22.5.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 143/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (2014-2020)“

COM(2011) 608 final — 2011/0269 (COD)

2012/C 143/09

Berichterstatter: Martin SIECKER

Ko-Berichterstatter: Jean-Pierre HABER

Der Rat beschloss am 24. Oktober 2011 und das Europäische Parlament am 25. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (2014-2020)"

COM(2011) 608 final – 2011/0269 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 9. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 478. Plenartagung am 22./23. Februar 2012 (Sitzung vom 23. Februar) mit 158 gegen 10 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die Kommission einen Vorschlag zur Neuauflage der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) vorgelegt hat. Gleichzeitig ist der Ausschuss jedoch nicht davon überzeugt, dass alle Probleme des Fonds durch die Vorschläge der Kommission ausgeräumt werden. Die Zahl der Anträge auf Unterstützung durch den EGF ist nach wie vor sehr niedrig, und der EWSA ist nicht der Auffassung, dass eine Ausweitung des Fonds auf die Landwirtschaft die richtige Lösung hierfür darstellt. Der Ausschuss empfiehlt vielmehr einige zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Inanspruchnahme des EGF, z.B. durch Senkung der Schwellen und Beschleunigung der Verfahren, da das Instrument als solches in den Fällen, in den es zum Einsatz kam, relativ gute Ergebnisse erzielt hat.

1.2

Einer der Gründe für die unzureichende Inanspruchnahme ist das langsame und bürokratische Verfahren des EGF aufgrund seines spezifischen Charakters. Die Kommission kann nicht ohne Rücksprache mit dem Europäischen Parlament und dem Rat entscheiden. Wenn jedoch die Haushaltsbehörde beteiligt ist, sind äußerst zeitaufwendige Verfahren erforderlich für die Bewilligung aller eingereichten Anträge, mit hohen Verwaltungskosten für die Bewilligung, die anderweitig besser genutzt werden könnten.

1.3

Der EWSA empfiehlt, die Schwelle von 500 Entlassungen auf 200 Entlassungen als Interventionskriterium zu senken. Er empfiehlt auch, die Quote der Kofinanzierung durch die EU auf 75% zu erhöhen, um die Inanspruchnahme des EGF weiter zu verbessern. Der EWSA begrüßt des Weiteren die Tatsache, dass der Ausdruck "Arbeitskraft" nunmehr auch Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag und Leiharbeitnehmer umfasst. Der EWSA begrüßt ebenfalls die vorgesehene Ausdehnung auf Selbstständige. Sie sind wesentliche und wichtige Akteure des Arbeitsmarkts und gehören zu den von den Folgen von Globalisierung und Wirtschaftskrisen am ersten betroffenen Gruppen. Der EGF war hingegen niemals zur Unterstützung von Arbeitgebern gedacht, und deshalb lehnt es der EWSA ab, den EGF auf geschäftsführende Inhaber von KMU auszudehnen. Die GD Unternehmen verfügt eigens über eine Abteilung, die sich mit KMU-Politik mitsamt umfangreichen Unterstützungsprogrammen befasst. Der EGF sollte nicht mit diesen Programmen in Konflikt geraten.

1.4

Der EWSA schlägt zwei weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des EGF vor: Erstens könnten die KMU durch eine groß angelegte Informationskampagne über die Möglichkeiten des EGF informiert werden; zweitens könnten die Sozialpartner schon von Anfang an in die Antragsverfahren des Fonds einbezogen werden. Auch möchte der EWSA seine Verwunderung über die Entscheidung des Rats vom Dezember 2011 zum Ausdruck bringen, die Möglichkeit der Inanspruchnahme des EGF bei der Bekämpfung unerwarteter sozialer Auswirkungen der Wirtschaftskrise in den beiden letzten Jahren der gegenwärtigen Laufzeit des Fonds (2012 und 2013) zurückzuziehen – zumal aus der Übersicht über die Anträge ersichtlich ist, dass der Fonds in diesem Bereich leistungsfähig ist. Der EWSA appelliert daher an den Rat, diese Entscheidung zu überdenken, und befürwortet ganz klar die Verlängerung des Fonds von 2014 bis 2020.

