52003AE0755

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte" (KOM(2003) 92 endg. — 2003/0037 (COD))

Amtsblatt Nr. C 220 vom 16/09/2003 S. 0072 - 0076


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte"

(KOM(2003) 92 endg. - 2003/0037 (COD))

(2003/C 220/15)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 19. März 2003, gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten betraute Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Juni 2003 an. Berichterstatter war Herr Chagas, Mitberichterstatterin war Frau Bredima-Savopoulou.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 400. Plenartagung am 18. und 19. Juni 2003 (Sitzung vom 19. Juni) mit 96 gegen 6 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Wie bereits in der Kommissionsmitteilung zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang des Öltankschiffs Prestige(1) angekündigt, schlägt die Kommission vor, das Netz an Bestimmungen betreffend die von Schiffen ausgehende Meeresverschmutzung engmaschiger zu gestalten. Ein Großteil der weltweiten Ölverschmutzung durch Schiffe wird durch vorsätzliche Einleitungen ins Meer verursacht. Die "betriebliche", d. h. absichtliche Einleitung durch Schiffe wird auf hoher See noch weitgehend praktiziert. Angesichts der Häufung schwerer Zwischenfälle und der anhaltenden bewussten Einleitungen ins Meer schlägt die Kommission eine Richtlinie vor, nach der Einleitungen, die die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft verletzen, als Delikt angesehen werden und mit Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, geahndet werden, wenn die betreffenden Personen als schuldig befunden wurden, den Tatbestand verursacht oder daran willentlich oder grob fahrlässig beteiligt gewesen zu sein.

1.2. Nach Einschätzung der Kommission kommt der Einführung angemessener Sanktionen für Verschmutzungsdelikte im Zusammenhang mit der Meeresverschmutzung durch Schiffe besondere Bedeutung zu, da die internationalen Haftpflichtsysteme für durch Schiffe verursachte Verschmutzungsereignisse erhebliche Mängel hinsichtlich ihrer abschreckenden Wirkung aufweisen, vor allem weil der Verursacher nahezu immer seine Haftung begrenzen kann. Deswegen schlägt die Kommission eine Abschreckung in Form strafrechtlicher Sanktionen vor.

1.3. Der Rat Verkehr und Telekommunikation begrüßte auf seiner Tagung vom 6. Dezember 2002 die Absicht der Kommission, einen diesbezüglichen Vorschlag zu unterbreiten, außerdem räumte der Rat Justiz und Inneres vom 19. Dezember 2002 ein, dass weitere Maßnahmen geprüft werden sollten, "mit denen der Umweltschutz, insbesondere auf See, durch das Strafrecht verstärkt werden kann".

1.4. Die Kommission teilt die Auffassung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Dringlichkeit dieses Vorschlags, und zwar unbeschadet einer allgemeineren Regelung über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt.

1.5. Der Europäische Gipfel vom 20. und 21. März 2003 plädierte für die Annahme - auf der Grundlage des kürzlich vorgelegten Kommissionsvorschlags - eines Systems von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte vor Ende 2003 unter Rückgriff auf die geeignete Rechtsgrundlage.

2. Der Kommissionsvorschlag

2.1. Die vorgeschlagene Richtlinie umfasst zwei Komponenten:

a) Zum einen werden Regeln für die von Schiffen verursachte Einleitung von Schadstoffen ins Meer in das Gemeinschaftsrecht aufgenommen und die Anwendung dieser Regeln im Einzelnen vorgeschrieben. Die von der Richtlinie erfassten Schadstoffe sind Öl sowie andere schädliche oder giftige fluessige Stoffe. Die Richtlinie erstreckt sich auf Verstöße, die in EU-Häfen, Hoheitsgewässern, in einer ausschließlichen Wirtschaftszone oder auf hoher See begangen werden.

b) Zum anderen legt die Richtlinie fest, dass es sich bei Verstößen gegen die Regeln für die Einleitungen um Delikte handelt, und sie enthält Leitlinien für die Art der zu verhängenden Sanktionen. Die Sanktionen können gegen jedwede natürliche oder juristische Person (sprich den Schiffseigentümer, den Eigentümer der Fracht, die Klassifikationsgesellschaft oder andere beteiligte Personen) verhängt werden.

