8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/101


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der institutionelle Rahmen für die europäische Binnenschifffahrt“

(2006/C 185/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Der institutionelle Rahmen für die europäische Binnenschifffahrt“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. März 2006 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 57 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

In den EWSA-Stellungnahmen vom 16. Januar 2002 bzw. 24. September 2003 werden alle beteiligten Seiten ersucht, in Richtung von Harmonisierung und Integration des Transports mit Binnenschiffen in Europa weiterzuarbeiten. Diese Stellungnahmen sind in ihrer Aussage noch immer uneingeschränkt gültig und können vor dem Hintergrund der seitherigen Entwicklungen in Bezug auf den institutionellen Rahmen präzisiert werden.

1.2

Von großer Bedeutung ist hierbei, dass die Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren, nämlich der Europäischen Kommission, der Zentralen Kommission für die Rheinschifffahrt und der Donaukommission, direkt weiter ausgebaut und intensiviert wird. Ein fester Kooperationsverbund ist nötig, der strukturell, umfassend und in einem frühen Stadium in den einzelnen Binnenschifffahrtsbereichen tätig sein sollte — wo erforderlich unter voller Einbeziehung der Sozialpartner -, um die Beschlussfassung so stabil, einheitlich und umfassend wie möglich zu gestalten.

1.3

Um schließlich zu einer einheitlichen Rechtsregelung in ganz Europa zu gelangen, sind einige Punkte zu berücksichtigen.

1.3.1

Zunächst die geografische Reichweite: Anders als beispielsweise bei anderen Verkehrsarten, wie etwa dem Luft- und Straßenverkehr, sind bei der Binnenschifffahrt nicht alle EU-Mitgliedstaaten unmittelbar betroffen.

1.3.2

Zweitens sind auch Länder, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, wichtig für die europäische Binnenschifffahrt und somit auch für Europa.

1.3.3

Drittens können die erforderlichen infrastrukturellen Anpassungen auf und an den Binnenwasserstraßen, die in den nationalen Zuständigkeitsbereich aller Staaten fallen, nur durch gemeinsames politisches Handeln in die Tat umgesetzt werden.

1.3.4

Viertens ist eindeutig, dass nicht alle Regeln auf alle europäischen Flüsse im gleichen Umfang und mit derselben Tragweite angewandt werden müssen, da die natürlichen Gegebenheiten, die Infrastruktur und die Intensität der Binnenschifffahrt unterschiedlich sind.

1.3.5

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sollte die Strukturierung der gesamteuropäischen Binnenschifffahrt vor allem einen einzigartigen und speziellen Charakter erhalten.

1.4

Der politische Druck, eine gesamteuropäische Regelung zu schaffen, ist vorhanden, wovon die Aussagen der Ministerkonferenzen zeugen, doch wurde er bislang noch nicht spezifisch und energisch genug zum Ausdruck gebracht. Die Ministerkonferenz 2006 in Rumänien muss zeigen, inwieweit hier auch in der Politik tatsächlich zum Handeln übergegangen werden kann.

1.5

Eine einheitliche, integrierte Rechtsregelung darf dem hohen Niveau an Schutz, Sicherheit und einheitlicher Rechtsanwendung, das vor allem für die Rheinschifffahrt erreicht worden ist, nicht schaden. Es ist zu erwarten, dass die ZKR-Mitgliedstaaten bei einem möglichen Übergang zu einer neuen Regelung den Erhalt des sog. „acquis rhénan“ einfordern werden. Enge und direkte Beziehungen zur Binnenschifffahrtswirtschaft machen ebenso Teil dieses hohen Niveaus aus wie das „erworbene Recht“.

1.6

Sozialvorschriften werden in den bestehenden Regelwerken für die Binnenschifffahrt in Europa weitgehend vernachlässigt und müssen in diesem neuen System besonders berücksichtigt werden. Die Sozialpartner müssen umfassend in die Entwicklung eingebunden werden.

