52002DC0196

Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht /* KOM/2002/0196 endg. */


GRÜNBUCH über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht

(Vorlage der Kommission)

INHALTSVERZEICHNIS

Ziel des Grünbuchs

zusammenfassung

1. Überblick

1.1 Vielfalt der Systeme

1.2 Für einen besseren Zugang zum Recht

1.3 Eine politische Priorität

1.4 Ein aktuelles Thema

1.5 Die internationale Dimension

1.6 Ein wegweisender Auftrag

2. Orientierung an bereits laufenden Arbeiten

2.1 In den Mitgliedstaaten

2.1.1 ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens

2.1.2 Nichtgerichtliche ADR-Verfahren

2.2 Auf Ebene der Europäischen Union

2.2.1 Orientierung an Initiativen im Verbraucherrecht

2.2.2 Die Initiativen im Bereich Familienrecht nutzbar machen

2.2.3 Maßnahmen zur Förderung von ADR auf dem Gebiet des Arbeitsrechts

3. Die Qualität von ADR gewährleisten

3.1 Mögliche Ansätze

3.2 Globaler Ansatz

3.2.1 ADR und Rechtsschutz

3.2.1.1 Inanspruchnahme von ADR

3.2.1.2 Verjährungsfristen

3.2.2 Qualitätsmindestnormen

3.2.2.1 Vertraulichkeit

3.2.2.2 Gültigkeit der Einigung

3.2.2.3 Effizienz der alternativen Streitbeilegung

3.2.3 Welche Stellung für ADR-Verantwortliche-

3.2.3.1 Ausbildung der ADR-Verantwortlichen

3.2.3.2 Zulassung der ADR-Verantwortlichen

3.2.3.3 Haftung der ADR-Verantwortlichen

Die Fragen im Überblick

Ziel des Grünbuchs

Auf der Grundlage dieses Grünbuchs soll eine umfassende Konsultation zu rechtlichen Fragen eingeleitet werden, die sich im Zusammenhang mit der alternativen Streitbeilegung auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts stellen.

Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen sowie allgemeine Stellungnahmen können vorzugsweise bis zum 15. Oktober 2002 an folgende Anschrift gerichtet werden:

Europäische Kommission

Generaldirektion Justiz und Inneres

Referat A3 - Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen

LX 46 5/152

Rue de la Loi 200

B-1049 Brüssel

Belgien

Fax: (+32-2) 299 64 57

E-Mail: JAI-coop-jud-civil@cec.eu.int

Die Kommission plant Anfang des Jahres 2003 eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema.

zusammenfassung

Die alternativen Formen der Streitbeilegung im Bereich des Zivil- und Handelsrechts (in diesem Grünbuch mit dem englischen Akronym "ADR" für "Alternative Dispute Resolution" bezeichnet), stoßen in der Europäischen Union auf zunehmendes Interesse.

Die alternative Streitbeilegung hat in der Praxis an Bedeutung gewonnen, was für den Bürger insofern von Vorteil ist, als er auf diese Weise einen besseren Zugang zum Recht erhält.

Die Mitgliedstaaten verfolgen die alternative Streitbeilegung mit besonderem Interesse, das sich mitunter in gesetzgeberischen Aktivitäten konkretisiert.

Für die Institutionen der Europäischen Union schließlich stellt die alternative Streitbeilegung eine - mehrfach bekräftigte - politische Priorität dar. Es ist an ihnen, diese Art der Konfliktlösung zu fördern, die für ihre Entfaltung günstigsten Rahmenbedingungen zu schaffen und sich für die Qualitätssicherung einzusetzen. Diese politische Priorität ist vor allem im Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft unterstrichen worden. Die Bedeutung der neuen Online-Schlichtungssysteme ("ODR" für "Online Dispute Resolution") für die Beilegung grenzübergreifender Streitigkeiten über das Internet ist allgemein anerkannt.

Dieser besondere Hintergrund erklärt das politische Mandat, das diesem Grünbuch zugrunde liegt. Der Rat hatte die Kommission gebeten, ein Grünbuch erstellen, das einen Überblick über die derzeitige Lage geben und als Grundlage für eine umfassende Konsultation über die zu treffenden konkreten Maßnahmen dienen soll.

Dieses Grünbuch bietet die Gelegenheit, die alternative Streitbeilegung der breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen und gleichzeitig die in diesem Bereich auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft unternommenen Initiativen und Arbeiten in einem deutlicheren Licht erscheinen zu lassen.

Im Wege der auf der Grundlage dieses Grünbuchs laufenden Konsultationen sollen sowohl allgemeine Stellungnahmen der interessierten Kreise als auch präzise Antworten zu den gestellten Fragen eingeholt werden.

Diese Fragen sind rechtlicher Natur und beziehen sich auf die entscheidenden Aspekte des ADR-Verfahrens wie Klauseln zur Inanspruchnahme von ADR, Verjährungsfristen, Vertraulichkeit, Gültigkeit der Einigung, Wirksamkeit der aus ADR-Verfahren hervorgegangenen Vereinbarungen, Ausbildung, Zulassung und Haftung der ADR-Verantwortlichen.

Bei der Festlegung der politischen Vorgaben für die kommenden Jahre, die ihr als Initiatorin sowohl legislativer als auch administrativer Maßnahmen zukommt, wird die Kommission alle Beiträge gebührend berücksichtigen.

1. Überblick

1.1 Vielfalt der Systeme

(1) Seit einigen Jahren ist in den Mitgliedstaaten die Tendenz festzustellen, dass vermehrt auf Verfahren der sogenannten alternativen Streitbeilegung, die als Methode der einvernehmlichen Konfliktlösung eine langjährige Tradition haben, zurückgegriffen wird. Das Interesse an diesen auf Konsens basierenden Streitschlichtungsmethoden ist angesichts der Überlastung der Justiz und der Vorteile, die mit diesem privatrechtlichen Instrument der Rechtspflege verbunden sind, gestiegen, während Gerichte oder Schiedsgerichte weniger in Anspruch genommen werden. Auf Gemeinschaftsebene werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Entwicklung der alternativen Streitbeilegung, insbesondere im Bereich der Informationsgesellschaft, zu begleiten mit dem Ziel, das Vertrauen der Verbraucher und der kleinen und mittleren Unternehmen in den elektronischen Handel zu stärken.

(2) Unter alternativen Formen der Streitbeilegung im Sinne dieses Grünbuchs sind außergerichtliche Verfahren der Streitschlichtung unter Einschaltung eines neutralen Dritten [1] mit Ausnahme der Schiedsgerichtsbarkeit als solche [2] zu verstehen. Die alternative Streitbeilegung wird im Folgenden mit dem englischen Akronym "ADR" für "Alternative Dispute Resolution" bezeichnet, das sich in der Praxis weltweit durchzusetzen scheint [3]. Gegenstand dieses Grünbuchs sind nur die ADR-Verfahren in Zivil- und Handelssachen einschließlich des Arbeits- und Verbraucherrechts [4].

[1] Nach dieser Definition erstreckt sich das Grünbuch nicht auf

[2] Das Schiedsverfahren ist eine Form der Streitbeilegung, die insofern eher den gerichtlichen Verfahren als den alternativen Verfahren der Konfliktlösung ähnelt, als das Schiedsverfahren mit einem Schiedsspruch abgeschlossen wird, der an die Stelle einer gerichtlichen Entscheidung tritt. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf internationaler Ebene umfassend geregelt z. B. durch das New Yorker Übereinkommen von 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche http://www.uncitral.org/fr-index.htm (Website nicht in deutscher Sprache) oder im Rahmen des Europarats das Europäische Übereinkommen von 1966 zur Einführung eines Einheitlichen Gesetzes über die Schiedsgerichtsbarkeit (nichtamtliche Übersetzung) http://conventions.coe.int/Treaty/FR/Cadreprincipal.htm (Website nicht in deutscher Sprache);

[3] Die in der Praxis und im einzelstaatlichen Recht am häufigsten verwendeten Bezeichnungen "Mediation" und "Schlichtung" werden in diesem Grünbuch deshalb nicht systematisch gebraucht, sondern nur im Zusammenhang mit einer bestimmten einzelstaatlichen Regelung oder einschlägigen Arbeiten einer internationalen Organisation.

[4] Nicht in diesem Grünbuch behandelt werden Fragen im Zusammenhang mit nicht abdingbaren Rechten, die in den Bereich der öffentlichen Gewalt fallen: z. B. können bestimmte Vorschriften des Personen- und Familienrechts, des Wettbewerbsrechts und des Verbraucherrechts nicht Gegenstand eines ADR-Verfahrens sein.

(3) Die alternativen Formen der Streitbeilegung im Bereich des Zivil- und Handelsrechts lassen sich verschiedenen Kategorien zuordnen, für die ebenfalls verschiedene Regelungen bestehen können. Zu unterscheiden ist als erstes zwischen ADR-Verfahren, die ein Richter leitet oder die der Richter einem Dritten überträgt ("ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens"), und ADR-Verfahren, von denen die Streitparteien außerhalb eines Gerichtsverfahrens Gebrauch machen ("nichtgerichtliche ADR-Verfahren"). Eine zweite nach Ansicht der Kommission ebenso grundsätzliche Unterscheidung muss bei den nichtgerichtlichen ADR-Verfahren getroffen werden. Manche ADR-Verfahren [5] enden damit, dass der oder die für das Verfahren verantwortlichen Dritten eine für die Parteien bindende Entscheidung erlassen [6] oder eine Empfehlung abgeben, der die Parteien folgen können oder nicht [7]. Bei anderen ADR-Verfahren spricht sich der ADR-Verantwortliche nicht formell für eine bestimmte Lösung aus, sondern beschränkt sich darauf, den Parteien bei der Suche nach einer gütlichen Regelung behilflich zu sein [8].

[5] Diese beiden ADR-Typen sind Gegenstand der Empfehlung 98/257/EG der Kommission vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. L 115 vom 17. April 1998, S. 31. Diese Empfehlung gilt auch für Schiedsgerichtsverfahren in Verbrauchersachen, die in diesem Grünbuch nicht behandelt werden.

[6] Dies ist häufig bei Schiedsstellen/Ombudsleuten der Fall, die von bestimmten Wirtschaftszweigen wie Banken und Versicherungen eingesetzt werden. Die Entscheidung der Schiedsstelle bzw. des Ombudsmanns ist für die Unternehmen, die diesem ADR-System angeschlossen sind, verbindlich.

[7] Dies ist beispielsweise bei den skandinavischen Verbraucherbeschwerdestellen der Fall.

[8] Auf diese Form der Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zielt die Empfehlung 2001/310/EG der Kommission vom 4. April 2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen ab, ABl. L 109 vom 19. April 2001, S. 56.

(4) Die alternative Streitbeilegung ist nicht neu, hat aber seit einigen Jahren einen deutlichen Aufschwung genommen und wird mit zunehmendem Interesse beobachtet. Die Fülle der theoretischen und praktischen Arbeiten [9] stellt für die Entscheidungsträger eine wertvolle Hilfe bei der Begleitung und/oder rechtlichen Gestaltung der ADR dar.

[9] Manche Initiativen sind durchaus schon älteren Datums wie das 1994 als Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung gegründete Netz von Schieds- und Schlichtungsstellen in Handelssachen, die in Spanien, Frankreich, Italien und im Vereinigten Königreich bestehen. Dieses Netz, das unter der französischen Bezeichnung "Réseau Européen d'Arbitrage et de Médiation" (REAM) bzw. der englischen Bezeichnung "European Network for Dispute Resolution" (ENDR) bekannt ist, wurde anfangs aus Gemeinschaftsmitteln gefördert, die von der damaligen Generaldirektion XXIII "Kleine und mittlere Unternehmen" der Europäischen Kommission verwaltet wurden.

1.2 Für einen besseren Zugang zum Recht

(5) Einer der Gründe für die zunehmende Verbreitung der ADR-Verfahren ist praktischer und konjunktureller Art: ADR bietet eine Lösung für die Schwierigkeit, der sich zahlreiche Länder gegenübersehen, den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Diese Schwierigkeiten sind dadurch bedingt, dass sich die Klagen vor den Gerichten häufen, die Verfahren sich immer mehr in die Länge ziehen und die Kosten steigen. Die Vielzahl der Rechtsvorschriften, ihre Komplexität und ihr ausgeprägter fachspezifischer Charakter erschweren es dem Bürger zusätzlich, seine Rechte wahrzunehmen.

(6) Streitigkeiten mit grenzübergreifendem Bezug leiden noch mehr als reine Inlandssachen unter der Schwerfälligkeit der Verfahren und ihren Kosten [10]. In dem Maße, wie der Binnenmarkt Gestalt annimmt, der Handel und die Mobilität der Bürger zunehmen, nehmen - nicht zuletzt bedingt durch die Ausweitung des E-Commerce - auch die Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Mitgliedstaaten bzw. zwischen Personen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen, zu, und damit erhöht sich unabhängig von der Bedeutung oder dem Wert der Streitsache auch die Zahl der vor den Gerichten anhängigen Rechtssachen mit grenzübergreifendem Bezug. Zusätzlich zu den praktischen Problemen aufgrund der Überlastung der Gerichte ergeben sich häufig komplexe Normen- und Zuständigkeitskonflikte sowie Schwierigkeiten sprachlicher und finanzieller Natur.

[10] Siehe hierzu insbesondere das Grünbuch der Kommission vom 9. Februar 2000 " Prozesskostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen", KOM (2000) 51 endg.

