8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nutzung geothermischer Energie — Wärme aus der Erde“

(2005/C 221/05)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Nutzung geothermischer Energie — Wärme aus der Erde“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar 2005) mit 132 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Die vorliegende Stellungnahme ergänzt frühere energie- und forschungspolitische Stellungnahmen des Ausschusses. Sie befasst sich mit der Entwicklung und Nutzung der Geothermie (Erdwärme) als einer Energiequelle, die vom Umfang der Ressource her das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllen könnte, die im Nutzungsprozess kein klimarelevantes CO2 emittiert, und die daher zu den Erneuerbaren Energieträgern gerechnet werden kann. Stand der Entwicklung und Nutzung von Geothermie, ihr mögliches Potenzial und die Probleme der Markteinführung werden kurz umrissen und bewertet. Dies geschieht vor dem Hintergrund der globalen Energiefrage.

Inhaltsverzeichnis:

1.

Die Energiefrage

2.

Geothermie

3.

Derzeitiger Stand

4.

Zukünftige Entwicklung und Empfehlungen

5.

Zusammenfassung

1.   Die Energiefrage

1.1

Nutzbare Energie (1) ist die Grundlage unserer heutigen Lebensweise und Kultur. Erst ihre ausreichende Verfügbarkeit führte zum gegenwärtigen Lebensstandard: Lebenserwartung, Nahrungsversorgung, allgemeiner Wohlstand und persönlicher Freiraum haben in den großen und aufstrebenden Industrienationen ein nie zuvor gekanntes Niveau erreicht. Ohne ausreichende Energieversorgung wären diese Errungenschaften sehr gefährdet.

1.2

Die Notwendigkeit einer gesicherten, preisgünstigen, umweltfreundlichen und nachhaltigen Versorgung mit nutzbarer Energie steht im Schnittpunkt der Ratsbeschlüsse von Lissabon, Göteborg und Barcelona. Dementsprechend verfolgt die Europäische Union in der Energiepolitik drei eng verknüpfte und gleich wichtige Ziele, nämlich Schutz und Verbesserung der (1) Wettbewerbsfähigkeit, (2) Versorgungssicherheit und (3) Umwelt, alle zusammen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung.

1.3

Der Ausschuss hat in mehreren Stellungnahmen (2) festgestellt, dass Bereitstellung und Nutzung von Energie mit Umweltbelastungen, Risiken, Ressourcenerschöpfung sowie problematischen außenpolitischen Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten — siehe derzeitiger Ölpreis -verbunden sind, und dass die wichtigste Maßnahme zur Verringerung des Versorgungsrisikos, des Risikos von Wirtschaftskrisen und anderer Risiken in einer möglichst vielseitigen und ausgewogenen Nutzung aller Energiearten und -formen besteht, einschließlich aller Anstrengungen zur Einsparung und zum rationellen Umgang mit Energie.

1.4

Keine der Optionen und Techniken, die einen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung leisten können, ist technisch perfekt, gänzlich frei von störenden Einflüssen auf die Umwelt, für alle Bedürfnisse ausreichend und in ihrem Potenzial genügend langfristig überschaubar. Zudem zeigen der gegenwärtige Trend und die Kostenentwicklung sowohl konventioneller Energieträger als auch alternativer Energieformen deutlich, dass Energie in Zukunft kaum mehr so kostengünstig verfügbar sein wird, wie dies bisher mit der Verbrennung (3) fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohle und Erdgas der Fall war.

1.5

Darum kann sich eine vorausschauende und verantwortungsbewusste europäische Energiepolitik auch nicht darauf verlassen, dass eine im Sinne der auf die oben genannten Ziele ausgerichtete Energieversorgung durch die Nutzung nur einiger weniger Energieträger garantiert werden kann.

1.6

Eine langfristig verfügbare, umweltschonende und ökonomisch kompatible Energieversorgung ist also weder in Europa noch global sichergestellt (4). Der Schlüssel zu möglichen Lösungen kann nur aus weiterer intensiver Forschung und Entwicklung kommen. Das muss auch die Erstellung von Pilotanlagen, deren technische und wirtschaftliche Erprobung und schließlich deren schrittweise Markteinführung, einschließen.