1.7

Alles in allem unterstützt der EWSA die Bemühungen, in der Endphase über einen Vertrag eine unabhängige Organisation zu schaffen, die zumindest sowohl die internationalen Organisationen, wie die EU selbst, die Binnenschifffahrt betreibenden EU-Mitgliedstaaten als auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten, wie die Schweiz und die Donauanrainerstaaten, die nicht Mitglied der EU sind, umfassen könnte. Innerhalb einer Organisation mit solchen Vertragsparteien kann ein Treffen der Minister politische, rechtlich durchsetzbare Beschlüsse fassen und die Aufsicht über die nationalen Kontrollen ausüben. Außerdem könnten in dieser Organisation nicht nur alle Sach- und Fachkenntnisse gebündelt werden, die bislang in den unterschiedlichen bestehenden Gremien versammelt sind. Gleichzeitig könnte auch darauf geachtet werden, dass das bestehende Schutz- und Sicherheitsniveau zumindest bestehen bleibt und der sektorale soziale Dialog fortgeführt wird.

1.8

Der EWSA fordert alle Seiten einmal mehr auf, ihre Bemühungen in der vorstehend beschriebenen Richtung fortzusetzen, vor allem in Bezug auf eine engere Zusammenarbeit und die Schaffung einer im Obenstehenden angesprochenen unabhängigen Organisation. Die aktive Beteiligung des Ausschusses an diversen Foren im Bereich der Binnenschifffahrt zeigt, dass der Ausschuss selbst sich weiterhin aktiv dafür einsetzt, dass dies alles so schnell wie möglich verwirklicht wird. Er beabsichtigt, dieses Jahr an den einschlägigen Anhörungen des Europäischen Parlaments und, falls möglich, auch an der Ministerkonferenz über die gesamteuropäische Binnenschifffahrt Ende 2006 in Rumänien teilzunehmen.

2.   Einleitung

2.1

In seiner Stellungnahme vom 16. Januar 2002 zum Thema „Die Zukunft des transeuropäischen Binnenwasserstraßennetzes“ und seiner Stellungnahme vom 24. September 2003 zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“ hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Lage der europäischen Binnenschifffahrt analysiert (1). In der Stellungnahme aus dem Jahr 2003 wird auf die Probleme der Binnenschifffahrt sowie auf das Erfordernis einer harmonisierten Regelung eingegangen. Dies gilt sowohl für die öffentlich-rechtliche als auch für privatrechtliche Aspekte. Ferner werden in der besagten Stellungnahme Fragen wie Umwelt und Sicherheit, die Arbeitsmarktsituation und soziale Aspekte behandelt. Die sozialen Aspekte werden in der Initiativstellungnahme vom September 2005 zum Thema „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrt“ noch ausführlicher erörtert.

2.2

Der EWSA ersucht in der zweitgenannten Stellungnahme u.a. alle an der Binnenschifffahrt beteiligten Seiten, sich weiterhin um die Verwirklichung integrierter Regelungen und einheitlicher Rechtsvorschriften in Bezug auf die Binnenschifffahrt zu bemühen. Die bestehenden Verträge, Übereinkommen und bilateralen Abkommen, die für nationale und internationale Wasserstraßen gelten, müssten laut dieser Stellungnahme harmonisiert werden, um die Binnenschifffahrt auf gesamteuropäischer Ebene zu fördern.

2.3

Der Ausschuss bringt in all diesen Stellungnahmen ferner zum Ausdruck, dass er selbst auch weiterhin Impulse geben wird, um ein baldmöglichstes Zustandekommen integrierter rechtlicher Regelungen für sämtliche europäischen Binnenwasserstraßen zu erreichen.

2.4

Diese Absicht beruht vor allem auf der Überzeugung, dass die Binnenschifffahrt als die im Vergleich sauberste und umweltfreundlichste Verkehrsart mit genügend Wachstumspotenzial in der Zukunft einen erheblichen Beitrag leisten kann, um das unvermeidliche Verkehrswachstum in nachhaltiger Weise aufzufangen.

2.5

Ein Problem der europäischen Binnenschifffahrt ist die Existenz dreier unterschiedlicher Regelwerke, die sich geografisch teilweise überlappen.

2.6

Aufgrund einiger wichtiger Entwicklungen in diesem Bereich in jüngerer Zeit hält der Ausschuss es für zweckmäßig und erforderlich, nun eine diesbezügliche Initiativstellungnahme vorzulegen.

