22.5.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 143/134


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1639/2006/EG zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013) sowie der Verordnung (EG) Nr. 680/2007 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Verkehrs- und Energienetze“

COM(2011) 659 final — 2011/0301 (COD)

2012/C 143/27

Berichterstatter: Armin DUTTINE

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 17. November bzw. 12. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikeln 172, 173 (3) und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1639/2006/EG zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013) sowie der Verordnung (EG) Nr. 680/2007 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Verkehrs- und Energienetze"

COM(2011) 659 final – 2011/0301 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 478. Plenartagung am 22./23. Februar 2012 (Sitzung vom 23. Februar) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme

Diese Stellungnahme ist Teil eines vom EWSA vorbereiteten, aus fünf Stellungnahmen bestehenden Pakets zur „Fazilität ‚Connecting Europe‘“ und den zugehörigen Leitlinien. Diese wurden von der Europäischen Kommission im Oktober 2011 veröffentlicht. Das Paket enthält die Stellungnahmen TEN/468 zur „Fazilität ‚Connecting Europe‘“ (Berichterstatter: Raymond HENCKS); TEN/469 zu den Leitlinien für ein transeuropäisches Telekommunikationsnetz (Berichterstatter: Antonio LONGO; TEN/470 zu den Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (Berichterstatter: Egbert BIERMANN); TEN/471 zu den Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (Berichterstatter: Stefan BACK); und TEN/472 zur Projektanleiheninitiative (Berichterstatter: Armin DUTTINE).

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt im Prinzip den Vorschlag der EU-Kommission für die Einrichtung eines Risikoteilungsinstruments zur Auflage von Projektanleihen für die vorgesehene Pilotphase für die Jahre 2012 und 2013. Er weist jedoch auf Risiken im Zuge des Instruments hin. Bevor dieses Instrument für die neue EU-Haushaltsperiode 2014-2020 fortgesetzt wird, sollte im Vorfeld die Evaluierung fortgeführt und im Zuge einer ausführlichen gesellschaftlichen Debatte intensiviert und mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden. Dabei sollten insbesondere die Lehren aus den Erfahrungen mit Projekten im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) einfließen.

1.2

Die Chancen des vorgeschlagenen Instruments liegen insbesondere in der Mobilisierung wichtiger für die Stärkung von Wachstum, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen notwendiger Investitionsmittel für Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation und Energie. Mit Hilfe der Durchführung der angestrebten Projekte wird der Nutzen der europäischen Integration für die Bürgerinnen und Bürger konkret erfahrbar und damit der europäische Gedanke gestärkt.

1.3

Der Ausschuss erkennt jedoch auch Risiken. Diese ergeben sich insbesondere aus der möglichen Verlustübernahme bei den aufgelegten Investitionsprojekten. Während die mögliche Risikoübernahme für den EU-Haushalt im legislativen Vorschlag der EU-Kommission klar gedeckelt ist, wird für die Europäische Investitionsbank (EIB) durch die jeweiligen für jedes Projekt zwischen der EIB und den Investoren vereinbarten Verträge sowie einer von der EIB durchgeführten Risikostreuung über die Gesamtzahl der Projekte angenommen, dass keine weiteren Risikoübernahmen für die EIB eintreten. Um auf alle Fälle zu vermeiden, dass es durch Risikoeintritt zu negativen Auswirkungen auf die Bonität und die Reputation der EIB sowie auf die Auflage und Durchführung klassisch geförderter Projekte durch die EIB kommt, erscheint es aus Sicht des Ausschusses nötig, dass die EIB auch im Rahmen der Projektanleihen ihre konservativen Evaluierungskriterien von Projektrisiken anwendet. Insbesondere sollte die Risikoübernahme durch die EIB transparent dargestellt (1) und gegebenenfalls eine Begrenzung der Risikoübernahme vorgenommen werden. Diese Maßnahme sollte insbesondere bezüglich der Fortsetzung des Instruments für die neue EU-Haushaltsperiode 2014-2020 nach Auswertung der Erfahrungen während der Pilotphase in Erwägung gezogen werden.

