19.2.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 65/63


P7_TA(2013)0248

Strategie für einen europäischen elektronischen Mautdienst und ein Vignettensystem für leichte Privatfahrzeuge in Europa

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Juni 2013 zu einer Strategie für einen europäischen elektronischen Mautdienst und ein Vignettensystem für leichte Privatfahrzeuge in Europa (2012/2296(INI))

(2016/C 065/06)

Das Europäische Parlament,

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge (COM(2012)0199),

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat mit dem Titel „Einrichtung des europäischen elektronischen Mautdienstes“ (COM(2012)0474),

in Kenntnis des Weißbuchs der Kommission zur Verkehrspolitik mit dem Titel „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum — Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ (COM(2011)0144),

gestützt auf Artikel 48 seiner Geschäftsordnung,

in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr (A7-0142/2013),

A.

in der Erwägung, dass das derzeitige von der Kommission eingeführte System des europäischen elektronischen Mautdienstes (EETS) nicht funktioniert hat und überarbeitet werden muss; in der Erwägung, dass bestimmte Marktakteure derzeit keinen finanziellen Vorteil in einer Anpassung an ein gemeinsames interoperables EETS-System sehen;

B.

in der Erwägung, dass die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus Verbrauchsteuern und anderen Steuern in Zukunft sehr wahrscheinlich infolge der Abkehr von Kraftstoffen auf Mineralölbasis abnehmen werden;

C.

in der Erwägung, dass das Nutzer- und das Verursacherprinzip weiterhin höchste Priorität für den europäischen Verkehr haben müssen;

D.

in der Erwägung, dass die Mauterhebung in naher Zukunft in immer mehr Mitgliedstaaten eingeführt werden wird;

E.

unter Berücksichtigung einiger wiederholt aufgetretener Probleme mit Nicht-Gebietsansässigen bei der Einführung neuer elektronischer Mautsysteme in Grenzgebieten, die Forderungen und Beschwerden wegen Schäden und Diskriminierung nach sich gezogen haben;

F.

in der Erwägung, dass die EU dafür verantwortlich ist sicherzustellen, dass sich diese neue Entwicklung nicht negativ auf den grenzüberschreitenden Reiseverkehr, auf das tägliche Leben von Menschen, die in Grenzregionen leben, und auf den Handel auswirkt;

G.

in der Erwägung, dass die EU eine Mauterhebung fördern muss, welche die Verkehrsteilnehmer nicht diskriminiert, die nicht in dem Land, das die Maut erhebt, wohnhaft sind;

H.

in der Erwägung, dass in Zukunft neben dem Straßenneubau mehr Gelder vor allem für die Erhaltung und Wartung bestehender Verkehrsinfrastruktur benötigt werden;

I.

in der Erwägung, dass es den Mitgliedstaaten möglich sein sollte, entweder entfernungsabhängige oder zeitabhängige Mautsysteme einzuführen, wobei aber Maßnahmen ergriffen werden sollten, um dafür zu sorgen, dass entfernungsabhängige Systeme, wenn möglich, bevorzugt werden, da diese gerechter und weniger diskriminierend sind als zeitabhängige Systeme;

J.

in der Erwägung, dass es bereits die erforderlichen Technologien gibt, um eine Interoperabilität der Mautsysteme realisieren zu können;

K.

in der Erwägung, dass das einzige große Problem des EETS die fehlende politische Bereitschaft ist, ein solches System umzusetzen, und nicht marktspezifische oder technische Fragen;

Allgemeiner Rahmen

1.

nimmt die Erklärung der Kommission zur Kenntnis, dass die beiden hauptsächlich betroffenen Akteure die Mauterheber und die Anbieter des EETS sind; weist jedoch darauf hin, dass die Verkehrsteilnehmer, insbesondere Transportunternehmen, ein dritter entscheidender Akteur sind; weist darauf hin, dass die Nutzer von Privatfahrzeugen potenzielle Endnutzer sind, die dazu beitragen können, die Entwicklung des EETS zu beschleunigen;

2.

fordert die Kommission auf zu prüfen, wie diese betroffenen Akteure wirksamer in die nächsten von ihr geplanten Schritte eingebunden werden könnten;

3.