(7) Der Zugang zum Recht für jedermann ist als Grundrecht in Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankert. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Rang eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts erhoben wurde, [11] ist in Artikel 47 der EU-Grundrechtscharta aufgenommen worden. Der Forderung nach einem Zugang zum Recht für jedermann kommen die Mitgliedstaaten unter anderem durch die Bereitstellung zügiger und kostengünstiger Gerichtsverfahren nach. Einige Mitgliedstaaten haben ihr Gerichtssystem überdies bereits modernisiert und die Formalitäten für die Klageerhebung vereinfacht oder die Möglichkeit vorgesehen, das Gericht auf elektronischem Wege anzurufen [12].

[11] EuGH vom 15. Mai 1986, Rs. 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651.

[12] Diese Möglichkeit besteht bei Streitsachen mit geringem Streitwert in Deutschland, Dänemark, Finnland und Großbritannien. Diese Angaben wurden den Antworten der Mitgliedstaaten auf einen Fragebogen vom September 2000 zu Gerichtsverfahren mit geringem Streitwert entnommen.

(8) Die Europäische Union bemüht sich ihrerseits mit der Einrichtung eines benutzerfreundlichen Justizinformationssystems, das von einem Netzverbund einzelstaatlicher Behörden betreut wird, den Zugang zum Recht zu erleichtern [13]. Neben diesen Bemühungen ist auf die Initiativen zu verweisen, die im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Rechtsraums auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ergriffen worden sind: z. B. Vereinfachung des Exequaturverfahrens [14], Vorschläge zur Abschaffung des Exequaturverfahrens bei unbestrittenen Forderungen, Vereinfachung und Beschleunigung der Beilegung grenzübergreifender Streitigkeiten mit geringem Streitwert [15].

[13] Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl. L 174 vom 27. Juni 2001, S. 25. Gemäß Artikel 14 dieser Entscheidung wird ein "Internet-gestütztes Informationssystem für die Öffentlichkeit" eingerichtet, das Merkblätter enthält, die unter anderem über "Möglichkeiten für eine außergerichtliche Streitbeilegung" informieren und auf die "nationalen Informations- und Unterstützungsstellen des gemeinschaftsweiten Netzes für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten" verweisen.

[14] Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 26. November 1997: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", KOM (97) 609 endg. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ("Brüssel I"), ABl. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1. Die Verordnung "Brüssel I" ersetzt seit dem 1. März 2002 (gilt nicht für Dänemark) das Brüsseler Übereinkommen von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (konsolidierte Fassung, veröffentlicht im ABl. C 27 vom 26. Januar 1998, S. 1).

[15] Siehe hierzu insbesondere das Maßnahmenprogramm der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. C 12 vom 15. Januar 2001, S. 1. Die Kommission beabsichtigt im ersten Halbjahr 2002 die Vorlage eines Vorschlags für eine Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen sowie die Vorlage eines Grünbuchs zur Vorbereitung neuer Initiativen mit dem Ziel, ein europäisches Verfahren für Mahnbescheide und Streitigkeiten mit geringem Streitwert einzuführen; siehe Mitteilung der Kommission vom 30. Oktober 2001 "Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union" (halbjährliche Aktualisierung), KOM (2001) 628 endg.

(9) Die alternative Streitbeilegung fügt sich nahtlos in das politische Konzept zur Verbesserung des Zugangs zum Recht ein. Sie ergänzt die gerichtlichen Verfahren insofern, als ADR-Techniken dem Streitgegenstand häufig besser gerecht werden. Mit Hilfe der ADR können die Streitparteien wieder an einen Tisch gebracht werden, was auf anderem Weg nicht möglich gewesen wäre. Sie können dann selbst beurteilen, ob es in ihrem Fall sinnvoll ist, den Rechtsweg zu beschreiten.

(10) Besonders hervorzuheben ist die alternative Streitbeilegung als Instrument zur Erhaltung des sozialen Friedens. Bei den ADR-Verfahren nämlich, in denen die Entscheidung nicht von Dritten getroffen wird, stehen die Parteien nicht mehr in Konfrontation zueinander, sondern sie lassen sich im Gegenteil auf einen Prozess der Annäherung ein und entscheiden selbst, wie sie ihren Konflikt beilegen. Sie sind an diesem Prozess aktiv beteiligt, um selbst die für sie am besten geeignete Lösung zu finden. Dieses konsensorientierte Konzept erhöht die Chancen der Parteien, nach Beilegung des Konflikts ihre Beziehungen - seien sie geschäftlicher oder sonstiger Natur - aufrechterhalten zu können.

(11) Kennzeichnend für ADR-Verfahren ist ihre Flexibilität, d. h. es bleibt im Prinzip den Parteien überlassen zu entscheiden, ob sie diese Verfahren in Anspruch nehmen wollen, welche Organisation oder welche Person sie damit betrauen, nach welchem Verfahren sie vorgehen wollen, ob sie persönlich erscheinen oder sich vertreten lassen und wie letztendlich das Verfahren ausgehen soll.

(12) Die Kosten spielen selbstverständlich eine wesentliche Rolle. In der Regel werden die Kosten von den Parteien getragen. ADR-Verfahren können aber auch unentgeltlich sein, weil etwa die Tätigkeit der ADR-Verantwortlichen nicht vergütet wird [16], die Betriebskosten der ADR-Einrichtungen vom Staat [17] oder von den Berufsverbänden [18] getragen werden oder weil eine Partei Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen kann.

[16] Siehe die 'conciliateurs de justice' (Schlichter) in Frankreich.

[17] Beispielsweise in Irland die Stelle für Mediation in Familienfragen.

[18] In Schweden beispielsweise das Amt für Schäden im Straßenverkehr, das von den Kfz-Versicherungsgesellschaften unterhalten wird.

(13) Einige Mitgliedstaaten gewähren Prozesskostenhilfe für ADR-Verfahren, die auch die Kosten für einen Rechtsbeistand deckt [19]. Die Kommission hat hier bereits die Initiative ergriffen und einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates vorgelegt, um die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Prozesskostenhilfe und andere mit Zivilverfahren verbundene finanzielle Aspekte anzugleichen [20]. Artikel 16 des Richtlinienvorschlags sieht in diesem Zusammenhang vor, dass "die Prozesskostenhilfe [...] auf die Behandlung der Streitsache in einem außergerichtlichen Verfahren auszudehnen [ist], wenn dieses Verfahren gesetzlich gefördert wird oder die Streitparteien durch den Richter darauf verwiesen werden."

[19] In Frankreich kann beispielsweise Prozesskostenhilfe für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts gewährt werden, der die Vergleichsverhandlungen führt.

[20] Vorschlag vom 18. Januar 2002, KOM (2002) 13 endg.

1.3 Eine politische Priorität

(14) Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten hatten mehrfach Gelegenheit, die Bedeutung der alternativen Streitbeilegung in Streitsachen mit grenzübergreifendem Bezug hervorzuheben, so anlässlich der Tagungen des Europäischen Rats in Wien im Dezember 1998 [21] und in Tampere im Oktober 1999 [22] bei einer Zusammenkunft, die dem Aufbau eines "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union" gewidmet war.

[21] Rdnr. 83 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Der Europäische Rat billigt den vom Rat und von der Kommission erstellten Aktionsplan zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dieser Aktionsplan wurde im ABl. C 19 vom 23. Januar 1999, S.1 veröffentlicht. Unter Rdnr. 41 Buchstabe b) des Aktionsplans heißt es: "Prüfung der Möglichkeit, Modelle für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten, im besonderen von grenzüberschreitenden Ehesachen, zu entwerfen; Dabei sollte geprüft werden, inwieweit zur Lösung familienrechtlicher Streitsachen auf Vermittlung zurückgegriffen werden kann." Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates können auf der Internetseite http://ue.eu.int/fr/Info/eurocouncil/index.htm eingesehen werden.

[22] Rdnr. 30 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes: "Auch sollten alternative außergerichtliche Verfahren von den Mitgliedstaaten geschaffen werden."

(15) Auf dem Gipfel in Lissabon im März 2000, der Fragen der Beschäftigung und der Informationsgesellschaft gewidmet war, hatte der Europäische Rat die Kommission und den Rat aufgefordert, "zu prüfen, wie das Vertrauen der Verbraucher in den elektronischen Geschäftsverkehr insbesondere durch alternative Streitbeilegungsregelungen gesteigert werden kann" [23]. Dieses Ziel wurde auf der Tagung des Europäischen Rats in Santa Maria da Feira im Juni 2000, auf der der "eEurope 2002 Aktionsplan" angenommen wurde, bestätigt [24]. In Bezug auf das Arbeitsrecht hat schließlich der Europäische Rat in Laeken im Dezember 2001 nachdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, soziale Konflikte, insbesondere soziale Konflikte grenzüberschreitender Art, durch freiwillige Schlichtungsmechanismen zu verhindern bzw. beizulegen [25].

[23] Rdnr. 11 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

[24] Rdnr. 22 der Schlussfolgerungen und "eEurope 2002" Aktionsplan, http://europa.eu.int/information_society/eeurope/action_plan/index_de.htm.

[25] Rdnr. 25 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

1.4 Ein aktuelles Thema

(16) Die alternative Streitbeilegung fand in den jüngsten Diskussionen sowohl auf europäischer Ebene [26] als auch international [27] über die Regelung des E-Commerce, insbesondere im Zusammenhang mit Zuständigkeitskonflikten bei Verbraucherrechtsstreitigkeiten [28], starke Beachtung.

[26] Vgl. insbesondere die Diskussion vor Erlass der Verordnung "Brüssel I".

[27] Vgl. die Diskussionen am Rande der Verhandlungen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht über den Entwurf eines internationalen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung ausländischer Urteile: http://www.hcch.net/f/workprog/index.html.

[28] Die alternative Streitbeilegung fand unabhängig vom E-Commerce direkt oder indirekt in einer Reihe von EU-Rechtsakten Eingang. Beispielsweise hat die Kommission den ADR-Verfahren in ihrem zweiten Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 85/374/EWG über die Haftung für fehlerhafte Produkte breiten Raum eingeräumt, KOM (2000) 893 endg. Die alternative Streitbeilegung wird außerdem ausdrücklich in Artikel 10 der Richtlinie 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. L 43 vom 14. Februar 1997, S. 25), in Artikel 11 der Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144 vom 14. Juni 1997, S. 19), in Artikel 12 des Vorschlags für eine Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (KOM (1998) 468) sowie in Artikel 9 des Richtlinienvorschlags über Versicherungsvermittlung (KOM (2000) 511 endg.) erwähnt. Zu Streitigkeiten zwischen Unternehmen im Bereich der Telekommunikation vgl. die Artikel 18 und 19 des gemeinsamen Standpunkts (EG) Nr. 38/2001 des Rates vom 17. September 2001 im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. C 337 vom 30. November 2001, S. 34.

(17) Eine Grundlage für diese Diskussionen ist Artikel 17 der E-Commerce-Richtlinie vom Juni 2000 [29], wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre Rechtsvorschriften die Inanspruchnahme der nach innerstaatlichem Recht verfügbaren Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, auch auf geeignetem elektronischem Weg, nicht erschweren. Die Mitgliedstaaten werden in Artikel 17 überdies dazu aufgefordert, die Einrichtungen der außergerichtlichen Streitbeilegung zu ermutigen, so vorzugehen, dass angemessene Verfahrensgarantien für die Beteiligten gegeben sind.

[29] Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. L 178 vom 17. Juli 2000, S. 1. Nach Artikel 17 sollen die Mitgliedstaaten die Einrichtungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung außerdem dazu anregen, die Kommission über ihre Tätigkeit auf dem Laufenden zu halten, so dass die Rolle dieser Einrichtungen über die reine Rechtsanwendung hinausgeht und sie dem Gesetzgeber eine etwaige Anpassung der Regelungen erleichtern.

(18) Das Europäische Parlament hat in seiner Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag "Brüssel I" im September 2000 angeregt, die Bedeutung der alternativen Streitbeilegung zu stärken, und vorgeschlagen, dass unter bestimmten Voraussetzungen Verbrauchern Klauseln entgegengehalten werden können, in denen sie mit dem Händler vereinbart haben, dass jede Streitsache einer außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle übergeben wird, die nach einer von der Kommission genehmigten Regelung zugelassen worden ist. Das Parlament hat überdies vorgeschlagen, dass im Wege eines alternativen Streitbeilegungssystems geschlossene Vergleiche vollstreckbar sein sollten [30].

[30] ABl. C 146 vom 17. Mai 2001, S. 94. Siehe auch die Reaktion der Kommission hierzu in ihrem geänderten Vorschlag vom 26. Oktober 2000, KOM (2000) 689 endg.

(19) Diese Änderungen des Parlaments wurden nicht in die vom Rat im Dezember 2000 erlassene Verordnung "Brüssel I" übernommen. Bei Erlass dieser Verordnung legten Rat und Kommission allerdings Wert darauf, den Nutzen der ADR als ergänzendes Instrument für die Streitbeilegung insbesondere für den elektronischen Handel zu betonen [31].

[31] Gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu den Artikeln 15 und 73 der Verordnung, aufgenommen in das Protokoll der Ratstagung vom 22. Dezember 2000, auf der die Verordnung erlassen wurde. Diese Erklärung ist im Internet einsehbar unter: http://europa.eu.int/comm/justice_home/unit/civil_de.htm

1.5 Die internationale Dimension

(20) Die Arbeiten auf Gemeinschaftsebene sind selbstverständlich schon an sich international ausgerichtet, insofern als sie nicht nur Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als ADR-Beteiligte in Betracht ziehen. Auch verschiedene zwischenstaatliche Organisationen haben sich bereits mit der alternativen Streitbeilegung auseinandergesetzt:

- Der Europarat hat 1998 eine Empfehlung über die Mediation in Familiensachen [32] angenommen und arbeitet zurzeit an einem Empfehlungsentwurf für die Mediation in Zivilsachen [33]. Die Kommission verfolgt diese Arbeiten, an denen unter anderem die Mitgliedstaaten und die Bewerberländer beteiligt sind, mit sehr großem Interesse. Die Initiativen des Europarats werden in diesem Grünbuch gebührend berücksichtigt.

