52004DC0334

Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union /* KOM/2004/0334 endg. */


GRÜNBUCH über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union

(von der Kommission vorgelegt)

Ziele des Grünbuchs

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten (Artikel 29 des Vertrags über die Europäische Union). Im Hinblick darauf hält es die Kommission für sinnvoll zu prüfen, ob die Unterschiede zwischen den strafrechtlichen Sanktionensystemen der Mitgliedstaaten der Verwirklichung dieses Ziels entgegenstehen. Zu prüfen wäre auch, ob die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch diese Unterschiede erschwert wird. Hierzu müsste zunächst festgestellt werden, welche Hindernisse sich bei der Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung stellen, der nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere zum ,Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union werden und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat generell erleichtern soll.

Das vorliegende Grünbuch ist zunächst als Reflexionspapier gedacht, das in einem zweiten Schritt dank der Reaktionen und Kommentare zu den hier angestellten Überlegungen eine fundiertere Aussage über Nutzen und Realisierbarkeit eines Legislativvorschlags ermöglichen soll, der zum einen eine gewisse Annäherung der Vorschriften für strafrechtliche Sanktionen allgemein und zum anderen die gegenseitige Anerkennung sowohl der freiheitsentziehenden Sanktionen als auch ihrer Alternativen bewirken soll.

Konsultation aller interessierten Kreise

Dieses Grünbuch enthält einen Katalog von Fragen, die nach Auffassung der Kommission für die Verwirklichung eines echten Rechtsraums von herausragender Bedeutung sind.

Die Kommission bittet alle, die sich für die Problematik interessieren, zu den Überlegungen und Fragestellungen dieses Grünbuchs Stellung zu nehmen. Es können auch Gesichtspunkte erörtert werden, die nicht in diesem Grünbuch angesprochen wurden, wenn sie für den Gesamtzusammenhang von Interesse sind. Die Antworten auf die Fragen und sonstige Kommentare sind bis spätestens 31. Juli 2004 an folgende Anschrift zu richten:

Europäische Kommission Generaldirektion Justiz und Inneres, Referat D.3 B-1049 Brüssel Fax: (+32-2) 296 76 34

E-Mail: JAI-justicepenale@cec.eu.int

Im Interesse der Übersichtlichkeit wird gebeten, bei Antworten und Kommentaren, die auf unterschiedlichem Weg übermittelt werden (z. B. gleichzeitig per E-Mail und per Post), anzugeben, wenn dasselbe Dokument der Kommission bereits auf anderem Weg zugeschickt worden ist. Anzugeben ist auch, in welcher Eigenschaft sich die betreffenden Personen zu diesem Grünbuch äußern und welche Interessen sie vertreten.

Das Grünbuch sowie die Antworten und Kommentare dazu werden auf der Website der Kommission unter veröffentlicht, sofern dies von den einzelnen Verfassern nicht ausdrücklich abgelehnt wird.

INHALTSVERZEICHNIS

Ziele des Grünbuchs

Konsultation aller interessierten Kreise

1. Einführung

1.1. Ziele der Rechtsangleichung

1.2. Ziele der gegenseitigen Anerkennung

1.3. Aufbau und Vorgehensweise des Grünbuchs

2. Auf Ebene der Europäischen Union ergriffene Massnahmen: Eine Bestandsaufnahme

2.1. Angleichung der Sanktionen

2.1.1. Der Vertrag über die Europäische Union

2.1.2. Der Wiener Aktionsplan

2.1.3. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere

2.1.4. Erlassene oder vorgeschlagene Rechtsakte

2.1.5. Freiheitsentziehende Sanktionen

2.1.6. Geldstrafen und Geldbußen

2.1.7. Aberkennung von Rechten

2.1.8. Einziehung

2.1.9. Sanktionen gegen juristische Personen

2.1.10. Alternative Sanktionen

2.1.11. Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

2.1.12. Schlussfolgerungen

2.2. Gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat

2.2.1. Europäischer Haftbefehl

2.2.2. Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen

2.2.3. Anerkennung von Einziehungsentscheidungen

2.2.4. Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten

2.2.5. Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ)

2.2.6. Schlussfolgerungen

3. Aktuelle Rechtslage: Gesetzgebung der Mitgliedstaaten und internationale Abkommen

3.1. Ausgeprägte Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten

3.1.1. Regeln des allgemeinen Strafrechts

3.1.1.1. Einleitung der Strafverfolgung: Legalitäts- oder Opportunitätsprinzip

3.1.1.2. Der Ermessensspielraum des Strafrichters

3.1.1.3. Grad der Beteiligung: Beihilfe

3.1.1.4. Grad der Durchführung: Versuch

3.1.1.5. Erschwerende und mildernde Umstände

3.1.1.6. Ein besonderer Aspekt - der Rückfall

3.1.1.7. Konkurrenzen (Tateinheit oder Tatmehrheit)

3.1.2. Freiheitsentziehende Sanktionen

3.1.3. Geldstrafen und Geldbußen

3.1.4. Aberkennung von Rechten

3.1.5. Einziehung

3.1.6. Sanktionen gegen juristische Personen

3.1.7. Alternative Sanktionen

3.1.8. Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

3.2. Unvollständiger Bestand an Rechtsakten im Bereich der gegenseitigen Anerkennung

3.2.1. Gegenseitige Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen

3.2.1.1. Europäisches Übereinkommen des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970

3.2.1.2. Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen vom 13. November 1991

3.2.1.3. Übereinkommen zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg über die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen vom 26. September 1968

3.2.1.4. Die Zusammenarbeit zwischen den nordischen Staaten

3.2.1.5. Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983.

3.2.1.6. Zusatzprotokoll des Europarats zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 18. Dezember 1997

3.2.1.7. Abkommen über die Anwendung des Übereinkommens des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften vom 25. Mai 1987

3.2.2. Anerkennung von Entscheidungen über die Strafaussetzung, die bedingte Entlassung oder alternative Sanktionen

3.2.2.1. Problemstellung

3.2.2.2. Bestehende Rechtsakte

3.2.3. Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten

3.2.4. Schlussfolgerungen

4. Bestehende Probleme und Handlungsbedarf auf Ebene der Europäischen Union

4.1. Angleichung der freiheitsentziehenden Sanktionen und ihrer Alternativen

4.1.1. Regeln des allgemeinen Strafrechts

4.1.1.1. Legalitäts- vs. Opportunitätsprinzip

4.1.1.2. Der Ermessensspielraum des Strafrichters

4.1.1.3. Grad der Beteiligung: Beihilfe

4.1.1.4. Erschwerende und mildernde Umstände

4.1.1.5. Rückfall

4.1.1.6. Konkurrenzen (Tateinheit oder Tatmehrheit)

4.1.2. Freiheitsentziehende Sanktionen

4.1.3. Geldstrafen und Geldbußen

4.1.4. Aberkennung von Rechten

4.1.5. Einziehung

4.1.6. Juristische Personen

4.1.7. Alternative Sanktionen

4.1.8. Vollstreckung der Sanktionen

4.2. Anerkennung und Vollstreckung freiheitsentziehender und alternativer Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat

4.2.1. Geltungsbereich einer möglichen Regelung auf Ebene der Europäischen Union

4.2.1.1. Persönlicher Geltungsbereich

4.2.1.2. Inhaltlicher Geltungsbereich

4.2.2. Voraussetzungen für die Anerkennung

4.2.2.1. Einleitung des Anerkennungsverfahrens

4.2.2.2. Ablehnungsgründe

4.2.2.3. Die Befugnis des Vollstreckungsstaats zur Anpassung der im Urteilsstaat verhängten (freiheitsentziehenden oder alternativen) Sanktion

4.2.2.4. Beteiligung des Verurteilten

4.2.2.5. Beteiligung des Opfers

4.2.3. Verfahrensfragen und praktische Modalitäten für die Durchführung der Anerkennung von Strafurteilen und der Überstellung von Häftlingen

4.2.3.1. Fristen

4.2.3.2. Erstattung der Kosten des Vollstreckungsstaats

4.2.4. Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Urteils- und dem Vollstreckungsstaat

ANHANG I: Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten betreffend die im Urteil angeordneten Modalitäten für die Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen

1. Strafaussetzung

2. Aussetzung/Aufschub der Strafverkündung

3. Offener Vollzug

4. Fraktionierter Strafvollzug (,Wochenendarrest")

5. Elektronische Überwachung

6. Hausarrest

ANHANG II: Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten zu alternativen Sanktionen

1. Gemeinnützige Arbeit

2. Mediation in Strafsachen

3. Staatsanwaltlicher Vergleich)

ANHANG III: Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

1. Strafunterbrechung

2. Offener Vollzug

3. vorzeitige Entlassung

4. Straferlass

5. Amnestie und Begnadigung

ANHANG IV: Liste aller Fragen

1. EINFÜHRUNG

Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) sieht in Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe e) ,die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen" in bestimmten Bereichen vor. Diese Vorgehensweise wird im Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [1] (Wiener Aktionsplan) sowie in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere [2] (Rdnr. 48) bestätigt.

[1] ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1. Siehe auch 2.1.2.

[2] Abrufbar unter: http://ue.eu.int/fr/Info/eurocouncil/ index_fr.htm.

Die Angleichung der strafrechtlichen Sanktionen trägt dazu bei, die Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander zu gewährleisten, soweit dies zur Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erforderlich ist (vgl. Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) EUV), und die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten bei der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern und zu beschleunigen (vgl. Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe a) EUV).

Um diesem Auftrag nachzukommen, hat der Rat bereits eine Reihe von Rahmenbeschlüssen in folgenden Bereichen erlassen: Betrug mit unbaren Zahlungsmitteln, Fälschung des Euro, Geldwäsche, Terrorismus, Umweltkriminalität, Menschenhandel, Bestechung im privaten Sektor und Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt. Über andere Regelungen wird im Rat und im Europäischen Parlament derzeit noch beraten. Als Beispiele seien genannt der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit [3]. Ziel der Rahmenbeschlüsse ist eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Rahmenbeschlüsse sind für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel [4].

[3] Siehe 2.1.5.

[4] Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b) EUV.

Bei der Harmonisierung freiheitsentziehender Sanktionen hatte man sich zunächst damit begnügt vorzuschreiben, dass diese Sanktionen zumindest wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen. Inzwischen ist man mehr und mehr dazu übergegangen, auch das Mindestmaß der Hoechststrafe festzulegen [5]. Diese Vorgehensweise führt nach Ansicht der Kommission zu einer Minimalangleichung, die sich für die Verwirklichung der oben genannten Ziele als unzureichend erweisen könnte. Es ist deshalb erforderlich, die Bereiche zu bestimmen, in denen auf EU-Ebene Handlungsbedarf besteht. Ein solcher Bereich ist beispielsweise der Umweltschutz (man denke etwa an das Verbot illegaler Einleitungen aus Schiffen) oder die gemeinsame Fischereipolitik.

[5] Die Gemeinsame Maßnahme des Rates vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sieht allerdings keinen Mindeststrafrahmen vor.

Es sei im Übrigen daran erinnert, dass sich die Maßnahmen, die von der Gemeinschaft auf der Grundlage des EU-Vertrags ergriffen werden, in keiner Weise auf die Kompetenzen auswirken, über die die Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele in Artikel 2 EG-Vertrag verfügt und auf deren Grundlage sie die Mitgliedstaaten verpflichten kann, auf einzelstaatlicher Ebene Sanktionen - auch strafrechtlicher Art - einzuführen, wenn sich dies für die Verwirklichung eines Gemeinschaftsziels als notwendig erweist.

Abgesehen von Freiheitsstrafen sind im Strafrecht der Mitgliedstaaten zahlreiche andere Sanktionen vorgesehen. Aber auch wenn für eine Straftat überall dieselbe Strafe festgelegt würde, würde die verhängte Strafe aufgrund der beträchtlichen Divergenzen im allgemeinen Strafrecht der Mitgliedstaaten nicht ohne Weiteres der vollstreckten Strafe entsprechen.

Das vorliegende Grünbuch enthält eine vergleichende Analyse des mitgliedstaatlichen Rechts. Die Rechtslage in den Beitrittsländern konnte nicht berücksichtigt werden, da sich die Studien, die für das Grünbuch herangezogen wurden, nicht auf das Recht dieser Staaten erstreckten. Die Beitrittsländer können aber im Rahmen dieser Konsultation selbstverständlich uneingeschränkt ihre Meinung zu diesem Grünbuch äußern. Die Kommission wird sie überdies bitten, Informationen über ihr einzelstaatliches Recht in den in diesem Grünbuch behandelten Bereichen zu übermitteln.

Im Hinblick auf die Effizienz einer Sanktion stellt sich die Frage, ob die Sanktion wirksam angewandt wird und ob diese Anwendung abschreckend wirkt, um bei der Begrifflichkeit zu bleiben, die sich seit der Rechtssache ,Griechisch-jugoslawischer Mais" [6] eingebürgert hat und die seither der Angleichung der Sanktionen im Wege von Rechtsakten zugrunde liegt, die im Rahmen des dritten Pfeilers erlassen worden sind. Die letztendlich zu verbüßende Strafe ist das Ergebnis einer komplexen Gleichung mit sehr vielen Variablen: Theoretisch müsste man bei jedem einzelnen Faktor ansetzen, um eine in allen Rechtsordnungen gleiche Strafe zu gewährleisten.

[6] EuGH, Urteil vom 21. September 1989, Rs. 68/88, Kommission/Republik Griechenland, Slg. 1989, 2965.

Es kann allerdings nicht die Rede davon sein, alle einschlägigen Faktoren in kurzer Zeit gleichzeitig zu harmonisieren, und die Kommission hat selbstredend nicht die Absicht, eine Vereinheitlichung der strafrechtlichen Sanktionen innerhalb der Europäischen Union vorzuschlagen. Dies wäre weder wünschenswert noch rechtlich möglich.

Die Unterschiede zwischen den strafrechtlichen Sanktionensystemen der Mitgliedstaaten sind relativ stark ausgeprägt. Sie sind historisch, kulturell und rechtlich bedingt und fest mit dem jeweiligen Rechtssystem verbunden. Sie geben Aufschluss darüber, mit welchen Grundsatzfragen die Staaten im Bereich des Strafrechts im Laufe der Zeit konfrontiert waren und wie sie sie beantwortet haben. Diese Systeme sind in sich geschlossen. Würde man einzelne Bestandteile ohne Rücksicht auf die Gesamtstruktur verändern, würden Dissonanzen entstehen.

Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip müssen wir uns vielmehr ausgehend von den Zielen, die wir uns gesetzt haben, und ausgehend von den verfügbaren Rechtsgrundlagen auf die Bereiche konzentrieren, in denen Handlungsbedarf festgestellt wurde. Im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen geht es demnach eher darum, die Unterschiede sichtbar zu machen, die sich als besonders störend erweisen, und etwaige Grenzen festzulegen, um die Verwirklichung des europäischen Rechtsraums zu ermöglichen.

Im Entwurf des Verfassungsvertrags [7] heißt es hierzu in Artikel 41, der die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betrifft, dass die Union diesen Raum bildet

[7] Abrufbar unter http://european-convention.eu.int/ .

- durch den Erlass von Europäischen Gesetzen und Rahmengesetzen, mit denen, soweit erforderlich, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in den in Teil III aufgeführten Bereichen einander angeglichen werden sollen;

- durch Förderung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung der gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen;

- durch operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einschließlich der Polizei, des Zolls und anderer auf die Prävention und die Aufdeckung von Straftaten spezialisierter Behörden.

Darüber hinaus heißt es in Teil III des Verfassungsvertragsentwurfs im Abschnitt über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Artikel III-171), dass diese Zusammenarbeit auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht und die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen umfasst. Artikel III-172 sieht in diesem Zusammenhang vor: ,Durch Europäische Rahmengesetze können Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben."

Nach Artikel III-171 Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe d) werden durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze Maßnahmen festgelegt, um ,die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzuges und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern". Außerdem kann der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig einen Europäischen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden (Artikel III-172 Absatz 1 Unterabsatz 3).

Erweist sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unabdingbar, um die EU-Politik in einem bereits harmonisierten Rechtsbereich wirksam umsetzen zu können, können in einem Europäischen Rahmengesetz auf dem betreffenden Gebiet Mindestvorschriften zur Bestimmung der Straftaten und Strafen festgelegt werden (vgl. Artikel III-172 Absatz 2).

Nach Artikel III-173 des Entwurfs können durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze Maßnahmen festgelegt werden, um das Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der Kriminalprävention zu fördern und zu unterstützen; die Art und Weise, wie freiheitsentziehende Sanktionen und ihre Alternativen vollstreckt werden, ist für die Prävention von großer Bedeutung (vgl. Anhänge I und II). Diese Rechtsgrundlage lässt jedoch eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten nicht zu.

1.1. Ziele der Rechtsangleichung

Mit der Rechtsangleichung im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen lassen sich mehrere Ziele gleichzeitig miteinander verbinden:

- Die Festlegung gemeinsamer Tatbestandsmerkmale und gemeinsamer Sanktionen für bestimmte Formen der Kriminalität auf EU-Ebene hätte zunächst symbolische Bedeutung. Die Angleichung der Strafen würde zu einem gemeinsamen Rechtsgefühl der EU-Bürger beitragen, eine der Voraussetzungen für die Verwirklichung des europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [8]. Außerdem würden damit bestimmte Verhaltensweisen eindeutig als inakzeptabel qualifiziert und mit einer gleichwertigen Strafe bedroht. Zu denken wäre hier beispielsweise an die sexuelle Ausbeutung von Kindern. Eine Rechtsangleichung, die bei den Tatbestandsmerkmalen einer Straftat und dem dazu gehörigen Strafmaß ansetzt, bietet den Bürgern im ganzen EU-Gebiet einen wirksamen, gleichwertigen Schutz vor Verhaltensweisen, die den gemeinsamen Grundsätzen und Werten der Mitgliedstaaten zuwiderlaufen.

[8] Vgl. Rdnr. 15 des Wiener Aktionsplans.

- Ein europäischer Raum des Rechts bedeutet schließlich auch, dass gleichartige kriminelle Verhaltensweisen unabhängig davon, wo sie in der Union begangen worden sind, mit gleichartigen Strafen bedroht sind. Die Rechtsangleichung stellt somit in den als vorrangig eingestuften Bereichen ein eigenständiges Ziel dar. Da bestimmte Formen der Kriminalität nicht an Landesgrenzen halt machen und die Mitgliedstaaten ihnen allein nicht wirksam Einhalt gebieten können, ist eine gewisse Angleichung auch des materiellen Strafrechts erforderlich.

- EU-weite Mindestnormen tragen dazu bei, dass Straftäter (zumindest solche, die bestimmten Kategorien wie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind) nicht von den zum Teil beträchtlichen Unterschieden zwischen den Sanktionensystemen der Mitgliedstaaten profitieren und sich der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung durch Ausweichen auf einen anderen Mitgliedstaat entziehen können. In den Schlussfolgerungen von Tampere (Rdnr. 5) wird hervorgehoben, dass Straftäter keinesfalls von den Unterschieden zwischen den Justizsystemen der Mitgliedstaaten profitieren dürfen. Dies gilt insbesondere für die Finanzkriminalität.

- Bei den Diskussionen im Rat über den Entwurf des Rahmenbeschlusses zum Grundsatz ,ne bis in idem" hat sich überdies gezeigt, dass dieser in Artikel 50 der EU-Grundrechtscharta festgeschriebene Grundsatz leichter akzeptiert würde, wenn Strafen vergleichbar wären und wirksam vollstreckt würden.

- Seit dem Erlass von Rechtsakten, die nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verfahren, kommt es kaum noch vor, dass sich Art und Umfang der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in einem konkreten Fall nach dem betreffenden Strafmaß bestimmen.

- Wie Artikel III-172 Absatz 2 des Verfassungsvertragsentwurfs zeigt, besteht ein Zusammenhang zwischen der Angleichung des Strafrechts und der wirksamen Umsetzung einer EU-Politik in einem Bereich, der bereits Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen war. Als Bereiche, in denen das Strafrecht dazu beitragen könnte, einer Unionspolitik Geltung zu verschaffen, wären beispielsweise zu nennen der Umweltschutz, die Sicherheit am Arbeitsplatz oder Wirtschafts- und Finanztransaktionen.

- Die Angleichung der Straf- und Strafvollstreckungsvorschriften wirkt vertrauensbildend und trägt auf diese Weise dazu bei, die Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen zu erleichtern. Die Rechtsangleichung ist allerdings für die gegenseitige Anerkennung nicht unabdingbar. Es handelt sich eher um zwei komplementäre Vorgehensweisen auf dem Weg zu einem europäischen Rechtsraum. Hierdurch würde nicht nur gemäß Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) EUV die Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten untereinander besser gewährleistet, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Vollstreckung von Entscheidungen (Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe a) EUV). Eine abgestimmte Strafvollstreckung zwischen den Mitgliedstaaten würde die Verbüßung der Strafe in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Verurteilung erlauben und die Wiedereingliederung der Straffälligen in die Gesellschaft fördern.

Dessen ungeachtet sind bei jeder Maßnahme, mit der eine Angleichung der strafrechtlichen Sanktionen angestrebt wird, die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Anwendung dieser Grundsätze richtet sich nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, das durch den Vertrag von Amsterdam in den EG-Vertrag eingefügt worden ist. Danach ist ein Tätigwerden der Gemeinschaft gerechtfertigt, wenn es sich um einen Bereich mit transnationalen Aspekten handelt, wenn alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen den Anforderungen des EG-Vertrags zuwiderlaufen würden oder wenn Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen deutliche Vorteile mit sich bringen würden.

Diese Vorgaben sind gemäß Artikel 2 EUV auch anwendbar, wenn es um die Zuständigkeiten der Union geht. Jede Bemühung um eine Rechtsangleichung bei der Verhängung und Vollstreckung von Strafen ist gerechtfertigt, um das vom EG-Vertrag vorgegebene Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen, zu verwirklichen, soweit die Ziele des geplanten Vorhabens von den Mitgliedstaaten allein nicht hinreichend erreicht werden können, sondern wegen des Umfangs oder der Wirkungen des Vorhabens besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können. Die geplanten Angleichungsmaßnahmen könnten bei mehreren sanktionsrelevanten Aspekten ansetzen, die sich mit folgender Fragestellung umreißen lassen:

1. Welche Sanktionen lässt das Strafrecht zu?

2. Wie werden Straftaten verfolgt?

3. Wie werden Sanktionen verhängt?

4. Wie werden die verhängten Sanktionen vollstreckt?

Nach Auffassung der Kommission sollte es nicht bei der Angleichung der Strafen bleiben, sondern die Problematik sollte in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Es reicht nicht aus, ähnliche Strafrahmen in den Mitgliedstaaten festzulegen, wenn die Strafe je nach Land strenger oder milder vollstreckt wird. Die Entscheidung für eine bestimmte Strafe zieht unweigerlich die Entscheidung über die Art und Weise ihrer Vollstreckung nach sich.

Eine in sich stimmige Politik im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen in der Europäischen Union muss sich daher zumindest mit den vier folgenden Aspekten [9] auseinander setzen, ohne dass es zum jetzigen Zeitpunkt möglich wäre, die Zweckmäßigkeit oder Realisierbarkeit eines Vorgehens der EU in allen vier Fällen zu beurteilen:

[9] Strafrechtliche Sanktionen werden im Wesentlichen durch folgende Faktoren beeinflusst:

1. Strafmaß und Bandbreite der verfügbaren Sanktionen (z. B. Freiheitsstrafe, alternative Strafen zum Freiheitsentzug, Geldstrafen und Geldbußen usw.);

2. die Strafverfolgung betreffende Vorschriften (z. B. Legalitäts-/Opportunitätsprinzip, kriminalpolitische Prioritäten usw.);

3. Regeln des allgemeinen Strafrechts (z. B. in Bezug auf Versuch, Beihilfe, Anstiftung, erschwerende und mildernde Umstände, Rückfall usw.);

4. Vorschriften und Praktiken der Strafvollstreckung (z. B. verschiedene Formen der bedingten Entlassung aus der Haft, Straferlass und Strafminderung, Amnestie, Begnadigung, Rehabilitierung, Intervention der Justizbehörden oder sonstiger Behörden bei der Strafvollstreckung, auf die Wiedereingliederung ausgerichtete individuelle Ausgestaltung der Strafe usw.).

Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird die Kommission auch die Ergebnisse einer unlängst veröffentlichten Studie über die Harmonisierung der strafrechtlichen Sanktionen in Europa [10] heranziehen, die von der Forschungsabteilung für Rechtsvergleichung in Paris (Unité Mixte de Recherche de Droit Comparé) erstellt wurde. Die Studie, die mit Hilfe des Programms Grotius finanziert wurde, beschäftigt sich zum einen mit der Frage, inwieweit eine Angleichung des allgemeinen Strafrechts der Mitgliedstaaten im Bereich der Sanktionen möglich ist, und zum anderen mit den Vorschriften für die Strafvollstreckung. Die Ergebnisse dieser Studie könnten zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen werden, um die Bereiche genauer abzugrenzen, in denen ein Tätigwerden auf Ebene der Union ins Auge gefasst werden könnte.

[10] ,L'harmonisation des sanctions pénales en Europe", M. Delmas-Marty, G. Giudicelli-Delage, E. Lambert-Abdelgawad. Hrsg. von der Société de législation comparée. Erschienen in der Sammlung der UMR de Droit comparé de Paris (Paris I- CNRS, vol. V), Paris, 2003.

1.2. Ziele der gegenseitigen Anerkennung

Gemäß Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe a) EUV umfasst das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen unter anderem ,die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten bei [...] der Vollstreckung von Entscheidungen". In dieser durch den Vertrag von Amsterdam [11] eingeführten Bestimmung wird der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, nach dem Urteile oder andere Entscheidungen der Justizbehörden eines Mitgliedstaats (des Urteilsmitgliedstaats) in einem anderen Mitgliedstaat (dem Vollstreckungsstaat) anerkannt und wenn nötig vollstreckt werden, nicht erwähnt.

[11] Unterzeichnet am 2. Oktober 1997 und am 1. Mai 1999 in Kraft getreten.

Auf der Tagung des Europäischen Rats von Cardiff vom 15./16. Juni 1998 wurde dieses dem Binnenmarkt entlehnte Konzept erstmals erwähnt, und der Rat wurde ersucht, die Möglichkeiten für eine weitergehende gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen von Gerichten der jeweils anderen Mitgliedstaaten zu ermitteln [12].

[12] Schlussfolgerung Nr. 39 des Vorsitzes.

Der unter Rdnr. 45 f) des Aktionsplans des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts enthaltende Gedanke der gegenseitigen Anerkennung wurde vom Europäischen Rat von Tampere im Oktober 1999 aufgegriffen, der betonte, dass dieser Grundsatz "zum Eckstein der justitiellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch ein Strafsachen innerhalb der Union werden sollte" (Rdnrn. 33 bis 37). Der Erklärung des Europäischen Rates von Tampere zufolge ,[würden eine] verbesserte gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und Urteilen und die notwendige Annäherung der Rechtsvorschriften [...] die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Schutz der Rechte des einzelnen durch die Justiz erleichtern". Die gegenseitige Anerkennung soll daher nicht nur garantieren, dass die Urteile angewandt werden, sondern auch, dass sie in einer Form angewandt werden, die den Schutz der Rechte des Einzelnen gewährleistet. Die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat sollte beispielsweise auch dann erwirkt werden, wenn damit eine bessere Resozialisierung des Straffälligen erreicht werden kann.

Der Europäische Rat von Tampere forderte ferner den Rat und die Kommission auf, ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung anzunehmen [13].

[13] Schlussfolgerung Nr. 37 des Vorsitzes.

In ihrer Mitteilung (26.07.2000) an den Rat und das Europäische Parlament über die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen [14] schlug die Kommission grundlegende Leitlinien für diesen Bereich vor.

[14] KOM(2000)495 endg.

Diese wurden anschließend im ,Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen" [15] präzisiert. In diesem Programm wird darauf hingewiesen, dass die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen insofern ein Faktor der Rechtssicherheit innerhalb der Union ist, als sie gewährleistet, dass eine in einem Staat ergangene gerichtliche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat nicht wieder in Frage gestellt wird. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen Vertrauen in die Strafgerichtsbarkeit der anderen Mitgliedstaaten voraussetzt. Dieses Vertrauen beruht insbesondere auf dem gemeinsamen Sockel von Überzeugungen, der durch das Eintreten der Mitgliedstaaten für die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit gebildet wird. Das gegenseitige Vertrauen wird auch, wie die Zusammenarbeit zwischen den nordischen Ländern zeigt, durch die Angleichung des nationalen Rechts erleichtert (vgl. 3.2.1.4.).

[15] ABl. C 12 vom 15.01.2001, S. 10.

Dieser Ansatz wird im Verfassungsvertragsentwurf bestätigt. Artikel III-171 des Verfassungsvertragsentwurfs bestimmt dementsprechend: ,Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und umfasst die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten [...]."

1.3. Aufbau und Vorgehensweise des Grünbuchs

Ausgehend von einer Bestandsaufnahme der auf EU-Ebene im Bereich der Rechtsangleichung, der gegenseitigen Anerkennung und der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen (Kapitel II) wird anschließend auf das Recht der Mitgliedstaaten eingegangen unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Strafrechtsgrundsätze, der Strafen und ihrer Vollstreckung sowie der von den Mitgliedstaaten geschlossenen einschlägigen internationalen Übereinkünfte (Kapitel III, ergänzt durch die Anhänge I, II und III).

Im letzten Kapitel werden die Probleme aufgezeigt, die trotz der auf EU-Ebene getroffenen Maßnahmen im Bereich der Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung und der internationalen Abkommen und Übereinkünfte der Mitgliedstaaten weiter bestehen. Anhand von Beispielen wird sichtbar gemacht, welche konkreten oder potenziellen rechtlichen und praktischen Hindernisse der Verwirklichung eines europäischen Rechtsraums entgegenstehen. Auf der Grundlage dieser Analyse wird anschließend ausgeführt, in welchen Bereichen die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung der rechtlichen Möglichkeiten einen Handlungsbedarf der Europäischen Union sieht. Dieses Kapitel betrifft ausschließlich die gegenseitige Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen (einschließlich der Modalitäten ihrer Vollstreckung) und ihrer Alternativen. Zur Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen sowie von Einziehungsentscheidungen liegen Initiativen vor, die im Rat bereits erörtert werden. Mit Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten wird sich die Kommission in einer eigenen Mitteilung befassen. Anhand der Reaktionen auf das Grünbuch und insbesondere der Antworten auf die in Anhang IV zusammengestellten Fragen wird sich zeigen, ob Handlungsbedarf, wie er in diesem Grünbuch festgestellt wird, besteht und inwieweit Änderungen oder Ergänzungen erforderlich sind.

2. AUF EBENE DER EUROPÄISCHEN UNION ERGRIFFENE MASSNAHMEN: EINE BESTANDSAUFNAHME

2.1. Angleichung der Sanktionen

2.1.1. Der Vertrag über die Europäische Union

Der Vertrag über die Europäische Union (EUV), der zuletzt durch den Nizzaer Vertrag geändert wurde und im Februar 2003 in Kraft getreten ist, gibt der Union in Artikel 29 das Ziel vor, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Dieses Ziel soll dem Vertrag zufolge u. a. -soweit erforderlich - im Wege der Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten erreicht werden. Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe e) sieht hierzu insbesondere die schrittweise Annahme von ,Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel" vor.

Bereits unter dem Vertrag von Maastricht wurde mit der Annäherung des Strafrechts begonnen. In gemeinsamen Maßnahmen wurden Straftatbestände wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit [16] oder Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung [17] EU-weit definiert, aber auf das Strafmaß wurde nicht eingegangen.

[16] ABl. L 185 vom 24.7.1996, S. 5.

[17] ABl. L 351 vom 29.12.1998, S. 1.

2.1.2. Der Wiener Aktionsplan

Der Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [18] sieht unter Rdnr. 46 innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags eine Annäherung des Strafrechts der Mitgliedstaaten bei bestimmten Straftaten vor.

[18] ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1.

Aufgeführt sind u. a. Verhaltensweisen im Bereich der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und des Drogenhandels, bei denen das vordringliche Erfordernis besteht, Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale einer strafbaren Handlung und die dafür geltenden Strafen festzulegen und erforderlichenfalls entsprechende Maßnahmen auszuarbeiten. Dabei könnten dem Aktionsplan zufolge Straftaten wie Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern, Verstöße gegen Suchtmittelvorschriften, Bestechung, Computerbetrug, Straftaten von Terroristen, Umweltkriminalität, Internet-Kriminalität und Geldwäsche - soweit sie mit organisierter Kriminalität, Terrorismus und Drogenhandel zusammenhängen - im Vordergrund stehen.

2.1.3. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere

Unter Rdnr. 48 seiner Schlussfolgerungen vertritt der Europäische Rat von Tampere (Oktober 1999) die Ansicht, ,daß sich in bezug auf das nationale Strafrecht die Bemühungen zur Vereinbarung gemeinsamer Definitionen, Tatbestandsmerkmale und Sanktionen zunächst auf eine begrenzte Anzahl von besonders relevanten Bereichen, wie Finanzkriminalität (Geldwäsche, Bestechung, Fälschung des Euro), illegaler Drogenhandel, Menschenhandel, insbesondere die Ausbeutung von Frauen, sexuelle Ausbeutung von Kindern, High-tech-Kriminalität und Umweltkriminalität, konzentrieren sollten".

Die Verpflichtung zu einer Annäherung der strafrechtlichen Sanktionen folgt somit nicht nur aus dem EU-Vertrag und dem Wiener Aktionsplan, sondern auch aus dem politischen Willen der Staats- und Regierungschefs, wie er in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere zum Ausdruck kommt.

2.1.4. Erlassene oder vorgeschlagene Rechtsakte

Zu allen Bereichen, die im Vertrag über die Europäische Union, im Wiener Aktionsplan oder in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere genannt sind, sind Initiativen der Mitgliedstaaten oder Vorschläge der Kommission vorgelegt worden, die zum Teil bereits Gegenstand eines Rechtsakts sind oder über die noch beraten wird. Sie werden im Folgenden entsprechend der Art der angedrohten Strafe angeführt.

2.1.5. Freiheitsentziehende Sanktionen

Bei der Harmonisierung freiheitsentziehender Sanktionen hatte man sich zunächst damit begnügt vorzuschreiben, dass diese Sanktionen zumindest wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen. Inzwischen ist man mehr und mehr dazu übergegangen, auch das Mindestmaß der Hoechststrafe festzulegen. Folgende Rechtsakte wurden inzwischen erlassen:

-Rahmenbeschluss des Rates vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro [19]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende strafrechtliche Sanktionen einschließlich Freiheitsstrafen, die zu einer Auslieferung führen können. Einige Straftatbestände sind mit Freiheitsstrafen bedroht, die im Hoechstmaß mindestens acht Jahre betragen müssen.

[19] ABl. L 140 vom 14.6.2000, S. 1.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln [20]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende strafrechtliche Sanktionen, die zumindest in schweren Fällen auch Freiheitsstrafen einschließen, die zu einer Auslieferung führen können.

[20] ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 1.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten [21]: Danach ist der Tatbestand der Geldwäsche mit einer Freiheitsstrafe bedroht, die im Hoechstmaß vier Jahre nicht unterschreiten darf.

[21] ABl. L 182 vom 5.7.2001, S. 1.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung [22]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende Strafen, die zu einer Auslieferung führen können. Terroristisch motivierte Straftaten müssen mit höheren Freiheitsstrafen als denjenigen bestraft werden können, die nach innerstaatlichem Recht für solche Straftaten ohne den erforderlichen besonderen Vorsatz vorgesehen sind. Straftaten einer terroristischen Vereinigung müssen mit Freiheitsstrafen bedroht sein, deren Hoechstmaß im Falle der Beteiligung an einer solchen Vereinigung mindestens acht Jahre und im Falle der Führung einer terroristischen Vereinigung mindestens 15 Jahre betragen muss.

[22] ABl. L 164 vom 22.6.2002, S. 3.

-Rahmenbeschluss des Rates (19.07.2002) zur Bekämpfung des Menschenhandels [23]: Danach sind die Mitgliedstaaten gehalten, die betreffenden Straftaten mit wirksamen, angemessenen und abstreckenden Strafen zu ahnden, die zur Auslieferung führen können.

[23] ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1.

-Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 und Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt [24]: Danach hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass die betreffenden Straftaten mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht sind, die zu einer Auslieferung führen können.

[24] ABl. L 328 vom 5.12.2002, S. 1 und 17.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht [25]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende Strafen, die zumindest in schwerwiegenden Fällen auch zu einer Auslieferung führen können. Natürlichen Personen kann überdies die Ausübung einer Tätigkeit, die eine offizielle Genehmigung oder Billigung erfordert, untersagt werden.

[25] ABl. L 29 vom 5.2.2003, S. 55. Die Kommission hat beim Gerichtshof Klage gegen den Rat erhoben. Mit dieser Klage soll festgestellt werden, dass der Rahmenbeschluss in die Zuständigkeit der Gemeinschaft eingreift, indem er den Mitgliedstaaten vorschreibt, Sanktionen - auch strafrechtlicher Art - zu verhängen, wenn sich dies für die Erreichung eines Gemeinschaftsziels als notwendig erweist.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor [26]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende Strafen. Bestimmte Handlungen sind mit einer Mindesthöchststrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht.

[26] ABl. L 192 vom 31.7.2003, S. 54.

-Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie [27]: Danach sind die betreffenden Straftaten mit einer Freiheitsstrafe im Hoechstmaß von mindestens fünf bis zehn Jahren bedroht.

[27] ABl. L 13 vom 20.1.2004, S. 44.

Die Gemeinsame Maßnahme des Rates vom 21. Dezember 1998 [28] betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sieht demgegenüber keinen Mindeststrafrahmen vor.

[28] ABl. L 351 vom 29.12.1998, S. 1.

Über eine Reihe weiterer Rahmenbeschlüsse wird derzeit noch beraten:

-Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels [29].Auf der Tagung des Rates ,Justiz und Inneres" vom 27./28. November 2003 wurde eine politische Einigung erzielt.

[29] Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels KOM(2001) 259 vom 23.5.2001, ABl. C 270 E vom 25.9.2001, S. 144.

-Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit [30]: Darin sind wirksame, angemessene und abschreckende Strafen vorgesehen. Bestimmte Handlungen sind mit einer Mindesthöchststrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht.

[30] Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, KOM(2001)664 vom 29. November 2001, ABl. C 75 E vom 26.3.2002, S. 269.

-Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme [31]: Vorgesehen sind wirksame, angemessene und abschreckende Strafen. Bestimmte Handlungen sind mit einer Mindesthöchststrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Auf der Tagung des Rates ,Justiz und Inneres" vom 27./28. Februar 2003 wurde eine politische Einigung erzielt.

[31] Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme, Vorlage der Kommission vom 19. April 2002; ABl. C 203 E vom 27.8.2002, S. 109.

-Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Handels mit menschlichen Organen und Geweben [32].

[32] Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Handels mit menschlichen Organen und Geweben; ABl. C 100 vom 26.4.2003, S. 27.

-Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe [33]: In schweren Fällen sind Freiheitsstrafen von mindestens fünf bis zehn Jahren sowie Geldstrafen oder Geldbußen vorgesehen. Dieser Vorschlag wird derzeit im Rat erörtert.