1.7

Zudem hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass die Behandlung des Energieproblems globaler orientiert sein und einen wesentlich größeren Zeitraum umfassen sollte, da die Veränderungen in der Energiewirtschaft nur langsam verlaufen und die Emission von Klimagasen (Treibhausgasen) kein regionales, sondern ein globales Problem darstellt. Zudem ist zu erwarten, dass sich die Problemlage in Zukunft, insbesondere in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, weiter zuspitzen wird.

1.8

Sowohl die ressourcenseitigen Beschränkungen als auch die Emissionsproblematik werden nämlich zusätzlich durch die Prognose erschwert, dass sich der Weltenergiebedarf, bedingt durch das Bevölkerungswachstum und den Nachholbedarf der weniger entwickelten Länder, bis zum Jahr 2060 voraussichtlich verdoppeln oder gar verdreifachen wird. Nach heutigem Wissensstand wird sich dieser sehr beachtliche zusätzliche Bedarf durch Effizienzsteigerung und Energieeinsparungen allein nicht kompensieren lassen.

1.9

Strategie und Entwicklungsperspektive müssen somit über diesen Zielhorizont von 2060 hinaus ausgerichtet werden.

1.10

Wie der Ausschuss ebenfalls bereits festgestellt hat, gibt es in der Wahrnehmung der Problematik durch die Bürger und in der öffentlichen Diskussion eine zwischen Unter- und Überschätzung von Risiken und Chancen aufgespannte Bandbreite von Meinungen.

1.11

Demzufolge gibt es auch noch keine ausreichend einheitliche globale Energiepolitik. Diese Tatsache erschwert zudem die erforderliche Chancengleichheit der EU im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb.

1.12

Selbst innerhalb der Mitgliedstaaten der Union bestehen gewisse Unterschiede in der Haltung zum Energieproblem. Dennoch herrscht sowohl hier als auch auf Ebene der EU weitgehend darin Übereinstimmung, dass alle Optionen — in mehreren Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Kernenergie — (weiter-)entwickelt werden sollen. Zu diesem Zweck kommt eine große Anzahl dementsprechender F&E-Programme und sonstiger, zum Teil sogar kumulativer Förderprogramme zur Anwendung, und zwar sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU.

1.13

Ein besonderes Ziel der EU ist es dabei, die Nutzung Erneuerbarer Energieträger mittel- bis langfristig deutlich zu erhöhen, was auch dem Klimaschutz zu Gute kommen kann. In diesem Zusammenhang spielt die Geothermie eine wichtige Rolle.

2.   Geothermie (Erdwärme)

2.1

Unter geothermischer Energiegewinnung werden jene Techniken zusammengefasst, welche den aus dem sehr heißen Erdinneren zur Erdoberfläche fließenden Wärmestrom anzapfen und nutzbar machen. Als Wärmeträgermedium wird dabei Wasser (flüssig/dampfförmig) (5) verwendet.

2.1.1

Allerdings ist die Dichte dieses Wärmestroms sehr gering. Die unter der Erdoberfläche herrschenden Temperaturen steigen mit zunehmender Tiefe nur sehr schwach an: Der allgemeine Durchschnittswert liegt bei einem Temperaturanstieg von rund 3oC pro 100 m Tiefe. Geologische Zonen, in denen mit zunehmender Tiefe ein stärkerer Temperaturanstieg erfolgt, bezeichnet man als geothermische Anomalien.

2.1.2

Der Wärmehaushalt der oberflächennahen Erdschichten kann auch durch Sonneneinstrahlung beeinflusst werden; dies wird im Folgenden dennoch unter Erdwärme subsumiert.

2.2

Man unterscheidet zwei Nutzungsformen der Erdwärme.

2.2.1

Dabei handelt es sich einerseits um die Wärmenutzung zu Heizzwecken. Für Heizzwecke werden derzeit in der EU rund 40 % der gesamten Energieversorgung benötigt, und dafür reichen in der Regel relativ geringe (Wasser-)Temperaturen ( bereits < 100oC) aus.