1.4

Der EWSA merkt an, dass der Vorschlag der EU-Kommission zu wenig auf Fragen im Zusammenhang mit der Rückzahlung privat finanzierter Infrastrukturprojekte eingeht. Insbesondere im Verkehrsbereich sollte auf breiter gesellschaftlicher Basis über die möglichen Konsequenzen der Einführung der Nutzerfinanzierung diskutiert werden. Auch weist der Ausschuss darauf hin, dass politische Entscheidungen und gesellschaftliche Absprachen zur Erreichung nachhaltiger ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele durch das vorgeschlagene Instrument nicht konterkariert werden dürfen. Zur Auflage von ÖPP-Projekten dürfen keine falschen Anreize gesetzt werden. Der Ausschuss erinnert deshalb an seine Position, dass die Verschuldungskriterien für ÖPP-Projekte den Kriterien für Projekte aus der klassischen öffentlichen Auftragsvergabe entsprechen müssen.

1.5

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass mit dem vorgeschlagenen Risikoteilungsinstrument zur Auflage von Projektanleihen nur ein Teil der notwendigen Investitionsmittel für dringend notwendige Infrastrukturprojekte mobilisiert werden können. Er weist deshalb auf die Notwendigkeit hin, weitere Einnahmequellen für die öffentlichen Haushalte für öffentliche Investitionen zu mobilisieren. Hierzu verweist er insbesondere auf die Vorschläge zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

2.   Einleitung

2.1

Die EU-Kommission hat am 19. Oktober 2011 mehrere legislative Vorschläge und nicht-legislative Vorschläge zur Entwicklung der transeuropäischen Netze und Infrastrukturen für die Bereiche Verkehr, Energie und Telekommunikation unter dem gemeinsamen Label "Connecting Europe Facility" mit Schwerpunkt für die neue Haushaltsperiode von 2014 bis 2020 vorgelegt. Diese beziehen sich insbesondere auf die Förderleitlinien, zu fördernde Projekte, die Höhe der notwendigen Investitionsmittel und neue Finanzierungsinstrumente in den genannten Bereichen. Diese Stellungnahme bezieht sich auf die Finanzierungsaspekte. Die anderen Aspekte sind Teil weiterer Stellungnahmen des EWSA (2).

2.2

Der hier behandelte legislative Vorschlag enthält folgende Elemente: Ausdehnung des Anwendungsbereiches des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation für die laufende EU-Haushaltsperiode (2007-2013) auf Investitionen für die Breitbandinfrastruktur und die Auflage eines Risikoteilungsinstruments für Projektanleihen für die Bereiche Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und Breitband sowie die Transeuropäischen Netze (TEN) im Bereich der Verkehrs- (TEN-V) und Energieinfrastruktur (TEN-E).

2.3

Das vorgeschlagene Instrument wird vor dem Hintergrund von Schwierigkeiten im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise zur Finanzierung langfristig orientierter Investitionen mit Hilfe privaten Kapitals aufgelegt. Damit sollen für langfristig orientierte Infrastrukturprojekte zusätzlich auch Mittel auf den Kapitalmärkten mobilisiert werden. Bei dem vorgeschlagenen Instrument handelt es sich um ein Risikoteilungsinstrument für Projektanleihen. Dieses soll mit Hilfe eines finanziellen Beitrags aus EU-Budgetmitteln an die Europäische Investitionsbank (EIB) diese in die Lage versetzen, mit Hilfe von nachrangigen Darlehen oder nachrangigen Garantien die Kreditrisiken der Anleiheinhaber zu mindern.

2.4

Die legislative Maßnahme bezieht sich auf eine Pilotphase für die Jahre 2012 und 2013. In diesem Zeitraum soll die Wirkung des Risikoteilungsinstruments auf die Mobilisierung privater Investitionsmittel getestet werden.