1.5

Der EWSA ist nicht mit dem Vorschlag einverstanden, den EGF auf die Landwirtschaft auszuweiten. Er anerkennt gleichwohl, dass für den Sektor etwas getan werden muss, wenn künftige Handelsabkommen wie z.B. der Mercosur-Vertrag in Kraft treten. Der Mercosur wird zwar der EU insgesamt voraussichtlich Vorteile bieten, aber innerhalb der EU werden diese der Industrie und den Dienstleistungen zugute kommen, wohingegen die Landwirtschaft zur Kasse gebeten wird. Die Kommission geht davon aus, dass künftige Handelsabkommen sich möglicherweise ebenso auswirken. Es ist gerecht, die Landwirtschaft für solche Nachteile zu entschädigen, aber das sollte mittels für den Sektor maßgeschneiderten Lösungen erfolgen, z.B. im Rahmen der Strukturfonds in Verbindung mit der Gemeinsamen Agrarpolitik. Der EWSA fordert, dass der EGF, der gegründet wurde, um gekündigte Arbeitnehmer bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, auch weiterhin für diesen Zweck reserviert bleibt.

1.6

Der EWSA setzt sich dafür ein, dass der Fonds in Krisenzeiten beibehalten wird und insbesondere bei der Verlagerung von Industriestandorten innerhalb der Europäischen Union genutzt werden kann.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1

Die Europäische Kommission legte im März 2006 einen Vorschlag zur Einrichtung eines Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) vor. Ziel war es, einmalige spezifische Unterstützungsmaßnahmen bereitstellen, um die Wiedereingliederung von entlassenen Arbeitnehmern in das Erwerbsleben in bestimmten Gebieten oder Sektoren zu erleichtern, die unter einer schwerwiegenden Störung der Wirtschaftsentwicklung zu leiden haben, wie z.B. Verlagerung von Arbeitsplätzen in Drittländer, eine massive Ausdehnung der Einfuhren oder der andauernde Verlust von Marktanteilen der EU in einer bestimmten Branche. Das Hauptkriterium für die Unterstützung durch den EGF war der Tatbestand von mindestens 1 000 Entlassungen in einem Unternehmen oder einem Konzern in der gleichen Branche in einer Region oder in zwei aneinandergrenzenden Regionen.

2.2

Der EGF wurde für den Zeitraum von 2007-2013 eingerichtet und umfasste Maßnahmen wie Umschulung, Unterstützung zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes, Unterstützung bei Unternehmensgründungen und Lohnergänzungsleistungen. Der EGF interveniert auf Anfrage eines Mitgliedstaats. Der von der EU bezahlte Betrag durfte nicht 50% der voraussichtlichen Gesamtkosten sämtlicher von dem Mitgliedstaat geplanten Maßnahmen übersteigen. Aufgrund der Wirtschaftskrise wurden 2009 die Kriterien für eine Unterstützung durch den EGF angepasst. Die Schwelle bezüglich der Entlassungen wurde von 1 000 auf 500 gesenkt und der Finanzierungsanteil der EU bei EGF-Projekten von 50% auf 65% angehoben.

2.3

Die Europäische Kommission legte im Oktober 2011 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vor, um den EGF im Programmzeitraum 2014-2020 fortzuführen. Es soll ein Beitrag zu den Zielen der Strategie Europa 2020 geleistet und die Unterstützungen auf die Landwirtschaft ausgeweitet werden. Um sicherzustellen, dass die Unterstützung durch den EGF den Arbeitskräften unbeschadet ihres Arbeitsvertrags oder Beschäftigungsverhältnisses zuteil wird, wurde der Begriff "Arbeitskraft" ausgeweitet und umfasst nun nicht nur Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsvertrag, sondern auch Arbeitnehmer mit befristetem Vertrag, Leiharbeitnehmer und geschäftsführende Inhaber von Kleinst-, Klein- und mittleren Unternehmen sowie Selbstständige einschließlich Landwirte. Die Beteiligung der EU an EGF-Projekten beträgt zwischen 50 und 65%.

