15.11.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 351/12


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Rechte gefährdeter Gruppen am Arbeitsplatz — Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung“ (Initiativstellungnahme)

2012/C 351/03

Berichterstatter: Thomas JANSON

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Rechte gefährdeter Gruppen am Arbeitsplatz — Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. September 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 483. Plenartagung am 18./19. September 2012 (Sitzung vom 18. September) mit 130 gegen 4 Stimmen bei 14 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Jegliche Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bedeutet eine Gefahr sowohl für die auf den Menschenrechten basierende Demokratie als auch für die Wirtschaftsentwicklung in der Europäischen Union. Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) hat die EU die Verantwortung, hinsichtlich der Zielsetzungen der diesbezüglichen Bemühungen einen koordinierten Ansatz zu verfolgen (1).

1.2   Eine wirksame Bekämpfung von Diskriminierung erfordert aktive Maßnahmen, die auf der Teilhabe der verschiedenen Akteure gründen und bei denen die Vertreter diskriminierter Gruppen mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten.

1.3   Der EWSA stellt in dieser Stellungnahme fest, dass hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung intensivere Bemühungen erforderlich sind, um die Gefahr zu verringern, ihr zum Opfer zu fallen. Dies umfasst die Bereitstellung von mehr Ressourcen für die Erforschung von Diskriminierung am Arbeitsplatz sowie die Aufstellung eines Fahrplans für das Erreichen des Ziels der Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung.

1.4   Die Wirtschafts- und Sozialkrise hat ganz eindeutig schwerwiegende Konsequenzen für benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt. Durch die derzeit vorgenommenen Einschnitte bei den Sozialsystemen in der EU steigt die Arbeitslosigkeit, und auch die Gefahr von Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und anderen diskriminierenden und verletzenden Aussagen und Handlungen nimmt zu. Nach Auffassung des EWSA sollten die EU und die Mitgliedstaaten die Risiken für benachteiligte Gruppen aufgrund der aktuellen Kürzungen besser und offener einschätzen und Maßnahmen zu ihrer Verringerung ergreifen.

1.5   Der EWSA stellt fest, dass innerhalb der Union große Unterschiede in Bezug auf die Behandlung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT) (2) bestehen, und ist angesichts ihrer Diskriminierung ernsthaft besorgt. Diese Diskriminierung bedroht die grundlegenden Werte der Europäischen Union und die Freizügigkeit.

1.6   Der EWSA fordert die Kommission auf, einen Fahrplan gegen die Diskriminierung von LGBT-Personen aufzustellen, und betont die Bedeutung der Integration der LGBT-Perspektive in alle Politikbereiche.

1.7   Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und den Regierungen, um Stereotype zu bekämpfen und ein größeres Bewusstsein für die Rechte von LGBT-Personen zu schaffen. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtszugehörigkeit muss in den Diskussionen und Verhandlungen der Sozialpartner berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang möchte der EWSA auf die Möglichkeiten zur Netzwerkbildung hinweisen, die Chancengleichheit und Offenheit am Arbeitsplatz fördern können.

1.8   Der EWSA betont, dass es wichtig ist zu wissen, was in den Gesetzen und Rechtsvorschriften der EU über Diskriminierung am Arbeitsplatz sowohl für den Einzelnen als auch für Arbeitgeber und Gewerkschaften ausgesagt wird. Fast 45 % der EU-Bürgerinnen und -Bürger wissen nicht, dass es Gesetze gibt, die eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung verbieten. Der EWSA sieht hier einen Bedarf an gezielten Informationskampagnen, um dieses Problem zu überwinden.

1.9   Der EWSA ist sich der spezifischen Problematik bewusst, mit der viele Transgender-Personen konfrontiert sind, und sieht die Notwendigkeit, diese spezifische Problematik in einer gesonderten Stellungnahme aufzugreifen.

2.   Gründe für die Bekämpfung von Diskriminierung

2.1   Die Europäische Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie sowie auf der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. Mit Artikel 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erhielt die Europäische Union eine Rechtsgrundlage für "geeignete Vorkehrungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung". Die Bekämpfung und Prävention aller Formen von Diskriminierung ist für die Legitimität der EU von größter Bedeutung. Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthält das Verbot von Diskriminierungen u.a. wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Ausrichtung.