2.5

Die Risikoteilung erfolgt zwischen der EU und der EIB. Dabei ist der finanzielle Beitrag aus dem EU-Haushalt auf 230 Mio. EUR beschränkt. Maximal 200 Mio. EUR sollen für die Jahre 2012 und 2013 für TEN-V- und maximal 10 Mio. EUR für TEN-E-Projekte sowie maximal 20 Mio. EUR für das Jahr 2013 für Investitionen in die Bereiche IKT- und Breitbandinfrastruktur zur Verfügung stehen.

2.6

Es wird davon ausgegangen, dass insgesamt betrachtet über alle durchgeführten Projekte mit Hilfe des Zuschusses aus dem EU-Haushalt die EIB das sogenannte First Loss absichern kann. Die genaue Höhe der maximalen Risikoübernahme durch die EIB wird vertraglich für jedes einzelne Projekt definiert. Theoretisch entspricht das maximale Risiko der EIB der Summe der eingegangenen Verträge minus der Beteiligung aus dem EU-Haushalt. Eine nominelle Deckelung des Risikos der EIB über alle Projekte hinweg ist im gesetzgebenden Vorschlag der EU-Kommission allerdings nicht wie für den EU-Haushalt vorgesehen, wenn es im Vorschlag heißt: "Das allen Geschäften inhärente Restrisiko wird von der EIB getragen." Die Definition des Restrisikos obliegt der EIB im Rahmen ihrer Risikoanalyse.

2.7

Die EU-Kommission strebt mit diesem Instrument die Mobilisierung weiterer insbesondere privater Investorenmittel an und möchte damit eine Hebelwirkung erreichen. Anvisierte Investoren sind insbesondere Versicherungen, Pensionsfonds und Staatsfonds, die eine gesicherte und langfristige Finanzanlagemöglichkeit suchen.

2.8

Die Mobilisierung von Haushaltsmitteln aus dem Budget der EU während der Pilotphase soll allein durch Umschichtungen erfolgen. Insbesondere sollen hierzu noch freie Finanzmittel aus dem bereits bestehenden "Kreditgarantieinstrument für TEN-Verkehrsprojekte" ("Loan Guarantee instrument for TEN-transport projects") (LGTT) genommen werden.

2.9

Während bei dem bestehenden Risikoteilungsinstrument LGTT eine Risikoabsicherung der kommerziellen Kreditgeber (Banken) durch die EIB erfolgt, bezieht sich der hier untersuchte legislative Vorschlag auf die Risikoabsicherung durch die EIB für Investoren in Projektanleihen. Hier wie da geht es um die Risikoabsicherung der Verschuldung von Projektgesellschaften, die Infrastrukturprojekte durchführen, wobei in der Praxis insbesondere als Projektfinanzierung durchgeführte Investitionen – und anderem öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) – hierfür in Frage kommen. Hierbei übernehmen in der Regel Projektsponsoren wie Bauunternehmen, Infrastrukturfonds, Betreibergesellschaften und zum Teil öffentliche Unternehmen neben dem Bau auch den Betrieb, die Planung und insbesondere die Finanzierung der Investitionsprojekte.

2.10

Die Auswahl der geförderten Projekte für die Pilotphase muss noch erfolgen. Dabei sollen aus dem Bereich TEN-V drei bis elf, aus dem Bereich TEN-E ein und aus dem Bereich IKT/Breitband ein bis zwei Projekte gefördert werden. Aus den Erfahrungen der Pilotphase sollen Schlussfolgerungen für die neue EU-Haushaltsperiode 2014-2020 gezogen werden.

2.11

Aspekte der Rückzahlung werden im legislativen Vorschlag und in den begleitenden Papieren durch die EU-Kommission nur am Rande dargestellt. Aus einem Papier der EIB über die Erfahrungen von LGTT geht jedoch klar hervor, dass dieses Risikoteilungsinstrument insbesondere für Projekte als geeignet betrachtet wird, die nutzerfinanziert sind (3). Ähnliches ist für Projekte zu erwarten, die mit dem hier untersuchten legislativen Vorschlag angestrebt werden.

