eine Ausweitung des Geltungsbereichs der Umwelthaftungsrichtlinie auf nur auf nationaler Ebene geschützte Arten und Lebensräume würde jedoch rechtliche Probleme schaffen (aufgrund der nationalen Zuständigkeit) und möglicherweise nicht zu einer stärkeren Harmonisierung führen, da die nationalen Geltungsbereiche stark voneinander abweichen können.

In der Studie wurde Folgendes festgestellt:

Den Begriffen „erheblicher Schaden“ und „günstiger Erhaltungszustand“ in den beiden Richtlinien muss angesichts der potenziell unterschiedlichen Bedeutungen und/oder Verwendungen des Schwellenwerts für erhebliche Schäden in der Umwelthaftungsrichtlinie und in Artikel 6 Absatz 2 der FFH-Richtlinie mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Der Schwellenwert für „erhebliche Schäden“ muss kohärenter angewendet und eindeutiger geklärt werden. Dies wurde auch von mehreren zuständigen Behörden und vom Versicherungssektor gefordert.

Der geografische Bezug des „günstigen Erhaltungszustands“ in der Umwelthaftungsrichtlinie (Gebiet der EU, nationales Hoheitsgebiet, natürliches Verbreitungsgebiet) hat sich als problematisch erwiesen. Es sollte daher präzisiert werden, dass für eine ordnungsgemäße und wirksame Durchführung ein gebietsbezogener Ansatz erforderlich ist.

In der irrigen Annahme, dass Vermeidungsmaßnahmen nur getroffen werden können, wenn feststeht, dass der Schaden erheblich sein wird, werden häufig keine Maßnahmen getroffen, um zu verhindern, dass Schädigungen der biologischen Vielfalt ein erhebliches Ausmaß annehmen.

Die Kommission prüft derzeit eine Politikoption für eine mögliche Initiative unter dem Motto „Vermeidung von Nettoverlusten“ 26 , die sich auch mit diesen Fragen befassen könnte. Die Studie steht kurz vor dem Abschluss und wird von der Kommission bei der Prüfung, ob – und wenn ja, wie – auf die obengenannten Aspekte eingegangen werden soll, berücksichtigt werden.

4.4. Mögliche Einbeziehung anderer Instrumente in die Anhänge III, IV und V 27

Die Kommission hat die potenziellen Kandidaten für eine Aufnahme untersucht. Die Bewertung ließ jedoch keine Notwendigkeit erkennen, die Anhänge III (siehe Nummer 3.2.), IV oder V auszuweiten. 28

5.    Schlussfolgerungen

Mit der Durchführung der Umwelthaftungsrichtlinie haben sich die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden gegenüber der Situation vor Umsetzung der Richtlinie in begrenztem Umfang verbessert. Die Richtlinie hat insbesondere das Verursacherprinzip gestärkt (und somit der öffentlichen Hand erhebliche Kosten erspart), indem in der gesamten EU eine verschuldensunabhängige Haftung für Umweltschäden umgesetzt wurde und die Sanierungsstandards für die Wiederherstellung geschädigter natürlicher Ressourcen (namentlich bei einer Schädigung der biologischen Vielfalt) angehoben wurden. Die Unterschiede zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten könnten Anlass zu gewissen Bedenken geben; der Kommission wurden aber nur wenige Bedenken mitgeteilt, und die Bewertung hat dazu beigetragen, die wesentlichen Mängel zu ermitteln.