[32] Empfehlung Nr. R(98)1 http://cm.coe.int/ta/rec/1998/f98r1.htm (der Link verweist auf die englische und die französische Fassung).

[33] Arbeiten des Sachverständigenausschusses über die Leistungsfähigkeit der Justiz http://www.legal.coe.int/civilandcommercial (diese Website nur in englischer und französischer Sprache).

- Die UN-Kommission für internationales Handelsrecht arbeitet ihrerseits an Mustervorschriften für die Streitschlichtung in Handelssachen [34].

[34] Siehe die Arbeiten der Arbeitsgruppe Schiedsgerichtsbarkeit unter http://www.uncitral.org/fr-index.htm (Website nur in englischer und französischer Sprache).

- ADR-Verfahren im Zusammenhang mit dem elektronischen Handel werden direkt oder indirekt auch im Rahmen der OECD [35] sowie am Rande der Verhandlungen über den Entwurf eines internationalen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung ausländischer Urteile innerhalb der Haager Konferenz über Internationales Privatrecht [36] erörtert.

[35] Empfehlung des Rates über die Leitlinien zum Schutz der Verbraucher im Rahmen des elektronischen Handels http://www.oecd.org (Website nur in englischer und französischer Sprache).

[36] http://www.hcch.net/f/workprog/index.html.

(21) Zu den ADR-Verfahren im Bereich des elektronischen Handels gibt es eine Reihe von Empfehlungen internationaler Nichtregierungsorganisationen, deren Arbeiten von der Kommission aufmerksam beobachtet werden, z. B. GBDe (Global Business Dialogue on e-commerce [37]), TABD (Transatlantic Business Dialogue [38]) und TACD (Transatlantic Consumer Dialogue [39]).

[37] http://www.gbde.org.

[38] http://www.tabd.com.

[39] http://www.tacd.org.

(22) Zur alternativen Streitbeilegung in Zivil- und Handelssachen sind in einer Reihe von Drittländern wichtige Arbeiten im Gange:

- Die Länder, die einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union gestellt haben, zeigen sich bei ihren eigenen Überlegungen zur Verbesserung des Zugangs zum Recht in gleicher Weise wie die EU-Mitgliedstaaten aufgeschlossen für die Entwicklung von ADR-Verfahren. Ihre aktive Mitarbeit an den oben erwähnten Arbeiten des Europarats spricht für sich.

- Die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen über langjährige Erfahrungen im ADR-Bereich. Die Entwicklung der verschiedenen Formen der alternativen Streitbeilegung ist vor allem auf die Unterstützung durch die Institutionen der Rechtspflege zurückzuführen. Die meisten US-Bundesstaaten haben in verschiedenen Bereichen Mediationsgesetze erlassen. Aufgrund der wachsenden Zahl der Regelungen in diesem Bereich hat die "National Conference of Commissioners on Uniform State Laws" ein einheitliches Gesetz über die Mediation ausgearbeitet [40].

[40] http://www.nccusl.org. Der Entwurf für ein einheitliches Gesetz wurde am 16. August 2001 vorgelegt.

- In Kanada beschäftigt sich die "Uniform Law Conference" seit August 2000 mit der Frage, ob in diesem Bereich ein einheitliches Gesetz erlassen werden sollte [41].

[41] http://www.chlc.ca/fr.

- In Japan hat der Rat für die Reform des Justizwesens im Juni 2001 eine Reihe von Empfehlungen abgegeben, zu denen auch eine umfassende gesetzliche Regelung der ADR-Verfahren gehört [42].

[42] http://www.kantei.go.jp/foreign/judiciary/2001/0612report.html

1.6 Ein wegweisender Auftrag

(23) Diese Gesamtsicht der ADR-Initiativen zeigt, wie notwendig es ist, sich einen genauen Überblick über die in den Mitgliedstaaten und auf Ebene der Europäischen Union laufenden Arbeiten und Initiativen zu verschaffen und sich mit den Rechtsfragen auseinander zu setzen, die sich in Bezug auf die Qualität der ADR-Verfahren stellen. Die EU-Justizminister haben daher beschlossen, auf Gemeinschaftsebene Arbeiten zur alternativen Streitbeilegung in Zivil- und Handelssachen in Auftrag zu geben. Im Mai 2000 wurde die Kommission gebeten, Informationen über alternative Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten zusammenzutragen. Anhand dieser Informationen sollte die Kommission ein Grünbuch erstellen, das einen Überblick über die derzeitige Lage geben und als Grundlage für eine umfassende Konsultation über die zu treffenden konkreten Maßnahmen dienen sollte [43].

[43] Schlussfolgerungen des Rates Justiz und Inneres vom 29. Mai 2000, http://ue.eu.int/newsroom.

2. Orientierung an bereits laufenden Arbeiten

(24) Die Kommission wurde vom Rat beauftragt, eine Bestandsaufnahme der in den Mitgliedstaaten und auf Ebene der Europäischen Union bestehenden ADR-Verfahren zu erstellen. Überlegungen zur ADR sollten an den Arbeiten ansetzen, die bereits in diesem Bereich veranlasst wurden. Die Kommission hat die Antworten der Mitgliedstaaten auf einen Fragebogen [44] sowie Studien zum Thema ADR [45] ausgewertet.

[44] Fragebogen zu alternativen Formen der Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht von Juni 2000, ausgearbeitet im Auftrag des portugiesischen Ratsvorsitzes der Europäischen Union .

[45] Studie, die von Fachorganisationen, die im Bereich handelsrechtlicher ADR-Verfahren tätig sind, mit finanzieller Unterstützung durch die EU im Rahmen ihres Programms "Grotius" erstellt worden ist. Die Beschreibung dieses Projekts mit der Bezeichnung "MARC 2000" kann unter der Referenz GR/2000/136 auf folgender Webseite eingesehen werden: http://europa.eu.int/comm/justice_home/pdf/grotius2000.pdf .

2.1 In den Mitgliedstaaten

(25) In den Mitgliedstaaten gibt es bislang keine umfassende gesetzliche Rahmenregelung für ADR-Verfahren [46]. Arbeiten in dieser Richtung sind allerdings in Dänemark [47], Italien [48], Österreich [49] und in Portugal [50] im Gange. Auf dieser Grundlage könnte der Versuch unternommen werden, die Rechtsstellung der ADR-Verfahren zu definieren und sie als Instrument des Rechtsschutzes in das Zivilprozessrecht aufzunehmen.

[46] Regelungen gibt es zum Teil auf regionaler Ebene, z. B. in Nordrhein-Westfalen: http://www.streitschlichtung.nrw.de.

[47] In Dänemark arbeitet der Rat für das Gerichtsverfahren ("Retsplejerådet") zurzeit an einer allgemeinen Reform der Zivilprozessordnung. Ein erster im Frühjahr 2001 vorgelegter Bericht enthält eine Darstellung der im Zivilrecht bestehenden außergerichtlichen Verfahren. Der Retsplejerådet befasst sich insbesondere mit einer besseren Abstimmung zwischen ADR- und Gerichtsverfahren.

[48] Italienischer Gesetzentwurf vom Frühjahr 2000 (schema di disegno di legge recante norme per l'accesso alla giustizia civile, per la risoluzione consensuale delle controversie e per l'abbreviazione dei tempi del processo civile).

[49] In Österreich wird zurzeit über ein Mediationsgesetz beraten.

[50] Als Ergebnis der öffentlichen Anhörung des portugiesischen Justizministeriums zur alternativen Streitbeilegung wurde das Gesetz Nr. 78/2001 vom 13. Juli 2001 über Friedensrichter und Mediatoren verabschiedet.

(26) Einige Mitgliedstaaten haben Maßnahmen zur Förderung der ADR in bestimmten Bereichen ergriffen, beispielsweise durch die Einrichtung von ADR-Beratungsstellen [51], durch die Finanzierung von ADR-Stellen [52], durch Programme zur beruflichen Fortbildung [53] und durch Information der breiten Öffentlichkeit über ADR-Verfahren. Mitunter bestehen die geplanten Arbeiten auch in einer Änderung der geltenden innerstaatlichen Vorschriften, um die Besonderheit der ADR-Verfahren besser erfassen zu können [54].

[51] So wurde mit Erlass vom 8. Oktober 2001 in Frankreich der "Conseil national consultatif de la médiation familiale" eingesetzt, der alle zweckdienlichen Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung der Mediation in Familiensachen vorschlagen soll. Der Rat befasst sich hierzu u. a. mit dem Anwendungsbereich der Mediation in Familiensachen, der Ausbildung der Mediatoren und der Standesregeln, der Bewertung der Methoden und der Wirkungen der Mediation insbesondere in Bezug auf den Erhalt der Bindungen innerhalb der Familie: http://www.justice.gouv.fr/presse/com091001.htm.

[52] Die skandinavischen Verbraucherbeschwerdestellen werden direkt aus dem Staatshaushalt finanziert.

[53] Das portugiesische Justizministerium hat am 30. Oktober 2001 ein Protokoll über die Ausbildung von Friedensrichtern und Mediatoren vorgelegt: http://www.mj.gov.pt.

[54] In Deutschland dürfen juristische Dienstleistungen nach dem Rechtsberatungsgesetz nur von Rechtsanwälten erbracht werden. Wie ein Gericht festgestellt hat, gehören ADR-Verfahren zu den juristischen Dienstleistungen und unterliegen damit dem Anwaltsmonopol. Diese Rechtsprechung könnte den Gesetzgeber veranlassen, tätig zu werden und die alternative Streitbeilegung als Dienstleistung zu qualifizieren, die nicht unbedingt zu den juristischen Dienstleistungen gehört.

2.1.1 ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens

(27) Bei ADR-Verfahren, die von einem Richter geleitet werden, sieht das Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten u. a. die Möglichkeit vor, dass ein Richter in der Hauptsache als Schlichtungsinstanz [55] angerufen wird und die Schlichtung obligatorischer Bestandteil des Verfahrens [56] wird. Die Richter werden zum Teil auch ausdrücklich dazu angehalten, die Parteien aktiv bei der Suche nach einem Kompromiss zu unterstützen [57]. Diese besonderen Aufgaben des Richters, die nicht unbedingt ihren herkömmlichen Aufgaben entsprechen, erfordern eine darauf abgestimmte Ausbildung.

[55] In Italien beispielsweise sind die Befugnisse des "Friedensrichters" in Artikel 322 der Zivilprozessordnung festgelegt. In Griechenland schaltet sich der Friedensrichter gemäß Artikel 209 der Zivilprozessordnung als Vermittler ein. In Belgien sieht Artikel 731 der Prozessordnung eine allgemeine Zuständigkeit der ersten Richter vor, die auf Antrag als Schlichter angerufen werden können.

[56] In Finnland muss der Richter beispielsweise in jedem Zivilverfahren zunächst versuchen, die Parteien zu einer einvernehmlichen Lösung zu bewegen.

[57] In Deutschland ist das Gericht nach 279 ZPO gehalten, während des gesamten Verfahrens eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits anzustreben. In Frankreich präzisiert Artikel 21 der neuen Zivilprozessordnung, dass es zu den Aufgaben des Richters gehört, zwischen den Parteien zu vermitteln.

(28) Die von einem Richter einem Dritten übertragene Streitschlichtung ist in den meisten Mitgliedstaaten Gegenstand einer allgemeinen Regelung oder eines entsprechenden Regelungsentwurfs, deren Bandbreite von der Möglichkeit reicht, ADR-Verfahren in Anspruch zu nehmen (z. B. in Belgien [58] und Frankreich [59]), bis hin zur Aufforderung (in Spanien [60], Italien [61], Schweden [62], England und Wales [63]) oder gar zur kraft Gesetzes oder richterlichen Anordnung bestehenden Pflicht, vor Anrufung eines Gerichts eine alternative Streitschlichtung in Anspruch zu nehmen (z. B. in Deutschland [64], Belgien [65] und Griechenland [66]).

[58] Nach dem durch das Gesetz über die Mediation in Familiensachen (loi sur la médiation familiale) vom 21. Januar 2001 eingeführten Artikel 665 der Verfahrensordnung kann der Richter auf gemeinsamen Antrag der Parteien oder von sich aus, aber mit Zustimmung der Parteien einen Mediator bestellen.

[59] Siehe Artikel 131-1 bis 131-15 der neuen Zivilprozessordnung über die gerichtliche Mediation ("médiation judiciaire").

[60] Nach Artikel 414 und 415 des Gesetzes 1/2000 vom 9. Januar 2001 muss der Richter den Parteien zu Beginn des sogenannten ordentlichen Verfahrens nach Stellung ihrer Anträge eine Schlichtung oder einen Vergleich nahe legen.

[61] Nach Artikel 183, 185 und 350 der Zivilprozessordnung muss der Richter alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um im Einzelfall zu beurteilen, ob auf ein Urteil verzichtet werden kann und die Voraussetzungen für den Abschluss des Verfahrens im Wege einer einfachen Feststellung, dass sich die Parteien geeinigt haben, vorliegen.

[62] Das Gericht muss gemäß Kapitel 42 Abschnitt 17 der Verfahrensordnung alles daran setzen, um eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu ermöglichen.

[63] Nach Maßgabe der rules 26.4 und 44.5 der englischen und walisischen Zivilprozessordnung vom 26. April 1999 kann das Gericht das Verfahren aussetzen, um den Parteien die Inanspruchnahme eines Schlichters zu ermöglichen. Die Gerichte können die Parteien zur Zahlung einer Geldbuße verurteilen, wenn sie die Schlichtung verweigern.