2.4

Die Kommission schlägt vor, dass der EGF aufgrund der Unvorhersehbarkeit und Dringlichkeit der Umstände, unter denen der EGF intervenieren muss, auch weiterhin vom mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) ausgenommen ist. Die Ausgaben auf EU-Ebene sollten ergebnisorientiert sein. Für EGF-bezogene Ausgaben gibt der MFR das Ziel vor, dass mindestens 50% der unterstützten Arbeitskräfte innerhalb von 12 Monaten einen neuen und festen Arbeitsplatz finden sollten. Damit die Kommission feststellen kann, ob die Mitgliedstaaten erfolgreich auf dieses Ziel hinarbeiten, werden die Mitgliedstaaten nach 15 Monaten einen Zwischenbericht vorlegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EGF wurde als eine Art Soforthilfeinstrument eingerichtet, um der EU eine rasche und flexible Reaktion zur Unterstützung von Arbeitnehmern zu ermöglichen, die Aufgrund der Globalisierung arbeitslos wurden. Für den gesamten siebenjährigen Zeitraum von 2007-2013 standen für den EGF 3,5 Mrd. EUR zur Verfügung. In den ersten fünf Jahren (von 2007-2011) wurden von den insgesamt für diesen Zeitraum verfügbaren 2,5 Mrd. EUR nur 364 Mio. EUR verwendet. Die Hauptgründe für die geringe Verwendung des EGF liegen in den langsamen und schwerfälligen Verwaltungsverfahren, in der hohen Schwelle von 1 000 Entlassungen und dem niedrigen Kofinanzierungssatz von 50%. Die Verwendung verbesserte sich 2009, nachdem die Quote der maximalen Kofinanzierung durch die EU – in bestimmten Fällen – auf 65% angehoben wurde und auch Anträgen stattgegeben wurde, die sich nicht nur auf die Bewältigung der Folgen der Globalisierung, sondern auch der Wirtschaftskrise bezogen.

3.2

Nach diesen Anpassungen stieg die Inanspruchnahme des EGF von acht Anträgen in 2007 und fünf in 2008 auf 29 in 2009 und 2010. Im Jahr 2011 wurde acht Anträgen stattgegeben, weitere 18 werden noch geprüft. Der EGF wurde mehr für die Bekämpfung der Krisenfolgen als zur Abfederung der Globalisierungsfolgen eingesetzt: in drei Jahren gab es 53 Anträge im Rahmen der Krisenbewältigung (von der Ausweitung des EGF in 2009, um die Krisenfolgen mit zu berücksichtigen, bis November 2011) gegenüber 26 Anträge in Bezug auf die Globalisierung in fünf Jahren. Die 53 krisenbezogenen Anträge betrafen 48 607 Arbeitskräfte und die 26 globalisierungsspezifischen Anträge 28 135 Arbeitskräfte, sodass insgesamt 76 742 bei der Erhaltung ihrer Beschäftigungsfähigkeit unterstützt wurden.

3.3

Bei der Halbzeitbewertung des EGF wurde auf der Grundlage der 15 für den Zeitraum von 2007-2009 damals zur Verfügung stehenden Abschlussberichte untersucht, wie viele betroffene Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres wieder eine Stelle gefunden hatten. Die Wiederbeschäftigung lag durchschnittlich bei 41,8%. Die Wiederbeschäftigungsquote überstieg die 50%-Marke in 6 von 15 der ersten, durch den EGF kofinanzierten Fälle, wohingegen sie in 9 von 15 Fällen unterhalb der Zielmarke blieb. Die Ergebnisse bei der Wiederbeschäftigung weisen starke Unterschiede auf: von der sehr hohen Quote von 78,2% in einem Fall in Deutschland zu wesentlich geringeren Quoten von 4-6% bei Fällen in Portugal, Spanien und Italien. Es wäre zu überlegen, ob ein Teil der Hilfen nicht an die Ergebnisse der Unterstützung gebunden werden sollte, um so vergleichbare Raten der Wirksamkeit der Hilfe zu erreichen. Mittelfristig (12 Monate und mehr nach dem Auslaufen der Unterstützung durch den EGF) stieg die Wiederbeschäftigungsquote bei der Mehrzahl der Fälle (für die Informationen vorliegen) an – trotz der Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf die lokale Wirtschaft. Die Wiederbeschäftigungsquote nach einer Förderung durch den EGF stieg im Zeitablauf in 8 Fällen an und nahm in 3 Fällen ab. Im Schnitt stieg die Wiederbeschäftigungsquote in diesen Fällen um 7% an. Die generelle Schlussfolgerung, dass abgesehen von der geringen Inanspruchnahme des Fonds die Ergebnisse gut sind, scheint gerechtfertigt zu sein.