2.2.1.1

Für Heizzwecke allein werden unter anderem so genannte Erdwärmesonden eingesetzt, bei denen ein am unteren Ende gegenüber dem Erdreich abgeschlossenes Koaxialrohr (mit einer Teufe von 2,5 — 3 km) von Wasser gegenläufig durchströmt wird und dabei nutzbare Wärmeleistung bis zu ca. 500 kWth aufnimmt.

2.2.1.2

Eine besondere Nutzungsart sehr oberflächennaher Erdwärme liegt in der Verwendung von Erdwärmepumpen („Umgekehrte Kältemaschine“) zur Gebäudeheizung (von etwa 2 kWth bis 2 MWth); dabei wird zusätzlich noch ein „Kältemittel“ (6) verwendet. Hierzu gibt es mehrere Varianten, die je nach Technik einen Tiefenbereich bereits ab einem Meter bis zu mehrere hundert Meter erfassen.

2.2.2

Dabei handelt es sich andererseits um die Erzeugung von elektrischer Energie, für welche demgegenüber höhere (Wasser-)Temperaturen (z.B. > 120oC) notwendig sind, wobei das zu erwärmende Wasser üblicherweise mittels zweier in größerem Abstand eingebrachter und gegenläufig durchströmter Bohrungen durch den Untergrund geleitet wird. Auf diese Weise sind größere Wärmeleistungen erzielbar, nämlich rund 5 bis 30 MWth.

2.2.2.1

Aber auch diese (Wasser-)Temperaturen sind noch niedrig angesichts des (für die Umsetzung von Wärmeenergie in elektrische Energie) erwünschten thermodynamischen Wirkungsgrads und angesichts der erforderlichen Siedetemperaturen für den Turbinenkreislauf.

2.2.2.2

Daher werden für den Turbinenkreislauf vorzugsweise Arbeitsmittel mit einer gegenüber Wasser niedrigeren Siedetemperatur (wie z.B. Perfluorpentan C5F12) eingesetzt. Dafür werden spezielle Turbinenkreisläufe wie der „Organic Rankine Cycle“ (ORC-Prozess) oder der Kalina-Prozess entwickelt.

2.2.3

Besonders vorteilhaft ist es, beide Anwendungsformen (Elektrizität und Wärme) zu kombinieren und die bei der Stromerzeugung oder für die Stromerzeugung nicht genutzte Wärme für Heizzwecke zu nutzen: gleichzeitige Bereitstellung von Heizwärme und elektrischer Energie.

2.3

Um technisch nutzbare Energie insbesondere für die Stromerzeugung zu liefern, sind in der Regel allerdings nur ausreichend tief — nämlich mehrere Kilometer — unterhalb der Erdoberfläche liegende Wärme-Reservoirs geeignet. Dies erfordert aufwändige Tiefbohrungen.

2.3.1

Allerdings steigen auch die Kosten für Erschließung und Betrieb solcher Anlagen mit zunehmender Tiefe deutlich an. Daher ist, je nach vorgesehener Nutzungsart, eine Abwägung zwischen Bohrtiefe (Teufe), Wirkungsgrad und Wärmeausbeute zu treffen.

2.4

Daher wurde zunächst hauptsächlich in jenen geologischen Zonen nach nutzbaren Wärmereservoirs gesucht, wo geothermische Anomalien herrschen.

2.4.1

So finden sich ausgeprägte geothermische Anomalien (sog. hochenthalpische (7) Lagerstätten) vornehmlich in Regionen erhöhten Vulkanismus (Island, Italien, Griechenland, Türkei). Hochenthalpische Lagerstätten wurden schon im Altertum als Heilbäder genutzt und werden seit etwa hundert Jahren auch zur Stromerzeugung herangezogen (Larderello, Italien, 1904).