2.2. Der Richtlinienvorschlag sieht folgende Arten von Sanktionen einschl. strafrechtlicher Sanktionen vor: Geldbußen, Einziehung von Erträgen, Untersagung der Ausübung kommerzieller Tätigkeiten, gerichtlich angeordnete Überwachung, gerichtlich angeordnete Liquidation, Verbot des Zugangs zu staatlichen Zuschüssen oder Beihilfen sowie Freiheitsentzug.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Die Schaffung eines Regelwerk, das von Meeresverschmutzung abschreckt, ist zu begrüßen. Der Austritt bzw. die Einleitung von Öl oder anderen Schadstoffen aus Schiffen ins Meer kann in der Praxis eine Vielzahl von Ursachen haben, die von "betriebsbedingten" Einleitungen, die bewusste Verstöße gegen das internationale Recht darstellen, bis zu unbeabsichtigten Austritten mit geringem Verschuldensgrad reichen.

3.1.1. Bei der Beschäftigung mit den Ursachen der Meeresverschmutzung durch Schiffe wird im internationalen Recht bereits seit langem unterschieden zwischen betrieblichen Einleitungen und unbeabsichtigten Schadstoffaustritten aus Schiffen. Die Begründung zum Kommissionsvorschlag enthält Aussagen, die betriebliche Einleitungen als "inakzeptable Praxis" ausweisen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Einleitungen, die gegen das MARPOL-Abkommen verstoßen, nicht hinnehmbar sind und geahndet werden sollten, wenn sie in gesetzwidriger Weise erfolgen. Wenn sich herausstellt, dass widerrechtliche betriebliche Einleitungen nicht geahndet werden, spricht nichts gegen Maßnahmen zur effizienteren Anwendung der MARPOL-Durchführungsbestimmungen in den Mitgliedstaaten.

3.2. Im Abkommen wird klargestellt, dass betriebliche Einleitungen unter Einhaltung der MARPOL-Beschränkungen zulässig sind. Die Idee, solche Einleitungen völlig auszuschließen, wird sich nur dann in die Praxis umsetzen lassen, wenn die Mitgliedstaaten zumindest die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass genügend Auffanganlagen zur Verfügung stehen, so dass derartige Einleitungen entbehrlich sind. In der vorgeschlagenen Richtlinie bleibt das Problem der unzureichenden Auffangeinrichtungen und deren Nutzung völlig außen vor.

3.2.1. Gemäß (Artikel 13) der Richtlinie 2000/59/EG über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle und Ladungsrückstände(2) legen die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die im Rahmen dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften Sanktionen fest und ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um die Anwendung dieser Sanktionen zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Anforderungen der Richtlinie wurde allerdings in einigen Mitgliedstaaten noch immer nicht vollständig in einzelstaatliches Recht umgesetzt. Diese Situation kann der Einleitung von Schadstoffen ins Meer Vorschub leisten. Der EWSA stellt fest, dass die Kommission gegen die betreffenden Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtbefolgung der besagten Richtlinie eingeleitet hat.

3.2.2. Angesichts dieses Sachverhalts sollte die Kommission eine Bestandsaufnahme darüber aufstellen, inwieweit die EU-Mitgliedstaaten der Richtlinie 2000/59/EG nachgekommen sind, und die betreffenden Mitgliedstaaten sollten mit dem Hinweis auf die am 28. Dezember 2002 verstrichene Frist für die Umsetzung der Richtlinie dringlichst aufgefordert werden, umgehend tätig zu werden, um der Richtlinie nachzukommen.

3.2.3. Da bereits wiederholt bei widerrechtlichen Einleitungen die Verursacher nicht ermittelt werden konnten, müssen verunreinigende Schiffe per Satellit und durch die Installierung automatischer Identifizierungssysteme ausfindig gemacht werden.

3.3. Entsprechend dem MARPOL-Übereinkommen sieht die vorgeschlagene Richtlinie keine Sanktionen für Einleitungen vor, die auf Schäden am Schiff oder seiner Ausrüstung zurückzuführen sind. Die nach dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen gelten nur für rechtswidrige Einleitungen und werden nur dann verhängt, wenn die Verschmutzung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Beteiligten zurückzuführen ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass "grobe Fahrlässigkeit" in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird.

3.4. Alle Mitgliedstaaten haben das MARPOL-Übereinkommen ratifiziert und sind (aufgrund der Regeln 9 und 10 der Anlage I zum MARPOL-Übereinkommen, der Regel 5 der Anlage II zum MARPOL-Übereinkommen sowie der Artikel 4 und 6) bereits verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Verstöße mit strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden. Die vorgeschlagene Richtlinie sieht eine einheitliche Anwendung bezüglich sämtlicher Mitgliedstaaten vor und bezieht in den Kreis der Verantwortlichen auch andere beteiligte Seiten ein als nur den Kapitän, der in vielen Fällen möglicherweise gegen seinen Willen oder unbewusst in solche Vorfälle verwickelt wird.