3.   Der bestehende institutionelle Rahmen

3.1

In der Stellungnahme vom 24. September 2003 wird auf die drei bestehenden Regelwerke in Europa eingegangen, nämlich die revidierte Mannheimer Akte von 1868 für die Rheinschifffahrt, das Belgrader Übereinkommen von 1948 für die Donau sowie der Geltungsbereich der EU-Verträge und der gemeinsame Besitzstand der EU.

3.2

Die revidierte Mannheimer Akte zählt derzeit fünf Vertragsstaaten, und zwar die EU-Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande sowie die Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat. Durch die Festschreibung des Rechts der Freiheit der Schifffahrt und eine einheitliche und harmonisierte Regelung auf dem Rhein und seinen Seitenflüssen entstand im 19. Jahrhundert eine Art „Binnenmarkt in Reinkultur“, der für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa von großer Bedeutung war und noch immer ist.

3.3

Zwar ließe ihr Alter anderes vermuten, doch handelt es sich bei der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) um eine äußerst moderne Organisation mit einem kleinen Sekretariat, einem großen Netzwerk (nationaler) Spezialisten und engen Verbindungen zur Binnenschifffahrtswirtschaft, die in der Lage ist, schnell auf Entwicklungen zu reagieren, um die Rheinschifffahrtsregelung immer auf dem optimalen und aktuellsten Stand zu halten.

3.4

Die ZKR ist befugt, Vorschriften zu erlassen und fasst ihre Beschlüsse einstimmig. Die Vertragsstaaten der Mannheimer Akte sind verpflichtet, die Beschlüsse ggf. in nationales Recht umzusetzen. Die Befugnisse der ZKR erstrecken sich auf technische Normen, die Schiffsbesatzung, Sicherheit, Umwelt und Freiheit der Schifffahrt. Die Mannheimer Akte schreibt vor, dass die Binnenschifffahrt von den Vertragsparteien gefördert werden soll. Die ZKR hat Entscheidungsbefugnis in Streitigkeiten in den von der Akte erfassten Bereichen.

3.5

Die Regelung für die Donau ist im Belgrader Übereinkommen festgelegt. Die Donauanrainerstaaten, die Vertragsstaaten sind, sind Mitglieder der Donaukommission, die, anders als die ZKR, nur über beratende Befugnisse verfügt. Ferner soll auch nur der zwischenstaatliche Schiffsverkehr auf der Donau geregelt werden. Der Kabotageverkehr (der auf dem Rhein der Mannheimer Akte unterliegt) fällt nicht in den Anwendungsbereich des Belgrader Übereinkommens. Auf der Donau ist ein einheitliches Regelwerk daher keine Selbstverständlichkeit. Die Donaukommission zählt EU-Mitgliedstaaten, EU-Kandidatenländer auf dem Balkan und weitere Staaten, wie Serbien-Montenegro, die Republik Moldau, die Ukraine und Russland, zu ihren Mitgliedern.

3.6

Seit dem Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957 wurde der EU-Binnenmarkt allmählich geschaffen und auch auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt ausgebaut. Die Europäische Kommission ist in diesem Zusammenhang mit Aufgaben u.a. im Zusammenhang mit technischen Normen, der Schiffsbesatzung, Umwelt und Sicherheit betraut worden.

3.7

In der Praxis arbeiten die ZKR, die Donaukommission und die Europäische Kommission glücklicherweise immer stärker zusammen, wobei vor allem das technische Fachwissen und die Erfahrung der ZKR eine wichtige Rolle spielen. Die Zusammenarbeit zwischen ZKR und Europäischer Kommission hat am 3. März 2003 durch den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung neue Impulse erhalten. Die Zusammenarbeit mit der Donaukommission findet bislang nur gelegentlich statt.