[33] KOM(2003)227 vom 2.5.2003.

In der Erklärung des Rates im Anhang zum Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [34] wird angeregt, die in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses aufgeführten Straftaten [35], die bislang von einer Rechtsangleichung auf EU-Ebene ausgenommen waren, in die Harmonisierung einzubeziehen. Dessen ungeachtet muss von Fall zu Fall auf der Grundlage des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips geprüft werden, ob eine Harmonisierung geboten ist. In Bezug auf das Strafmaß hat der Rat ,Justiz und Inneres" auf seiner Tagung vom 25./26. April 2002 auf der Grundlage der Vorarbeiten des belgischen und spanischen Vorsitzes Schlussfolgerungen angenommen, wie bei der Harmonisierung der Strafen weiter zu verfahren ist. Besonderes Augenmerk galt dabei der Einführung von Strafrahmen, die die Festsetzung des Mindestmaßes der anwendbaren Hoechststrafe zum Ziel haben:

[34] ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

[35] Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses enthält eine Liste von 32 Straftaten.

-Strafrahmen 1: Strafen im Hoechstmaß von mindestens einem Jahr bis drei Jahren Freiheitsentzug;

-Strafrahmen 2: Strafen im Hoechstmaß von mindestens zwei bis fünf Jahren Freiheitsentzug;

-Strafrahmen 3: Strafen im Hoechstmaß von mindestens fünf bis zehn Jahren Freiheitsentzug;

-Strafrahmen 4: Strafen im Hoechstmaß von mehr als zehn Jahren Freiheitsentzug.

In den Schlussfolgerungen ist ausdrücklich vorgesehen, dass unter bestimmten Umständen über Strafrahmen 4 hinausgegangen werden kann. Das Anführen einer terroristischen Vereinigung ist beispielsweise nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung [36] mit einer Freiheitsstrafe bedroht, die im Hoechstmaß 15 Jahre nicht unterschreiten darf.

[36] ABl. L 164 vom 22.6.2002, S. 3.

Die Angabe einer gewissen Spanne von Jahren zur Festlegung des Mindeststrafrahmens dient allein der Optik: In Wirklichkeit kommt es nur auf die untere Schwelle jedes Strafrahmens an, da es sich um ein Hoechstmaß handelt, das mindestens ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre bzw. zehn Jahre betragen muss.

Hingegen gibt es auf EU-Ebene kein Rechtsinstrument, auf dessen Grundlage eine Mindeststrafe festgesetzt werden könnte. Es sei daran erinnert, dass nach der 8. Erklärung zum Vertrag von Amsterdam ein Mitgliedstaat nicht zur Einführung von Mindeststrafen verpflichtet werden darf, wenn diese in seinem Recht bislang nicht vorgesehen waren.

Nicht geregelt sind auf EU-Ebene ferner die Vollstreckungsmodalitäten für freiheitsentziehende Sanktionen wie Strafaussetzung, Aussetzung und Aufschub der Strafverkündung, offener Vollzug, fraktionierter Strafvollzug, elektronische Überwachung und Hausarrest.

2.1.6. Geldstrafen und Geldbußen

Die Angleichung strafrechtlicher Sanktionen auf Ebene der Union beschränkte sich bislang auf Freiheitsstrafen.

In ihrem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe [37] hat die Kommission jetzt in Ergänzung des zugrunde liegenden Richtlinienvorschlags [38] für die von natürlichen oder juristischen Personen begangenen Verstöße zwei Strafrahmen für die Verhängung von Geldbußen und Geldstrafen vorgeschlagen. Für die von diesen Rechtsakten erfassten Rechtsverletzungen sind Geldbußen oder Geldstrafen nach Ansicht der Kommission angemessener als Freiheitsstrafen.

[37] Siehe 2.1.5.

[38] Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte (KOM(2003)92 endg. vom 5.3.2003).

Es sind zwei Strafrahmen vorgesehen. Der erste Strafrahmen reicht von 1 % bis 10 % des Umsatzes und ist auf Verstöße anwendbar, die nach Maßgabe der Richtlinie nicht unbedingt die Verurteilung zu einer Haftstrafe nach sich ziehen. Der zweite Strafrahmen, der von 10 % bis 20% des Umsatzes reicht, gilt für besonders schwerwiegende Rechtsverletzungen, die nach Maßgabe der Richtlinie mit einer Haftstrafe bedroht sind.

Weitere Harmonisierungskriterien werden derzeit in den Gremien des Rates diskutiert. Denkbar wäre beispielsweise die Festsetzung eines Geldbußen- oder Geldstrafen-Mindestbetrags, der im oben angeführten Fall auf zwei Drittel des Werts des transportierten Frachtguts oder der Frachtkosten erhöht werden könnte; ein Kriterium, das am Umfang des verursachten Schadens (z. B. der verursachten Verschmutzung) ansetzt, würde sich allerdings weniger eignen, da es dazu verleiten könnte, vermehrt Schäden in geringerem Umfang zu verursachen. Der Vorschlag wird derzeit im Rat erörtert.

2.1.7. Aberkennung von Rechten

Im Sinne dieses Grünbuchs ist unter der Aberkennung oder dem Verlust von Rechten eine Strafe in Form des Entzugs oder der Einschränkung von Rechten oder eine Präventivmaßnahme zu verstehen, aufgrund deren es einer natürlichen oder juristischen Person für eine begrenzte oder unbegrenzte Zeit untersagt wird, bestimmte Rechte, Ämter oder Tätigkeiten auszuüben, sich an bestimmten Orten aufzuhalten oder bestimmte Handlungen vorzunehmen.

In einigen bereits erlassenen oder kurz vor ihrem Erlass stehenden Rahmenbeschlüssen ist auf EU-Ebene die Möglichkeit vorgesehen, ein Berufsverbot auszusprechen. So ist im Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt [39] das Verbot vorgesehen, unmittelbar oder über Dritte die berufliche Tätigkeit auszuüben, in deren Rahmen die strafbare Handlung begangen wurde.

[39] Artikel 1 Absatz 2, ABl. L 328 vom 5.12.2002, S. 1.

Nach dem Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass eine natürliche Person, die wegen einer vom Rahmenbeschluss erfassten Straftat verurteilt wurde, vorübergehend oder dauerhaft daran gehindert werden kann, eine die Beaufsichtigung von Kindern einschließende berufliche Tätigkeit auszuüben. Der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor schließlich verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass einer natürlichen Person, die wegen Bestechung oder Bestechlichkeit in der Privatwirtschaft verurteilt worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen die weitere Ausübung einer vergleichbaren Geschäftstätigkeit vorübergehend untersagt werden kann.

2.1.8. Einziehung

Bei den Einziehungsmaßnahmen ist auf Ebene der EU bereits eine gewisse Rechtsangleichung vorgenommen worden. Nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten [40] ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit zu Artikel 2 des Europarat-Übereinkommens von 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten [41] keine Vorbehalte geltend gemacht oder aufrechterhalten werden, sofern die Straftat mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Hoechstmaß von mehr als einem Jahr belegt werden kann. Diesem Artikel 2 zufolge trifft jede Vertragspartei die erforderlichen gesetzgeberischen und anderen Maßnahmen, die es ihr ermöglichen, Tatwerkzeuge und Erträge oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, einzuziehen. Die Mitgliedstaaten mussten diesem Rahmenbeschluss bis spätestens 31. Dezember 2002 nachkommen. Die Kommission wird in Kürze einen Bericht über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch die Mitgliedstaaten vorlegen.

[40] ABl. L 182 vom 05.07.2001, S. 1. Artikel 1 und 3.

[41] Verträge des Europarats, Nr.°141. Zeichnungsauflegung: 8. November 1990; Inkrafttreten: 1. September 1993. Einsehbar unter: http:// conventions.coe.int .

Dieser Rahmenbeschluss ist somit allgemein anwendbar, soweit die Straftat mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Hoechstmaß von mehr als einem Jahr bedroht ist. Einziehungsmaßnahmen sind aber auch in anderen Rahmenbeschlüssen zu bestimmten Straftatbeständen vorgesehen: z. B. im Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt [42] sowie im Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels [43].

[42] Artikel 1 Absatz 2, ABl. L 328 vom 5.12.2002, S. 1.

[43] Artikel 4, ABl. C 270 E vom 25.9.2001, S. 144.

Im August 2002 hatte Dänemark eine Initiative im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten [44] vorgelegt, da - so die Begründung - mit den in diesem Bereich bestehenden Rechtsakten eine effiziente grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Einziehung nicht in hinreichendem Maße sichergestellt werden konnte, weil es einer Reihe Mitgliedstaaten weiterhin nicht möglich ist, die Erträge aus allen Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr belegt werden können, einzuziehen.

[44] Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf den Erlass eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten, ABl. C 184 vom 2.8.2002, S. 3.

Auf der Tagung des Rats ,Justiz und Inneres" im Dezember 2002 wurde dieser Rahmenbeschluss, der die Rechtsvorschriften über Einziehungsstrafen oder -maßnahmen angleichen soll, im Grundsatz gebilligt. Auf der Grundlage der geplanten Regelung sollen Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, sowie Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, eingezogen werden können. Diese Regelung geht über den Rahmenbeschluss von 2001 hinaus, da sie gegenüber einer Reihe von Straftaten erweiterte Einziehungsbefugnisse vorsieht.

2.1.9. Sanktionen gegen juristische Personen

Seit der Annahme des zweiten Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Jahr 1997 [45], wonach jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen ergreifen muss, um sicherzustellen, dass juristische Personen wegen Betrugs, Bestechung und Geldwäsche zur Rechenschaft gezogen werden können, enthalten zahlreiche auf Titel VI EUV gestützte Rechtsvorschriften ähnliche Vorschriften, die die Mitgliedstaaten verpflichten, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit juristische Personen für die betreffenden Rechtsverletzungen haftbar gemacht und entsprechende Sanktionen verhängt werden können.

[45] ABl. C 221 vom 19.7.1997, S. 11.

Diese Vorschriften verpflichten die Mitgliedstaaten nicht, eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen einzuführen (die Haftung kann auch verwaltungsrechtlicher Natur sein), da nicht alle Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen kennen. Die Haftung juristischer Personen gilt nicht allgemein, sondern beschränkt sich auf bestimmte Straftatbestände. Die angedrohten Sanktionen einschließlich Geldstrafen oder Geldbußen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Es können auch andere Sanktionen verhängt werden: z. B. Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, vorübergehendes oder ständiges Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit, die richterliche Aufsicht, eine richterlich angeordnete Auflösung [46].

[46] Vgl. Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (Artikel 7 und 8); Rahmenbeschluss des Rates über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (Artikel 8 und 9); Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels (Artikel 4 und 5); Rahmenbeschluss des Rates betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (Artikel 2 und 3); Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (Artikel 7 und 8); Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (Artikel 6 und 7); Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Drogenhandel (Artikel 7 und 8); Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (Artikel 9 und 10); Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (Artikel 6 und 7) und Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme (Artikel 9 und 10).

Die Rahmenbeschlüsse des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie sowie der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zum Drogenhandel sehen darüber hinaus die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen vor, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden.

Jedes Mal, wenn auf Ebene der Europäischen Union Tatbestandsmerkmale angeglichen worden sind, wurden auch die entsprechenden Sanktionen für natürliche und juristische Personen angeglichen.

Die allgemeinen Regelungen über die Einziehung sowie die Anerkennung von Geldbußen und Geldstrafen gelten für juristische Personen überdies auch bei nicht harmonisierten Straftatbeständen.

2.1.10. Alternative Sanktionen

Angesichts der beträchtlichen Unterschiede im Strafrecht der Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Einteilung der Strafen in Hauptstrafen [47], Nebenstrafen [48] oder Nebenfolgen der Hauptstrafe [49], ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Begriff ,alternative Sanktion" bzw. ,alternative Strafe" in den Mitgliedstaaten nicht in gleicher Weise verstanden wird. In Frankreich z. B. wird unter alternativer Strafe oder Ersatzstrafe die Strafe verstanden, die der Richter von Rechts wegen anstelle einer oder mehrerer Hauptstrafen verhängen kann. Zu den alternativen Strafen gehören die in Artikel 136 Abs. 6 des französischen Strafgesetzbuchs [50] aufgezählten Strafen, die im Entzug oder in der Beschränkung bestimmter Rechte bestehen, sowie die gemeinnützige Arbeit und die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem (,jour-amende"). In Deutschland hingegen ist die nach Tagessätzen bemessene Geldstrafe eine Hauptstrafe, da Geldstrafen in Deutschland nur in Tagessätzen ausgedrückt werden dürfen [51]; in Belgien wurde die gemeinnützige Arbeit unlängst als Hauptstrafe eingeführt (siehe unten).

[47] Die meisten Mitgliedstaaten kennen zwei Hauptstrafen: Freiheitsentzug und Geldstrafe, die alternativ oder kumulativ verhängt werden können.

[48] Nach französischem Recht ist eine Nebenstrafe eine Strafe, die der Richter zusätzlich zur Hauptstrafe verhängen kann, wenn dies im gesetzlichen Straftatbestand ausdrücklich vorgesehen ist.

[49] Es handelt sich um Strafen, die sich in manchen Mitgliedstaaten (z. B. in Frankreich) von Rechts wegen aus der Verurteilung ergeben, ohne vom Richter verhängt zu werden, und die folglich zusammen mit der Hauptstrafe Anwendung finden.

[50] 1. Vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis; 2. Fahrverbot für bestimmte Fahrzeuge; 3. Entzug der Fahrerlaubnis; 4. Einziehung eines oder mehrerer Fahrzeuge des Verurteilten; 5. Immobilisierung eines oder mehrerer Fahrzeuge des Verurteilten; 6. Verbot für die Dauer von fünf Jahren oder länger, eine genehmigungspflichtige Waffe zu besitzen oder zu tragen; 7. Einziehung einer oder mehrerer Waffen, deren Eigentümer der Verurteilte ist oder über die er frei verfügen kann; 8. Entzug der Jagderlaubnis; 9. Verbot, Schecks auszustellen; 10. Einziehung der Sache, mit der die Straftat begangen wurde oder die dazu bestimmt war, oder des Erlöses aus der Straftat; 11. Berufsverbot oder Verbot, eine soziale Tätigkeit auszuüben, wenn die mit der betreffenden Tätigkeit verbundenen begünstigenden Umstände bewusst zur Vorbereitung oder Durchführung der Straftat genutzt wurden.

[51] ,Tagessatzsystem" gemäß 40 StGB.

Um sich nicht in einer komplizierten Abgrenzung der in den 15 Strafrechtssystemen der Mitgliedstaaten verwendeten Strafkategorien zu verlieren, wird in diesem Grünbuch folgende Definition vorgeschlagen: ,Alternative Sanktionen" sind Sanktionen, die gegen natürliche Personen verhängt werden oder denen diese im Zuge eines Mediations- oder Vergleichsverfahrens zustimmen und bei denen es sich weder um eine Freiheitsstrafe (oder eine Form der Vollstreckung einer solchen Strafe) noch um eine Geldstrafe, Einziehung oder Aberkennung von Rechten handelt [52].

[52] Obwohl es Mitgliedstaaten gibt, die die Aberkennung von Rechten zu den alternativen Sanktionen rechnen.

Diese Definition entspricht in etwa dem englischen Terminus "community sanctions" (sozial integrierte Strafen und Massnahmen), der im Anhang der Empfehlung Nr. R (92) 16 des Ministerkomitees des Europarats zu den Europäischen Grundsätzen über nicht im Gefängnis zu vollziehende Strafen und Maßnahmen (in der eine Reihe von Alternativen zum Freiheitsentzug aufgeführt sind) wie folgt definiert wird: "Der Ausdruck "sozial integrierte Sanktionen und Maßnahmen" bezieht sich auf Sanktionen und Maßnahmen, die den Straffälligen in der Gemeinschaft belassen, seine Freiheit durch Auferlegung von Bedingungen und/oder Pflichten in gewissem Umfang beschränken und von Stellen durchgeführt werden, die das Gesetz für diesen Zweck bestimmt. Der Ausdruck bezeichnet Sanktionen, die von einem Gericht oder einem Richter verhängt werden, und Maßnahmen, die vor oder anstelle einer Entscheidung über eine Sanktion getroffen werden, sowie Möglichkeiten des Vollzugs einer Freiheitsstrafe außerhalb einer Strafvollzugsanstalt." (Nichtamtliche deutsche Übersetzung) [53]

[53] Vgl. auch die Liste der alternativen Sanktionen und Maßnahmen unter Punkt 1 der Empfehlung Nr. R(2000)22 des Ministerkomitees des Europarats über die Verbesserung der Umsetzung der europäischen Grundsätze über nicht im Gefängnis zu vollziehende Sanktionen und Maßnahmen vom 29. November 2000 sowie die Entschließung Nr. (76) 10 des Ministerkomitees des Europarats zu bestimmten strafrechtlichen Maßnahmen als Ersatz für freiheitsentziehende Strafen vom 9. März 1976.

Auf Ebene der Europäischen Union gibt es keine Rechtsvorschriften zu alternativen Sanktionen.

2.1.11. Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

Gemäß Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) EUV umfasst das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen unter anderem ,die Gewährleistung der Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander, soweit dies zur Verbesserung dieser Zusammenarbeit erforderlich ist". Dies schließt auch die Vorschriften über die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen ein.

Obwohl die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen demnach auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt, ist die EU in diesem Bereich bisher nur punktuell tätig geworden. Sie hat allerdings entsprechende Initiativen gefördert und Forschungsarbeiten finanziell unterstützt [54].

[54] Beispiele für Projekte und Maßnahmen: 1. Das Projekt "European citizens in prison abroad" (finanziert im Rahmen des Programms GROTIUS II (Strafrecht); 2001/GRP/020) stellt u.a. darauf ab, ein Netz an Nichtregierungsorganisationen, die die Interessen in Haft befindlicher europäischer Bürger vertreten, zu schaffen und zu unterhalten. 2. Das Projekt ,Innovationen für eine dauerhafte Wiedereingliederung von Straftätern - Reformmodelle in den Mitgliedstaaten der EU" (finanziert im Rahmen des Programms GROTIUS II (Strafrecht); 2002/GRP/019) behandelt Fragen der Wiedereingliederung von Häftlingen anhand eines systematischen Vergleichs der Erfahrungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. 3. Das Projekt HERO (Health and Educational Support for the Rehabilitation of Offenders) ist ein E-Learning-Projekt der GD Bildung und Kultur. Dabei handelt es sich um ein Projekt zur Entwicklung der Forschung und Technologie, das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms zu den Technologien der Informationsgesellschaft (IST) finanziert wird. Das Programm HERO befasst sich mit zwei Problemen, die sich den meisten Gesellschaften stellen: Wie können die Bedingungen in den Strafvollzugsanstalten verbessert und wie kann die Rückfallquote und damit die steigende Zahl an Häftlingen verringert werden? HERO behandelt diese Probleme unter zwei Gesichtspunkten: Erstens soll den Häftlingen und dem Personal in den Strafvollzugsanstalten geholfen werden, Entscheidungen über Fragen wie Gesundheit oder Bildung effizienter und sachkundiger zu treffen. Zweitens sollen die Täter dabei unterstützt werden, sich besser auf ihre Freilassung und das Leben außerhalb des Gefängnisses vorzubereiten. 4. Entwurf für eine Entschließung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Behandlung von Drogenkonsumenten in Strafvollzugsanstalten, Dokument Nr. 10497/4/02, REV 4, CORDROGUE 54). In diesem Entschließungsentwurf werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Möglichkeit der Einführung oder Ausweitung von Programmen zur Förderung und Verbesserung des Gesundheitszustands von Drogenkonsumenten in Strafvollzugsanstalten zu prüfen und darauf zu achten, dass die Behandlung der Drogenkonsumenten in Strafvollzugsanstalten auf ihre Wiedereingliederung und die Verhinderung künftiger Delikte gerichtet ist. 5. Studie aus dem Jahr 2003 der Forschungsabteilung für Rechtsvergleichung in Paris unter der Leitung von Delmas-Marty, Guidicelli-Delage und Lambert-Abdelgawad über die ,Harmonisierung der strafrechtlichen Sanktionen in Europa".

2.1.12. Schlussfolgerungen

Die Angleichung des materiellen Strafrechts in der Union ist noch nicht sehr weit fortgeschritten. Es sind nicht alle Straftaten erfasst, und die Straftatbestände sind oft ausdrücklich auf ein Minimum begrenzt oder enthalten Ausnahmen [55]. Darüber hinaus werden bestimmte Verhaltensweisen, die in den Rechtsakten nicht definiert sind, von den Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt (z. B. Versuch, Beteiligung, Anstiftung).

[55] Der Rahmenbeschluss vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln gilt nicht für alle Zahlungsmittel; nach dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über Angriffe auf Informationssysteme, der Gegenstand einer politischen Einigung im Rat Justiz und Inneres von Februar 2003 war, können unrechtmäßige Angriffe von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn keine Sicherheitsmaßnahme verletzt wurde.

Bei der Angleichung der Strafen hat man sich auf das Postulat wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Strafen bzw. auf die Festlegung eines Mindestsatzes für die Hoechststrafe beschränkt. Abgesehen von Freiheitsstrafen sind im Strafrecht der Mitgliedstaaten zahlreiche andere Sanktionen vorgesehen.

Selbst wenn für eine Straftat dieselbe Strafe festgelegt wird, bestehen doch große Unterschiede im allgemeinen Strafrecht der Mitgliedstaaten, die dazu führen, dass die verhängte Strafe nicht mit der vollstreckten Strafe übereinstimmt (zum Beispiel bei der Strafverfolgung, der Anwendung des Legalitäts- und Opportunitätsprinzips, der Höhe der verhängten Strafe und der Strafe, die tatsächlich vollstreckt wird).

2.2. Gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat

Im Bereich der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat wurden folgende Maßnahmen angenommen bzw. liegen dem Rat zur Annahme vor oder werden von der Kommission vorbereitet:

2.2.1. Europäischer Haftbefehl

Am 13. Juni 2002 hat der Rat einen Rahmenbeschluss ,über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten" [56] angenommen, der am 7. August 2002 in Kraft getreten ist. Die Mitgliedstaaten sollten diesen Rahmenbeschluss bis zum 31. Dezember 2003 umsetzen. Mit dem Europäischen Haftbefehl wird zum ersten Mal der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen im Bereich des Strafrechts angewandt. Das Ziel besteht darin, die betreffende Person an den Mitgliedstaat zu übergeben, in dem die Verurteilung erfolgt ist (Art. 1 Abs. 1). Die vollstreckende Justizbehörde kann jedoch die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnen, wenn sich die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken (Art. 4 Abs. 6 des Rahmenbeschlusses).

[56] ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

2.2.2. Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen

Eine Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen [57] durch den Rat war am 8. Mai 2003 Gegenstand einer politischen Einigung im Rat. Diese Initiative entspricht der Schlussfolgerung Nr. 37 des Europäischen Rates von Tampere und der Maßnahme Nr. 18 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung über die ,Ausarbeitung eines Instruments, durch das sichergestellt wird, dass Geldstrafen, die gegen eine natürliche oder juristische Person von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verhängt werden, durch den Wohnsitzstaat eingetrieben werden können". Der Rahmenbeschluss wird auf alle rechtskräftigen Entscheidungen anwendbar sein, in denen einer natürlichen oder juristischen Person eine Geldstrafe oder Geldbuße auferlegt wird. Die Entscheidung über die Verhängung der Geldstrafe oder Geldbuße kann von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde getroffen werden, sofern die betreffende Person die Möglichkeit hatte, gegen diese Entscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht anzurufen.

[57] ABl. C 278 vom 2.10.2001, S. 4.

In der genannten Maßnahme Nr. 18 ist vorgesehen, dass dieses Instrument eine Verfahrensregelung für den Fall der Zahlungsverweigerung enthalten sollte. Im derzeitigen Entwurf ist dazu nichts vorgesehen. Es stellt sich daher die Frage, ob der genannte Entwurf durch einen weiteren Rechtsakt ergänzt werden sollte.

2.2.3. Anerkennung von Einziehungsentscheidungen

Dänemark hat 2001 eine Initiative zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen in der Europäischen Union [58] vorgelegt. Diese Initiative sieht die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten vor und ergänzt den Entwurf für einen Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union [59]. Sie wurde vom Rat noch nicht angenommen. Mit dieser Initiative wird die Maßnahme Nr. 19 erster Gedankenstrich des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen umgesetzt (,Prüfung insbesondere der Frage, ob die Gründe für eine Verweigerung der Vollstreckung einer Einziehungsmaßnahme nach Artikel 18 des Übereinkommens von 1990 allesamt mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vereinbar sind") [60]. Der zweite Gedankenstrich der Maßnahme Nr. 19 (,Prüfung der Frage, wie [...] Verbesserungen bei der Anerkennung und sofortigen Vollstreckung einer Anordnung eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat zu erreichen sind, wenn diese Anordnung den Schutz der Interessen eines Opfers bezweckt und in einer strafrechtlichen Entscheidung enthalten ist") wird damit jedoch nicht umfasst und müsste noch verwirklicht werden.

[58] ABl. C 184 vom 2.8.2002, S. 8.

[59] Frankreich, Schweden und Belgien haben 2001 eine Initiative im Hinblick auf die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union vorgelegt (ABl. C 75 vom 7.3.2001, S. 3). Diese Initiative zielt darauf ab, eine von einem anderen Mitgliedstaat getroffene Sicherstellungsentscheidung in einem Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckbar zu machen, ohne dass der Vollstreckungsmitgliedstaat eine neue Entscheidung erlassen muss.

[60] ,Ziel: Verbesserung der Vollstreckung einer Einziehungsanordnung eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, insbesondere für die Zwecke einer Rückgabe an die Opfer von Straftaten, angesichts des Bestehens des Übereinkommens vom 8. November 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten."

2.2.4. Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten

In Bezug auf die Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten ist im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung Folgendes vorgesehen: ,Schrittweise Ausweitung der Wirksamkeit von Sanktionen in Form von Rechtsverlusten, so dass sie für das gesamte Unionsgebiet gelten: Wenn bestimmte Sanktionen im Rahmen des europäischen Rechtsraums wirksam sein sollen, müssen sie nämlich auch unionsweit anerkannt und vollstreckt werden". Zur Verwirklichung dieses Ziels sind im Programm folgende Maßnahmen vorgesehen:

Maßnahme Nr. 20: ,Erstellung eines Verzeichnisses der in allen Mitgliedstaaten gemeinsam geltenden Verluste und Einschränkungen von Rechten, die bei oder infolge einer Verurteilung gegen eine natürliche oder juristische Person ausgesprochen werden."

Maßnahme Nr. 21: ,Durchführung einer Machbarkeitsstudie, um festzustellen, wie die zuständigen Behörden in der Europäischen Union unter voller Berücksichtigung der Erfordernisse, die sich aus den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutz ergeben, auf bestmögliche Weise über die in einem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Verlust und der Beschränkung von Rechten informiert werden könnten. Mit der Studie soll ermittelt werden, welche der folgenden Vorgehensweisen am geeignetsten ist: a) Erleichterung des bilateralen Informationsaustauschs, b) Vernetzung der nationalen Dateien, c) Schaffung einer echten europäischen Zentraldatei."

Maßnahme Nr. 22: ,Ausarbeitung eines oder mehrerer Rechtsinstrumente, auf deren Grundlage die derart inventarisierten Rechtsverluste im Wohnsitzstaat des Verurteilten rechtswirksam werden oder -- zumindest in Bezug auf einige Kategorien von Straftaten und Rechtsverlusten -- auf das gesamte Unionsgebiet ausgedehnt werden können. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erörtern, inwieweit ein in einem Mitgliedstaat ausgesprochenes Gebietsverbot auf die gesamte Union ausgedehnt werden kann."

Dänemark hat 2002 eine Initiative ,im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten" [61] vorgelegt. Diese Initiative, die derzeit dem Rat vorliegt, findet Anwendung auf die ,Aberkennung von Rechten, die gegenüber natürlichen Personen mit einem Strafurteil oder als Teil eines Strafurteils verfügt wird und die den Zugang des Verurteilten zur Berufsausübung einschränkt; ausgenommen ist die Aberkennung der Fahrerlaubnis". In dem Beschlussentwurf ist lediglich ein Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Aberkennungsentscheidungen vorgesehen. Er führt nicht zu einer automatischen Anerkennung solcher Entscheidungen. Vorgesehen ist jedoch, entsprechend der Maßnahme Nr. 22 des Maßnahmenprogramms künftige Fortschritte in diesem Bereich zu erleichtern.

[61] ABl. C 223 vom 19.9.2002, S. 17.

Der Entzug der Fahrerlaubnis wird von einem Übereinkommen der Europäischen Union über den Entzug der Fahrerlaubnis vom 17. Juni 1998 umfasst (siehe 3.2.3).

2.2.5. Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ)

Im Zusammenhang mit der Anerkennung rechtskräftiger Entscheidungen in Strafsachen sind auch mehrere Abkommen zu berücksichtigen, die im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zur Durchführung und Ergänzung der Übereinkommen des Europarats geschlossen wurden. Die Bemühungen waren allerdings nicht sonderlich erfolgreich, da nicht alle Mitgliedstaaten diese Abkommen ratifiziert haben und zahlreiche Vorbehalte eingefügt wurden. Aus Gründen der Systematik und zur besseren Verständlichkeit werden diese Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Übereinkommen des Europarats, auf die sie sich beziehen, aufgeführt und bewertet (siehe Kapitel 3.2, insbesondere 3.2.1.2 und 3.2.1.7).

2.2.6. Schlussfolgerungen

Trotz der Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, der einen wesentlichen Fortschritt im Bereich der gegenseitigen Anerkennung darstellt, und der voraussichtlich baldigen Annahme der derzeit in Diskussion oder Vorbereitung befindlichen Vorschläge über die Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen, Einziehungsentscheidungen und Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten sind die Rechtsakte im Bereich der gegenseitigen Anerkennung auf Ebene der Europäischen Union nach wie vor unvollständig. Insbesondere gibt es kaum Regelungen über die gegenseitige Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen und deren Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat.

3. AKTUELLE RECHTSLAGE: GESETZGEBUNG DER MITGLIEDSTAATEN UND INTERNATIONALE ABKOMMEN

3.1. Ausgeprägte Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten

Strafrechtliche Sanktionen sind im Recht der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Die Kommission beabsichtigt mit diesem Grünbuch keine erschöpfende Analyse, sondern will einen allgemeinen Überblick über diese Unterschiede geben.

3.1.1. Regeln des allgemeinen Strafrechts [62]

[62] Dieses Kapitel stützt sich auf das Dokument 12432/01 DROIPEN 83 sowie auf die Studie über die Harmonisierung der strafrechtlichen Sanktionen in Europa (,L'harmonisation des sanctions pénales en Europe", vgl. Fußnote 10).

3.1.1.1. Einleitung der Strafverfolgung: Legalitäts- oder Opportunitätsprinzip

Das Strafrecht der Mitgliedstaaten ist in der Frage, ob für die Aufnahme der Strafverfolgung das Opportunitäts- oder das Legalitätsprinzip gilt, uneins. Das Opportunitätsprinzip gilt in Belgien, Frankreich, Dänemark, Irland, Luxemburg, im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden. In Deutschland, Österreich, Spanien, Finnland, Schweden, Griechenland, Italien und Portugal gilt hingegen das Legalitätsprinzip.

Nach dem Legalitätsprinzip müssen die Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen, d. h. unabhängig von einer Strafanzeige, tätig werden, wenn sie eine Straftat vermuten. Gilt das Opportunitätsprinzip, steht es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob sie Ermittlungen einleitet oder nicht.

In der Praxis wird allerdings in allen Rechtssystemen nach beiden Grundsätzen verfahren, und manche Fragen sind für beide Grundsätze relevant, z. B. welche Beweisanforderungen an die Einleitung der Strafverfolgung gestellt werden. So werden in Strafrechtssystemen, die auf dem Legalitätsprinzip gründen, in bestimmten Fällen durchaus Opportunitätskriterien angewandt mit der Folge, dass die Strafverfolgung unter bestimmten Voraussetzungen eingestellt werden kann. Umgekehrt lassen Strafrechtssysteme, die nach dem Opportunitätsprinzip verfahren, Anweisungen der Oberstaatsanwaltschaft oder kriminalpolitische Weisungen des Justizministers zu und sehen eine Begründungspflicht für Einstellungsbeschlüsse und/oder entsprechende Rechtsmittel vor.

Im Vereinigten Königreich beispielsweise sind für die Aufnahme der Strafverfolgung zwei Kriterien maßgebend: hinreichende Aussicht auf eine Verurteilung (dieses Kriterium wird zunehmend auch in Strafrechtssystemen herangezogen, die auf dem Legalitätsprinzip basieren) und das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung. Im Gegenzug gibt es in Strafrechtssystemen, die nach dem Legalitätsprinzip verfahren, Kriterien, nach denen bestimmte Fälle vorrangig verfolgt werden, während bei anderen wegen Geringfügigkeit von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann.

3.1.1.2. Der Ermessensspielraum des Strafrichters

Alle Bemühungen um die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem eine Rechtsverletzung überall in gleicher Weise geahndet wird, können nur an den rechtlichen Vorgaben ansetzen, die in gewisser Weise als Gleichungen anzusehen sind, deren Ergebnis stets von einer Unbekannten abhängt: der Entscheidung des Richters, der das Strafmaß nach eigenem Ermessen festlegen kann.

Die erste Schranke, die dem Ermessen des Richters bei der Festlegung des Strafmaßes gesetzt ist, folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafe. Liegt nach Auffassung des Richters eine Rechtsverletzung vor, muss er die im Gesetz für diese Rechtsverletzung vorgesehene Strafe verhängen. Dies ist schon im Interesse der Rechtssicherheit geboten, die verlangt, dass die Strafe, mit der eine Straftat bedroht ist, gesetzlich geregelt ist.

Das Ermessen des Richters kann auch durch schuldmindernde oder schulderhöhende Umstände, auf die weiter unten eingegangen wird, eingeschränkt werden sowie durch gesetzliche Strafmilderungen oder Strafausnahmen.

3.1.1.3. Grad der Beteiligung: Beihilfe

Die Teilnahme an einer Straftat geschieht am häufigsten in Form der Beihilfe. Gehilfe ist derjenige, der sich an einer Straftat beteiligt hat (und dabei gewisse Voraussetzungen erfuellt hat). Beihilfe setzt in der Regel eine strafbare Haupttat voraus und eine Tathandlung des Gehilfen, die ein objektives Element (z. B. eine Hilfeleistung) und ein subjektives Element (Vorsatz des Gehilfen, sich an der Haupttat zu beteiligen) enthalten muss.

Bei der Strafzumessung sind zwei unterschiedliche Konzeptionen erkennbar. In einigen Mitgliedstaaten (u. a. in Frankreich, Italien, Portugal, Österreich, Dänemark und Irland) wird jeder, der sich an einer Straftat beteiligt, genauso bestraft wie der Täter ungeachtet der Bedeutung seines Tatbeitrags. Der Richter kann allerdings den Tatbeitrag bei der Strafzumessung berücksichtigen. In anderen Mitgliedstaaten hingegen (z. B. in Deutschland, Spanien, Belgien, Luxemburg, Finnland, Griechenland und in den Niederlanden) unterscheidet das Gesetz zwischen der Strafe für den Täter und der Strafe für den Gehilfen. Mittäter und Anstifter unterliegen in der Regel derselben Strafe wie der Täter.

3.1.1.4. Grad der Durchführung: Versuch

Es kann vorkommen, dass der Taterfolg nicht eintritt, obwohl alle Handlungen zur Verwirklichung des Tatbestands vollendet wurden. Hierfür kann es zwei Gründe geben: Die Handlungen wurden entweder während der Ausführung unterbrochen oder sie wurden zum Abschluss gebracht, ohne dass der Erfolg eintrat.

Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat. In der Regel liegt dies im Ermessen des Richters (in Österreich, Deutschland, Dänemark, Frankreich und in Irland), oder es ist ausdrücklich im Gesetz vorgesehen (in Belgien, Spanien, Finnland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Portugal, in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich).

In diesen Fällen orientiert sich die Strafmilderung häufig an dem für die vollendete Tat vorgesehenen Strafrahmen, so dass der Strafrahmen für den Versuch dem Strafrahmen für die vollendete Tat entspricht.

3.1.1.5. Erschwerende und mildernde Umstände

Schulderhöhende oder schuldmindernde Umstände können allgemein für alle Straftaten oder nur für bestimmte Straftaten gelten. In einigen Mitgliedstaaten hat der Richter die Möglichkeit, aufgrund schulderhöhender Umstände eine höhere Strafe als die im Gesetz vorgesehene Hoechststrafe zu verhängen [63], während in anderen Mitgliedstaaten die gesetzliche Hoechststrafe nicht überschritten werden darf [64].

[63] Z. B. in Griechenland, Italien und Portugal.

[64] Z. B. in Spanien, Irland und Schweden.

Bei schuldmindernden Umständen bieten die Strafsysteme aller Mitgliedstaaten dem Richter die Möglichkeit, die für eine bestimmte Straftat gesetzlich vorgesehene Strafe wegen mildernder Umstände oder im Gesetz vorgesehener Entschuldigungsgründe zu mildern. In Strafrechtssystemen, die keine Mindeststrafen vorsehen (z. B. in Frankreich), haben sich die Milderungsgründe allerdings als unzweckmäßig erwiesen. In einigen Mitgliedstaaten (z. B. Spanien) gibt es eine allgemeine Liste der schuldmindernden wie der schulderhöhenden Umstände, während in anderen Mitgliedstaaten (u. a. Belgien) der Richter die Umstände abwägt, die eine Strafmilderung rechtfertigen können.

3.1.1.6. Ein besonderer Aspekt - der Rückfall

Rückfälligkeit wird entweder bereits gesetzlich bei der Strafzumessung berücksichtigt (z. B. in Italien, Belgien und Österreich) oder kann vom Richter als erschwerender Umstand gewertet werden (z. B. in Finnland, Dänemark und Spanien). Was den Strafrahmen anbelangt, so sehen einige Mitgliedstaaten wie bei den Erschwerungsgründen eine höhere Strafe als die Hoechststrafe vor (u. a. Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und Portugal), während andere Mitgliedstaaten (Finnland, Irland und Spanien) eine Überschreitung der gesetzlichen Hoechststrafe, die Erschwerungsgründe u. U. bereits berücksichtigt, nicht zulassen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 6. Dezember 2001 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JAI über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro [65] jeder Mitgliedstaat den Grundsatz der Rückfälligkeit gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften anerkennt und nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts anerkennt, dass Rückfälligkeit gegeben ist, wenn wegen einer der Straftatbestände dieses Rahmenbeschlusses bereits rechtskräftige Urteile in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind.

[65] ABl. L 329 vom 14.12.2001, S. 3.

3.1.1.7. Konkurrenzen (Tateinheit oder Tatmehrheit)

Von Konkurrenzen spricht man, wenn mehrere Straftaten gleichzeitig oder nacheinander begangen wurden, bevor wegen einer dieser Straftaten ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist. Beim Rückfall hingegen liegt bereits eine Verurteilung wegen desselben Straftatbestands vor. Mehrere Rechtssysteme - u. a. das belgische - unterscheiden zwischen Tatmehrheit (bzw. Realkonkurrenz, d. h. der Täter begeht mehrere strafbare Handlungen) und Tateinheit (bzw. Idealkonkurrenz, d. h. der Täter verletzt mit einer einzigen strafbaren Handlung mehrere Strafgesetze).