3.   Generelle Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt im Prinzip den Vorschlag der EU-Kommission für die Einrichtung eines Risikoteilungsinstruments zur Auflage von. Projektanleihen für die vorgesehene Pilotphase für die Jahre 2012 und 2013. Er weist auf die im Folgenden dargestellten Chancen, aber auch Risiken sowie ebenfalls dargestellten Vorschläge und Bedingungen insbesondere zur Fortsetzung des Instruments nach der Pilotphase hin.

3.2

Die Chancen liegen insbesondere im Bereich der Möglichkeit der Mobilisierung zusätzlicher Investitionsmittel, wodurch die Wirkung von EU-Haushaltsmitteln gesteigert werden kann. Dies kann einen wichtigen Beitrag für die Generierung von Wachstum und Innovation, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, die Erreichung der Ziele der EU 2020-Strategie und die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen leisten. Mit Hilfe der Durchführung der angestrebten Projekte wird der Nutzen der europäischen Integration für die Bürgerinnen und Bürger konkret erfahrbar und damit der europäische Gedanke gestärkt.

3.3

Der Ausschuss erkennt jedoch auch Risiken. Er weist hierbei auf den inhärenten Zusammenhang zwischen der Höhe der Hebelwirkung und der Risikoübernahme durch die öffentliche Hand hin. Die Risiken ergeben sich insbesondere aus der möglichen Verlustübernahme bei den aufgelegten Investitionsprojekten. Während die mögliche Risikoübernahme für den EU-Haushalt im legislativen Vorschlag der EU-Kommission klar gedeckelt ist, wird für die EIB durch die jeweiligen für jedes Projekt zwischen der EIB und den Investoren vereinbarten Verträge sowie einer von der EIB durchgeführten Risikostreuung über die Gesamtzahl der Projekte angenommen, dass keine weiteren Risikoübernahmen für die EIB eintreten. Um auf alle Fälle zu vermeiden, dass es durch Risikoeintritt zu negativen Auswirkungen auf die Bonität und die Reputation der EIB sowie auf die Auflage und Durchführung klassisch geförderter Projekte durch die EIB kommt, erscheint es ratsam, den Einsatz des Risikoteilungsinstruments vom Grad der Risikoübernahme durch die EIB auf Basis einer transparenten Darstellung ihrer Risikoübernahme her sinnvoll zu begrenzen. Insbesondere sollte die Risikoübernahme durch die EIB transparent dargestellt (4) und gegebenenfalls eine Begrenzung der Risikoübernahme vorgenommen werden. Diese Maßnahme sollte insbesondere für die neue EU-Haushaltsperiode 2014-2020 nach Auswertung der Erfahrungen während der Pilotphase bezüglich der Fortsetzung des Instruments in Erwägung gezogen werden.

3.4

Die Beurteilung des Vorschlags der EU-Kommission hängt von den jeweiligen politischen Zielen der öffentlichen Hand in Vertretung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger und den finanziellen Interessen der Käufer von Projektanleihen ab. Diese können gleichgerichtet sein, doch auch entgegengesetzt. Der Ausschuss empfiehlt, dass über Chancen und Risiken vor der Auflage des neuen Instruments insbesondere für die Haushaltsperiode 2014-2020 die gesellschaftliche Debatte fortgesetzt und intensiviert wird. Dabei sollten insbesondere die Lehren aus den Erfahrungen mit Projektfinanzierungen und ÖPP-Projekten einfließen.

3.5

Der EWSA weist darauf hin, dass die Umsetzung von Projektfinanzierungen die Rückzahlung der Projektschuld durch projektgebundene Einkünfte nötig macht. Insbesondere wird hierdurch das Thema Nutzerfinanzierung relevant. Während der Energie- und Telekommunikationsbereich bereits heute aufgrund der durchgeführten Liberalisierungen und Privatisierungen durch eine solche Finanzierung gekennzeichnet sind, ist dies im Verkehrsbereich, insbesondere im Falle des motorisierten Individualverkehrs bisher nur in einigen EU-Mitgliedsländern, vor allem auf Autobahnen der Fall. Diese mögliche Konsequenz sollte im Vorfeld der Umsetzung angedachter Verkehrsprojekte im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen Debatte diskutiert werden.