2.2   Zur Durchführung der Ziele des Vertrags wurden einige Richtlinien erlassen, z.B. die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und die Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Der Schutz vor Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts oder der Rasse ist viel umfassender als der Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Religion und der Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung und der sexuellen Ausrichtung, was die Entscheidung eines Menschen in Bezug auf Beruf, Studium oder auch Reisen in ein anderes EU-Land beeinflussen kann.

2.3   Bei der Gleichbehandlung geht es vor allem um die Förderung der Menschenrechte, daneben aber auch darum, alle Ressourcen in der Europäischen Union bestmöglich zu nutzen. Diskriminierung bedeutet eine Verschwendung von Ressourcen und führt für die betroffenen Gruppen zu sozialer Ausgrenzung. Durch die aktuelle tiefgreifende Wirtschafts- und Sozialkrise in der EU, in der viele Staaten Kürzungen in ihrem Wohlfahrtssystem und bei den Löhnen vorgenommen haben, wird die Lage der am stärksten gefährdeten Gruppen erschwert. Die verschiedenen Antidiskriminierungsrichtlinien der EU sind daher von wesentlicher Bedeutung für den Schutz von diskriminierungsgefährdeten Gruppen und die Förderung ihrer Integration in den Arbeitsmarkt. Den Mitgliedstaaten obliegt die große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Intentionen der Antidiskriminierungsrichtlinien in die Tat umgesetzt werden.

2.4   Der EWSA hat in einer Reihe von Stellungnahmen seine Standpunkte zu den einzelnen Diskriminierungsgründen vorgetragen. Er begrüßte den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (2000/43/EG) (3). Der Ausschuss unterstützte auch die Idee, eine auf Beschäftigung und Beruf beschränkte spezifische Richtlinie vorzuschlagen, in der Diskriminierung aufgrund der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verboten wird. Der Ausschuss vertrat ferner den Standpunkt, dass für alle in den Mitgliedstaaten Ansässigen ein Mindestmaß an Schutz und Rechtsbehelfen gegen Diskriminierung gewährleistet werden muss. Er sprach sich für eine eingehendere Untersuchung und Entwicklung der wirtschaftlichen Argumente für eine Nichtdiskriminierung aus. Er bedauerte, dass diskriminierende Anweisungen oder die Ausübung von Druck zur Diskriminierung aus den angegebenen Gründen in der Richtlinie nicht erwähnt wurden.

2.5   Die Rahmenrichtlinie deckt sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierung ab. Mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn Personen in der Praxis aufgrund einer scheinbar nicht diskriminierenden Bestimmung bzw. eines scheinbar neutralen Kriteriums oder einer solchen Verfahrensweise benachteiligt werden können (4).

2.6   Der EWSA legte auch eine Stellungnahme zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung" (5) vor, deren Annahme immer noch aussteht. Der EWSA begrüßte den Richtlinienvorschlag, weil er zu EU-weit einheitlichen Schutzstandards gegen Diskriminierung aus allen Gründen nach Artikel 13 EGV (jetzt Artikel 19 AEUV) führen sollte. Er bedauerte jedoch, dass das Problem der Mehrfachdiskriminierung nicht ausreichend in der Richtlinie berücksichtigt wurde, und forderte die Kommission auf, eine Empfehlung zu dieser Frage vorzulegen. Der EWSA fordert den Rat auf, einen Beschluss in dieser Frage zu fassen, um die Rechte gefährdeter Personen zu stärken.

2.7   In seinen verschiedenen Stellungnahmen zu Diskriminierungsaspekten (z.B. in Bezug auf das Alter, Drittstaatsangehörige und Roma) hob der EWSA u.a. Folgendes hervor (6):

Es ist wichtig, die Antidiskriminierungsbemühungen in alle Handlungsbereiche zu integrieren und sie sowohl im EU-Haushalt als auch in den einzelstaatlichen Haushalten zu berücksichtigen.

Indikatoren sind erforderlich, um ein Bild der tatsächlichen Lage zu erhalten.

Die Durchführung der Antidiskriminierungsbemühungen sollte mit der Europa-2020-Strategie verknüpft werden.

Auf europäischer wie auch auf einzelstaatlicher Ebene sollten adäquate und effektive Durchsetzungs- und Überwachungsmechanismen ermittelt werden.

Eine quantitative und qualitative Verbesserung der Beschäftigung ist nötig, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit gefährdeter Gruppen sicherzustellen und zu verbessern.