Eines der größten Probleme bei der Bewertung ist das Fehlen von Daten zu UHRL-relevanten Schadensfällen und vergleichbaren Fällen, die nach nationalen Rechtsvorschriften behandelt werden. Weitere Probleme sind die mangelnde Sensibilisierung und Information der Interessenträger für bzw. über die Umwelthaftungsrichtlinie, unzureichende Mittel und Fachkenntnisse für die Durchführung der Richtlinie, Unsicherheiten und Unklarheiten in Bezug auf wichtige Begriffe und Definitionen (z. B. „Erheblichkeitsschwelle“), ungenügende Durchführung von ergänzenden und Ausgleichssanierungen sowie unzureichende Daten über Umweltschäden, Sanierungsfälle und Sanierungskosten. Während einige dieser Aspekte der Richtlinie und ihr Kontext die erheblichen Unterschiede in Bezug auf Zahl und Inhalt der gemeldeten Fälle erklären können, wurden die unterschiedliche Anwendung des Begriffs „Erheblichkeitsschwelle“ sowie die zuvor bereits bestehenden nationalen Rechtsrahmen als Hauptgrund für die erheblichen Unterschiede identifiziert. Andere Faktoren, die zur unterschiedlichen Wirkung der Richtlinie beitragen, sind die unterschiedliche Nutzung von UHRL-Registern, der unterschiedliche Grad der Beteiligung der Öffentlichkeit, die unterschiedliche Anwendung der subsidiären Verpflichtung der zuständigen Behörden, bei Nichtexistenz oder Untätigkeit haftbarer Betreiber Maßnahmen zu ergreifen, sowie die unterschiedliche Sensibilisierung der Interessenträger.

Positiv ist zu vermerken, dass sich die Durchführung der Richtlinie weiter verbessert. Die Industrie und andere an der Bewertung mitwirkende Interessenträger sind mit dem derzeitigen Rechtsrahmen weitgehend zufrieden. Zusammen mit den Experten der Mitgliedstaaten haben sie sich entschieden für Kontinuität, Berechenbarkeit und legislative Stabilität in Bezug auf Umwelthaftung ausgesprochen. Die Richtlinie fördert zudem Vermeidungsmaßnahmen und Vorsorgeansätze und schützt so vor hohen Sanierungskosten, die häufig die Kosten von Vermeidungsmaßnahmen übersteigen. Allerdings lassen sich die durch Vermeidungsmaßnahmen gewonnenen Vorteile schwer quantifizieren, insbesondere da die Informationen über die im Rahmen der Umwelthaftungsrichtlinie insgesamt getroffenen Vermeidungsmaßnahmen und sonstigen Vorsorgemaßnahmen unvollständig sind.

Bei jeder künftigen Bewertung sollte die Umwelthaftungsrichtlinie zusammen mit den zuvor bereits bestehenden nationalen Rechtsvorschriften untersucht werden, damit festgestellt werden kann, inwieweit ausgewogene Wettbewerbsbedingungen geschaffen wurden. Durch Klärung bestimmter Schlüsselbegriffe (insbesondere des Begriffs „erheblicher Schaden“) ließen sich hier weitere Verbesserungen erzielen. Zu diesem Zweck hat die Kommission Unterstützungsmaßnahmen auf EU-Ebene identifiziert, die zusammen mit einer Reihe von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten angemessen dazu beitragen würden, die Richtlinie „zwecktauglicher“ zu machen, als sie es dieser Bewertung zufolge derzeit ist.

6.    Empfehlungen und nächste Schritte

In den kommenden Jahren wird die Kommission den Schwerpunkt darauf legen, eine Angleichung der nationalen Vorgehensweisen und Praktiken innerhalb des von der Richtlinie gebotenen Rahmens zu fördern und zu ermitteln, wie dies in einem breiteren rechtlichen Haftungsrahmen effizient und kohärent bewerkstelligt werden kann. Auch müssen Anstrengungen unternommen werden, um die Evidenzgrundlage in Bezug auf die Auswirkungen der Richtlinie sowohl für die Umwelt als auch für die relevanten Interessenträger zu verbessern. Dies erfordert Verbesserungen bei der Erhebung von Daten über UHRL-Fälle in denjenigen Mitgliedstaaten, die noch keine Register eingerichtet haben. Einander angeglichene nationale Vorgehensweisen (z. B. für Sanierungsmodelle, Risikoanalyse, Versicherungsberechnung usw.) könnten ebenfalls nützliche Ergebnisse liefern, da verfügbare Datenbanken genutzt werden können, um die Deckungsvorsorge zu erhöhen (Angebot von besser maßgeschneiderten Produkten), das Risikomanagement der Unternehmen zu stärken und den Wissensstand aller Praktiker und Interessenträger, einschließlich der für Schadensminderung zuständigen Behörden, zu verbessern.