[64] Auf der Grundlage eines Bundesgesetzes vom 15. Dezember 1999 haben drei Bundesländer die Inanspruchnahme eines Schlichtungsverfahrens als Voraussetzung für eine Klageerhebung vorgeschrieben. Derzeit ist ein neues Bundesgesetz in Arbeit, dass für die Parteien einen Schlichtungstermin vor der eigentlichen Gerichtsverhandlung vorsieht. Der Richter wäre danach verpflichtet, regelmäßig vor Beginn des Verfahrens eine Schlichtung zu versuchen.

[65] Die Verfahrensordnung schreibt ein außergerichtliches Verfahren beispielsweise im Arbeitsrecht und Pachtrecht vor. Zurzeit wird über einen Gesetzentwurf beraten, der eine umfassende Reform der Verfahrensordnung vorsieht und jedem Richter die Möglichkeit einräumt, eine Schlichtung anzuordnen.

[66] Nach Artikel 214 der Zivilprozessordnung können Streitigkeiten, die in die Zuständigkeit eines erstinstanzlichen Gerichts fallen, erst dann zur Verhandlung gelangen, wenn zuvor ein Schlichtungsversuch unternommen worden ist.

(29) Praktische Erfahrungen werden auf Initiative der Gerichte selbst [67] oder auf Initiative der zuständigen Ministerien im Rahmen von Pilotprojekten [68] gewonnen mit dem Ziel, die alternative Streitschlichtung auf breiterer Basis anzuwenden.

[67] Vgl. hierzu u. a. die Erfahrungen eines französischen Arbeitsgerichts: http://www.mediationsociale.com.

[68] Vgl. hierzu den Pilotversuch in den Niederlanden: http://www.minjust.nl.

(30) Bei den von den Gerichten bestellten Schlichtern kann es sich um Amtspersonen [69] oder Private handeln, die von den Gerichten nach bestimmten Kriterien aus einer Liste [70] ausgesucht oder von Fall zu Fall [71] bestimmt werden.

[69] In Griechenland ist der Schlichter, der in Anwendung der Artikeln 13 bis 16 des Gesetzes Nr. 1876/1990 über tarifvertragliche Streitigkeiten auftritt, ein Bediensteter des Arbeitsministeriums.

[70] In Frankreich muss der vom Gericht bestellte Schlichter über einen einwandfreien Leumund (d. h. er muss im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein), über die für diese Tätigkeit erforderliche Befähigung verfügen (mindestens dreijährige juristische Erfahrung) und eine Gewähr für seine Unabhängigkeit bieten (Unvereinbarkeit mit einem Abgeordnetenmandat oder einer Tätigkeit in der Justiz).

[71] In Frankreich müssen die Schlichter nachweisen, dass sie weder vorbestraft noch verwaltungs- oder disziplinarrechtlich belangt worden sind und dass sie über die erforderliche Befähigung, Erfahrung und Unabhängigkeit verfügen.

2.1.2 Nichtgerichtliche ADR-Verfahren

(31) Nichtgerichtliche ADR-Verfahren sind in den Mitgliedstaaten bislang nicht eigens geregelt. Es gelten allein die allgemeinen vertragsrechtlichen Vorschriften oder die speziellen Regelungen für Vergleiche, die im Zuge von ADR-Verfahren geschlossen werden können. Die ADR-Verfahren stützen sich auf die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts, des Zivilprozessrechts und des internationalen Privatrechts. Je nach Mitgliedstaat sind die vertragsrechtliche Praxis und die Standesregeln in Bezug auf Dritte, die ihre Dienste im Bereich der alternativen Streitbeilegung anbieten, mehr oder weniger weit entwickelt.

(32) In einigen Mitgliedstaaten wie Dänemark [72], Irland [73], Finnland [74] und Schweden [75] wurden für bestimmte Rechtsbereiche besondere Vorschriften erlassen, die die Einsetzung von Stellen zur alternativen Streitbeilegung vorsehen.

[72] Arbejdsmarkedets Ankenarven (Schlichtungskommission für den Arbeitsmarkt), Huslejenaevnene (Schlichtungskommission für Mietverträge), Forbrugerklagenaevn (Schlichtungskommission für Verbraucherfragen).

[73] Conciliation Service of the Labour Relations Commission (Schlichtungsstelle der Kommission für Arbeitsbeziehungen).

[74] Kuluttajavalituslautakunta (Amt für Verbraucherrechtsstreitigkeiten).

[75] Nationales Amt für Verbraucherbeschwerden, Amt für Schäden im Straßenverkehr.

(33) Wie von staatlicher Seite in der Praxis festgestellt, scheinen sich gewisse Grundsätze herauszubilden, die allen Verfahren gemeinsam sind [76]. Den Streitparteien steht es frei, sich für oder gegen ein ADR-Verfahren zu entscheiden. Entscheiden sie sich für die alternative Streitbeilegung, organisieren sie selbst das Verfahren, das von einem Dritten nach dem Grundsatz der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit geleitet wird. Diese Person muss den Grundsatz der Vertraulichkeit beachten. Die Mitgliedstaaten legen besonderen Wert darauf, dass diese Grundsätze in Mindestverfahrensgarantien zum Ausdruck kommen.

[76] Die Antworten der Mitgliedstaaten auf den Fragebogen sind hier besonders aufschlussreich.

2.2 Auf Ebene der Europäischen Union

(34) Die wichtigsten Arbeiten im Bereich der alternativen Streitbeilegung, die bereits auf Ebene der Europäischen Union eingeleitet worden sind und die als Grundlage dienen können, beziehen sich auf das Verbraucherrecht, das Familienrecht und das Arbeitsrecht.

2.2.1 Orientierung an Initiativen im Verbraucherrecht

(35) Seit mehreren Jahren wird im Rahmen eines Programms zur Verbesserung des Rechtsschutzes für Verbraucher an Lösungsmöglichkeiten für Verbraucherrechtsstreitigkeiten gearbeitet, unabhängig davon, ob diese grenzübergreifenden Bezug aufweisen, sich nur auf das Inland konzentrieren oder mit Internet-Leistungen zusammenhängen [77]. Die nachfolgende Zusammenfassung der Arbeiten soll zum einen einen Überblick über alle Initiativen geben, die bisher in diesem Bereich ergriffen worden sind, und zum anderen eine allgemeine Diskussion über eine umfassendere Einbeziehung von ADR-Verfahren einleiten, um auf diese Weise einen vollständigeren Überblick über die Lage in der Europäischen Union zu erhalten. Hintergrund dieser Diskussion ist somit eine Revision und Aktualisierung des Verbraucherrechts.

[77] Siehe u. a. das Grünbuch der Kommission vom 16. November 1993 über den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt, KOM(93) 576 endg., die Mitteilung der Kommission vom 14. Februar 1996 über einen Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt, KOM(1996) 13 endg., die Mitteilung der Kommission vom 30. März 1998 über die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten, KOM(1998) 198 endg., sowie die Mitteilung der Kommission vom 4. April 2001 zur Erweiterung des Zugangs der Verbraucher zur alternativen Streitbeilegung, KOM(2001) 161 endg.

(36) Im Rahmen des Programms zur Verbesserung des Rechtsschutzes für Verbraucher haben das Europäische Parlament und der Rat auf Vorschlag der Kommission die Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen erlassen [78]. Nach dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten für unabhängige öffentliche Stellen oder Verbraucherverbände die Möglichkeit vorsehen, gegen bestimmte Handelspraktiken Unterlassungsklagen zu erheben. Weitere Initiativen, die auf die Wahrung der Verbraucherrechte gerichtet sind, betreffen einzelne Wirtschaftszweige wie den Verkehr [79] und den Energiesektor [80].

[78] ABl. L 166 vom 11. Juni 1998, S. 51.

[79] Die Bedeutung, die die Kommission der alternativen Streitbeilegung im Verkehr beimisst, wird besonders deutlich in ihrem Weißbuch vom 12. September 2001 "Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft", KOM (2001) 370 endg., in der Mitteilung vom 21. Juni 2000 über den Schutz der Fluggäste in der Europäischen Union, KOM (2000) 365 endg., und in der Mitteilung vom 23. Januar 2002 "Schaffung eines integrierten europäischen Eisenbahnraums", KOM (2002) 18 endg.

[80] Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt, KOM (2001) 125 endg.

(37) Die Kommission hat zwei Empfehlungen zu den Grundsätzen angenommen, die bei außergerichtlichen Verfahren zur Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zum Tragen kommen. Zusätzlich zu diesen Empfehlungen und den entsprechenden Mitteilungen hat die Kommission ein europäisches Formblatt für Verbraucherbeschwerden veröffentlicht [81].

[81] http://europa.eu.int/comm/consumers/policy/developments/acce_just/index_en.html.

- Die erste Empfehlung vom 30. März 1998 [82] betrifft Verfahren, die unabhängig von ihrer Bezeichnung durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen. Diese erste Empfehlung, die die sieben Mindestregeln für die Einführung und Durchführung von ADR-Verfahren enthält, gilt nicht für Verfahren, die vielfach als "Mediation" bezeichnet werden. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, eine Übersicht über die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständigen Einrichtungen zu erstellen, die ihrer Ansicht nach der Empfehlung der Kommission entsprechen. Die entsprechenden nationalen Verzeichnisse wurden der Kommission übermittelt, die für ihre Veröffentlichung Sorge trägt [83].

[82] ABl. L 115 vom 17. April 1998, S. 31.

[83] Das von den Mitgliedstaaten übermittelte Verzeichnis ihrer Einrichtungen kann unter folgender Internetadresse eingesehen werden:http://europa.eu.int/comm/consumers/policy/developments/acce_just/acce_just04_fr.html.

- Die zweite Empfehlung vom 4. April 2001 [84] betrifft demgegenüber Verfahren, die sich lediglich auf den Versuch beschränken, die Parteien zusammenzubringen und sie dazu zu bewegen, sich um eine einvernehmliche Lösung zu bemühen. Der unparteiische Dritte kann allerdings auch einen unverbindlichen Lösungsvorschlag unterbreiten.

[84] ABl. L 109 vom 19. April 2001, S. 56.

(38) Die Kommission hat überdies zwei europäische Netze eingerichtet, in denen Einrichtungen der Mitgliedstaaten zusammengeschlossen sind, deren Ziel es ist, den Verbrauchern den Zugang zu außergerichtlichen Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten mit grenzübergreifendem Bezug zu erleichtern, wenn der Unternehmer nicht im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ansässig ist. Die beiden Netze verfolgen dasselbe Ziel, funktionieren aber unterschiedlich:

- Dem Europäischen Netz für die außergerichtliche Streitbeilegung (EEJ-Net) [85] gehören zentrale Kontaktstellen (sogenannte Clearingstellen) der Mitgliedstaaten sowie Norwegens und Islands an, an die sich die Verbraucher mit Bitte um Unterstützung oder Auskunft wenden können. Jede dieser Kontaktstellen dient als Informationsrelais für die 400 Einrichtungen, die nach Dafürhalten der Mitgliedstaaten den Anforderungen der beiden Kommissionsempfehlungen über die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, genügen. Das Netz nahm seine Arbeit offiziell am 16. Oktober 2001 auf. Nach einer Pilotphase von einem Jahr wird die Kommission im Herbst 2002 einen vollständigen Bericht über die mit diesem Netz erzielten Fortschritte vorlegen und die Fachkreise um Stellungnahme bitten.

[85] http://europa.eu.int/comm/consumers/policy/developments/acce_just/index_en.html.

- Dem Netz für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten im Bereich Finanzdienstleistungen (FIN-Net) [86] sind ADR-Einrichtungen der Mitgliedstaaten angeschlossen, die den Voraussetzungen der ersten Empfehlung der Kommission entsprechen. Am 22. Februar 2002 belief sich die Zahl dieser Einrichtungen auf 37. Mit Hilfe des FIN-NET erhält der Verbraucher, der mit einem Problem im Sektor Finanzdienstleistungen (Banken, Versicherungen, Anlagen) konfrontiert ist, direkten Zugang zu einem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren. Dieses Netz, das von der Kommission am 1. Februar 2001 ins Leben gerufen worden ist, hat bereits positive Ergebnisse gebracht. Im Rahmen des Dialogs mit Bürgern und Unternehmen, der über die Rechte im Binnenmarkt informieren soll, wird ein Leitfaden über das FIN-Net veröffentlicht werden, der den Verbraucher mit diesem Netz vertraut machen soll.

[86] http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/index.htm.

(39) Der Einfluss der beiden Empfehlungen der Kommission ist in den Mitgliedstaaten deutlich zu spüren. Die Kommission wird im Bereich des Verbraucherschutzes keine weiteren Maßnahmen in die Wege leiten, bis die Pilotphase des Netzes für die außergerichtliche Streitbeilegung vollständig ausgewertet worden ist und alle Mitgliedstaaten, ADR-Einrichtungen und Beteiligte eingehend konsultiert worden sind.

(40) Im Bereich des elektronischen Handels, insbesondere im Rahmen des Aktionsplans eEurope 2002 [87], wird alternativen Verfahren zur Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es handelt sich dabei sowohl um herkömmliche ADR-Verfahren als auch um Online-Schlichtungssysteme, die auch außerhalb des E-Commerce zur Streitbeilegung eingesetzt werden können. Bei der Online-Streitschlichtung stellen sich eine Reihe von Fragen, mit denen sich die Kommission in einer Mitteilung auseinandersetzen wird, deren Veröffentlichung in Kürze erwartet wird.

[87] Siehe Rdnr. 15.