betont, dass der Schutz personenbezogener Daten und der Datenschutz im Allgemeinen von höchster Bedeutung sind und neue Maßnahmen den EU-Rechtsvorschriften zum Datenschutz und insbesondere der Richtlinie 95/46/EG unterworfen sein sollten, dies die Interoperabilität der Systeme jedoch nicht behindern sollte;

4.

erkennt das Recht der Straßeneigner an, einen angemessenen Betrag für die Nutzung ihrer Infrastruktur und die Inanspruchnahme der damit verbundenen Leistungen zu erhalten;

Der EETS: bisher ein Misserfolg und korrekturbedürftig

5.

stimmt mit der Kommission darin überein, dass die derzeitige EETS-Richtlinie (2004/52/EG) nicht zu der erwarteten Entwicklung eines interoperablen, europäischen elektronischen Mautdienstes zwischen den Mitgliedstaaten geführt hat; ist der Ansicht, dass der EETS ein Misserfolg ist, und betont, dass drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das oben genannte Ziel zu erreichen;

6.

ist der Auffassung, dass die Kommission schnellstmöglich geeignete legislative Maßnahmen im Bereich der Interoperabilität prüfen sollte, um alle Akteure zur Förderung des EETS-Projekts zu verpflichten;

7.

bedauert die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten insgesamt wenig Interesse an der Entwicklung des EETS gezeigt haben und dass die Kommission nicht mehr Maßnahmen zur Durchsetzung des EU-Rechts ergreift; fordert die Kommission deshalb dringend auf, ein System zu konzipieren und vorzulegen, das für die Betreiber und die Mitgliedstaaten Anreize für eine schnellere Umsetzung des Systems schafft;

8.

stimmt mit der Kommission darin überein, dass es eine Nachfrage nach einer interoperablen Lösung im Bereich des elektronischen Mautdienstes gibt; ist jedoch der Auffassung, dass es geeigneter legislativer Maßnahmen bedarf, damit die Akteure ein solches System umsetzen, da die Vergütung aus einem interoperablen System allein für bestimmte Hersteller von Ausrüstung für die Mauterhebung oder bestimmte Straßenbetreiber nicht attraktiv genug ist;

9.

ist der Auffassung, dass der Ansatz der Kommission, die Erbringung der Dienstleistung den Marktentscheidungen zu überlassen, keinen Erfolg gebracht hat, weshalb politische Maßnahmen erforderlich sind, um die Umsetzung des EETS zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass es in naher Zukunft verwirklicht wird;

10.

ist der Auffassung, dass die Pläne der Kommission, mit der Regionalisierung fortzufahren, nicht zufriedenstellend sind, da sie zusätzliche Verzögerungen nach sich ziehen könnten, die negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Dienstes in der gesamten EU haben könnten;

11.

ist der Ansicht, dass die Entwicklung des Dienstes in der gesamten EU auf jeden Fall das letztendliche Ziel der EU bleiben sollte; betont, dass die Regionalisierung — wenn sie umgesetzt wird — nur eine Übergangsphase darstellen sollte;

12.

ist der Ansicht, dass es weitreichenderer Maßnahmen bedarf, und fordert die Kommission dringend auf, erstens entschlossen gegen diejenigen Mitgliedstaaten vorzugehen, die das EU-Recht nicht ordnungsgemäß umsetzen, und zweitens unverzüglich alle verfügbaren Studien zu diesem Thema zu prüfen, um eine klare Grundlage für die verschiedenen Möglichkeiten im Hinblick auf kurzfristige wie langfristige Maßnahmen zu schaffen, einschließlich der Mauterhebung mittels Technologien wie GPS/GNSS, um Staubildungen, wie sie durch physische Hindernisse hervorgerufen werden, zu verhindern bzw. zu verringern; fordert die Kommission auf, diese Übersicht bis Ende 2013 vorzulegen;

13.

ist der Ansicht, dass die Kommission eine Studie über die finanziellen Aspekte und Bedingungen, unter denen der EETS wirklich funktionieren würde, durchführen sollte;

14.

ist der Auffassung, dass die Richtlinie 2004/52/EG über die Interoperabilität einen angemessenen regulatorischen Rahmen für die Koexistenz der verschiedenen Mautsysteme bietet und es den Mitgliedstaaten ermöglicht, in Abhängigkeit von den verschiedenen Merkmalen ihres Straßennetzes zwischen verschiedenen Technologien zu wählen;