Es werden mehr Informationen benötigt, um die genauen Gründe und Auswirkungen der unterschiedlichen Vorgehensweisen in den Mitgliedstaaten zu ermitteln. Außerdem - noch wichtiger - könnten Schritte unternommen werden, um die Verwaltungskapazität zu verbessern und Instrumente zur Unterstützung der Durchführung zu fördern. Darüber hinaus dürfte eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften gemäß den Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung (SWD(2015)110) künftig eine solidere und aussagekräftigere Bewertung der Richtlinie gewährleisten 29 . Daher muss mit allen relevanten Interessenträgern und den Mitgliedstaaten erörtert werden, wie diese Evidenzgrundlage verbessert werden kann.

Die Kommissionsdienststellen werden daher den Experten und Interessenträgern aus den Mitgliedstaaten ein mehrjähriges fortlaufendes Arbeitsprogramm zur Verbesserung der Evidenzgrundlage und zur Angleichung der nationalen Vorgehensweisen vorschlagen. Zudem wird die Kommission weiterhin administrative Unterstützung bereitstellen, z. B.

a) Leitlinien und Auslegungsvermerke zu Schlüsselbegriffen („Erheblichkeit“),

b) Schulungsprogramme und

c) Auskunftsstellen für Praktiker (zuständige Behörden, Betreiber, Schadensregulierer, Anbieter von Deckungsvorsorge, betroffene Personen, NRO usw.), die Informationen, Unterstützung und Bewertungshilfen für Risiko- und Schadensbewertungen bereitstellen.

Zur Ergänzung dieser Bemühungen sollten alle Mitgliedstaaten nach den Empfehlungen der Kommission

die Durchführung durch proaktive Initiativen unterstützen (wie Leitfäden, Schulungen, ETools für die Risikoanalyse, Festlegung der Ausgangsbasis, Modelle zur Deckungsvorsorge usw.), wie es einige Mitgliedstaaten bereits getan haben;

administrative Erfahrungen und bewährte Verfahren austauschen und sich beim Aufbau von Kapazitäten gegenseitig unterstützen;

ihre Auslegung von zentralen Bestimmungen der Richtlinie (insbesondere in Bezug auf „Erheblichkeit“) überprüfen;

Daten zu UHRL-relevanten Schadenfällen aufzeichnen und UHRL-Register veröffentlichen, falls dies noch nicht geschehen ist;

systematisch die erforderlichen Daten sammeln, die belegen können, dass die Anwendung der Richtlinie in dem betreffenden Land wirksam und effizient ist und mit der allgemeinen Situation in der EU im Einklang steht.

All dies wird bei der Vorbereitung der nächsten Bewertung der Richtlinie von Nutzen sein. Diese Maßnahmen stellen nach Auffassung der Kommission einen angemessenen Ansatz zur Verbesserung der beabsichtigten positiven Auswirkungen der Umwelthaftungsrichtlinie dar und werden auch dazu beitragen, die Informationen zu liefern, die bei der nächsten Bewertung verwendet werden können, um das Ausmaß des EU-Mehrwerts, der Wirksamkeit und der Effizienz der Richtlinie besser zu belegen.

(1)

 Der erste Bericht wurde am 12. Oktober 2010 vorgelegt (KOM(2010) 581).

(2)

ABl. L 143 vom 30.4.2004, S. 56 (geändert durch die Richtlinie 2006/21/EG, die Richtlinie 2009/31/EG und die Richtlinie 2013/30/EU).

(3)

SWD (2016) 121.

(4)

Siehe COM(2013) 685, COM(2014) 368, SWD(2014) 192 final/2 und COM(2015) 215, SWD(2015) 110.