3.6

Der EWSA regt an, dass überlegt werden sollte, die Stückelung von Projektanleihen so zu gestalten, dass auch Kleinsparerinnen und -sparer sich daran beteiligen können und dieses Instrument nicht nur institutionellen Anlegern zur Verfügung steht.

3.7

Ziel der Auflage des geplanten Risikoteilungsinstruments darf nicht nur die Erreichung eines möglichst hohen Hebels zur Mobilisierung zusätzlicher Investitionsmittel aus privaten Quellen sein, sondern es muss darüber hinaus gewährleistet werden, dass politische Entscheidungen und gesellschaftliche Absprachen zur Erreichung nachhaltiger ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele durch das vorgeschlagene Instrument nicht konterkariert werden (5). Die durch Projektanleihen aufgelegten Investitionsprojekte dürfen zum Beispiel nicht darauf beruhen, dass Sozial-, Umwelt- und Qualitätsnormen verletzt werden. Bei der Durchführung von Projekten müssen die Bau- und Instandhaltungsqualität, die ökologische Verträglichkeit und die Einhaltung von Tarifverträgen und des Arbeitsortsprinzips sowie die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, die Förderung der Innovation, die Kostenkalkulation auf Basis der Lebenszykluskosten, die sozialen und ökologischen Bedingungen des Erstellungsprozesses (6) sowie die Gewährleistung der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen mit berücksichtigt werden, solange sie objektiv nachprüfbar sind und aus nichtdiskriminierenden Kriterien bestehen. Vermieden werden müssen unzumutbare Gebührenbelastungen für Nutzerinnen und Nutzer. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die auf die häufige bis tägliche Benutzung einer Verkehrsinfrastruktur angewiesen sind, besonders wenn keine alternativen Infrastrukturen zur Verfügung stehen.

3.8

Aus diesen Anforderungen leitet sich ab, dass der Ausschuss einfordert, dass rechtzeitig vor der politischen Entscheidung zur Einsetzung des Risikoteilungsinstruments für Projektanleihen für die neue EU-Haushaltsperiode 2014-2020 die Evaluierung der Pilotphase der Projektbondinitiative fortgesetzt und auf einer breiten gesellschaftlichen Basis intensiviert werden muss. Hierbei sollten auch die Erfahrungen mit LGTT einfließen. Insbesondere muss Transparenz über die geförderten Projekte, die Mittelzuweisungen und damit induzierte Investitionsströme herrschen, was eine permanente Erfolgskontrolle und ein zeitnahes Monitoring erfordert, um rechtzeitig Schlussfolgerungen ziehen zu können. An der Evaluation beteiligt werden sollten die politischen Entscheidungsträger auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene, die Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft wie aus dem Bereich der Wissenschaft, des Umwelt- und Verbraucherschutzes und sozialer Verbände ebenso wie die Beteiligung des EWSA und des Ausschusses der Regionen. Der europäische Gesetzgeber sollte im Vorfeld der neuen Haushaltsperiode eine Entscheidung treffen. Die aus den Unterlagen der EU-Kommission sich implizit ergebende Evaluierung erst in den Jahren 2016/2017 hält der Ausschuss für zu spät.

3.9

Für Projektfinanzierungen und ÖPP-Projekte, deren Schuldrückzahlung durch öffentliche Zahlungen garantiert wird, bestehen für die öffentliche Hand synonyme finanzielle Verpflichtungen an die Refinanzierung der Investitionsprojekte wie bei klassisch finanzierten Projekten der öffentlichen Auftragsvergabe. Um eine ausreichende Haushaltstransparenz zu gewährleisten, zusätzliche Haushaltsrisiken zu vermeiden sowie falsche Anreize für die Auflage von ÖPP-Projekten zu vermeiden und eine freie Wahl der zuständigen Behörden zwischen ÖPP-Projekten und klassisch finanzierten Projekten zu gewährleisten, wiederholt der EWSA seine Forderung, dass die Verschuldungskriterien für ÖPP-Projekte den Kriterien für Projekte aus der klassischen öffentlichen Auftragsvergabe entsprechen müssen (7).