Die familiären und häuslichen Verantwortlichkeiten müssen gerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt und das Recht auf soziale Sicherheit individualisiert werden.

Institutionelle Strukturen sind aufzubauen, z.B. ein europäischer Ausschuss für Behindertenfragen.

Die Gefahr besteht, dass die Wirtschafts- und Sozialkrise in ganz Europa Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie verschärft.

Integration ist ein komplexer und langfristiger gesellschaftlicher Prozess mit mehreren Dimensionen und vielen Betroffenen, insbesondere auf lokaler Ebene.

2.8   Weder der EWSA noch die Kommission haben sich eingehend und spezifisch mit Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung beschäftigt. Es gibt auch keinen Fahrplan für die Verringerung der Diskriminierungsgefahr von LGBT-Personen. Der Schwerpunkt dieser Stellungnahme liegt auf dem Diskriminierungsgrund der sexuellen Ausrichtung, da der EWSA einen Bedarf an politischer Gestaltungsarbeit in diesem Bereich sieht. Gleichzeitig ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es mehrere weitere gefährdete Gruppen gibt, die von den Diskriminierungsgründen nicht erfasst werden, aber dennoch Schwierigkeiten haben, in den Arbeitsmarkt einzutreten bzw. sich dort zu halten. Dies sollte in genereller Form Eingang in die gesamte Politikgestaltung finden.

3.   Die Lage von LGBT-Personen auf dem Arbeitsmarkt

3.1   Das Problem der Anwendung von Rechtsvorschriften  (7)

3.1.1

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hat die Lage von LGBT-Personen 2009 in zwei Berichten (8) analysiert. Nachstehend einige Schlussfolgerungen der Grundrechteagentur: Eine erste Schlussfolgerung lautet, dass bei den Diskriminierungsgründen eine Hierarchie vorliegt, da der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse und der ethnischen Herkunft stärker ist als vor anderen Diskriminierungsgründen. Trotzdem ist in den Mitgliedstaaten die Tendenz festzustellen, dass vor allen Diskriminierungsgründen gleichermaßen geschützt wird.

3.1.2

Der Grundrechteagentur zufolge sind 18 EU-Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Gleichbehandlungsrichtlinie bezüglich der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung über die Mindestanforderungen hinausgegangen. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat also Rechtsvorschriften eingeführt, die vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung außerhalb von Arbeit und Beruf schützen. In ca. 20 Mitgliedstaaten wurde eine Gleichstellungsstelle eingerichtet, die für die Behandlung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zuständig ist.

3.1.3

Die Grundrechteagentur greift in den Berichten auch die Möglichkeiten der Freizügigkeit für LGBT-Personen auf, die ein wichtiger Bestandteil des gemeinsamen Arbeitsmarkts in der EU ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Familienrecht in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, was bedeutet, dass von Land zu Land unterschiedliche Vorschriften für gleichgeschlechtliche Paare gelten. Zudem gibt es in den einzelnen Ländern unterschiedliche Traditionen in Bezug auf die Einstellung z.B. zu gleichgeschlechtlichen Ehen und Partnerschaften. Dies bringt jedoch auch mit sich, dass es Probleme bei der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit geben kann.

3.1.4

Der Grundrechteagentur zufolge bestehen große Hindernisse für gleichgeschlechtliche Paare, wenn es darum geht, Rechte bezüglich der Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen, egal ob sie verheiratet sind oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft bzw. in einer dauerhaften, stabilen Beziehung leben. Die Agentur macht darauf aufmerksam, dass dies in vielen Fällen mit einer unmittelbaren Diskriminierung verbunden ist und dass die Pflichten der Mitgliedstaaten im Sinne der Freizügigkeitsrichtlinie (9) geklärt werden müssten.

3.2   Gerichtshof der Europäischen Union

3.2.1

Der Gerichtshof hat in zwei Fällen unter Verweis auf Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung geurteilt: in der Rechtssache Römer und in der Rechtssache Maruko. In der Rechtssache Römer kam der Gerichtshof zu dem Urteil, dass die Gleichbehandlungsrichtlinie verbietet, dass ein in einer Lebenspartnerschaft lebender Versorgungsempfänger Zusatzversorgungsbezüge in geringerer Höhe erhält als ein verheirateter Versorgungsempfänger und dass eine unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung vorliegt, weil sich der genannte Lebenspartner im nationalen Recht hinsichtlich dieser Bezüge in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation befindet, die mit der einer verheirateten Person vergleichbar ist.