15.

ist der Auffassung, dass die Kommission — unabhängig davon, welches System gewählt wird — großes Augenmerk darauf legen sollte sicherzustellen, dass die Verbraucher stets über die Kosten der Maut, die über ein Elektronikgerät oder eine Vignette erhoben wird, informiert werden;

16.

fordert, dass die spezifischen Bedürfnisse von Berufskraftfahrern und anderen Fahrern, die insbesondere bei Fahrten aus oder in EU-Peripheriestaaten zahlreiche Staaten durchqueren, bei der Entwicklung des Dienstes stets berücksichtigt werden;

17.

fordert die Kommission auf, in ihre Arbeitsprogramme zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen die Möglichkeit zur Finanzierung von Projekten aufzunehmen, die als Grundlage für eine Beschleunigung der Umsetzung des EETS dienen können;

18.

ist der Auffassung, dass der auf dem Prinzip der Nachfrage des Marktes beruhende Ansatz nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat und dass es notwendig ist, die Fehler zu analysieren, die zu dieser Situation geführt haben;

19.

ist der Auffassung, dass es seitens der Akteure der Industrie, d. h. Anbietern von Mautdiensten, Straßenkonzessionen und Herstellern elektronischer „Vignetten“ und der dazugehörigen Ausrüstung, keine Bereitschaft zu einem EETS gibt und dass es wahrscheinlich einer Verordnung bedarf, um die Akteure zu zwingen, sich zusammenzuschließen; ist der Ansicht, dass die Kommission unterstützende Maßnahmen einführen sollte, um eine wirksame Straßenmauterhebung für den Endverbraucher zu schaffen, insbesondere im Zusammenhang mit einer in Zukunft weiter verbreiteten Mauterhebung;

20.

fordert die Kommission auf, angesichts der aktuellen Vorhaben zur technischen und vertraglichen Interoperabilität zwischen Mitgliedstaaten eine detaillierte Bewertung durchzuführen und gegebenenfalls neue Maßnahmen vorzuschlagen, die aus den bewährten Verfahren hervorgehen;

21.

stimmt mit der Kommission darin überein, dass es die Technik für interoperable Systeme bereits gibt;

22.

macht darauf aufmerksam, dass verschiedene Mitgliedstaaten in den nächsten Jahren Mautsysteme einführen oder bestehende Konzessionen verlängern wollen; fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass diese Systeme den Interoperabilitätsanforderungen genügen, und sicherzustellen, dass die Mautsysteme bei ihrer Umsetzung unter keinen Umständen dem Grundsatz der Freizügigkeit Schranken auferlegen und Nicht-Gebietsansässige diskriminieren;

23.

fordert die Mitgliedstaaten und die Betreiber von Mautstraßen auf, eng mit den Nachbarstaaten zusammenzuarbeiten und jede erforderliche Unterstützung im Hinblick auf die Einrichtung von Gebührensystemen und Möglichkeiten für die Mauterhebung und -zahlung sowie die Information der Verkehrsteilnehmer über Preise und Nutzungsbedingungen usw. zu gewähren;

24.

fordert, dass eine Nichterfüllung ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich zieht;

Gebühren für die Straßennutzung: Vignetten, Mauterhebung, Interoperabilität und Datenschutz

25.

unterstreicht, dass es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, die Einführung einer Straßenmaut zu beschließen und den Betrag für die Straßennutzung festzulegen, und dass sie bei der Verwendung der Einnahmen aus der Straßenmaut das letzte Wort haben sollten;

26.

fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Verkehrsnetze weiterhin zu modernisieren, um sie so nachhaltig, effizient, umweltfreundlich und sicher wie möglich zu machen, indem sie die Einnahmen aus der Straßenmaut dafür zweckbinden;

27.

erkennt an, dass die Mitgliedstaaten derzeit Pläne entwickeln, Gebühren für neue Fahrzeugkategorien zu erheben, einschließlich leichter Privatfahrzeuge, was die Einführung eines koordinierten interoperablen Mautsystems durch die Kommission noch dringender erforderlich macht;

28.

stellt fest, dass die gleichmäßigere Anwendung von Mautgebühren — auf der Grundlage des Nutzerprinzips — auf alle Fahrzeugtypen ein Schritt in die richtige Richtung ist;