Wird jemand in mehreren Mitgliedstaaten wegen einer Reihe von Straftaten verfolgt die miteinander zusammenhängen können oder nicht, wäre zu überlegen, ob die Strafverfolgung aus Effizienzgründen nicht einem dieser Mitgliedstaaten übertragen werden sollte. Hierzu sieht das Europäische Übereinkommen von 1972 über die Übertragung der Strafverfolgung [66] in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe d) vor, dass ein Vertragsstaat einen anderen Vertragsstaat um Strafverfolgung ersuchen kann, wenn z. B. der Beschuldigte im ersuchten Staat wegen derselben oder wegen einer anderen strafbaren Handlung verfolgt wird. Nach Artikel 32 dieses Übereinkommens prüfen die beteiligten Staaten, ob es zweckmäßig ist, dass nur einer von ihnen das Verfahren durchführt.

[66] Verträge des Europarats, Nr.°73. Am 15. Mai 1972 zur Unterzeichnung aufgelegt; am 30. März 1978 in Kraft getreten.

Hat ein Vertragsstaat nach diesem Übereinkommen vor Einleitung oder während einer Strafverfolgung davon Kenntnis, dass in einem anderen Vertragsstaat ein Verfahren gegen dieselbe Person wegen derselben Handlung anhängig ist, so prüft er, ob er auf sein Verfahren verzichten, es aussetzen oder dem anderen Staat übertragen kann. Hält er es unter den gegebenen Umständen für zweckmäßig, nicht auf sein Verfahren zu verzichten oder es nicht auszusetzen, so teilt er dies dem anderen Staat rechtzeitig, jedenfalls vor Entscheidung in der Sache, mit. In diesem Fall bemühen sich die beteiligten Staaten, denjenigen von ihnen zu bestimmen, der allein das Verfahren weiterführen soll. Das Übereinkommen von 1972 wurde allerdings bisher nur von fünf Mitgliedstaaten ratifiziert [67]; fünf Mitgliedstaaten haben es nicht einmal unterzeichnet.

[67] Österreich, Dänemark, Niederlande, Spanien und Schweden.

Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Verletzung mehrerer Strafgesetze mit einer einzigen Handlung eng mit dem strafrechtlichen Grundprinzip ,ne bis in idem" zusammenhängt, wonach eine Person nicht zweimal wegen derselben Tat verfolgt oder verurteilt werden darf [68], sowie mit dem Grundsatz der Rechtshängigkeit, d. h. Aussetzung der Strafverfolgung, sobald ein Gericht das Verfahren eingeleitet hat.

[68] D. h. wegen derselben Straftat wie die, die Gegenstand des ersten Urteils war; es muss sich insbesondere um denselben Zeitpunkt, denselben Ort und dieselben besonderen Auswirkungen des betreffenden Verhaltens handeln.

3.1.2. Freiheitsentziehende Sanktionen

In EU-Vorschriften zur Angleichung von Teilbereichen des materiellen Strafrechts ist es inzwischen üblich, das Mindestmaß der Hoechststrafe, nicht aber gemeinsame Hoechststrafen festzusetzen; gerade hier sind die Unterschiede jedoch beträchtlich. So sehen u. a. die Strafrechtssysteme Belgiens, Griechenlands, Frankreichs, Italiens und des Vereinigten Königreichs lebenslange Haftstrafen vor, nicht aber die Strafrechtssysteme Spaniens und Portugals.

In den Mitgliedstaaten, deren Strafrechtssysteme einen lebenslangen Freiheitsentzug vorsehen, gibt es in der Regel die Möglichkeit einer bedingten Haftentlassung nach einer bestimmten Mindestverbüßungszeit, die allerdings sehr unterschiedlich ist (z. B. mindestens 10 Jahre in Belgien, 15 Jahre in Deutschland und 20 Jahre in Irland). In Frankreich kann eine Sicherungszeit (,période de sûreté") angeordnet werden, die bis zu 30 Jahre dauern kann.

Auch das Hoechstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Die zeitige Freiheitsstrafe beträgt in Deutschland höchstens 15 Jahre, in Österreich 20 Jahre und in Belgien 30 Jahre. Eine vorzeitige Entlassung aus der Haft kann nach Verbüßung eines Drittels der Haftzeit (Belgien), von zwei Dritteln der Haftzeit (Dänemark und Deutschland) oder drei Vierteln der Haftzeit (Spanien) genehmigt werden. Bei einschlägig Vorbestraften sind diese Fristen in der Regel länger.

Bevor auf die Frage eingegangen wird, inwieweit es sinnvoll ist, die Modalitäten der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen EU-weit zu regeln, sei auf Anhang I verwiesen, in dem die Vollstreckungsmodalitäten ausführlicher behandelt werden. Anhang I beschreibt die Strafaussetzung, die Aussetzung bzw. den Aufschub der Strafverkündung, den offenen Vollzug, den fraktionierten Strafvollzug, die elektronische Überwachung und den Hausarrest.

Anhand dieser Bestandsaufnahme und der vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten zu den Vollstreckungsmodalitäten freiheitsentziehender Sanktionen ist festzustellen, dass die meisten Mitgliedstaaten über ein relativ breites Spektrum an Vollstreckungsmodalitäten verfügen, die einen schrittweisen Übergang vom geschlossenen Vollzug in die Freiheit ermöglichen. Beweggrund für diese Vollstreckungsalternativen ist im Wesentlichen der Wunsch, über Strafen zu verfügen, die besser geeignet sind als Haftstrafen, die Wiedereingliederung des Straffälligen in die Gesellschaft zu erleichtern und der Überbelegung der Haftanstalten entgegenzuwirken [69]. Am weitesten verbreitet ist die Strafaussetzung, die in fast allen Mitgliedstaaten bekannt ist. Die elektronische Überwachung wird in sechs Mitgliedstaaten praktiziert. In fünf weiteren Mitgliedstaaten wird die Einführung dieser Sanktion erörtert bzw. bereits erprobt. Alle anderen Vollstreckungsmodalitäten (Aussetzung/Aufschub der Strafverkündung, offener Vollzug, fraktionierter Strafvollzug und Hausarrest) werden nur in wenigen Mitgliedstaaten eingesetzt.

[69] Um die Überbelegung der Vollzugsanstalten ist in mehreren Mitgliedstaaten zurzeit eine heftige Diskussion entbrannt: z. B. in Belgien (siehe Presseartikel in Le Vif/L'Express vom 9.5.2003, S. 26), in Frankreich (siehe Presseartikel in Le Monde vom 12.4. und 30.4.2003) und in Portugal (siehe Presseartikel in Grande Reportagem von April 2003, S. 78).

3.1.3. Geldstrafen und Geldbußen

Einige Mitgliedstaaten verhängen Geldstrafen nach dem Tagessatzsystem (z. B. Dänemark, Spanien, Portugal und Deutschland), während andere Mitgliedstaaten (Belgien, Luxemburg, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Italien) das klassische Summensystem anwenden. In einigen Mitgliedstaaten existieren beide Systeme nebeneinander (z. B. in Frankreich, Griechenland, Schweden und Finnland).

Nach dem Tagessatzsystem werden Geldstrafen im Allgemeinen wie folgt verhängt: Der Richter legt zunächst die Anzahl der Tagessätze fest, so als würde er eine Haftstrafe festlegen, und bestimmt danach die Tagessatzhöhe. Die Anzahl der Tagessätze beginnt in den Mitgliedstaaten allgemein bei 5 oder sogar darunter (Frankreich, Finnland, Griechenland, Spanien, Deutschland) mit Ausnahme von Schweden, wo die Geldstrafe erst bei 30 Tagessätzen beginnt. Die Hoechstzahl der Tagessätze schwankt zwischen 150 (Schweden) und 730 (Spanien). Die Mindesthöhe eines Tagessatzes bewegt sich generell zwischen 1 EUR und 10 EUR, während bei der maximalen Tagessatzhöhe sehr viel größere Unterschiede festzustellen sind: z. B. 60 EUR in Griechenland, 300 EUR in Spanien, 360 EUR in Frankreich und bis zu 5000 EUR in Deutschland.

Beim herkömmlichen Summensystem sind im Gesetz entsprechend den verschiedenen Straftatbeständen normalerweise Mindest- und Hoechstbeträge vorgesehen. Innerhalb dieser Spanne verfügt der Richter häufig über einen beträchtlichen Ermessensspielraum.

In den Rechtsordnungen, in denen Summen- und Tagessatzsystem nebeneinander bestehen, ist die Verhängung einer Geldstrafe komplizierter und wird von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. In Finnland beispielsweise wird nach dem Tagessatzsystem verfahren, aber für bestimmte Straftatbestände wird auch das Summensystem herangezogen, während in Frankreich nach der Art der Straftat (Verbrechen, Vergehen) bzw. des (nicht kriminellen) Unrechts (Ordnungswidrigkeit) unterschieden wird.

Unabhängig davon, wie die Geldstrafe berechnet wird, ist der Richter in den meisten Mitgliedstaaten nach dem Gesetz oder der Rechtsprechung verpflichtet, die Umstände der Straftat und/oder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zu berücksichtigen.

Das Recht der Mitgliedstaaten schreibt in der Regel ausdrücklich vor, dass das Gericht, das eine Geldstrafe verhängt, gleichzeitig eine so genannte Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, die bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe vollstreckt wird (z. B. in Deutschland, Belgien, Luxemburg, Portugal und in den Niederlanden).

3.1.4. Aberkennung von Rechten

In den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten gibt es eine ganze Bandbreite an Strafen oder Maßnahmen, die die Aberkennung oder den Verlust von Rechten zur Folge haben: Sie reichen vom Fahrverbot und Entzug der Fahrerlaubnis bis hin zum Berufsverbot oder Landesverbot für Ausländer.

Das Fahrverbot gibt es in allen Mitgliedstaaten. Manche Maßnahmen wie etwa das Verbot, einen bestimmten Beruf auszuüben (z. B. das Verbot, als Geschäftsführer in einem Unternehmen tätig zu sein, oder der Ausschluss vom Militärdienst), oder das Verbot, sich an bestimmten Orten aufzuhalten (z. B. in Fußballstadien oder an Orten, wo Alkohol ausgeschenkt wird) sind nicht in allen Mitgliedstaaten bekannt.

Darüber hinaus können als Nebenstrafe, die in Verbindung mit einer Hauptstrafe - in der Regel einer Freiheitsstrafe von einer bestimmten Dauer - zu verhängen ist, bestimmte staatsbürgerliche und bürgerliche Rechte aberkannt werden. Dabei handelt es sich u. a. um das Verbot, das aktive und passive Wahlrecht auszuüben, oder das Verbot oder das Unvermögen, ein öffentliches Amt auszuüben.

3.1.5. Einziehung

Die Einziehung ist in der Regel tatspezifisch und richtet sich auf die Gegenstände, die zur Begehung der Straftat verwendet wurden, sowie auf den direkt aus der Straftat erlangten Vermögensvorteil und dessen Surrogate, ja selbst auf die Investitionserlöse (u. a. Deutschland, Belgien, Dänemark, Luxemburg, Niederlande, Italien oder Vereinigtes Königreich). Sind diese Sachen im Vermögen des Verurteilten nicht auffindbar, setzt der Richter ihren Gegenwert in Geld fest und zieht den entsprechenden Geldbetrag ein (z. B. in Belgien, Dänemark, Luxemburg und Frankreich).

Alle Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen vom 8. November 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten ratifiziert [70]. Einige Mitgliedstaaten haben allerdings zu Artikel 2 [71] (über die Einziehungsmaßnahmen) Erklärungen abgegeben, wonach sie nur verpflichtet sind, die Tatwerkzeuge und Erträge oder die deren Wert entsprechenden Vermögensgegenstände aus den von ihnen angegebenen Straftaten einzuziehen. Nach den Informationen, die die Kommission für ihren Bericht über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten [72] zusammengetragen hat, sind die weitaus meisten Mitgliedstaaten Artikel 1 Buchstabe a) des Rahmenbeschlusses nachgekommen, der Vorbehalte zu Artikel 2 des Übereinkommens untersagt. Einige müssen allerdings ihre Vorbehalte zu Artikel 2 überprüfen, um dem Rahmenbeschluss nachzukommen.

[70] Abrufbar unter: http:// conventions.coe.int .

[71] ,Artikel 2 - Einziehungsmaßnahmen: 1. Jede Vertragspartei trifft die erforderlichen gesetzgeberischen und anderen Maßnahmen, die es ihr ermöglichen, Tatwerkzeuge und Erträge oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, einzuziehen.

[72] ABl. L 182 vom 5.7.2001, S. 1.

Bei den Einziehungsmöglichkeiten bestehen demnach nach wie vor Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten sind immer noch nicht in der Lage, die Erträge aus sämtlichen Straftaten einzuziehen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind.

3.1.6. Sanktionen gegen juristische Personen

Bei den Sanktionen gegen juristische Personen sind erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten festzustellen. Einige Mitgliedstaaten (u. a. Frankreich, Irland, das Vereinigte Königreich, Belgien und die Niederlande) sehen eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen - mitunter auf bestimmte Tatbestände beschränkt - vor. In Griechenland, Deutschland, Luxemburg und Italien hingegen wird die Strafbarkeit juristischer Personen nicht anerkannt. Die strafrechtliche Haftung juristischer Personen ist stark umstritten. Die Gegner machen hauptsächlich geltend, dass nur natürliche Personen schuldfähig seien und einer juristischen Person daher kein Schuldvorwurf im strafrechtlichen Sinne gemacht werden könne (societas delinquere non potest). Demgegenüber vertreten die Befürworter der strafrechtlichen Haftung eine ganz andere Sichtweise. Juristische Personen sind ihrer Ansicht nach keine fiktiven Gebilde. Sie nehmen in unserer Gesellschaft eine herausragende Stellung ein und müssen für ihnen zurechenbare Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden können.

Im Vereinigten Königreich beispielsweise begründet die Rechtsprechung die Haftung juristischer Personen mit der so genannten ,identification theory". Dieser Theorie zufolge ist die juristische Person mit den Personen, die sie leiten, identisch, d. h. mit den Führungskräften, die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Unternehmen keinen Weisungen eines Vorgesetzten unterliegen. Eine Straftat, die eine Person oder eine Personengruppe begeht, die mit der von ihnen vertretenen juristischen Person identifiziert wird, ist demnach gleichzeitig als Straftat dieser juristischen Person zu werten. Trotz der Unterschiede zum anglo-amerikanischen Recht sehen auch Mitgliedstaaten wie Frankreich eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen vor.

3.1.7. Alternative Sanktionen

Sanktionen und Maßnahmen, die Alternativen zum Freiheitsentzug bieten, ermöglichen eine kreativere und gleichzeitig humanere Auseinandersetzung mit dem Problem Delinquenz und Strafe. Mit alternativen Sanktionen lassen sich insbesondere kurze Haftstrafen vermeiden, die von den meisten Fachleuten übereinstimmend als besonders schädlich angesehen werden. Die Einbeziehung des gesellschaftlichen Umfelds ist ein notwendiges und gleichzeitig neuartiges Element bei der Vollstreckung alternativer Strafen.

Alternative Strafen sind somit für die Kriminalprävention von großer Bedeutung, da sie weitaus besser als Freiheitsstrafen dazu beitragen können, Straffälligen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern. Nach Artikel 29 Absatz 2 EUV verfolgt die Union das Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten, unter anderem durch Kriminalprävention. Die Resozialisierung trägt ganz direkt dazu bei, Straffällige vor einem Rückfall zu bewahren.

Anhand der Bestandsaufnahme und der vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten zu alternativen Sanktionen (siehe Anhang II) ist festzustellen, dass die meisten Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren alternative Sanktionen eingeführt haben oder entsprechende Vorkehrungen treffen. Beweggrund ist im Wesentlichen der Wunsch, über Strafen zu verfügen, die besser geeignet sind als Haftstrafen, die Wiedereingliederung des Straffälligen in die Gesellschaft zu erleichtern und der Überbelegung der Haftanstalten entgegenzuwirken. In mehreren Mitgliedstaaten steht die Rechtspflege alternativen Strafen allerdings eher zurückhaltend gegenüber. Festzustellen ist auch, dass die nationalen Gesetzgeber dazu tendieren, sich auf einige wenige alternative Strafen zu konzentrieren wie die gemeinnützige Arbeit und die Mediation.

3.1.8. Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

Um sich einen Überblick über die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in den Mitgliedstaaten zu verschaffen, ist eine Bestandsaufnahme und ein Rechtsvergleich der einschlägigen Vorschriften erforderlich. Anhang III geht ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Strafunterbrechung, zum offenen Vollzug, zur vorzeitigen Entlassung, zum Straferlass sowie zur Amnestie und Begnadigung ein.

Wie Anhang III zu entnehmen ist, sind auch bei der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen recht erhebliche Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten festzustellen.

Die Möglichkeit, die Vollstreckung der Strafe zu unterbrechen, gibt es nur in wenigen Mitgliedstaaten wie etwa Frankreich und Italien. Nur wenige Mitgliedstaaten (u. a. Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Italien und Portugal) kennen eine Strafvollstreckung in Form des offenen Vollzugs. Die Voraussetzungen, Anwendungsmodalitäten sowie die Folgen für die Begünstigten bei Verstoß gegen die Auflagen und Weisungen variieren beträchtlich. Zwar besteht in allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung, doch wird diese Möglichkeit in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gehandhabt. Nur wenige Mitgliedstaaten kennen einen mehr oder weniger automatischen Straferlass (z. B. Frankreich und Griechenland). Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Amnestie und zur Begnadigung weichen erheblich voneinander ab. Die zuständigen Behörden verfügen hier allgemein über ein sehr weites Ermessen.

Aufschlussreich ist hier die Zahl bzw. der Anteil der Inhaftierten (je 100 000 Einwohner) in den Mitgliedstaaten, wenngleich die unterschiedlichen Werte nicht nur die Unterschiede bei der Strafvollstreckung widerspiegeln, sondern auch die Unterschiede bei sämtlichen strafrechtlichen Faktoren, die auf eine Strafe einwirken. Die Kommission hatte am 1. August 2003 an die (alten und neuen) Mitgliedstaaten einen Fragebogen zur Belegung der Haftanstalten gerichtet. Zwar liegen noch nicht alle Antworten vor, doch lässt sich bereits jetzt Folgendes feststellen: In den skandinavischen Mitgliedstaaten werden Freiheitsstrafen traditionell eher zurückhaltend vollstreckt (auf 100 000 Einwohner kommen zwischen 50 und 70 Häftlinge). Im Mittelfeld mit einem Anteil von weniger als 100 Häftlingen pro 100 000 Einwohner liegen Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Luxemburg und die Niederlande. Spanien, das Vereinigte Königreich, Portugal und einige neue Mitgliedstaaten weisen einen Anteil zwischen 100 und 150 Häftlingen auf. Einige neue Mitgliedstaaten weisen mit mehr als 350 Häftlingen je 100 000 Einwohner sechsmal höhere Werte auf als die skandinavischen Mitgliedstaaten.

3.2. Unvollständiger Bestand an Rechtsakten im Bereich der gegenseitigen Anerkennung

3.2.1. Gegenseitige Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen

Verschiedene Übereinkommen, die im Rahmen des Europarats angenommen und durch Rechtsakte ergänzt wurden, die im Zuge der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) vereinbart wurden, sind in diesem Zusammenhang von Belang. Die EPZ-Übereinkommen sollen insbesondere die Durchführung der Übereinkommen des Europarats erleichtern und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten stärken. Daneben gibt es noch Abkommen auf regionaler Ebene wie jene der nordischen Staaten.

3.2.1.1. Europäisches Übereinkommen des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970

Das Europäische Übereinkommen des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen [73] vom 28. Mai 1970 wurde von fünfzehn der fünfundvierzig Mitglieder des Europarats ratifiziert. Es ist am 26. Juli 1974 in Kraft getreten. Elf Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben dieses Übereinkommen unterzeichnet [74], fünf davon haben es ratifiziert [75]. Die meisten Vertragsparteien haben zahlreiche Vorbehalte in Bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens eingelegt. Das Übereinkommen findet auf Freiheitsstrafen Anwendung.

[73] Abrufbar unter http://conventions.coe.int/ .

[74] Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Spanien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Schweden.

[75] Österreich, Dänemark, Spanien, Niederlande und Schweden.

Nach diesem Übereinkommen kann der Urteilsstaat einen anderen Vertragsstaat nur dann um Vollstreckung einer Sanktion ersuchen, wenn eine oder mehrere der in Art. 5 aufgeführten Voraussetzungen erfuellt sind: a) wenn der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem anderen Staat hat; b) wenn die Vollstreckung der Sanktion im anderen Staat geeignet ist, die soziale Wiedereingliederung des Verurteilten zu erleichtern; c) wenn es sich um eine freiheitsentziehende Sanktion handelt, die in dem anderen Staat im Anschluss an eine andere vom Verurteilten in diesem Staat angetretene oder zu verbüßende freiheitsentziehende Sanktion vollstreckt werden könnte; d) wenn der andere Staat der Heimatstaat des Verurteilten ist und sich schon bereit erklärt hat, die Vollstreckung dieser Sanktion zu übernehmen; e) wenn er der Auffassung ist, dass er die Sanktion - auch durch Erwirkung der Auslieferung - nicht selbst vollstrecken kann und der andere Staat dazu in der Lage ist. Darüber hinaus muss die im ersuchenden Staat ergangene Entscheidung rechtskräftig und vollstreckbar sein und die Handlung, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, auch nach dem Recht des ersuchten Staates eine strafbare Handlung darstellen (Grundsatz der "doppelten Strafbarkeit") [76].

[76] Das Erfordernis der "doppelten Strafbarkeit" wurde hingegen in folgende Übereinkommen nicht aufgenommen: Übereinkommen über die Zusammenarbeit vom 23. März 1962 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden ("Helsinki-Übereinkommen"), das 1983 in Riyadh zwischen einigen arabischen Staaten abgeschlossene Übereinkommen über die justizielle Zusamenarbeit und das Verfahren der Überstellung verurteilter Personen im Rahmen des Commonwealth von 1986.

Die Vollstreckung, um die ersucht wurde, kann nur in einem der in Artikel 6 aufgeführten Fälle ganz oder teilweise abgelehnt werden [77].

[77] Ablehnungsgründe: a) wenn die Vollstreckung den Grundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates widerspricht; b) wenn der ersuchte Staat der Auffassung ist, dass die der Verurteilung zugrunde liegende strafbare Handlung politischen Charakter hat oder eine rein militärische Tat ist; c) wenn nach Auffassung des ersuchten Staates ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die Verurteilung durch rassische, religiöse, nationale oder auf politische Anschauungen beruhende Erwägungen zustande gekommen oder verschärft worden ist; d) wenn die Vollstreckung den internationalen Verpflichtungen des ersuchten Staates zuwiderläuft; e) wenn die Handlung im ersuchten Staat verfolgt wird oder dieser beschließt, selbst die Verfolgung einzuleiten; f) wenn die zuständigen Behörden des ersuchten Staates beschlossen haben, keine Verfolgung einzuleiten oder die wegen derselben Handlung bereits eingeleitete Verfolgung einzustellen; g) wenn die Handlung außerhalb des Hoheitsgebietes des ersuchenden Staates begangen worden ist; h) wenn der ersuchte Staat die Sanktion nicht vollstrecken kann; i) wenn sich das Ersuchen auf Artikel 5 Buchstabe e ("wenn er der Auffassung ist, dass er die Sanktion - auch durch Erwirkung der Auslieferung - nicht selbst vollstrecken kann und der andere Staat dazu in der Lage ist") stützt und keine andere der in jenem Artikel vorgesehenen Voraussetzungen erfuellt ist; h) wenn der ersuchte Staat die Sanktion nicht vollstrecken kann; k) wenn der Verurteilte wegen seines Alters im Zeitpunkt der strafbaren Handlung im ersuchten Staat nicht hätte verfolgt werden können; l) wenn die Sanktion nach dem Recht des ersuchten Staates bereits verjährt ist; m) soweit das Urteil eine Aberkennung ausspricht.

Eine im ersuchenden Staat verhängte Sanktion kann im ersuchten Staat nur auf Grund der Entscheidung eines Richters dieses Staates vollstreckt werden (Art. 37). Vor der Entscheidung über das Vollstreckungsersuchen gibt der Richter dem Verurteilten Gelegenheit zur Stellungnahme (Art. 39). Gegen gerichtliche Entscheidungen, die im ersuchten Staat im Hinblick auf die Vollstreckung ergehen, muss ein Rechtsmittel vorgesehen sein (Art. 41). Die tatsächlichen Feststellungen sind für den ersuchten Staat bindend, soweit sie in der Entscheidung dargelegt sind oder ihr stillschweigend zugrunde liegen (Art. 42).

Wird das Vollstreckungsersuchen angenommen, so ersetzt der Richter die im ersuchenden Staat verhängte freiheitsentziehende Sanktion durch eine nach seinem eigenen Recht wegen derselben Handlung vorgesehene Sanktion (Art. 44). Diese kann im Rahmen der nachstehend aufgeführten Bedingungen von anderer Art oder Dauer sein als die im ersuchenden Staat verhängte Sanktion. Liegt diese Sanktion unter dem nach dem Recht des ersuchten Staates zulässigen Mindestmaß, so ist der Richter nicht an dieses gebunden, sondern verhängt eine Sanktion, die der im ersuchenden Staat verhängten entspricht. Bei der Festsetzung der Sanktion darf der Richter die strafrechtliche Lage des Verurteilten, die sich aus der im ersuchenden Staat ergangenen Entscheidung ergibt, nicht verschärfen.

Dem Übereinkommen zufolge richtet sich die Vollstreckung nach dem Recht des ersuchten Staates; er allein ist zuständig, alle geeigneten Entscheidungen zu treffen, insbesondere bezüglich der bedingten Entlassung. Der ersuchende Staat allein hat das Recht, über jeden Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden, der sich gegen die Verurteilung richtet. Jeder der beiden Staaten kann das Amnestie- oder Gnadenrecht ausüben.

3.2.1.2. Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen vom 13. November 1991

Das Übereinkommen über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen wurde von acht Mitgliedstaaten [78] der Europäischen Gemeinschaften am 13. November 1991 unterzeichnet [79]. Es wurde von keinem der Mitgliedstaaten ratifiziert und ist damit nicht in Kraft getreten. Das Übereinkommen von 1991 sollte in den Beziehungen der Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970 sind, insoweit Anwendung finden, als es dieses Übereinkommen ergänzt oder die Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze erleichtert (Art. 20).

[78] Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien und Luxemburg.

[79] Abrufbar unter http://ue.eu.int/ ejn

Gemäß Artikel 2 dieses Übereinkommens verpflichten sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, im Hinblick auf die Übertragung der Vollstreckung von Verurteilungen (Freiheitsstrafen und Geldstrafen oder Geldbußen) weitestgehend zusammenzuarbeiten. Das Ersuchen um Übertragung der Vollstreckung kann entweder vom Urteilsstaat oder vom Vollstreckungsstaat gestellt werden. Jeder Mitgliedstaat kann in einer Erklärung die Straftaten angeben, die er aus dem Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ausschließen will. Die anderen Mitgliedstaaten können den Grundsatz der Gegenseitigkeit anwenden (Art. 1).

Um Übertragung der Vollstreckung einer Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Strafe kann ersucht werden, wenn a) die verurteilte Person sich im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befindet und Staatsangehöriger dieses Staates ist oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Hoheitsgebiet hat, b) die verurteilte Person sich im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befindet und ihre Auslieferung abgelehnt worden ist, im Falle eines entsprechenden Ersuchens abgelehnt würde oder nicht möglich ist oder c) die verurteilte Person sich im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befindet, wo sie eine freiheitsentziehende Strafe verbüßt oder verbüßen soll (Art. 3).

Die Übertragung der Vollstreckung einer Verurteilung bedarf der Zustimmung des Urteilsstaats und des Vollstreckungsstaats. Die Vollstreckung darf nur unter den in Artikel 5 des Übereinkommens kumulativ aufgeführten Voraussetzungen übertragen werden, dass a) das Urteil rechtskräftig und vollstreckbar ist; b) die Handlungen oder Unterlassungen, die zu der Verurteilung geführt haben, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine der in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a genannten Taten darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen würden - "doppelte Strafbarkeit"; c) weder nach dem Recht des Urteilsstaats noch nach dem Recht des Vollstreckungsstaats Vollstreckungsverjährung eingetreten ist; d) im Vollstreckungsstaat kein rechtskräftiges Urteil wegen derselben Tat gegen die verurteilte Person ergangen ist; und e) die Übertragung der Vollstreckung nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz ,ne bis in idem" stuende, wenn in einem Drittstaat ein rechtskräftiges Urteil gegen die verurteilte Person wegen derselben Tat ergangen ist.

Das Übereinkommen von 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sieht im Gegensatz zu Artikel 39 des Übereinkommens des Europarats von 1970 nicht vor, dass die betreffende Person zu der Frage, wo die Strafe verbüßt wird, angehört wird.

Wurde der Übertragung der Vollstreckung einer Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Strafe zugestimmt, so müssen die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats die im Urteilsstaat verhängte Strafe unmittelbar oder aufgrund einer Entscheidung vollstrecken oder die Verurteilung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren in eine Entscheidung dieses Staates umwandeln, wobei sie die im Urteilsstaat verhängte Strafe durch eine nach dem Recht des Vollstreckungsstaats für dieselbe Straftat vorgesehene Strafe ersetzen (Art. 8).

Der Vollstreckungsstaat setzt den Urteilsstaat auf dessen Ersuchen davon in Kenntnis, welches dieser Verfahren er anwenden wird. Jeder Mitgliedstaat kann jedoch durch eine Erklärung seine Absicht bekannt geben, die Anwendung eines der Verfahren auszuschließen.

Wendet der Vollstreckungsstaat das erste Verfahren an (Vollstreckung der verhängten Strafe im Urteilsstaat), so ist er an die rechtliche Art und die Dauer der im Urteilsstaat verhängten Strafe gebunden. Ist diese Strafe jedoch nach Art oder Dauer mit dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar oder schreibt dessen Recht dies vor, so kann dieser Staat die Strafe durch eine Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung an die nach seinem eigenen Recht für eine Straftat derselben Art vorgesehene Strafe anpassen. Diese Strafe muss ihrer Art nach soweit wie möglich der Strafe entsprechen, die durch die zu vollstreckende Verurteilung verhängt worden ist. Sie darf nach Art oder Dauer die im Urteilsstaat verhängte Strafe nicht verschärfen und das nach dem Recht des Vollstreckungsstaats für dieselbe Tat vorgesehene Hoechstmaß nicht überschreiten (Art. 8 Abs. 4).

Wendet der Vollstreckungsstaat das Verfahren der Umwandlung der Verurteilung an, so a) ist dieser Staat an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, soweit sie sich ausdrücklich oder stillschweigend aus dem im Urteilsstaat ergangenen Urteil ergeben; b) kann dieser Staat, außer bei Vorliegen einer gegenteiligen Erklärung, eine freiheitsentziehende Strafe in eine Geldstrafe umwandeln, wenn die Dauer der freiheitsentziehenden Strafe sechs Monate nicht übersteigt und c) darf dieser Staat die strafrechtliche Lage der verurteilten Person nicht erschweren und ist er an ein Mindestmaß, das nach seinem Recht für die begangene Straftat oder die begangenen Straftaten gegebenenfalls vorgesehen ist, nicht gebunden (Art. 8 Abs. 5).

Der Urteilsstaat darf die Verurteilung nicht mehr vollstrecken, wenn er mit dem Vollstreckungsstaat die Übertragung der Vollstreckung vereinbart hat. Flieht die verurteilte Person aus der Haft, so geht das Vollstreckungsrecht jedoch wieder auf den Urteilsstaat über, es sei denn, dass zwischen diesem Staat und dem Vollstreckungsstaat eine abweichende Vereinbarung besteht (Art. 17).

3.2.1.3. Übereinkommen zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg über die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen vom 26. September 1968

Dieses Übereinkommen [80] betrifft die Vollstreckung strafrechtlicher Entscheidungen zwischen den Benelux-Staaten. Es findet Anwendung auf Verurteilungen zu einer freiheitsentziehenden Strafe oder Maßnahme, Geldstrafe, Einziehung und Aberkennung von Rechten sowie auf gerichtliche Entscheidungen, die nur über die Schuld befinden [81].

[80] Dieses Übereinkommen der Benelux-Staaten ist nie in Kraft getreten, siehe C. Van den Wyngaert, Strafrecht en strafprocesrecht in hoofdlijnen, Maklu, Antwerpen, 1998, S. 1010.

[81] Art. 2.

Dem Übereinkommen zufolge kann eine in einem Vertragsstaat ergangene Verurteilung in einem anderen Vertragsstaat nur dann vollstreckt werden, wenn die der Verurteilung zugrunde liegende Handlung auch in diesem Staat eine Straftat darstellt oder in einer nach Maßgabe des Übereinkommens erstellten Liste aufgeführt wird [82].

[82] Art. 3 und 57.

Der ersuchte Staat kann die Vollstreckung verweigern, wenn die Handlung politischen oder militärischen Charakter hat oder im ersuchten Staat verfolgt wird oder dieser beschließt, selbst die Verfolgung einzuleiten. Der ersuchte Staat kann die Vollstreckung ferner verweigern, wenn die Handlung seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den Grundlagen seiner Rechtsordnung zuwiderläuft, wenn sie außerhalb des Hoheitsgebiets des ersuchenden Staates begangen wurde oder es sich um die Vollstreckung einer Verurteilung zu einer Aberkennung von Rechten handelt. [83] Die zuständige Behörde des ersuchenden Staates muss die Vollstreckbarkeit der Entscheidung bestätigen. [84] Für die Vollstreckung von Verurteilungen im Abwesenheitsverfahren gelten grundsätzlich dieselben Vorschriften wie für Verurteilungen im kontradiktorischen Verfahren. [85]

[83] Art. 5.

[84] Idem.

[85] Art. 17.

Wenn ein Haftbefehl oder eine sonstige Haftverfügung im ersuchenden Staat vorliegt und dieser um Vollstreckung der Verurteilung ersucht, kann der ersuchte Staat unmittelbar die Festnahme des Verurteilten veranlassen. In dringenden Fällen kann der ersuchte Staat die Festnahme bereits vor Erhalt der Dokumente durchführen, die dem Vollstreckungsantrag normalerweise beiliegen. [86]

[86] Art. 30.

Es besteht die Möglichkeit der vorübergehenden Durchreise des Verurteilten [87] sowie der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände im Hinblick auf eine spätere Einziehung, wenn die Einziehungsentscheidung in Anwendung des Übereinkommens auch im ersuchten Staat vollstreckt werden kann. [88] Im Übereinkommen ist ferner festgelegt, wann und unter welchen Bedingungen der Verurteilte seine Strafe im ersuchenden Staat verbüßen kann.

[87] Art. 32 und Art. 33.

[88] Art. 33.

Bei Verurteilungen zu einer Geldstrafe und einer Einziehung kann der ersuchte Staat die Vollstreckung nur aufgrund einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft des ersuchten Staates, die den Antrag auf seine Rechtmäßigkeit und Vollstreckbarkeit prüft, durchführen. [89] Die Staatsanwaltschaft ist ferner für die Prüfung der Einhaltung der Bedingungen des Übereinkommens und für die Ausführung der technischen Modalitäten verantwortlich. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann beim zuständigen Gericht des ersuchten Staates angefochten werden.

[89] Art. 42.

Bei Verurteilungen, die eine Aberkennung von Rechten verfügen, kann ein Vertragsstaat die Vollstreckung dieser in einem anderen Vertragsstaat verhängten Maßnahme nur aufgrund einer Entscheidung des Gerichts des ersten Vertragsstaats durchführen. Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Aberkennung von Rechten nur dann in einem anderen Staat als dem Urteilsstaat Wirkung entfaltet, wenn sie nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die betreffende Straftat vorgesehen ist oder eine Handlung vorliegt, die in der in dem Übereinkommen vorgesehenen Liste aufgeführt ist [90].

[90] Art. 50 und Art. 57.

3.2.1.4. Die Zusammenarbeit zwischen den nordischen Staaten

Die nordischen Staaten (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) verfügen über eine lange Tradition der Zusammenarbeit in Strafsachen, die sich auf die geografische Nähe, die historischen, kulturellen und sprachlichen [91] Bindungen sowie die gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Interessen stützt. Den verschiedenen Rechtsakten über diese Zusammenarbeit gingen intensive öffentliche Debatten zur Erarbeitung gemeinsamer Lösungen und zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften dieser Staaten voraus.

[91] Mit Ausnahme des Finnischen.

Der erste Rechtsakt ist das Übereinkommen zwischen Norwegen, Dänemark und Schweden vom 8. März 1948 über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Strafsachen. Nach diesem Übereinkommen sind rechtskräftige Urteile eines dieser Staaten in den anderen Unterzeichnerstaaten vollstreckbar. Der Anwendungsbereich dieses Übereinkommens beschränkt sich jedoch auf Geldstrafen oder Geldbußen, die Einziehung und Prozesskosten. Auf dieses Übereinkommen folgte am 23. März 1962 ein Kooperationsabkommen zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden, das ,Helsinki-Abkommen". Nach Maßgabe dieses Abkommens müssen die Mitgliedstaaten identische oder zumindest ähnliche Regelungen annehmen, damit die Behörden eines Unterzeichnerstaats die Urteile der Instanzen der anderen Unterzeichnerstaaten anerkennen und vollstrecken sowie Häftlinge zu diesem Zweck überstellen können. Dies ist auch bereits geschehen. Das gegenseitige Vertrauen, das die Zusammenarbeit der nordischen Staaten im Bereich des Strafrechts charakterisiert, beruht auf diesen identischen oder ähnlichen Regelungen.

Die Überstellung von Häftlingen zwischen den nordischen Staaten ist von humanitären und strafrechtspolitischen Überlegungen geleitet. Diese Zusammenarbeit zielt unter anderem darauf ab, die Rehabilitation und Wiedereingliederung des Verurteilten zu fördern. Es wird zu Recht argumentiert, dass es einfacher ist, den Häftling auf sein künftiges Leben in Freiheit vorzubereiten, wenn die Strafvollstreckung in dem Staat erfolgt, in dem die betreffende Person leben möchte. Diese Vorgehensweise würde auch die Kontakte zu möglichen Arbeitgebern und anderen Organisationen erleichtern und damit zu einer Verringerung der Gefahr eines Rückfalls beitragen.