3.2.2

In der Rechtssache Maruko urteilte der Gerichtshof auf ähnliche Weise, dass die Richtlinie einer Regelung entgegensteht, wonach der überlebende Partner nach Versterben seines Lebenspartners keine Hinterbliebenenversorgung entsprechend einem überlebenden Ehegatten erhält. Der Gerichtshof argumentierte jedoch auch, dass es Sache des nationalen Gerichts ist zu prüfen, ob sich ein überlebender Partner in einer mit der Situation eines Ehegatten oder einer Ehegattin vergleichbaren Situation befindet. Ferner wies der Gerichtshof auf die große Verschiedenartigkeit der Rechtsvorschriften in der Union sowie darauf hin, dass eine allgemeine Gleichstellung der Ehe mit den übrigen Formen gesetzlicher Lebenspartnerschaften fehlt.

3.3   Probleme mit Diskriminierung am Arbeitsplatz

3.3.1

Schwierigkeiten im Umgang mit der sexuellen Ausrichtung am Arbeitsplatz: Aus Untersuchungen geht hervor, dass LGBT-Personen häufig "unsichtbar" auf dem Arbeitsmarkt sind. Der Hauptgrund ist die Angst vor Repressalien, was in vielen Fällen auch dazu führt, dass der soziale Kontakt zu Kollegen vermieden wird, um nicht "geoutet" zu werden. Besonders groß war die Angst, die Vorgesetzten am Arbeitsplatz über die sexuelle Ausrichtung zu informieren. In bestimmten Bereichen, z.B. im Militär oder in der Kirche, ist die Offenheit erheblich geringer als im Durchschnitt.

3.3.2

Spezifische Probleme, die die Arbeit erschweren: LGBT-Personen nehmen auf dem Arbeitsmarkt eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen gefährdeten Gruppen ein, da Offenheit in Bezug auf ihre sexuelle Ausrichtung Auswirkungen auf ihr Arbeitsleben hat. Häufig entwickeln LGBT-Personen Strategien, um ein "Outing" zu vermeiden, z.B. indem sie das Gesprächsthema wechseln oder eine Unterhaltung am Arbeitsplatz abbrechen. Aus Untersuchungen geht hervor, dass solch ständiges Lavieren am Arbeitsplatz Auswirkungen auf die Gesundheit und die Produktivität hat. Die negative Diskriminierung der Gruppe der Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen in der EU führt zu einer durch Scham begründeten, emotionalen sozialen Ausgrenzung. Dies wiederum hat Konsequenzen für den Einzelnen wie auch für die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Der EWSA hält aktive Bemühungen der einzelnen EU-Institutionen für erforderlich, um dieser Ausgrenzung entgegenzuwirken.

3.3.3

Probleme bei der Ausübung von Arbeitnehmerrechten: Wenn jemand aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung diskriminiert wird, ist es wichtig, dass er Zugang zu Beschwerdemechanismen sowie zu einer nationalen Behörde hat, die mit der Behandlung von Beschwerden wegen einer solchen Diskriminierung betraut ist. In vielen Mitgliedstaaten ist eine solche Behörde schlicht und einfach nicht vorhanden.

3.3.4

Scheu vor der Beschwerdeerhebung: Die Zahl der dokumentierten Fälle von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung ist bemerkenswert gering. Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, dass LGBT-Personen davor zurückscheuen, sich öffentlich zu outen, und möglicherweise darauf, dass sie ihre Rechte nicht kennen. Eine Beschwerde kann auch die Gefahr des Arbeitsplatzverlusts bergen. In manchen Fällen ist es wichtig, dass die Person, die Beschwerde erhebt, Schutz durch die Gesellschaft erhält, um negativen Folgen einer Beschwerde entgegenzuwirken.