29.

fordert die Mitgliedstaaten auf, bei der Einrichtung nationaler Mautsysteme die besondere Lage der Bewohner von Grenzregionen zu berücksichtigen; betont, dass sich nationale Mautsysteme in keiner Weise diskriminierend auswirken dürfen;

30.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, bei der Entwicklung von Plänen für Mautsysteme der besonderen Lage von Grenzregionen Rechnung zu tragen, um deren Auswirkungen auf die Menschen, die in diesen Grenzregionen leben, zu minimieren;

31.

ist der Auffassung, dass die Befugnis, Gebühren zu erheben, zwar bei den Mitgliedstaaten liegt, die EU aber ein System der entfernungsabhängigen Mauterhebung gegenüber einem Vignetten-System bevorzugen sollte, da Ersteres ein viel gerechteres, nicht diskriminierendes System ist, wohingegen das Letztere in der Vergangenheit zu Problemen in Bezug auf Effizienz und Diskriminierung geführt hat, weshalb seine Einführung nach Möglichkeit vermieden werden sollte;

32.

ist der Auffassung, dass die Kommission in Bezug auf zeitabhängige Systeme die Verpflichtung einführen muss, den Straßennutzern maßgeschneiderte Vignetten auf der Grundlage unterschiedlicher Pro-rata-Strukturen, wie z. B die Wahl zwischen Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresvignetten, anzubieten und die Möglichkeit einzuräumen, eine Vignette bis zu 30 Tage vor der Nutzung der Straße zu kaufen, sowie den Betrag der erhobenen Verwaltungsgebühr eindeutig auszuweisen, und dass sie die weiter verbreitete Einführung eines entfernungsabhängigen Systems anstelle eines zeitabhängigen Systems befürworten sollte;

33.

ist der Auffassung, dass die Einführung eines neuen Gebührensystems, das die gemeinsame Nutzung der Betriebssysteme und der Daten über die Kunden und ihre Bewegungen beinhaltet, uneingeschränkt den Datenschutzbestimmungen der EU unterliegen muss und dass die Daten anonymisiert werden sollten, um die Privatsphäre natürlicher Personen zu schützen; verfolgt bei der Frage des Datenschutzes einen pragmatischen Ansatz; ist der Auffassung, dass Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes kein Hindernis mehr für die Interoperabilität darstellen sollten, sobald die notwendigen Schutzmaßnahmen eingerichtet worden sind;

34.

fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Mitgliedstaaten mit Vignettensystemen dazu zu verpflichten, den Vignettenverkauf sowie den Zugang zu Informationen erheblich zu vereinfachen und einen Online-Bezahldienst zu betreiben, der es den Kunden ermöglicht, die Gebühren im Voraus über eine für jeden zugängliche Oberfläche, die den Anforderungen des universellen Designs entspricht, zu bezahlen;

35.

fordert die Kommission nachdrücklich auf, eine Zahlung per Mobiltelefon für Maut- und Vignetten-Systeme zu ermöglichen;

36.

betont die Notwendigkeit angemessener und sichtbarer Hinweise, durch die die Fahrzeugführer darüber informiert werden, wie viel sie bezahlen müssen; betont auch, dass die Informationen über Geldbußen und andere Strafen klar angegeben und leicht zugänglich sein sollten;

37.

erkennt die Bedürfnisse von Speditionen und KMU sowie die Vorteile an, die ein EETS diesen Gruppen in Bezug auf die Belieferung des Marktes mit Gütern zum wettbewerbsfähigsten Preis bietet;

38.

verweist auf den wichtigen Beitrag, den diese Unternehmen und die KMU zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa leisten, und hält es daher für unabdingbar, dass ihnen keine unnötigen zusätzlichen Gebühren aufgelastet werden und dass stattdessen übergreifend auf alle Fahrzeugkategorien das Nutzerprinzip angewendet wird;

39.

empfiehlt, dass die Kommission entschlossen gegen diejenigen Mitgliedstaaten vorgeht, die sich nicht an die derzeitige Richtlinie zur Interoperabilität halten, und gleichzeitig prüft, ob die Vorlage eines Vorschlags der Kommission für neue Rechtsvorschriften zum EETS und zur Straßenmaut-Interoperabilität notwendig ist;

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40.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.