24.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 45/7


Mitteilung der Kommission — Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2009/C 45/02)

I.   EINLEITUNG

1.

Artikel 82 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nachstehend „Artikel 82“ genannt) untersagt die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Nach einschlägiger Rechtsprechung verstößt die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens nicht als solche gegen das Wettbewerbsrecht, so dass es durchaus zulässig ist, das ein marktbeherrschendes Unternehmen am Markt als Wettbewerber auftritt. Dieses Unternehmen trägt jedoch eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten den wirksamen unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt. Artikel 82 ist die Rechtsgrundlage für ein zentrales Element der Wettbewerbspolitik, und seine wirksame Durchsetzung ermöglicht ein besseres Funktionieren der Märkte, was letztlich den Unternehmen und Verbrauchern zugute kommt. Dies ist für die Verwirklichung eines integrierten Binnenmarkts von besonderer Bedeutung.

II.   ZWECK DIESER MITTEILUNG

2.

In dieser Mitteilung wird erläutert, welche Prioritäten die Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch Unternehmen in marktbeherrschender Stellung setzt. In Ergänzung zu den einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen der Kommission soll dieses Dokument mehr Klarheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf den allgemeinen Prüfungsrahmen schaffen, anhand dessen die Kommission entscheidet, ob sie Fälle, in denen die ein oder andere Form eines Behinderungsmissbrauchs vorliegt, verfolgt. Zugleich soll es den Unternehmen als Hilfestellung dienen, damit diese besser einschätzen können, ob ein bestimmtes Verhalten ein Tätigwerden der Kommission nach Artikel 82 auslösen könnte.

3.

Die vorliegende Mitteilung soll keine Aussage über die Rechtslage treffen und greift der Auslegung des Artikels 82 durch den Europäischen Gerichtshof oder das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften nicht vor. Die Kommission hat außerdem trotz des in diesem Dokument ausgeführten allgemeinen Rahmens die Möglichkeit, eine Beschwerde abzulehnen, wenn sie der Auffassung ist, dass der betreffende Fall aus anderen Gründen (z. B. fehlendes Gemeinschaftsinteresse) nicht prioritär zu behandeln ist.

4.

Artikel 82 gilt für Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren relevanten Märkten innehaben. Eine marktbeherrschende Stellung kann entweder von einem einzigen Unternehmen (alleinige marktbeherrschende Stellung) oder aber von zwei oder mehreren Unternehmen (kollektive marktbeherrschende Stellung) eingenommen werden. Die vorliegende Mitteilung behandelt ausschließlich Missbräuche von Unternehmen, die eine alleinige marktbeherrschende Stellung innehaben.

5.

Bei der Anwendung von Artikel 82 auf Behinderungsmissbräuche von Unternehmen in marktbeherrschender Stellung wird sich die Kommission auf diejenigen missbräuchlichen Verhaltensweisen konzentrieren, die den Verbrauchern am meisten schaden. Wettbewerb kommt den Verbrauchern in Form niedrigerer Preise, höherer Qualität und eines größeren Angebots an neuen oder verbesserten Waren und Dienstleistungen zugute. Deshalb wird die Kommission bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts darauf achten, dass die Märkte reibungslos funktionieren und die Verbraucher von der Effizienz und Produktivität profitieren, die ein wirksamer Wettbewerb zwischen Unternehmen hervorbringt.

6.

Mit ihrem Vorgehen im Falle von Behinderungsmissbrauch will die Kommission in erster Linie den Wettbewerbsprozess im Binnenmarkt schützen und sicherstellen, dass Unternehmen in marktbeherrschender Stellung ihre Wettbewerber nicht durch andere Mittel als die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte bzw. Dienstleistungen vom Markt ausschließen. Dabei geht es der Kommission vor allem darum, den Wettbewerbsprozess und nicht einfach die Wettbewerber zu schützen. Dies kann durchaus bedeuten, dass Wettbewerber, die den Verbrauchern in Bezug auf Preise, Auswahl, Qualität und Innovation weniger zu bieten haben, aus dem Markt ausscheiden.

7.

Unmittelbar verbraucherschädigendes Verhalten (z. B. unverhältnismäßig hohe Preise oder Verhaltensweisen, die die Bemühungen um einen integrierten Binnenmarkt untergraben) verstößt ebenfalls gegen Artikel 82. Die Kommission kann entscheiden, im Falle eines solchen Verhaltens tätig zu werden, und zwar insbesondere dann, wenn der Schutz der Verbraucher und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes ansonsten nicht angemessen gewährleistet werden können. In ihrem Bemühen um Vorlage von Erläuterungen zu ihren Durchsetzungsprioritäten beschränkt sich die Kommission in dieser Phase auf den Behinderungsmissbrauch und dabei insbesondere auf jene Praktiken, die erfahrungsgemäß auf häufigsten auftreten.

8.

Bei der Anwendung der in dieser Mitteilung erläuterten allgemeinen Durchsetzungsgrundsätze berücksichtigt die Kommission die Tatsachen und Umstände des jeweiligen Einzelfalls. So trägt die Kommission zum Beispiel in Fällen, die regulierte Märkte betreffen, in ihrer wettbewerbsrechtlichen Würdigung dem jeweiligen Regulierungsumfeld Rechnung (1). Die Kommission kann deshalb den in dieser Mitteilung erläuterten Ansatz in dem Maße anpassen, das im jeweiligen Fall vernünftig und zweckmäßig erscheint.

III.   ALLGEMEINER ANSATZ FÜR DAS VORGEHEN BEI BEHINDERUNGSMISSBRAUCH

A.   Marktmacht

9.

Ein erster Schritt bei der Anwendung von Artikel 82 ist die Prüfung der Frage, ob es sich im betreffenden Fall um ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung handelt und wie groß die Marktmacht dieses Unternehmens ist. Nach einschlägiger Rechtsprechung trägt ein Unternehmen aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung eine besondere Verantwortung, deren Reichweite in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der besonderen Umstände berücksichtigt werden muss (2).

10.

Eine marktbeherrschende Stellung ist im Gemeinschaftsrecht definiert als die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztendlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (3). Diese Unabhängigkeit steht in direktem Verhältnis zur Intensität des Wettbewerbsdrucks, der auf das marktbeherrschende Unternehmen ausgeübt wird. Marktbeherrschung ist ein Zeichen dafür, dass dieser Wettbewerbsdruck nicht ausreichend wirksam ist, so dass das marktbeherrschende Unternehmen über einen bestimmten Zeitraums über erhebliche Machtmacht verfügt. Dies bedeutet wiederum, dass das beherrschende Unternehmen bei seinen Entscheidungen keine Rücksicht auf Vorgehen und Reaktionen der Wettbewerber, Abnehmer und letztlich auch der Verbraucher nehmen muss. Selbst wenn ein gewisser tatsächlicher oder potenzieller Restwettbewerb verbleibt, kann die Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass im Grunde kein Wettbewerbsdruck besteht (4). Im Allgemeinen kann eine marktbeherrschende Stellung aus einer Kombination verschiedener Faktoren abgeleitet werden, die für sich alleine genommen nicht notwendigerweise ausschlaggebend sind (5).

11.

Die Kommission ist der Auffassung, dass ein Unternehmen, das über einen längeren Zeitraum seine Preise gewinnbringend auf ein Niveau über dem Wettbewerbspreis erhöhen kann, keinem ausreichend wirksamen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist und somit im Allgemeinen als marktbeherrschend betrachtet werden kann (6). In dieser Mitteilung beinhaltet die Formulierung „Preise erhöhen“ auch die Fähigkeit, Preise auf einem Niveau über dem Wettbewerbspreis zu halten, und bezieht sich als Kürzel auf die verschiedenen Arten und Weisen, wie Wettbewerbsparameter (z. B. Preis, Output, Innovation oder Angebot und Qualität der Waren bzw. Dienstleistungen) zugunsten des marktbeherrschenden Unternehmens und zum Schaden der Verbraucher beeinflusst werden können (7).

12.

Bei der Prüfung auf Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung wird der Wettbewerbsstruktur des Marktes Rechnung getragen, wobei insbesondere die folgenden Faktoren berücksichtigt werden:

Wettbewerbsdruck aufgrund bereits bestehender Lieferungen von vorhandenen Wettbewerbern und deren Marktstellung (Markstellung des marktbeherrschenden Unternehmens und seiner Wettbewerber),

Wettbewerbsdruck aufgrund der drohenden Expansion bereits vorhandener Wettbewerber oder des drohenden Markteintritts potenzieller Wettbewerber (Expansion und Markteintritt),

Wettbewerbsdruck aufgrund der Verhandlungsstärke der Abnehmer (Nachfragemacht).

a)   Marktstellung des marktbeherrschenden Unternehmens und seiner Wettbewerber

13.

Ein erster aufschlussreicher Indikator für die Marktstruktur und die relative Bedeutung der auf dem Markt tätigen Unternehmen sind die Marktanteile (8), die die Kommission allerdings unter Berücksichtigung der jeweiligen Marktbedingungen und insbesondere der Dynamik auf dem betreffenden Markt und des Umfangs der Produktdifferenzierung interpretiert. Bei volatilen oder Ausschreibungsmärkten kann auch der längerfristige Trend bzw. die Entwicklung der Markanteile berücksichtigt werden.

14.

Geringe Marktanteile sind nach Auffassung der Kommission in der Regel ein zuverlässiger Indikator für die Abwesenheit erheblicher Marktmacht. Erfahrungsgemäß ist eine Marktbeherrschung unwahrscheinlich, wenn ein Unternehmen weniger als 40 % des relevanten Marktes einnimmt. Dennoch kann unter bestimmten Umständen der Fall eintreten, dass Wettbewerber (z. B. aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten) nicht in der Lage sind, das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens wirksam einzuschränken, selbst wenn dessen Marktanteil weniger als 40 % beträgt. Auch diese Fälle müssen unter Umständen von der Kommission untersucht werden.

15.

Je höher der Marktanteil und je länger dieser Marktanteil gehalten wird, desto wahrscheinlicher ist dies erfahrungsgemäß ein erstes Anzeichen für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung und unter bestimmten Umständen für schwerwiegende Folgen eines missbräuchlichen Verhaltens, die ein Tätigwerden der Kommission nach Artikel 82 erfordern (9). Generell gilt jedoch, dass die Kommission erst dann endgültig entscheidet, ob Anlass für ein Tätigwerden besteht, wenn sie alle Faktoren untersucht hat, die ausreichen könnten, um das Verhalten des Unternehmens einzuschränken.

b)   Expansion oder Markteintritt

16.

Wettbewerb ist ein dynamischer Prozess, so dass sich eine Beurteilung des auf ein Unternehmen ausgeübten Wettbewerbsdrucks nicht alleinig auf die bestehende Marktlage stützen kann. Die potenziellen Auswirkungen der tatsächlichen oder drohenden Expansion vorhandener Wettbewerber bzw. von tatsächlichen oder drohenden Markteintritten müssen ebenfalls in die Beurteilung einfließen. Ein Unternehmen kann davon abgehalten werden, seine Preise zu erhöhen, wenn die Expansion bzw. der Markteintritt eines Wettbewerbers wahrscheinlich, absehbar und ausreichend ist. Die Kommission betrachtet eine Expansion bzw. einen Markteintritt als wahrscheinlich, wenn ein solches Verhalten für den betreffenden Wettbewerber bzw. den neuen Marktteilnehmer hinreichende Gewinne verspricht. Dabei berücksichtigt sie Faktoren wie Expansions- und Markteintrittshindernisse, die voraussichtlichen Reaktionen des mutmaßlich marktbeherrschenden Unternehmens und anderer Wettbewerber sowie das Risiko eines Scheiterns und die damit verbundenen Kosten. Damit eine Expansion bzw. ein Markteintritt als absehbar betrachtet werden kann, muss dieser Schritt so zügig erfolgen, dass die Ausübung erheblicher Marktmacht uninteressant bzw. unmöglich gemacht wird. Expansion bzw. Markteintritt können als ausreichend betrachtet werden, wenn sie nicht nur in geringem Umfang, z. B. in einer Marktnische, erfolgen, sondern vielmehr in so großem Umfang stattfinden, dass jeglichen etwaigen Versuchen des vermeintlich marktbeherrschenden Unternehmens, die Preise auf dem relevanten Markt zu erhöhen, entgegengewirkt wird.