4.   Entwicklungen der jüngeren Zeit

4.1

Im Oktober 2004 legte eine Gruppe unabhängiger ost- und westeuropäischer Persönlichkeiten einen Bericht vor, in dem der heutige institutionelle Rahmen für die Binnenschifffahrt auf europäischer Ebene analysiert wird und Empfehlungen für eine Stärkung dieses Rahmens ausgesprochen werden. Es handelt sich hierbei um eine niederländische Initiative, die von Deutschland, Belgien, Frankreich und der Schweiz unterstützt wurde. Die Gruppe unter der Leitung des ehemaligen niederländischen Wirtschaftsministers und Vizepremierministers Jan Terlouw nannte sich die „EFIN-Gruppe“ (European Framework for Inland Navigation) und veröffentlichte einen Bericht mit dem Titel „Neuer institutioneller Rahmen für die Europäische Binnenschifffahrt“ . Daneben zählte die Gruppe noch sieben weitere Mitglieder aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Österreich, Rumänien und der Schweiz.

4.2

Die EFIN-Gruppe stellte fest, dass die Binnenschifffahrt über ein großes Potenzial verfügt, dessen Wert nur unzureichend anerkannt wird. Die Binnenschifffahrt kann einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des europäischen Gütertransportsystems leisten. Der institutionelle Rahmen trägt nach Einschätzung der EFIN-Gruppe nicht in ausreichendem Maße zur optimalen Nutzung des Potenzials der europäischen Binnenschifffahrt bei. Außerdem wird der bestehende Rahmen als zu schwach erachtet, um auf politischer Ebene die erforderliche Aufmerksamkeit für eine Weiterentwicklung des Sektors zu erzeugen.

4.3

Wie der EWSA schon in seinen Stellungnahmen vom 16. Januar 2002 bzw. 24. September 2003 empfohlen hatte, kommt auch die EFIN-Gruppe in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass eine stärkere Harmonisierung von technischen Vorschriften, Qualifikationen, Zertifizierungsmechanismen und Marktzugangsbedingungen auf allen europäischen Binnenwasserstraßen erforderlich ist. Zudem wird eine Instanz für wünschenswert erachtet, die bei der Verbesserung der Binnenschifffahrtinfrastruktur, der Entwicklung technischer Anwendungen an Bord, bei der Stimulation von Innovation und der Förderung von beruflicher Qualifikation Unterstützung leisten kann. Eine aktive Unterstützung der Institutionen ist erforderlich, um die der Entwicklung der Binnenschifffahrt im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen. Zu diesem Zweck sollte eine eigene Organisation eingerichtet werden.

4.4

Die EFIN-Gruppe hat einige Optionen für die Schaffung einer solchen neuen Organisation geprüft, wobei immer die gesamteuropäische Dimension berücksichtigt wurde. Eine engere Zusammenarbeit zwischen den heutigen Einrichtungen und vor allem zwischen der ZKR, der Donaukommission und der Europäischen Kommission (aber auch mit der Europäischen Verkehrsministerkonferenz (CEMT) und der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE)) wird empfohlen; dies allein reicht jedoch nicht aus, um der vorgeschlagenen neuen Organisation konkrete Gestalt zu geben.

4.5

Daher wird die Gründung einer „Europäischen Binnenschifffahrtsorganisation“ empfohlen, die mit umfassenden Befugnissen ausgestattet sein sollte, um alle Aspekte der Binnenschifffahrt abdecken zu können. Für diese Organisation ist kein neuer Vertrag erforderlich. Bestehende Verträge und Regelungen sollten daher auch intakt bleiben und nicht geändert werden. Auch sollte die neue Organisation flexibel sein, d.h. veränderten Gegebenheiten angepasst werden können, und aus verschiedenen Komponenten bestehen, die auch unabhängig voneinander arbeiten können.

4.6

Die Organisation sollte aus drei Komponenten bestehen, und zwar aus einer politischen Versammlung in Form einer Europäischen Ministerkonferenz für die Binnenschifffahrt, einem administrativen Organ (das Europäische Binnenschifffahrtsamt) und einem Finanzinstrument (der Europäische Interventionsfonds für die Binnenschifffahrt). Nähere Einzelheiten sind dem Bericht der EFIN-Gruppe zu entnehmen.