(5)

Alle Studien sind abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/archives/liability/eld/studies.htm

(6)

Kroatien, das die Umsetzung der Richtlinie zum Zeitpunkt seines Beitritts zur EU gemeldet hat, war nicht zur Vorlage eines nationalen Berichts über die Anwendung der Richtlinie bis zum 30. April 2013 verpflichtet, da es der EU erst am 1. Juli 2013 beigetreten ist.

(7)

Nähere Einzelheiten dieser Analyse sowie die zugrundeliegenden Studien finden sich in „ELD Implementation Study, Annex Part A – Legal Analysis of the national transposing legislation, 2013“ und „Legal Analysis Study, 2014“.

(8)

In Italien liegen jedoch 1000 weitere potenzielle Fälle vor, von denen viele später zu UHRL-Fällen werden könnten.

(9)

Einige Fälle betreffen mehr als eine Schadenskategorie.

(10)

Richtlinie 2010/75/EU (ABl. L 334 vom 17.12.2012, S. 17).

(11)

132, davon aber 93 Aufforderungen zum Tätigwerden allein in Italien.

(12)

Die Kommission beschloss im Jahr 2013 - lange vor Annahme der Bewertungsleitlinien -, eine Bewertung im Rahmen ihres REFIT-Programms durchzuführen.

(13)

Berechnet anhand von 137 Fällen, die zusammen lediglich etwas mehr als 10 % aller von den Mitgliedstaaten gemeldeten UHRL-Fälle ausmachen, und ohne Berücksichtigung der drei größten Schadensfälle in Kolontár (Ungarn), Moerdijk (Niederlande) und des Assopos-Falls in Griechenland (diese Fälle wurden als „Ausreißer“ betrachtet).

(14)

Insbesondere in Bezug auf die „Erheblichkeitsschwelle“.

(15)

Beispielsweise in den baltischen Republiken und kleineren Inselmitgliedstaaten.

(16)

Stuart Collins, EIL market grows post ELD, in: Commercial Risk Europe, 27. November 2015.

(17)

 Die Verbindungen zwischen der Umwelthaftungsrichtlinie und der FFH-Richtlinie sind unter Nummer 4.3 zusammengefasst.

(18)

2011/92/EU (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1).

(19)

Siehe Fußnote 10.

(20)

Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden (CLC), Übereinkommen über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden von 1992, Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung, Übereinkommen über Haftung und Entschädigung für Schäden bei der Beförderung schädlicher und gefährlicher Stoffe auf See und Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für die während des Transports gefährlicher Güter auf dem Straßen-, Schienen- und Binnenschifffahrtsweg verursachten Schäden.

(21)

In EU-Recht umgesetzt durch die Richtlinie 2009/20/EG über die Versicherung von Schiffseigentümern für Seeforderungen (ABl. L 131 vom 28.5.2009, S. 128).

(22)

 Siehe Fußnote 5.

(23)

Anhang III Nummern 11 und 10 der Umwelthaftungsrichtlinie.

(24)

 Siehe Fußnote 5.

(25)

Belgien, Estland, Griechenland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Polen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich (England, Wales, Nordirland), Zypern.

(26)

http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/index_en.htm

(27)

 In dem ... Bericht wird Folgendes überprüft: d) die Rechtsakte und Übereinkünfte, die gegebenenfalls für eine Aufnahme in die Anhänge III, IV und V in Betracht kommen.“ (Artikel 18 Absatz 3 Buchstabe d der Umwelthaftungsrichtlinie)

(28)

Diese internationalen Instrumente werden entweder voraussichtlich niemals in Kraft treten oder sie ergänzen die Umwelthaftungsrichtlinie (für weitere Einzelheiten siehe Abschnitt 6.4 der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen).

(29)

Gemäß der Mitteilung der Kommission „Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung – Eine Agenda der EU“ (COM(2015) 215) sollte eine solche Bewertung alle 5 bis 7 Jahre erfolgen.