17.

Expansions- bzw. Markteintrittshindernisse können verschiedenste Formen haben. Es kann sich um rechtliche Hindernisse wie Zölle und Kontingente handeln, aber auch um Vorteile, die besonders dem marktbeherrschenden Unternehmen zugute kommen (z. B. Größen- und Verbundvorteile, bevorzugter Zugang zu Inputs und Rohstoffen, wichtige Technologien (10) oder ein etabliertes Vertriebs- und Absatznetz) (11). Auch Kosten und andere Hemmnisse (z. B. infolge von Netzeffekten), die Abnehmer in Kauf nehmen müssen, wenn sie zu einem neuen Lieferanten wechseln, stellen Expansions- bzw. Markteintrittshindernisse dar. Das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens selbst kann ebenfalls ein Markteintrittshindernis darstellen, unter anderem dann, wenn das marktbeherrschende Unternehmen erhebliche Investitionen getätigt hat, mit denen neue Marktteilnehmer oder Wettbewerber mithalten müssten (12), oder wenn die vom marktbeherrschenden Unternehmen mit seinen Abnehmern geschlossenen langfristigen Verträge zu einer spürbaren Marktverschließung führen. Anhaltend hohe Marktanteile können auf die Existenz von Markteintritts- und Expansionshindernissen hindeuten.

c)   Nachfragemacht der Abnehmer

18.

Wettbewerbsdruck kann nicht nur von vorhandenen oder potenziellen Wettbewerbern, sondern auch von den Abnehmern ausgehen. Selbst Unternehmen mit hohen Marktanteilen können nicht weitgehend unabhängig von Abnehmern vorgehen, die über eine ausreichende Verhandlungsmacht verfügen (13). Die Nachfragemacht von Abnehmern richtet sich nach ihrer Größe und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für das marktbeherrschende Unternehmen; ihre Fähigkeit, schnell zu konkurrierenden Lieferanten zu wechseln, Markteintritte zu fördern oder eine vertikale Integration vorzunehmen und glaubwürdig damit zu drohen. Bei ausreichender Nachfragemacht kann ein marktbeherrschendes Unternehmen davor abgeschreckt oder daran gehindert werden, Preise gewinnbringend zu erhöhen. Der Druck durch Nachfragemacht kann allerdings nicht als hinreichend betrachtet werden, wenn nur ein bestimmtes oder begrenztes Kundensegment vor der Marktmacht des marktbeherrschenden Unternehmens geschützt ist.

B.   Marktverschließung zum Schaden des Verbrauchers („wettbewerbswidrige Marktverschließung“)

19.

Die Kommission will mit ihren Durchsetzungsmaßnahmen in Bezug auf Behinderungsmissbräuche sicherstellen, dass Unternehmen in marktbeherrschender Stellung den wirksamen Wettbewerb nicht beeinträchtigen, indem sie ihre Konkurrenten in wettbewerbswidriger Weise vom Markt ausschließen und auf diese Weise die Verbraucherwohlfahrt beeinträchtigen, sei es indem höhere Preise verlangt werden als ansonsten üblich gewesen wären oder indem die Qualität vermindert oder das Angebot für die Verbraucher eingeschränkt wird. In dieser Mitteilung bezeichnet der Begriff „wettbewerbswidrige Marktverschließung“ einen Sachverhalt, in dem das marktbeherrschende Unternehmen durch sein Verhalten vorhandenen oder potenziellen Wettbewerbern den Zugang zu Lieferquellen oder Märkten erschwert oder unmöglich macht und als Folge das marktbeherrschende Unternehmen aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage ist, die Preise zum Nachteil der Verbraucher gewinnbringend zu erhöhen (14). Die Feststellung eines voraussichtlichen Schadens für den Verbraucher kann auf der Grundlage qualitativer und, wann immer möglich und zweckmäßig, auch anhand quantitativer Beweismittel erfolgen. Dabei befasst sich die Kommission mit wettbewerbswidriger Marktverschließung entweder auf der Zwischenstufe oder auf der Stufe der Endverbraucher oder auf beiden Stufen (15).

20.

In der Regel wird die Kommission nach Artikel 82 tätig, wenn aufgrund stichhaltiger und überzeugender Beweise der mutmaßliche Missbrauch aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen wird. Bei der diesbezüglichen Prüfung müssen nach Auffassung der Kommission im Allgemeinen folgende Faktoren berücksichtigt werden:

Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens: Je stärker die marktbeherrschender Stellung eines Unternehmens, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten, welches das Unternehmen zum Schutz dieser Stellung wählt, zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führt,

Bedingungen auf dem relevanten Markt: Hierzu zählen die Bedingungen für Markteintritt und Expansion (z. B. Größen- und/oder Verbundvorteile sowie Netzeffekte). Größenvorteile machen es wenig wahrscheinlich, dass Wettbewerber in den Markt eintreten oder sich auf dem betreffenden Markt behaupten können, wenn das marktbeherrschende Unternehmen sie von einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes ausschließt. Gleichermaßen könnte sich das marktbeherrschende Unternehmen durch sein Verhalten die Möglichkeit schaffen, einen von Netzeffekten geprägten Markt zu seinen Gunsten zu „kippen“ bzw. seine Stellung auf einem solchen Markt weiter zu festigen. Sollten zudem auf den vor- und/oder nachgelagerten Märkten erhebliche Markteintrittshindernisse bestehen, kann es für die Wettbewerber sehr teuer werden, einer möglichen Marktverschließung durch vertikale Integration zu begegnen,

Stellung der Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens: Hierunter fällt die Bedeutung der Wettbewerber für die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs. Selbst ein Wettbewerber, der im Vergleich zu anderen Wettbewerbern nur einen geringen Marktanteil besitzt, kann eine wichtige Rolle im Wettbewerbsprozess spielen, wenn es sich zum Beispiel um den engsten Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens oder einen besonders innovativen Wettbewerber handelt oder aber um einen Wettbewerber, der dafür bekannt ist, dass er Preise systematisch senkt. Bei ihrer wettbewerbsrechtlichen Prüfung kann die Kommission, falls angemessen, auf der Grundlage verfügbarer Informationen prüfen, ob die Wettbewerber über realistische, wirksame und zeitnahe Gegenstrategien verfügen, auf die sie bei Bedarf wahrscheinlich zurückgreifen würden,

Stellung der Abnehmer bzw. der Anbieter von Inputs: Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang unter anderem eine etwaige Selektivität im betreffenden Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens. Das fragliche Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens kann sich nur an bestimmte Abnehmer oder Anbieter von Inputs richten, die für den Markteintritt oder eine Expansion von Wettbewerbern besonders wichtig sind, so dass die Wahrscheinlichkeit einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung steigt (16). Dies können im Fall von Abnehmern zum Beispiel diejenigen Abnehmer sein, die am ehesten auf Angebote anderer Lieferanten eingehen würden, die eventuell eine für einen neuen Marktteilnehmer besonders geeignete Form des Vertriebs für das betreffende Produkt bieten, die möglicherweise in einem für einen neuen Marktteilnehmer geografisch günstigen Gebiet angesiedelt sind oder die Einfluss auf das Verhalten anderer Abnehmer nehmen könnten. Bei den Anbietern von Inputs kann es sein, dass, das marktbeherrschende Unternehmen ausschließliche Lieferbindungen gerade mit denjenigen Anbietern ausgehandelt hat, die am ehesten auf Anfragen von Abnehmern reagieren, die auf dem nachgelagerten Markt mit dem marktbeherrschenden Unternehmen im Wettbewerb stehen oder die eine Klasse des betreffenden Produkts oder einen Standort bieten, die/der einem Neueintretenden besonders entgegenkommt. Alle Strategien, die den Abnehmern oder den Anbietern von Inputs zur Verfügung stehen und dazu beitragen können, dem Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens entgegenzuwirken, werden ebenfalls berücksichtigt,

Ausmaß des mutmaßlichen missbräuchlichen Verhaltens: Je höher der Anteil der vom fraglichen Verhalten betroffenen Gesamtverkäufe auf dem relevanten Markt, je länger die Dauer des Verhaltens und je regelmäßiger es zum Einsatz kommt, desto größer ist normalerweise die Wahrscheinlichkeit einer Marktverschließungswirkung,

Mögliche Beweise für eine tatsächliche Marktverschließung: Sollte das Verhalten über einen längeren Zeitraum angehalten haben, könnte die Marktleistung des marktbeherrschenden Unternehmens und seiner Wettbewerber direkten Aufschluss über eine etwaige wettbewerbswidrige Marktverschließung geben. Aufgrund des mutmaßlich missbräuchlichen Verhaltens kann der Marktanteil des marktbeherrschenden Unternehmens gestiegen sein oder der Rückgang des Marktanteils sich verlangsamt haben. Aus ähnlichen Gründen können vorhandene Wettbewerber an den Rand des Marktes oder vom Markt verdrängt worden sein bzw. potenzielle Wettbewerber sich vergebens um einen Markteintritt bemüht haben,

Unmittelbare Beweise eine Behinderungsstrategie: Hierzu zählen interne Unterlagen, die direkte Hinweise auf eine Strategie zur Ausschließung von Wettbewerbern enthalten (zum Beispiel genaue Pläne für bestimmte Vorgehensweisen, um Konkurrenten auszuschließen, den Markteintritt eines Wettbewerbers zu verhindern oder das Entstehen eines Marktes zu verhindern) oder Beweise für die konkrete Androhung behindernder Maßnahmen. Derartige direkte Beweise können helfen, das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens nachzuvollziehen und zu bewerten.

21.

Für jeden einzelnen Fall nimmt die Kommission eine Analyse der in Randnummer 20 genannten allgemeinen Faktoren vor und berücksichtigt dabei ebenfalls die besonderen Faktoren, die in den folgenden Abschnitten zu den verschiedenen Formen des Behinderungsmissbrauchs erläutert werden, sowie alle weiteren geeigneten Faktoren. Im Rahmen dieser Beurteilung wird die tatsächliche bzw. voraussichtliche künftige Situation auf dem relevanten Markt (mit dem fraglichen Verhaltens des marktbeherrschenden Unternehmen) unter Berücksichtigung einschlägiger Geschäftspraktiken mit einer geeigneten kontrafaktischen Fallkonstellation, in der das marktbeherrschende Unternehmen nicht auf die fragliche Verhaltensweise zurückgreift oder mit einem anderen realistischen Szenario verglichen.

22.

In bestimmten Fällen kann die Kommission auf eine eingehende Untersuchung verzichten und dennoch zu dem Schluss kommen, dass das fragliche Verhalten wahrscheinlich den Verbrauchern schaden wird. Sollte es Anzeichen dafür geben, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens im Grunde nur den Wettbewerb behindern kann und keine Effizienzvorteile entstehen, kann die Kommission auf wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen schließen. Dies wäre unter anderem dann der Fall, wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine Abnehmer daran hindert, Produkte seiner Wettbewerber zu testen, oder ihnen finanzielle Vorteile dafür einräumt, dass sie diese Produkte nicht testen, oder wenn es einen Vertriebshändler oder Abnehmer dafür bezahlt, die Einführung eines Produkts eines Konkurrenten zu verzögern.

C.   Preisbezogener Behinderungsmissbrauch

23.

Die Erwägungen in Randnummern 23-27 beziehen sich auf preisbezogene Behinderungsmissbräuche. Ein intensiver Preiswettbewerb kommt im Allgemeinen den Verbrauchern zugute. Die Kommission wird nur dann tätig, um wettbewerbswidrige Marktverschließungen zu verhindern, wenn das fragliche Verhalten andere, genauso effiziente Wettbewerber wie das marktbeherrschende Unternehmen („as efficient competitors“) daran hindert bzw. bereits gehindert hat, am Wettbewerb teilzunehmen (17).

24.

Die Kommission ist sich der Tatsache bewusst, dass auch ein weniger leistungsfähiger Wettbewerber unter bestimmten Umständen einen gewissen Wettbewerbsdruck ausüben kann, dem bei der Prüfung, ob ein bestimmtes preisbezogenes Verhalten zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen könnte, ebenfalls Rechnung getragen werden muss. Die Kommission bevorzugt eine dynamische Sichtweise dieses Wettbewerbsdrucks, da ohne missbräuchliches Verhalten einem solchen Wettbewerber nachfragebezogene Vorteile wie Netz- und Lerneffekte zugutekommen können, die seine Leistungsfähigkeit auf dem Markt stärken würden.