3.10

Viele Infrastrukturprojekte in den Bereichen Energie und Telekommunikation werden anders als bestimmte Verkehrsprojekte in der EU im Allgemeinen privat finanziert und über Nutzungsentgelte refinanziert, die der Regulierung unterliegen. Dies gilt für die gesamte Netzinfrastruktur. Hier fragt sich der Ausschuss, welche zusätzlichen Projekte der europäische Gesetzgeber im Rahmen des vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumentes anstoßen will, deren Refinanzierung offenbar nicht durch der Regulierung unterliegende Nutzungsentgelte vollständig ermöglicht werden kann. Es bedarf nach Ansicht des Ausschusses für jedes einzelne dieser in Aussicht genommenen Projekte in den Bereichen Energie und Telekommunikation einer detaillierten Begründung, warum es trotz fehlender Refinanzierungsmöglichkeit für die Entwicklung der EU als förderungswürdig erscheint. Eine Kontrolle derartiger Projekte durch den europäischen Gesetzgeber ist unverzichtbar.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Das vorgeschlagene Risikoteilungsinstrument ist ein potenzieller Ausweg aus den von der EU-Kommission dargestellten Problemen unzureichender öffentlicher Investitionsmittel und anlagesuchendem Kapital besonders institutioneller Anleger. Es stellen sich aber auch zahlreiche technische Fragen, die zusätzlich zu den im Kapitel 3 genannten politischen Anforderungen gestellt werden müssen. Der Ausschuss regt dazu an, diese Fragen vor der Auflage des vorgeschlagenen Risikoteilungsinstruments, spätestens aber zur intendierten Einführung in der neuen EU-Haushaltsperiode von 2014-2020 zu klären.

4.2

Insgesamt vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die EIB und der EU-Haushalt nicht nur Risiken absichern, sondern auch an den Gewinnen angemessen beteiligt werden sollten ("fair risk sharing"). Dies sollte durch die systematische Anwendung der Risiko- und Preispolitik der EIB sowie die weiteren hier vorgeschlagenen Maßnahmen zur Begrenzung des Risikos für die EIB gewährleistet werden.

4.3

Auch ist die genaue Rolle der Akteure nicht völlig klar. Unklar ist insbesondere, wer die Rolle der Anleiheversicherer (Monoliners) als einzige Kreditkontrollstelle ersetzt und in welcher Weise dies geschehen soll. In diesem Zusammenhang ist insbesondere unklar, welche Rolle hierbei die EIB spielen soll. Die Entscheidung hierüber soll zukünftigen Vereinbarungen mit den Investoren und einem Vertrag zwischen der EU-Kommission und der EIB vorbehalten bleiben. Der EWSA ruft den europäischen Gesetzgeber dazu auf, spätestens vor der möglichen Weiterführung des Instruments in der neuen EU-Haushaltsperiode 2014-2020 die technischen Details des Risikoregimes und den Umfang der Funktion als Kreditkontrollstelle durch die EIB im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens zu klären, um Sicherheit für die Investoren und die öffentliche Hand zu schaffen. Auf keinen Fall darf das angestrebte Risikoteilungsinstrument dazu führen, dass die Bonität und Reputation der EIB in Gefahr gerät.

4.4

Die Erfahrungen aus den LGTT-Projekten sollten nach dem im Kapitel 3 genannten Kriterien systematisch ausgewertet werden, um Schlussfolgerungen für ein adäquates Projektdesign des Risikoteilungsinstruments für Projektanleihen zu ziehen und um negative Auswirkungen vermeiden zu helfen (8). In diesem Zusammenhang aufgeklärt werden sollten aber auch die unterschiedlichen Einschätzungen, die in der Bewertung von ÖPP-Projekten durch die verschiedenen Akteure vorgenommen wurden.