3.4.1. Mit der Richtlinie wird erklärtermaßen eine bessere Um- und Durchsetzung des MARPOL-Übereinkommens in den Mitgliedstaaten bezweckt, ohne dass in der Kommissionsvorlage aber ausgemacht wird, inwieweit die geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in der EU diesbezüglich Schwachstellen aufweisen. In seiner Stellungnahme zum zweiten Erika-Maßnahmenpaket(3) forderte der EWSA die Kommission auf, eine Bestandsaufnahme der (entsprechend den im MARPOL-Übereinkommen vorgesehenen Sanktionen) geschaffenen einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten zu erstellen. Daher betont er noch einmal, dass dringend eine Vergleichsstudie der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erstellt werden sollte, um ein klares Bild der Sanktionspraxis in der EU zu bekommen.

3.5. Die vorgeschlagene strafrechtliche Ahndung unfallbedingter Ölverluste außerhalb der Küstengewässer eines Mitgliedstaats wird in der Begründung der Kommissionsvorlage nicht näher dargelegt. Das UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) bewirkt jedoch erhebliche Beschränkungen bezüglich unfallbedingter Meeresverschmutzungen. Durch die Mitwirkung mehrerer Staaten an einem Netzwerk des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit im Bereich der Durchsetzung der Regeln kann jedoch erhebliches getan werden, um den Bestimmungen des MARPOL-Übereinkommens mehr Nachdruck zu verleihen.

3.6. Die vorgeschlagene Richtlinie stützt sich auf Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags als Rechtsgrundlage. Der EWSA weist darauf hin, dass der Europäische Gipfel eine "geeignete Rechtsgrundlage" für den Richtlinienentwurf gefordert hat. Es ist nicht ganz klar, ob die vorgeschlagene Richtlinie im Kontext des ersten oder des dritten Pfeilers hätte unterbreitet werden sollen. Der EWSA stellt fest, dass die Zuständigkeit der Gemeinschaft für Sanktionen im Umweltbereich gegenwärtig vom Europäischen Gerichtshof geprüft wird. Der EWSA erinnert an seine frühere Stellungnahme, in der er die Meinung vertrat, dass die Gemeinschaft sehr wohl eine diesbezügliche Zuständigkeit besitzt. Da diese Frage jedoch vor Gericht anhängig ist, möchte der EWSA davon absehen, eine diesbezügliche Rechtsgrundlage anzuregen. Der EWSA nimmt den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe(4) zur Kenntnis. Er möchte die Kommission auffordern, die verwendete Terminologie unter Betrachtung ihres jetzigen Richtlinienvorschlags, des besagten Rahmenbeschlusses sowie des Vorschlags für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt(5) auf Widersprüchlichkeiten zu überprüfen.

3.7. Es ist ein wesentliches Menschenrechtsprinzip, dass Maßnahmen, die die Grundrechte und -freiheiten des Einzelnen berühren, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Genüge tun müssen. Dies bedeutet, dass sie nicht über Maßnahmen hinausgehen sollten, die vernünftigerweise als erforderlich anzusehen sind, um das legitime Ziel des betreffenden Regelwerks (sprich in diesem Fall die Verhütung von Meeresverschmutzung) erreichen zu können. Der EWSA fordert den Rat, das Europäische Parlament und die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass bei Maßnahmen gegen der Verschmutzung bezichtigte Personen alle gesetzlichen Garantien für die Achtung der Menschenrechte, ein ordentliches Verfahren, die Unschuldsvermutung bezüglich des Beschuldigten und den Rechtsbehelf gegeben sind.

3.7.1. Der EWSA macht auf die schwache Position der Seeleute aufmerksam und verweist in diesem Zusammenhang auf Artikel 292 SRÜ(6) ("Sofortige Freilassung von Schiffen und Besatzungen") und fordert, dass der Rat und die Kommission umgehend Vorschläge für den Schutz von Kapitänen und anderen Besatzungsmitgliedern ausarbeiten.

3.7.2. Das Risiko eines unverhältnismäßigen Vorgehens gegen Kapitäne und Seeleute wird noch durch die Tatsache erhöht, dass sie bezüglich des betreffenden Schiffes die einzigen Personen sind, die physisch im betreffenden Rechtsraum präsent sind. Bei den Untersuchungen wird sich später möglicherweise herausstellen, dass der Grad ihrer Verantwortung verhältnismäßig gering war.