25.

Um klären zu können, ob selbst ein hypothetischer, ebenso effizienter Wettbewerber durch das betreffende Verhalten vom Markt ausgeschlossen werden könnte, prüft die Kommission Wirtschaftsdaten zu den Kosten und Verkaufspreisen und insbesondere, ob das marktbeherrschende Unternehmen nicht kostendeckende Preise praktiziert. Dies setzt voraus, dass zuverlässige Daten zur Verfügung stehen. Wo vorhanden verwendet die Kommission Informationen über die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens selbst. In Ermangelung zuverlässiger Angaben zu den Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens kann die Kommission entscheiden, die Kostendaten von Wettbewerbern oder aber andere vergleichbare und zuverlässige Daten zugrunde zu legen.

26.

Als Bezugspunke legt die Kommission normalerweise die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (average avoidable costs — AAC) und die langfristigen durchschnittlichen Grenzkosten (long-run average incremental cost — LRAIC) zugrunde (18). Deckt ein marktbeherrschendes Unternehmen seine AAC nicht, deutet dies darauf hin, dass es kurzfristig bewusst Gewinneinbußen hinnimmt und dass ein ebenso effizienter Wettbewerber die Zielkunden nur verlustbringend bedienen kann. Die LRAIC liegen in der Regel über den AAC, da sie im Gegensatz zu den AAC (die fixe Kosten nur dann berücksichtigen, wenn sie im jeweils untersuchten Zeitraum angefallen sind) auch produktspezifische fixe Kosten beinhalten, die vor der Zeit, in der das mutmaßlich missbräuchliche Verhalten stattfand, angefallen sind. Wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine LRAIC nicht deckt, deutet dies drauf hin, dass das Unternehmen nicht alle (zurechenbaren) fixen Kosten für die Herstellung der Ware bzw. die Erbringung der Dienstleistungen deckt und dass ein ebenso effizienter Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden könnte (19).

27.

Wenn aus den Daten eindeutig hervorgeht, dass ein ebenso effizienter Wettbewerber mit dem Preisverhalten des marktbeherrschenden Unternehmens konkurrieren kann, wird die Kommission in der Regel daraus schließen, dass das Preisverhalten des marktbeherrschenden Unternehmens den wirksamen Wettbewerb wahrscheinlich nicht beeinträchtigt und somit keine nachteiligen Auswirkungen für die Verbraucher hat, und wird folglich wahrscheinlich nicht tätig werden. Deuten die Daten allerdings eher darauf hin, dass der vom marktbeherrschenden Unternehmen verlangte Preis dazu führen könnte, dass ebenso effiziente Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden, wird die Kommission dies in die allgemeine Beurteilung der wettbewerbswidrigen Marktverschließung (siehe oben Abschnitt B) unter gleichzeitiger Berücksichtigung anderer relevanter, quantitativer und/oder qualitativer Beweise einfließen lassen.

D.   Objektive Notwendigkeit und Effizienzvorteile

28.

Bei der Durchsetzung des Artikels 82 wird die Kommission auch die Argumente, mit denen das jeweilige marktbeherrschende Unternehmen sein Verhalten rechtfertigt (20), prüfen. Insoweit kann das marktbeherrschende Unternehmen entweder nachweisen, dass sein Verhalten objektiv notwendig ist oder dass dadurch erhebliche Effizienz-vorteile erzielt werden, die etwaige wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zulasten der Verbraucher aufwiegen. In diesem Zusammenhang prüft die Kommission, ob das fragliche Verhalten für das Erreichen des vom marktbeherrschenden Unternehmen verfolgten Ziels unverzichtbar und verhältnismäßig ist.

29.

Ob das Verhalten objektiv notwendig und verhältnismäßig ist, muss anhand von Faktoren geprüft werden, die außerhalb des marktbeherrschenden Unternehmens liegen. So kann marktverschließendes Verhalten in Anbetracht von Produktmerkmalen aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit als objektiv notwendig erachtet werden. In Bezug auf die Begründung für das Vorliegen einer objektiven Notwendigkeit ist allerdings zu bedenken, dass Festlegung und Durchsetzung von Gesundheitsschutz- und Sicherheitsstandards Aufgabe der zuständigen Behörden sind. Es kommt dem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung nicht zu, von sich aus Maßnahmen zu ergreifen, um Produkte vom Markt auszuschließen, die es zu Recht oder zu Unrecht für gefährlich oder im Vergleich zu eigenen Produkte für minderwertig hält (21).

30.

Die Kommission vertritt die Auffassung, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen auch ein zur Ausschließung von Wettbewerbern führendes Verhalten mit Effizienzvorteilen begründen kann, die ausreichend sind, um zu gewährleisten, dass dadurch wahrscheinlich den Verbrauchern unter dem Strich kein Schaden entsteht. In diesem Fall muss wird das marktbeherrschende Unternehmen im Allgemeinen nachweisen müssen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und auf der Grundlage nachprüfbarer Beweise die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (22):

die Effizienzvorteile wurden bzw. werden wahrscheinlich als Ergebnis des fraglichen Verhaltens erzielt. Hierzu zählen unter anderem technische Verbesserungen zur Qualitätssteigerung und Kostensenkungen in Herstellung oder Vertrieb,

das Verhalten ist für das Erreichen der Effizienzvorteile unverzichtbar. Es dürfen keine weniger wettbewerbsbeschränkenden Alternativen zu dem betreffenden Verhalten bestehen, mit denen dieselben Effizienzvorteile erzielt werden können,

die durch das Verhalten herbeigeführten Effizienzvorteile wiegen etwaige negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und das Verbraucherwohl auf den betroffenen Märkten auf,

durch das Verhalten wird der wirksame Wettbewerb nicht ausgeschaltet, indem alle bzw. fast alle bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen gebracht werden. Die Rivalität zwischen Unternehmen ist ein wichtiger Faktor wirtschaftlicher Effizienz, u. a. auch für dynamische Effizienzvorteile in Form von Innovationen. Ohne sie hätte das marktbeherrschende Unternehmen keinen Anreiz, sich um Effizienzvorteile zu bemühen und diese weiterzugeben. Gibt es keinen Restwettbewerb und droht in absehbarer Zeit kein Markteintritt, wird dem Schutz der Rivalität und des Wettbewerbsprozesses Vorrang vor möglichen Effizienzvorteilen eingeräumt. Marktverschließendes Verhalten, das eine marktbeherrschende, monopolähnliche Stellung aufrechterhält, schafft oder verstärkt, kann nach Auffassung der Kommission normalerweise nicht mit damit einhergehenden Effizienzvorteilen gerechtfertigt werden.

31.

Es obliegt dem marktbeherrschenden Unternehmen, alle Beweise herbeizuschaffen, die notwendig sind, um nachzuweisen, dass sein Verhalten objektiv gerechtfertigt ist. Anschließend obliegt es der Kommission letztendlich zu prüfen, ob das betreffende Verhalten objektiv nicht gerechtfertigt ist und nach Abwägung der etwaigen offensichtlichen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen und der vorgebrachten und substantiierten Effizienzvorteile wahrscheinlich zum Schaden der Verbraucher ist.

IV.   SPEZIFISCHE FORMEN DES MISSBRAUCHS

A.   Ausschließlichkeitsbindungen

32.

Ein marktbeherrschendes Unternehmen kann versuchen, seine Wettbewerber vom Markt auszuschließen, indem es mit seinen Abnehmern Ausschließlichkeitsbindungen (23) wie Alleinbezugsbindungen oder Rabatte vereinbart und die Wettbewerber so daran hindert, an diese Abnehmer zu verkaufen. In diesem Abschnitt wird dargelegt, unter welchen Umständen es am wahrscheinlichsten ist, dass die Kommission wegen Ausschließlichkeitsbindungen gegen ein marktbeherrschendes Unternehmen vorgehen wird.

a)   Alleinbezugsbindung

33.

Eine Alleinbezugsbindung verpflichtet einen Abnehmer auf einem bestimmten Markt, seinen Bedarf ausschließlich oder in erheblichem Umfang beim marktbeherrschenden Unternehmen zu decken. Bestimmte andere Verpflichtungen, z. B. Auflagen in Bezug auf die Lagerung, die keine Alleinbezugsbindung im eigentlichen Sinne darzustellen scheinen, können in der Praxis dieselbe Wirkung haben (24).

34.

Um die Abnehmer zu überzeugen, einer Alleinbezugsbindung zuzustimmen, muss das marktbeherrschende Unternehmen unter Umständen die Abnehmer ganz oder teilweise für den Wettbewerbsnachteil entschädigen, der ihnen durch die Ausschließlichkeitsbindung entsteht. Wird ein solcher Ausgleich gewährt, kann es für den einzelnen Abnehmer von Interesse sein, mit dem marktbeherrschenden Unternehmen eine solche Alleinbezugsvereinbarung einzugehen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass alle Alleinbezugsbindungen zusammengenommen zum Vorteil der Gesamtheit der Abnehmer, also auch zum Vorteil derjenigen, die nicht beim marktbeherrschenden Unternehmen kaufen, und der Endverbraucher, sind. Die Kommission wird sich schwerpunktmäßig mit den Fällen befassen, in denen den Verbrauchern insgesamt wahrscheinlich kein Vorteil erwächst. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn es viele Abnehmer gibt und alle Alleinbezugsbindungen des marktbeherrschenden Unternehmens zusammengenommen so wirken, dass sie den Markteintritt bzw. die Expansion konkurrierender Unternehmen verhindern.

35.

Neben den bereits unter Randnummer 20 genannten Aspekten sind für die Kommission im Allgemeinen die nachstehend aufgeführten Faktoren relevant, um zu entscheiden, ob sie gegen Alleinbezugsvereinbarungen vorgeht.

36.

Alleinbezugsbindungen können insbesondere dann zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen, wenn ohne diese Bindung erheblicher Wettbewerbsdruck von Wettbewerbern ausgeht, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugsbindung entweder noch nicht auf dem Markt vertreten sind oder aber den Abnehmern noch nicht das gesamte benötigte Angebot bieten können. So ist denkbar, dass Wettbewerber nicht den gesamten Bedarf eines Abnehmers decken können, weil das marktbeherrschende Unternehmen zumindest für einen Teil der Nachfrage ein unvermeidlicher Handelspartner ist, etwa weil seine Marke bei vielen Endverbrauchern besonders beliebt ist („Must Stock Item“) oder weil die Kapazitäten der anderen Anbieter so knapp sind, dass ein Teil der Nachfrage nur vom marktbeherrschenden Unternehmen gedeckt werden kann (25). Können hingegen die Wettbewerber unter gleichen Bedingungen um die gesamte Nachfrage jedes einzelnen Abnehmers konkurrieren, wird der wirksame Wettbewerb in der Regel durch Alleinbezugsbindungen nicht beeinträchtigt, es sei denn, den Abnehmern wird der Lieferantenwechsel durch die Dauer der Alleinbezugsbindung erschwert. In der Regel gilt: Je länger die Bezugspflicht, desto stärker die marktverschließende Wirkung. Ist allerdings das marktbeherrschende Unternehmen für alle oder die meisten Abnehmer ein nicht zu umgehender Handelspartner, kann selbst eine Alleinbezugsbindung von kurzer Dauer zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen.

b)   Bedingte Rabatte

37.

An Bedingungen geknüpfte Rabatte werden Abnehmern gewährt, um sie für ein bestimmtes Abnahmeverhalten zu belohnen. Am häufigsten werden solche Rabatte eingeräumt, wenn die Abnahmemenge in einem vorgegebenen Zeitraum eine bestimmte Schwelle übersteigt; dabei ist zu unterscheiden zwischen Rabatten für die gesamte Bezugsmenge (rückwirkende Rabatte) und Rabatten, die erst für die Mengen oberhalb der Rabattschwelle gewährt werden (stufenweise Rabatte). Die Praxis der bedingten Rabatte ist nicht unüblich. Unternehmen bieten solche Preisnachlässe an, um sich mehr Nachfrage zu sichern, und diese Rabatte können als solche nachfragestimulierend wirken und für den Verbraucher von Vorteil sein. Werden sie jedoch von einem marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert, ist mit ähnlichen potenziellen oder tatsächlichen Verschließungswirkungen zu rechnen wie bei Alleinbezugsbindungen. Bedingte Rabatte können diese Wirkung erzielen, ohne dass das marktbeherrschende Unternehmen Einbußen hinnehmen muss (26).