2.4.2

Demgegenüber finden sich leichte geothermische Anomalien (sog. niederenthalpische hydrothermale Lagerstätten), d.h. nur leicht erhöhter Temperaturanstieg mit zunehmender Tiefe, in tektonisch aktiven Gebieten (Oberrheingraben, Tyrrhenisches Meer, Ägäis, etc.) und weiterverbreitet in den wasserführenden Sedimenten (Pannonisches Becken in Ungarn und Rumänien, norddeutsch-polnisches Becken).

2.5

Wegen der Begrenztheit von Zonen mit geothermischer Anomalie bemüht man sich seit Mitte der 80er Jahre jedoch zunehmend, auch die in „normalen“ geologischen Formationen gespeicherte Wärme zu erschließen, um den steigenden Bedarf an Nutzenergie besser befriedigen und das Wärme- bzw. Energieangebot besser an den jeweiligen regionalen Bedarf anpassen zu können.

2.5.1

So hat man von den 90er Jahren an begonnen, Lagerstätten abseits geothermischer Anomalien — vorwiegend im deutschsprachigen Raum — zur Energiegewinnung zu nutzen. Die Bereitstellung von elektrischer Energie wurde in Altheim und Bad Blumau (Österreich) und in Neustadt-Glewe (Deutschland) erst in den letzten vier Jahren realisiert.

2.5.2

Da hierfür Tiefen von mindestens 2

Formula

km, besser aber 4 bis 5 km und tiefer erschlossen werden müssen, sind entsprechende Tiefbohrungen erforderlich.

2.6

Vorteile dieser Verfahren sind, dass

die Nutzung der Erdwärme nicht wie Wind- oder Solarenergie von Wetterbedingungen sowie Tages- bzw. Jahresrhythmen abhängt, sodass sie der wichtigen Grundlastversorgung dienen kann;

dabei nur die bereits vorhandene Wärme aus dem in einigen Kilometern Tiefe gelegenen Reservoir an die Erdoberfläche transportiert werden muss, sodass die sonst erforderlichen Prozesse der primären Wärmeerzeugung (wie Verbrennung oder nukleare Prozesse) sowie die damit verbundenen Kosten und Umweltbelastungen entfallen;

es sich um fast unerschöpfliche regenerative Wärmereservoirs handelt, deren Ausbeute theoretisch einen beträchtlichen Beitrag zur Energiebereitstellung liefern könnte.

2.7

Nachteile sind allerdings, dass

die vorhandenen Temperaturen relativ niedrig sind, um einen für Stromerzeugung befriedigenden thermo-dynamischen Wirkungsgrad zu erzielen;

wegen des benötigten Nachstroms an Wärme in die unterirdischen Reservoirs und wegen der Wärmeübertragung aus diesen Reservoirs große Volumina erschlossen und genutzt werden müssen, damit bei großen Wärmeentnahmen keine Erschöpfungserscheinungen eintreten, die zur (gegenüber der beabsichtigten Nutzung vorzeitigen) Aufgabe des Reservoirs zwingen könnten;

bei Nutzung der Reservoirs die mögliche Einwirkung oder Freisetzung umweltbelastender und/oder korrosiver Stoffe (unter anderem CO2, CH4, H2S sowie Salze) verhindert und die Korrosion der Anlagekomponenten beherrscht werden muss;

die Kosten und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten (unter anderem Fündigkeitsrisiko, Erschöpfungsrisiko) zur Erschließung und Nutzung geothermischer Lagerstätten noch vergleichsweise hoch sind.

3.   Derzeitiger Stand

3.1

Im Wesentlichen handelt es sich bei der Tiefen-Geothermie um drei Erschließungs- und Nutzungstechniken — üblicherweise mit der Notwendigkeit von mindestens je zwei Bohrungen (Dublette) (8) — oder deren Varianten, nämlich

hydrothermale Lagerstätten, aus denen unterirdische, nicht-artesische (d.h. nicht unter Überdruck stehende) Warmwasservorkommen an die Oberfläche gefördert und bisher meist zu Heizzwecken genutzt werden. Zurzeit wird dieses Verfahren auch auf Heißwasservorkommen mit höheren Temperaturen zum Zwecke der Stromerzeugung ausgedehnt. Wärmeträgermedium ist das vorhandene Tiefenwasser;