4.5

Angesichts von positiven, aber auch von zahlreichen negativen Erfahrungen bzw. Risiken im Zuge von Projektfinanzierungen und ÖPP-Projekten in Bezug auf die Dauer der Vertragsverhandlungen, der Komplexität der vertraglichen Bedingungen und Akteursbeziehungen sowie der Unsicherheit von Nachfrageeffekten fragt sich der EWSA, ob es nicht die beste Lösung wäre, die öffentlichen Haushalte mit den erforderlichen Mitteln auszustatten, um Investitionsprojekte im Rahmen der klassischen öffentlichen Auftragsvergabe aufzulegen (9). Der Ausschuss begrüßt in diesem Zusammenhang die Vorschläge der EU-Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer und erinnert in diesem Zusammenhang an seine Unterstützung für die Einführung einer solchen Einnahmequelle für öffentliche Haushalte (10).

4.6

Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass der durch die EU-Kommission festgestellte Investitionsbedarf für die "Connecting Europe Facility" nicht durch die alleinige Ausgabe von Projektanleihen gewährleistet werden kann. Er regt deshalb dazu an, weitere Einnahmequellen für öffentliche Investitionen zu mobilisieren.

Brüssel, den 23. Februar 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Vergleiche auch European Commission, Impact Assessment Board, DG ECFIN – Impact Assessment on a proposal for a regulation on the Europe 2020 Project Bond Initiative, point C 2 (draft version of 15 September 2011) (Ref. Ares(2011)1012531 - 23.09.2011): Hier wird eine transparentere Darstellung der Risiken für die EIB angemahnt.

(2)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Fazilität ‧Connecting Europe‧", Stellungnahme des EWSA zum Thema "Leitlinien für transeuropäische Telekommunikationsnetze", Stellungnahme des EWSA zum Thema "Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes" (Siehe Seite 130 dieses Amtsblatts).

(3)  Vgl. European Investment Bank: Loan Guarantee Instrument for TEN-T Projects – Mid-term Review (2011), Luxembourg 14 July 2011, Seite 4.

(4)  Vergleiche auch European Commission, Impact Assessment Board, DG ECFIN, point C 2, a.a.O. (Angaben in Fußnote 1).

(5)  So hat sich die CER im Rahmen der Konsultation skeptisch zum Einsatz des vorgeschlagenen Risikoteilungsinstruments für den Verkehrsträger Schiene geäußert. Vgl. Stakeholder Consultation on Europe 2020 Projekt Bond Initiative, Response of the European Railway and Infrastructure Companies (CER), 6 May 2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/economy_finance/consultation/written_responses_en.htm.

(6)  Vergleiche auch Stellungnahme des EWSA zum Thema "Europäischer Markt für öffentliche Aufträge", ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 113.

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Private und öffentliche Investitionen", ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 59; vgl. auch House of Commons, Treasury Committee, Private Finance Initiative, Seventeenth Report of Session 2010-2012, London 18 July 2011: In dem Bericht wird darauf verwiesen, dass durch Nichtausweis von PFI-ÖPP-Projekten in der öffentlichen Verschuldung falsche Anreize resultieren, die das Ziel des "Best Value for Money" konterkarieren. Der Vorsitzende des Haushaltsausschuss des britischen Unterhauses Andrew Tyrie (Conservative Party) spricht sich klar für die Einbeziehung in die Verschuldungsregeln aus (vgl. http://www.parliament.uk/business/committees/committees-a-z/commons-select/treasury-committee/news/pfi-report/).

(8)  Vgl. hierzu auch European Investment Bank, a.a.O. (Angaben in Fußnote 3): Hierin werden jedoch zahlreiche der in Kapital 3 genannten Kriterien nicht untersucht.

(9)  Dieser Ansatz einer besten und zweitbesten Lösung geht auch aus der Stellungnahme der Gemeinschaft Europäischer Bahnen und Infrastrukturgesellschaften (CER, Community of European Railway and Infrastructure Companies) im Rahmen der Konsultation des hier untersuchten legislativen Vorschlags hervor. Vgl. CER, a.a.O. (Angaben in Fußnote 5).

(10)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Steuer auf Finanztransaktionen", ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81 und Stellungnahme des EWSA zum Thema "Bericht der de Larosière-Gruppe", ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 57.