4.7

Es sei noch erwähnt, dass die EFIN-Gruppe als eine Option die Möglichkeit einer Gemeinschaftsagentur für die Binnenschifffahrt geprüft hat. Die EFIN-Gruppe fragt sich, ob genügend politischer Wille vorhanden ist, um zu einer solchen Agentur zu gelangen. Zudem wird vorgebracht, dass diese Agenturen normalerweise nicht die Befugnis haben, Vorschriften zu erlassen, sondern über Durchführungs- und Kontrollbefugnisse verfügen und Informationen sammeln sollen. Da viele Wasserstraßen nicht dem Gemeinschaftsrecht unterliegen, würde eine solche Agentur eine nur begrenzte geografische Reichweite haben. Insgesamt kommt die Gruppe hier zu einem ablehnenden Urteil.

4.8

Die Europäische Kommission legte am 14. Juli 2005 ein Konsultationspapier mit dem Titel „Integriertes Europäisches Aktionsprogramm für die Binnenschifffahrt“ vor. Die Kommission nennt hier einige Bereiche, in denen sie den Transport auf den Binnenwasserstraßen der Gemeinschaft verbessern möchte. Die betroffenen Akteure wurden um ihre Kommentare gebeten. Daraufhin hat die Europäische Kommission am 17. Januar 2006 die Mitteilung „NAIADES“ über die Förderung der Binnenschifffahrt mit dem Titel „Integriertes Europäisches Aktionsprogramm für die Binnenschifffahrt“ (2) vorgelegt.

4.9

Neben zahlreichen Maßnahmen in fünf strategischen Bereichen untersucht die Kommission auch die bestehenden Möglichkeiten für eine Modernisierung des Regelwerks, um dieses für künftige Herausforderungen zu rüsten. Zu diesem Zweck müsste die Organisationsstruktur, die heute stark fragmentiert und daher nicht effizient genug ist und eine zu geringe politische Bedeutung hat, modernisiert und verbessert werden. Die Änderungen an den bestehenden Instrumenten müssen jedoch den bestehenden Verpflichtungen und internationalen Übereinkünften Rechnung tragen. Der bestehende „Acquis“ muss daher respektiert werden.

4.10

Die Kommission führt aus, dass dieser Prozess bereits begonnen hat und verweist in diesem Zusammenhang auf die Empfehlung der Kommission an den Rat vom 1. August 2003 zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme und Führung von Verhandlungen über die Bedingungen und Modalitäten des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zur Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und zur Donaukommission sowie auf den Bericht der EFIN-Gruppe. Der Kommission zufolge stehen derzeit vier Optionen zur Debatte, und zwar: a) eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den internationalen Stromkommissionen und der Europäischen Kommission, b) der Beitritt der EU zu den beiden Stromkommissionen, c) die Schaffung einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsorganisation und d) Betrauung der Gemeinschaft mit der strategischen Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa unter Berücksichtigung der Interessen von Drittstaaten.

5.   Gesamteuropäische Binnenschifffahrt

5.1

Die Idee, eine gesamteuropäische Regelung für die Binnenschifffahrt zu schaffen und so den Binnenschiffstransport auf dem gesamten Kontinent zu fördern, ist nicht neu und wird von vielen Seiten unterstützt. Bereits 1991 sprach sich eine Ministerkonferenz in Budapest in dieser Richtung aus. Die Gesamteuropäische Binnenschifffahrtskonferenz hat am 5./6. September 2001 in Rotterdam in einer Erklärung angegeben, dass die gesamteuropäische Zusammenarbeit mit dem Ziel eines freien und leistungsstarken Transports auf den Binnenwasserstraßen beschleunigt werden muss. Die Erklärung enthält einige Ausgangspunkte, Ziele und Maßnahmen. Ein Ausgangspunkt ist, dass die Harmonisierung nicht zu Lasten des bestehenden Niveaus der Sicherheits- und Qualitätsnormen gehen darf und dass vorteilhafte soziale Bedingungen — zumindest die bestehenden — zu wahren sind. Die Schaffung eines transparenten und integrierten gesamteuropäischen Marktes für den Transport auf den Binnenwasserstraßen, der auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit, der freien Schifffahrt, des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der Benutzer von Binnenwasserstraßen beruht, wird gefordert.