38.

Die Kommission berücksichtigt zusätzlich zu den bereits in Randnummer 20 genannten Aspekten bei der Bewertung, ob ein bestimmtes System bedingter Rabatte zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führt, auch die nachstehend erläuterten Faktoren, die somit ebenfalls Teil der Durchsetzungsprioritäten der Kommission sein werden.

39.

Wie bei Alleinbezugsverpflichtungen nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass es durch bedingte Rabatte zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung kommt, zu, wenn die Wettbewerber nicht zu gleichen Bedingungen um die gesamte Nachfrage der einzelnen Abnehmer konkurrieren können. Durch einen bedingten Rabatt kann ein marktbeherrschendes Unternehmen den „nicht-bestreitbaren“ Teil der Nachfrage jedes Abnehmers (d. h. die Menge, die der Abnehmer ohnehin bei dem marktbeherrschenden Unternehmen kaufen würde) als Hebel einsetzen, um den Preis für den „bestreitbaren“ Teil der Nachfrage (d.h. die Menge, die der Abnehmer eventuell bei anderen Quellen beziehen würde) zu senken (27).

40.

Rückwirkende Rabatte können generell eine starke marktverschließende Wirkung haben, weil sie es für die Abnehmer weniger interessant machen, einen kleinen Teil ihres Bedarfs bei einem anderen Anbieter zu decken, da dies für sie den Verlust des rückwirkenden Rabatts bedeuten würde (28). Die potenzielle marktverschließende Wirkung rückwirkender Rabatte ist grundsätzlich bei der letzten vor Überschreiten der Rabattschwelle gekauften Einheit am stärksten. Entscheidend für die Bewertung der Treuewirkung eines Rabatts ist jedoch nach Auffassung der Kommission nicht einfach die Auswirkung auf den Wettbewerb um die Lieferung der letzten Einheit, sondern die marktverschließende Wirkung des Rabattsystems für (bereits vorhandene oder potenzielle) Wettbewerber des marktbeherrschenden Anbieters. Je höher der prozentuale Preisnachlass auf den Gesamtpreis und je höher die Rabattschwelle, desto stärker ist die Sogwirkung unterhalb der Schwelle und infolgedessen auch die wahrscheinliche Marktverschließung für tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber.

41.

Soweit die Kommission über zuverlässige Daten verfügt, wird sie anhand der in den Randnummern 23 bis 27 dargelegten Methode prüfen, ob das Rabattsystem die Expansion oder den Markteintritt auch von ebenso effizienten Wettbewerbern verhindern kann, indem es diesen die Lieferung eines Teils des Bedarfs einzelner Abnehmer erschwert. In diesem Zusammenhang wird die Kommission ermitteln, welchen Preis ein Wettbewerber anbieten müsste, um den Abnehmer für den Verlust zu entschädigen, der ihm entsteht, wenn er einen Teil seiner Nachfrage („relevante Menge“) statt bei dem marktbeherrschenden Unternehmen künftig bei diesem Wettbewerber deckt und dadurch den bedingten Rabatt verliert. Der effektive Preis, den der Wettbewerber für die relevante Menge und den relevanten Zeitraum anbieten muss, ist allerdings nicht der Durchschnittspreis des marktbeherrschenden Unternehmens, sondern der normale (Listen-)Preis abzüglich des Rabatts, der dem Abnehmer bei einem Lieferantenwechsel entgeht. Mögliche Abweichungen infolge der Unsicherheiten bei derartigen Analysen werden von der Kommission berücksichtigt.

42.

Die relevante Menge, für die der effektive Preis zu berechnen ist, richtet sich nach der Sachlage in jedem Einzelfall und hängt davon ab, ob es sich um einen stufenweisen oder einen rückwirkenden Rabatt handelt. Bei stufenweisen Rabatten entspricht die relevante Menge normalerweise der Menge der erwogenen zusätzlichen Käufe. Bei rückwirkenden Rabatten muss im Allgemeinen für den jeweiligen Markt untersucht werden, welchen Teil seiner Nachfrage der Abnehmer realistischerweise bei einem Wettbewerber decken könnte („bestreitbarer Teil“). Ist wahrscheinlich, dass die Abnehmer bereit und in der Lage sind, relativ rasch große Nachfragemengen bei einem anderen (potenziellen) Wettbewerber zu beziehen, wird die relevante Menge relativ groß sein. Ist hingegen davon auszugehen, dass die Abnehmer nach und nach nur kleine Mengen bei dem Wettbewerber beziehen wollen oder können, wird die relevante Menge relativ klein sein. Im Falle bereits bestehender Wettbewerber können auch deren Fähigkeit, ihren Absatz auszuweiten, und die Schwankungen ihrer Absatzmengen über einen bestimmten Zeitraum Aufschluss über die relevante Menge geben. Im Falle potenzieller Wettbewerber wäre, sofern möglich, zu prüfen, bei welchen Mengen ein Markteintritt realistisch wäre. Unter Umständen könnten Wachstumskennzahlen von Unternehmen, die zu einem früheren Zeitpunkt in den betroffenen oder einen vergleichbaren Markt eingetreten sind, als Anhaltspunkt für einen realistischen Marktanteil neuer Marktteilnehmer dienen (29).

43.

Je niedriger der ermittelte effektive Preis für die relevante Menge gegenüber dem Durchschnittspreis des marktbeherrschenden Unternehmens, desto stärker ist die Sogwirkung. Solange jedoch der effektive Preis konstant über den LRAIC des marktbeherrschenden Unternehmens liegt, wäre ein ebenso effizienter Wettbewerber normalerweise trotz des Rabatts in der Lage, auf dem Markt gewinnbringend zu konkurrieren. Unter diesen Umständen kann der Rabatt in der Regel keine wettbewerbswidrige Marktverschließung bewirken.

44.

Bei einem effektiven Preis, der unter den (AAC) liegt, ist in der Regel davon auszugehen, dass das Rabattsystem ebenso effiziente Wettbewerber vom Markt ausschließen kann. Liegt der effektive Preis zwischen den AAC und den LRAIC, wird die Kommission prüfen, ob noch andere Faktoren dafür sprechen, dass sogar ebenso effiziente Wettbewerber am Markteintritt bzw. an der Expansion gehindert werden könnten. In diesem Kontext wird die Kommission prüfen, ob und inwieweit die Wettbewerber über realistische und wirksame Gegenstrategien verfügen, d. h. ob sie z. B. in der Lage sind, einen „unumstrittenen“ Teil der Nachfrage ihrer Abnehmer als Hebel einzusetzen, um den Preis für die relevante Menge zu senken. Stehen den Wettbewerbern keine derartigen Gegenstrategien zur Verfügung, wird die Kommission die Auffassung vertreten, dass das Rabattsystem ebenso effiziente Wettbewerber ausschließen kann.

45.

Wie in Randnummer 27 dargelegt, wird diese Prüfung Teil einer Gesamtbewertung sein, bei der auch andere relevante quantitative und qualitative Beweise berücksichtigt werden. Normalerweise ist es auch wichtig zu prüfen, ob das Rabattsystem unternehmensspezifische oder allgemeine Schwellen vorsieht. Bei Anwendung einer unternehmensspezifischen Rabattschwelle in Form eines Prozentsatzes der Gesamtnachfrage des Abnehmers oder einer individuellen Zielmenge kann der marktbeherrschende Anbieter die Schwelle so festsetzen, dass der Abnehmer nur wenig Möglichkeiten hat, den Anbieter zu wechseln, und damit eine maximale Treuewirkung zu schaffen (30). Eine allgemeine Mengenschwelle hingegen, die für alle Abnehmer bzw. für eine Gruppe von Abnehmern gleich ist, kann für einige kleinere Abnehmer zu hoch bzw. für größere Abnehmer zu niedrig sein, um eine Treuewirkung zu entfalten. Ist jedoch nachweisbar, dass eine allgemeine Mengenschwelle in etwa dem Bedarf eines nennenswerten Anteils der Abnehmer entspricht, wird die Kommission wahrscheinlich zu dem Ergebnis gelangen, dass ein solches allgemeines Rabattsystem eine wettbewerbswidrige Marktverschließung bewirken kann.

c)   Effizienzvorteile

46.

Sofern die Voraussetzungen des Abschnitts III D erfüllt sind, wird die Kommission etwaige Behauptungen von marktbeherrschenden Unternehmen prüfen, die Rabattsysteme ermöglichten Kostenvorteile und andere Vorteile, die an die Abnehmer weitergegeben würden (31). Transaktionsbezogene Kostenvorteile dürften häufig eher durch allgemeine als durch unternehmensspezifische Zielmengen zu erreichen sein. Auch dürften stufenweise Rabattsysteme Weiterverkäufer in der Regel eher dazu veranlassen, größere Mengen zu produzieren und weiterzuverkaufen, als rückwirkende Rabattsysteme (32). Unter denselben Bedingungen wird die Kommission auch prüfen, ob die Ausschließlichkeitsvereinbarungen für bestimmte Abnehmer nachweislich von Vorteil sind, wenn das marktbeherrschende Unternehmen ohne diese Vereinbarungen bestimmte auf diese Geschäftsbeziehung bezogene Investitionen nicht durchführen könnte, die es benötigt, um diese Abnehmer zu beliefern.

B.   Kopplung und Bündelung

47.

Ein marktbeherrschendes Unternehmen kann versuchen, seine Wettbewerber durch Kopplung oder Bündelung vom Markt auszuschließen. In der Folge wird dargelegt, welche Faktoren die Kommission am ehesten dazu veranlassen, im Zuge der Prüfung der Kopplungs- und Bündelungspraktiken marktbeherrschender Unternehmen tätig zu werden.

48.

Wenn Abnehmer, die ein Produkt beim marktbeherrschenden Unternehmen kaufen (das „Kopplungsprodukt“), verpflichtet sind, auch ein anderes Produkt („gekoppeltes Produkt“) von ihm zu beziehen, wird dies in der Regel als „Kopplung“ bezeichnet. Die Kopplung kann in technischer Hinsicht oder auf vertraglicher Basis erfolgen (33). „Bündelung“ bezieht sich in der Regel auf die Art und Weise, wie das marktbeherrschende Unternehmen seine Produkte anbietet und die Preise gestaltet. Bei reiner Bündelung sind die Produkte nur im Bündel bzw. im Paket in festgelegten Mengenverhältnissen erhältlich, bei gemischter Bündelung, oft auch als Bündel- oder Paketrabatt bezeichnet, werden die Produkte zwar auch separat angeboten, aber die Summe der Preise im Einzelverkauf ist höher als der Preis bei einer Produktbündelung.

49.

Kopplung und Bündelung sind gängige Geschäftspraktiken, mit denen Abnehmern bessere Produkte bzw. Angebote zu günstigeren Konditionen geboten werden sollen. Allerdings kann ein Unternehmen, das auf einem oder mehreren Märkten für Kopplungs- oder Bündelungsprodukte („Kopplungsmarkt“) eine beherrschende Stellung hat, den Verbrauchern durch Kopplung oder Bündelung schaden, indem es den Markt für die anderen Produkte des Kopplungs- bzw. Paketgeschäfts (gekoppelter Markt) und damit indirekt auch den Kopplungsmarkt verschließt.

50.

In der Regel wird die Kommission auf der Grundlage von Artikel 82 des EG-Vertrags tätig, wenn ein Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Kopplungsmarkt (34) hat und zudem die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: i) Kopplungsprodukt und gekoppeltes Produkt sind klar voneinander getrennte (separate) Produkte und ii) es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Kopplung zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führt (35).

a)   Separate Produkte

51.