Hot-Dry-Rock-Systeme HDR (Heiße trockene Gesteinsformationen), bei denen geeignete Gesteinsformationen durch Tiefbohrungen und massive Stimulationsmaßnahmen erschlossen werden. Mit Hilfe eingeleiteten Oberflächenwassers wird deren Wärme entnommen, und zwar durch Abkühlung der durch Stimulation künstlich erzeugten Wärmetauscherflächen im Tiefengestein;

unter Druck stehende Heißwasserreservoirs, bei denen das bis über 250oC (so heiß nur in seltenen, besonderen Fällen) heiße Wasser/Dampf-Gemisch zur Stromerzeugung oder Prozesswärmenutzung eingesetzt werden kann.

Ergänzend dazu werden obertägige Techniken (9) entwickelt, die eine verbesserte Wärmeübertragung bzw. Wärmenutzung ermöglichen sollen.

3.2

In der EU beträgt die derzeit installierte Stromerzeugungskapazität aus geothermischen Anlagen — im Wesentlichen unter Nutzung geothermischer Anomalien — rund 1 GWel, also rund 2‰ der in der EU installierten elektrischen Gesamtleistung, und zwar zum größten Teil in Italien. Zur unmittelbaren Wärmenutzung für Heizzwecke sind zurzeit rund 4 GWth installiert. Trendprojektionen für das Jahr 2010 lassen aber bereits 8 GWth oder mehr erwarten.

3.3

Also leisten beide Nutzungsarten bisher keinen quantitativ ins Gewicht fallenden Beitrag zur Energieversorgung in der EU, und selbst ihr Anteil an der Nutzung Erneuerbarer Energieträger ist bisher vernachlässigbar.

3.4

Allerdings zeigt die Nutzung geothermischer Energie in den letzten Jahren ein deutliches Wachstum, und zwar durch Förderung sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU. Solange es sich dabei um den Wärmeleistungsbereich von einigen bis einigen zehn MWth handelt, liefert die Geothermie damit auch Beiträge zur dezentralen Energieversorgung.

3.5

Nach Meinung des Ausschusses ist dies voll gerechtfertigt und unterstützenswert. Auch hier handelt es sich mehrheitlich um Pilotanlagen, in denen verschiedene Methoden erprobt und weiterentwickelt werden sollen.

3.6

Außerhalb der Gebiete mit geothermischen Anomalien liegen die Kosten pro kWhel elektrischer Energie derzeit noch etwa bei der Hälfte der Kosten für Solarstrom und beim Doppelten jener für Windenergie; und selbst dies erfordert meistens, dass Wärme und Strom gleichzeitig bereitgestellt werden.

3.6.1

Allerdings (siehe oben) kann hier das geothermische Energieangebot weitgehend nach dem Bedarf ausgerichtet werden, was bei wachsenden Anteilen Erneuerbarer Energien am Energiemarkt zunehmend von Vorteil sein wird. Dann werden nämlich die Leistungsschwankungen von Wind- und Solarenergie zunehmende Regel- und Puffermaßnahmen erfordern; voraussichtlich werden sie letztlich nicht ohne energieverzehrende und kostenträchtige Speichermedien wie Wasserstoff auskommen.

4.   Zukünftige Entwicklung und Empfehlungen

4.1

Falls die Beschränkung auf Zonen geothermischer Anomalie (siehe auch die Ziffern 2.4 und 2.5) entfallen kann, besitzt die geothermische Energienutzung ein großes Potenzial, um einen maßgeblichen Beitrag zu einer umweltverträglichen und nachhaltigen Energieversorgung zu leisten. (Siehe auch Ziffer 4.13).

4.2

Um dieses Potenzial zu erschließen und zu entwickeln, sind für eine wirtschaftlich sinnvolle Elektrizitätserzeugung Bohrungen von mindestens 4 bis 5 km Tiefe erforderlich, damit jene (Gesteins-) Schichten erschlossen werden können, welche die erforderlichen Mindesttemperaturen von ca. 150oC aufweisen. Zudem muss das Gestein dort so bearbeitet (stimuliert) werden, dass ein ausreichender Wärmeaustausch zwischen dem heißen Gestein und dem natürlich vorhandenen bzw. injizierten Wasser sowie eine ausreichende Wasserströmung ermöglicht werden.