Bei der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen ist der Vollstreckungsstaat an die im Urteilsstaat verfügte Haftdauer gebunden. Nach intensiven Beratungen wurde die Möglichkeit der Minderung oder Anpassung der Strafe an das Strafmaß im Vollstreckungsstaat als unangemessen erachtet. Am Grundsatz der ,doppelten Strafbarkeit" wurde nicht festgehalten. Die Zustimmung des Häftlings ist für eine Überstellung nicht erforderlich. Er muss jedoch gehört werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird, und seine Meinung wird im Allgemeinen respektiert. Darüber hinaus gilt für die zu überstellende Person der Grundsatz der Spezialität, nach dem der Vollstreckungsstaat nur jene Strafe vollstrecken darf, wegen der die Überstellung erfolgt ist. Um die Anwendung des Verfahrens in der Praxis zu erleichtern, werden die Entscheidungen über die Überstellung von Häftlingen zwischen den nordischen Staaten von den zentralen Vollstreckungsbehörden des Vollstreckungsstaats getroffen. So verfügt etwa die zentrale Haftbehörde in Schweden über die Befugnis, Anträge auf Überstellung von Häftlingen an einen anderen Staat zu übermitteln und über Anträge anderer Staaten zu entscheiden. Obwohl sich die Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats richtet, sind die nordischen Staaten übereingekommen, dass der Vollstreckungsstaat keine Begnadigung erteilen darf, ohne zuvor die Behörden des Urteilsstaats anzuhören.

3.2.1.5. Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983.

Das Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 [92] wurde von zweiundfünfzig Staaten ratifiziert [93]. Es ist am 1. Juli 1985 in Kraft getreten. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben es unterzeichnet und ratifiziert. Es wurden allerdings von den meisten Mitgliedstaaten zahlreiche Vorbehalte in Bezug auf die Durchführung bestimmter Teile dieses Übereinkommens ausgesprochen.

[92] Abrufbar unter: http:// conventions.coe.int.

[93] Viele davon sind nicht Mitglieder des Europarats.

Das Übereinkommen zielt vor allem darauf ab, die soziale Wiedereingliederung von Personen, gegen die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wurde, zu fördern und Ausländern, die sich wegen der Begehung einer Straftat in Haft befinden, Gelegenheit zu geben, die gegen sie verhängte Sanktion in ihrer Heimat zu verbüßen. Das Übereinkommen ist von humanitären Erwägungen geleitet und geht davon aus, dass Schwierigkeiten bei der Kommunikation aufgrund sprachlicher, sozialer und kultureller Hindernisse und der fehlende Kontakt zur Familie negative Auswirkungen auf das Verhalten ausländischer Häftlinge haben und die soziale Wiedereingliederung der verurteilten Personen be- oder gar verhindern können.

Nach dem Verfahren nach Artikel 2 Absatz 3 des Übereinkommens kann das Ersuchen um Überstellung entweder von dem Staat, in dem das Urteil verhängt wurde (Urteilsstaat) oder von dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Verurteilte besitzt (Vollstreckungsstaat), gestellt werden. Das Übereinkommen begründet weder eine Pflicht der betreffenden Staaten auf Überstellung der Verurteilten noch ein Recht dieser Personen auf Überstellung. Die Staaten verfügen über einen großen Ermessensspielraum.

Eine verurteilte Person kann nach dem Übereinkommen nur unter folgenden Voraussetzungen (Art. 3) überstellt werden: a) dass sie Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats ist; b) dass das Urteil rechtskräftig ist; c) dass zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens um Überstellung noch mindestens sechs Monate der gegen die verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen sind oder dass die Sanktion von unbestimmter Dauer ist; d) dass die verurteilte Person oder, sofern einer der beiden Staaten es in Anbetracht ihres Alters oder ihres körperlichen oder geistigen Zustands für erforderlich erachtet, ihr gesetzlicher Vertreter ihrer Überstellung zustimmt; e) dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen würden und f) dass sich der Urteils- und der Vollstreckungsstaat auf die Überstellung geeinigt haben.

Wie im Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen vom 13. November 1991 verfügt der Vollstreckungsstaat in Bezug auf die Art der Vollstreckung über zwei Möglichkeiten: Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats müssen entweder den Vollzug der Sanktion unmittelbar fortsetzen oder die Entscheidung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren in eine Entscheidung dieses Staates umwandeln, wobei sie die im Urteilsstaat verhängte Sanktion durch eine nach dem Recht des Vollstreckungsstaats für dieselbe Straftat vorgesehene Sanktion ersetzen (Art. 9). Der Vollzug der Sanktion richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats, und dieser Staat allein ist zuständig, alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen.

Das in Art. 10 des Übereinkommens von 1983 geregelte Verfahren im Falle einer Fortsetzung des Vollzugs ist mit jenem des Übereinkommens von 1991 (siehe oben) identisch. Ist diese Sanktion jedoch nach Art oder Dauer mit dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar, so kann dieser Staat die Sanktion an die nach seinem eigenen Recht für eine Straftat derselben Art vorgesehene Strafe oder Maßnahme anpassen.

Im Falle einer Umwandlung der Sanktion (Art. 11) ist das nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehene Verfahren anzuwenden. Bei der Umwandlung a) ist die zuständige Behörde an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, soweit sie sich ausdrücklich oder stillschweigend aus dem im Urteilsstaat ergangenen Urteil ergeben; b) darf die zuständige Behörde eine freiheitsentziehende Sanktion nicht in eine Geldstrafe oder Geldbusse umwandeln; c) hat die zuständige Behörde die Gesamtzeit des an der verurteilten Person bereits vollzogenen Freiheitsentzugs anzurechnen; und d) darf die zuständige Behörde die strafrechtliche Lage der verurteilten Person nicht erschweren und ist sie an ein Mindestmass, das nach dem Recht des Vollstreckungsstaats für die begangene Straftat oder die begangenen Straftaten gegebenenfalls vorgesehen ist, nicht gebunden. Die Bedingungen b) und c) unterscheiden sich von jenen in Artikel 8 Absatz 5 des Übereinkommens von 1991: Das Übereinkommen von 1991 erlaubt die Umwandlung einer freiheitsentziehenden Sanktion in eine Geldstrafe oder Geldbuße, sofern nicht eine entgegenstehende Erklärung abgegeben wurde; die Bedingung c) findet im Übereinkommen von 1991 kein Äquivalent.

Durch Übernahme der verurteilten Person durch die Behörden des Vollstreckungsstaats wird der Vollzug der Sanktion im Urteilsstaat ausgesetzt. Der Urteilsstaat darf die Sanktion nicht weiter vollziehen, wenn der Vollstreckungsstaat den Vollzug der Sanktion für abgeschlossen erachtet (Art. 8).

Die Anwendung des Übereinkommens wurde durch eine unterschiedliche Auslegung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit und der Stellung verurteilter Personen, die geistig beeinträchtigt sind, die Behandlung nicht beglichener Geldstrafen oder Geldbußen, die Nichteinhaltung der Fristen für die Bearbeitung von Überstellungsanträgen sowie durch die Unterschiede zwischen den Strafrechtssystemen der betreffenden Staaten erschwert.

a. Die Voraussetzung der Staatsangehörigkeit: Nach dem Übereinkommen muss jede verurteilte Person, die überstellt werden möchte, Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats sein (Art. 3). Diese Bestimmung ist jedoch in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 4 zu lesen, wonach jeder Staat jederzeit durch eine Erklärung für seinen Bereich den Begriff "Staatsangehöriger" im Sinne dieses Übereinkommens bestimmen kann. Er kann den Anwendungsbereich des Übereinkommens somit auf andere Personen als "Staatsangehörige", z.B. auf Staatsangehörige anderer Staaten, die in diesem Staat ihren ständigen Aufenthalt haben, ausdehnen. Leider ist die Auslegung durch die Vertragsparteien nicht einheitlich. Der Europarat hat den Mitgliedstaaten daher in der Empfehlung (88) 13 vorgeschlagen, den Begriff "Staatsangehöriger" in einem weiten Sinne festzulegen. Der gewöhnliche Aufenthalt solle die wichtigste Voraussetzung darstellen.

b. Die Stellung verurteilter Personen, die geistig beeinträchtigt sind: Diese Personen werden nicht notwendigerweise - im üblichen Wortsinn - zu einer Strafe in Folge eines Schuldspruchs verurteilt. Nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten werden diese Personen aufgrund ihrer geminderten oder fehlenden Verantwortlichkeit entweder unmittelbar zu einer zeitlich unbefristeten Unterbringung in einer besonderen Anstalt verurteilt oder sie werden nicht vor Gericht gestellt und aufgrund ihrer Gefährlichkeit für die Öffentlichkeit in einer geeigneten Einrichtung untergebracht. Einige Vertragsstaaten vertreten die Auffassung, dass das Übereinkommen auf diese Kategorie von Personen nicht anzuwenden ist. Um diesem Auslegungsproblem abzuhelfen, beabsichtigt der Europarat, eine neue Empfehlung zu erstellen, nach der das Übereinkommen auf geistig beeinträchtige Personen Anwendung findet.

c. In einigen Mitgliedstaaten (z.B. im Vereinigten Königreich und in Frankreich) können Geldstrafen oder Geldbußen zugleich mit Freiheitsstrafen verhängt werden. In solchen Fällen blockiert der Urteilsstaat nicht selten Überstellungsanträge so lange, bis der Verurteilte die Geldstrafe oder Geldbuße bezahlt hat. Der Europarat hat versucht, gegen diese Praxis anzukämpfen: In der Empfehlung Nr. R (92) 18 Rdnr. 1 Buchstabe f) hat er den Mitgliedstaaten empfohlen, Maßnahmen zu ergreifen, damit sie ein Überstellungsersuchen nicht allein aufgrund der Tatsache ablehnen müssen, dass die einer verurteilten Person auferlegten Geldstrafen oder Geldbußen im Zusammenhang mit der Verurteilung noch nicht beglichen wurden. Da die Empfehlung dieser Praxis nicht Einhalt gebieten konnte, beabsichtigt der Europarat nun, sich näher mit diesem Problem zu befassen und eine Lösung in Form eines neuen Protokolls zum Übereinkommen vorzuschlagen.

d. Bestimmte Urteilsstaaten haben die Tendenz, eine Überstellung abzulehnen, wenn sie dem Verurteilten die Möglichkeit geben würde, in seinem Heimatstaat eine mildere Strafe als jene zu verbüßen, die im Urteilsstaat verhängt wurde. Diese Situation kann nicht nur dann eintreten, wenn der Vollstreckungsstaat die Umwandlung der Sanktion (Art. 11) wählt, sondern auch, wenn er die Vollstreckung der Strafe fortsetzt (Art. 10). Im Fall einer Umwandlung ist dieses Risiko offensichtlich, da die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats (nach denen eine mildere Strafe vorgesehen sein kann) vollständig an die Stelle der Bestimmungen des Urteilsstaats treten (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b, der auf Art. 11 verweist). Bei einer Fortsetzung der Vollstreckung der Strafe kann der Vollstreckungsstaat gezwungen sein, die (vom Urteilsstaat) verhängte Strafe umzuwandeln. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die verhängte Strafe die nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats erlaubte Hoechstdauer überschreitet. In der Praxis könnten die bedeutenden Unterschiede der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Vollstreckung der Strafe [94] und insbesondere die vorzeitige Entlassung (siehe oben) eine mildere Strafe und sogar eine unverzügliche Entlassung zur Folge haben. Um das Problem einer unverzüglichen Entlassung zu lösen, hat der Europarat am 27. Juni 2001 eine Empfehlung [95] angenommen, in der ein Mindestsatz für die Vollstreckung der Strafe (z.B. 50 % der Gesamtdauer der verhängten Strafe) vorgeschlagen wird. Es wird den Staaten empfohlen, die Überstellung zu erleichtern, wenn dieser Satz überschritten wurde. [96]

[94] Der Vollzug der Sanktion richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats, und dieser Staat allein ist zuständig, alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen (Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens).

[95] Empfehlung 1527 (2001) über die Funktionsweise des Übereinkommens des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen.

[96] Der Sachverständigenausschuss über die Funktionsweise der europäischen Übereinkommen im Bereich des Strafrechts hat jedoch in seiner Stellungnahme vom 22. Januar 2003 zu bedenken gegeben, dass die Festlegung eines Mindestsatzes zu Lasten der Flexibilität geht, die einen anerkannten Wert des Übereinkommens darstellt. Darüber hinaus würde ein fixer Mindestsatz Lösungen im Einzelfall verhindern. Der Ausschuss hat sich daher für einen ,Zeitraum von bestimmter Dauer, der mit den Zielen des Urteils im Einklang steht" ausgesprochen.

3.2.1.6. Zusatzprotokoll des Europarats zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 18. Dezember 1997

Am 18. Dezember 1997 wurde ein Zusatzprotokoll des Europarats zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen [97] abgeschlossen. Es ist am 1. Juni 2000 in Kraft getreten und wurde bisher von sechzehn Mitgliedstaaten des Europarats ratifiziert. Elf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben das Übereinkommen unterzeichnet und 5 davon haben es ratifiziert.

[97] Abrufbar unter: http:// conventions.coe.int.

Das Protokoll ergänzt das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen von 1983. Es enthält Bestimmungen über die Übertragung der Strafvollstreckung, wenn verurteilte Personen aus dem Urteilsstaat in ihren Heimatstaat fliehen oder wenn sie aufgrund ihrer Verurteilung der Ausweisung oder Abschiebung unterliegen.

3.2.1.7. Abkommen über die Anwendung des Übereinkommens des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften vom 25. Mai 1987 [98]

[98] Abrufbar unter http://ue.eu.int/ ejn.

Dieses Abkommen ergänzt das Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen von 1983 (nachstehend "Überstellungsübereinkommen") in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, die dieses Übereinkommen des Europarats ratifiziert haben (Art. 1). Dieses Abkommen wurde von 11 Mitgliedstaaten unterzeichnet und von 4 Mitgliedstaaten ratifiziert.

Für die Zwecke der Anwendung des Überstellungsübereinkommens stellt jeder Mitgliedstaat die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten, deren Überstellung angezeigt und angesichts des ständigen Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates als in ihrem Interesse erscheint, seinen eigenen Staatsangehörigen gleich (Art. 2). Die Erklärungen in Anwendung des Überstellungsübereinkommens haben keine Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten, die Vertragspartien dieses Abkommens sind. Jeder Mitgliedstaat kann in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten, die Vertragspartien dieses Abkommens sind, seine Erklärungen nach Maßgabe des Überstellungsübereinkommens erneuern oder ändern (Art. 3).

3.2.2. Anerkennung von Entscheidungen über die Strafaussetzung, die bedingte Entlassung oder alternative Sanktionen

3.2.2.1. Problemstellung

In Bezug auf Maßnahmen der Überwachung und Unterstützung bei einer Strafaussetzung zur Bewährung oder einer bedingten Entlassung ist in Kapitel 4 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen Folgendes vorgesehen: ,Entscheidungen im Rahmen der Überwachung nach einem Strafverfahren -

Ziel: Sicherstellung der Zusammenarbeit für den Fall, dass eine Person insbesondere aufgrund einer Strafaussetzung zur Bewährung oder einer bedingten Freilassung Auflagen oder Überwachungs- und Unterstützungsmaßnahmen unterworfen wird.

Maßnahme Nr. 23: Optimale Anwendung des Europäischen Übereinkommens vom 30. November 1964 über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen. Insbesondere wäre festzulegen, gegebenenfalls mittels eines spezifischen Instruments, inwieweit bestimmte Vorbehalte und Gründe für eine Vollstreckungsverweigerung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht geltend gemacht werden dürften."

Bei den genannten Pflichten oder Maßnahmen der Überwachung und Unterstützung bei einer Strafaussetzung oder einer bedingten Entlassung stellen sich dieselben Probleme wie bei der Anerkennung alternativer Sanktionen.

Die gegenseitige Anerkennung alternativer Sanktionen ist aus folgenden Gründen problematisch: Es bestehen, wie im Abschnitt über die Angleichung der alternativen Sanktionen dargelegt wurde, bedeutende Unterschiede in Bezug auf ihre Funktion und Rechtsnatur: In einigen Mitgliedstaaten stellen bestimmte alternative Strafen Haupt- oder Ersatzstrafen dar, während sie in anderen Mitgliedstaaten als Maßnahmen gelten, die mit einer Strafaussetzung verbunden sind. Alternative Sanktionen sind inhaltlich sehr verschieden. Bestimmte alternative Strafen - einschließlich des sozialen Rahmens und der geeigneten Kontrollinstanzen für diese Art der Strafen - sind nicht in allen Mitgliedstaaten verfügbar. Schließlich sind einzelne alternative Sanktionen - jene, die sich aus einer Mediation ergeben können - in bestimmten Mitgliedstaaten Gegenstand eines vereinfachten Verfahrens, das teilweise außerhalb des klassischen Strafverfahrens erfolgt und regelmäßig zur Einstellung des Verfahrens führt, wenn dieses vereinfachte Verfahren erfolgreich beendet wird.

Selbst wenn in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten versucht wird, offene Diskriminierungen zu vermeiden, verfügen die nationalen Gerichte in der Praxis keine Strafaussetzung in Verbindung mit Besserungsmaßnahmen bei Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Urteilsstaat haben. Da der Urteilsstaat keine Überwachungsmaßnahmen im Aufenthaltsstaat des Täters ergreifen kann [99], besteht die Gefahr, dass selbst bei geringfügigen Delikten eine Freiheitsstrafe verhängt wird. Der Täter wird damit strenger bestraft, als wenn er dasselbe Delikt in seinem Aufenthaltsstaat begangen hätte. Somit ist nicht die ausländische Staatsangehörigkeit der Hauptgrund für Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang, sondern die Tatsache, dass der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat.

[99] Ohne ein völkerrechtliches Übereinkommen oder eine Regelung auf Ebene der Europäischen Union würde der Urteilsstaat die Souveränität des Staates verletzen, in dem der Täter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er in diesem Staat Überwachungsmaßnahmen träfe.

Derzeit gibt es auf Ebene der Europäischen Union keine Rechtsvorschriften über die Vollstreckung alternativer Sanktionen außerhalb der Staatsgrenzen. Belgien hat jedoch 2002 eine Initiative über die Einrichtung eines Europäischen Netzes nationaler Kontaktstellen für opferorientierte Justiz vorgelegt [100].Diese Initiative stellt darauf ab, durch die Einrichtung eines Europäischen Netzes nationaler Kontaktstellen verschiedene Aspekte der opferorientierten Justiz auf Unionsebene zu entwickeln und zu fördern. Sie behandelt allerdings nicht die gegenseitige Anerkennung alternativer Sanktionen.

[100] ABl. C 242 vom 8.10.2002, S. 20.

3.2.2.2. Bestehende Rechtsakte

Das im Rahmen des Europarats erstellte Europäische Übereinkommen über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen [101] versucht, eine Lösung auf die genannten Fragen zu finden. Es wurde am 30. November 1964 unterzeichnet und ist am 22. August 1975 in Kraft getreten. Es wurde von insgesamt sechzehn Staaten ratifiziert. Derzeit haben es elf Mitgliedstaaten unterzeichnet [102] und acht Mitgliedstaaten ratifiziert [103].

[101] Abrufbar unter: http:// conventions.coe.int.

[102] Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Schweden.

[103] Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Schweden.

Das Übereinkommen soll es verurteilten Personen ermöglichen, das Hoheitsgebiet einer Vertragspartei (ersuchender Staat), in dem sie bedingt verurteilt oder bedingt entlassen wurden, zu verlassen, und sich unter eine geeignete Überwachung durch die Behörden einer anderen Vertragspartei (ersuchter Staat) zu begeben. Es findet Anwendung auf Personen, gegen die ein mit einem bedingten Aufschub des Strafausspruchs verbundener gerichtlicher Schuldspruch oder ein mit Freiheitsentzug verbundenes Urteil ergangen ist, das bedingt ausgesprochen oder dessen Vollstreckung ganz oder teilweise bei der Verurteilung (,Strafaussetzung") oder später (,vorzeitige Entlassung") bedingt aufgeschoben worden ist. [104].

[104] In den meisten Mitgliedstaaten handelt es sich bei der vorzeitigen Entlassung um eine bedingte Entlassung (siehe oben).

Nach diesem Übereinkommen verpflichten sich die Vertragsparteien, einander die notwendige Hilfe bei der sozialen Wiedereingliederung von im Ausland verurteilten Personen zu leisten. Das Übereinkommen umfasst drei Arten von Rechtshilfe:

1. Die erste Art der Rechtshilfe ist die Überwachung (Titel II des Übereinkommens). Der ersuchende Staat (der das Urteil verhängt hat) kann den Staat, in dessen Hoheitsgebiet der Täter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nimmt, ersuchen, nur die Überwachung durchzuführen. Die Überwachung durch den ersuchten Staat kann eine Anpassung der Überwachungsmaßnahmen im ersuchten Staat erforderlich machen.

Wenn keine Anpassung nötig ist, z.B. wenn die Maßnahme auch im ersuchten Staat vorgesehen ist, kann die Überwachung ohne Förmlichkeiten angenommen werden. Wird die Überwachung der Bedingungen für eine Strafaussetzung vom Vollstreckungsstaat vorgenommen, so stellt sich die Frage, ob der Urteilsstaat die Möglichkeit haben sollte, sich zu vergewissern, dass der Verurteilte diese Bedingungen einhält. Welches Verfahren sollte dazu angewandt werden?

Wenn die angeordneten Überwachungsmaßnahmen in den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats nicht vorgesehen sind, kann sie dieser Staat an seine eigenen Rechtsvorschriften anpassen (Art. 11 Abs. 1 des Übereinkommens). Dazu bedarf es der Umwandlung eines Teils des Urteils oder der Entscheidung der Instanz, die die bedingte Entlassung des Straffälligen angeordnet hat. In keinem Fall dürfen die vom ersuchten Staat angewendeten Überwachungsmaßnahmen ihrer Art oder Dauer nach strenger sein als die vom ersuchenden Staat angeordneten (Art. 11 Abs. 2 des Übereinkommens).

Droht dem Straffälligen ein Widerruf des bedingten Aufschubs, sei es aufgrund einer Verfolgung oder eines Urteils wegen einer neuen strafbaren Handlung, sei es infolge Nichterfuellung der ihm auferlegten Verpflichtungen, so ist nach Maßgabe des Übereinkommens der ersuchende Staat allein befugt, unter Berücksichtigung der Auskünfte und Stellungnahmen des ersuchten Staates zu beurteilen, ob der Betreffende den ihm auferlegten Bedingungen genügt hat, und aus den Feststellungen die in seinen eigenen Rechtsvorschriften vorgesehenen Folgerungen zu ziehen (Art. 13 und 15 des Übereinkommens). Er setzt den ersuchten Staat von seiner Entscheidung in Kenntnis.

2. Die zweite Art der Rechtshilfe besteht in der Vollstreckung der Strafe (Titel III des Übereinkommens) nach Widerruf des bedingten Aufschubs auf Antrag des ersuchenden Staates. Die Vollstreckung findet nach dem Recht des ersuchten Staates statt (Art. 17). Der ersuchte Staat ersetzt gegebenenfalls die im ersuchenden Staat verhängte Sanktion durch die in seinem eigenen Recht für eine entsprechende strafbare Handlung vorgesehene Strafe oder Maßnahme. Diese Strafe oder Maßnahme hat ihrer Art nach soweit wie möglich der durch die zu vollstreckende Entscheidung verhängten zu entsprechen. Sie darf weder das nach dem Recht des ersuchten Staates vorgesehene Hoechstmaß überschreiten, noch ihrer Art oder Dauer nach strenger sein als die vom ersuchenden Staat verhängte Sanktion (Art. 19). Der ersuchende Staat darf Vollstreckungsmaßnahmen, um die er ersucht hat, nicht mehr durchführen, es sei denn, dass ihm der ersuchte Staat die Ablehnung oder die Unmöglichkeit der Vollstreckung mitgeteilt hat (Art. 20).

3. Die dritte Form der möglichen Rechtshilfe besteht in der vollständigen Abtretung der Vollstreckung durch den ersuchenden Staat an den ersuchten Staat (Titel IV des Übereinkommens). In diesem Fall passt der ersuchte Staat die verhängte Strafe oder Maßnahme seiner Strafgesetzgebung so an, als wäre das Urteil wegen einer in seinem Hoheitsgebiet begangenen gleichen Tat verhängt worden. Die im ersuchten Staat verhängte Sanktion darf nicht strenger sein als die im ersuchenden Staat verhängte (Art. 23). Der ersuchte Staat führt die gesamte Vollstreckung des so angepassten Urteils durch, als handle es sich um ein von seinen Gerichten erlassenes Urteil (Art. 24). Nimmt der ersuchte Staat ein nach diesem Titel gestelltes Ersuchen an, so erlischt das Recht des ersuchenden Staates zur Vollstreckung des Urteils (Art. 25).

In den meisten Fällen hat der Widerruf des bedingten Aufschubs zur Folge, dass der Verurteilte eine Freiheitsstrafe im Vollstreckungsstaat verbüßen muss. Damit stellen sich dieselben Fragen, die unter 3.2.1 aufgeworfen wurden.

Das Übereinkommen von 1964 hat zwei wesentliche Nachteile: Die große Zahl an Vorbehalten [105], die von den meisten Mitgliedstaten eingelegt wurden, und an Ablehnungsgründen [106], die die Anwendung des Übereinkommens unwirksam machen.

[105] Mit diesen Vorbehalten wird insbesondere die Anwendung der Titel III und IV ausgeschlossen.

[106] Gemäß Artikel 7 wird die Überwachung, die Vollstreckung oder die gesamte Urteilsvollstreckung abgelehnt: a) wenn sie nach Auffassung des ersuchten Staates geeignet sind, seine Souveränität, seine Sicherheit, die Grundlagen seiner Rechtsordnung oder andere seiner wesentlichen Interessen zu beeinträchtigen; b) wenn das Urteil, auf das sich das Ersuchen bezieht, auf einer Handlung beruht, die im ersuchten Staat rechtskräftig abgeurteilt worden ist; c) wenn der ersuchte Staat die dem Urteil zugrunde liegende Handlung als eine mit einer solchen zusammenhängende oder als eine rein militärische strafbare Handlung ansieht; d) wenn die Vollstreckbarkeit der Sanktion nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staates verjährt ist; e) wenn dem Täter im ersuchenden oder ersuchten Staat eine Amnestie oder eine Gnadenmaßnahme zugute kommt. Darüber hinaus kann die Überwachung, die Vollstreckung oder die gesamte Urteilsvollstreckung abgelehnt werden: a) wenn die zuständigen Behörden des ersuchten Staates beschlossen haben, keine Verfolgung einzuleiten oder die wegen derselben Handlung durchgeführte Verfolgung einzustellen; b) wenn die dem Urteil zugrunde liegende Handlung im ersuchten Staat verfolgt wird; c) wenn das Urteil, auf das sich das Ersuchen bezieht, im Abwesenheitsverfahren ergangen ist; d) soweit nach Auffassung des ersuchten Staates das Urteil, mit dem er befasst wird, mit den die Anwendung seines Strafrechts leitenden Grundsätzen unvereinbar ist, vor allem wenn der Täter in diesem Staat wegen seines Alters nicht hätte verurteilt werden können.

3.2.3. Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten

Der Entzug der Fahrerlaubnis wird von einem Übereinkommen der Europäischen Union über den Entzug der Fahrerlaubnis vom 17. Juni 1998 [107] umfasst. Dieses Übereinkommen, das bislang erst von Spanien ratifiziert wurde, sieht jedoch nur ein relativ schwaches Verfahren der gegenseitigen Anerkennung vor. Die Möglichkeit einer direkten Anerkennung der Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis in allen Mitgliedstaaten ist darin nicht vorgesehen; vielmehr muss der Wohnsitzstaat tätig werden. Dieser verfügt über drei Möglichkeiten, um Entscheidungen über den Entzug der Fahrerlaubnis zu vollstrecken: Er kann die Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis unmittelbar vollstrecken, diese mittels einer Entscheidung einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde vollstrecken oder sie in eine Entscheidung seiner Justiz- oder Verwaltungsbehörde umwandeln und dadurch die Entscheidung des Staates der Zuwiderhandlung durch eine neue Entscheidung des Wohnsitzstaates ersetzen (siehe Artikel 4 Absatz 1 des Übereinkommens). In den beiden letzten Fällen kann der Wohnsitzstaat die Dauer des Entzugs der Fahrerlaubnis herabsetzen. Diese Möglichkeit scheint dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht zu entsprechen. Im Übereinkommen sind darüber hinaus bestimmte zwingende und fakultative Gründe für die Verweigerung der Vollstreckung der Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis vorgesehen. Einige dieser Gründe scheinen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht zu entsprechen.

[107] Erläuternder Bericht über das Übereinkommen über den Entzug der Fahrerlaubnis, ABl. C 211 vom 23.7.1999, S. 1.

3.2.4. Schlussfolgerungen

Abgesehen von dem Übereinkommen des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983, das alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet und ratifiziert haben, wurde keines der übrigen genannten Übereinkommen von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet und ratifiziert. Von den ohnehin wenigen Mitgliedstaaten (der Europäischen Union), die diese Übereinkommen ratifiziert haben, wurden zudem viele Erklärungen und Vorbehalte abgegeben, wodurch die Wirkung der Übereinkommen deutlich verringert wurde. Ohne hier nochmals auf die verschiedenen Kritikpunkte in Bezug auf den Inhalt der geplanten Regelungen, die unter 3.2.1 und 3.2.2 dargelegt und unter 4.2 näher behandelt werden, eingehen zu wollen, muss man feststellen, dass die zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbaren Rechtsakte im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung einer Strafe in einem anderen Mitgliedstaat unvollständig sind und, soweit überhaupt vorhanden (insbesondere das Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983), verbessert werden könnten.

4. BESTEHENDE PROBLEME UND HANDLUNGSBEDARF AUF EBENE DER EUROPÄISCHEN UNION

4.1. Angleichung der freiheitsentziehenden Sanktionen und ihrer Alternativen

In dem uns hier interessierenden Bereich wie auch in anderen orientiert sich das Handeln der Europäischen Union an den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ist ein Tätigwerden der Gemeinschaft gerechtfertigt, wenn es sich um einen Bereich mit transnationalen Aspekten handelt, wenn alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen den Anforderungen des EG-Vertrags zuwiderlaufen würden oder wenn Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen deutliche Vorteile mit sich bringen würden.

Diese Vorgehensweise wurde in den Schlussfolgerungen des Rates ,Justiz und Inneres" vom 25./26. April 2002 [108] hervorgehoben, in denen nachdrücklich auf die Kohärenz innerhalb der einzelnen Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten und die Anerkennung der Unterschiede bei den Sanktionen hingewiesen wurde. Diese historisch, kulturell und rechtlich bedingten Unterschiede zwischen den Rechtssystemen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, geben Aufschluss darüber, mit welchen Grundsatzfragen die Staaten im Strafrecht konfrontiert waren und wie sie sie beantwortet haben. Es handelt sich definitiv um einen für die Hoheitsgewalt des Staates zentralen Bereich.

[108] Siehe oben 2.1.5.

Wie an den Schlussfolgerungen von Tampere deutlich wird, lässt sich die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung leiten. Hier stellt sich die Frage, welche Folgen sich aus dem breiten Spektrum der verfügbaren strafrechtlichen Sanktionen ergeben. Insbesondere wäre zu prüfen, inwieweit manche Sanktionen dem europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts entgegenstehen, den sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt hat.

Nach Auffassung der Kommission ist ein Tätigwerden der Union in Betracht zu ziehen, wenn dies notwendig ist, um den Erfolg der Unionspolitik in bereits harmonisierten Bereichen sicherzustellen. Hier stellt sich u. a. die Frage, ob eine auf Ebene der Union erarbeitete ,harmonisierte" Lösung (in den oben beschriebenen Grenzen) für ein Phänomen wie die Kriminalität wirklich effizient ist. Kann mit anderen Worten das angestrebte hohe Sicherheitsniveau erreicht werden, wenn ein bestimmtes Verhalten nicht in allen Mitgliedstaaten einen Straftatbestand erfuellt oder de facto nicht geahndet wird?

Ebenso stellt sich die Frage, ob die Gefahr besteht, dass manche Kriminelle ihre illegalen Machenschaften in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, in dem diese nicht strafbar sind oder zumindest weniger streng geahndet werden. Es wäre interessant zu wissen, ob es sich hier - beispielsweise bei der Wirtschafts- und Finanzkriminalität oder der High-Tech-Kriminalität - um eine rein akademische Frage oder um eine realistische Möglichkeit handelt.

Eine andere bedenkenswerte Frage wäre, ob und inwieweit die Freizügigkeit durch die fehlende Harmonisierung behindert wird oder ob sich die EU-Bürger im Gegenteil darauf einstellen müssen, dass ein in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat rechtmäßiges Verhalten in einem andern Mitgliedstaat nicht toleriert wird (z. B. Rassismus, Pädophilie oder Drogen).

Frage 1: Inwieweit stellen Unterschiede zwischen den strafrechtlichen Sanktionensystemen Hindernisse für die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Bezug auf folgende Punkte dar:

1. Verlegung des Tätigkeitsfeldes von Straftätern in einen anderen Mitgliedstaat wegen Unterschieden bei den Straftatbeständen und Strafen?

2. Hindernisse für den freien Personenverkehr?

Was die Handlungsmöglichkeiten anbelangt, die nach Auffassung der Kommission in Bezug auf die verschiedenen Arten von Sanktionen bestehen, wird im Folgenden nach der bereits verwendeten Gliederung vorgegangen.

4.1.1. Regeln des allgemeinen Strafrechts

4.1.1.1. Legalitäts- vs. Opportunitätsprinzip

Die Entscheidung für das eine oder andere System wirft die Frage auf, ob es zweckmäßig ist, eine europäische Kriminalpolitik zu entwickeln, derzufolge bestimmte Straftaten vorrangig verfolgt werden.

In ihrem Grünbuch zur Europäischen Staatsanwaltschaft [109] gibt die Kommission, was den Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts betrifft, dem Legalitätsprinzip den Vorzug, allerdings abgeschwächt durch eine Reihe von Ausnahmen. Damit ist im Prinzip im europäischen Rechtsraum eine einheitliche Strafverfolgung gewährleistet, die ein Ermessen seitens der Europäischen Staatsanwaltschaft ausschließt. Bei einer öffentlichen Anhörung zum Grünbuch im September 2002 wurde in den meisten Beiträgen die Ansicht vertreten, dass in diesem Bereich in der Tat das Legalitätsprinzip mit bestimmten Ausnahmen vorzuziehen ist.

[109] KOM(2001)715 endg. vom 11.12.2001, Ziff. 6.2.2.1.

Es gilt somit vor allem, beide Prinzipien sorgfältig abzuwägen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten. Im Allgemeinen ist dies die Aufgabe der Mitgliedstaaten, aber zumindest bei den auf Unionsebene harmonisierten Straftaten sollten zwischen den Mitgliedstaaten bei der Einleitung der Strafverfolgung keine allzu großen Diskrepanzen bestehen.

4.1.1.2. Der Ermessensspielraum des Strafrichters

Die Unabhängigkeit ist eine der Prärogativen des Richters. Sie folgt aus dem in allen Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz der Gewaltentrennung. Der Richter verfügt bei der Strafzumessung im Allgemeinen über einen beträchtlichen Ermessensspielraum. Es wäre daher nicht angemessen, in dieser Hinsicht zwingende Vorschriften einzuführen. Überdies kann nach der 8. Erklärung zum Vertrag von Amsterdam ein Mitgliedstaat, der keine Mindeststrafen vorsieht, nicht zur Einführung von Mindeststrafen verpflichtet werden.

Demgegenüber wird in der Studie über die ,Harmonisierung der strafrechtlichen Sanktionen in Europa" erwogen, in rechtlich nicht verbindlichen Empfehlungen entweder einen Strafrahmen vorzugeben, der eine Mindest- und eine Hoechststrafe vorsieht, oder einen Normalstrafrahmen für den Durchschnittsfall. Eine andere Option bestuende darin, die Strafzumessung in den Mitgliedstaaten beispielsweise mit Hilfe von Einzelfallstudien oder auf Zusammenkünften regelmäßig zu vergleichen. Eine Möglichkeit wäre auch, nach dem schottischem Vorbild des ,High Court Sentencing Information System" auf europäischer Ebene eine Rechtsprechungsdatenbank einzurichten, die Richtern als praktische Orientierungshilfe dienen könnte.

4.1.1.3. Grad der Beteiligung: Beihilfe

In den einschlägigen Rahmenbeschlüssen [110] sind in aller Regel Bestimmungen vorgesehen, die die Teilnahme an den dort geregelten Straftaten als Anstifter oder Gehilfe mit strafrechtlichen Sanktionen bedrohen, die zumindest wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen [111].

[110] Siehe oben Ziff. 2.1.5.

[111] Vgl. u. a. die Artikel 2 und 3 des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels, ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1, und die Artikel 5 und 6 des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 1.

Eine Angleichung der für die verschiedenen Beteiligungsformen vorgesehenen Strafen dürfte sich ohne eine einheitliche Definition dieser Beteiligungsformen und ohne eine Angleichung der für den Täter vorgesehenen Strafe als unmöglich erweisen, da die Strafe für den Gehilfen in den Mitgliedstaaten, die einen nach der Beteiligungsform abgestuften Strafrahmen vorsehen, sehr häufig anhand des für den Täter vorgesehenen Strafrahmens festgelegt wird.

4.1.1.4. Erschwerende und mildernde Umstände

Da sich die Strafschärfung, die unter bestimmten im Gesetz vorgesehenen Umständen angezeigt ist, normalerweise nach der Strafe richtet, mit der die Verwirklichung des Grundtatbestands bedroht ist und die durchweg nicht harmonisiert ist, ist es auch hier schwierig, eine Angleichung in Erwägung zu ziehen.

Bei den strafmildernden Umständen ist in jedem Fall darauf zu achten, dass die Einführung einer proportionellen Strafreduzierung nicht der 8. Erklärung zum Vertrag von Amsterdam entgegensteht, wonach ein Mitgliedstaat nicht zur Einführung von Mindeststrafen verpflichtet werden darf, wenn diese in seinem Recht bislang nicht vorgesehen waren.

Ein Tätigwerden auf Unionsebene dürfte somit nur in sehr begrenztem Rahmen möglich sein und ließe sich überdies auch nicht ohne Weiteres rechtfertigen.

4.1.1.5. Rückfall

Das ,Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen" [112] enthält eine Reihe von Maßnahmen, mit denen erreicht werden soll, dass das mitgliedstaatliche Gericht ein in einem anderen Mitgliedstaat ergangenes Strafurteil berücksichtigt, um das Vorleben des Angeklagten angemessen würdigen und die Strafzumessung daran ausrichten zu können.

[112] ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 10.

Maßnahme Nr. 2 sieht insbesondere die Annahme eines oder mehrerer Rechtsakte vor, in denen der Grundsatz verankert ist, dass das Gericht eines Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten ergangene rechtskräftige Strafurteile heranziehen können muss, um die strafrechtliche Vergangenheit eines Täters bewerten, einen etwaigen Rückfall berücksichtigen und die Art der Strafen und die Einzelheiten der Strafvollstreckung entsprechend festlegen zu können.