Ob die Produkte von der Kommission als separate Produkte angesehen werden, hängt von der Verbrauchernachfrage ab. Zwei separate Produkte liegen dann vor, wenn ohne die Kopplung bzw. Bündelung eine große Anzahl von Kunden das Kopplungsprodukt kaufen würden bzw. gekauft hätten, ohne auch das gekoppelte Produkt beim selben Anbieter zu erwerben, so dass jedes der beiden Produkte unabhängig vom anderen hergestellt werden kann (36). Als direkter Beweis für die Existenz zweier separater Produkte kann der Umstand gelten, dass Verbraucher, wenn sie die Wahl haben, das Kopplungs- und das gekoppelte Produkt von unterschiedlichen Quellen beziehen; als indirekter Beweis u. a. die Marktpräsenz von Unternehmen, die auf die Fertigung oder den Verkauf des gekoppelten Produkts (ohne das Kopplungsprodukt) (37) bzw. jedes einzelnen der vom marktbeherrschenden Unternehmen gebündelten Produkte spezialisiert sind, oder aber der Beweis dafür, dass Unternehmen mit geringer Marktmacht vor allem auf funktionierenden Wettbewerbsmärkten diese Produkte tendenziell nicht koppeln bzw. bündeln.

b)   Wettbewerbswidrige Marktverschließung auf dem gekoppelten und/oder dem Kopplungsmarkt

52.

Kopplung und Bündelung können sowohl auf dem gekoppelten Markt als auch auf dem Kopplungsmarkt oder auf beiden gleichzeitig wettbewerbswidrige Wirkung haben. Selbst wenn die Kopplung oder Bündelung dazu dient, die Stellung des beherrschenden Unternehmens auf dem Kopplungsmarkt zu schützen, wird dies indirekt durch Verschließung des gekoppelten Markts bewirkt. Neben den bereits in Randnummer 20 genannten Aspekten sind nach Ansicht der Kommission generell insbesondere die folgenden Faktoren für die Feststellung von Belang, dass eine wettbewerbswidrige Marktverschließung wahrscheinlich ist oder tatsächlich vorliegt.

53.

Die Gefahr einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung ist aller Wahrscheinlichkeit nach größer, wenn das marktbeherrschende Unternehmen dauerhaft eine Kopplungs- bzw. Bündelungsstrategie verfolgt, z. B. durch technische Kopplung, die nur mit hohen Kosten rückgängig gemacht werden kann. Technische Kopplung erschwert zudem den Weiterverkauf einzelner Komponenten.

54.

Im Falle einer Bündelung kann das Unternehmen für mehr als eins der gebündelten Produkte eine marktbeherrschende Stellung haben. Je mehr Produkte zu einem Bündel zusammengefasst sind, desto stärker ist der zu erwartende wettbewerbswidrige Verschließungseffekt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es für einen Wettbewerber schwer ist, dasselbe Bündel — entweder allein oder zusammen mit anderen — anzubieten.

55.

Die Kopplung kann zu weniger Wettbewerb um Abnehmer führen, die das gekoppelte Produkt, nicht jedoch das Kopplungsprodukt kaufen wollen. Finden Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens nicht genügend Abnehmer für das gekoppelte Produkt allein, um auf dem gekoppelten Markt zu bestehen, kann die Kopplung für diese Abnehmer letztlich zu höheren Preisen führen.

56.

Können das Kopplungs- und das gekoppelte Produkt in variablen Mengen als Input für einen Produktionsprozess verwendet werden, könnten die Abnehmer auf eine Erhöhung des Preises für das Kopplungsprodukt reagieren, indem sie verstärkt das gekoppelte Produkt nachfragen und gleichzeitig ihre Nachfrage nach dem Kopplungsprodukt reduzieren. Durch Kopplung der beiden Produkte kann das marktbeherrschende Unternehmen versuchen, diese Substitution zu unterbinden, um im Endeffekt in der Lage zu sein, seine Preise zu erhöhen.

57.

Sind die Preise auf dem Kopplungsmarkt reguliert, könnte das marktbeherrschende Unternehmen durch Kopplung seine Preise auf dem gekoppelten Markt erhöhen, um so seine durch die Regulierung auf dem Kopplungsmarkt verursachten Mindereinnahmen zu kompensieren.

58.

Handelt es sich bei dem gekoppelten Produkt um ein wichtiges Komplementärprodukt für die Abnehmer des Kopplungsprodukts, kann eine Reduzierung der Anbieter des gekoppelten Produkts und die dadurch bewirkte geringere Verfügbarkeit dieses Produkts den Eintritt in den Kopplungsmarkt erschweren.

c)   Bündel- oder Paketrabatte

59.

Ein Bündel- oder Paketrabatt kann auf dem gekoppelten oder dem Kopplungsmarkt wettbewerbswidrig sein, wenn er so hoch ist, dass genauso effiziente Wettbewerber, die nur eines der Produkte anbieten, nicht mit dem rabattierten Produktbündel konkurrieren können.

60.

Im Idealfall müsste für die Ermittlung der Wirkung des Rabatts für jedes einzelne Produkt in dem vom marktbeherrschenden Unternehmen zusammengestellten Bündel geprüft werden können, ob der Grenzertrag die Grenzkosten deckt. In der Praxis lässt sich der Grenzertrag jedoch nicht ohne Weiteres ermitteln. Aus diesem Grund wird die Kommission in ihrer Durchsetzungspraxis in den meisten Fällen den Grenzpreis als Indikator verwenden. Bleibt der Grenzpreis jedes einzelnen Produkts im Bündel des marktbeherrschenden Unternehmens über den LRAIC, die dem marktbeherrschenden Unternehmen durch Aufnahme des Produkts in das Bündel entstehen, wird die Kommission normalerweise nicht tätig werden, da ein ebenso effizienter Wettbewerber mit nur einem Produkt im Prinzip in der Lage sein müsste, gewinnbringend mit dem Produktbündel zu konkurrieren. Ein Tätigwerden kann jedoch angezeigt sein, wenn der Grenzpreis unter den LRAIC liegt, da dann möglicherweise selbst ein ebenso effizienter Wettbewerber nicht expandieren bzw. in den Markt eintreten könnte (38).

61.

Gibt es Beweise dafür, dass Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens identische Produktbündel verkaufen oder dies zeitnah ohne Abschreckung durch die damit verbundenen Zusatzkosten tun könnten, wird die Kommission dies im Allgemeinen als „Bündelwettbewerb“ einstufen, so dass nicht ausschlaggebend ist, ob der Grenzertrag bei jedem Produkt innerhalb des Bündels die Grenzkosten deckt, sondern vielmehr festgestellt werden muss, ob es sich bei dem Gesamtpreis des Bündels um einen Kampfpreis handelt.

d)   Effizienzvorteile

62.

Sofern die Voraussetzungen des Abschnitts III D erfüllt sind, wird die Kommission Behauptungen der marktbeherrschenden Unternehmen prüfen, ihre Kopplungs- und Bündelungspraxis ermögliche Kosteneinsparungen in Produktion bzw. Vertrieb, die den Abnehmern zugute kommen. Die Kommission kann auch untersuchen, ob diese Praxis die Transaktionskosten der Abnehmer, die andernfalls die einzelnen Komponenten separat kaufen müssten, verringert und ob sie den Anbietern wesentliche Einsparungen bei den Verpackungs- und Vertriebskosten ermöglicht. Untersucht werden kann auch, ob die Zusammenstellung zweier separater Produkte zu einem neuen einzigen Produkt unter Umständen die Vermarktung eines solchen Produkts erleichtert und letztlich zum Vorteil der Verbraucher wäre. Zu prüfen wäre gegebenenfalls auch, ob die Kopplungs- und Bündelungspraktiken es dem Anbieter ermöglichen, bei der Produktion oder durch den Kauf großer Mengen des gekoppelten Produkts erzielte Effizienzvorteile weiterzugeben.

C.   Kampfpreise

63.

Entsprechend ihren Durchsetzungsprioritäten wird die Kommission im Allgemeinen dann tätig, wenn Beweise dafür vorliegen, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen Kampfpreise praktiziert und bewusst kurzfristige Verluste oder Gewinneinbußen in Kauf nimmt (also ein „Opfer“ — sacrifice — erbringt), so dass es einen oder mehrere seiner bereits vorhandenen oder potenziellen Wettbewerber vom Markt ausschließt bzw. ausschließen kann, um — zum Schaden der Verbraucher — seine Marktmacht zu halten oder auszubauen (39).

a)   Sacrifice-Test

64.

Nach Auffassung der Kommission erbringt ein marktbeherrschendes Unternehmen durch sein Verhalten dann ein „Opfer“, wenn es während des relevanten Bezugszeitraums für seine gesamte oder einen Teil seiner Produktion die Preise senkt bzw. seine Produktion erhöht und zu vermeidende Verluste erzielt hat oder erzielt. Zur Beurteilung der Frage, ob das marktbeherrschende Unternehmen vermeidbare Verluste erleidet oder erlitten hat, wird die Kommission die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (AAC) heranziehen. Berechnet ein marktbeherrschendes Unternehmen für seine gesamte oder einen Teil seiner Produktion Preise unterhalb der AAC, decken diese Preise nicht die Kosten, die er hätte vermeiden können, wenn er die betreffende Menge nicht produziert hätte. Es entsteht ihm folglich ein vermeidbarer Verlust (40). Preise unterhalb der AAC betrachtet die Kommission daher meistens als klaren Anhaltspunkt für ein „Opfer“ (41).

65.

Das sacrifice-Konzept bezieht sich jedoch nicht nur auf Preise unterhalb der AAC (42). Um eine Kampfpreisstrategie nachzuweisen, kann die Kommission auch untersuchen, ob das mutmaßliche Kampfpreisverhalten kurzfristig zu einem niedrigeren Nettoertrag geführt hat, als er bei einem vernünftigen anderen Verhalten zu erwarten gewesen wäre, d. h., ob das marktbeherrschende Unternehmen einen vermeidbaren Verlust erlitten hat (43). Die Kommission wird das tatsächliche Verhalten nicht mit hypothetischen oder theoretischen Konstellationen vergleichen, die vielleicht gewinnbringender gewesen wären. Berücksichtigt werden nur wirtschaftlich vernünftige und praktikable Alternativen, von denen angesichts der Marktbedingungen und des Geschäftsumfelds des marktbeherrschenden Unternehmens realistischerweise angenommen werden kann, dass sie gewinnbringender wären.

66.

In manchen Fällen kann die Existenz einer Kampfpreisstrategie (44) anhand von direkten Beweisen wie Schriftstücken des marktbeherrschenden Unternehmens nachgewiesen werden (z. B. präziser Plan, Verluste hinzunehmen, um einen Wettbewerber vom Markt auszuschließen, einen Markteintritt zu verhindern oder dem Entstehen eines Marktes zuvorzukommen) oder es gibt konkrete Beweise für drohende Kampfpreishandlungen (45).

b)   Wettbewerbswidrige Marktverschließung

67.

Liegen genügend zuverlässige Daten vor, führt die Kommission den unter den Randnummern 25 bis 27 beschriebenen „equally-efficient-competitor“-Test durch, um festzustellen, ob das Kampfpreisverhalten den Verbrauchern schadet kann. Normalerweise werden ebenso effiziente Wettbewerber nur durch Preise unterhalb der LRAIC vom Markt ausgeschlossen.

68.

Abgesehen von den bereits unter Randnummer 20 genannten Aspekten wird die Kommission grundsätzlich prüfen, ob und wie das mutmaßliche Verhalten die Wahrscheinlichkeit vermindert, dass Wettbewerber miteinander konkurrieren. Ist z. B. das marktbeherrschende Unternehmen besser über die Kosten oder andere Marktbedingungen informiert oder kann es die Marktsignale in Bezug auf die Gewinnaussichten verzerren, kann es Kampfpreise anwenden, um die Erwartungen potenzieller neuer Marktteilnehmer zu beeinflussen und sie auf diese Weise vom Markteintritt abzuhalten. Sind dieses Verhalten und seine voraussichtlichen Folgen auf mehreren Märkten bzw. mehrmals hintereinander zu Zeiten eines möglichen Markteintritts zu beobachten, lässt sich möglicherweise nachweisen, dass das marktbeherrschende Unternehmen sich einen Ruf als Kampfpreisanbieter erwerben will. Ist der betroffene Wettbewerber auf Fremdkapital angewiesen, können massive Preissenkungen oder andere Kampfpreispraktiken des marktbeherrschenden Unternehmens die Geschäftsergebnisse des Wettbewerbers so stark beeinträchtigen, dass seine weitere Finanzierung ernsthaft gefährdet sein kann.

69.