(41) Die Überlegungen zur alternativen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten im elektronischen Handel sind auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Bemühungen um eine Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in den elektronischen Handel zu sehen. Die Kommission hat im Rahmen ihres Aktionsplans eEurope 2002 [88] ein Forum eingerichtet, das sich mit dem Vertrauen der Verbraucher in den E-Commerce auseinandersetzt ("eConfidence" [89]). Ebenfalls im Rahmen dieses Aktionsplans unterstützt die Kommission Initiativen der Wirtschaft und der Verbraucher zur Einführung hoher Qualitätsnormen für den Handel [90]. Die Kommission wird in einer ihrer nächsten Mitteilungen auf sämtliche Maßnahmen eingehen und Bilanz ziehen.

[88] Siehe Rdnr. 15.

[89] http://econfidence.jrc.it.

[90] Das Europäische Büro der Verbraucherverbände (BEUC) und die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE) stellten am 22. Oktober 2001 ein europäisches Gütesiegel für den E-Commerce, die so genannte Trustmark, vor: http://www.beuc.org, http://www.unice.org.

(42) Auf Gemeinschaftsebene werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Entwicklung der alternativen Streitbeilegung im E-Commerce praxisnah zu verfolgen. Aus EG-Mitteln finanziert wurden beispielsweise Initiativen zur Einrichtung von Online-Schlichtungssystemen [91], zur Qualitätssicherung kommerzieller Websites [92] sowie Forschungsarbeiten von Hochschulen und Fortbildungsprogramme [93].

[91] ECODIR (Electronic COnsumer DIspute Resolution Platform): http://www.ecodir.org erhält Fördermittel der Gemeinschaft, die von der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission verwaltet werden. "Online Confidence" ist ein von der Europäischen Kommission im Rahmen ihres Programms TEN-Telecom (Generaldirektion Informationsgesellschaft) gefördertes Projekt.

[92] Webtrader ist ein internationales privates Projekt, das kommerzielle Websites kontrolliert und Gütesiegel vergibt. An diesem Projekt sind Verbraucherverbände aus zehn Ländern, darunter acht EU-Mitgliedstaaten, beteiligt. Siehe z. B.: http://www.budget-net.com/webtradersite/reseau_be.html. Im Rahmen dieses Projekts, das aus EG-Mitteln unter Aufsicht der Generaldirektion Unternehmen der Europäischen Kommission gefördert wird, werden Verhaltenskodizes und ADR-Verfahren entwickelt.

[93] Als Beispiel sei verwiesen auf die Arbeiten von ECLIP (Electronic Commerce Legal Issues Platform), ein Konsortium aus fünf europäischen Forschungszentren, die auf das Recht der neuen Technologien spezialisiert sind (http://www.eclip.org) und von der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Programms IST (Information Society Technology Programme) gefördert werden (zuständig für die Verwaltung dieser Mittel ist die Generaldirektion Informationsgesellschaft; http://www.cordis.lu/ist/home.html).

(43) Alternative Verfahren zur Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten im Bereich des E-Commerce werfen eine Reihe von rechtlichen Fragen auf. Die Kommission hat bereits allgemeine Leitlinien entwickelt, aus denen ihr Bemühen deutlich wird, auf Online-Schlichtungssysteme dieselben Grundsätze anzuwenden wie auf herkömmliche Formen der Streitbeilegung [94]. Die Kommission prüft derzeit allerdings noch zusätzliche Initiativen, die vor allem den technischen Eigenheiten und Anforderungen des Internet Rechnung tragen [95]. Die Gemeinschaft hat darüber hinaus bereits einen Rechtsrahmen geschaffen, der die Gültigkeit online geschlossener Verträge garantiert, und zwar nicht nur die Klauseln, die eine nichtgerichtliche Schlichtung vorsehen, sondern auch die Verträge, mit denen die Parteien beschließen, ihre bereits entstandene Streitigkeit mit Hilfe eines ADR-Verfahrens beizulegen sowie die nach Abschluss des ADR-Verfahrens geschlossenen Vereinbarungen. Die E-Commerce-Richtlinie sieht dementsprechend vor, dass die Mitgliedstaaten online geschlossene Verträge zulassen müssen [96]. Die Mitgliedstaaten müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass ihre Rechtsordnung Online-Schlichtungsverfahren anerkennt [97].

[94] Vgl. die beiden oben zitierten Empfehlungen und Mitteilungen zu Verbraucherrechtsstreitigkeiten.

[95] Mitteilung über die Förderung alternativer Formen der Streitbeilegung über Internet, in Vorbereitung; siehe auch Rdnr. 40.

[96] Artikel 9 Absatz 1.

[97] Artikel 17 Absatz 1.

(44) Die auf Gemeinschaftsebene geltenden Regelungen wurden durch die Verordnung "Brüssel I" ergänzt, deren Bestimmungen über Gerichtsstandsvereinbarungen - auch in Verbrauchersachen - die Inanspruchnahme von ADR-Verfahren per definitionem nicht berühren. Das Verhältnis zwischen dieser Verordnung und den ADR-Verfahren wurde sowohl unter politischen als auch juristischen Gesichtspunkten bei den Beratungen vor Erlass der Verordnung ausführlich erörtert. Im September 2000 hatte das Europäische Parlament vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen vorzusehen, dass sich Verbraucher Klauseln in Verbraucherverträgen entgegenhalten lassen müssen, nach denen "der Verbraucher und der Händler vereinbaren, dass jede Streitsache einer außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle übergeben wird, die nach einer von der Kommission genehmigten Regelung zugelassen worden ist" [98].

[98] ABl. C 146 vom 17. Mai 2001, S. 94.

(45) In ihrem geänderten Vorschlag [99] war die Kommission dem Parlament in diesem Punkt mit folgender Begründung nicht gefolgt: "Das Parlament schlägt nun vor, Verbrauchern und Händlern die Möglichkeit zu geben, vor jeder Streitigkeit vertraglich festzulegen, dass etwaige Streitigkeiten einer außergerichtlichen Schiedsstelle unterbreitet werden sollen. Hieran werden bestimmte Bedingungen geknüpft, unter anderem die "Zulassung" der betreffenden Schiedsstelle durch die Kommission. Die Kommission kann die Überlegungen, die diesem Änderungsvorschlag zugrunde liegen, durchaus nachvollziehen ebenso wie den vom Parlament bekundeten Wunsch, dass der Verordnungsvorschlag sowohl legislative als auch nichtlegislative Maßnahmen umfassen sollte. Sie räumt ein, dass es für die Parteien wünschenswert ist, ihre Streitigkeiten außergerichtlich beilegen zu können. Die Klage vor einem Gericht sollte stets die letzte mögliche Handhabe sein. In der Praxis ist ohnehin festzustellen, dass der Verbraucher in der Regel auf eine außergerichtliche Streitbeilegung zurückgreift, sofern ihm diese Möglichkeit geboten wird. Sowohl aufseiten der Wirtschaft als auch aufseiten der Institutionen sind bereits zahlreiche Arbeiten im Gange, um die Einrichtung alternativer Streitbeilegungsmöglichkeiten zu fördern. Beim gegenwärtigen Stand der Arbeiten ist es jedoch nicht möglich, die Optionen, die die Verordnung dem Verbraucher bei den internationalen Gerichtsstandsregeln bietet, der Verpflichtung unterzuordnen, zuvor auf eine außergerichtliche Streitbeilegung zurückzugreifen. Erstens könnte eine solche Lösung in bestimmten Mitgliedstaaten zu Problemen verfassungsrechtlicher Art führen. Zweitens sind die Strukturen, die eine solche Verpflichtung voraussetzt, noch nicht einsatzbereit. Drittens gibt es zahlreiche verfahrensrechtliche Fragen im Verhältnis zwischen einer alternativen Streitbeilegung und einem Gerichtsverfahren, die sehr komplex sind und eingehend geprüft werden müssen (z.B. im Bereich der Verjährung). Die Kommission wird jedoch in jedem Fall die derzeitigen Initiativen im Bereich der alternativen Streitbeilegung weiter verfolgen. In ihrem Bericht über die Anwendung der Verordnung, den sie nach Artikel 65 fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung vorlegen wird, wird sie über den Stand der Arbeiten in diesem Bereich berichten und die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung überprüfen."

[99] Geänderter Vorschlag vom 26. Oktober 2000, KOM(2000) 689 endg.

(46) Diese Änderungen des Parlaments wurden nicht in die vom Rat im Dezember 2000 erlassene Verordnung "Brüssel I" übernommen. Bei Erlass der Verordnung wiesen Rat und Kommission in einer gemeinsamen Erklärung [100] auf die Bedeutung der alternativen Streitbeilegung hin: "Der Rat und die Kommission sind der Auffassung, dass es im Allgemeinen im Interesse der Verbraucher und der Unternehmen liegt, ihre Streitigkeiten gütlich zu regeln, bevor sie sich an die Gerichte wenden. Diesbezüglich heben der Rat und die Kommission hervor, dass mit der Verordnung und insbesondere mit den Artikel 15 und 17 den Parteien nicht untersagt werden soll, auf alternative Streitbeilegungsverfahren zurückzugreifen. Der Rat und die Kommission möchten daher erneut darauf hinweisen, dass sie es für wichtig erachten, dass die Beratungen auf Gemeinschaftsebene über alternative Streitbeilegungsverfahren in Zivil- und Handelssachen entsprechend den Schlussfolgerungen des Rates vom 29. Mai 2000 fortgesetzt werden. Sie sind sich bewusst, dass diesen Beratungen große Bedeutung zukommt, und unterstreichen, dass alternative Streitbeilegungsverfahren in Zivil- und Handelssachen insbesondere im Hinblick auf den elektronischen Geschäftsverkehr eine nützliche Ergänzung darstellen. Nach Artikel 73 der Verordnung hat die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss einen Bericht über die Anwendung der Verordnung vorzulegen, dem gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung der Verordnung beigefügt sind. Der Rat und die Kommission sind der Ansicht, dass bei der Erstellung dieses Berichts der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung hinsichtlich der Verbraucher und der Klein- und Mittelbetriebe, insbesondere im Rahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Dementsprechend wird die Kommission vor Ablauf des in Artikel 73 der Verordnung genannten Zeitraums gegebenenfalls Anpassungen der Verordnung vorschlagen."

[100] Gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu den Artikeln 15 und 73 der Verordnung, aufgenommen in das Protokoll der Ratstagung vom 22. Dezember 2000, auf der die Verordnung erlassen wurde: http://europa.eu.int/comm/justice_home/unit/civil_de.htm

2.2.2 Die Initiativen im Bereich Familienrecht nutzbar machen

(47) Auf dem Gipfeltreffen in Wien im Dezember 1998 billigten die Staats- und Regierungschefs den Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [101]. Ziffer 41 Buchstabe c) nennt die binnen fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags zu ergreifenden Maßnahmen, darunter die Prüfung der Möglichkeit zur "Schaffung eines Modells für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Familienstreitsachen. Dabei sollte geprüft werden, inwieweit zur Lösung familienrechtlicher Streitsachen auf Vermittlung zurückgegriffen werden kann."

[101] ABl. C 19 vom 23. Januar 1999, S.1.

(48) In der Politik hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ADR-Verfahren bei der Beilegung von grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten eine besondere Rolle zukommt. Konflikte dieser Art haben einen Einfluss auf die Ausübung der elterlichen Verantwortung - Sorgerecht und Umgangsrecht - sowie auf die Aufteilung des Familienvermögens oder die Regelung des Unterhalts. Unter Umständen ließen sich solche Probleme im Rahmen von ADR, also ohne Befassung des Gerichts, lösen. Dies gilt auch für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. ADR-Verfahren sind allerdings insofern begrenzt, als die Parteien gerade in diesem Bereich nicht frei über ihre Rechte verfügen können. Besonders schwierige Streitfälle sind möglicherweise nicht in ADR-Verfahren zu regeln [102].

[102] Besonders problematisch sind Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Sorge- und Umgangsrecht, wenn ein Kind entführt wurde und danach entschieden wurde, dass das Kind nicht zurückgegeben werden muss. In diesem Fall ist es zwingend geboten, für den Elternteil, der Leidtragende dieser Entscheidung ist, nicht erst nach der Entscheidung ein Umgangsrecht zu gewähren, sondern bereits während der Prüfung seines Antrags auf Rückgaben, die sich über mehrere Monate hinziehen kann. Die Inanspruchnahme von ADR zur Regelung des Umgangsrecht scheitert nicht nur daran, dass die Eltern sich nicht miteinander verständigen, sondern möglicherweise auch an der mangelnden Bereitschaft des Elternteils, der der Leidtragende der Entscheidung ist, sich auf ein ADR-Verfahren zur Regelung seines Umgangsrechts einzulassen. Der betreffende Elternteil könnte befürchten, dass die Anerkennung einer solchen Regelung seinen Anstrengungen zur Wiederherstellung oder Durchsetzung seines Sorgerechts abträglich sein könnte.

(49) Der Rat erließ am 29. Mai 2000 die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Verordnung "Brüssel II") [103], die insofern einen bedeutenden Fortschritt darstellt, als nunmehr Entscheidungen, die nach den in der Verordnung vorgeschriebenen Zuständigkeitsregeln ergangen sind, in der gesamten Gemeinschaft anerkannt und vollstreckt werden können. Das mit der Verordnung "Brüssel II" eingeführte System beruht jedoch auf Zuständigkeitskriterien, aufgrund deren mehrere Gerichte zuständig sein können. Wenn bei Gerichten in mehreren Mitgliedstaaten Anträge gestellt wurden, äußert sich gemäß Artikel 11 das zuerst angerufene Gericht zu der Sache [104]. Dieses System könnte die Streitparteien folglich veranlassen, auf ADR zu verzichten und möglichst unverzüglich das Gericht anzurufen, von dem sie die günstigste Entscheidung erwarten.