Bei der als Maßnahme Nr. 2 vorgesehenen Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in Strafsachen gehen die Meinungen der Mitgliedstaaten auseinander. Nach Artikel 56 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen [113] von 1970 [trifft] ,jeder Vertragsstaat [...] die ihm geeignet erscheinenden gesetzgeberischen Maßnahmen, damit seine Gerichte beim Erlass einer Entscheidung jedes frühere wegen einer anderen strafbaren Handlung in Anwesenheit des Beschuldigten ergangene Europäische Strafurteil berücksichtigen und diesem einzelne oder alle Wirkungen beimessen können, die nach seinem Recht den in seinem Hoheitsgebiet ergangenen Entscheidungen zukommen. Er bestimmt die Voraussetzungen, unter denen dieses Urteil berücksichtigt wird." Nur vier Mitgliedstaaten haben dieses Übereinkommen ohne Vorbehalte zu Artikel 56 ratifiziert [114].

[113] Verträge des Europarats, Nr.°70. Zeichnungsauflegung: 28. Mai 197; Inkrafttreten: 26. Juli 1974. Einsehbar unter: http:// conventions.coe.int .

[114] Österreich, Dänemark, Spanien und Schweden.

Es versteht sich von selbst, dass ein ausländisches Urteil nur dann berücksichtigt werden kann, wenn das Gericht, das über die Strafzumessung entscheidet, Kenntnis von diesem Urteil hat. Zur Erleichterung des Informationsaustausches sollte, wie in Maßnahme Nr. 3 des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung vorgesehen, nach dem Vorbild des von den Schengen-Gremien erstellten Vordrucks ein Standardformular für Auskunftsersuchen über Vorstrafen in den Amtssprachen der Union erstellt werden. In ihrem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren [115] hatte die Kommission ein Standardformular für eine Europäische Beweisanordnung erstellt, mit dem u. a. als Konkretisierung von Maßnahme Nr. 3 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen die Abschrift eines Strafregisterauszugs angefordert werden kann.

[115] KOM(2003)688 endg. vom 14.11.2003.

Maßnahme Nr. 4 des Programms schließlich sieht die Durchführung einer Machbarkeitsstudie vor, um festzustellen, wie die zuständigen Behörden in der Europäischen Union unter voller Berücksichtigung der Erfordernisse, die sich aus den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutz ergeben, auf bestmögliche Weise über die in einem Mitgliedstaat gegen eine Person ergangenen Strafurteile informiert werden könnten. Die Kommission hat in diesem Bereich zwei Studien als Beitrag zu der im Maßnahmenprogramm vorgesehenen Machbarkeitsstudie finanziert.

Unabhängig von diesem Grünbuch wird sich eine Studie mit der Frage der Auskunftserteilung über in anderen Mitgliedstaaten verhängte Strafen und deren Berücksichtigung bei einer neuen Strafverfolgung oder Verurteilung befassen. Die Kommission wird hierzu entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Dessen ungeachtet können sich im Zusammenhang mit der Rückfälligkeit Fragen stellen, auf die hier kurz eingegangen werden soll.

Nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung muss die vom Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassene Entscheidung in gleicher Weise berücksichtigt werden wie eine Entscheidung eines inländischen Gerichts, die wegen einer gleichwertigen Straftat ergangen ist. Wenn Voraussetzung für die Feststellung des Rückfalls eine Verurteilung von einem inländischen Gericht wegen einer gleichwertigen Straftat ist, muss dies auch für ein Strafurteil eines anderen Mitgliedstaats gelten.

Die Anwendung dieses einfachen Grundsatzes kann in der Praxis allerdings einige Schwierigkeiten bereiten. Die erste Schwierigkeit hängt mit der Qualifizierung der Straftat in der ersten Entscheidung zusammen. Es geht hier um eine klassische Frage der doppelten Strafbarkeit, die bereits in zahlreichen Arbeiten in der EU behandelt worden ist. Beim Rückfall kommt allerdings noch ein besonderer Aspekt hinzu, da manche Mitgliedstaaten bei bestimmten Straftaten den Grundsatz des gleichartigen Rückfalls anwenden: Ein Rückfall liegt demnach nur dann vor, wenn mit der zweiten Straftat ein gleichartiger Tatbestand verwirklicht worden ist wie mit der Straftat, die zur ersten Verurteilung geführt hat (z. B.: zwei aufeinander folgende Straftaten im Bereich des Drogenhandels). Auf EU-Ebene könnte somit ein Rückfalltatbestand eingeführt werden, wonach bei bestimmten Straftaten strafrechtliche Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten wegen des gleichen Straftatbestands als Rückfall berücksichtigt werden.

Die zweite Schwierigkeit hängt mit der Entscheidung zusammen: Art der Entscheidung, Art des Entscheidungsträgers (Gericht, in manchen Fällen aber auch Staatsanwaltschaft, die die Einstellung der Strafverfolgung anordnen kann, oder Verwaltungsbehörde), Art der Strafe oder der Verurteilung (Freiheitsstrafe mit oder ohne Bewährung, alternative Strafe, Straferlass, staatsanwaltlicher Vergleich, Mediation usw.), Strafmaß. Diese verschiedenen Parameter können nach einzelstaatlichem Recht herangezogen werden, um festzustellen, ob die erste Entscheidung für die Einstufung als Rückfall relevant ist. Eine einheitliche Konzeption könnte sich hier als notwendig erweisen.

Unterschiedlich geregelt sind in den Mitgliedstaaten auch die Fristen, innerhalb deren ein früheres Strafurteil rückfallbegründend wirkt, sowie die Umstände, die die rückfallbegründenden Wirkungen eines Ersturteils aufheben können. Auch hier könnte sich eine Rechtsangleichung als erforderlich erweisen.

4.1.1.6. Konkurrenzen (Tateinheit oder Tatmehrheit)

Der griechische Ratsvorsitz hat eine Initiative [116] zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des "Ne-bis-in-idem"-Prinzips sowie zur Rechtshängigkeit eingebracht. Diese Initiative wird derzeit im Rat erörtert.

[116] ABl. C 100 vom 26.4.2003, S. 24.

Solange die Beratungen andauern, erscheint es nicht angebracht, allgemeine Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich vorzuschlagen.

4.1.2. Freiheitsentziehende Sanktionen

Wünschenswert wären insbesondere einheitliche Sanktionen für die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, da die Gemeinsame Maßnahme des Rates vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union keinen Mindeststrafrahmen vorsieht.

Es ist zwar inzwischen in EU-Vorschriften zur Angleichung von Teilbereichen des materiellen Strafrechts üblich, auf EU-Ebene ein Mindestmaß der Hoechststrafe festzusetzen, nicht aber gemeinsame Hoechststrafen; gerade hier sind die Unterschiede jedoch, wie bereits festgestellt, beträchtlich. Manche Mitgliedstaaten sehen eine lebenslange Freiheitsstrafe vor, andere nicht. Es wäre zu überlegen, ob diese Strafe auf EU-Ebene nicht aufgehoben oder abgeändert werden sollte.

Die Aufhebung der lebenslangen Freiheitsstrafe ließe sich im Hinblick auf die Wiedereingliederung und Resozialisierung des Straffälligen rechtfertigen. Es ist allgemein bekannt, dass eine Person im Gefängnis ihr Verhalten mit der Zeit ändern kann und dass ohne Hoffnung auf Entlassung wenig Anreiz besteht, sich auf Wiedereingliederungsbemühungen einzulassen. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass eine lebenslange Haftstrafe unter bestimmten im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen oder Umständen (z. B. gute Führung, Studium oder Berufsausbildung in der Haft) deutlich verringert werden kann, während eine lange Haftstrafe in einem Mitgliedstaat, der nur zeitige Freiheitsstrafen kennt, in der Praxis auf eine lebenslange Haft hinauslaufen kann.

Die lebenslange Freiheitsstrafe könnte durch eine zeitige Freiheitsstrafe ersetzt werden. Für Schwerverbrechen mit persönlichkeitsbezogenen Tatbestandsmerkmalen, von denen eine offenkundige Gefahr für die Gesellschaft ausgeht, könnte entweder ein Strafrahmen zwischen 20 und 30 Jahren mit regelmäßiger Überprüfung der Situation des Häftlings oder im Falle einer zeitlich nicht begrenzten Strafe eine regelmäßige Überprüfung der Haftdauer vorgesehen werden. Auch eine Kombination beider Optionen wäre denkbar. Eine gewisse Annäherung würde darüber hinaus die Vollstreckung von Freiheitsstrafen in anderen Mitgliedstaaten erleichtern.

Auf EU-Ebene gibt es kein Rechtsinstrument, auf dessen Grundlage eine Mindeststrafe festgesetzt werden könnte. Es sei daran erinnert, dass nach der 8. Erklärung zum Vertrag von Amsterdam ein Mitgliedstaat nicht zur Einführung von Mindeststrafen verpflichtet werden darf, wenn diese in seinem Recht bislang nicht vorgesehen waren.

Was die Vollstreckungsmodalitäten für freiheitsentziehende Sanktionen anbelangt, so stellt sich die Frage, ob das Recht der Mitgliedstaaten (siehe Anhang I) in diesem Punkt EU-weit harmonisiert werden sollte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Vollstreckungsmodalitäten für freiheitsentziehende Sanktionen über die typischen Probleme hinaus, die sich bei der Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten unbekannten Sanktionen oder bei den in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Anwendungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen stellen (vgl. Kapitel 4.2.), keine besonderen Probleme aufwerfen. Große Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten könnten jedoch zur Folge haben, dass Hafterleichterungen nur Häftlingen gewährt werden, die ihren Wohnsitz im selben Mitgliedstaat haben.

4.1.3. Geldstrafen und Geldbußen

Erweist sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unabdingbar, um die EU-Politik in einem bereits harmonisierten Rechtsbereich wirksam umsetzen zu können, könnte man in dem betreffenden Bereich Mindestvorschriften zur Bestimmung der Straftatbestände und der entsprechenden Sanktionen festlegen. Es könnte zweckmäßig sein, in dieser Weise bei Geldstrafen oder Geldbußen wegen Nichteinhaltung der Gemeinschaftsvorschriften zu verfahren. Dabei könnte man über eine Regelung der Grundsatzfragen hinaus auch die Bemessungsweise regeln, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist.

Dies könnte sich als notwendig erweisen, um sicherzustellen, dass Geldstrafen oder andere Sanktionen, die die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht verhängen, wirklich verhältnismäßig, wirksam und abschreckend sind.

4.1.4. Aberkennung von Rechten

Die Politik der Union ist in diesem Bereich, wie dem Programm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung [117] zu entnehmen ist, auf die Anerkennung und Vollstreckung von Aberkennungsentscheidungen gerichtet. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es zwar nicht angeraten, eine allgemeine Rechtsangleichung in diesem Bereich vorzuschlagen, doch spricht nichts dagegen, in Verbindung mit bestimmten Straftaten gegebenenfalls eine Einschränkung oder Aberkennung von Rechten vorzusehen, wie dies bei der sexuellen Ausbeutung von Kindern oder der Bestechung im privaten Sektor bereits der Fall ist [118].

[117] Siehe 2.2.4.

[118] Siehe 2.1.7.

4.1.5. Einziehung

Wie bereits erwähnt, ist bei den Einziehungsmaßnahmen mit dem Erlass einschlägiger Rahmenbeschlüsse auf Ebene der EU eine gewisse Rechtsangleichung vorgenommen worden. Es erscheint daher angeraten, die Umsetzung dieser Rahmenbeschlüsse abzuwarten, bevor neue Maßnahmen in Verbindung mit der Einziehung von Erträgen aus Straftaten ins Auge gefasst werden. Die Kommission arbeitet derzeit an einem Bericht über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten [119].

[119] Siehe 2.1.8.

4.1.6. Juristische Personen

Es gibt kein Rechtsinstrument, das allgemein anwendbare Sanktionen für juristische Personen vorsieht. Die meisten juristischen Personen sind in mehreren Mitgliedstaaten tätig und besitzen auch Vermögen in mehreren Mitgliedstaaten. Wenn nicht in allen Mitgliedstaaten Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, besteht die Gefahr, dass juristische Personen ihre Tätigkeiten und/oder ihr Vermögen auf den Mitgliedstaat konzentrieren, in dem das Sanktionsrisiko am geringsten oder gar inexistent ist.

Wie bei den Geldstrafen und Geldbußen könnte man auch hier eine Rechtsangleichung bei den Sanktionen für juristische Personen in Erwägung ziehen, wenn sich dies als unerlässlich erweist, um die EU-Politik in einem bereits harmonisierten Rechtsbereich wirksam umsetzen zu können.

Frage 2: Wie könnten wesentliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Einleitung der Strafverfolgung zumindest für auf Unionsebene harmonisierte Straftaten verhindert werden?

Frage 3: Könnten auf europäischer Ebene ,Leitlinien für Strafurteile", d.h. Grundsätze für die Verhängung von Strafen unter Wahrung des richterlichen Ermessens, entwickelt werden?

Frage 4: Sollten zuvor Fallstudien über die Praxis der Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Verhängung von Strafen durchgeführt werden?

Frage 5: Sollte ein Informationssystem über Strafurteile als Orientierungshilfe für die Gerichte geschaffen werden?

Frage 6: Reicht es aus, in anderen Mitgliedstaaten erlassene rechtskräftige Strafurteile anzuerkennen (und/oder einer innerstaatlichen Entscheidung gleichzustellen), damit sie das nationale Gericht als rückfallbegründend berücksichtigen kann?

Frage 7: Sollte zuvor eine gewisse Rechtsangleichung erfolgen wie:

- Festlegung von Straftatbeständen, die systematisch berücksichtigt werden und rückfallbegründend wirken könnten (Schaffung eines europäischen Rückfalltatbestands);

- Festlegung der Arten rechtskräftiger Strafurteile, die als rückfallbegründend berücksichtigt werden könnten (Art der Entscheidung, verfügende Behörde, Art und Umfang der verhängten Strafe);

- Dauer, während der rechtskräftige Strafurteile in einem anderen Mitgliedstaat rückfallbegründend wirken könnten und Umstände, die die rückfallbegründende Wirkung einer Verurteilung neutralisieren könnten?

Frage 8: Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen über die Vollstreckungsmodalitäten für freiheitsentziehende Sanktionen verringert werden, um damit insbesondere einer Diskriminierung von Straftätern vorzubeugen, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem sie die Strafe verbüßen?

Frage 9: Gibt es bestimmte Kategorien der in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und/oder dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen aufgeführten Straftaten, bei denen das Strafmaß (und die Straftatbestände) vorrangig harmonisiert werden sollte?

Frage 10: Inwieweit sollten die Regelungen über Geldstrafen und Geldbußen (zum Beispiel im Bereich der Wirtschaftskriminalität einschließlich der Vergehen juristischer Personen) angeglichen werden?

Frage 11: Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen über die straf- und verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen verringert werden, damit insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Finanzkriminalität die Gefahr eines Standortwechsels vermieden wird?

Frage 12: Sollten die in mehreren geltenden Rahmenbeschlüssen vorgesehenen Sanktionen für juristische Personen allgemein geregelt werden?

4.1.7. Alternative Sanktionen

Angesichts der Vorteile, die alternative Sanktionen gegenüber freiheitsentziehenden Sanktionen bieten, stellt sich die Frage, ob die Einführung alternativer Sanktionen auf Ebene der europäischen Union gefördert oder gar vorgeschrieben werden sollte und wenn ja, für welche Straftaten. Als Beispiel sei auf Artikel 6 Absatz 4 des Kommissionsvorschlags für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verwiesen [120].

[120] ABl. C 75 E vom 26.3.2002, S. 269.

Welche alternativen Sanktionen wären förderungswürdig? Wie könnte eine solche Förderung aussehen? Die Akzeptanz alternativer Strafen auf der Ebene der Richter könnte beispielsweise durch einen Informations- und Erfahrungsaustausch auf EU-Ebene sowie durch die Verbreitung bewährter Praktiken verbessert werden.

Was die gemeinnützige Arbeit anbelangt, so stellt sich die Frage, ob die Anwendungsvoraussetzungen und -modalitäten für diese alternative Strafe auf Ebene der Europäischen Union in gewissem Maß angeglichen werden sollten, um ihre Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat zu erleichtern. Wie in der Einführung aufgezeigt wurde, stehen Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung in engem Zusammenhang. Die Ausführungen dieses Abschnitts sind daher in Verbindung mit Abschnitt 4.2 zu sehen.

Eine einheitliche Mindestregelung könnte sich zum Teil auf folgende Aspekte erstrecken: die Voraussetzungen für die Verhängung dieser Strafe; die Strafdauer (eventuell Festsetzung einer Mindest- und/oder Hoechstdauer); die mit ihrer Vollstreckung verbundenen Weisungen und Auflagen; die Art der Arbeitsleistung, die wie die Ausführungsmodalitäten straftatabhängig sein könnte (z. B. Arbeit in einem Krankenhaus, wenn der Täter eine erhebliche Körperverletzung begangen hat, oder Arbeit in einem Altersheim, wenn ein Jugendlicher alte Menschen angegriffen hat); die Aufsichtsmodalitäten sowie die Sanktionen bei Verletzung der mit dieser alternativen Strafe verbundenen Auflagen und Weisungen. Bei der Mediation in Strafsachen ist zu prüfen, ob auf EU-Ebene über die Anforderungen in Artikel 10 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren [121] hinaus bestimmte Voraussetzungen für die Einleitung eines Mediationsverfahrens sowie Verfahrensmodalitäten angeglichen werden sollten, um die Anerkennung der im Mediationsverfahren beschlossenen Maßnahmen und Vereinbarungen sowie ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat zu erleichtern. In einer solchen Mindestregelung könnten beispielsweise die in Betracht kommenden Straftatkategorien festgelegt werden, das Mediationsverfahren und die Stellung der Mediatoren einschließlich ihrer Unabhängigkeit gegenüber den Organen der Justiz. Zu guter Letzt muss auch die Frage gestellt werden, ob im Bereich der Mediation in Strafsachen über die im Rahmenbeschluss vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vorgesehenen Bestimmungen hinausgehende Maßnahmen vorgesehen werden sollten, um bei der Verhängung alternativer Sanktionen, den Interessen der Opfer, und zwar auch derjenigen, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Straftat begangen wurde, Rechnung zu tragen.

[121] ABl. L 82 vom 22.03.2001, S. 1.

Frage 13: Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen über alternative Sanktionen verringert werden, um damit insbesondere zu verhindern, dass sie in der Praxis nur auf Personen angewandt werden, die in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind?

Frage 14: Welche Mechanismen könnten geschaffen werden, um die rechtlichen und praktischen Probleme zu verringern, die der gegenseitigen Anerkennung und der Vollstreckung alternativer Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen könnten?

Frage 15: Inwieweit sollten auf EU-Ebene über die Anforderungen in Artikel 10 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren hinaus bestimmte Voraussetzungen für die Einleitung eines Mediationsverfahrens sowie Verfahrensmodalitäten angeglichen werden, um die Anerkennung der im Mediationsverfahren beschlossenen Maßnahmen und Vereinbarungen sowie ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat zu erleichtern? Was sollte dabei mindestens geregelt werden?

- die in Betracht kommenden Straftatkategorien?

- das Mediationsverfahren in Strafsachen?

- die Stellung der Mediatoren einschließlich ihrer Unabhängigkeit gegenüber den Organen der Justiz?

Frage 16: Sollten auf Ebene der Europäischen Union Maßnahmen vorgesehen werden, um bei alternativen Verfahren und Sanktionen den Interessen der Opfer Rechnung zu tragen, und zwar auch derjenigen, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Straftat begangen wurde? Wenn ja, welche?

4.1.8. Vollstreckung der Sanktionen

Wie Anhang III zeigt, sind die Strafunterbrechung, der offene Vollzug und der Straferlass nur in wenigen Mitgliedstaaten bekannt. Da diese Rechtsfiguren keine besonderen Probleme aufwerfen, die über die mit der Anerkennung von Sanktionen, die nicht in allen Mitgliedstaaten bekannt sind oder deren Durchführung je nach Mitgliedstaat variiert (siehe Kapitel 4.2.), verbundenen Probleme hinausgehen, möchte die Kommission derzeit keine Diskussion über eine mögliche Harmonisierung dieser Rechtsfiguren einleiten. Dies gilt auch für die Amnestie und die Begnadigung, da die zuständigen Behörden bei der Anwendung dieser Möglichkeiten über einen sehr breiten Ermessensspielraum verfügen. Die einzige Rechtsfigur, zu der eine Diskussion nicht von vornherein ausgeschlossen scheint, ist die vorzeitige Entlassung, die es in allen Mitgliedstaaten gibt. Ihre Voraussetzungen und Durchführungsmodalitäten unterscheiden sich jedoch beträchtlich. Bei der Anwendung des Übereinkommens des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 [122] haben die Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Mindesthaftdauer (in Belgien ist bekanntlich eine vorzeitige Entlassung nach Verbüßung eines Drittels der Strafe möglich, in Spanien erst nach drei Vierteln [123]) Anwendungsprobleme hervorgerufen und sogar zur Ablehnung der Überstellung geführt, da diese zu einer milderen Strafe oder sogar einer unverzüglichen Freilassung hätte führen können. Eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Mindestdauer erscheint daher sinnvoll, um die Überstellung von Häftlingen zu erleichtern [124].

[122] Abrufbar unter http://conventions.coe.int/ .

[123] Art. 90 StGB.

[124] Vgl. 3.2.1.3 und 4.2.2.2.

In diesem Zusammenhang stellt sich die grundlegende Frage, ob auf Ebene der Europäischen Union gemeinsame Mindestvoraussetzungen festgelegt werden sollen, die insbesondere folgende Aspekte umfassen: a) Die Mindestdauer, die in Haft verbracht werden muss, damit eine vorzeitige Entlassung gewährt werden kann, b) die Kriterien für die Gewährung oder Ablehnung der vorzeitigen Entlassung, c) das Verfahren der Entlassung, d) die Aufsichtsmodalitäten und die Dauer der Bewährungszeit, e) die Sanktionen bei Verletzung der mit der vorzeitigen Entlassung verbundenen Auflagen und Weisungen, f) die Verfahrensgarantien der Verurteilten und g) die Interessen der Opfer.

Hinsichtlich der Interessen der Opfer stellt sich die Frage, wie man diese in der Phase der Strafvollstreckung berücksichtigen könnte und ob auf Ebene der Europäischen Union beispielsweise vorgesehen werden sollte, dass die vorzeitige Entlassung nur dann gewährt werden kann, wenn die Opfer entschädigt worden sind oder wenn der Verurteilte ernsthafte Anstrengungen dazu unternommen hat bzw. dass die vorzeitige Entlassung widerrufen werden kann, wenn diese Bedingung nicht eingehalten wurde.

Frage 17: Inwieweit sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Angleichung bestimmter Voraussetzungen und Anwendungskriterien für die vorzeitige Entlassung vorgesehen werden, damit die Anerkennung von Freiheitsstrafen und ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat erleichtert wird? Was sollte dabei mindestens geregelt werden?

- In Bezug auf lebenslange Freiheitsstrafen die Möglichkeit, dass sie regelmäßig im Hinblick auf eine vorzeitige Entlassung überprüft werden? -in Bezug auf zeitige Freiheitsstrafen eine Mindesthaftdauer, die beachtet werden muss, damit eine vorzeitige Entlassung gewährt werden kann? Wenn ja, wie lange sollte die Mindesthaftdauer sein? Könnte eine Angleichung dahingehend erwogen werden, dass für zeitige Freiheitsstrafen ausgenommen bei Rückfalltätern die vorzeitige Entlassung möglich sein sollte, wenn die Hälfte der Freiheitsstrafe verbüßt wurde bzw. bei Rückfalltätern nach zwei Dritteln der Haft?

- die Kriterien für die Gewährung oder Ablehnung der vorzeitigen Entlassung?

- das Verfahren der Entlassung? Sollten Verfahrensgrundsätze festgelegt werden?

- die Aufsichtsmodalitäten und die Dauer der Bewährungszeit?

- die Sanktionen bei Verletzung der mit der vorzeitigen Entlassung verbundenen Auflagen und Weisungen?

- die Verfahrensgarantien der Verurteilten?

- die Interessen der Opfer? Sollte auf Ebene der Europäischen Union beispielsweise festgelegt werden, dass die vorzeitige Entlassung nur dann gewährt werden darf, wenn die Opfer entschädigt worden sind oder wenn der Verurteilte ernsthafte Anstrengungen dazu unternommen hat bzw. dass die vorzeitige Entlassung widerrufen werden kann, wenn diese Bedingung nicht erfuellt wurde?

4.2. Anerkennung und Vollstreckung freiheitsentziehender und alternativer Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat

Dieses Kapitel betrifft ausschließlich die gegenseitige Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen (einschließlich der Modalitäten ihrer Vollstreckung) und ihrer Alternativen. Zur Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen sowie von Einziehungsentscheidungen liegen Initiativen vor, die im Rat bereits erörtert werden. Mit Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten wird sich die Kommission in einer eigenen Mitteilung befassen. Im oben genannten Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen wird unter 3.1.1. hinsichtlich der freiheitsentziehenden Sanktionen Folgendes festgelegt:

,Ziel: Es muss eine Beurteilung der internationalen Übereinkünfte betreffend rechtskräftige Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe vorgenommen und der Frage nachgegangen werden, ob anhand dieser Übereinkünfte eine umfassende Regelung für die gegenseitige Anerkennung gewährleistet werden kann.

Maßnahme Nr. 14: Beurteilung, inwieweit anhand moderner Mechanismen eine umfassende Regelung für die gegenseitige Anerkennung von rechtskräftigen Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe erwogen werden kann."

Die Maßnahme Nr. 13 [125] dieses Maßnahmenprogramms wurde durch den Rahmenbeschluss ,über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten" teilweise durchgeführt. Es war darin jedoch auch die Annahme eines Rechtsakts vorgesehen, der einen neuen Grundsatz ,Auslieferung oder Vollstreckung der Verurteilung" einführen würde. Dieser Grundsatz wurde durch Artikel 4 Nr. 6 und Artikel 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten umgesetzt.

[125] "Ziel: Wenn sich herausstellt, dass es für einen Mitgliedstaat nicht möglich ist, vom Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsangehörigen abzusehen, Gewährleistung der Vollstreckung der Verurteilung, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats. Maßnahme Nr. 13: Annahme eines Zusatzinstruments zu dem Auslieferungsübereinkommen der Europäischen Union vom 27. September 1996 sowie zu dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957. In Artikel 3 Buchstabe b) des am 13. November 1991 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen war allein eine ,fakultative" Übertragung der Vollstreckung vorgesehen. Das auszuarbeitende Instrument könnte für den hier angenommenen Fall einen neuen Grundsatz ,Auslieferung oder Vollstreckung der Verurteilung" einführen".

In der Maßnahme Nr. 13 wird darüber hinaus festgelegt, dass die ,konkreten Modalitäten für die Vollstreckung der Verurteilung, wie die Weiterführung der Vollstreckung oder die Umwandlung der Verurteilung" in diesem neuen Rechtsakt vorzusehen sind. Hinsichtlich der Überstellung verurteilter Personen, die eine besondere Form der Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen darstellt, da die Vollstreckung eines (im Urteilsstaat erlassenen) Urteils die Anerkennung dieses Urteils voraussetzt, ist im genannten Maßnahmenprogramm in Kapitel ,3.1.3. Überstellung verurteilter Personen mit dem Ziel, ihre soziale Wiedereingliederung zu erleichtern" Folgendes festgelegt:

,Ziel: Schaffung der Möglichkeit, dass in einem Mitgliedstaat wohnhafte Personen ihre Strafe im Wohnsitzstaat abbüßen können. In dieser Hinsicht müsste Artikel 2 [126] des Übereinkommens über die Anwendung des Übereinkommens des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Mai 1987 [127] beachtet werden.

[126] Für die Zwecke der Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a) des Übereinkommens über die Überstellung stellt jeder Mitgliedstaat die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten, deren Überstellung angezeigt und angesichts des ständigen Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates als in ihrem Interesse erscheint, seinen eigenen Staatsangehörigen gleich.

[127] Dieses Übereinkommen wurde von 11 Mitgliedstaaten unterzeichnet und nur von 4 Mitgliedstaaten ratifiziert.

Maßnahme Nr. 16: Annahme eines Zusatzinstruments zum Europäischen Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen, mit dem der auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten beschränkte Geltungsbereich des Übereinkommens auf die in diesen Staaten wohnhaften Personen ausgedehnt wird."

Aufgrund der wachsenden Mobilität der Unionsbürger tritt immer häufiger der Fall ein, dass der Täter in einem anderen Mitgliedstaat als jenem verurteilt wird, in dem er seinen ständigen Wohnsitz hat. Wie bereits unter 9.1. der genannten Mitteilung vom 26. Juli 2000 betont wurde, müssen im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Freiheitsstrafen zwei unterschiedliche Interessen miteinander in Einklang gebracht werden: das Interesse des Mitgliedstaats, in dem das Urteil ergangen ist, auf Vollstreckung, und das Interesse des Verurteilten auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft. In der Mitteilung wird daraus geschlossen, ,dass Freiheitsstrafen grundsätzlich so nahe wie möglich am sozialen Umfeld vollstreckt werden sollten, in das der Täter wiedereingegliedert werden soll. In den meisten Fällen wird es sich dabei um den Mitgliedstaat handeln, in dem der Täter seinen Wohnsitz hat".

Für den Verurteilten wiegt eine Strafe schwerer, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat als jenem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er seinen Wohnsitz hat, zu verbüßen ist. Aufgrund der Unterschiede in Kultur, Sprache, Lebensgewohnheiten, Religion und sozialen Bedingungen ist die Situation ausländischer Häftlinge viel schwieriger als jene von Verurteilten des betreffenden Staates. Allein die sprachlichen Probleme können bereits die Ausübung ihrer Rechte oder die Kenntnis über ihre Rechte wesentlich beeinträchtigen und das tägliche Leben der Häftlinge deutlich erschweren (z.B. im Hinblick auf eine ärztliche Behandlung). Das Fehlen von Familie und Freunden führt zu einer größeren sozialen Isolierung des ausländischen Häftlings und oft auch zu seinem Ausschluss von Wiedereingliederungsprogrammen innerhalb und außerhalb der Haftanstalt.

Die Anerkennung einer Strafe und ihre Vollstreckung im Wohnsitzstaat liegt im Allgemeinen nicht nur im Interesse des Verurteilten, sondern auch des Urteils- und des Vollstreckungsstaats. Für den Urteilsstaat führt die Vollstreckung von Strafen, die Ausländern auferlegt wurden, zu beträchtlichen Zusatzkosten (um die genannten Probleme zu überwinden), die durch eine Übertragung der Vollstreckung vermieden werden können. Schließlich liegt auch die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft des Vollstreckungsstaats - des Wohnsitzstaats des Verurteilten - im Interesse dieses letzteren Staates.

Eine mögliche Regelung auf Ebene der Europäischen Union mit dem Ziel der gegenseitigen Anerkennung freiheitsentziehender Sanktionen einschließlich der Strafaussetzung, der bedingten Entlassung und alternativer Strafen durch die Mitgliedstaaten müsste folgende Aspekte umfassen:

4.2.1. Geltungsbereich einer möglichen Regelung auf Ebene der Europäischen Union

4.2.1.1. Persönlicher Geltungsbereich

Zuerst wäre es erforderlich, den persönlichen Geltungsbereich einer möglichen Regelung insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung eines Strafurteils, dessen Vollstreckung bereits eingeleitet wurde (Übertragung der Vollstreckung), festzulegen: Für welche verurteilten Personen sollte die Regelung gelten? Die mit dem Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 gewonnene Erfahrung zeigt, dass eine Beschränkung der Überstellungsmöglichkeit auf Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats zu einer Diskriminierung jener Personen führen würde, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats haben. Daher müsste jene Lösung gewählt werden, die im Abkommen über die Anwendung des Übereinkommens des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Mai 1987 gefunden wurde, dass jeder Mitgliedstaat die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des ständigen Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates seinen eigenen Staatsangehörigen gleichstellt.

Wie in der Mitteilung vom 26. Juli 2000 an den Rat und das Europäische Parlament über die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen [128] dargelegt wurde, sind die Strafrechtsbestimmungen über die Behandlung von Minderjährigen und geistig Behinderten in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Angesichts dieser Situation und des Fehlens einer eingehenden Analyse der Rechtslage in allen Mitgliedstaaten wäre es vielleicht besser, Entscheidungen, die diese Personengruppen betreffen, vom Anwendungsbereich der gegenseitigen Anerkennung zumindest vorläufig auszunehmen.

[128] KOM(2000)495 endg.

Frage 18: Welche verurteilten Personen sollten die Möglichkeit der Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat haben: Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats, Personen, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, verurteilte Personen, die sich im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befinden, in dem sie eine freiheitsentziehende Strafe verbüßen oder verbüßen müssen? Müssen besondere Bedingungen berücksichtigt werden, damit Minderjährige und geistig Behinderte ebenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können?

4.2.1.2. Inhaltlicher Geltungsbereich

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Entscheidungen Gegenstand einer gegenseitigen Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten sein sollten. Nach Auffassung der Kommission ist für die Schaffung eines wirklichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die Anerkennung aller strafrechtlichen Sanktionen einschließlich der alternativen Strafen und der aus einem Mediations- oder Vergleichsverfahren folgenden Maßnahmen und Regelungen erforderlich. Bei alternativen Strafen scheint es inakzeptabel, dass in der Praxis nur in dem betreffenden Mitgliedstaat wohnhafte Personen davon profitieren können und Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, ausgenommen sind.

In Bezug auf Freiheitsstrafen, bei denen eine Strafaussetzung (verbunden mit Überwachungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen) gewährt wird, besteht deutlich der Bedarf (vgl. 3.2.2.1 und 3.2.2.2), auch diese Strafen in eine Anerkennungsregelung einzubeziehen, damit vermieden wird, dass Personen, die in einem anderen Staat als jenem, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Straftaten begehen, durch die Nichtgewährung der Strafaussetzung strenger bestraft werden als wenn sie diese Straftaten in ihrem Aufenthaltsstaat begangen hätten, und damit diskriminiert werden.

Maßnahmen und Regelungen, die aus einem Mediations- oder Vergleichsverfahren hervorgehen und die den Täter verpflichten, den Schaden wieder gutzumachen oder dem Opfer Schadenersatz zu zahlen, führen zu zivilrechtlichen Ansprüchen, so dass im Hinblick auf die Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten die im Grünbuch vom 19. April 2002 über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht [129] dargelegten Regelungen zur Anwendung kommen. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob in Mediations- oder Vergleichsverfahren getroffene Vereinbarungen vollstreckbar sind und ob dies EU-weit geregelt werden sollte.

[129] KOM(2002)196 endg., 3.2.2.3.

In Bezug auf die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten und zur Vorbereitung der Umsetzung der Maßnahmen Nrn. 20 und 22 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung (siehe 2.2.4.) wird die Kommission im zweiten Quartal des Jahres 2004 eine im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission [130] vorgesehene Mitteilung ohne Rechtsetzungscharakter vorlegen, in der der Handlungsbedarf in diesem Bereich aufgezeigt wird und gegebenenfalls Lösungen auf Ebene der Europäischen Union vorgeschlagen werden. Bei diesen Überlegungen gilt es Folgendes zu berücksichtigen: Wie die Kommission bereits in ihrer Mitteilung vom 26. Juli 2000 über die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen [131] festgestellt hat, wäre die Wirkung einer Entscheidung über die Aberkennung von Rechten weitgehend aufgehoben, wenn eine Person, gegen die eine solche Entscheidung ergangen ist - und die somit eine bestimmte Tätigkeit oder einen bestimmten Beruf im Urteilsstaat nicht mehr ausüben kann - nur eine Grenze zu überschreiten hätte, um diese Sanktion zu umgehen, und sodann in einem benachbarten Mitgliedstaat die untersagte Tätigkeit ausüben könnte. Der Rat berät derzeit über Entwürfe für Rahmenbeschlüsse über die Anerkennung von Geldbußen und Geldstrafen und von Einziehungsentscheidungen (siehe 2.2.2. und 2.2.3.).

[130] KOM(2002)590 endg., Dok. 2003/JAI/142.

[131] KOM(2000)495 endg.

Frage 19: Ist es erforderlich, den in Mediations- oder Vergleichsverfahren getroffenen Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten eine größere Wirkung zu verleihen? Wie kann das Problem der Anerkennung und Vollstreckung solcher Vereinbarungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union am besten gelöst werden? Sollten besondere Vorschriften erlassen werden, um diese Vereinbarungen vollstreckbar zu machen? Wenn ja, vorbehaltlich welcher Garantien?

4.2.2. Voraussetzungen für die Anerkennung

4.2.2.1. Einleitung des Anerkennungsverfahrens

Im Unterschied zu den Übereinkommen des Europarats vom 30. November 1964 [132], vom 28. Mai 1970 [133] und vom 21. März 1983 [134] ist im Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften vom 13. November 1991 [135] vorgesehen, dass die beiden beteiligten Staaten, der Urteilsstaat und der Vollstreckungsstaat, die Vollstreckung des Urteils im jeweils anderen Mitgliedstaat beantragen können. Diese Lösung erscheint nicht nur aus Gründen der Flexibilität geeigneter, sondern auch, weil der Vollstreckungsstaat ein gewisses Interesse daran hat oder haben sollte, dass die Vollstreckung eines Urteils, das einen seiner Staatsangehörigen oder eine Person betrifft, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat, auf seinem Hoheitsgebiet erfolgt.

[132] Ubereinkommen des Europarats über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen vom 30. November 1964.

[133] Übereinkommen des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970.

[134] Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983.

[135] Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen vom 13. November 1991.

Frage 20: Sollte das Ersuchen um Übertragung der Vollstreckung nur vom Urteilsstaat oder auch vom Vollstreckungsstaat gestellt werden können?

4.2.2.2. Ablehnungsgründe

In Bezug auf eine mögliche Ablehnung der Anerkennung einer Entscheidung, mit der eine strafrechtliche Sanktion verhängt wurde, durch den Vollstreckungsstaat stellt sich die Frage, welche Ablehnungsgründe akzeptiert werden können. Angesichts des angestrebten freien Verkehrs von Entscheidungen in Strafsachen sollten die Ablehnungsgründe in jedem Fall stark eingeschränkt sein. Im Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [136] werden beispielsweise obligatorische und fakultative Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung aufgeführt. Es sollte geprüft werden, ob alle diese Gründe mutatis mutandis im Rahmen der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere alternativer Sanktionen unter Berücksichtigung der Tatsache angewandt werden können, dass die Anerkennung und die Vollstreckung in erster Linie einen Vorteil für die betreffende Person darstellen, oder ob einzelne Gründe angepasst werden müssten bzw. andere Gründe hinzuzufügen wären, und wenn ja, welche und aus welchen Gründen.

[136] ABl. L 190 vom 18.7.2003, S. 1.

Der erste zwingende Ablehnungsgrund betrifft den Fall, dass die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war (Art. 3 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002).

Der zweite zwingende Ablehnungsgrund betrifft den Fall, dass der Vollstreckungsstaat feststellt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann (Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses, Grundsatz ,ne bis in idem" bzw. Verbot der Doppelbestrafung).

Wie der Gerichtshof im Urteil vom 11. Februar 2003 [137] (verbundene Rechtssachen Gözütok und Brügge) bestätigt hat, gilt das in Artikel 54 des am 19. Juni 1990 unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch für zum Strafklageverbrauch führende Verfahren wie die Ausgangsverfahren, in denen die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfuellt und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet hat (,Vergleichsverfahren").