5.2

Neben Bemühungen u.a. im Infrastrukturbereich — bekanntermaßen auch in der EU noch eine nationale Angelegenheit — wird in der Erklärung dazu aufgerufen, die Zusammenarbeit zwischen Europäischer Kommission, UN-ECE und den beiden Stromkommissionen im Bereich der gesamteuropäischen Harmonisierung der technischen, Sicherheits- und Besatzungsbedingungen zu intensivieren und diese zu ermuntern, sich gemeinsam für die Verbesserung der beruflichen Bildung und Ausbildung einzusetzen. Ferner werden die UN-ECE, die Europäische Kommission, die beiden Stromkommissionen und die CEMT ersucht, bis Ende 2002 in enger Zusammenarbeit die rechtlichen Hindernisse zu ermitteln, die der Schaffung eines harmonisierten und konkurrierenden gesamteuropäischen Transportmarkts auf den Binnenwasserstraßen im Wege stehen, und hierfür Lösungen zu entwickeln.

5.3

Es ist festzustellen, dass die Überlegungen über einen institutionellen Rahmen für die Binnenschifffahrt seit der Konferenz gut angelaufen sind. In diesen Zusammenhang sei noch auf den Workshop der CEMT, UN-ECE und der Stromkommissionen vom September 2005 in Paris mit dem vielsagenden Titel „On the Move“ verwiesen.

5.4

Als Nachgang zu der Konferenz von Rotterdam findet 2006 in Rumänien erneut eine Ministerkonferenz statt.

6.   Bemerkungen

6.1

Der Bericht der EFIN-Gruppe liefert nach Ansicht des EWSA einen wertvollen Beitrag zu der Debatte über das institutionelle Problem. Insbesondere die in dem Bericht enthaltenen Analysen tragen hierzu bei und können daher auch unterstützt werden. Jedoch wird die logische Konsequenz aus der Analyse nicht in vollem Umfang gezogen, da die vorgeschlagene Lösung mit einer nur unzureichend verbindlichen Beschlusskraft ausgestattet zu sein scheint. Zudem ist auch im Bericht der EFIN-Gruppe, ebenso wie in den bestehenden Verträgen und Regelungen, ein „blinder Fleck“ in Bezug auf die Sozialvorschriften festzustellen.

6.2

Begrüßenswert ist, dass die Kommission die Debatte über die institutionellen Reformen im Gegensatz zur Vergangenheit nun gänzlich offen hält. Dass die Kommission dieses Problem von den fünf strategischen Bereichen völlig trennt, trägt sicher hierzu bei. Zu den vorgeschlagenen Optionen merkt der EWSA an, dass auf kurze Sicht eine intensivere Zusammenarbeit sicherlich geboten ist, wie von der Kommission in Option 1 vorgeschlagen wird. Der Beitritt der Kommission zur ZKR, über den der Beschluss des Rates seit nunmehr zwei Jahren aussteht, kann ein Schritt im Rahmen dieser Intensivierung sein. Um die angestrebte Effizienz zu erreichen und auch um mehr politische Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden jedoch weiter gehende Maßnahmen erforderlich sein.

6.3

Mit Blick auf die beiden weiteren Optionen, die für die Endphase der Reformen vorgesehen sind, also eine gesamteuropäische Binnenschifffahrtsorganisation und die Betrauung der Gemeinschaft mit der Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa, zählt die Kommission zwar Vor- und Nachteile auf, um die Debatte offen zu halten, entscheidet sich jedoch für eine der Optionen.

6.4

Der EWSA will sich, auch um zu der Debatte beizutragen, nach Abwägung der vorgebrachten Argumente, hier sehr wohl für eine Option entscheiden. Nach Auffassung des EWSA würde die von der Kommission vorgeschlagene Option, die Gemeinschaft mit der Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa zu betrauen, nicht das gesamte Unionsgebiet abdecken. Die Regelungen für den Rhein und (in geringerem Ausmaß) auch für die Donau blieben bestehen, was dann doch wieder eine zusätzliche institutionelle Ebene mit sich bringt und Koordinierungsaufwand erfordert. Diese Option verlangt auch den Abschluss von Übereinkommen mit Drittstaaten, was zu Differenzen führen kann. Die Zusammenarbeit mit den Stromkommissionen würde praktisch bedeuten, dass die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und die Donaukommission das Fachwissen und die Fähigkeiten zur Verfügung stellen müssten. Das auf Gemeinschaftsebene zu entwickelnde Fachwissen käme tatsächlich einer Duplizierung des in den Stromkommissionen vorhandenen Wissens gleich und wäre eine Überlappung — was die Kommission erklärtermaßen ja nun gerade vermeiden möchte.