[103] ABl. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 19. Die Verordnung "Brüssel II" übernimmt den wesentlichen Inhalt des Übereinkommens "Brüssel II" über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, das mit Rechtsakt des Rates vom 28. Mai 1998 empfohlen wurde (ABl. C 221 vom 16. Juli 1998, S.1.

[104] Regel der Rechtshängigkeit.

(50) Am 6. September 2001 nahm die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung an (Verordnung "Brüssel II a" [105]). Danach soll die in der Verordnung "Brüssel II" enthaltene Regelung zur Anerkennung und Vollstreckung auf alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung ausgedehnt werden. Der Kommissionsvorschlag zielt insbesondere auf die Förderung von ADR ab. Er sieht eine Zuständigkeitsregelung vor, wonach für jede Rechtssache lediglich ein Gericht zuständig ist, sowie die Einführung eines Verfahrens der behördlichen Zusammenarbeit.

[105] KOM(2001) 505 endg., ABl. C 332 E vom 27. November 2001, S. 269.

(51) Der Vorschlag für die Verordnung "Brüssel II a" beruht auf der Zusammenarbeit zwischen den zentralen Stellen, die eine aktive Rolle übernehmen sollen, um die wirksame Ausübung der elterlichen Verantwortung zu gewährleisten. Diesem Ziel dient auch die Förderung der alternativen Streitbeilegung [106]. Eine derartige Regelung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und Förderung von ADR in Familiensachen ist Gegenstand der Initiative der Französischen Republik vom 3. Juli 2000 im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates über die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht [107].

[106] Artikel 16: "Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine zentrale Behörde, die ihn bei der Durchführung der Verordnung unterstützt". Artikel 17: "Die zentralen Behörden arbeiten in bestimmten Fällen zusammen, um sicherzustellen, dass die Rechte der elterlichen Verantwortung für ein Kind effektiv ausgeübt werden. Hierzu gehen sie auf der Grundlage ihres innerstaatlichen Rechts wie folgt vor: ... Sie fördern durch Mediation oder auf ähnlichem Wege eine gütliche Einigung zwischen den Trägern der elterlichen Verantwortung".

[107] ABl. C 234 vom 15. August 2000, S. 7. Nach Artikel 12 "arbeiten die Mitgliedstaaten über die von ihnen benannten (...) nationalen zentralen Stellen zusammen, um die wirksame Ausübung des Umgangsrechts sicherzustellen und um zu gewährleisten, dass das Kind am Ende der Besuchszeit sofort dem sorgeberechtigten Elternteil zurückgegeben wird. (...). Insbesondere treffen diese Stellen unmittelbar oder mit Hilfe anderer geeignete Maßnahmen (...) eine Verständigung zwischen den Elternteilen über die Ausübung des Umgangsrechts im Wege der gütlichen Regelung, der vereinbarten freiwilligen Schlichtung oder auf jedem anderen ähnlichen Weg zu erleichtern".

2.2.3 Maßnahmen zur Förderung von ADR auf dem Gebiet des Arbeitsrechts

(52) Bei Streitigkeiten über arbeitsrechtliche Ansprüche spielen ADR-Verfahren in allen Mitgliedstaaten bereits eine zentrale Rolle. Den Sozialpartnern (Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer) kommt in diesen Verfahren, die nach eigenen Gesetzmäßigkeiten ablaufen, eine besondere Bedeutung zu. Bei der Lösung sowohl kollektiver Interessenkonflikte (Annahme oder Änderung von Tarifverträgen, bei denen gegensätzliche wirtschaftliche Interessen zu regeln sind) als auch von Konflikten rechtlicher Natur (Annahme und Änderung von Vertragsbestimmungen oder Rechtsvorschriften) haben sich ADR als wirkungsvoll erwiesen. Für die arbeitsrechtlichen ADR-Verfahren sind größtenteils die Sozialpartner zuständig. Kommt keine Einigung zustande, können die Beteiligten jedoch staatliche ADR-Einrichtungen in Anspruch nehmen. Die Verfahren unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, aber die Entscheidung, ein ADR-Verfahren in Anspruch zu nehmen, liegt generell im Ermessen der Beteiligten ebenso wie die Annahme des Ergebnisses.

(53) Da fast alle Mitgliedstaaten ADR-Verfahren für den Fall bereitstellen, dass sich die Sozialpartner nicht einigen können, denken die EU-Institutionen inzwischen darüber nach, ob es nicht zweckmäßig wäre, auf europäischer Ebene ein Verfahren für grenzübergreifende Streitigkeiten vorzusehen. In ihrer Mitteilung vom 28. Juni 2000 "Sozialpolitische Agenda" [108] vertritt die Kommission die Auffassung, dass die Modernisierung des europäischen Sozialmodells insbesondere die Entwicklung neuer Instrumente zur Prävention und Beilegung von Streitigkeiten erfordert. In der Mitteilung kündigt sie ihre Absicht an, "die Sozialpartner zu der Frage anzuhören, ob auf europäischer Ebene freiwillige Vermittlungs-, Schieds- und Schlichtungsmechanismen zur Konfliktverhütung eingerichtet werden müssen". Diese Anhörung wird von der Kommission zurzeit vorbereitet. Die Kommission finanziert hierzu eine Studie über die verschiedenen Methoden zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse dieser Studie dürften im April 2002 vorliegen und werden der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Kommission denkt weiter darüber nach, wie auf europäischer Ebene ADR-Einrichtungen eingesetzt werden könnten, wie sie arbeiten sollten und welcher Mehrwert zu erwarten ist. Der Rat "Beschäftigung und Sozialpolitik" hat das Vorhaben der Kommission auf seiner Tagung vom 3. Dezember 2001 begrüßt und die Kommission ersucht, "über das Ergebnis der Anhörung der Sozialpartner in der Frage, ob die Notwendigkeit der Schaffung auf Freiwilligkeit beruhender Streitbeilegungsmechanismen auf europäischer Ebene besteht, Bericht zu erstatten" [109]. Der Europäische Rat hat seinerseits auf der Tagung vom 14./15. Dezember 2001 in Laeken nachdrücklich darauf hingewiesen, "wie wichtig es ist, soziale Konflikte, insbesondere soziale Konflikte grenzüberschreitender Art, durch freiwillige Schlichtungsmechanismen - zu denen von der Kommission ein Diskussionspapier erbeten wird - zu verhindern bzw. beizulegen" [110].

[108] KOM(2000) 379 vom 28. Juni 2000.

[109] Schlussfolgerungen des Rates "Beschäftigung und Sozialpolitik" zur Vermittlung in Sozialfragen, http://ue.eu.int/newsroom.

[110] Rdnr. 25 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

3. Die Qualität von ADR gewährleisten

(54) Die konkreten Maßnahmen, Initiativen und Diskussionen, die zurzeit auf politischer und legislativer Ebene in den Mitgliedstaaten wie auch im Gemeinschafts- und im internationalen Rahmen stattfinden, sollen dazu beitragen, die Qualität von ADR im Hinblick auf Zugänglichkeit, Effizienz und Garantien einer guten Rechtspflege zu wahren, gleichzeitig aber auch mehr Flexibilität zu ermöglichen. Um diese beiden Zielvorgaben zu erreichen, wäre vorab zu klären, ob dabei nach einem sektoralen oder einem globalen Ansatz vorgegangen werden sollte und ob bei den zu treffenden Maßnahmen zwischen Online-Schlichtungsverfahren und herkömmlichen Verfahren unterschieden werden sollte oder nicht.

3.1 Mögliche Ansätze

(55) Die Reaktionen auf das Grünbuch - Antworten auf die darin formulierten Fragen sowie allgemeine Stellungnahmen - sollen Aufschluss darüber geben, in welcher Weise sich die Kommission für die alternative Streitbeilegung einsetzen könnte und inwieweit beispielsweise ein Interesse daran besteht, auf Gemeinschaftsebene Regeln über alternative Streitbeilegung einzuführen. Diese Regeln sollten die von den Gemeinschaftsinstitutionen bereits unternommenen oder geplanten Arbeiten zu operationellen, finanziellen und sachbezogenen Aspekten von ADR in jedem Fall ergänzen. Für die Bestimmung der Rechtsgrundlage sind der genaue Inhalt und die beabsichtigte Tragweite der Regeln ausschlaggebend.

(56) Erkennen die Mitgliedstaaten die Zweckmäßigkeit solcher Regeln an, wären deren Anwendungsbereich, Verbindlichkeit und Inhalt festzulegen und der geeignete Rechtsakt - Verordnung, Richtlinie oder Empfehlung - entsprechend den ins Auge gefassten Maßnahmen zu bestimmen. Die aufgrund des Grünbuchs und der damit einhergehenden Konsultation getroffenen Maßnahmen müssten im Übrigen den Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gemäß Artikel 5 EGV und dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen [111].

[111] ABl. C 340 vom 10. November 1997, S. 105. Nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips können die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen nicht ausreichend durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten erreicht werden und können daher besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden. Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen die Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinausgehen.

(57) Sollte eine Regelung auf Gemeinschaftsebene nicht zustande kommen, könnte die Kommission zwecks weiterer Annäherung der einzelstaatlichen ADR-Vorschriften und -Praktiken ihre Anstrengungen zur Förderung der Forschung und Zusammenarbeit im Bereich des vergleichenden Rechts insbesondere zwischen Rechtswissenschaftlern und Praktikern, einschließlich Richtern und Sachverständigen, fortsetzen. Ziel der Zusammenarbeit könnte die Festlegung gemeinsamer Prinzipien für jene Bereiche sein, für die ADR besonders geeignet ist. Denkbar wäre sogar die Ausarbeitung von Leitlinien oder besonderen Verhaltenskodizes für bestimmte Arten von ADR. Im Bereich des E-Commerce arbeiten die Fach- oder Verbraucherverbände auf Gemeinschaftsebene selbst Verhaltenskodizes für die Online-Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 16 der E-Commerce-Richtlinie aus [112]. Zu prüfen wäre auch, ob die ADR-Beteiligten nicht gemeinsame Verhaltensregeln mit bestimmten Verfahrensgarantien für ADR auf regionaler oder internationaler Ebene festlegen könnten.

[112] Siehe Rdnr. 41.

(58) In den beiden ersten Abschnitten dieses Grünbuchs ("Überblick" und "Orientierung an bereits laufenden Arbeiten") hat die Kommission nicht nur von ihr bereits unternommene Arbeiten aufgelistet, sondern verweist auf die politische und rechtliche Bedeutung verschiedener Initiativen, die gegebenenfalls ergänzend zu diesen Maßnahmen getroffen werden können. Dazu hat sie folgende Fragen formuliert:

Frage 1: Gibt es Problemstellungen, die im Bereich der alternativen Streitbeilegung ein Vorgehen auf Gemeinschaftsebene rechtfertigen würden- Wenn ja, welcher Art sind diese Probleme- Welchen Ansatz sollten die EU-Organe Ihrer Ansicht nach im Bereich der alternativen Streitbeilegung verfolgen- Wie weit könnten die Initiativen gehen-

Frage 2: Sollten die anzuwendenden Grundsätze lediglich für einen Bereich (z.B. Handelsrecht oder Familienrecht) festgelegt und die einzelnen Bereiche folglich differenziert betrachtet werden- Oder sollten die Grundsätze vielmehr so weit wie möglich auf alle Bereiche des Zivil- und Handelsrechts Anwendung finden-

Frage 3: Sollten bei den zu treffenden Maßnahmen zwischen Online-Schlichtungsverfahren, die im Zuge der neuen Technologien entstanden sind und sich durch ihnen eigene Besonderheiten auszeichnen, und herkömmlichen Verfahren unterschieden werden oder nicht-

Frage 4: Wie wäre eine stärkere Inanspruchnahme von ADR im Bereich des Familienrechts zu erreichen-

3.2 Globaler Ansatz

(59) Unabhängig von der Vorgehensweise der Gemeinschaft stellen sich eine Reihe von Fragen, die es zu klären gilt. Es handelt sich insbesondere um Anforderungen an den Rechtsschutz, an Qualitätsnormen und an die Stellung der ADR-Verantwortlichen.

3.2.1 ADR und Rechtsschutz

(60) Im Abschnitt "Überblick" zeigt die Kommission auf, welche Rolle ADR-Verfahren generell unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht für jedermann spielen können. Die effektive Funktionsweise von ADR muss ebenfalls aus diesem Blickwinkel untersucht werden. Weitere Fragen betreffen die Reichweite der Vertragsklauseln zur Inanspruchnahme von ADR, Verjährungsfristen, Vertraulichkeit, Wirksamkeit von ADR und die Verantwortung der ADR-Verantwortlichen.

3.2.1.1 Inanspruchnahme von ADR

(61) In einigen Mitgliedstaaten kann das Gericht von Rechts wegen erst dann angerufen werden, wenn zuvor ein ADR-Verfahren stattgefunden hat [113]. Diese Rechtsvorschriften beziehen sich jedoch auf bestimmte Rechtsbereiche und gelten somit nur begrenzt. Die Mitgliedstaaten bieten ADR in der Regel lediglich als Option an: Entweder die Parteien folgen dem Vorschlag des Gerichts, oder die eine Partei macht einen Vorschlag, den die andere Partei akzeptiert.

[113] Siehe Rdnr. 28.

(62) Die Vertragsklauseln zur Inanspruchnahme von ADR dürften allerdings insofern das Recht auf Zugang zur Justiz beeinträchtigen, als sich dadurch die Anrufung des Gerichts verzögern kann oder das Gericht letztlich gar nicht mehr eingeschaltet werden darf [114]. ADR-Verfahren könnten somit den Zugang zur Justiz im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Artikels 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verhindern [115].