Nach Auffassung der Kommission muss nicht nachgewiesen werden, dass tatsächlich Wettbewerber aus dem Markt ausgeschieden sind, um eine wettbewerbswidrige Marktverschließung festzustellen. Es ist nicht auszuschließen, dass das marktbeherrschende Unternehmen eher darauf abzielt, einen harten Wettbewerb mit dem Kontrahenten zu verhindern, und erreichen will, dass dieser seiner Preispolitik folgt, anstatt ihn vollständig vom Markt zu verdrängen. Eine solche „Disziplinierungsmaßnahme“ birgt nämlich, anders als die vollständige Ausschaltung des Wettbewerbers, nicht die Gefahr, dass die Aktiva des Kontrahenten auf dem Markt verbleiben, günstig verkauft werden, und dass ein neuer Billiganbieter am Markt entsteht.

70.

Generell ist immer dann mit einem Schaden für die Verbraucher zu rechnen, wenn das marktbeherrschende Unternehmen davon ausgehen kann, dass seine Marktmacht nach der Anwendung von Kampfpreisen größer sein wird als wenn es auf ein solches Verhalten verzichtet, d. h., wenn davon auszugehen ist, dass sich das erbrachte Opfer für ihn lohnt.

71.

Dies bedeutet nicht, dass die Kommission nur eingreifen wird, wenn zu erwarten ist, dass das marktbeherrschende Unternehmen seine Preise über das Niveau hinaus erhöhen kann, das vor Anwendung der Kampfpreise auf dem Markt herrschte. Es reicht z. B. aus, wenn das Kampfpreisverhalten aller Wahrscheinlichkeit nach einen Preisrückgang verhindern oder verzögern würde, der andernfalls eingetreten wäre. Die Ermittlung des Schadens für die Verbraucher ist keine einfache Gewinn- und Verlustrechnung, und ein Nachweis über einen Gesamtgewinn ist nicht erforderlich. Der wahrscheinliche Schaden für die Verbraucher kann durch Bewertung der voraussichtlichen marktverschließenden Wirkung des Verhaltens unter Berücksichtigung anderer Faktoren wie z. B. den Markteintrittsschranken nachgewiesen werden (46). In diesem Kontext wird die Kommission auch die Möglichkeiten eines Wiedereintritts prüfen.

72.

Für das marktbeherrschende Unternehmen ist es möglicherweise leichter, Kampfpreise anzuwenden, wenn es mit den niedrigen Preisen selektiv auf bestimmte Abnehmer zugeht, da dies seine eigenen Verluste in Grenzen hält.

73.

Eine Kampfpreisstrategie des marktbeherrschenden Unternehmens ist hingegen weniger wahrscheinlich, wenn ein niedriger Preis allgemein über lange Zeit angewandt wird.

c)   Effizienzvorteile

74.

Es gilt allgemein als unwahrscheinlich, dass ein Kampfpreisverhalten Effizienzvorteile bringt. Dennoch wird die Kommission, wenn die Voraussetzungen von Abschnitt III D erfüllt sind, Behauptungen eines marktbeherrschenden Unternehmens prüfen, denen zufolge die niedrigen Preise ihm Größen- bzw. Effizienzvorteile durch Marktexpansion ermöglichen.

D.   Lieferverweigerung und Kosten-Preis-Schere

75.

Bei der Festlegung ihrer Durchsetzungsprioritäten geht die Kommission davon aus, dass generell jedes Unternehmen, — ob marktbeherrschend oder nicht — das Recht haben sollte, seine Handelspartner frei zu wählen und frei über sein Eigentum zu entscheiden. Jedes Eingreifen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen muss daher sorgfältig erwogen werden, wenn die Anwendung von Artikel 82 dazu führen würde, dass dem marktbeherrschenden Unternehmen eine Lieferpflicht auferlegt wird (47). Die Existenz einer solchen Verpflichtung kann — selbst bei angemessener Vergütung — die Investitions- und Innovationsanreize für ein Unternehmen verringern und infolgedessen zum Schaden der Verbraucher sein. Das Wissen, dass sie verpflichtet sein könnten, gegen ihren Willen zu liefern, kann Unternehmen in marktbeherrschender Marktstellung — oder Unternehmen, die erwarten, eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen — dazu veranlassen, nicht oder weniger in die fragliche Tätigkeit zu investieren. Auch könnten Wettbewerber versucht sein, sich die Investitionen des beherrschenden Unternehmens zunutze zu machen, anstatt selbst zu investieren. Keine dieser beiden Entwicklungen wäre langfristig im Interesse der Verbraucher.

76.

Wettbewerbsprobleme treten typischerweise dann auf, wenn das marktbeherrschende Unternehmen auf dem „nachgelagerten“ Markt mit dem Abnehmer konkurriert, dem es die Lieferung verweigert. Der Begriff „nachgelagerter Markt“ bezeichnet den Markt, auf dem der verweigerte Input benötigt wird, um eine Ware zu produzieren bzw. eine Dienstleistung zu erbringen. Nur um diese Art von Lieferverweigerung geht es im vorliegenden Abschnitt.

77.

Andere Formen möglicherweise rechtswidriger Lieferverweigerungen, bei denen die Lieferung nur unter der Bedingung erfolgt, dass der Abnehmer bestimmte Verhaltensbeschränkungen akzeptiert, werden in diesem Abschnitt nicht behandelt. So wird die Kommission Fälle, in denen die Lieferung eingestellt wird, um Abnehmer dafür zu bestrafen, dass sie mit Wettbewerbern Geschäftsbeziehungen unterhalten, sowie die Lieferverweigerung gegenüber Abnehmern, die Kopplungsgeschäfte nicht akzeptieren, nach den in den Abschnitten über Ausschließlichkeitsbindungen sowie Kopplung und Bündelung dargelegten Grundsätzen prüfen. Auch Lieferverweigerungen mit dem Ziel, den Abnehmer daran zu hindern, Parallelhandel zu betreiben (48) oder seine Weiterverkaufspreise zu senken, sind nicht Gegenstand dieses Abschnitts.

78.

Das Konzept der Lieferverweigerung deckt eine große Bandbreite von Verhaltensweisen ab, so z. B. die Weigerung, Produkte an bereits vorhandene oder neue Abnehmer zu liefern (49), die Weigerung eine Lizenz für Rechte an geistigem Eigentum zu erteilen (50), auch wenn diese Lizenz notwendig ist, um Schnittstelleninformationen zu Verfügung zu stellen (51), oder die Weigerung, den Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung (essential facility) oder einem Netz zu gewähren (52).

79.

Dabei ist es nach Auffassung der Kommission nicht notwendig, dass das verweigerte Produkt bereits zuvor gehandelt wurde. Es reicht aus, dass eine Nachfrage potenzieller Abnehmer existiert und ein potenzieller Markt für den fraglichen Input bestimmt werden kann (53). Ferner braucht keine ausdrückliche Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens vorzuliegen; eine „konstruktive“ Verweigerung reicht aus. Eine konstruktive Verweigerung könnte z. B. in Form einer unangemessenen Verzögerung oder einer anderen Beeinträchtigung der Lieferung erfolgen, denkbar wäre auch, dass die Lieferung an unangemessene Bedingungen geknüpft ist.

80.

Denkbar ist schließlich auch, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen statt einer Lieferverweigerung für das betreffende Produkt den Preis auf dem vorgelagerten Markt gegenüber seinem Preis auf dem nachgelagerten Markt (54) so ansetzt, dass es sogar für einen ebenso effizienten Wettbewerber nicht mehr möglich ist, auf dem nachgelagerten Markt langfristig rentabel zu bleiben (sog. „Kosten-Preis-Schere“). Im Falle einer Kosten-Preis-Schere wird die Kommission bei Ermittlung der Kosten eines ebenso effizienten Wettbewerbers grundsätzlich die LRAIC der nachgelagerten Einheit des integrierten marktbeherrschenden Unternehmens zugrunde legen (55).

81.

Die Kommission wird diese Praktiken vorrangig prüfen, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

die Lieferverweigerung betrifft ein Produkt bzw. eine Dienstleistung, das bzw. die objektiv notwendig ist, um auf einem nachgelagerten Markt wirksam konkurrieren zu können,

die Lieferverweigerung wird wahrscheinlich den wirksamen Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt ausschalten, und

die Lieferverweigerung wird wahrscheinlich den Verbrauchern schaden.

82.

In manchen Fällen mag offenkundig sein, dass die Einführung einer Lieferpflicht für den Eigentümer des Inputs und/oder andere Marktteilnehmer weder ex ante noch ex post die Anreize für Investition und Innovation auf dem vorgelagerten Markt reduzieren kann. Dies ist nach Auffassung der Kommission besonders wahrscheinlich, wenn Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen, dem marktbeherrschenden Unternehmen bereits eine Lieferverpflichtung auferlegen und es aufgrund der dieser Verpflichtung zugrunde liegenden Erwägungen klar ist, dass der betreffende Gesetzgeber bzw. die zuständige Behörde bei der Einführung dieser Lieferverpflichtung bereits die erforderliche Abwägung zwischen den Anreizen vorgenommen hat. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine Stellung auf dem vorgelagerten Markt im Schutze von Sonder- oder Exklusivrechten oder mit Hilfe staatlicher Mittel erworben hat. In diesen Fällen besteht für die Kommission kein Grund, von ihrer generellen Durchsetzungspraxis abzuweichen, nach der sie, ohne dass die in Randnummer 81 genannten drei Voraussetzungen erfüllt sind, feststellen kann, dass eine wettbewerbswidrige Marktverschließung wahrscheinlich ist.

a)   Objektive Notwendigkeit des Inputs

83.

Um festzustellen, ob eine Lieferverweigerung prioritär behandelt werden sollte, wird die Kommission prüfen, ob der verweigerte Input für ein Unternehmen objektiv notwendig ist, um auf dem Markt wirksam konkurrieren zu können. Dies bedeutet nicht, dass ohne den verweigerten Input kein Wettbewerber je in der Lage wäre, auf dem nachgelagerten Markt zu überleben oder in diesen einzutreten (56). Ein Input ist vielmehr dann als notwendig anzusehen, wenn es auf dem nachgelagerten Markt kein tatsächliches oder potenzielles Substitut gibt, das die Wettbewerber verwenden könnten, um die negativen Folgen einer Lieferverweigerung wenigstens langfristig aufzufangen (57). In diesem Zusammenhang prüft die Kommission normalerweise, ob die Wettbewerber den vom marktbeherrschenden Unternehmen produzierten Input in absehbarer Zukunft effektiv duplizieren könnten (58). Duplikation bedeutet die Schaffung einer alternativen effizienten Bezugsquelle, die es den Wettbewerbern ermöglicht, auf dem nachgelagerten Markt Wettbewerbsdruck auf das marktbeherrschende Unternehmens auszuüben (59).

84.

Die in Randnummer 81 dargelegten Kriterien gelten sowohl für die Einstellung von bisherigen Lieferungen als auch für die Weigerung, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu liefern, das bzw. die das marktbeherrschende Unternehmen noch nicht an andere geliefert hat (De novo-Lieferverweigerung). Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich die Beendigung einer bestehenden Lieferbeziehung eher als missbräuchlich erweist als eine De novo-Lieferverweigerung. Wenn z. B. ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung früher das nachfragende Unternehmen beliefert hat und dieses Unternehmen vertragsspezifische Investitionen (relationship-specific investments) für den Einsatz des — später ausbleibenden — Inputs durchgeführt hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommission den fraglichen Input als unerlässlich einstuft. Ebenso ist die Tatsache, dass der Eigentümer des notwendigen Inputs bisher ein Interesse an der Lieferung hatte, ein Anhaltspunkt dafür, dass bei Lieferung des Inputs nicht zu erwarten ist, dass seine ursprüngliche Investition nicht angemessen vergütet wird. Deshalb wäre es in dieser Situation Sache des marktbeherrschenden Unternehmens darzulegen, warum sich die Umstände so geändert haben, dass es bei Aufrechterhaltung der bestehenden Lieferbeziehung befürchtet, keine angemessene Vergütung seiner Investitionen zu erhalten.

b)   Ausschaltung des wirksamen Wettbewerbs

85.