3.7.3. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, bei denen es zu Ölverschmutzungen nach Grundberührungen von Schiffen in Hafennähe kam, die hauptsächlich oder maßgeblich auf die Fahrlässigkeit von Lotsen oder Hafenbehörden zurückzuführen waren. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass Seeleute mit überzogenen Mitteln verfolgt werden. Bei einer solchen Stimmungslage ist es schwer, die richtige Balance zwischen den Rechten der Beschuldigten und den spürbaren Erwartungen der breiten Öffentlichkeit zu finden.

3.7.4. Ein weiteres potentielles Problem bei der Kriminalisierung von Seeleuten ist die Tatsache, dass weltweit eine Knappheit an fachlich qualifizierten Seeleuten besteht und die einzelstaatlichen Reederverbände, Seemannsgewerkschaften, Seeverkehrsverwaltungen und die Europäische Kommission seit Jahren nach Möglichkeiten suchen, neue Anwärter für den Seemannsberuf zu interessieren. Die weitverbreiteten Medienberichte über die Inhaftierung von Seeleuten nach Meeresverschmutzungszwischenfällen werden begabten jungen Menschen diese Berufswahl unattraktiv erscheinen lassen und auf lange Sicht dem Ziel einer größeren Seeverkehrssicherheit entgegenwirken.

3.7.5. Es müssen drei grundsätzliche Garantien gegeben sein, damit die strafrechtlichen Bestimmungen betreffend Meeresverschmutzungen nicht unverhältnismäßig die Menschenrechte beeinträchtigen:

a) Es sollte anerkannt werden, dass die Zuweisung einer strafrechtlichen Verantwortung an eine Person ein schwerwiegender Akt ist und nicht in einer Weise geschehen sollte, die in keinem Verhältnis zu der kritisierten Verhaltensweise oder dem Ziel der Verschmutzungsverhütung steht.

b) Wenn eine strafrechtliche Verantwortung zugewiesen wird, sollte die Sanktion im angemessenen Verhältnis zu der Schuldhaftigkeit des Täters stehen.

c) Solange die gerichtliche Behandlung der strafrechtlichen Handlung nicht abgeschlossen ist, sollten der Rechtsanspruch des Beklagten auf Unschuldsvermutung und seine Rechte in Bezug auf Freiheit und Freizügigkeit respektiert werden.

3.8. Falls "grobe Fahrlässigkeit" vorliegt, muss die Beweislast groß genug sein; wenn die Prüfung der Haftbarkeit ohne solche Garantien erfolgen würde, wäre ein hoher Grad an Subjektivität, Ermessensspielraum und Unsicherheit gegeben. Bei der Stimmungslage, die sich nach einem ernsten Fall von Meeresverschmutzung einstellt, ist eine Prüfung dieser Art durchaus dazu geeignet, die Beschuldigten dem Risiko einer strafrechtlichen Verurteilung auszusetzen, mit der die öffentliche Empörung über die Folgen des Unfalls bekundet werden soll, die aber in keinem Verhältnis zu der Schuldhaftigkeit der Angeklagten steht.

3.9. In der Richtlinie sollte auch klargestellt werden, dass die strafrechtliche Verantwortung nur bezüglich des persönlichen Fehlverhaltens der Beschuldigten zugewiesen werden kann, wer immer diese auch sein mögen. Die strafrechtliche Haftung für Handlungen oder Unterlassungen Dritter sollte wirklich nur denjenigen Parteien zugewiesen werden, die sie tatsächlich begangen haben (beispielsweise im Falle von Navigationsfehlern), es sei denn, dass deren Handlungen oder Unterlassungen zum Fehlverhalten der Beschuldigten beigetragen haben.

3.10. Wenn eine strafrechtliche Haftung zugewiesen wird, sollte die Strafe im angemessenen Verhältnis zum Schweregrad des Vergehens stehen. Ein undifferenziert auf Vergeltung angelegtes System nötigt kaum Respekt ab und trägt, wenn überhaupt, nur wenig zur Verschmutzungsverhütung bei.

4. Besondere Bemerkungen

4.1. Präambel

Die Präambel besagt u. a., dass "Maßnahmen strafrechtlicher Art ... unabhängig von der Haftpflicht der betroffenen Parteien" sind. Im Interesse der rechtlichen Klarheit sollte nach Ansicht des EWSA im verfügenden Teil der Richtlinie ausdrücklich festgeschrieben werden, dass Bestrafung nicht mit Entschädigung zu verwechseln ist. Andernfalls besteht die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten, die das internationale Zivilhaftungs- und Entschädigungssystem in Unordnung brächten.