[137] Urteil des EuGH vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge, verbundene Rechtssachen 187/01 und 385/01, Slg. 2003, I-1345.

Artikel 4 Nummer 3 des genannten Rahmenbeschlusses betrifft denselben Fall: Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnen, wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats beschlossen haben, wegen der Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen. Dabei handelt es sich um einen fakultativen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung, der jedoch in Folge des oben angeführten Urteils zu einem zwingenden Ablehnungsgrund werden müsste.

Der Gerichtshof hat nun klargestellt, dass das Verbot der Doppelbestrafung auch für Vergleichsverfahren gilt; offen bleibt die Frage, ob es nicht auch auf Mediationsverfahren, die im Unterschied zum Vergleichsverfahren eine aktive Beteiligung des Opfers an der vereinbarten Lösung ermöglichen, Anwendung finden sollte und ob eine entsprechende Regelung auf europäischer Ebene vorgesehen werden sollte.

Das Verbot der Doppelbestrafung ist Gegenstand einer Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des ,Ne-bis-in-idem"-Prinzips [138], die derzeit im Rat behandelt wird. In dieser Initiative sind unter anderem Vorschriften über die Rechtshängigkeit von Strafverfahren (Art. 1 Buchst. d) und Art. 3) sowie Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats enthalten.Gemäß dem dritten zwingenden Grund für die Ablehnung der Vollstreckung nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 (Art. 3 Nr. 3) lehnt die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Vollstreckung ab, wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

[138] ABl. C 100 vom 26.4.2003, S. 24.

Diese obligatorischen Ablehnungsgründe müssten im Hinblick auf die Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen unabhängig davon gelten, ob die Straftat in den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls fällt oder nicht.

Alle anderen, in Artikel 4 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 aufgeführten Ablehnungsgründe sind fakultativ. Die Vollstreckung kann abgelehnt werden:

-bei Fehlen der doppelten Strafbarkeit bei anderen Straftaten als jenen nach Artikel 2;

-wenn der Verdächtige im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung strafrechtlich verfolgt wird;

-wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist;

-wenn die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist;

-wenn der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken;

-wenn der Urteilsmitgliedstaat seine extraterritoriale Zuständigkeit (unter bestimmten Bedingungen) ausgeübt hat.

Der im zweiten Gedankenstrich dieser Aufzählung genannte Grund (,Strafverfolgung im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung") wird Gegenstand eines künftigen Rechtsakts über die Rechtshängigkeit sein. Der im fünften Gedankenstrich genannte Grund ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Angesichts des Hauptziels, die Wiedereingliederung zu erleichtern und somit nur jene Gründe beizubehalten, die zur Erreichung dieses Ziels beitragen, sollten nur die im dritten und vierten Gedankenstrich aufgeführten Gründe (Verjährung und ne bis in idem) beibehalten werden.

In Bezug auf andere mögliche Gründe kämen folgende Situationen in Frage:

Wie in unter 3.2.1.3.c dargelegt wurde, können in einigen Mitgliedstaaten (z.B. im Vereinigten Königreich und in Frankreich) Geldstrafen oder Geldbußen zugleich mit Freiheitsstrafen verhängt werden. In solchen Fällen blockiert der Urteilsstaat oft Überstellungsanträge des Verurteilten so lange, bis dieser die Geldstrafe oder Geldbuße bezahlt hat. Mit Blick auf die geplante Annahme des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen [139] stellt sich die Frage, ob der Urteilsstaat das Recht haben sollte, eine Übertragung der Vollstreckung abzulehnen, bis der Verurteilte die Geldstrafe oder Geldbuße bezahlt hat.

[139] ABl. C 278 vom 2.10.2001, S. 1.

Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die vorzeitige Entlassung (siehe Anhang III, Nr. 3) kann es vorkommen, dass ein Verurteilter unmittelbar nach seiner Überstellung in den ersuchten Staat freigelassen werden müsste: Wenn eine Person, die in einem Mitgliedstaat A zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nach der Verbüßung von vier Jahren die Übertragung der Vollstreckung auf den Mitgliedstaat B beantragt, könnte sie unmittelbar freigelassen werden, wenn nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats B eine vorzeitige Entlassung nach Verbüßung z.B. eines Drittels der Haft (im vorliegenden Fall drei Jahre) möglich ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung für den Urteilsstaat A einen berechtigten Grund für die Ablehnung der Überstellung darstellen könnte.

Zur Lösung dieses Problems könnte auf Ebene der Europäischen Union eine Mindestfrist festgelegt werden, während der ein Verurteilter seine Strafe im Urteilsstaat weiter verbüßt, um zu vermeiden, dass er in Folge einer Überstellung in den Vollstreckungsstaat sofort freigelassen wird oder eine deutlich mildere Strafe verbüßt als jene, die ihm im Urteilsstaat auferlegt wurde. Wie lange sollte diese Frist sein?

Frage 21: Welche Gründe kann der Vollstreckungsstaat rechtmäßig geltend machen, um die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrechtlichen Sanktion, die in einem anderen Mitgliedstaat angeordnet wurde, auf seinem Hoheitsgebiet abzulehnen?

Frage 22: Wenn nach den nationalen Rechtsvorschriften Geldstrafen oder Geldbußen zugleich mit Freiheitsstrafen verhängt werden können, sollte dann - unter Berücksichtigung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen [140] - der Urteilsstaat nach wie vor das Recht haben, eine Übertragung der Vollstreckung abzulehnen, bis der Verurteilte die Geldstrafe oder Geldbuße bezahlt hat?

[140] ABl. C 278 vom 2.10.2001, S. 1.

Frage 23: Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die vorzeitige Entlassung könnte es vorkommen, dass ein Verurteilter unmittelbar nach seiner Überstellung in den ersuchten Staat freigelassen werden müsste. Könnte diese Möglichkeit für die betreffenden Staaten einen berechtigten Grund für die Ablehnung der Überstellung darstellen?

Frage 24: Sollte eine Mindestfrist für die Verbüßung der Strafe im Urteilsstaat festgelegt werden, um eine Freilassung unmittelbar nach Überstellung in den Vollstreckungsstaat oder eine deutliche Verringerung der Strafe, die schließlich vollstreckt wird, zu verhindern? Wie lange sollte diese Frist sein? Würde die Einführung einer Mindestfrist die Flexibilität beeinträchtigen und Lösungen im Einzelfall verhindern? Wäre es besser, entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigenausschusses über die Funktionsweise der europäischen Übereinkommen im Bereich des Strafrechts (siehe Rdnr. 3.2.1.5.d) einen Zeitraum von bestimmter Dauer, der mit den Zielen des Urteils im Einklang steht, festzulegen?

4.2.2.3. Die Befugnis des Vollstreckungsstaats zur Anpassung der im Urteilsstaat verhängten (freiheitsentziehenden oder alternativen) Sanktion

Die Anerkennung und Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Sanktion kann Probleme bereiten, wenn diese Sanktion aufgrund ihrer Art oder Dauer mit den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar ist. Das Problem der Unvereinbarkeit der betreffenden Strafe mit den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats stellt sich insbesondere bei alternativen Strafen. Die Übereinkommen des Europarats vom 30. November 1964 und vom 21. März 1983 sowie das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften vom 13. November 1991 lassen dem Vollstreckungsstaat die Wahl [141], die anzuerkennende Strafe an die in der eigenen Rechtsordnung für gleichartige Straftaten vorgesehene Strafe anzupassen (Übereinkommen von 1964, 1983 und 1991), die im Urteilsstaat verhängte Sanktion durch eine nach seinen eigenen Rechtsvorschriften für dieselbe Tat vorgesehene Sanktion zu ersetzen (Übereinkommen von 1964 und 1970), oder die im Urteilsstaat verhängte Sanktion in eine in diesem Staat für dieselbe Tat vorgesehene Sanktion umzuwandeln (Übereinkommen von 1983 und 1991). In der Praxis führen diese drei Möglichkeiten zu demselben Ergebnis: Der Vollstreckungsstaat kann die anzuerkennende Strafe ändern, indem er sie an eine Strafe anpasst, die in seinen Rechtsvorschriften für gleichartige Straftaten vorgesehen ist. Diese Lösung scheint jedoch nicht mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Einklang zu stehen. In allen Übereinkommen ist festgelegt, dass die im Vollstreckungsstaat verhängte Sanktion nicht strenger als die im Urteilsstaat verhängte Sanktion sein darf; dass die im Vollsteckungsstaat verhängte Sanktion nach ihrer Art und Dauer so weit wie möglich der im Urteilsstaat verhängten Sanktion entsprechen muss und dass der Vollstreckungsstaat nicht an die eventuell in seinen eigenen Rechtsvorschriften für die begangene Straftat oder begangenen Straftaten vorgesehene Mindeststrafe gebunden ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine Regelung auf Ebene der Europäischen Union erforderlich ist - und wenn ja, welche - um den Mitgliedstaaten (Vollstreckungsstaaten) Orientierungshilfen bei der Suche nach einer gleichwertigen Sanktion zu geben.

[141] Im Übereinkommen vom 28. Mai 1970 ist nur die Möglichkeit der Ersetzung vorgesehen.

Bei alternativen Strafen oder Aufsichtsmodalitäten im Zusammenhang mit einer Strafaussetzung stellt sich, wenn die vom Urteilsstaat angeordneten Überwachungsmaßnahmen im Vollstreckungsstaat überhaupt nicht vorgesehen sind, die Frage, wie der Vollstreckungsstaat eine Maßnahme finden kann, die im Hinblick auf ihre Funktionen und Ziele der vom Urteilsstaat angeordneten Maßnahme am besten entspricht. Damit verhindert wird, dass der Verurteilte durch diese Umwandlung einen Nachteil erleidet, schlägt das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg in seiner von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie über die ,Anerkennung alternativer Sanktionen in der Europäischen Union" vom Dezember 2001 vor, dass der Vollstreckungsstaat einen ,funktionalen Vergleich" zwischen den (alternativen) Strafen oder Maßnahmen des Urteilsstaats und des Vollstreckungsstaats anstellt.

Dieser funktionale Vergleich sollte anhand einer Gliederung in ,funktionale Kategorien" und einer bestimmten Prüfungs- und Bewertungsmethode erfolgen, die nacheinander in folgenden drei Stufen abläuft:

Auf der ersten, höchsten Stufe (,verfahrensbezogene Stufe") soll zwischen innerhalb und außerhalb des Strafverfahrens angenommenen alternativen Sanktionen unterschieden werden, wobei Letztere nicht als Bestrafung angesehen werden und auf die Vermeidung eines Strafverfahrens abstellen. In diese Kategorie fallen die alternativen Sanktionen, die im Abschnitt über die Mediation aufgeführt sind. Auf der zweiten Stufe des funktionalen Vergleichs (,funktionale Stufe") soll entsprechend dem Vorschlag des Max-Planck-Instituts bei den im Rahmen des Strafverfahrens angenommenen alternativen Sanktionen zwischen förmlichen Strafen und Ersatzstrafen unterschieden werden. Auf der dritten Stufe (,materielle Stufe") konzentriert sich der Vergleich auf den Inhalt der alternativen Strafe: Bei den Ersatzstrafen ist zu unterscheiden, ob sie vor, bei oder nach Erlass des Urteils angenommen wurden. Die Kategorie der förmlichen Strafen teilt sich in zwei Untergruppen: Strafen, die auf eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit abzielen (z.B. Hausarrest mit oder ohne elektronische Überwachung) und alternative Strafen, die ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit in die Lebensweise des Verurteilten eingreifen. Die letzte Gruppe umfasst alle Arten von Strafaufschub in Verbindung mit Überwachungsmaßnahmen (einschließlich gemeinnützige Arbeiten), Ausbildungen und Behandlungen sowie Nebenfolgen der Strafe (wie das Verbot der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten oder des Lenkens von Fahrzeugen).

Ausgehend von der dargelegten Gliederung in ,funktionale Kategorien" und der vorgeschlagenen Methode eines ,funktionalen Vergleichs" würde die Aufgabe der Behörden des Vollstreckungsstaats darin bestehen, die von den Behörden des Urteilsstaats verhängte alternative Sanktion in eine möglichst gleichwertige alternative Sanktion umzuwandeln, ohne dabei ihre Funktion, ihren Sinn oder ihr Ziel zu verändern. Somit könnten die Behörden des Vollstreckungsstaats bei der Umwandlung alternativer Sanktionen des Urteilsstaats nur jene alternativen Sanktionen ihrer eigenen Rechtsordnung anwenden, die zu derselben ,funktionalen Kategorie" gehören. Nur wenn der Vollstreckungsstaat über keine alternative Sanktion derselben ,funktionalen Kategorie" verfügt, kann er auf eine andere ,funktionale Kategorie" derselben Stufe zurückgreifen. Wenn auf dieser Stufe keine alternative Sanktion vorhanden ist, könnte er eine alternative Sanktion einer höheren Stufe anwenden. Bei der Wahl der entsprechenden Sanktion sollte das Ziel der Wiedereingliederung des Verurteilten so weit wie möglich berücksichtigt und die für diesen Zweck geeignetste Sanktion gefunden werden.

Bei der oben vorgeschlagenen Vorgehensweise werden jedoch quantitative Kriterien zur Klassifizierung alternativer Strafen nach ihrer Strenge oder Schwere nicht berücksichtigt. Eine quantitative Klassifizierung nach dem Modell der ,Sentencing Guidelines" der Vereinigten Staaten setzt jedoch, wie das Max-Planck-Institut betont hat, eine bestimmte Einheitlichkeit der alternativen Strafen auf europäischer Ebene voraus, die derzeit nicht gegeben ist. Bis dahin liegt jeder quantitative Vergleich im Ermessen der Gerichte des Vollstreckungsstaats.

Frage 25: Sollte der Vollstreckungsstaat, wenn die im Urteilsstaat verhängte Strafe nach ihrer Art oder Dauer mit seinen Rechtsvorschriften unvereinbar ist, über die Möglichkeit verfügen, die im Urteilsstaat verhängte Strafe an eine Strafe anzupassen, die in seinen Rechtsvorschriften für eine gleichartige Straftat vorgesehen ist?

Frage 26: Sollten auf Ebene der Europäischen Union Regeln über die Anpassung (bzw. Umwandlung oder Ersetzung) einer Strafe vorgesehen werden oder sollte die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats hier Handlungsfreiheit haben?

Frage 27: Könnte der Vorschlag des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, nach einer bestimmten Analyse- und Bewertungsmethode einen funktionalen Vergleich der Strafen oder (alternativen) Maßnahmen des Urteils- und des Vollstreckungsstaats vorzunehmen, eine Lösung darstellen? Welche Nachteile hat diese Vorgehensweise? Wie könnten sie beseitigt werden?

4.2.2.4. Beteiligung des Verurteilten

Gemäß Artikel 39 des Übereinkommens des Europarats von 1970 gibt der Richter dem Verurteilten vor der Entscheidung über das Vollstreckungsersuchen Gelegenheit zur Stellungnahme. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Übertragung der Vollstreckung an einen Antrag oder an die Zustimmung des Verurteilten geknüpft werden sollte.

Frage 28: Sollte für die Übertragung der Vollstreckung eines Strafurteils der Antrag, die Zustimmung oder lediglich die Anhörung des Verurteilten erforderlich sein? Fällt die Antwort auf diese Frage anders aus, wenn der Verurteilte bereits einen Teil seiner Freiheitsstrafe im Urteilsstaat verbüßt hat?

4.2.2.5. Beteiligung des Opfers

Im Hinblick auf die Beteiligung des Opfers an einem Verfahren der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen einschließlich der Überstellung von Häftlingen stellt sich die Frage, ob auf Ebene der Europäischen Union gegebenenfalls als Bedingung für die Anerkennung und die Übertragung der Vollstreckung die Unterrichtung (über das Vorliegen eines Antrags auf Anerkennung und Überstellung sowie über den Ausgang des Verfahrens), die Anhörung oder sogar die Zustimmung des Opfers vorgesehen werden sollte (siehe Artikel 13 Abs. 2 Buchst. d) des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren [142]).

[142] ABl. L 82 vom 22. März 2001, S. 1.

Frage 29: Wie können die Interessen der Opfer bei der Übertragung der Strafvollstreckung berücksichtigt werden? Sollte die Unterrichtung (über das Vorliegen eines Anerkennungs- und Überstellungsersuchens sowie über den Ausgang des Verfahrens), die Anhörung oder sogar die Zustimmung des Opfers gegebenenfalls als Bedingung für die Übertragung der Vollstreckung vorgesehen werden?

4.2.3. Verfahrensfragen und praktische Modalitäten für die Durchführung der Anerkennung von Strafurteilen und der Überstellung von Häftlingen

4.2.3.1. Fristen

Die Anwendung des Übereinkommens des Europarats vom 21. März 1983 ist relativ bürokratisch, langsam und schwerfällig. [143] In den meisten Fällen dauert die Bearbeitung von Überstellungsersuchen (mit durchschnittlich zwischen einem und eineinhalb Jahren) deutlich länger als die implizit in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Übereinkommens festgelegte Frist von sechs Monaten. Dafür bestehen mehrere Gründe: Die vielen Verwaltungsdokumente, die die beiden beteiligten Staaten austauschen müssen; die Tatsache, dass bestimmte Staaten über die Erfordernisse des Übereinkommens hinausgehende zusätzliche Unterlagen verlangen; und die Tatsache, dass die - insbesondere direkt vom Häftling beantragten - Überstellungsersuchen nicht mit der gebotenen Sorgfalt geprüft werden.

[143] J. C. Froment, ,Les avatars de la Convention sur le transfèrement des détenus en Europe", in: Panorama européen de la prison, Paris 2002, S. 133.

Als erstes stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob auf Ebene der Europäischen Union eine Frist für die Bearbeitung von Anträgen auf Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere für die Bearbeitung von Ersuchen um Überstellung von Häftlingen festgelegt werden sollte. In Bezug auf die Überstellung von Häftlingen ist diese Frage eng mit der Frage verbunden, ob auf Ebene der Europäischen Union eine Mindestfrist von x Monaten für den Strafrest verlangt werden soll, unter der ein Häftling nicht um seine Überstellung ersuchen kann (insbesondere aufgrund der Bearbeitungsdauer des Falles). Darüber hinaus stellen die internen Strukturen und Verfahren, die in jedem Mitgliedstaat unterschiedlich sind, für die zuständigen Dienste Hindernisse bei der Bearbeitung von Überstellungsersuchen dar. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats schlug dem Ministerkomitee daher vor, eine Frist zur Beantwortung von Informationsersuchen festzulegen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats empfiehlt ferner, Informationsersuchen der Staaten zu vereinfachen und zu harmonisieren sowie Fortbildungsseminare (über die jeweiligen Überstellungsverfahren) abzuhalten, um Informationen auszutauschen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Verfahren und zur Erhöhung ihrer Transparenz zu prüfen.

4.2.3.2. Erstattung der Kosten des Vollstreckungsstaats

Eine weitere Frage, die in den bestehenden Übereinkommen nicht behandelt wird, sich jedoch bei der Übertragung der Vollstreckung stellt, ist der Ersatz der Haftkosten. Die Kommission geht in ihrer Mitteilung vom 26. Juli 2000 (Ziff. 9.1) von dem Grundsatz aus, ,dass derjenige, der ein Interesse daran hat, dass eine bestimmte Maßnahme ergriffen wird, auch die Kosten dafür tragen sollte. Wird in einem Mitgliedstaat ein Urteil erlassen, mit dem jemandem eine Freiheitsstrafe auferlegt wird, so wird das Strafrecht dieses Mitgliedstaats umgesetzt. Daher ist anzunehmen, dass diese Maßnahme im Interesse des Mitgliedstaats liegt. [...] Daher könnte die Grundregel sein, dass der Mitgliedstaat, in dem das Urteil ergangen ist, die Kosten der Haft trägt." Andererseits dient die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft des Vollstreckungsstaats - jener Mitgliedstaat, in dem der Verurteilte seinen ständigen Aufenthalt hat - auch den Interessen dieses Staates. Zudem wird langfristig jeder Vollstreckungsstaat zum Urteilsstaat und umgekehrt. Aus diesen Gründen und im Hinblick auf eine einfache Verwaltungspraxis sollte keine Kostenerstattung vorgesehen werden. Diese Lösung wurde auch in Artikel 17 der Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen in der Europäischen Union [144] gewählt.

[144] ABl. C 184 vom 2.8.2002, S. 8; Art. 17: ,Unbeschadet des Artikels 14 über die Teilung von Vermögenswerten verzichten die Mitgliedstaaten darauf, voneinander die Erstattung der aus der Anwendung dieses Rahmenbeschlusses entstehenden Kosten zu fordern".

Frage 30: Sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Frist für die Entscheidung über die Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere für die Bearbeitung von Ersuchen um Überstellung von Häftlingen festgelegt werden? Wenn ja, wie lange sollte diese Frist sein?

Frage 31: Sollte angesichts des Verwaltungsaufwands für die Bearbeitung der Ersuchen von Häftlingen um Überstellung auf Ebene der Europäischen Union vorgesehen werden, dass nur jene Häftlinge, die zu Freiheitsstrafen von einer bestimmten Mindestdauer verurteilt wurden oder die noch eine Freiheitsstrafe von einer bestimmten Mindestdauer zu verbüßen haben, eine Überstellung beantragen können? Wenn ja, welche Dauer wäre angemessen?

Frage 32: Sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Frist für die Beantwortung von Informationsersuchen, die im Rahmen der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere der Überstellung von Häftlingen erforderlich sind, festgelegt werden?

Frage 33: Welche einfachen und effizienten Strukturen sollten angesichts der komplexen und unterschiedlichen Justiz- und Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten für die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und die Überstellung von Häftlingen geschaffen werden?

Frage 34: Sollte auf Ebene der Europäischen Union ein einheitliches Formular zur Erleichterung der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und der Überstellung von Häftlingen eingeführt werden?

Frage 35: Sollte der Vollstreckungsstaat die Erstattung der Kosten für die Vollstreckung der von ihm anerkannten Strafen verlangen können?

Frage 36: Sollte ein Netz an Kontaktstellen eingerichtet werden, um die praktische Anwendung eines möglichen Rechtsakts der Europäischen Union über die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und die Überstellung von Häftlingen zu erleichtern oder sogar zu deren Bewertung beizutragen?

4.2.4. Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Urteils- und dem Vollstreckungsstaat

Die genannten Übereinkommen des Europarats sowie mehrere Rechtsakte der Europäischen Union im Bereich der Anerkennung [145] sehen als Grundregel vor, dass sich die Vollstreckung nach dem Recht des ersuchten Staates (des Vollstreckungsstaats) richtet. In diesem Zusammenhang wird auf Ziffer 9.1 der bereits genannten Mitteilung der Kommission (26.07.2000) über die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen verwiesen, die wie folgt lautet: ,Hier sollte auf beiden Seiten gegenseitiges Vertrauen bestehen: Der vollziehende Mitgliedstaat vertraut dem entscheidenden Mitgliedstaat, dass seine Entscheidung korrekt ist, und der entscheidende Mitgliedstaat vertraut dem vollziehenden Mitgliedstaat, dass er den Vollzug ordnungsgemäß durchführt. Demnach sollten Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Haftvollzug, die sich am Verhalten des Häftlings orientieren, jenem Mitgliedstaat vorbehalten sein, der den Haftvollzug durchführt. Für diese Lösung sprechen auch praktische Gründe: Die Behörden dieses Mitgliedstaats stehen in direktem Kontakt zum Häftling und können sein Verhalten daher am besten beurteilen." Dies gilt umso mehr, wenn die Möglichkeit besteht, dass die verurteilte Person die Strafe in ihrem Aufenthaltsstaat verbüßt.

[145] Zum Beispiel Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 (Europäischer Haftbefehl).

Da der Verurteilte voraussichtlich nach seiner Entlassung in dem Staat leben will, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, d.h. im Vollstreckungsstaat, muss er auf die Eingliederung in die Gesellschaft dieses Staates vorbereitet werden. Dies spricht einmal mehr dafür, dass der Vollstreckungsstaat für diesen Aspekt zuständig ist. Es darf jedoch nicht ausgeschlossen werden, die Behörden des Urteilsstaats anzuhören oder zumindest zu unterrichten, bevor eine wichtige Maßnahme wie etwa die vorzeitige Entlassung getroffen wird. Eine Alternative wäre, dass der Mitgliedstaat, der die Entscheidung trifft, zum Zeitpunkt der Überstellung Grenzen oder Bedingungen (z.B. zum Schutz oder zur Unterrichtung des Opfers) auferlegt.

Schließlich stellt sich in Bezug auf freiheitsentziehende Sanktionen, die bedingt verhängt oder bedingt aufgeschoben wurden, sowie bei alternativen Sanktionen die Frage, welcher Staat (Urteilsstaat oder Vollstreckungsstaat) für einen Widerruf zuständig ist, wenn der Verurteilte die ihm auferlegten Bedingungen nicht erfuellt hat.

Gemäß dem Übereinkommen von 1970 hat der ersuchende Staat allein das Recht, über jeden Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden, der sich gegen die Verurteilung richtet, aber jeder der beiden Staaten kann das Amnestie- oder Gnadenrecht ausüben.

Frage 37: Besteht bei der Anerkennung einer freiheitsentziehenden oder einer alternativen Sanktion Grund dafür, von der allgemeinen Regel abzuweichen, nach der sich die Vollstreckung vollständig nach dem Recht des Vollstreckungsstaats richtet?

Frage 38: Sollte der Urteilsstaat, wenn die Überwachung der Bedingungen für eine Strafaussetzung vom Vollstreckungsstaat vorgenommen wird, die Möglichkeit haben, sich zu vergewissern, dass der Verurteilte die Bedingungen für die Strafaussetzung einhält? Welches Verfahren sollte dazu angewandt werden?

Frage 39: Welcher der beiden Staaten (Urteilsstaat oder Vollstreckungsstaat) sollte das Amnestie- oder Gnadenrecht ausüben können?

ANHANG I

Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten betreffend die im Urteil angeordneten Modalitäten für die Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen

1. Strafaussetzung

Die Strafaussetzung gilt traditionell als Maßnahme, die einer erneuten Straffälligkeit vorbeugen soll. Wie die Erfahrung zeigt, kann ein Freiheitsentzug vor allem bei kurzen Haftstrafen mehr schaden als nutzen. Bei der Strafaussetzung wird der Verurteilte dazu angehalten, sich gut zu führen, da andernfalls die Strafaussetzung aufgehoben und die Strafe vollstreckt wird.

Die Strafaussetzung wird unter Berücksichtigung der beträchtlichen Unterschiede im Strafrecht der Mitgliedstaaten in Bezug auf die einschlägigen Vorschriften und Voraussetzungen im Folgenden definiert als vorläufige Aussetzung der Strafvollstreckung. Der Eintritt der Strafwirkungen kann auf diese Weise somit ausgesetzt werden.

Was die Voraussetzungen anbelangt, so kann für schwere Delikte generell keine Strafaussetzung gewährt werden. Allerdings werden in den einzelstaatlichen Strafrechtssystemen unterschiedliche Anforderungen an das Strafmaß gestellt: In Deutschland [146] und in den Niederlanden wird eine Strafaussetzung bei einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr gewährt, in Griechenland, im Vereinigten Königreich und in Spanien bei einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und in Belgien und Frankreich bei einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit einer Strafaussetzung liegt generell im Ermessen des Richters. In einigen Mitgliedstaaten (u. a. Italien und Belgien) unterliegt die Strafaussetzung der Aufsicht der Justizverwaltung.

[146] Nach 56 Abs. 2 StGB kann in Ausnahmefällen auch eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.

Die Strafaussetzung kann mit einer Bewährungsfrist verbunden werden, während der die Strafe nicht vollstreckt werden darf. In dieser Zeit wird der Verurteilte im Allgemeinen einer Bewährungsaufsicht und/oder einem Bewährungshelfer unterstellt. Daraus können sehr unterschiedliche Pflichten erwachsen: Wiedergutmachung des Schadens, Meidung bestimmter Personen oder Orte, Beachtung von Meldepflichten, Teilnahme an einer ärztlichen Behandlung oder Therapie, Teilnahme an einer Fortbildung oder Ableistung einer gemeinnützigen Arbeit.

Die Bewährungszeit kann bei schwereren Delikten zwischen einem und fünf Jahren dauern, bei minder schweren zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Ausgesetzt werden kann auch eine Geldstrafe oder Geldbuße, eine Geldstrafe in Form eines Tagessatzes oder eine alternative Strafe (z. B. in Frankreich und in den Niederlanden).

Hat sich der Verurteilte während der Bewährungszeit gut geführt, gilt die Verurteilung nach Ablauf der Bewährungszeit als nicht erfolgt. Kommt der Verurteilte hingegen den Weisungen und Auflagen nicht nach oder begeht er eine weitere Straftat, wird die Bewährung normalerweise widerrufen [147].

[147] Nach britischem Recht (Art. 119 (1) Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act) ist ein Widerruf der Bewährung nur bei einer innerhalb der Bewährungszeit erfolgten Verurteilung zu einer Haftstrafe möglich.

Die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten haben in der Praxis zur Folge, dass manche Richter zögern, eine Strafe zur Bewährung auszusetzen, wenn der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat. Eine gewisse Angleichung der Rechtsvorschriften, die die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung und die Bewährungsaufsicht regeln, dürfte daher die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern [148].

[148] Siehe Ziff. 3.2.2.

2. Aussetzung/Aufschub der Strafverkündung

In wenigen Mitgliedstaaten (u. a. in Belgien und Frankreich) besteht die Möglichkeit, die Verkündung der Strafe aufzuschieben und den Angeklagten in der Zwischenzeit auf Bewährung freizulassen.

In Belgien erlaubt das Gesetz vom 29. Juni 1964 über die Aussetzung der Strafverkündung, die Aussetzung der Strafe und die Probation, im Einvernehmen mit dem Betroffenen die Verkündung der Strafe zugunsten des Angeklagten auszusetzen, wenn dieser zuvor noch nicht zu einer Kriminalstrafe oder einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist, die Straftat ihrer Natur nach keine Hauptstrafe in Form einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren oder eine schwerere Strafe nach sich zieht und die Prävention als gesichert gilt (Art. 3 des Gesetzes). Die Aussetzung der Strafverkündung kann stets von Amts wegen angeordnet oder von der Staatsanwaltschaft oder dem Angeklagten beantragt werden. Die Aussetzung der Strafverkündung wird durch Entscheidung angeordnet, in der die Dauer der Aussetzung, die mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre ab Verkündung der Entscheidung beträgt, sowie gegebenenfalls die Bewährungsauflagen festgelegt werden [149]. Die Strafverfolgung endet mit dieser Entscheidung, sofern diese nicht widerrufen wird. Die Aussetzung der Strafverkündung kann widerrufen werden, wenn während der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen wurde, die in eine Verurteilung zu einer Kriminalstrafe oder einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Monat mündete (Art. 13 des oben genannten Gesetzes).

[149] In diesem Fall spricht man von "suspension probatoire" (Aussetzung der Strafverkündung zur Bewährung).

In Frankreich kann das Gericht gemäß Artikel 132-60 Strafgesetzbuch die Strafverkündung aufschieben, wenn offenkundig ist, dass die Wiedereingliederung des Schuldigen in die Gesellschaft und die Wiedergutmachung des Schadens gelingen werden und die durch die Straftat verursachte Störung abgestellt wird. In diesem Fall setzt das Gericht in seiner Entscheidung das Datum fest, an dem über die Strafe entschieden wird. Ein Aufschub der Strafverkündung kann nur angeordnet werden, wenn der Angeklagte in der Verhandlung anwesend ist (bzw. sein Vertreter im Fall einer juristischen Person).

Das Gericht kann den Aufschub mit einer Bewährungszeit verbinden (,ajournement avec mise à l'épreuve", Art. 132-63 Strafgesetzbuch). Für die Bewährung gelten dieselben Bestimmungen wie bei der Strafaussetzung zur Bewährung. Nach französischem Recht kann der für schuldig erklärten Person aufgegeben werden, bestimmten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften nachzukommen (Art. 132-66 Strafgesetzbuch).

Die Entscheidung über die Strafe ergeht spätestens ein Jahr nach der ersten Entscheidung über den Aufschub (Art. 132-62 Strafgesetzbuch). In der Verhandlung über die Strafverkündung kann das Gericht entweder von der Verhängung einer Strafe absehen (obwohl es die Schuld des Angeklagten festgestellt hat) [150] oder die gesetzlich vorgeschriebene Strafe verhängen, oder die Strafverkündung erneut aufschieben (Art. 132-61 Strafgesetzbuch).

[150] Art. 132-58 und 132-59 Strafgesetzbuch. Die Entscheidung erscheint im Vorstrafenregister, sofern kein Dispens erteilt wird.

3. Offener Vollzug

Im offenen Vollzug kann der Verurteilte die Vollzugsanstalt, in der er seine Strafe verbüßt, verlassen, und zwar nicht nur um einer Berufstätigkeit nachzugehen, eine Schul- oder Berufsausbildung oder ein Praktikum zu absolvieren oder zu Resozialisierungszwecken einer befristeten Beschäftigung nachzugehen, sondern auch um am Familienleben oder an einer ärztlichen Behandlung teilnehmen zu können, ohne ständig der Aufsicht der Vollzugsanstalt zu unterstehen.

Mit dem offenen Vollzug sollen den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs, in erster Linie der Entsozialisierung, entgegengewirkt werden. Im Vergleich zur Strafaussetzung zur Bewährung scheint der offene Vollzug das Resozialisierungserfordernis besser mit dem Schutzbedürfnis der Gesellschaft zu vereinbaren.

In den wenigen Mitgliedstaaten, die den offenen Vollzug kennen, wird der offene Vollzug überwiegend während des Strafvollzugs [151] als Übergang zwischen dem geschlossenen Vollzug und der Rückkehr in die Freiheit [152] eingesetzt. Nur in wenigen Mitgliedstaaten [153] kann das erkennende Gericht den offenen Vollzug schon vor dem Strafantritt anordnen.

[151] Z. B. in Deutschland ( 11 StVollzG), Belgien (unter der Bezeichnung "semi-détention"), Spanien, Finnland (Strafvollstreckungsgesetz vom 19.12.1889/39A, Kapitel 3, Art. 8 und Kapitel 4 Art. 4 f.), Frankreich (Art. 132-25 Strafgesetzbuch) und Italien (Art. 50 Gesetz Nr. 354 vom 26.7.1975).

[152] In Frankreich ist der offene Vollzug sogar Voraussetzung für die bedingte Haftentlassung, Art. 723-1 StPO.

[153] Frankreich (Art. 132-25 StPO), Italien (Art. 50 Gesetz Nr. 354 vom 26.7.1975) und Portugal (Art. 46 StGB).

Voraussetzung hierfür ist die Verurteilung zu einer kurzen Freiheitsstrafe (drei Monate in Portugal [154] und ein Jahr in Frankreich). In Portugal kann der offene Vollzug nur dann angeordnet werden, wenn die Freiheitsstrafe nicht durch eine Geldstrafe, eine andere nicht freiheitsentziehende Strafe oder einen Wochenendarrest ersetzt werden kann. In Deutschland und Portugal muss der Verurteilte dem offenen Vollzug zustimmen. Italien lässt den offenen Vollzug als Form des Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen bis höchstens sechs Monaten zu oder bei längeren Haftstrafen, wenn der Verurteilte die Hälfte seiner Strafe verbüßt hat. In Frankreich kann der offene Vollzug gegen Ende der Haftzeit angeordnet werden, wenn der Verurteilte höchstens noch ein Jahr zu verbüßen hat.

[154] Art. 46 StGB.

Der offene Vollzug kann mit Weisungen und Auflagen verbunden werden. Der Aufenthalt des Verurteilten in der Vollzugsanstalt richtet sich nach den Vorgaben, die die zuständige Behörde anhand des erforderlichen Zeitaufwands für die Berufstätigkeit, die Schul- oder Berufsausbildung, das Praktikum, die Teilnahme am Familienleben oder an einer Behandlung festgelegt hat. Der Verurteilte muss normalerweise an den Tagen in der Anstalt verbleiben, an denen er aus welchem Grund auch immer keine auswärtigen Verpflichtungen hat.

Die Disziplinarregeln gelten auch im offenen Vollzug. Der offene Vollzug kann widerrufen werden, wenn der Verurteilte seinen Weisungen und Auflagen nicht nachkommt, wenn seine Führung Anlass zur Beanstandung gibt oder die Gründe für die Anordnung des offenen Vollzugs nicht mehr bestehen. Im diesem Fall muss der Verurteilte die Reststrafe im geschlossenen Vollzug verbüßen. Entzieht sich der Betreffende der Aufsicht, der er im offenen Vollzug unterliegt, oder kehrt er zu spät in die Anstalt zurück, kann er in manchen Mitgliedstaaten wegen Flucht belangt werden (Frankreich).

4. Fraktionierter Strafvollzug (,Wochenendarrest")

Der fraktionierte Strafvollzug lässt sich als einmalige oder mehrmalige Unterbrechung des Strafvollzugs definieren. An der Dauer der Strafe ändert sich dadurch nichts, aber sie wird nicht in einem Zug verbüßt. Diese hauptsächlich für kurze Freiheitsstrafen gedachte Variante des Strafvollzugs existiert nur in wenigen Mitgliedstaaten (Belgien [155], Spanien [156], Frankreich [157], Griechenland [158] und Portugal [159]). Der fraktionierte Strafvollzug darf nicht mit der Möglichkeit der Vollstreckungsbehörde verwechselt werden, die Vollstreckung der Strafe wegen schwerer Krankheit zu unterbrechen [160].

[155] In Belgien spielt die als "arrêt de fin de semaine" bezeichnete Vollzugsform nur eine ganz geringe Rolle.

[156] Arresto de fin de semana, Art. 37 StGB.

[157] Art. 132-27 StGB.

[158] Art. 63 Strafvollstreckungsgesetz.

[159] Prisão por dias livres, Art. 45 StGB.

[160] Vgl. u. a. 46 der deutschen StVollstrO.

In Frankreich kann der fraktionierte Strafvollzug bei der Urteilsverkündung oder im Laufe der Strafvollstreckung angeordnet werden. Er hat zur Folge, dass sich der Strafvollstreckungszeitraum verlängert (um höchstens drei Jahre). Der fraktionierte Strafvollzug kann im Fall einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr aus gewichtigen medizinischen, familiären, beruflichen oder sozialen Gründen angeordnet werden. Die Vollzugsabschnitte müssen mindestens zwei Tage betragen.

Der Verurteilte wird zum vorgesehenen Zeitpunkt ohne Begleit- oder Aufsichtsmaßnahmen auf freien Fuß gesetzt, so als habe er seine Strafe bereits abgebüßt. Personen, denen Weisungen und Auflagen auferlegt worden sind, müssen ihnen auch während des Strafvollzugs nachkommen [161]. Die Einhaltung dieser Pflichten wird von der Vollstreckungsbehörde überprüft.

[161] Art. 763-7 StPO.

Der Verurteilte findet sich zur vereinbarten Zeit wieder in derselben Anstalt ein, aus der er vorübergehend entlassen wurde. Die Nichtbeachtung der Pflicht, sich wieder in der Haftanstalt einzufinden, wird als Flucht [162] gewertet und sowohl vom Gericht als auch von der Vollstreckungsbehörde geahndet.