Sind die in den Randnummern 83 und 84 aufgeführten Voraussetzungen erfüllt, ist nach Auffassung der Kommission die Lieferverweigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens generell geeignet, den wirksamen Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt unmittelbar oder im Laufe der Zeit auszuschalten. Je höher der Marktanteil des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem nachgelagerten Markt ist, je geringer der Kapazitätsdruck des marktbeherrschenden Unternehmens im Vergleich zu Wettbewerbern auf dem nachgelagerten Markt ausfällt, je enger die Substitutionsbeziehung zwischen dem Output des marktbeherrschenden Unternehmens und dem Output der Wettbewerber auf dem nachgelagerten Markt ist, je größer die Anzahl der betroffenen Wettbewerber auf dem nachgelagerten Markt ist und je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass die potenziell von den ausgeschlossenen Wettbewerbern gedeckte Nachfrage von ihnen abgezogen und zum marktbeherrschenden Unternehmen umgelenkt wird, desto größer ist im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit, dass der wirksame Wettbewerb ausgeschaltet wird.

c)   Schaden für die Verbraucher

86.

Um festzustellen, wie sich eine Lieferverweigerung wahrscheinlich auf die Verbraucherwohlfahrt auswirkt, untersucht die Kommission, ob für die Verbraucher die voraussichtlichen negativen Auswirkungen der Lieferverweigerung auf dem relevanten Markt langfristig größer sind als die zu erwartenden negativen Auswirkungen einer Lieferverpflichtung. Ist dies der Fall, wird die Kommission in der Regel tätig werden.

87.

Die Kommission geht davon aus, dass dem Verbraucher unter anderem dann ein Schaden entstehen kann, wenn die Lieferverweigerung die Wettbewerber, die das marktbeherrschende Unternehmen von Markt auszuschließen versucht, daran hindert, innovative Produkte oder Dienstleistungen zu vermarkten, und/oder Anschlussinnovationen unterbinden könnte (60). Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn sich das die Lieferung nachfragende Unternehmen nicht im Wesentlichen darauf beschränken will, Erzeugnisse oder Dienstleistungen zu duplizieren, die von dem marktbeherrschenden Unternehmen auf dem nachgelagerten Markt bereits angeboten werden, sondern beabsichtigt, neue oder verbesserte Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, für die eine potenzielle Verbrauchernachfrage besteht, oder wahrscheinlich zur technischen Entwicklung beiträgt (61).

88.

Außerdem kann eine Lieferverweigerung im Ergebnis zum Schaden der Verbraucher sein, wenn der Preis auf dem vorgelagerten Markt, nicht jedoch auf dem nachgelagerten Markt, reguliert ist, und das marktbeherrschende Unternehmen dadurch, dass es die Wettbewerber durch Lieferverweigerung vom nachgelagerten Markt ausschließt, auf dem unregulierten nachgelagerten Markt höheren Gewinn erzielen kann.

d)   Effizienzvorteile

89.

Die Kommission wird Behauptungen des marktbeherrschenden Unternehmens prüfen, dass eine Lieferverweigerung notwendig ist, damit die Investitionen in den Ausbau seines Inputgeschäfts eine adäquate Rendite erzielen, und auf diese Weise einen Anreiz besteht, trotz des Risikos von Misserfolgen auch künftig zu investieren. Auch Einwände des marktbeherrschenden Unternehmens, seine eigenen Innovationen würden durch eine Lieferverpflichtung bzw. durch die damit bewirkte strukturelle Veränderung der Marktbedingungen (z. B. Entwicklung von Anschlussinnovationen von Wettbewerbern) beeinträchtigt, werden von der Kommission untersucht werden.

90.

Bei der Bewertung dieser Behauptungen wird die Kommission jedoch sichergehen, dass die Voraussetzungen von Abschnitt III D erfüllt sind. Insbesondere ist es Sache des marktbeherrschenden Unternehmens, etwaige negative Auswirkungen einer Lieferverpflichtung auf seinen eigenen Innovationsgrad nachzuweisen (62). Die Tatsache, dass es früher den fraglichen Input geliefert hat, kann für die Bewertung der Behauptung, die Lieferverweigerung sei aus Effizienzgründen gerechtfertigt, maßgeblich sein.


(1)  Siehe zum Beispiel Randnummer 82.

(2)  Rs. 322/81, Nederlandsche Banden Industrie Michelin/Kommission (Michelin I), Slg. 1983, S. 3461, Rdnrn. 57; Rs. T-83/91, Tetra Pak/Kommission (Tetra Pak II), Slg. 1993, II-755, Rdnr. 114; Rs. T-111/96, ITT Promedia/Kommission, Slg. 1998, II-2937, Rdnr. 139; Rs. T-228/97, Irish Sugar/Kommission, Slg. 1999, II-2969, Rdnr. 112, und Rs. T-203/01, Michelin/Kommission (Michelin II), Slg. 2003, II-4071, Rdnr. 97.

(3)  Siehe Rs. 27/76, United Brands Company und United Brands Continentaal/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnr. 65 und Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche & Co./Kommission, Slg. 1979, S. 461, Rdnr. 38.

(4)  Siehe Rs. 27/76, United Brands Company und United Brands Continentaal/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnrn. 113-121; Rs. T-395/94, Atlantic Container Line und andere/Kommission, Slg. 2002, II-875, Rdnr. 330.

(5)  Siehe Rs. 27/76, United Brands Company und United Brands Continentaal/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnrn. 65 und 66; Rs. C-250/92, Gøttrup-Klim e.a. Grovvareforeninger/Dansk Landbrugs Grovvareselskab, Slg. 1994, I-5641, Rdnr. 47 und Rs. T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnr. 90.

(6)  Was letztendlich als längerer Zeitraum zu betrachten ist, hängt vom Produkt und von den Bedingungen auf dem betreffenden Markt ab; in der Regel werden zwei Jahre als ausreichend betrachtet.

(7)  Rechnerische Gewinne sind kein zuverlässiger Anhaltspunkt für die Marktmacht. Siehe hierzu Rs. 27/76, United Brands Company und United Brands Continentaal/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnr. 126.

(8)  Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche & Co./Kommission, Slg. 1979, S. 461, Rdnrn. 39-41; Rs. C-62/86, AKZO/Kommission, Slg. I-3359, Rdnr. 60; Rs. T-30/89 Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnrn. 90-92; Rs. T-340/03, France Télécom/Kommission, Slg. 2007, II-107, Rdnr. 100.

(9)  Zum Verhältnis zwischen dem Grad der Marktbeherrschung und der Feststellung eines Missbrauchs siehe verbundene Rs. C-395/96 P und C-396/96 P, Compagnie Maritime Belge Transports, Compagnie Maritime Belge und Dafra-Lines/Kommission, Slg. 2000, I-1365, Rdnr. 119; Rs. T-228/97, Irish Sugar/Kommission, Slg. 1999, II-2969, Rdnr. 186.

(10)  Rs. T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnr. 19.

(11)  Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, S. 461, Rdnr. 48.

(12)  Rs. 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnr. 91.

(13)  Siehe Rs. T-228/97, Irish Sugar/Kommission, Slg. 1999, II-2969, Rdnrn. 93-104, in der das Gericht erster Instanz prüfte, ob die geltend gemachte fehlende Unabhängigkeit des Unternehmens im Verhältnis zu seinen Kunden einen außergewöhnlichen Umstand begründete, der die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung ausschließt, obwohl ein sehr großer Teil der für den irischen Industriezuckermarkt erfassten Verkäufe auf dieses Unternehmen entfiel.

(14)  Zur Bedeutung des Begriffs „Preise erhöhen“ siehe Randnummer 11.

(15)  Der Begriff „Verbraucher“ bezieht sich auf alle direkten und indirekten Benutzer des Produkts, das Gegenstand des fraglichen Verhaltens ist, d. h. auch zwischengeschaltete Hersteller, die das Produkt als Input benötigen, sowie Vertriebsunternehmen und Endverbraucher sowohl des unmittelbaren Produkts als auch der Produkte von zwischengeschalteten Herstellern. Handelt es sich bei den zwischengeschalteten Benutzern um bestehende oder potenzielle Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens, konzentriert sich die Würdigung auf die Auswirkungen des Verhaltens auf nachgelagerte Benutzer.

(16)  Rs. T-228/97, Irish Sugar/Kommission, Slg. 1999, II-2969, Rdnr. 188.

(17)  Rs. 62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Rdnr. 72: In Bezug auf Preise, die unter den durchschnittlichen Gesamtkosten (average total costs — ATC) liegen, äußert sich der Gerichtshof wie folgt: „Diese Preise können nämlich Unternehmen vom Markt verdrängen, die vielleicht ebenso leistungsfähig sind wie das beherrschende Unternehmen, wegen ihrer geringeren Finanzkraft jedoch nicht dem auf sie ausgeübten Konkurrenzdruck standhalten können.“ Siehe auch Urteil vom 10. April 2008 in der Rs. T-271/03, Deutsche Telekom/Kommission, Rdnr. 194, noch nicht veröffentlicht.

(18)  Durchschnittliche vermeidbare Kosten (AAC) sind das Mittel aus den Kosten, die ein Unternehmen hätte vermeiden können, wenn es darauf verzichtet hätte, eine abgesonderte Menge an (zusätzlichem) Output zu produzieren; in diesem Falle wäre dies die Menge, die mutmaßlich Gegenstand missbräuchlichen Verhaltens ist. In den meisten Fällen stimmen die durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) mit den AAC überein, weil oft nur die variablen Kosten vermieden werden können. Bei langfristigen durchschnittlichen Grenzkosten (LRAIC) handelt es sich um das Mittel aller (variablen und fixen) Kosten, die einem Unternehmen bei der Herstellung eines bestimmten Produkts entstehen. LRAIC und durchschnittliche Gesamtkosten (average total costs — ATC) sind gute Anhaltspunkte für einander und im Falle von Unternehmen, die nur ein Produkt herstellen, identisch. Im Falle von Mehrproduktunternehmen, die Verbundvorteile nutzen können, würden für jedes einzelne Produkt die LRAIC unter den ATC liegen, da echte Gemeinkosten nicht in den LRAIC berücksichtigt werden. Stellt ein Unternehmen verschiedene Produkte her, werden etwaige Kosten, die hätten vermieden werden können, wenn auf die Produktion einer bestimmten Ware verzichtet worden wäre, nicht als Gemeinkosten betrachtet. Im Falle bedeutender Gemeinkosten müssen diese eventuell bei der Prüfung, ob das betreffende Unternehmen in der Lage ist, genauso effiziente Wettbewerber vom Markt auszuschließen, berücksichtigt werden

(19)  Um diese Kosten-Benchmarks anwenden zu können, kann es gegebenenfalls angezeigt sein, die Erlöse und Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens und seiner Wettbewerber in einem allgemeineren Rahmen zu betrachten. In gewissen Fällen reicht es nicht aus, nur zu prüfen, ob die Preise bzw. Erlöse die Kosten für das betreffende Produkt decken, sondern es sollten auch die Grenzerlöse betrachtet werden, wenn sich das fragliche Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens negativ auf dessen Erlöse auf anderen Märkten oder mit anderen Produkten auswirkt. In gleicher Weise kann es bei zweiseitigen Märkten nötig sein, gleichzeitig die Erlöse und Kosten beider Seiten zu betrachten.

(20)  Siehe Rs. 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, S. 207, Rdnr. 184; Rs. 311/84, Centre belge d'études de marché — Télémarketing (CBEM)/Compagnie luxembourgeoise de télédiffusion (CLT) und Information publicité Benelux (IPB), Slg. 1985, S. 3261, Rdnr. 27; Rs. T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnr. 102-119; Rs. T-83/91, Tetra Pak International/Kommission (Tetra Pak II), Slg. 1994, II-755, Rdnrn. 136 und 207; Rs. C-95/04 P, British Airways/Kommission, Slg. 2007, I-2331, Rdnrn. 69 und 86.

(21)  Siehe z. B. Rs. T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnrn. 118-119; Rs. T-83/91, Tetra Pak International/Kommission (Tetra Pak II), Slg. 1994, II-755, Rdnrn. 83-84 und Rdnr. 138.

(22)  Siehe, im unterschiedlichen Zusammenhang von Artikel 81 die Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des EG-Vertrags (ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 97).

(23)  Der Begriff „Ausschließlichkeitsbindung“ umfasst auch ausschließliche Lieferverpflichtungen oder gleichwirkende Anreize, durch die das marktbeherrschende Unternehmen versucht, seine Wettbewerber vom Markt auszuschließen, indem es sie daran hindert, ihren Bedarf bei Anbietern zu decken. Nach Auffassung der Kommission ist eine solche Verweigerung des Zugangs zu benötigtem Input grundsätzlich als wettbewerbswidrig anzusehen, wenn die ausschließliche Lieferverpflichtung bzw. der betreffende Anreiz einen Großteil der effizienten Inputlieferanten bindet, so dass die Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens keine effizienten alternativen Bezugsquellen finden.