4.2.1

Demgegenüber (siehe auch Ziffer 2.2.1.1) reichen für reine Wärmenutzung (Heizzwecke) auch geringere Bohrtiefen von z.B. 2 — 3 km aus.

4.3

Entsprechende Technologieansätze sind an mehreren Standorten (z.B. Soultz-sous-Forêts, Groß Schönebeck) unterschiedlicher geologischer Formation in Europa bereits in der Entwicklung und Erprobung. Das Ausbaupotenzial liegt hier in der Entwicklung so weit wie möglich standortunabhängiger und damit exportfähiger Nutzungstechnologien. Dieses Ziel erfordert jedoch noch beachtliche F&E-Anstrengungen.

4.4

Einerseits gilt es, die ansatzweise bereits vorhandenen verschiedenen Techniken zur Einsatzreife weiterzuentwickeln und die obengenannten Voraussetzungen für eine nachhaltige Ausbeutung der geothermischen Energie zu verifizieren.

4.4.1

Eine besonders wichtige Frage ist dabei, ob in einem solchen stimulierten Reservoir die hydraulischen und thermodynamischen Voraussetzungen für ausreichende Nachhaltigkeit tatsächlich erfüllbar sind.

4.5

Andererseits müssen dann auch die einzelnen Verfahrensschritte sukzessive so weit verbessert und rationalisiert werden, dass die Kosten für diese Energienutzung wettbewerbsfähig (siehe unten) werden. Dazu müssen entsprechende F&E-Anstrengungen (siehe Ziffer 1.6), aber auch marktvorbereitende Anstrengungen unternommen werden, um herstellungsbedingte Kosteneinsparungen zu erreichen.

4.6

Mittelfristig ist unter wettbewerbsfähig zu verstehen, dass geothermische Energienutzung kostenmäßig mit Windenergienutzung konkurrieren kann. Dies ist zu erwarten angesichts der immer deutlicher erkennbaren Nachteile der Windenergie. Diese betreffen ihr sehr stark schwankendes Angebot, was bekanntlich zu erheblichen Sekundärkosten und auch Emissionen an anderer Stelle führt, die Belastung der Anwohner und des Landschaftsbilds, aber auch den steigenden Reparatur- und Pflegebedarf. Auch die kostenmäßige Belastung der Verbraucher bzw. der öffentlichen Hand muss in die Gesamtbewertung einbezogen werden.

4.7

Langfristig gesehen und unter Berücksichtigung wahrscheinlich weiterhin steigender Preise für Erdöl und Erdgas (und deren möglicher Verknappung), erhebt sich die Frage nach der generellen Wettbewerbsfähigkeit geothermisch gewonnener Energie. Das heißt, ob auch diese Energienutzung — unter Berücksichtigung der externen Kosten aller Energiewandlungstechniken — und wenn ja wann, langfristig ohne jede Subvention bzw. marktverzerrende Vorzugsbehandlungen wettbewerbsfähig werden kann.

4.8

Bis dahin jedoch ist es erforderlich (10):

sowohl seitens der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU durch zielführende F&E-Programme die wissenschaftlich-technische Entwicklung so weit voranzutreiben, dass die verschiedenen Techniken und Verfahrensschritte in einer ausreichenden Anzahl von Versuchsanlagen entwickelt und erprobt werden können, und

zur anfänglichen Unterstützung der Markteinführung auch Regelungen (z.B. Stromeinspeisungsgesetz und Raumwärme/Raumklimatisierung) als Anreiz für Privatinvestitionen zu treffen, jeweils mit degressivem Verlauf, welche den Verkauf der geförderten Energie während der Markteinführungsphase befristet attraktiv machen, um auch das wirtschaftliche Potenzial erproben, verbessern und evaluieren zu können. Dies gilt in besonderem Maße auch für Contracting-Modelle seitens der EVUs an die Verbraucher.