[162] Art. 434-29, 3° StGB.

Über die Strafunterbrechung oder den fraktionierten Strafvollzug sowie über deren Ablehnung oder Widerruf entscheidet das Vollstreckungsgericht. Es entscheidet von Amts wegen sowie auf Antrag des Verurteilten oder der Staatsanwaltschaft. Die (rechtsmittelfähige) Entscheidung ergeht nach Anhörung des Vertreters der Vollstreckungsbehörde nach einer kontradiktorischen Verhandlung in geschlossener Sitzung, in der der Staatsanwalt und der Verurteilte bzw. sein Anwalt Gelegenheit hatten, ihre Anträge und Ausführungen zu unterbreiten.

In Spanien wird der fraktionierte Vollzug in Form des Wochenendarrests bei der Urteilsverkündung angeordnet. Ein Strafvollzugsabschnitt beträgt 36 Stunden und entspricht einem Freiheitsentzug von zwei Tagen. Es können prinzipiell höchstens 24 solcher Vollzugsabschnitte angeordnet werden, es sei denn, sie ersetzen eine andere Freiheitsstrafe. Die einzelnen Strafvollzugsabschnitte werden in der Regel an einem Freitag, Samstag und Sonntag in der Vollzugsanstalt verbüßt, die dem Wohnsitz des Verurteilten am nächsten liegt.

Das erkennende Gericht kann jedoch anordnen, dass die Strafe an anderen Wochentagen oder an anderen Orten vollstreckt wird. Bei einer zweimaligen Abwesenheit des Verurteilten ohne Grund kann das zuständige Vollstreckungsgericht die Vollstreckung ohne Unterbrechung anordnen.

In Spanien wird allerdings zurzeit ein Gesetzentwurf diskutiert, der die Aufhebung dieser Vollzugsform nach sieben Jahren (negativer) Erfahrungen wegen Ineffizienz vorsieht. Dem Gesetzentwurf zufolge soll an die Stelle des Wochenendarrests je nach Art und Schwere des Delikts eine Freiheitsstrafe, eine Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit oder eine elektronische Überwachung treten.

In Portugal werden Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten, die nicht durch eine Geldstrafe oder eine andere nicht freiheitsentziehende Strafe ersetzt werden können, im Wege des fraktionierten Strafvollzugs vollstreckt, wenn dies in Bezug auf den Strafzweck angemessen und ausreichend erscheint. Jeder Vollzugsabschnitt dauert mindestens 36 Stunden und höchsten 48 Stunden und entspricht einem durchgehenden Freiheitsentzug von fünf Tagen. Es können höchstens 18 Vollzugsabschnitte angeordnet werden. Schließt sich unmittelbar an das Wochenende ein Feiertag an, kann dieser Feiertag ebenfalls als Vollzugsabschnitt herangezogen werden.

5. Elektronische Überwachung

Die elektronische Überwachung besteht darin, einen Verurteilten oder einen Häftling mit einem Sender (in der Regel mit einem elektronischen Arm- oder Fußband) zu versehen, mit dem sich aus der Ferne feststellen lässt, ob sich die Person während eines von der zuständigen Behörde angeordneten Zeitraums am vorgeschriebenen Ort (häufig die Wohnung) aufhält oder nicht. Innerhalb der vorgeschriebenen Zeitspanne darf sich der Verurteilte nicht vom vorgeschriebenen Ort entfernen.

Die elektronische Überwachung wird erst seit relativ kurzer Zeit in sechs Mitgliedstaaten praktiziert (Belgien, Spanien, Frankreich, Italien, Schweden und im Vereinigten Königreich). In Hessen, in den Niederlanden, in Finnland und Portugal läuft ein Modellprojekt. In Dänemark und Deutschland wird derzeit die landesweite Einführung der elektronischen Überwachung erörtert.

Hauptmotiv für den Gesetzgeber, die elektronische Überwachung einzuführen, ist die Diversifizierung des Strafvollzugs, um die Zahl der Häftlinge zu reduzieren und auf diese Weise die mit der Vollstreckung einer Haftstrafe verbundenen schädlichen Folgen (soziale Stigmatisierung, Verlust des Arbeitsplatzes und damit verbundene finanzielle Probleme für die Familie, mangelnde elterliche Präsenz und Autorität usw.) zu vermindern, die (Wieder-) Eingliederung durch einen streng geregelten Tagesablauf zu fördern und gleichzeitig das Rückfallrisiko zu senken, durch Überbelegung der Haftanstalten bedingte Spannungen abzubauen und Einsparungen bei den Haftkosten zu erzielen [163].

[163] In Frankreich z. B. kostet ein Tag in einer Haftanstalt rund 60 EUR gegenüber 20 bis 30 EUR im offenen Vollzug und 22 EUR bei der elektronischen Überwachung (Le Monde vom 29.4.2003).

Die elektronische Überwachung kann je nach Verfahrensstadium mehreren Zwecken dienen: Sie kann beispielsweise - wie in Italien und Schweden [164] - als Hauptstrafe verhängt werden. Sie kann auch anstelle der Untersuchungshaft eingesetzt werden (Frankreich, Italien, Portugal) [165]. Sie ist versuchsweise ferner im Rahmen der bedingten Haftentlassung vorgesehen (Belgien, Frankreich [166], Niederlande, Schweden), im offenen Vollzug (Spanien) und beim Wochendendarrest (Spanien). In Schweden läuft seit dem 1. Oktober 2001 ein dreijähriges Pilotprojekt, wonach die elektronische Überwachung im letzten Abschnitt (in den letzten drei Monaten) einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vorgesehen ist.

[164] Als Ersatz für kurze Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten.

[165] Dies ist nach schwedischem Recht ausdrücklich ausgeschlossen.

[166] In Frankreich für höchstens ein Jahr.

Für die elektronische Überwachung kommen Personen in Frage, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, die eine bestimmte Dauer nicht überschreitet (Frankreich: ein Jahr oder mehr, wenn der Verurteilte nur noch eine Reststrafe von weniger als einem Jahr zu verbüßen hat; Italien: vier Jahre; Schweden: drei Monate). In Belgien können Personen, die zu einer Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren verurteilt worden sind, schon bei Haftantritt der elektronischen Überwachung unterstellt werden. Verurteilte, die längere Haftstrafen verbüßen, kommen für die elektronische Überwachung ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem sie für eine bedingte Haftentlassung vorgeschlagen werden oder eine bedingte Entlassung in Anspruch nehmen können.

Bestimmte Tätergruppen sind von der elektronischen Überwachung ausgenommen: in Belgien z. B. Straftäter, die wegen eines Sexualdelikts, Menschen- oder Drogenhandel verurteilt worden sind.

In allen Mitgliedstaaten muss der Verurteilte der elektronischen Überwachung ausdrücklich zustimmen, in Frankreich sogar in Gegenwart seines Anwalts. In einigen Mitgliedstaaten müssen auch die Personen zustimmen, die mit dem Verurteilten unter einem Dach leben (Belgien).

In mehreren Mitgliedstaaten sind für die elektronische Überwachung Mindestfristen (Belgien: ein Monat) und Hoechstfristen vorgeschrieben (Belgien: drei Monate, Vereinigtes Königreich: sechs Monate [167], Schottland: zwölf Monate [168]).

[167] ,Curfew order", mit deren Vollstreckung zum Teil Privatfirmen beauftragt werden.

[168] ,Restriction of liberty orders".

In mehreren Mitgliedstaaten (u. a. in Frankreich) ist - auf Wunsch des Verurteilten - die Hinzuziehung eines Arztes vorgesehen, um festzustellen, ob die elektronische Überwachung nicht der Gesundheit des Verurteilten schadet.

Der Verurteilte darf sich je nach Fall von seinem vorgeschriebenen Aufenthaltsort für eine bestimmte Zeit entfernen, um z. B. einem Beruf nachzugehen, eine Ausbildung zu absolvieren, sich einer Behandlung zu unterziehen oder am Familienleben teilzunehmen.

Die elektronische Überwachung kann gleichzeitig mit einer Strafaussetzung zur Bewährung einhergehen (Belgien, Frankreich). Die zuständige Behörde kann die Modalitäten der elektronischen Überwachung von Amts wegen oder auf Antrag des Verurteilten abändern.

Die elektronische Überwachung kann nach dem jeweils geltenden Verfahren in folgenden Fällen widerrufen werden: auf Antrag des Verurteilten, bei Ablehnung einer Änderung der Überwachungsmodalitäten, bei einer erneuten Verurteilung (wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist), bei Nichtbefolgung der Weisungen und Auflagen oder bei vorsätzlicher Umgehung der elektronischen Überwachung (dies gilt u. a. in Frankreich als Fluchtversuch). In diesem Fall muss der Verurteilte die zu Beginn der elektronischen Überwachung noch verbleibende Reststrafe abbüßen; in Frankreich wird die Zeit, in der er der elektronischen Überwachung unterstellt war, allerdings auf die Strafe angerechnet.

Die Nichteinhaltung der Weisungen und Auflagen, insbesondere der Zeitvorgaben, wird mit einer Verwarnung oder einer Verschärfung der Auflagen geahndet. Bei schwereren Verstößen (wiederholte Abwesenheit, vorsätzliche Zerstörung des Armbands bzw. Kontrollinstruments, Begehung neuer Straftaten usw.) kann die elektronische Überwachung widerrufen werden, und der Verurteilte muss dann seine Haftstrafe im Gefängnis verbüßen.

6. Hausarrest

Der Hausarrest stellt eine Vorzugsbehandlung für bestimmte Personengruppen aufgrund ihrer besonderen persönlichen Umstände dar, damit sie die Strafe in ihrer Wohnung oder an einem anderen Ort, an dem sie behandelt oder betreut werden, verbüßen können. Den Hausarrest gibt es außer im Vereinigten Königreich und in Italien nur in Verbindung mit einer elektronischen Überwachung (siehe oben). In Spanien wurde der Hausarrest 1995 mit Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs abgeschafft [169].

[169] Art. 27 und 30 StGB von 1973.

Im Vereinigten Königreich kann gemäß Art. 37 Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 für eine bestimmte Zeit ein Hausarrest in der Wohnung (oder an einem anderen Ort) angeordnet werden. Der Hausarrest kann bei allen Delikten angeordnet werden außer bei Mord und den in den Artikeln 109 bis 111 des vorgenannten Gesetzes aufgeführten Straftaten.

In der Entscheidung über den Hausarrest (,curfew order") wird der bzw. werden die Orte festgelegt, an denen der Hausarrest vollzogen wird, sowie die Zeiten, zu denen der Verurteilte dort anwesend sein muss. Der Hausarrest beträgt maximal sechs Monate, wenn der Verurteilte 16 Jahre alt oder älter ist, und maximal drei Monate bei Verurteilten unter 16 Jahren. Der Hausarrest darf pro Tag nicht länger als 12 Stunden und nicht weniger als zwei Stunden dauern. Der Hausarrest in der Wohnung (oder an einem anderen Ort) kann elektronisch überwacht werden. In der Entscheidung des Gerichts, mit der der Hausarrest angeordnet wird, ist der Name der Person angegeben, die für die Überwachung des Verurteilten während des Hausarrests zuständig ist. Die Zustimmung des Straffälligen zu dieser Vollzugsform ist nicht erforderlich.

Werden die mit der ,curfew order" verbundenen Auflagen nicht beachtet, kann gegen den Verurteilten eine Geldstrafe von 1000 GBP verhängt werden. Als Alternative zur Geldstrafe kann die ,curfew order" widerrufen und eine härtere Strafe verhängt werden. Einen Widerruf der ,curfew order" und eine erneute Verurteilung muss der Verurteilte auch dann gewärtigen, wenn er während der Geltungsdauer der ,curfew order" eine neue Straftat begeht.

Nach italienischem Recht dient der Hausarrest dazu, zwei gegensätzliche Anliegen, d. h. Strafvollstreckung und Sicherheit der Gesellschaft einerseits und Schutz der Grundrechte des Einzelnen (Recht auf Gesundheit, das Recht und die Pflicht, für den Unterhalt und die Erziehung der eigenen Kinder zu sorgen, und das Recht auf Mutterschutz) andererseits, miteinander in Einklang zu bringen [170]. Der Hausarrest ist im italienischen Recht entweder als Vollzugsform der Untersuchungshaft [171] oder als Vollzugsform einer Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder einer längeren Freiheitsstrafe, von der nur noch vier Jahre zu verbüßen sind, vorgesehen. Im letzteren Fall wird der Hausarrest nicht bei der Urteilsverkündung, sondern im Laufe des Strafvollzugs angeordnet. Diese Vollzugsform kann von folgenden Personen in Anspruch genommen werden: a) von Schwangeren oder Müttern von Kindern unter zehn Jahren, die bei der Mutter leben; b) von sorgeberechtigten Vätern von Kindern unter zehn Jahren, die beim Vater leben, wenn die Mutter verstorben oder wenn es ihr absolut unmöglich ist, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern; d) von Personen über 60 Jahre mit einer - auch partiellen - Behinderung; e) von Personen unter 21 Jahren aus nachgewiesenen gesundheitlichen, schulischen, beruflichen oder familiären Gründen [172]. Für AIDS-kranke Verurteilte gelten darüber hinaus besondere Bestimmungen. Seit kurzem steht allen Verurteilten - nicht nur den unter a) bis e) genannten Personengruppen - die Möglichkeit offen, eine Freiheitsstrafe oder auch eine Reststrafe von höchstens zwei Jahren als Hausarrest zu verbüßen, wenn die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht gegeben sind und eine erneute Straffälligkeit ausgeschlossen werden kann [173].

[170] Art. 47 b des Gesetzes Nr. 354/1975.

[171] Art. 284 StPO.

[172] Art. 47 b des Gesetzes Nr. 354/1975.

[173] Art. 47 b (1 a) des Gesetzes Nr. 354/1975.

Das zuständige Vollstreckungsgericht legt die Einzelheiten der Vollstreckung sowie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen fest. Es schreibt dem Verurteilten vor, dass er seine Wohnung oder eine andere Privatwohnung, eine Pflege- oder Fürsorgeeinrichtung nicht verlassen darf. Das Gericht kann erforderlichenfalls den Kontakt des Verurteilten zu anderen Personen als seinen Mitbewohnern oder Betreuern einschränken oder untersagen. Kann der Verurteilte seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht anders befriedigen oder ist er völlig mittellos, kann das Gericht ihm erlauben, sich tagsüber so lange von seinem Arrestort zu entfernen, wie dies für die Befriedigung dieser Bedürfnisse oder für eine Erwerbstätigkeit unbedingt erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft oder die Polizei kann jederzeit kontrollieren, ob der Verurteilte die ihm erteilten Auflagen einhält [174].

[174] Art. 284 StPO.

Der Hausarrest wird widerrufen, wenn sich der Verurteilte vom vorgeschriebenen Ort des Strafvollzugs entfernt (und ein Fluchtdelikt im Sinne von Art. 385 StGB vorliegt) oder wenn der Verurteilte gegen das Gesetz oder die Auflagen verstößt und sein Verhalten mit der Fortsetzung des Hausarrests nicht mehr vereinbar ist. Der Hausarrest wird auch dann widerrufen, wenn die Voraussetzungen für seine Anordnung nicht mehr gegeben sind oder wenn die Strafe erloschen ist.

ANHANG II

Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten zu alternativen Sanktionen

1. Gemeinnützige Arbeit

Diese Strafe besteht in der Ableistung einer nicht vergüteten Arbeit zugunsten einer öffentlichen Körperschaft, einer öffentlich-rechtlichen Anstalt oder einer gemeinnützigen Vereinigung.

In Anbetracht der Notwendigkeit, der Überbelegung der Haftanstalten entgegenzuwirken und Alternativen zur Freiheitsstrafe zu entwickeln, hat der Europarat in seiner Entschließung (76) 10 zu bestimmten strafrechtlichen Maßnahmen als Ersatz für freiheitsentziehende Strafen die gemeinnützige Arbeit empfohlen, um aktiv zur Rehabilitierung des Straffälligen beizutragen, indem seine Mitwirkung an einer freiwilligen Arbeit honoriert wird (,pour contribuer activement à la réhabilitation du délinquant par l'acceptation de sa coopération dans un travail volontaire").

Inzwischen ist die gemeinnützige Arbeit als strafrechtliche Sanktion in allen Mitgliedstaaten eingeführt und wird in den meisten Mitgliedstaaten mit einigem Erfolg praktiziert [175].

[175] In einigen Mitgliedstaaten (z. B. in Frankreich) ist die Vollstreckung allerdings nicht ganz unproblematisch (Verzögerungen bei der Vollstreckung, Mangel an geeigneten Arbeitsstellen usw.).

Die ,Arbeitsstrafe" kann je nach Verfahrensstadium mehrere Funktionen erfuellen: Sie kann - häufig in Verbindung mit einer Mediation (Täter-Opfer-Ausgleich), einer informellen Verfahrensbeendigung mit Auflagen (u. a. Diversion, siehe unten) - vor Einleitung des Hauptverfahrens erfolgen, um eine Verurteilung zu vermeiden (Belgien [176], Deutschland [177], Frankreich [178]). Sie kann als Hauptstrafe (in Belgien [179], Frankreich, Italien [180] und den Niederlanden) oder als Nebenstrafe (Frankreich) oder wegen bestimmter schwerer Ordnungswidrigkeiten (Belgien, Frankreich [181]) verhängt werden. Sie kann auch eine Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe [182] (Deutschland [183], Italien), eine Geldstrafe (Spanien, Italien, Portugal) oder einen Wochenendarrest (Spanien) ersetzen. Die gemeinnützige Arbeit kann als strafrechtliche Sanktion auch mit einer Freiheitsstrafe zur Bewährung verbunden werden (Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Schweden). In Griechenland kann eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe auf Antrag des Verurteilten teilweise in eine Arbeitsstrafe umgewandelt werden.

[176] Art. 216 ter Code d'instruction criminelle.

[177] 153, 153a StPO.

[178] Im Rahmen einer informellen Verfahrensbeendigung.

[179] Als Hauptstrafe eingeführt mit Gesetz vom 17. April 2002.

[180] Für Bagatelldelikte, die in die Zuständigkeit des Friedensrichters gehören.

[181] Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung.

[182] Bei der Ersatzfreiheitsstrafe wird eine Geldstrafe, zu deren Zahlung eine Person strafrechtlich verurteilt wurde, als Freiheitsstrafe vollstreckt, wenn die Geldstrafe uneinbringlich ist.

[183] Im Rahmen der Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems in Deutschland wird derzeit eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinnützigen Arbeit erörtert: Danach soll die Arbeitsstrafe zur Hauptersatzstrafe für eine Geldstrafe (anstelle der Ersatzfreiheitsstrafe) werden.

In manchen Mitgliedstaaten kann gemeinnützige Arbeit nur bei bestimmten Rechtsverletzungen angeordnet werden, die entweder anhand des Tatbestands definiert sind (Dänemark, Italien) oder durch die Schwere der Strafe, die durch die gemeinnützige Arbeit ersetzt werden soll, (z. B. Ahndung einer Ordnungswidrigkeit oder eines Vergehens (Belgien), Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten (Niederlande) oder einem Jahr (Portugal)).

Alle Mitgliedstaaten schreiben das Einverständnis des Betroffenen in welcher Form auch immer vor. Dies wird in verschiedenen völkerrechtlichen Rechtsquellen, insbesondere in Artikel 4 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten indirekt verlangt. Dort heißt es: ,Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten". Derselbe Wortlaut findet sich in Artikel 5 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Die Anzahl der im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit abgeleisteten Stunden schwankt zwischen 20 bis 300 Stunden (Belgien [184]), 20 bis 200 Stunden (Finnland), 30 bis 240 Stunden (Dänemark), 40 bis 240 Stunden (Frankreich, Schweden, Vereinigtes Königreich [185]) und 36 bis 380 Stunden (Portugal). Bei einer informellen Beendigung des Strafverfahrens (mit der eine Verurteilung vermieden wird) ist die zulässige Stundenhöchstzahl niedriger (60 Stunden in Frankreich).

[184] Ab einer Anzahl von 45 Stunden handelt es sich nicht mehr um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit, sondern um die Ahndung eines Vergehens.

[185] Die Hoechststrafe beträgt 240 Stunden bei einer ,community punishment order". Bei einer ,community punishment and rehabilitation order" beträgt die Hoechststrafe 100 Stunden.

Die Arbeit muss in der Regel innerhalb einer bestimmten Frist geleistet werden (z. B. 12 Monate im Vereinigten Königreich, 18 Monate in Frankreich bzw. sechs Monate bei einer informellen Verfahrensbeendigung (,composition pénale").

Dabei handelt es sich normalerweise um Instandhaltungs-, Reinigungs- und Renovierungsarbeiten, die von den Gebietskörperschaften und Verwaltungen angeboten werden.

Entzieht sich der Verurteilte vorsätzlich der Arbeit, wird er wegen Nichterfuellung der Arbeitsleistung - einem z. B. in Frankreich eigens dafür geschaffenen Tatbestand [186] - belangt, sofern die gemeinnützige Arbeit als Hauptstrafe verhängt worden ist. War die Arbeitsstrafe mit einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden, hat der Verurteilte den Widerruf der Bewährung zu gewärtigen. Hat der Verurteilte einen Teil der Arbeit bereits abgeleistet, wird die Haftstrafe in bestimmten Mitgliedstaaten (z. B. in Portugal) entsprechend gekürzt.

[186] In Frankreich kann er zu einer Freiheitsstrafe, einer Geldstrafe oder erneut zu einer gemeinnützigen Arbeit verurteilt werden.

2. Mediation in Strafsachen

Bei der Mediation in Strafsachen handelt es sich um ein Verfahren, in dem Täter und Opfer mit Hilfe eines Mediators versuchen, eine Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg herbeizuführen [187]. Ziel der Mediation ist die Wiedergutmachung des Schadens, die Abstellung der durch die Rechtsverletzung verursachten Störung und die Erleichterung der Resozialisierung des Täters. Darüber hinaus zielt sie auf eine dauerhafte Verhaltensänderung der Parteien ab, um so eine Wiederholung der Tat aus denselben Gründen zu verhindern.

[187] In Artikel 1 Buchstabe e) des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren wird die Mediation definiert als ,die vor oder im Verlauf des Strafverfahrens unternommenen Bemühungen um eine durch Vermittlung einer sachkundigen Person zwischen dem Opfer und dem Täter ausgehandelte Regelung". Der Europarat definiert den Begriff der Mediation in der Empfehlung R (99) 19 des Ministerkomitees vom 15. September 1999 über die Vermittlung in Strafsachen wie folgt: ,tout processus permettant à la victime et au délinquant de participer activement, s'ils y consentent librement, à la solution des difficultés résultant du délit, avec l'aide d'un tiers indépendant (médiateur)."

Die Mediation bietet dem Opfer die Möglichkeit, freiwillig mit dem Täter zusammenzutreffen, sie verhilft dem Täter dazu, sich der Folgen seiner Tat bewusst zu werden und die Verantwortung für das begangene Unrecht zu übernehmen, und sie gibt dem Opfer und dem Täter Gelegenheit, sich über einen Schadensausgleich zu verständigen.

Die Mediation in Strafsachen im engeren Sinne unterscheidet sich insofern von anderen Formen von Vereinbarungen (,Vergleichsverfahren") zwischen Staatsanwalt und Täter, die die Einstellung der Strafverfolgung bewirken können (z. B. im französischen Recht die ,composition pénale" und die ,transaction pénale"), als letztere keine aktive Teilnahme des Opfers an der Verhandlungslösung vorsehen.

Die Mediation in Strafsachen fügt sich in das umfassendere Konzept der ,opferorientierten Justiz" ein, deren Leitprinzip die - materielle und immaterielle - Wiedergutmachung des im Verhältnis zwischen dem Opfer, der Gemeinschaft und dem Täter entstandenen Schadens ist. Für dieses Konzept treten in der Europäischen Union eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen ein, von denen einige Fördermittel aus dem Programm GROTIUS oder AGIS erhalten haben.

Belgien hat im Juni 2002 eine förmliche Initiative ,über die Einrichtung eines Europäischen Netzes nationaler Kontaktstellen für opferorientierte Justiz" vorgelegt [188]. Dieses Europäische Netz dürfte zum Ausbau, zur Unterstützung und zur Förderung der opferorientierten Justiz in ihren einzelnen Erscheinungsformen sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf Ebene der Europäischen Union beitragen. Die Initiative ist im Rat nicht erörtert worden.

[188] ABl. C 242 vom 8.10.2002, S. 20.

Was die auf Ebene der Europäischen Union bestehenden Regelungen anbelangt, so haben die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 10 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren [189] dafür Sorge zu tragen, dass die Mediation in Strafsachen (im Rahmenbeschluss wird die gleichbedeutende Bezeichnung ,Schlichtung in Strafsachen" verwendet) im Falle von Straftaten, die sie für eine derartige Maßnahme für geeignet halten, gefördert wird. Sie haben überdies dafür zu sorgen, dass jede im Rahmen der Mediation in Strafsachen erreichte Vereinbarung zwischen Opfer und Täter im Strafverfahren berücksichtigt werden kann. Die Umsetzungsfrist für diesen Rahmenbeschluss läuft allerdings erst zum 22. März 2006 ab (siehe Artikel 17 des Rahmenbeschlusses).

[189] ABl. C 82 vom 22 März 2001, S. 1.

In Deutschland, Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Schweden und im Vereinigten Königreich gibt es relativ detaillierte Regelungen zur Mediation in Strafsachen. In Dänemark, Spanien, Irland, in den Niederlanden und in Portugal laufen Pilotversuche.

Die Mediation in Jugendstrafsachen ist in mehreren Mitgliedstaaten gesondert geregelt. Diese Regelungen sind häufig älteren Datums als die Mediationsvorschriften im Erwachsenenstrafrecht.

Die Mediation kann in mehreren Verfahrensstadien zum Zuge kommen: Sie kann bereits im Ermittlungsverfahren erfolgen, um eine Verurteilung zu vermeiden (Österreich [190], Belgien [191], Deutschland [192], Frankreich [193]). Sie kann im Urteil berücksichtigt werden (wie z. B. in Deutschland [194] und im Vereinigten Königreich [195]) oder erst bei der Strafvollstreckung in Erscheinung treten (wie z. B. in Belgien [196]).

[190] 90a StPO (,Diversion").

[191] Art. 216 ter Code d'instruction criminelle und Arrêt royal vom 24. Oktober 1994.

[192] 153, 153a StPO.

[193] Im Rahmen einer informellen Verfahrensbeendigung (,composition pénale") nach Art. 41-2 StPO.

[194] 46a StGB, 155a StPO.

[195] ,Compensation order" gemäß Art. 130 bis 134 Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act.

[196] Mit Hilfe eines in jeder Vollzugsanstalt verfügbaren Ansprechpartners (,consultant en justice réparatrice").

In Deutschland wurde die Mediation in Strafsachen in Gestalt des so genannten Täter-Opfer-Ausgleichs 1994 durch 46a StGB als dritte Möglichkeit der strafrechtlichen Sanktion neben den Hauptstrafen (Freiheitsstrafe und Geldstrafe) und den Maßregeln der Besserung und Sicherung eingeführt. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht eine Strafe - in dem in 49 StGB festgelegten Umfang - mildern oder gar von jedweder Strafe absehen, wenn die angedrohte Strafe nicht mehr als ein Jahr Freiheitsentzug oder nicht mehr als 360 Tagessätze umfasst und wenn der Täter a) sich einer Mediation (Täter-Opfer-Ausgleich) unterzogen und seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht hat oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder b) das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt hat, sofern die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat. In beiden Fällen geht die Wiedergutmachung über den bloßen Ersatz des Schadens hinaus und verlangt eine aktive Mitwirkung des Täters.

In Österreich wird je nach Schwere der betreffenden Tat zwischen zwei Formen der Mediation unterschieden:

1. Gesetzesverstöße, die normalerweise mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis drei Jahren bedroht sind, sind nach dem Willen des Gesetzgebers nicht strafbar [197], wenn a) die Schuld des Täters gering ist, b) die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat oder, sofern sich der Täter zumindest ernstlich darum bemüht hat, die Folgen der Tat im Wesentlichen beseitigt, gutgemacht oder sonst ausgeglichen worden sind, und c) eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten [198].

[197] ,... so ist die Tat nicht strafbar, wenn...".

[198] 42 StGB.

2. Bei Gesetzesverstößen, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht sind, muss der Staatsanwalt von einer Strafverfolgung absehen, wenn eine Bestrafung im Hinblick auf die Zahlung eines Geldbetrags, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, die Bestimmung einer Probezeit mit Auflagen oder eine Mediation (einen ,außergerichtlichen Tatausgleich") nicht geboten erscheint, um den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, sofern die Schuld des Täters nicht als schwer anzusehen ist und die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat [199]. Die Mediation setzt die Zustimmung des Opfers voraus, es sei denn, die Ablehnungsgründe sind nicht berücksichtigungswürdig. Kernstück des Verfahrens ist ein Mediationsgespräch zwischen Opfer und Täter. Das Gespräch wird von einem unabhängigen Mediator (,Konfliktregler") geleitet. Die Ergebnisse werden in einer schriftlichen Vereinbarung niedergelegt, die der Mediator dem Staatsanwalt übermittelt. Der Mediator kontrolliert die Erfuellung der vereinbarten Pflichten. Erfuellt der Täter die in der Vereinbarung enthaltenen Verpflichtungen, wird das Strafverfahren eingestellt. Andernfalls geht das Strafverfahren seinen normalen Gang bis zur Verurteilung.

[199] 90a StPO (,Diversion").

In Belgien kann der Staatsanwalt gemäß Artikel 216ter StGB den Täter vorladen und ihn auffordern, den durch die Tat verursachten Schaden zu ersetzen oder wieder gutzumachen und den entsprechenden Beweis dafür zu liefern, sofern die Tat keine Freiheitsstrafe (,emprisonnenment correctionnel principal") von mehr als zwei Jahren oder eine schwerere Strafe nach sich zieht. Täter und Opfer können einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Der Staatsanwalt wird in den verschiedenen Phasen der Mediation, insbesondere bei der konkreten Ausgestaltung, von dem für die so genannten Maisons de Justice zuständigen Dienst des Justizministeriums unterstützt. Die betreffenden Bediensteten (,conseillers et assistants en médiation") nehmen ihre Aufgaben in enger Zusammenarbeit mit dem Staatsanwalt wahr, dem die Aufsicht über ihre Tätigkeit obliegt. Das Verfahren der Mediation in Strafsachen ist in einem Arrêté royal geregelt [200]. Von der Mediation wird ein Protokoll angefertigt. Hat der Täter alle Verpflichtungen erfuellt, in die er eingewilligt hat, wird die Strafverfolgung eingestellt.

[200] Arrêté royal vom 24. Oktober 1994 ,portant les mesures d'exécution concernant la procédure de médiation pénale".

In Frankreich kann der Staatsanwalt gemäß Artikel 41-1 Nr. 5 StPO bei Bagatelldelikten (Ordnungswidrigkeiten oder leichten Vergehen) mit Zustimmung des Opfers und des Täters eine Mediation veranlassen, bevor er über die Anklageerhebung entscheidet, wenn er der Ansicht ist, dass diese Maßnahme geeignet ist, den dem Opfer entschadenen Schaden wieder gutzumachen, die durch die Rechtsverletzung verursachte Störung abzustellen und die Resozialisierung des Täters zu erleichtern.

Die Mediation kann nur auf Veranlassung des Staatsanwalts eingeleitet werden. Die Konfliktparteien können sich nicht von sich aus an den Mediator wenden. Während der Mediation ruht die Verjährung. Der Staatsanwalt beauftragt eine Mediationsstelle oder einen unabhängigen Mediator mit der Vermittlung [201]. Für die Ernennung und Zulassung der Mediatoren ist Artikel R. 15-33-30 StPO maßgebend. Die Mediation ist für die Parteien fakultativ. Die Rechte sowohl des mutmaßlichen Opfers als auch des mutmaßlichen Täters, die auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt ihrer Wahl hinzuziehen können, bleiben gewahrt. Welche Art von Rechtsverletzung vorliegt, entscheidet allein der Staatsanwalt. Es kann sich um leichte Gewalttaten, Diebstahl, geringfügige Betrügereien, Verletzung von Unterhalts- und Sorgerechtspflichten, vorsätzliche Sachbeschädigung, Nötigung, Beleidigung, Fluchtdelikte, einfachen Gebrauch von Betäubungsmitteln usw. handeln. Die Mediation ist für die Parteien unentgeltlich. Ein Schaden kann auf verschiedene Weise wieder gutgemacht werden: finanziell, materiell oder symbolisch.

[201] Seit der Einrichtung der so genannten ,Maisons de Justice et du Droit" im Jahr 1990 finden Mediationsverfahren zunehmend an diesen Orten statt. Sie unterstehen dem Präsident des Tribunal de grande instance und dem Staatsanwalt.

Die Mediation läuft in der Regel wie folgt ab: Die vom Staatsanwalt befasste Mediationsstelle bzw. der vom Staatsanwalt befasste Mediator

*lädt die Konfliktparteien schriftlich vor

*empfängt die Parteien getrennt oder gemeinsam, erläutert ihnen das Ziel der Mediation, holt ihr grundsätzliches Einverständnis zur Teilnahme an der Mediation ein, sofern der Staatsanwalt dies noch nicht veranlasst hat

*leitet das Mediationsgespräch, bei dem alle Parteien an einen Tisch gebracht werden, um einen Kontakt, einen Dialog herzustellen oder wiederherzustellen und eine Lösung zu finden

*legt den Inhalt einer etwaigen Vereinbarung schriftlich nieder

*unterrichtet den Staatsanwalt schriftlich über die Ergebnisse der Mediation gegebenenfalls nach Verfolgung der Entwicklung über den vom Staatsanwalt festgelegten Zeitraum hinweg.

Anschließend prüft der Staatsanwalt, ob die Voraussetzungen für die Einstellung der Strafverfolgung (Wiedergutmachung, Erstattung) vorliegen. Er entscheidet über die Einstellung oder Fortsetzung des Strafverfahrens. Stellt der Staatsanwalt nach der Mediation das Verfahren ein, wird der Geschädigte davon unterrichtet.

3. Staatsanwaltlicher Vergleich [202])

[202] Die folgenden Ausführungen zu den Vergleichsverfahren - mit Ausnahme der Angaben zu Belgien und Frankreich - stützen sich im Wesentlichen auf die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vom 19. September 2002 in den verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Rdnrn. 61 ff.

Der Vergleich ist ein Verfahren, bei dem eine strafrechtliche Streitigkeit vom Vertreter der Anklage einvernehmlich mit dem Beschuldigten ohne ein Gerichtsverfahren im engeren Sinn beigelegt werden kann. Bei dieser Art von Vergleich verhandeln Täter und Staatsanwalt jedoch nicht über das Strafmaß. Die Staatsgewalt macht über den zur Strafanwendung berufenen Vertreter der Anklage ein Angebot, das angenommen oder abgelehnt wird. Es handelt sich nicht um eine zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft ausgehandelte Vereinbarung. Es wäre falsch, den staatsanwaltlichen Vergleich als eine zweiseitige Vereinbarung zu qualifizieren, denn er stellt eine - wenn auch milde und akzeptierte - Verurteilung dar, die nach wie vor eine Strafe ist und die Funktionen einer Strafe erfuellt.

Es ist festzustellen, dass es in vielen Mitgliedstaaten unter der Bezeichnung strafrechtlicher bzw. staatsanwaltlicher Vergleich oder anderen entsprechenden Bezeichnungen Verfahren gibt, bei denen die Staatsanwaltschaft aufgrund gesetzlicher Ermächtigung und - in einigen Rechtsordnungen - ohne gerichtliche Entscheidung die Strafverfolgung gegen einen Beschuldigten einstellen kann, nachdem dieser an den Staat einen Geldbetrag gezahlt oder eine andere Auflage erfuellt hat.

Diese Art der Strafrechtspflege kommt jedoch nicht für alle Gesetzesverstöße in Betracht. Sie ist eine Reaktion auf eine besondere Kategorie von Verhaltensweisen geringerer sozialer Verwerflichkeit, deren Ahndung nicht die Ingangsetzung des gesamten Justizapparates des Staates mit all seiner Macht und demzufolge auch nicht die Anwendung aller strafprozesslichen Garantien durch Einschaltung eines Gerichts verlangt.

Der Beschuldigte kann auf diese Weise seine Schuld ohne ein Gerichtsverfahren ausdrücklich oder stillschweigend anerkennen und durch Erfuellung der mit der Staatsanwaltschaft vereinbarten Auflage innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen abbüßen, was jedenfalls weniger hart ist, als wenn das Strafverfahren ohne einen solchen Vergleich seinen normalen Lauf nähme. Als Gegenleistung stellt die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung ein, die damit beendet ist.

Im deutschen Recht [203] kann der Staatsanwalt die Strafverfolgung einstellen, sofern der Beschuldigte der Einstellung zustimmt und den Auflagen der Staatsanwaltschaft nachkommt. Im Allgemeinen ist zwar eine Zustimmung des zuständigen Gerichts erforderlich, sie ist jedoch nicht unerlässlich, wenn es sich um Verstöße handelt, bei denen die angedrohte Strafe nicht über die im Strafgesetzbuch vorgesehene Mindeststrafe hinausgeht, und wenn die Höhe des entstandenen Schadens gering ist. Stimmt der Beschuldigte der Einstellung zu, setzt der Staatsanwalt für die Erfuellung der vereinbarten Auflagen eine Frist. Erfuellt der Beschuldigte die Auflagen, ,so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden" [204].

[203] 153a StPO. Siehe auch EuGH-Urteil ,Brügge" vom 11. Februar 2003 in der Rechtssache C-385/01.

[204] 153a Abs. 1 StPO. Das deutsche Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen Vergehen und Verbrechen. Als Verbrechen gilt jede Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und darüber bedroht ist. Alle anderen Straftaten, die weniger streng geahndet werden, werden als ,Vergehen" bezeichnet.

Österreich [205] kennt ein so genanntes Diversionsverfahren, bei dem die Staatsanwaltschaft (oder der Untersuchungsrichter) von der Strafverfolgung nach Zahlung eines Geldbetrags, nach Erbringung gemeinnütziger Leistungen, nach einer Probezeit oder nach einer Mediation (einem ,außergerichtlichen Tatausgleich") zurücktreten kann. Sobald der Beschuldigte die Auflagen erfuellt hat, ist die Strafverfolgung endgültig beendet [206].

[205] 90a bis 90m StPO.

[206] 90c Abs. 5, 90d Abs. 5, 90f Abs. 4 und 90g Abs. 1 StPO.