3.4

Was nicht untersucht wurde ist der dritte Grund für die geringe Inanspruchnahme des EGF, und zwar die Tatsache, dass der Fonds über kein eigenes Budget verfügt. Die Haushaltsbehörde, d.h. das Europäische Parlament und der Rat, hat demnach über jeden einzelnen Antrag zu befinden und die Förderwürdigkeit festzustellen. Trotz der Tatsache, dass dieses Modell – eine Einrichtung außerhalb der bestehenden Strukturen der EU – eine rasche und flexible Reaktion ermöglichte, sind die einzuhaltenden Verwaltungsverfahren aus Gründen der Exaktheit sehr zeitaufwendig und umständlich. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kosten für die Genehmigung hoch sind – wie z.B. für die Übersetzung in 22 Sprachen, die Räumlichkeiten und die Unterlagen für die Verhandlungen, die Zeit der Teilnehmer, die Verdolmetschung – und dies alles in den einzelnen Etappen des Genehmigungsverfahrens. Sämtliche Anträge wurden genehmigt, und es darf gefragt werden, ob die Ausgaben für die Genehmigungsverfahren nicht besser zu Gunsten der betroffenen Arbeitnehmer getätigt werden sollten. Der Vorteil des derzeitigen EGF-Verfahrens liegt in der großen Transparenz und der Sichtbarkeit des Engagements der EU bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. Wenngleich Transparenz und Öffentlichkeitswirkung von größter Bedeutung sind, ist es jedoch erforderlich, das Verfahren zu beschleunigen und die Kosten zu senken.

3.5

Im Vorschlag und den begleitenden Dokumenten (1) werden weitere Optionen erwähnt: die Einbindung des EGF in den ESF oder die Fortführung des EGF als eigenständiger Fonds mit eigenen Haushaltsmitteln. Beide Optionen haben ihre Vor- und Nachteile. Der Hauptnachteil bei einer Einbindung des EGF in den ESF ist die Notwendigkeit einer eindeutigen Zuweisung von Haushaltsmitteln ungeachtet der Tatsache, dass sich Massenentlassungen nicht planen und programmieren lassen. Eindeutige Vorteile wären die stärkere Kohärenz und Komplementarität mit dem ESF, die mögliche Verkürzung des Beschlussfassungsprozesses und die Vereinfachung und Straffung der Antragsverfahren. Option 3 – die Fortführung des EGF als eigenständige Einrichtung mit eigenen Haushaltsmitteln – hat bei einer Reihe von Nachteilen lediglich nur einen Vorteil: die größere Sichtbarkeit der europäischen Solidarität.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Zunächst möchte der EWSA seine Verwunderung über die Entscheidung des Rates vom Dezember 2011 zum Ausdruck bringen, die Möglichkeit der Inanspruchnahme des EGF bei der Bekämpfung unerwarteter sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise zurückzuziehen, wo doch Soforthilfe in den beiden letzten Jahren der gegenwärtigen Laufzeit des Fonds (2012 und 2013) erforderlich ist. Der Überblick über die bis zum 17. November 2011 eingegangenen Anträge auf EGF-Beihilfen zeigt sehr deutlich, dass der Fonds in diesem Bereich relativ leistungsfähig ist – und hinsichtlich des ursprünglichen Ziels der Abfederung von Globalisierungsfolgen weniger gut funktioniert. Der EWSA fordert folglich den Rat auf, die Inanspruchnahme des EGF zur Bekämpfung der Krisenfolgen zu gestatten, solange die Krise noch nicht vorüber ist. Der EWSA möchte mit aller Deutlichkeit klarstellen, dass er es wünscht, dass der um die Bekämpfung der Krisenfolgen erweiterte Anwendungsbereich des EGF bei der Neuauflage beibehalten wird und die Schwellen für eine Inanspruchnahme weiter gesenkt werden.