[114] Mit der Einführung einer Regelung, wonach die Verjährungsfristen ausgesetzt werden, wäre gewährleistet, dass die Anrufung eines Gerichts auch nach Abschluss eines ADR-Verfahrens möglich bliebe, siehe Rdnrn. 68 ff.

[115] Artikel 47 Absatz 1 der Charta: "Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen".

(63) Wird ADR in Anspruch genommen, erfolgt dies in der Regel im Einvernehmen der Beteiligten. Die Freiheit der Zustimmung manifestiert sich in allen Verfahrensphasen. Besteht zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis, können sie für den Fall etwaiger Streitigkeiten Vorkehrungen treffen und eine Vertragsklausel vorsehen, wonach sie bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Vertragserfuellung zunächst eine Lösung im Wege von ADR suchen müssen. Aber auch wenn ihr Vertrag keine solche Klausel enthält, steht es ihnen frei, ein ADR-Verfahren in Anspruch zu nehmen, an dem ein Richter beteiligt sein kann.

(64) Somit stellt sich die Frage, ob diese Klauseln zwingend vorgeschrieben werden sollten. Schließlich ist es nicht sinnvoll, jemanden gegen seinen Willen zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren zu verpflichten, da der Erfolg des Verfahrens von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten abhängt.

(65) Können die Parteien frei über ihre Rechte verfügen und kommen sie ihren Verpflichtungen aus der ADR-Vereinbarung nicht nach, ist die Lösung in der Auslegung des Parteiwillens und im Vertragsrecht zu suchen. Ruft eine Partei das Gericht an und bekundet damit ihre Weigerung, an einem vertraglich vereinbarten ADR-Verfahren teilzunehmen, könnte dies als Verstoß gegen eine Vertragsverpflichtung sanktioniert werden. Aufgrund der Weigerung könnte der mit einer Klage wegen mangelnder Erfuellung anderer Vertragsbestimmungen befasste Richter die Klage als unzulässig abweisen. Die Verweigerung eines ADR-Verfahrens könnte auch als Verletzung des Gebots von Treu und Glauben ausgelegt werden.

(66) Die Tragweite derartiger Klauseln ist vor allem mit Blick auf ein etwaiges Kräfteungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien zu prüfen. Die Mitgliedstaaten haben dem Schutz der schwächeren Vertragspartei, z.B. Angestellte kontra Arbeitgeber, Mieter kontra Eigentümer, Versicherungsnehmer kontra Versicherungsunternehmen, Verbraucher kontra Unternehmen, Einzelhändler kontra Großhändler, Produzenten kontra Einkaufszentralen, Gesellschafter (Minderheitsaktionär) kontra Unternehmen, in ihren Rechtsvorschriften eine gewisse Bedeutung eingeräumt.

(67) Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Richtlinie 93/13/EWG [116] über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Klauseln zur Inanspruchnahme von ADR-Verfahren im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen nicht grundsätzlich untersagt. Gemäß der Richtlinie ist eine "Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht". Die Richtlinie umfasst einen Anhang mit einer Liste von Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können, z. B. Klauseln, mit denen "dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelf bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird".

[116] Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L vom 21. April 1993, S. 29.

Frage 5: Sollen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Klauseln zur Inanspruchnahme von ADR-Verfahren in rechtlichen Hinsicht etwa gleichwertig sind-

Frage 6: Wenn ja, sollten die Klauseln generell Geltung haben, oder sollte ihre Geltung begrenzt sein, wenn sie Teil von allgemeinen Geschäftsbedingungen, Vertragsformblättern oder speziell von Verbraucherverträgen sind-

Frage 7: Welche Tragweite sollten die Klauseln haben-

Frage 8: Sollte gegebenenfalls sogar festgelegt werden, dass bei einem Verstoß gegen die Klauseln das Gericht den Fall zumindest vorläufig abweisen kann-

3.2.1.2 Verjährungsfristen

(68) Der Rückgriff auf ADR dürfte insofern das Recht auf Zugang zur Justiz beeinträchtigen, als die Klagefristen dennoch weiterlaufen würden. Nach einem gegebenenfalls gescheiterten ADR-Verfahren hätten die Streitparteien unter Umständen keine Gelegenheit mehr, den Rechtsweg zu beschreiten, oder ihre Verjährungsfristen hätten sich ohne Grund de facto verkürzt.

(69) Die Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten sehen bei Inanspruchnahme bestimmter ADR-Instanzen eine "Aussetzung" der Klagefrist vor [117]. Eine Förderung der alternativen Streitbeilegung wäre also auch durch die Änderung der zivilprozessrechtlichen Verjährungsfristen möglich. Die Frist könnte bei Beginn des ADR-Verfahrens unterbrochen werden und würde wieder ab dem Zeitpunkt beginnen, zu dem das Verfahren ergebnislos beendet wurde.

[117] Dies ist in Deutschland der Fall, wenn die ADR-Organe von der Landesjustizverwaltung zugelassen worden sind.

(70) Eine solche Regel könnte allerdings insofern problematisch sein, als ADR-Verfahren genau definiert werden müssten und Anfang und Ende präzise festzulegen wären.

(71) Der Fall einer grenzübergreifenden Streitigkeit, bei der die Beteiligten in einem Mitgliedstaat an einem ergebnislosen ADR-Verfahren teilgenommen haben, für die jedoch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates zuständig sind, macht deutlich, wie wichtig es ist, dass in allen Mitgliedstaaten dieselbe Regelung gilt, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Inhalts als auch der Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme. Das Zivilverfahrensrecht des zuständigen Gerichts ("lex fori") könnte beispielsweise die Aussetzung der Verjährungsfristen in dem betreffenden Streitfall vorsehen, doch müssten die Parteien hierzu den Nachweis erbringen, dass sie tatsächlich an einem ADR-Verfahren teilgenommen haben, das in dieser Zeit stattgefunden hat.

Frage 9: Müssten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Frist zur Klageerhebung ausgesetzt wird, wenn ein ADR-Verfahren in Anspruch genommen wird-

3.2.2 Qualitätsmindestnormen

(72) ADR sind zwar flexibel, müssen aber dennoch gewisse Qualitätsmindestnormen beachten, darunter einige wichtige Verfahrensgrundsätze. So folgen ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens öffentlich-rechtlichen Vorgaben und finden unter Aufsicht eines Richters statt. Bei nichtgerichtlichen ADR wählen dagegen die Parteien die Verfahrensgrundsätze, indem sie sich beispielsweise an den Verfahrensmodellen der Berufsverbände oder an Verhaltenskodizes orientieren. Es stellt sich somit die Frage, wie sich die Anwendung der Verfahrensgrundsätze am besten gewährleisten lässt. Beispielsweise kämen Initiativen der Berufsverbände selbst in Frage nach dem Vorbild der IT-Dienstleistungen. Diese Initiativen werden von der Kommission aktiv gefördert, doch stellt sich ihr die Frage, ob es nicht notwendig ist, die Beteiligten dazu anzuhalten, die Umsetzung dieser Initiativen durch Dritte stärker zu kontrollieren und Gütesiegel (sog. Trustmarks) und Zertifizierungsverfahren einzuführen [118]. Die Förderung solcher Selbstregulierungsinitiativen könnte durchaus das Vertrauen in die alternative Streitbeilegung stärken, ohne dass ihre Anpassungsfähigkeit und Attraktivität darunter leidet, und den Rückgriff auf weniger flexible Verfahren der öffentlichen Gewalt vermeiden helfen.

[118] Mit diesen Fragen setzt sich die unter Rdnr. 40 angekündigte Mitteilung zu Online-Schlichtungsverfahren auseinander.

(73) Wie bereits im Zusammenhang mit Verbraucherrechtsstreitigkeiten erwähnt, hat die Kommission zwei Empfehlungen zu den außergerichtlichen Einrichtungen angenommen, die für die Beilegung von nationalen oder grenzübergreifenden Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind [119]. Es soll gewährleistet werden, dass ADR den Parteien gewisse Mindestgarantien wie Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Transparenz, Effizienz und Achtung des Rechts bietet. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit der Organe gestärkt, die diesen Kriterien entsprechen.

[119] Siehe Rdnr. 37.

(74) Bei der Festlegung dieser Grundsätze hat die Kommission danach unterschieden, ob der ADR-Verantwortliche förmlich zu der möglichen Konfliktlösung Stellung bezieht [120] oder die Parteien lediglich bei der Suche nach einer gütlichen Einigung unterstützt. Interveniert er bei den Verhandlungen formell, muss er hinsichtlich seiner Unabhängigkeit besonderen Anforderungen genügen, und das Verfahren muss kontradiktorisch aufgebaut sein, d. h. jede Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Standpunkt darzulegen, und die Parteien müssen über jedes Vorgehen der anderen Partei informiert werden und Kenntnis von den Dokumenten oder Beweisen erhalten, die diese vorlegt, und über die vorbehaltlos verhandelt wird. Hat der ADR-Verantwortliche im Verfahren weniger Gewicht, können weniger strenge Anforderungen gelten. In der ersten Empfehlung werden sieben Prinzipien genannt: Unabhängigkeit, Transparenz, kontradiktorisches Verfahren, Effizienz, Rechtmäßigkeit, Handlungsfreiheit und Vertretung. Die Prinzipien in der zweiten Empfehlung lauten Unparteilichkeit, Transparenz, Effizienz und Fairness.

[120] Diese Empfehlung und das Grünbuch verfolgen einen unterschiedlichen Ansatz, daher ist auch der Anwendungsbereich ein anderer. Schiedsgerichtsverfahren fallen zwar unter die Empfehlung, nicht aber unter das Grünbuch, während ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens durch das Grünbuch, nicht aber von der Empfehlung erfasst werden.

(75) Der ersten Empfehlung der Kommission wurde bereits gefolgt. Sie wurde in den Mitgliedstaaten umgesetzt, wie die Zahl der von den Mitgliedstaaten notifizierten Einrichtungen zeigt, die im EEJ-Net zusammengeschlossen sind und die sich die Grundsätze der Empfehlung zu eigen gemacht haben. Die Leistungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit des FIN-NET gründet auf dieser Empfehlung und auf der Einhaltung ihrer Grundsätze. Im Gemeinschaftsrecht kommt dieser Empfehlung überdies eine besondere Bedeutung zu [121]. Auch die zweite Empfehlung wird von allen Beobachtern übereinstimmend als nützlich angesehen. Diese Empfehlungen müssen sich zwar in der Praxis erst noch bewähren, doch empfiehlt es sich, bereits im Rahmen der Konsultationen zu diesem Grünbuch die Meinung der Fachkreise zur Leistungsfähigkeit dieser Empfehlungen einzuholen.

[121] Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 96/92/EG und 98/30/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt, KOM (2001) 125 endg., Anhang I Buchstabe f): " Die Mitgliedstaaten gewährleisten transparente, einfache und kostengünstige Verfahren zur Behandlung von Beschwerden von Endkunden. Die Mitgliedstaaten ergreifen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass diese Verfahren eine gerechte und zügige Beilegung von Streitfällen ermöglichen und sehen für die entsprechenden Fälle ein Erstattungs- und Entschädigungssystem vor. Soweit möglich befolgen sie die in der Empfehlung 98/257/EG der Kommission dargelegten Grundsätze."

(76) Da die in den Empfehlungen niedergelegten Grundsätze in der Praxis bereits Wirkung zeigen, wären im Zuge einer solchen Stärkung der Gemeinschaftsinitiative Überlegungen über neue Maßnahmen anzustellen, die über das Verbraucherrecht hinaus weitere Rechtsbereiche abdecken könnten. Diese im Verbraucherrecht verankerten Grundsätze könnten mit den notwendigen Anpassungen durchaus für alle ADR-Verfahren nützlich sein. In dem bereits erwähnten Beschluss vom 29. Mai 2000 stellt der Rat in Bezug auf das Grünbuch und etwaige weitere Arbeiten zur alternativen Streitbeilegung Folgendes fest: "Vorrang wird das Bemühen um Aufstellung allgemeiner oder auch speziell auf bestimmte Bereiche zugeschnittener grundlegender Prinzipien haben, die die erforderlichen Garantien dafür bieten sollen, dass die Streitbeilegung durch außergerichtliche Instanzen den für die Rechtspflege gebotenen Grad an Verlässlichkeit bietet."

(77) Stützen sich ADR auf bestimmte Mindestverfahrensgarantien, können sie als allgemeine Grundsätze gesetzlich festgelegt werden und auf sublegislativer Ebene in Form von Verhaltenskodizes angewandt und weiter entwickelt werden. Die wesentlichen Verfahrensgrundsätze können somit zu berufsethischen Regeln werden, die für das Funktionieren der alternativen Streitbeilegung eine besondere Rolle spielen. Ihre Entwicklung verdeutlicht das Bemühen der Praktiker, die Qualität der alternativen Streitbeilegung zu gewährleisten. Die Verfahrensvorschriften zielen auf die Unparteilichkeit des ADR-Verantwortlichen, die genaue Bestimmung der Rolle, die der ADR-Verantwortliche im Verfahren spielt, die präzise Festlegung der Fristen, innerhalb deren eine Lösung gefunden werden muss, sowie die erforderlichen Modalitäten für den Abschluss von Vereinbarungen. Diese Regeln könnten wesentlich zur Verbesserung der alternativen Streitbeilegung beitragen.

(78) Der Kommission erschien es außerdem wichtig, unter den Mindestverfahrensgarantien die Achtung der Vertraulichkeit besonders herauszuheben.