In Belgien gibt es zwei Verfahrensarten, die in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft fallen: die in den Artikeln 216bis und 216ter des Code d'instruction criminelle vorgesehene ,transaction" und die ,médiation pénale" (siehe oben), nach denen der Staatsanwalt die Strafverfolgung endgültig einstellen kann, wenn der Beschuldigte bestimmte Voraussetzungen erfuellt. Nach Artikel 216bis kann der Staatsanwalt bei einer Straftat, die entweder mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht ist, nur eine Geldstrafe oder eine Geldstrafe und eine Einziehung anordnen. Der einem anderen eventuell entstandene Schaden muss vollständig wieder gutgemacht worden sein, bevor ein Vergleich vorgeschlagen werden kann. Ein Vergleich kann auch dann vorgeschlagen werden, wenn der Täter schriftlich seine zivilrechtliche Haftung für das schadensbegründende Ereignis eingeräumt und nachgewiesen hat, dass und wie er den unstreitigen Teil des Schadens ersetzt hat. Das Opfer kann seine Rechte in jedem Fall vor dem zuständigen Gericht geltend machen. Die Annahme des Vergleichs durch den Täter begründet eine unwiderlegliche Schuldvermutung (Artikel 216bis Abs. 4).

Nach französischem Recht kann der Staatsanwalt, solange er nicht Anklage erhoben hat, gemäß Artikel 41-2 StPO einem Volljährigen, der eine oder mehrere Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht sind, eingestanden hat, einen Vergleich (,composition pénale") vorschlagen, der wie folgt ausgestaltet sein kann: 1. Zahlung einer Vergleichsstrafe (,amende de composition") an die Staatskasse, deren Betrag 3750 EUR bzw. die Hälfte des Hoechstbetrags der verwirkten Geldstrafe nicht überschreiten darf; 2. Herausgabe der Sache, mit der die Straftat begangen wurde oder die dazu bestimmt war, oder des Erlöses der Straftat an den Staat; 3. Abgabe der Fahrerlaubnis bei der Geschäftsstelle des Tribunal de grande instance für höchstens sechs Monate oder des Jagdscheins für höchstens vier Monate; 4. Ableistung einer gemeinnützigen, nicht vergüteten Arbeit von maximal 60 Stunden innerhalb einer Frist von höchstens sechs Monaten; 5. höchstens dreimonatige Teilnahme an einem Praktikum oder einer Ausbildung in einem Dienst oder einer Einrichtung, der bzw. die im Gesundheitswesen, im sozialen Bereich oder der Berufsbildung tätig ist, innerhalb eines Zeitraums von maximal 18 Monaten.

Ist das Opfer bekannt, muss der Staatsanwalt dem Täter ebenfalls den Ersatz des durch die Straftat entstandenen Schadens innerhalb von höchstens sechs Monaten vorschlagen, es sei denn, der Täter weist nach, dass er den Schaden bereits ersetzt hat. Der Vergleichsvorschlag wird dem Opfer mitgeteilt. Der Vergleichsvorschlag kann in einem so genannten ,maison de justice et du droit" unterbreitet werden. Der Person, der ein Vergleich angeboten wird, wird mitgeteilt, dass sie sich mit einem Rechtsanwalt beraten kann, bevor sie dem Vorschlag des Staatsanwalts zustimmt. Die Zustimmung wird zu Protokoll genommen. Der Täter erhält eine Abschrift des Protokolls.

Stimmt der Täter dem Vergleichsvorschlag zu, ersucht der Staatsanwalt den Gerichtspräsidenten um Bestätigung des Vergleichs. Der Staatsanwalt unterrichtet hiervon den Täter und gegebenenfalls auch das Opfer. Der Gerichtspräsident kann den Täter und das Opfer - gegebenenfalls im Beisein ihres Anwalts - anhören. Bestätigt er den Vergleich, werden die darin vorgesehenen Maßnahmen vollstreckt. Stimmt der Täter dem Vergleich nicht zu oder kommt er den Weisungen und Auflagen nicht vollständig nach, obwohl er ihnen zugestimmt hat, wird das Strafverfahren bis zu einer eventuellen Verurteilung fortgesetzt. In der Zeit zwischen der Unterbreitung des Vergleichsangebots durch den Staatsanwalt und dem für die Vollstreckung des Vergleichs gesetzten Termin ruht die Strafverfolgung. Mit der Vollstreckung des Vergleichs tritt Strafklageverbrauch ein.

In Dänemark [207] kann die Staatsanwaltschaft bei Straftaten, die mit einer Geldstrafe geahndet werden können, dem Beschuldigten die Einstellung der Strafverfolgung vorschlagen, wenn er sich für schuldig erklärt und sich verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist eine Geldstrafe zu bezahlen. Ist die zweimonatige Frist abgelaufen, um diesen Vorschlag unter Einhaltung des Dienstweges zurückzuziehen, so ist der Einstellungsbeschluss endgültig.

[207] Art. 924 StPO.

Im spanischen Recht [208] kann der Beschuldigte die vom Staatsanwalt geforderte Strafe annehmen. In diesem Fall erlässt das Gericht entsprechend der beiderseitigen Vereinbarung eine Entscheidung.

[208] Art. 655, Art. 791 Abs. 3 und Art. 793 Abs. 3 StPO.

Im finnischen Recht [209] gibt es keinen staatsanwaltlichen Vergleich im eigentlichen Sinn, doch gibt es Maßnahmen mit Vergleichscharakter, die zum Strafklageverbrauch führen können. Dabei handelt es sich um das vereinfachte Verfahren für Ordnungswidrigkeiten, bei denen der Staatsanwalt ohne Einschaltung des Gerichts eine Geldstrafe verhängen kann. Dieser Beschluss ist endgültig und rechtskräftig.

[209] Laki rangaistusmääräysmenettelystä lagen om strafforderförfarande 26.7.1993/692.

In Irland [210] gibt es verschiedene Mittel, um eine Zuwiderhandlung aus verschiedenen Gründen nicht strafrechtlich zu verfolgen, z. B. Zahlung einer Geldstrafe, die zur Einstellung des Verfahrens führt.

[210] Road Traffic Acts, 1961-1995, Litter Pollution Act, 1997, s28.

Im italienischen Recht gibt es zwar im Grunde genommen weder einen staatsanwaltlichen Vergleich noch eine Mediation in Strafsachen (außer bei Verstößen durch Minderjährige), wohl aber ein besonderes Verfahren, das so genannte patteggiamento [211]. Es handelt sich um ein besonderes Verfahren, das einen Vergleich sowohl in Bezug auf das Verfahren als auch auf die Strafe verlangt, deren Dauer zwei Jahre nicht überschreiten darf. Sowohl der Staatsanwalt als auch der Beschuldigte können das ,Patteggiamento-Verfahren" einleiten. Die Vereinbarung bedarf in jedem Fall der gerichtlichen Bestätigung.

[211] Art. 444 bis 448 StPO.

In Luxemburg wurde mit dem Gesetz vom 6. Mai 1999 in den Artikel 24 des Code d'instruction criminelle ein Absatz 5 eingefügt, nach dem der Staatsanwalt vor Einleitung der Strafverfolgung eine Mediation einleiten kann, in deren Folge die Fortsetzung der Strafverfolgung beschlossen oder der Strafklageverbrauch festgestellt werden kann.

In den Niederlanden ist der staatsanwaltliche Vergleich (,transactie") [212] in den Artikeln 74 ff. der niederländischen Strafprozessordnung geregelt. Strafklageverbrauch tritt ein, wenn der Beschuldigte die Auflagen der Staatsanwaltschaft erfuellt hat. Der Strafklageverbrauch ist in Artikel 74 Absatz 1 StPO ausdrücklich vorgesehen.

[212] iehe auch EuGH-Urteil ,Brügge" vom 11. Februar 2003 in der Rechtssache C-385/01.

In Portugal [213] kann das Verfahren vorläufig ausgesetzt werden. Dies erlaubt der Staatsanwaltschaft, die Strafverfolgung zu unterbrechen, indem sie für einen bestimmten Zeitraum bestimmte Pflichten auferlegt. Der Beschluss ist abhängig von der Zustimmung des Beschuldigten und gegebenenfalls des Nebenklägers sowie des Untersuchungsrichters. Hat der Beschuldigte die Auflagen erfuellt, wird das Strafverfahren eingestellt und kann nicht wieder aufgenommen werden.

[213] Art. 281 f. StPO und der Sonderfall des vereinfachten Verfahrens (,processo sumaríssimo") gemäß Art. 392 bis 398 StPO. Art. 282 Abs. 3 StPO.

Im Vereinigten Königreich gibt es im englischen Straßenverkehrsrecht ein vergleichsähnliches Verfahren. Bei einer ,fixed penalty notice" kann eine Strafverfolgung durch Zahlung einer Geldstrafe oder Eintragung von Strafpunkten in den Führerschein abgewendet werden. Sobald diese Bedingungen erfuellt sind, ist die Strafverfolgung beendet [214]. Es sei darauf hingewiesen, dass sich Lord Justice Auld für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von staatsanwaltlichen Vergleichsverfahren ausgesprochen hatte; sein Vorschlag wurde Mitte Juli 2002 in einem Weißbuch der englischen Regierung vorgestellt [215]. Nach schottischem Recht [216] kann der Staatsanwalt dem Beschuldigten bei Vergehen, die in die Zuständigkeit der District Courts (Bezirksgerichte) fallen, zur Vermeidung einer Strafverfolgung einen mit Auflagen verbundenen Vergleichsvorschlag (,conditional offer") unterbreiten. Nimmt der Beschuldigte den Vorschlag an, so muss er eine Geldstrafe bezahlen; nach Zahlung der Geldstrafe tritt Strafklageverbrauch ein [217].

[214] Art. 52 (1) Road Traffic Offendors Act 1988.

[215] ,A Review of the Criminal Courts of England and Wales".

[216] Art. 302 Criminal Procedure (Scotland) Act) 1995.

[217] Art. 302 Abs. 6, loc. cit.

In Schweden [218] schließlich gibt es ein Strafverfahren ohne Einschaltung des Gerichts (,strafföreläggande"), das bei leichteren Vergehen, z. B. bei Fahren unter Alkoholeinfluss und kleinen Diebstählen, angewandt wird. Nimmt der Beschuldigte die vom Staatsanwalt vorgeschlagene Strafe an (nach Zustimmung der etwaigen Opfer), so erlangt sie Rechtskraft.

[218] Kapitel 48 Artikel 4 Rättegangsbalk (StGB) von 1942.

ANHANG III

Bestandsaufnahme und vergleichende Analyse der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen

Die Verfahren zur Anwendung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen müssen von einem ständigen Streben nach einem Ausgleich zwischen dem Anspruch der Vollstreckungsbehörden auf eine wirksame Vollstreckung der verhängten Strafen und dem Interesse der Verurteilten aber auch der gesamten Gesellschaft, dass diese Vollstreckung zu Bedingungen erfolgt, die eine soziale Wiedereingliederung ermöglichen, geleitet sein.

Der offene Strafvollzug, die elektronische Überwachung und der fraktionierte Strafvollzug (,Wochenendarrest") können in einigen Mitgliedstaaten nicht nur ab initio vom erkennenden Gericht, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt von der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beschlossen (angeordnet?) werden. Diese Maßnahmen sind deshalb in Anhang I aufgeführt.

1. Strafunterbrechung

Die Unterbrechung der Strafvollstreckung - die nicht mit der bei der Urteilsverkündung verfügten Strafaussetzung zu verwechseln ist - kann erst nach Beginn der Vollstreckung gewährt werden. Die Möglichkeit der Strafunterbrechung gibt es nur in wenigen Mitgliedstaaten wie etwa Frankreich und Italien.

Gemäß Artikel 720-1 der französischen Strafprozessordnung kann, wenn der Verurteilte nur noch eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr zu verbüßen hat, diese Strafe aus wichtigen medizinischen, familiären, beruflichen oder sozialen Gründen während eines Zeitraums von höchstens drei Jahren vom Haftrichter oder, wenn die Unterbrechung mehr als drei Monate dauern soll, vom Strafgericht (,Tribunal correctionnel") unterbrochen werden.

Im italienischen Strafgesetzbuch ist in zwei Fällen Strafunterbrechung vorgesehen; dabei handelt es sich um eine obligatorische (Artikel 146 des Strafgesetzbuchs) und eine fakultative Bestimmung (Artikel 147 des Strafgesetzbuchs). Die Entscheidung über die Strafunterbrechung obliegt dem zuständigen Gericht (,Tribunale di sorveglianza"). Die zwei im Gesetz aufgeführten Möglichkeiten der Strafunterbrechung betreffen den Mutterschutz, den Schutz der Gesundheit und der Würde von AIDS-Kranken und den Schutz der Gesundheit von Häftlingen. Da sich die Bedingungen für die Gewährung von Hausarrest und für die Gewährung der Strafunterbrechung stark ähneln, deckt sich der Anwendungsbereich dieser beiden Maßnahmen meist.

2. Offener Vollzug

Diese bereits in Anhang I Nr. 3 näher beschriebene Maßnahme kann nicht nur ab initio vom erkennenden Gericht, sondern manchmal auch zu einem späteren Zeitpunkt [219] von der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beschlossen werden.

[219] Dies ist in Frankreich der Fall.

3. vorzeitige Entlassung

Unter der vorzeitigen Entlassung versteht man die Freilassung eines Verurteilten vor Ablauf seiner Freiheitsstrafe. Eine vorzeitige Entlassung kann nur während der Strafvollstreckung erfolgen. [220] Sie ist in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten vorgesehen, wenngleich ihre Merkmale und auch ihre Bezeichnung [221] je nach Mitgliedstaat verschieden sind. In vielen Mitgliedstaaten wird von einer ,bedingten Entlassung" gesprochen und damit ihr wesentliches Merkmal hervorgehoben (dass nämlich die vorzeitige Entlassung nur bei guter Führung des Freigelassenen während der Bewährungszeit bestehen bleibt), aber es gibt auch eine vorzeitige Entlassung, die nicht an Bedingungen geknüpft ist (Niederlande, Vereinigtes Königreich).

[220] Dadurch unterscheidet sie sich von der Strafaussetzung, die nur in einem Urteil verfügt werden kann.

[221] Im deutschen Recht ( 57 StGB) spricht man von der "Aussetzung des Strafrestes". Im belgischen Recht wird zwischen "liberation conditionelle" (bedingter Entlassung) und "liberation provisoire" (vorläufiger Entlassung) unterschieden. Die vorläufige Entlassung ist nicht gesetzlich vorgesehen, sondern wird in Ministerialrundschreiben geregelt. Die Voraussetzungen für die vorläufige Entlassung sind geringer als für die bedingte Entlassung, da etwa all jene, die zu einer bis zu dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, auch Rückfallstäter, nach Verbüßung eines Drittels ihrer Strafe freigelassen werden können.

In den Strafrechtsordnungen aller Mitgliedstaaten wird als Voraussetzung für die Gewährung der vorzeitigen Entlassung verlangt, dass ein ,Mindestteil" der Strafe verbüßt wurde. Dieser ,Mindestteil" wird in einigen Mitgliedstaaten als Prozentanteil der verhängten Strafe und/oder in absoluten Werten, d.h. in Monaten oder Jahren, angegeben. Bei Verurteilungen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe gelten Sonderregeln.

Bei zeitigen Freiheitsstrafen beträgt die Mindestdauer, die ein Verurteilter in Haft verbringen muss, bevor ihm eine vorzeitige Entlassung gewährt werden kann, zwischen einem Drittel (Belgien) und zwei Dritteln (Spanien) der im Urteil verhängten Strafe; die Hoechstdauer (insbesondere bei Rückfalltätern) liegt zwischen zwei Dritteln und fünf Sechsteln (Portugal) [222]. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die meisten Mitgliedstaaten als Minimum die Verbüßung der Hälfte der Strafe und als Maximum - insbesondere bei Rückfalltätern - die Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe vorsehen.

[222] Dabei handelt es sich um einen Sonderfall, in dem nur der Zeitablauf vorausgesetzt wird, Art. 61 Abs. 5 des portugiesischen Strafgesetzbuchs.

In absoluten Zahlen beträgt die Mindestdauer zwischen einem Monat (Schweden), zwei Monaten (Deutschland), drei Monaten (Belgien) und sechs Monaten (Belgien, Deutschland, Niederlande, Portugal).

Bei lebenslangen Freiheitsstrafen beträgt die Mindestdauer der Strafe, die ein Verurteilter verbüßt haben muss, damit ihm eine vorzeitige Entlassung gewährt werden kann, zwischen zehn Jahren (Belgien) und 26 Jahren (Italien). In den meisten Mitgliedstaaten ist jedoch eine Mindestdauer von 15 Jahren vorgesehen.

In einigen Mitgliedstaaten kann eine vorzeitige Entlassung nicht gewährt werden, wenn die zu vollstreckende Strafe bestimmte Merkmale in Bezug auf ihre Dauer - bis zu zwei Jahren (Deutschland [223]) bzw. vier Jahren (Frankreich) - aufweist. In anderen Ländern (z.B. Portugal) variiert die genannte Mindestdauer je nach dem Strafmaß. Sie beträgt bei einer Freiheitsstrafe unter fünf Jahren die Hälfte und bei einer Freiheitsstrafe über fünf Jahren zwei Drittel der Strafe.

[223] Dies gilt nur dann, wenn der Verurteilte nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe eine vorzeitige Entlassung erwirken möchte.

In den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sind zahlreiche Bedingungen vorgesehen, die erfuellt sein müssen, damit einem Verurteilten die vorzeitige Entlassung gewährt werden kann. Beispiele dafür sind:

-Der Verurteilte muss einwilligen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Luxemburg und Portugal).

-Der Verurteilte muss ernsthafte Bemühungen zur sozialen Wiedereingliederung unternommen haben (Frankreich).

-Der Verurteilte muss vor seiner Freilassung einen weniger strengen Vollzugsabschnitt (Spanien, Frankreich) z.B. im offenen Vollzug oder mit Freigang absolviert haben.

-Der Verurteilte muss der Strafvollzugsanstalt sein Konto ganz oder teilweise übergeben (Frankreich).

-Der Verurteilte muss sich zum Militärdienst verpflichten oder einer Einheit der Streitkräfte beitreten (Frankreich).

-Wenn es sich um einen Ausländer handelt, so muss dieser aus dem Hoheitsgebiet ausgewiesen werden (Frankreich).

-Während der Sicherungszeit (période de sûreté) ist keine bedingte Entlassung möglich.

-Die Opfer müssen entschädigt worden sein [224].

[224] Nach belgischem Recht kann das Opfer auf seinen Antrag zu den Bedingungen, die dem Verurteilten auferlegt werden können, gehört werden.

-Für Verurteilte, die mindestens 70 Jahre alt oder schwer krank sind (Spanien, Griechenland) oder die elterliche Fürsorge für ein Kind unter zehn Jahren, das bei diesem Elternteil wohnt, ausüben (Frankreich), gelten günstigere Bestimmungen.

-Der Verurteilte darf keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen (Deutschland) bzw. es dürfen keine Anzeichen für eine wesentliche Gefährdung der Gesellschaft vorliegen (Belgien). Diese Bedingung wird unter Berücksichtigung folgender Kriterien bewertet: Möglichkeiten der Wiedereingliederung des Verurteilten (Belgien), Persönlichkeit des Verurteilten (Belgien, Deutschland), Verhalten des Verurteilten während der Haft (Belgien, Spanien, Finnland, Griechenland und Italien), Gefahr der neuerlichen Begehung von Straftaten (Belgien, Deutschland), Verhalten des Verurteilten gegenüber den Opfern (Belgien) und Schwere des Delikts (Deutschland).

In den meisten Mitgliedstaaten ist die vorzeitige Entlassung bedingt, d.h. mit einer Bewährungszeit verbunden. Wenn der Verurteilte in diesem Zeitraum eine Straftat begeht, kann der Beschluss zur Gewährung der vorzeitigen Entlassung widerrufen werden. In zwei Mitgliedstaaten (Niederlande und Vereinigtes Königreich) ist die vorzeitige Entlassung jedoch nicht an eine Bewährungszeit geknüpft.

In den meisten Mitgliedstaaten wird die Bewährungszeit für den Verurteilten je nach Dauer des Strafrests zum Zeitpunkt der Freilassung bestimmt (z.B. in Belgien, Deutschland, Spanien, Finnland, Griechenland [225] und Schweden). Die Mindestdauer beträgt dabei ein Jahr (Schweden) oder (in Belgien) zwei bzw. fünf Jahre für höhere Strafen (mehr als fünf Jahre Haft), die Hoechstdauer drei Jahre (Finnland) oder zehn Jahre (Belgien). Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe beträgt die Bewährungszeit in Deutschland, Italien und Portugal fünf Jahre.

[225] Dies gilt nur dann, wenn der zu verbüßende Strafrest weniger als drei Jahre beträgt. In allen anderen Fällen beträgt die Bewährungszeit drei Jahre.

Die vorzeitige Entlassung wird im Allgemeinen an verschiedene Ver- und Gebote geknüpft. Zu den Verboten zählen: Ausübung bestimmter Berufe (Frankreich, Portugal), Aufenthalt an bestimmten Orten (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Portugal und Schweden), Wohnsitz an bestimmten Orten (Frankreich, Griechenland, Portugal), Verkehren mit bestimmten Personen (Deutschland, Frankreich, Griechenland und Portugal) oder Vereinigungen und Teilnahme an bestimmten Treffen (Portugal), Besitz bestimmter Gegenstände (Deutschland, Portugal), Lenken bestimmter Fahrzeuge (Frankreich) und Besitz oder Tragen einer Waffe (Frankreich). Zu den Geboten gehören: Wohnsitz an bestimmten Orten (Frankreich, Griechenland und Schweden), regelmäßige Meldung bei den Behörden (Deutschland, Portugal), Absolvierung einer Ausbildung (Frankreich, Schweden), einer medizinischen Behandlung (Griechenland, Schweden) mit Einwilligung des Verurteilten (Portugal), Ableistung einer gemeinnützigen Arbeit (Griechenland), Zahlung bestimmter Kosten (Frankreich, Portugal) oder von Schadenersatz (Frankreich, Portugal und Schweden), Schadenswiedergutmachung (Deutschland), Wiedergutmachung immaterieller Schäden des Opfers (Portugal), Zahlung eines Betrags an eine gemeinnützige Einrichtung (Deutschland, Portugal) oder die Staatskasse (Deutschland), Vorlage eines Programms zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess (Belgien) oder zur sozialen Wiedereingliederung (Portugal), Zahlung von Unterhalt (Deutschland, Frankreich und Griechenland) oder Unterstellung unter die Fürsorge (Belgien).

Werden die Bedingungen für eine vorzeitige Entlassung nicht eingehalten, so kann diese ausgesetzt (Belgien) oder widerrufen (Belgien, Deutschland und Frankreich) werden. Auch die Bedingungen für die vorzeitige Entlassung können geändert werden (Belgien und Deutschland). In den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten ist im Falle eines Verstoßes eine abgestufte Reaktion vorgesehen, die von einer Verwarnung (Schweden) bis zu einer Freiheitsstrafe von 15 Tagen für jeden Verstoß (Schweden) reicht.

In folgenden Bereichen weichen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten stark voneinander ab: Befugnisse der Beteiligten (Gerichte, Justizministerium, regionale oder lokale Vollstreckungsbehörde), Ermessensspielraum der zuständigen Behörden (insbesondere die Frage, ob die Entlassung fakultativ oder obligatorisch ist), Verfahren der vorzeitigen Entlassung, Möglichkeiten der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Beschluss zur Ablehnung einer vorzeitigen Entlassung, Kontrollverfahren usw.

4. Straferlass

In einigen Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich und Griechenland) ist ein Straferlass während der Vollstreckung der Strafe möglich.

In Frankreich gibt es diese Möglichkeit in verschiedener Form: eine Verringerung der ursprünglichen Strafe (diese wird bei guter Führung nahezu automatisch gewährt: sieben Tage pro Monat oder drei Monate pro Jahr) und eine Verringerung der Zusatzstrafe (vier Tage pro Monat oder zwei Monate pro Jahr der Haft, wenn der Verurteilte ernsthafte Anstrengungen zur sozialen Wiedereingliederung unternimmt, indem er insbesondere einen Schul-, Universitäts- oder Berufsabschluss erwirbt). Die Minderung der Zusatzstrafe wird auch einem Rückfalltäter gewährt (zwei Tage pro Monat oder ein Monat pro Jahr). In Griechenland hat der Gesetzgeber ein System eingeführt, nach dem jeder Arbeitstag nach Maßgabe einer Entsprechungstabelle je nach der Art der Arbeit 2 ½, 2, 1 ¾ oder 1 ½ Tagen Haft gleichgestellt wird.

In beiden Mitgliedstaaten (Frankreich und Griechenland) kann die Verringerung der Haft mit einer bedingten Entlassung verbunden werden und damit die Frist verkürzen, ab der der Verurteilte eine bedingte Entlassung beantragen kann.

5. Amnestie und Begnadigung

Die Amnestie ist eine Maßnahme, mit der bestimmte Handlungen rückwirkend ihren strafrechtlichen Charakter verlieren. Damit wird die Vollstreckung der Strafe rechtlich unmöglich oder, wenn die Vollstreckung bereits im Gange ist, mit sofortiger Wirkung beendet. Die Begnadigung ist ein Akt, mit dem bei einer rechtskräftig verurteilten Person ganz oder teilweise von der Vollstreckung der Strafe abgesehen wird. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Amnestie und Begnadigung weichen erheblich voneinander ab. Die zuständigen Behörden verfügen hier allgemein über ein sehr breites Ermessen.

ANHANG IV

Liste aller Fragen

Frage 1 (siehe 4.1): Inwieweit stellen Unterschiede zwischen den strafrechtlichen Sanktionensystemen Hindernisse für die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Bezug auf folgende Punkte dar:

1. Verlegung des Tätigkeitsfeldes von Straftätern wegen Unterschieden bei den Straftatbeständen und Strafen?

2. Hindernisse für den freien Personenverkehr?

Frage 2 (siehe 4.1.1.1): Wie könnten wesentliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Einleitung der Strafverfolgung zumindest für auf Unionsebene harmonisierte Straftaten verhindert werden?

Frage 3 (siehe 4.1.1.2): Könnten auf europäischer Ebene "Leitlinien für Strafurteile", d.h. Grundsätze für die Verhängung von Strafen unter Wahrung des richterlichen Ermessens, entwickelt werden?

Frage 4 (siehe 4.1.1.2): Sollten zuvor Fallstudien über die Praxis der Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Verhängung von Strafen durchgeführt werden?

Frage 5 (siehe 4.1.1.2): Sollte ein Informationssystem über Strafurteile als Orientierungshilfe für die Gerichte geschaffen werden?

Frage 6 (siehe 4.1.1.5): Reicht es aus, in anderen Mitgliedstaaten erlassene rechtskräftige Strafurteile anzuerkennen (und/oder einer innerstaatlichen Entscheidung gleichzustellen), damit sie das nationale Gericht als rückfallbegründend berücksichtigen kann?

Frage 7 (siehe 4.1.1.5): Sollte zuvor eine gewisse Rechtsangleichung erfolgen wie:

- Festlegung von Straftatbeständen, die systematisch berücksichtigt werden und rückfallbegründend wirken könnten (Schaffung eines europäischen Rückfalltatbestands);

- Festlegung der Arten rechtskräftiger Strafurteile, die als rückfallbegründend berücksichtigt werden könnten (Art der Entscheidung, verfügende Behörde, Art und Umfang der verhängten Strafe);

- Dauer, während der rechtskräftige Strafurteile in einem anderen Mitgliedstaat rückfallbegründend wirken könnten und Umstände, die die rückfallbegründende Wirkung einer Verurteilung neutralisieren könnten?

Frage 8 (siehe 4.1.2): Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen über die Vollstreckungsmodalitäten für freiheitsentziehende Sanktionen verringert werden, um damit insbesondere einer Diskriminierung von Straftätern vorzubeugen, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem sie die Strafe verbüßen?

Frage 9 (siehe 4.1.2): Gibt es bestimmte Kategorien der in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und/oder dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen aufgeführten Straftaten, bei denen das Strafmaß (und die Straftatbestände) vorrangig harmonisiert werden sollte?

Frage 10 (siehe 4.1.3): Inwieweit sollten die Regelungen über Geldstrafen und Geldbußen (zum Beispiel im Bereich der Wirtschaftskriminalität einschließlich der Vergehen juristischer Personen) angeglichen werden?

Frage 11 (siehe 4.1.6): Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen über die straf- und verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen verringert werden, damit insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Finanzkriminalität die Gefahr eines Standortwechsels vermieden wird?

Frage 12 (siehe 2.1.9 und 4.1.6): Sollten die in mehreren geltenden Rahmenbeschlüssen vorgesehenen Sanktionen für juristische Personen allgemein geregelt werden?

Frage 13 (siehe 4.1.7): Inwieweit sollten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen über alternative Sanktionen verringert werden, um damit insbesondere zu verhindern, dass sie in der Praxis nur auf Personen angewandt werden, die in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind?

Frage 14 (siehe 4.1.7): Welche Mechanismen könnten geschaffen werden, um die rechtlichen und praktischen Probleme zu verringern, die der gegenseitigen Anerkennung und der Vollstreckung alternativer Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen könnten?

Frage 15 (siehe 4.1.7): Inwieweit sollten auf EU-Ebene über die Anforderungen in Artikel 10 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren hinaus bestimmte Voraussetzungen für die Einleitung eines Mediationsverfahrens sowie Verfahrensmodalitäten angeglichen werden, um die Anerkennung der im Mediationsverfahren beschlossenen Maßnahmen und Vereinbarungen sowie ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat zu erleichtern? Sollte dabei mindestens Folgendes geregelt werden:

-die in Betracht kommenden Straftatkategorien?

-das Mediationsverfahren in Strafsachen?

-die Stellung der Mediatoren einschließlich ihrer Unabhängigkeit gegenüber den Organen der Justiz?

-die Ausbildung zum Mediator und die Zulassungsvoraussetzungen?

Frage 16 (siehe 4.1.7): Sollten auf Ebene der Europäischen Union Maßnahmen vorgesehen werden, um bei alternativen Verfahren und Sanktionen den Interessen der Opfer Rechnung zu tragen, und zwar auch derjenigen, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Straftat begangen wurde? Wenn ja, welche?

Frage 17 (siehe 4.1.8): Inwieweit sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Angleichung bestimmter Voraussetzungen und Anwendungskriterien für die vorzeitige Entlassung vorgesehen werden, damit die Anerkennung von Freiheitsstrafen und ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat erleichtert wird? Sollte dabei mindestens Folgendes geregelt werden:

- in Bezug auf lebenslange Freiheitsstrafen die Möglichkeit, dass sie regelmäßig im Hinblick auf eine vorzeitige Entlassung überprüft werden?

-in Bezug auf zeitige Freiheitsstrafen eine Mindesthaftdauer, die beachtet werden muss, damit eine vorzeitige Entlassung gewährt werden kann? Wenn ja, wie lange sollte die Mindesthaftdauer sein? Könnte eine Angleichung dahingehend erwogen werden, dass für zeitige Freiheitsstrafen ausgenommen bei Rückfalltätern die vorzeitige Entlassung möglich sein sollte, wenn die Hälfte der Freiheitsstrafe verbüßt wurde bzw. bei Rückfalltätern nach zwei Dritteln der Haft? - die Kriterien für die Gewährung oder Ablehnung der vorzeitigen Entlassung?

- das Verfahren der Entlassung? Sollten Verfahrensgrundsätze festgelegt werden?

- die Aufsichtsmodalitäten und die Dauer der Bewährungszeit?

- die Sanktionen bei Verletzung der mit der vorzeitigen Entlassung verbundenen Auflagen und Weisungen?

- die Verfahrensgarantien der Verurteilten?

- die Interessen der Opfer? Sollte auf Ebene der Europäischen Union festgelegt werden, dass die vorzeitige Entlassung nur dann gewährt werden darf, wenn die Opfer entschädigt worden sind oder wenn der Verurteilte ernsthafte Anstrengungen dazu unternommen hat bzw. dass die vorzeitige Entlassung widerrufen werden kann, wenn diese Bedingung nicht erfuellt wurde?

Frage 18 (siehe 4.2.1.1): Welche verurteilten Personen sollten die Möglichkeit der Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat haben: Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats, Personen, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, verurteilte Personen, die sich im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befinden, in dem sie eine freiheitsentziehende Strafe verbüßen oder verbüßen müssen? Müssen besondere Bedingungen berücksichtigt werden, damit Minderjährige und geistig Behinderte ebenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können?

Frage 19 (siehe 4.2.1.2): Ist es erforderlich, den in Mediations- oder Vergleichsverfahren getroffenen Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten eine größere Wirkung zu verleihen? Wie kann das Problem der Anerkennung und Vollstreckung solcher Vereinbarungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union am besten gelöst werden? Sollten besondere Vorschriften erlassen werden, um diese Vereinbarungen vollstreckbar zu machen? Wenn ja, vorbehaltlich welcher Garantien?

Frage 20 (siehe 4.2.2.1): Sollte das Ersuchen um Übertragung der Vollstreckung nur vom Urteilsstaat oder auch vom Vollstreckungsstaat gestellt werden können?

Frage 21 (siehe 4.2.2.2): Welche Gründe kann der Vollstreckungsstaat rechtmäßig geltend machen, um die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrechtlichen Sanktion, die in einem anderen Mitgliedstaat angeordnet wurde, auf seinem Hoheitsgebiet abzulehnen?

Frage 22 (siehe 4.2.2.2): Wenn nach den nationalen Rechtsvorschriften Geldstrafen oder Geldbußen zugleich mit Freiheitsstrafen verhängt werden können, sollte dann - unter Berücksichtigung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen - der Urteilsstaat nach wie vor das Recht haben, eine Übertragung der Vollstreckung abzulehnen, bis der Verurteilte die Geldstrafe oder Geldbuße bezahlt hat?

Frage 23 (siehe 4.2.2.2): Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die vorzeitige Entlassung könnte es vorkommen, dass ein Verurteilter unmittelbar nach seiner Überstellung in den ersuchten Staat freigelassen werden müsste. Könnte diese Möglichkeit für die betreffenden Staaten einen rechtmäßigen Grund für die Ablehnung der Überstellung darstellen?

Frage 24 (siehe 4.2.2.2): Sollte eine Mindestfrist für die Verbüßung der Strafe im Urteilsstaat festgelegt werden, um eine Freilassung unmittelbar nach Überstellung in den Vollstreckungsstaat oder eine deutliche Verringerung der Strafe, die schließlich vollstreckt wird, zu verhindern? Wie lange sollte diese Frist sein? Würde die Einführung einer Mindestfrist die Flexibilität beeinträchtigen und Lösungen im Einzelfall verhindern? Wäre es besser, entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigenausschusses über die Funktionsweise der europäischen Übereinkommen im Bereich des Strafrechts (siehe 3.2.1.5.d) einen Zeitraum von bestimmter Dauer, der mit den Zielen des Urteils im Einklang steht, festzulegen?

Frage 25 (siehe 4.2.2.2): Sollte der Vollstreckungsstaat, wenn die im Urteilsstaat verhängte Strafe nach ihrer Art oder Dauer mit seinen Rechtsvorschriften unvereinbar ist, über die Möglichkeit verfügen, die im Urteilsstaat verhängte Strafe an eine Strafe anzupassen, die in seinen Rechtsvorschriften für eine gleichartige Straftat vorgesehen ist?

Frage 26 (siehe 4.2.2.3): Sollten auf Ebene der Europäischen Union Vorschriften über die Anpassung, ( bzw. Umwandlung oder Ersetzung) angenommen werden oder sollte die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats hier Handlungsfreiheit haben?

Frage 27 (siehe 4.2.2.3): Könnte der Vorschlag des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, nach einer bestimmten Analyse- und Bewertungsmethode einen funktionalen Vergleich der Strafen oder (alternativen) Maßnahmen des Urteils- und des Vollstreckungsstaats vorzunehmen, eine Lösung darstellen? Welche Nachteile hat diese Vorgehensweise? Wie könnte ihnen begegnet werden?

Frage 28 (siehe 4.2.2.4): Sollte für die Übertragung der Vollstreckung eines Strafurteils der Antrag, die Zustimmung oder lediglich die Anhörung des Verurteilten erforderlich sein? Fällt die Antwort auf diese Frage anders aus, wenn der Verurteilte bereits einen Teil seiner Freiheitsstrafe im Urteilsstaat verbüßt hat?

Frage 29 (siehe 4.2.2.5): Wie können die Interessen der Opfer bei der Übertragung der Strafvollstreckung berücksichtigt werden? Sollte die Unterrichtung (über das Vorliegen eines Anerkennungs- und Überstellungs ersuchens sowie über den Ausgang des Verfahrens), die Anhörung oder sogar die Zustimmung des Opfers gegebenenfalls als Bedingung für die Übertragung der Vollstreckung vorgesehen werden?

Frage 30 (siehe 4.2.3): Sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Frist für die Entscheidung über die Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere für die Bearbeitung von Ersuchen um Überstellung von Häftlingen festgelegt werden? Wenn ja, wie lange sollte diese Frist sein?

Frage 31 (siehe 4.2.3): Sollte angesichts des Verwaltungsaufwands für die Bearbeitung von Ersuchen um Überstellung von Häftlingen auf Ebene der Europäischen Union vorgesehen werden, dass nur jene Häftlinge, die zu Freiheitsstrafen von einer bestimmten Mindestdauer verurteilt wurden oder die noch eine Freiheitsstrafe von einer bestimmten Mindestdauer zu verbüßen haben, eine Überstellung beantragen können? Wenn ja, welche Dauer wäre angemessen?

Frage 32 (siehe 4.2.3): Sollte auf Ebene der Europäischen Union eine Frist für die Beantwortung von Informationsersuchen, die im Rahmen der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und insbesondere der Überstellung von Häftlingen erforderlich sind, festgelegt werden?

Frage 33 (siehe 4.2.3): Welche einfachen und effizienten Strukturen sollten angesichts der komplexen und unterschiedlichen Justiz- und Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten für die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und die Überstellung von Häftlingen geschaffen werden?

Frage 34 (siehe 4.2.3): Sollte auf Ebene der Europäischen Union ein einheitliches Formular zur Erleichterung der Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und der Überstellung von Häftlingen eingeführt werden?

Frage 35 (siehe 4.2.3): Sollte der Vollstreckungsstaat die Erstattung der Kosten für die Vollstreckung der von ihm anerkannten Strafen verlangen können?

Frage 36 (siehe 4.2.3): Sollte ein Netz an Kontaktstellen eingerichtet werden, um die praktische Anwendung eines möglichen Rechtsakts der Europäischen Union über die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen und die Überstellung von Häftlingen zu erleichtern oder sogar zu deren Bewertung beizutragen?

Frage 37 (siehe 4.2.4): Besteht bei der Anerkennung einer freiheitsentziehenden oder einer alternativen Sanktion Grund dafür, von der allgemeinen Regel abzuweichen, nach der sich die Vollstreckung vollständig nach dem Recht des Vollstreckungsstaats richtet?

Frage 38 (siehe 4.2.4): Sollte der Urteilsstaat, wenn die Überwachung der Bedingungen für eine Strafaussetzung vom Vollstreckungsstaat vorgenommen wird, die Möglichkeit haben, sich zu vergewissern, dass der Verurteilte die Bedingungen für die Strafaussetzung einhält? Welches Verfahren sollte dazu angewandt werden?

Frage 39 (siehe 4.2.4.): Welcher der beiden Staaten (Urteilsstaat oder Vollstreckungsstaat) sollte das Amnestie- oder Gnadenrecht ausüben können?