4.2. Artikel 2 Absatz 4

Von der Begriffbestimmung "Schiff" im Sinne der vorgeschlagenen Richtlinie werden Freizeitschiffe offensichtlich nicht erfasst. Jüngsten Statistiken zufolge gelangt aber mehr Öl aus Freizeitschiffen als aus allen sonstigen Seeverkehrsquellen zusammengenommen ins Meer(7), soweit es nicht um schwere Seeverkehrsunfälle geht. Da Freizeitschiffe vom MARPOL-Übereinkommen nicht erfasst werden, möchte der EWSA die Kommission auffordern, in nächster Zukunft in einem gesonderten Rechtsinstrument die Ahndung von Meeresverschmutzungen durch Freizeitschiffe zu regeln.

4.3. Artikel 2 Absatz 6 und Artikel 6

Von der Bestimmung des Begriffs "juristische Person" werden in der vorgeschlagenen Richtlinie "Staaten und sonstige Gebietskörperschaften, die in Ausübung ihrer Prärogative der öffentlichen Hand und im Namen öffentlicher internationaler Organisationen handeln" ausgenommen. Was die Personen angeht, die nach der neuen Regelung rechtlich verfolgt werden können, sieht Artikel 6 Sanktionen lediglich gegen Personen vor, die privatrechtliche kommerzielle Interessen im Zusammenhang mit der Schifffahrt repräsentieren (sprich der Schiffseigentümer, der Eigentümer der Fracht, die Klassifikationsgesellschaft). Es gab aber in Europa und auch anderswo bereits zahlreiche Fälle von Meeresverschmutzung, die in der Hauptsache oder maßgeblich auf Fehlverhalten von Lotsen, Hafenverwaltungen oder anderen öffentlichen Behörden zurückzuführen waren. Nach Meinung des EWSA sollte ausdrücklich vorgesehen werden, dass in solchen Fällen auch gegen diese Personen Sanktionen verhängt werden können.

4.4. Artikel 6 Absatz 1

Der EWSA erinnert an seine Stellungnahme(8) zu dem Vorschlag für eine Verordnung über die Einrichtung eines Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzung in europäischen Gewässern (Zweites Erika-Maßnahmenpaket), in der er ins Feld führte, dass der Ausdruck "grob fahrlässige Handlung oder Unterlassung" möglicherweise für die Aufnahme in ein Rechtsinstrument der Gemeinschaft nicht ausreichend präzise ist und bereits gut etablierte und funktionierende rechtliche Regelungen beeinträchtigen könnte, wie etwa das MARPOL-Übereinkommen. Bei einigen Rechtssystemen gibt es Schwierigkeiten bezüglich des Begriffs der "groben Fahrlässigkeit", der in den verschiedenen amtsprachlichen Übersetzungen unterschiedliche Bedeutungsinhalte aufweist. Im Zusammenhang mit unfallbedingten Ölverlusten ist der Begriff "grobe Fahrlässigkeit" möglicherweise ein unbefriedigendes Kriterium für die Beurteilung der strafrechtlichen Haftung. Außerdem wird im MARPOL-Übereinkommen eindeutig klargestellt, dass Öleinleitungen ins Meer keinen Verstoß gegen internationales Recht darstellen, wenn sie auf Schäden am Schiff oder seiner Ausrüstung zurückzuführen sind. Die EWSA möchte die Kommission auffordern, die beiden Aspekte noch einmal zu überdenken, und zwar:

- die Bestimmung des Begriffs "grobe Fahrlässigkeit" dergestalt, dass eine angemessenere Definition gefunden wird, deren Wirkung nicht hinter dem mit der Richtlinie angestrebten Effekt zurückbleibt und eine einheitliche Auslegung und Anwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet, und

- die Zweckmäßigkeit der Einbeziehung der unfallbedingten Meeresverschmutzung in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

4.4.1. Artikel 6 Absatz 5

Die Liste der vorgesehenen Sanktionen geht sehr weit und sollte unter dem Aspekt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit noch einmal überdacht werden.