(24)  Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods/Kommission, Slg. 2003, II-4653. In dieser Sache wurde entschieden, dass die Verpflichtung, Tiefkühltruhen ausschließlich zur Lagerung der Produkte des beherrschenden Unternehmens zu verwenden, wie eine Vertriebsbindung wirkt.

(25)  Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods/Kommission, Slg. 2003, II-4653, Rdnrn. 104 und 156.

(26)  Insofern sind bedingte Rabatte anders zu bewerten als Kampfpreise, die immer einen Verlust verursachen.

(27)  Rs. T-203/01, Michelin/Kommission (Michelin II), Slg. 2003, II-4071, Rdnrn. 162-163. Siehe auch Rs. T-219/99, British Airways/Kommission, Slg. 2003, II-5917, Rdnrn. 277 und 278.

(28)  Sache 322/81, Nederlandsche Banden Industrie Michelin/Kommission (Michelin I), Slg. 1983, S. 3461, Rdnrn 70-73.

(29)  Die relevante Menge wird auf der Grundlage von Daten unterschiedlicher Präzision ermittelt. Die Kommission wird dies bei ihren Schlussfolgerungen zur Fähigkeit des marktbeherrschenden Unternehmens, ebenso effiziente Wettbewerber vom Markt auszuschließen, berücksichtigen. Es kann auch sinnvoll sein zu ermitteln, wie groß der von dem neuen Marktteilnehmer übernommene Teil der Nachfrage des Abnehmers im Durchschnitt mindestens sein sollte, damit der effektive Preis wenigstens so hoch ist wie die LRAIC des marktbeherrschenden Unternehmens. In einer Reihe von Fällen könnte ein Vergleich dieses Anteils mit den tatsächlichen Marktanteilen der Wettbewerber und ihren Anteilen an der Nachfrage der Abnehmer erkennen lassen, ob von dem Rabattsystem eine marktverschließende Wirkung ausgehen kann.

(30)  Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, S. 461, Rdnrn. 89-90; Rs. T-288/97, Irish Sugar/Kommission, Slg. 1999, II-2969, Rdnr. 213; Rs. T-219/99, British Airways/Kommission, Slg. 2003, II-5917, Rdnrn. 7-11 und 270-273.

(31)  In Bezug auf Rabatte siehe z. B. Rs. C-95/04 P, British Airways/Kommission, Slg. 2007, I-2331, Rdnr. 86.

(32)  Rs. T-203/01, Michelin/Kommission (Michelin II), Slg. 2003, S. II-4071, Rdnrn. 56-60 und 74-75.

(33)  Kopplung auf technischer Basis liegt vor, wenn das Kopplungsprodukt so beschaffen ist, dass es nur zusammen mit dem gekoppelten Produkt (und nicht mit den von den Wettbewerbern angebotenen Alternativprodukten) ordnungsgemäß funktioniert. Eine vertragliche Kopplung liegt vor, wenn der Abnehmer, der das Kopplungsprodukt kauft, sich verpflichtet, auch das daran gekoppelte Produkt und nicht die von Wettbewerbern angebotenen Alternativprodukte zu beziehen.

(34)  Das Unternehmen sollte in marktbeherrschender Stellung auf dem Koppelungsmarkt, nicht unbedingt aber auf dem gekoppelten Markt sein. In Fällen der Bündelung muss das Unternehmen eine beherrschende Stellung auf einem der von der Bündelung betroffenen Märkte haben. In Sonderfällen der Kopplung auf Sekundärmärkten muss das Unternehmen auf dem Koppelungs- und/oder dem gekoppelten Sekundärmarkt in marktbeherrschender Stellung sein.

(35)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, insbesondere Rdnrn. 842, 859-862, 867 und 869.

(36)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnrn. 917, 921 und 922.

(37)  Rs. T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Rdnr. 67.

(38)  Der LRAIC-Benchmark ist grundsätzlich so lange maßgeblich, wie die Wettbewerber nicht in der Lage sind, ebenfalls Bündel anzubieten (siehe Randnummern 23 bis 27 und Randnummer 61).

(39)  Die Kommission kann auch Kampfpreispraktiken marktbeherrschender Unternehmen auf Sekundärmärkten, auf denen sie noch keine beherrschende Stellung haben, verfolgen. Derartige Missbräuche dürfte die Kommission am ehesten in Sektoren feststellen, in denen ein gesetzliches Monopol besteht. Während das marktbeherrschende Unternehmen angesichts seiner gesetzlich geschützten Monopolstellung keine Kampfpreise anzuwenden braucht, um seine beherrschende Stellung aufrechtzuerhalten, kann es die auf dem Monopolmarkt erwirtschafteten Gewinne für eine Quersubventionierung seiner Tätigkeiten auf einem anderen Markt verwenden und so den wirksamen Wettbewerb auf diesem anderen Markt gefährden.

(40)  In den meisten Fällen sind die durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) und die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (AAC) deckungsgleich, weil oft nur die variablen Kosten vermieden werden können. Sind jedoch AVC und AAC nicht identisch, spiegeln letztere besser wider, welches Opfer erbracht wurde: Wenn z. B. ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Kapazität ausweiten muss, um Kampfpreise anbieten zu können, sollten die versunkenen Kosten dieser Extrakapazität bei Ermittlung der Verluste dieses Unternehmens berücksichtigt werden. Diese Kosten wären in den AAC berücksichtigt, nicht jedoch in den AVC.

(41)  In der Rs. 62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Rdnr. 71, erklärte der Gerichtshof in Bezug auf Preise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten (ACV): „Ein beherrschendes Unternehmen hat nämlich nur dann ein Interesse, derartige Preise zu praktizieren, wenn es seine Konkurrenten ausschalten will, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben, denn jeder Verkauf bringt für das Unternehmen einen Verlust (…)“.

(42)  Werden bei der Veranschlagung der Kosten nur die unmittelbaren (im Unternehmensabschluss erfassten) Produktionskosten zugrunde gelegt, besteht die Gefahr, dass eventuell ein vermeidbarer Verlust (sacrifice) nicht erkennbar ist.

(43)  Unternehmen sollten allerdings nicht dafür bestraft werden, dass sie ex post Verluste erleiden, wenn die Ex-ante-Entscheidung für das Verhalten guten Glaubens getroffen wurde, d. h. wenn sie schlüssig nachweisen können, dass es durchaus realistisch war, mit Gewinnen zu rechnen.

(44)  Siehe Rs. T-83/91, Tetra Pak International/Kommission (Tetra Pak II), Slg. 1994, II-755, Rdnrn. 151 und 171 sowie Rs. T-340/03, France Télécom/Kommission, Slg. 2007, II-107, Rdnrn. 198 bis 215.

(45)  In der Rs. 62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3359, akzeptierte der EuGH als eindeutige Beweise, dass AKZO in zwei Sitzungen ECS mit Preisen unter den Kosten gedroht hatte, sollte ECS sich nicht von dem Markt für organische Peroxide zurückziehen. Zudem gab es einen genauen Plan (mit Zahlen), in dem die Maßnahmen beschrieben waren, die AKZO ergreifen würde, sollte ECS sich nicht vom Markt zurückziehen (Rdnrn. 76-82, 115 und 131-140).

(46)  So entschieden in der Rs. T-83/91, Tetra Pak International/Kommission (Tetra Pak II), Slg. 1994, II-755 (bestätigt in der Berufung in der Rs. C-333/94 P, Tetra Pak International/Kommission, Slg. 1996, I-5951), in der das Gericht erster Instanz feststellte, dass ein Nachweis des Verlustausgleichs nicht notwendig ist (Rdnr. 150 f.). Da sich die Anwendung von Kampfpreisen als schwieriger erweisen kann als zunächst angenommen, könnten die dem marktbeherrschenden Unternehmen insgesamt durch die Kampfpreise entstehenden Kosten höher sein als die späteren Gewinne, so dass er seine Anfangsverluste nicht ausgleichen kann; dennoch kann es für ihn vernünftig sein, eine bereits begonnene Kampfpreisstrategie fortzusetzen. Siehe hierzu Sache COMP/38.233, Wanadoo Interactive, Entscheidung der Kommission vom 16. Juli 2003, Erwägungsgründe 332-367.

(47)  Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Radio Telefis Eireann (RTE) und Independent Television Publications (ITP)/Kommission (Magill), Slg. 1995, I-743, Rdnr. 50; Rs. C-418/01, IMS Health/NDC Health, Slg. 2004, I-5039, Rdnr 35; Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnrn. 319, 330-332 und 336.

(48)  Siehe Urteil vom 16. September 2008 in den verb. Rs. C-468/06 bis C-478/06, Sot. Lélos kai Sia et al./GlaxoSmithKline, noch nicht veröffentlicht.

(49)  Verbundene Rs. 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano Spa und Commercial Solvents Corporation/Kommission, Slg. 1974, S. 223.

(50)  Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Radio Telefis Eireann (RTE) und Independent Television Publications Ltd (ITP)/Kommission (Magill), Slg. 1995, S. 743; Rs. C-418/01, IMS Health/NDC Health, Slg. 2004, I-5039. Diese Urteile zeigen, dass die Weigerung, eine Lizenz für Rechte des geistigen Eigentums zu erteilen, unter außergewöhnlichen Umständen ein missbräuchliches Verhalten darstellen kann.

(51)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601.

(52)  Siehe Entscheidung 94/19/EG der Kommission vom 21. Dezember 1993 in der Sache IV/34.689 Sea Containers/Stena Sealink — Interim Measures (ABl. L 15 vom 18.1.1994, S. 8) und Entscheidung 92/213/EWG der Kommission vom 26. Februar 1992 in der Sache IV/33.544 British Midland/Aer Lingus (ABl. L 96 vom 10.4.1992, S. 34).

(53)  Rs. C-418/01, IMS Health/NDC Health, Slg. 2004, I-5039, Rdnr. 44.

(54)  Denkbar ist auch der Fall, dass ein integriertes Unternehmen, das ein „System“ komplemetärer Produkte verkauft, sich weigert, eines dieser Produkte separat an einen Wettbewerber zu verkaufen, der das andere Komplementärprodukt herstellt.

(55)  Manchmal werden auch die LRAIC eines nicht integrierten nachgelagerten Wettbewerbers zugrunde gelegt, z. B. wenn es nicht möglich ist, die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens den nach- bzw. vorgelagerten Tätigkeiten eindeutig zuzurechnen.

(56)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnrn. 428 und 560-563.

(57)  Verbundene Rs. C-241/91 P und C-242/91, Radio Telefis Eireann (RTE) und Independent Television Publications (ITP)/Kommission (Magill), Slg. 1995, S. 743, Rdnrn. 52 und 53; Rs. 7/97, Oscar Bronner/Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, Mediaprint Zeitungsvertriebsgesellschaft und Mediaprint Anzeigengesellschaft, Slg. 1998, I-7791, Rdnrn. 44-45; Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnr. 421.

(58)  Dass ein Input dupliziert werden kann, ist immer dann unwahrscheinlich, wenn ein natürliches Monopol vorliegt (wegen der Größen- oder Verbundvorteile), wenn es erhebliche Netzwerkeffekte gibt oder wenn es um eine sogenannte „Single-Source-Information“ handelt. Dennoch ist immer auch die Dynamik des Wirtschaftszweigs zu berücksichtigen und vor allem, ob die Marktmacht rasch aufgelöst werden kann.

(59)  Rs. 7/97, Oscar Bronner/Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, Mediaprint Zeitungsvertriebsgesellschaft und Mediaprint Anzeigengesellschaft, Slg. 1998, I-7791, Rdnr. 46; Rs. C-418/01, IMS Health/NDC Health, Slg. 2004, I-5039, Rdnr. 29.

(60)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnrn. 643, 647-649, 652-653 und 656.

(61)  Rs. C-418/01, IMS Health/NDC Health, Slg. 2004, I-5039, Rdnr. 49; Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnr. 658.

(62)  Rs. T-201/04, Microsoft/Kommission, Slg. 2007, II-3601, Rdnr. 659.