6.5

Hingegen kann der EWSA den von der Kommission aufgezählten positiven Argumenten für die Option einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsorganisation, in der alle an der Binnenschifffahrt interessierten europäischen Länder und Organisationen — und somit auch die Europäische Union — innerhalb eines Koordinierungsgremiums zusammengeführt werden, durchaus zustimmen; eine solche Organisation würde der Binnenschifffahrt eine größere politische Bedeutung verleihen, und die Binnenschifffahrt könnte besser strategisch gefördert werden; außerdem würde die Harmonisierung der Rechtsvorschriften gefördert. Ein von der Kommission weder positiv noch negativ bewertetes Argument, dass diese Organisation über Beiträge der beteiligten Parteien finanziert werden muss, ist gerade deswegen als positiv auszulegen, weil im Rahmen dieser Option nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die Drittstaaten einen Beitrag zur Entwicklung der Binnenschifffahrt leisten würden.

6.6

Zu den von der Kommission aufgeführten negativen Argumenten ist Folgendes anzumerken: Das Zustandekommen und die Ratifizierung eines Vertrags würde sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen, doch im Grunde ist dieser Prozess bereits eingeleitet worden und dürfte, ausreichenden politischen Willen vorausgesetzt, in ein paar Jahren abgeschlossen werden können. Der Erfolg der Ministerkonferenzen für die Binnenschifffahrt der Jahre 1991 und 2001 und der 2006 in Rumänien geplanten Konferenz kann als Zeichen in diese Richtung gesehen werden. Der Einwand, dass eine solche Organisation außerhalb des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens operieren würde, ist nicht aufrecht zu erhalten, wenn durch die Beteiligung der EU die Verbindung zur Gemeinschaft gewährleistet bleibt. Auch die praktische Umsetzung der Beschlüsse der Organisation kann vertraglich abgesichert werden, wie es bei der Mannheimer Akte für den Rhein schon der Fall ist.

6.6.1

Auf dem Binnenschifffahrtskongress (Inland Navigation Summit, Industry Congress), der vom 13. bis 15. Februar 2006 in Wien stattfand, hat die Europäische Kommission ein weiteres Argument gegen die Vertragsoption ins Spiel gebracht, nämlich dass die Binnenschifffahrt laut Vertrag ganz in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt und nicht durch einen anderen zwischenstaatlichen Vertrag übertragen werden kann. Hierzu ist anzumerken, dass sich die europäische Binnenschifffahrt gerade dadurch auszeichnet, dass bestimmte Zuständigkeiten, insbesondere bei der Rheinschifffahrt, gemäß der revidierten Mannheimer Akte den Rheinanrainerstaaten vorbehalten sind. Hinzu kommt, dass hierbei auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten in ein europäisches Regelwerk eingebunden werden möchten, wofür die Zuständigkeit der Gemeinschaft auch nicht gelten kann.

6.6.2

Die Option eines Vertrags würde ferner bedeuten, dass auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten in das Regelwerk eingebunden werden könnten. Außerdem könnten „Stromkammern“ mit unterschiedlichen Zuständigkeiten eingerichtet werden. Auf EU-Gewässern könnte dann das EU-Binnenschifffahrtsrecht uneingeschränkt weiter gelten. Der große Vorteil einer solchen Option wäre, dass über gesamteuropäische Angelegenheiten beraten und beschlossen werden könnte und dass außerdem neue Zuständigkeiten, beispielsweise im Infrastrukturbereich, in Vertragstexten niedergeschrieben werden könnten.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Siehe ABl. C 80 vom 3.4.2002 und ABl. C 10 vom 14.1.2004.

(2)  KOM(2006) 6 endg.