4.4.2. Artikel 6 Absatz 6

Bezüglich der Bestimmung "Bußgelder sind nicht versicherbar" sieht der EWSA keinen Anwendungsbereich, weswegen dieser Absatz auch gestrichen werden sollte. Genauer gesagt sollte unterschieden werden zwischen bewusster und unfallbedingter Meeresverschmutzung. Bei bewusster Meeresverschmutzung sind aufgrund der in den Versicherungsverträgen verankerten Bedingungen Bußgelder nicht versicherbar. Hingegen sollten Bußgelder für unfallbedingte Meeresverschmutzungen sehr wohl versichert werden können.

5. Schlussfolgerungen

5.1. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass mit der vorgeschlagenen Richtlinie der Schutz der Umwelt durch strafrechtliche Bestimmungen bezweckt wird.

5.2. In der Überzeugung, dass die Umweltkriminalität bekämpft werden muss, unterschreibt der EWSA die Hauptzielsetzung der vorgeschlagenen Regelung, dafür Sorge zu tragen, dass jedwede Seite, bei der festgestellt wird, dass sie bewusst oder grob fahrlässig Meeresverschmutzung verursacht oder zur Meeresverschmutzung beigetragen hat, mit den betreffenden Sanktionen belegt wird.

5.3. Die EWSA möchte die Kommission auffordern, die folgenden Aspekte noch einmal zu überdenken, und zwar:

- die Bestimmung des Begriffs "grobe Fahrlässigkeit" dergestalt, dass eine angemessenere Definition gefunden wird, deren Wirkung nicht hinter dem mit der Richtlinie angestrebten Effekt zurückbleibt und eine einheitliche Auslegung und Anwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet, und

- die Zweckmäßigkeit der Einbeziehung der unfallbedingten Meeresverschmutzung in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

5.4. Der EWSA fordert eindringlichst, dass die Sanktionen nicht unverhältnismäßig sein sollten. Er schlägt außerdem vor, im verfügenden Teil der Richtlinie ausdrücklich festzuschreiben, dass Bestrafung nicht mit Entschädigung zu verwechseln ist.

5.5. Bezüglich der Bestimmung "Bußgelder sind nicht versicherbar" sieht der EWSA keinen Anwendungsbereich, weswegen dieser Absatz auch gestrichen werden sollte. Genauer gesagt sollte unterschieden werden zwischen bewusster und unfallbedingter Meeresverschmutzung. Bei bewusster Meeresverschmutzung sind aufgrund der in den Versicherungsverträgen verankerten Bedingungen Bußgelder nicht versicherbar. Hingegen sollten Bußgelder für unfallbedingte Meeresverschmutzungen sehr wohl versichert werden können.

5.6. Es besteht das Risiko eines unverhältnismäßigen Vorgehens gegen Kapitäne und Seeleute, weil sie bezüglich des betreffenden Schiffes häufig die einzigen Personen sind, die physisch im betreffenden Rechtsraum präsent sind. Die Kommission sollte daher Vorschläge für die Behandlung und den Schutz von Kapitänen und Seeleuten bei Zwischenfällen dieser Art ausarbeiten und dabei Artikel 292 ("Sofortige Freigabe von Schiffen und Besatzungen") des Seerechtsübereinkommens gebührend berücksichtigen.

5.7. Für die Bewertung des Anwendungsbereichs der vorgeschlagenen Richtlinie sollte die Europäische Kommission dringlichst eine Bestandsaufnahme der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Sanktionierung von Meeresverschmutzungen (entsprechend dem MARPOL-Übereinkommen) und genaue Informationen darüber vorlegen, inwieweit die EU-Mitgliedstaaten der Richtlinie 2000/59/EG über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle und Ladungsrückstände nachgekommen sind.

Brüssel, den 19. Juni 2003.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger Briesch

(1) KOM(2002) 681 endg.

(2) ABl. L 332 vom 28.12.2000, S. 81.

(3) ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 54.

(4) KOM(2003) 227 endg. vom 2.5.2003.

(5) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, von der Kommission am 13.3.2001 vorgelegt (ABl. C 180 E vom 26.6.2001, S. 238) in seiner geänderten Fassung vom 30. September 2002 (ABl. C 20 E vom 28.1.2003, S. 284).

(6) Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.

(7) Zahlenwerte der GESAMP: (Expertengruppe der Vereinten Nationen zu wissenschaftlichen Aspekten von marinen Verschmutzungen): z. B. 68 % durch Freizeitschiffe, 18 % gewerbliche Schifffahrt und 14 % durch Unfälle/Lasttankspülungen von Tankschiffen/Raffinerien in Küstennähe/kriegsbedingte Unfälle/natürliche Austritte (2003).

(8) ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 54.