3.3.5

Kenntnismangel: Aus einer Eurobarometer-Untersuchung ging hervor, dass das Wissen über Antidiskriminierungsvorschriften lückenhaft ist. Beinahe die Hälfte (45 Prozent) der EU-Bürgerinnen und -Bürger weiß nicht, dass es Gesetze gibt, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung bei der Einstellung neuer Mitarbeiter verbieten. Eine Studie des EGB zeigte auch bei Gewerkschaften einen Kenntnismangel über die Politik und die Maßnahmen bezüglich LGBT auf. Mangelndes Bewusstsein für Arbeitnehmerrechte spiegelt sich auch in einem generellen Informations- und Datenmangel über die Lage und Erfahrungen von Personen mit einer anderen sexuellen Ausrichtung wider. Aus Untersuchungen ging hervor, dass das Bewusstsein für die sexuelle Ausrichtung und die Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz sehr gering ausgeprägt ist. Dieses generell gering ausgeprägte Bewusstsein hat zur Folge, dass es für Personen mit einer anderen sexuellen Ausrichtung sehr schwer ist, mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über Geschlechtsidentität oder Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu reden. Daher sind vor allem in den Bereichen, in denen der Kenntnisstand gering ist, Sensibilisierungsbemühungen erforderlich, um ein größeres Bewusstsein für die Rechte als EU-Bürger zu schaffen.

3.3.6

Rechtsschutz und andere Maßnahmen zur Verringerung von Diskriminierung. In einigen Ländern haben die Einführung eines Rechtsschutzes und eine bessere Förderung der Chancengleichheit auf der nationalen Ebene dazu beigetragen, das Bewusstsein in der gesamten Gesellschaft zu schärfen, was sich auch positiv auf Gewerkschaften und Arbeitgeber ausgewirkt hat. In der Untersuchung der Grundrechteagentur ist kaum von der Verantwortung der Arbeitgeber die Rede, was die Bedeutung der Verantwortung der Führungsebene unterstreicht. Diversity-Management und eine offene Kultur haben in Bezug auf LGBT-Personen einen positiven Einfluss auf den Arbeitsplatz. Diversity-Management verhindert Diskriminierung vielleicht nicht unbedingt, aber es ist ein wichtiger erster Schritt in einer Organisation.

3.3.7

Ausmaß der Diskriminierung: Einige Studien wurden durchgeführt, um das Ausmaß der Diskriminierung von LGBT-Personen auf dem Arbeitsmarkt zu ermitteln. Das Fazit lautet, dass fast die Hälfte dieser Gruppe am Arbeitsplatz bezüglich ihrer sexuellen Ausrichtung nicht offen ist und dass zwischen einem Drittel und der Hälfte derjenigen, die offen waren, unmittelbare Diskriminierung oder verletzende Äußerungen und Vorurteile am Arbeitsplatz erfahren hat.

3.3.8

In der EU wurden einige Projekte durchgeführt, an denen Arbeitgeber, Gewerkschaften und Ehrenamtliche beteiligt waren. Finanziell unterstützt wurden diese Projekte von der Kommission, was deren Legitimität unterstrichen hat. In Frankreich haben Gewerkschaften und Arbeitgeber in einer Branche ein Abkommen über die Frage der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Familien geschlossen, das "Accord sur l'égalité des droits des familles homoparentales". Der schwedische Gewerkschaftsverband Vision bietet eine Fortbildung zu LGBT-Fragen an, durch die für Diskriminierung am Arbeitsplatz sensibilisiert werden soll. Die Erfahrung zeigt, dass es gemeinsam durchaus möglich ist, die Lage von Personen mit einer anderen sexuellen Ausrichtung auf dem Arbeitsmarkt zu ändern. Der Ausschuss stellt mit Bedauern fest, dass derartige Maßnahmen eine Seltenheit sind, und ersucht deshalb die Europäische Kommission, die bewährten Methoden zu verbreiten, sowie die Sozialpartner, der Diskriminierung von LGBT-Personen am Arbeitsplatz deutlich aktiver entgegenzuwirken.

Brüssel, den 18. September 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet: "Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten."

(2)  LGBT = lesbian, gay, bisexual, and transgender people.

(3)  ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 102.

(4)  Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

(5)  ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 19.

(6)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 69, ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 1, ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 19; ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 81; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 19; ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 102; ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 72, ABl. C 110 vom 30.4.2004, S. 26; ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 128; ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 115, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 50; ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 95; ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 93.

(7)  Dieser Abschnitt basiert auf Berichten der Agentur für Grundrechte (FRA) und des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB).

(8)  "Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung sowie der Geschlechtsidentität in den EU-Mitgliedstaaten: Teil I – Rechtliche Analyse" und "Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung sowie der Geschlechtsidentität in den EU-Mitgliedstaaten: Teil II - Die soziale Lage".

(9)  Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.