4.2

Obwohl die Zahl der Anträge nach 2008 gestiegen ist, ist die Inanspruchnahme des EGF nach wie vor sehr gering. Daher ist es logisch, die Schwellen für Anträge auf EGF-Beihilfen stärker als vorgeschlagen zu senken. In den vorläufigen Ergebnissen der Halbzeitbewertung des EGF wird im Zusammenhang mit der Senkung der Schwelle der Entlassungen von 1 000 auf 500 festgehalten, dass diese gesenkte Zahl unter bestimmten Umständen immer noch zu hoch ist, da auch ein Verlust von 200 bis 300 Arbeitsplätzen in einem bestimmten lokalen und regionalen Umfeld einen erheblichen Schock auslösen konnte. Die bestehende Schwelle von 500 Arbeitnehmern ist eventuell immer noch zu hoch, wenn bestimmte laufende Prozesse der Verlagerung von Arbeitsplätzen und der Ausgliederung (Outsourcing) berücksichtigt werden. Der EWSA empfiehlt deshalb, diese Schwelle auf 200 Arbeitskräfte zu senken.

4.3

Der EWSA schlägt zwei weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des EGF vor: KMU sind im Allgemeinen zu klein und verfügen über zu wenig Ressourcen, um sich über die Möglichkeiten der Hilfen, die die EU unter bestimmten Umständen gewährt, auf dem Laufenden zu halten. Möglicherweise ringen viele KMU mit Problemen, für die der EGF eine Lösung bereithalten würde, jedoch wissen sie noch nicht einmal von der Existenz dieses Fonds und können ihn demnach auch nicht nutzen. Der EWSA geht von einem enormen Potenzial aus, das erschlossen werden könnte, wenn geschäftsführende Inhaber von KMU mit einer groß angelegten Informationskampagne über die Möglichkeiten des EGF informiert würden. Eine weitere Idee, die eine positive Wirkung auf die Leistungsfähigkeit des EGF haben könnte, wäre die Einbeziehung der Sozialpartner in die Antragsverfahren des Fonds schon von Anfang an.

4.4

Die bislang durchgeführte Evaluierung weist darauf hin, dass sich die größten Vorbehalte der Mitgliedstaaten in der ersten Phase des EGF teilweise auf den hohen Satz der beizusteuernden Eigenmittel beziehen. Aus diesem Grund wurden die Anteile 2009 verändert, mit anscheinend positiver Wirkung. Da die gegenwärtige Krise immer noch entschlossene aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erfordert, legt der EWSA nahe, die Quote der Kofinanzierung durch die EU auf 75% anzuheben, um die Nutzung des EGF zu verbessern.

4.5

Die Kommission schlägt vor, das bisherige Modell des EGF als Kriseninterventionsinstrument außerhalb des MFR beizubehalten. Der Nachteil dabei liegt in den langsamen und langwierigen Verwaltungsverfahren. Der bürokratische Aufwand ist auf Engpässe – teils in Brüssel und teils in den Mitgliedstaaten – zurückzuführen. Der EWSA fordert die Kommission auf, eine Lösung für diese Engpässe zu finden, damit das Verfahren flexibler und schneller und von potenziellen Antragstellern nicht mehr als Hemmschwelle wahrgenommen wird. So werden Anträge z.B. von den Regionen gestellt, diese müssen aber auf nationaler Ebene behandelt werden. Dadurch wird das Verfahren erheblich verlangsamt, und eine Überarbeitung dieser Verfahren könnte zu erheblichen Effizienzgewinnen führen.

4.6

Der EWSA begrüßt, dass der Ausdruck "Arbeitskraft" in der neuen Verordnung nicht auf Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsvertrag begrenzt wird, sondern auch Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag und Leiharbeitnehmer umfasst. Der EWSA hegt mehr Vorbehalte in Bezug auf die Aufnahme von Selbstständigen. Der EGF wurde als flexibles Instrument zur Förderung von Arbeitnehmern eingerichtet, die durch die Globalisierung ihren Arbeitsplatz verloren haben. Der Status von Selbstständigen unterscheidet sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat ganz erheblich und reicht von hochqualifizierten, am Arbeitsmarkt gesuchten Fachleuten über wirtschaftlich abhängige Selbstständige, die sich de facto in der gleichen Lage wie Angestellte befinden, bis hin zu Einmannunternehmen. Ein großer Teil dieser Selbstständigen bilden einen maßgeblichen Teil des Arbeitsmarkts. Selbstständige bekommen mitunter als erste die Folgen von Globalisierung und Wirtschaftskrisen zu spüren. Daher regt der EWSA an, den EGF auf diese Arbeitsmarktteilnehmer auszudehnen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern und eine bessere Nutzung des Fonds zu fördern.