Absicherungen zu gewähren gegen die mit der Erkundung und Erschließung von geothermischen Lagerstätten verbundenen Risiken wie das Fündigkeitsrisiko und das Bohrrisiko.

4.9

Der Ausschuss anerkennt mit Befriedigung, dass auf diesem Gebiet bereits vieles geleistet wird. Er unterstützt die Kommission voll in ihren dazu laufenden oder ausgeschriebenen F&E-Projekten und auch in ihrer Absicht, ihre entsprechenden Bemühungen im nächsten F&E-Rahmenprogramm nochmals deutlich zu verstärken. Er unterstützt auch die Mitgliedstaaten in ihren dementsprechenden F&E-Programmen sowie in ihren Bemühungen, schon jetzt durch Fördermaßnahmen die probeweise Markteinführung zu erleichtern und zu stimulieren.

4.10

Der Ausschuss wiederholt in diesem Zusammenhang seine frühere Empfehlung, die Chancen des Europäischen Forschungsraums durch eine umfassende, transparente, koordinierte und von allen Partnern getragene Strategie ENERGIEFORSCHUNG zu nutzen und diese zu einem wesentlichen Element des Siebten F&E-Rahmenprogramm plus Euratom-Programm zu machen.

4.11

Darin sollten auch die notwendigen F&E-Maßnahmen zur Entwicklung der Geothermie enthalten sein und ihren angemessenen Platz erhalten, bis in einem sich ohnedies verändernden Energiemarkt die langfristige Kostenentwicklung und das tatsächlich realisierbare Potenzial dieser Technologie besser abgeschätzt und bewertet werden können.

4.12

Außerdem empfiehlt der Ausschuss, alle — d.h. auch die bisher ausschließlich national geförderten — F&E-Programme zur Geothermie im Sinne der offenen Koordinierung so weit wie möglich in ein europäisches Energieforschungsprogramm einzubinden und damit auch die europäische Kooperation zu fördern.

4.13

In diesem Zusammenhang sieht der Ausschuss auch eine Chance in der Beteiligung der neuen Mitgliedstaaten am F&E-Rahmenprogramm der EU. Die in diesen Ländern anstehende Erneuerung vorhandener Energiesysteme sollte genutzt werden, um dort ebenfalls entsprechende Pilot- und Demonstrationsanlagen zu installieren.

4.14

Der Ausschuss empfiehlt zudem, die Kommission möge sich darum bemühen, die wirksamen Fördermaßnahmen zur Markteinführung (z.B. Stromeinspeisungsgesetze) innerhalb der EU so weit zu harmonisieren, dass zunächst zumindest innerhalb der Technik „Geothermie“ ein EU-weiter fairer Wettbewerb zwischen gleichartigen Techniken ermöglicht wird.

4.15

Wegen der sich bei Geothermie anbietenden und dafür besonders geeigneten gleichzeitigen Bereitstellung von Heizwärme und elektrischer Energie empfiehlt der Ausschuss zudem, dass die Kommission sich auch um entsprechende Wärmenetze und Wärmenutzung bemühen möge.

5.   Zusammenfassung

5.1

Unter geothermischer Energiegewinnung werden jene Techniken zusammengefasst, welche den aus dem sehr heißen Erdinneren zur Erdoberfläche fließenden Wärmestrom anzapfen.

5.2

Dies betrifft in erster Linie die Versorgung mit Heizwärme, aber auch mit elektrischer Energie oder mit gleichzeitiger Bereitstellung beider Energieformen.

5.3

In Gebieten geothermischer Anomalien kommt geothermische Energiegewinnung bereits zur Anwendung; ihr relativer Beitrag zur gesamten Energieversorgung ist dabei jedoch sehr gering.

5.4

Durch den Einsatz von Technologien, welche auch Gebiete außerhalb geothermischer Anomalien erschließen, kann geothermische Energiegewinnung das Potenzial für einen signifikanten Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung entwickeln, und zwar insbesondere im Bereich der Grundlastversorgung. Das ist jedoch mit Tiefbohrungen von rund 4 bis 5 km und zusätzlichen „Stimulationsmaßnahmen“ verbunden.

5.5

Allerdings liegt auch in der „untiefen“ Erdwärmenutzung mit Erdwärmepumpen zur Raumheizung und -klimatisierung ein vielversprechendes Entwicklungspotenzial.

5.6

Das Potenzial zur Grundlastversorgung unterscheidet die Geothermie von Verfahren mit schwankendem Angebot (wie Wind- und Solarenergie), welche zunehmend auf Regel-, Puffer- und Speichertechniken angewiesen sind oder sein werden sowie durch ihren Flächenbedarf und ihre Einwirkung auf das Landschaftsbild auf Widerstände in der Bevölkerung stoßen.

5.7

Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung, die Chancen des Europäischen Forschungsraums durch eine umfassende Strategie ENERGIEFORSCHUNG zu nutzen.

5.8

Darin sollten auch die notwendigen F&E-Maßnahmen zur Entwicklung der Geothermie enthalten sein, in Weiterführung und angemessener Verstärkung der schon bisher laufenden einschlägigen Programme.

5.9

Der Ausschuss empfiehlt, die bisher ausschließlich national geförderten F&E-Programme zur Geothermie im Sinne der offenen Koordinierung in ein solches europäisches Energieforschungsprogramm und dessen integrierende Maßnahmen einzubinden.

5.10

Der Ausschuss empfiehlt, in allen Mitgliedstaaten anfängliche, degressiv verlaufende Anreize und Regelungen zur Markteinführung (z.B. Stromeinspeisungsgesetz) sowie für Privatinvestoren zu schaffen, welche Erschließung und Verkauf der befristet geförderten Energie attraktiv machen, um auf diese Weise dazu beizutragen, auch das wirtschaftliche Potenzial dieser Energieform zu erproben, zu verbessern und zu evaluieren.

5.11

Der Ausschuss empfiehlt, derartige Fördermaßnahmen innerhalb der EU so weit zu harmonisieren, dass im Rahmen der Technik „Geothermie“ ein EU-weiter fairer Wettbewerb ermöglicht wird.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Energie wird nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt und dabei genutzt. Dies geschieht durch geeignete Umwandlungsprozesse wie z.B. die Verbrennung von Kohle, die Umwandlung von Windenergie in Strom oder die Kernspaltung (Erhaltung der Energie; E = mc2). Dabei spricht man auch von „Energieversorgung“, „Energiegewinnung“ oder „Energieverbrauch“.

(2)  Förderung der erneuerbaren Energieträger: Aktionsmöglichkeiten und Finanzierungsinstrumente; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung auf der Grundlage des Nutzwärmebedarfs im Energiebinnenmarkt; Entwurf für einen Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen und Entwurf für einen Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die Bedeutung der Kernenergie für die Stromerzeugung. Fusionsenergie.

(3)  Welche nicht nur wegen der Endlichkeit ihrer Ressourcen, sondern auch wegen der Emission von CO2 (Kyoto !) in Zukunft zunehmend eingeschränkt werden muss.

(4)  Vorzeichen der Gesamtproblematik waren die bisherigen Ölkrisen (z.B. 1973 und 1979), der gegenwärtige Anstieg des Ölpreises sowie die gegenwärtige, das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie kennzeichnende Kontroverse über die Zuteilung von Emissionszertifikaten.

(5)  Siehe jedoch 2.2.1.2 sowie 2.2.2.2.

(6)  In Zukunft z.B. CO2.

(7)  Unter dem in der Thermodynamik verwendeten Bergriff Enthalpie wird die Summe von innerer Energie plus Ausdehnungsenergie (Ausdehnungsarbeit) verstanden.

(8)  Siehe jedoch 2.2.1.1 die geschlossene „Erdwärmesonde“ und 2.2.1.2 die „Erdwärmepumpe“.

(9)  Siehe 2.2.2.2 zum Turbinenkreislauf.

(10)  Siehe „Förderung der erneuerbaren Energieträger: Aktionsmöglichkeiten und Finanzierungsinstrumente“.