4.7

Hinsichtlich der geschäftsführenden Inhaber von KMU bleibt der EWSA skeptisch. Geschäftsführende Inhaber von KMU beschäftigen Arbeitnehmer und sind somit als Arbeitgeber anzusehen, die jedoch keine Förderung aus dem EGF erhalten können, weil dieses Instrument Arbeitnehmern vorbehalten ist, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die Unterstützung für die betroffenen Unternehmen könnte leicht zu einer Verzerrung des Wettbewerbs mit anderen KMU führen. Beihilfen des EGF für diese Gruppe würden sich mit den Maßnahmen der GD Unternehmen für KMU überschneiden, die ein breites Angebot von Programmen für Aus- und Weiterbildung und Innovation bereitstellt. Deshalb ist der EWSA der Auffassung, dass KMU als solche nicht für EGF-Beihilfen in Betracht kommen. Allerdings sind die Arbeitnehmer dieser KMU dann umfasst, wenn sie ihre Arbeit aufgrund unerwarteter Folgen der Globalisierung verlieren und die sonstigen Förderbedingungen des EGF erfüllen.

4.8

Der EWSA ist nicht damit einverstanden, den EGF auf Landwirte auszudehnen. Die Kommission rechtfertigt ihren Vorschlag, dass bis zu mehr als 80% der EGF-Mittel für Agrarbetriebe verwendet werden sollen, mit einem Verweis auf die Verhandlungen über künftige Handelsabkommen. Die EU hat bereits berechnet, dass Verträge wie der Mercosur-Vertrag zwischen der EU und einigen lateinamerikanischen Ländern für die EU insgesamt von Vorteil sein werden, aber dass innerhalb der EU vorwiegend die Industrie und der Dienstleistungssektor davon profitieren werden, wohingegen die Landwirtschaft Nachteile haben wird. Viele solcher künftiger Abkommen werden voraussichtlich die gleiche Wirkung haben.

4.9

Im Vorschlag heißt es, dass der EGF "einmalige Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitnehmer (…), die infolge des durch die zunehmende Globalisierung von Produktion und Handelsströmen ausgelösten tiefgreifenden strukturellen Wandels ihren Arbeitsplatz verloren haben" leisten soll. Im gleichen Absatz fügt die Kommission hinzu, "dass die EU mit dem EGF auch in der Lage sein sollte, bei Massenentlassungen infolge schwerwiegender wirtschaftlicher Störungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene Unterstützung zu leisten, die aufgrund einer unvorhergesehenen Krise aufgetreten sind. Außerdem soll der EGF-Interventionsbereich ausgedehnt werden, um Landwirten in Fällen, in denen sich der Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse durch den Abschluss von Handelsabkommen durch die EU verändert hat, eine vorübergehende Unterstützung zur Erleichterung der Anpassung an die neue Marktlage zu gewähren."

4.10

Wichtige Gründe sprechen dagegen, den Anwendungsbereich des EGF auf die Landwirtschaft auszudehnen. Die Probleme, mit denen die Landwirtschaft infolge dieser Handelabkommen zu kämpfen haben wird, sind struktureller Natur. Denn kommende Verträge werden voraussichtlich die gleichen Folgen haben, der EGF ist jedoch nur ein zeitlich befristetes Instrument. Überdies dauert die Aushandlung von Handelsabkommen wie der Mercosur-Vertrag im Allgemeinen mehrere Jahre, sodass nicht von "schwerwiegenden wirtschaftlichen Störungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene (…), die aufgrund einer unvorhergesehenen Krise aufgetreten sind" gesprochen werden kann. Vielmehr werden schwerwiegende wirtschaftliche Störungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene auftreten, die durch bewusste und sorgfältig vorbereitete Maßnahmen der Europäischen Union herbeigeführt werden. Es steht außer Frage, dass die Landwirtschaft für diese Lasten zu entschädigen ist. Aber dies sollte im Rahmen eines speziell für die Landwirtschaft konzipierten Instruments erfolgen. Der EWSA fordert, dass der EGF, der gegründet wurde, um gekündigte Arbeitnehmer bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, auch weiterhin für diesen Zweck reserviert bleibt.

Brüssel, den 23. Februar 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  SEC(2011) 130, 1131 und 1133 final.