3.2.2.1 Vertraulichkeit

(79) In den meisten Fällen wünschen die Parteien, die an ADR-Verfahren teilnehmen, dass die während des Verfahrens mündlich oder schriftlich ausgetauschten Informationen gegebenenfalls bis zum Vorliegen eines Ergebnisses vertraulich behandelt werden. Vertraulichkeit ist offenbar die Hauptvoraussetzung für den Erfolg der alternativen Streitbeilegung, weil die Parteien auf dieser Basis offen und ehrlich miteinander umgehen können. Es muss dafür gesorgt werden, dass ADR-Verfahren nicht dazu missbraucht werden können, an Beweismittel zu gelangen, die bei einem Scheitern des Verfahrens anschließend vor Gericht verwendet werden. Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit gilt sowohl für die Streitparteien als auch für den ADR-Verantwortlichen.

(80) Zur Vertraulichkeit sind zunächst die Parteien selbst verpflichtet. Die Informationen, die während des Verfahrens zwischen ihnen ausgetauscht werden, sollten daher bei einem etwaigen späteren Gerichts- oder Schiedsverfahren nicht als Beweismittel zugelassen werden können, wobei bestimmte Ausnahmen denkbar wären. So könnten die Parteien einvernehmlich beschließen, für einen Teil des Verfahrens oder das gesamte Verfahren auf Vertraulichkeit zu verzichten. Bestimmte Aspekte des ADR-Verfahrens sollten von einer Partei preisgegeben werden können, wenn das Gesetz dies vorschreibt. Eine Partei sollte auch die Vereinbarung, durch die der Streit mit der anderen Partei beigelegt wird, veröffentlichen können, wenn dies zur Umsetzung oder Durchführung der Vereinbarung erforderlich ist.

(81) Der ADR-Verantwortliche ist ebenfalls zu absoluter Vertraulichkeit verpflichtet. Teilt ihm eine Partei in einem Gespräch, an dem die andere Partei nicht teilnimmt, bestimmte Sachverhalte mit, muss er gegenüber der anderen Partei Stillschweigen bewahren. Mit Hilfe des Vertraulichkeitsgebots lässt sich im Übrigen die Rolle des ADR-Verantwortlichen im Verfahren präziser bestimmen, und zwar im Hinblick auf die Garantie eines fairen Verfahrens. Soll der ADR-Verantwortliche aktiv an der Suche nach einer Lösung beteiligt werden, muss er unbedingt den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachten und darf mit den Parteien Einzelgespräche nur mit dem Ziel führen, eine Einigung herbeizuführen. Endet das Verfahren mit einer Empfehlung oder einer Entscheidung des ADR-Verantwortlichen, muss die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass der ADR-Verantwortliche im Laufe des Verfahrens eine Partei zu einem vertraulichen Gespräch einlädt. Im Abschnitt "Fairness" der erwähnten Empfehlung der Kommission vom 4. April 2001 heißt es dazu wie folgt: "Werden von einem Dritten Lösungen zur Beilegung der Streitigkeit vorgeschlagen, so sollten beide Parteien Gelegenheit haben, ihren Standpunkt darzulegen, sowie sich zu sämtlichen Argumenten, Angaben oder Beweismitteln, die von der anderen Partei vorgelegt wurden, zu äußern".

(82) Scheitert das ADR-Verfahren, sollte es grundsätzlich nicht zulässig sein, den ADR-Verantwortlichen in derselben Sache als Zeugen oder Schiedsrichter heranzuziehen, da er gegebenenfalls Zugang zu Informationen hatte, die ein Schiedsrichter nicht unbedingt hätte erlangen können. Der ADR-Verantwortliche kann allerdings von seiner Vertraulichkeitspflicht entbunden werden, wenn die Parteien einverstanden sind, dass er bestimmte vertrauliche Angaben preisgibt oder wenn der ADR-Verantwortliche selbst, der ja von Berufs wegen der Schweigepflicht unterliegt, nach geltendem Recht bestimmte Informationen preisgeben muss [122].

[122] Zum Beispiel Rechtsvorschriften gegen Geldwäsche, wie die Richtlinie vom 19. November 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, die gleichwohl Notare, unabhängige Anwälte und Anwaltskanzleien von der Verpflichtung befreit, Angaben im Falle eines Geldwäscheverdachts zu machen, wenn sie vor oder nach einem Gerichtsverfahren, während eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen der Bewertung der Rechtslage eines Mandanten im Namen ihres Mandanten auftreten. Diese Vorschrift scheint für die Angehörigen dieser Berufsgruppen in ihrer Eigenschaft als Berater ihrer Mandanten zu greifen, nicht aber wenn sie als ADR-Verantwortliche auftreten.

Frage 10: Welche Erfahrungen wurden bisher bei der Anwendung der beiden Kommissionsempfehlungen von 1998 und 2001 gemacht-

Frage 11: Wäre es denkbar, die in den beiden Empfehlungen niedergelegten Grundsätze unterschiedslos auf andere Bereiche als das Verbraucherrecht, d. h. das Zivil- und Handelsrecht, auszudehnen und anzuwenden-

Frage 12: Welche der in den Empfehlungen formulierten Grundsätze könnten in das Recht aller Mitgliedstaaten übernommen werden-

Frage 13: Sollten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bereichen wie dem Familienrecht Ihrer Ansicht nach angeglichen werden, um gemeinsame Grundsätze für Verfahrensgarantien festzulegen-

Frage 14: Welche Initiative müssten die Institutionen der Europäischen Union in enger Zusammenarbeit mit den Beteiligten hinsichtlich der berufsethischen Regeln ergreifen, die für ADR-Verantwortliche zu gelten hätten-

Frage 15: Müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Vertraulichkeit von ADR-Verfahren in jedem Mitgliedstaat gewährleistet ist-

Frage 16: Wenn ja, in welcher Weise und bis zu welchem Grad müsste die Vertraulichkeit gewährleistet werden- Inwieweit sollte sich die Vertraulichkeit auch auf die Veröffentlichung der Ergebnisse des ADR-Verfahrens erstrecken-

3.2.2.2 Gültigkeit der Einigung

(83) Die Einigung zwischen den Parteien stellt den wichtigsten und in gewisser Weise schwierigsten Schritt im gesamten Verfahren dar. Es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass die getroffene Vereinbarung auch tatsächlich eine Einigung darstellt. Kommt darin der Wille der Parteien nicht wirklich zum Ausdruck und stellt sie insofern keinen echten Kompromiss dar, den die Parteien zu akzeptieren bereit sind, was bedeutet, dass sie ursprünglich vertretene Forderungen aufgeben, hat das ADR-Verfahren seine Hauptziele - die wirkliche Regelung der Streitigkeiten und die daraus folgende soziale Befriedung - verfehlt. Dies könnte zu weiteren Problemen führen. So könnte eine Partei beispielsweise die Gültigkeit der Einigung vor Gericht anfechten oder den ADR-Verantwortlichen mit der Begründung haftbar machen, er habe sie dazu gedrängt, einen unfairen Kompromiss anzunehmen. Vor allem wenn zwischen den Parteien wirtschaftlich ein Ungleichgewicht herrscht, sollten für den Abschluss und die Unterzeichnung der Einigung sicherheitshalber gewisse Formalien vorgesehen werden. Die Gültigkeit der zum Ausdruck gebrachten Zustimmung sollte unbedingt gewährleistet werden. Deshalb wäre es zweckmäßig, vor der Unterzeichnung eine Bedenkzeit [123] bzw. nach der Unterzeichnung eine Rücktrittsfrist [124] vorzusehen. Zu prüfen wäre auch die Möglichkeit, eine Anerkennungsfrist vorzusehen, innerhalb deren die Gültigkeit der Vereinbarung überprüft und die Vereinbarung als Vollstreckungstitel bestätigt werden könnte. Zuständig hierfür wäre ein Richter oder Notar, in Betracht kämen aber auch fachlich qualifizierte Einrichtungen wie beispielsweise die Handelskammern.

[123] In der vorgenannten Empfehlung vom 4. April 2001 heißt es im Abschnitt "Fairness": "sollten die Parteien, bevor sie einer angeregten Lösung zur Beilegung der Streitigkeit zustimmen, eine angemessene Bedenkzeit erhalten, um diese Lösung zu prüfen."

[124] Diese Rechtstechnik ist im Gemeinschaftsrecht durchaus üblich. Beispiele hierfür sind: Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31. Dezember 1985, S.31; Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG, ABl. L 330 vom 29. November 1990, S. 50; Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. L 280 vom 29. Oktober 1994, S. 83; Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4. Juni 1997, S. 19.

3.2.2.3 Effizienz der alternativen Streitbeilegung

(84) Im Bereich des Verbraucherrechts muss sich der ADR-Verantwortliche unter Umständen förmlich zu der Konfliktlösung äußern und eine für eine Partei gegebenenfalls verbindliche Entscheidung treffen. Dies gilt im Fall der "Ombudsleute", an die sich Kunden beispielsweise im Bank- und Versicherungswesen mit Beschwerden wenden können. Ihre Entscheidungen sind für die Unternehmen, die sich dem System angeschlossen haben, verbindlich. Die Effizienz der Entscheidung wird in diesem Fall in erster Linie unter Marketing-Gesichtspunkten bewertet. Treffen die Unternehmen nach der Entscheidung keine weiteren Maßnahmen, laufen sie Gefahr, dass die Entscheidung veröffentlicht wird oder ihnen das Gütezeichen entzogen wird, wenn sie sich einem solchen Handelssystem angeschlossen haben.

(85) Gelangen die Parteien in einem ADR-Verfahren zu einer Einigung, stellt sich insbesondere bei grenzübergreifenden Streitigkeiten die Frage der Tragweite dieser Einigung. Ihre rechtliche Bewertung ist für die Effizienz der alternativen Streitbeilegung ausschlaggebend. In den Mitgliedstaaten werden im Rahmen der alternativen Streitbeilegung getroffene Vereinbarungen sehr unterschiedlich eingestuft, so dass sich hier ein sehr komplexes Bild ergibt. ADR-Verfahren können beispielsweise zu einer einfachen vertraglichen Vereinbarung führen, aber auch andere Formen annehmen, wie ein Schlichtungs- oder Mediationsprotokoll. Allen Formen ist gemeinsam, dass es sich dabei im Prinzip unabhängig von der vorgenommenen Bewertung um einen "Vergleich" handelt. Werden diese Vereinbarungen mit der Vollstreckungsklausel versehen, können sie vollstreckt werden. Entweder werden sie von einem Gericht anerkannt, das einen Vollstreckungstitel erteilt, oder die Parteien nehmen bei einer staatlich anerkannten Stelle, beispielsweise einem Notar, eine öffentliche Urkunde auf. In einigen Mitgliedstaaten werden von einer zugelassenen ADR-Einrichtung protokollierte Vergleiche Vollstreckungstiteln gleichgestellt [125] [126] . Allerdings besitzt ein Vergleich nicht in allen Mitgliedstaaten die gleiche Rechtskraft. Die Gültigkeit und somit auch die Wirksamkeit der Einigung hängen demzufolge von den Kollisionsnormen ab [127].

[125] In Deutschland muss die Stelle, vor der der Vergleich geschlossen wurde, von der Landesjustizverwaltung gemäß 794 Absatz 1 ZPO anerkannt worden sein.

[126] Gemäß Artikel 1441-4 der neuen französischen Zivilverfahrensordnung kann der Präsident des Tribunal de grande instance seit 1998 auf Antrag einer der Parteien des Vergleichs die ihm vorgelegte Vergleichsurkunde für vollstreckbar erklären. Die Rechtsnatur des in dieser Weise anerkannten Vergleichs scheint allerdings umstritten. Fraglich ist, ob es sich um ein gerichtliches Schriftstück wie eine Gerichtsentscheidung oder um eine vertragliche Vereinbarung handelt.

[127] Die in diesem Bereich geltenden Kollisionsnormen wurden auf Gemeinschaftsebene durch das Übereinkommen von Rom vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vereinheitlicht, konsolidierte Fassung im ABl. C 27 vom 26. Januar 1998, S. 36.

(86) Im Übrigen handelt es sich bei dem Prozessvergleich im Sinne des Brüsseler Übereinkommens und der Verordnung "Brüssel I" [128] lediglich um einen vor Gericht geschlossenen Vertrag, mit dem die Parteien durch gegenseitige Konzessionen die Streitigkeit beilegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Brüsseler Übereinkommen von 1968, das durch die Verordnung "Brüssel I" ersetzt worden ist, stellen diese Vergleiche keine "Entscheidungen" im Sinne von Artikel 25 des Übereinkommens dar, "denn Prozessvergleiche sind im Wesentlichen vertraglicher Natur, da ihr Inhalt vor allem vom Willen der Parteien bestimmt wird" [129]. Im Falle einer Kollision zwischen einem Gerichtsurteil und einer im Rahmen der alternativen Streitbeilegung erzielten Einigung, bei denen es jeweils um denselben Gegenstand geht, lässt die durch die alternative Streitbeilegung erreichte Einigung, die einem Prozessvergleich ähnlich ist, einen Einspruch gegen den Antrag auf Erklärung der Vollstreckbarkeit dieses Urteils nicht zu.

[128] Artikel 58 der Verordnung.

[129] EuGH vom 2. Juni 1994, Rs. C-414/92, Solo Kleinmotoren, Slg. I-2237.

(87) Für öffentliche Urkunden gilt im Übrigen das vereinfachte Exequaturverfahren, das durch das Brüsseler Übereinkommen und die Verordnung "Brüssel I" eingeführt wurde, um den freien Verkehr im Gebiet der Europäischen Union zu ermöglichen. In seiner Rechtsprechung [130] weist der Gerichtshof unter Hinweis auf den Jenard-Möller-Bericht über das Übereinkommen von Lugano [131] darauf hin, dass eine Urkunde, die als öffentliche Urkunde gelten soll, folgenden Kriterien genügen muss: "Die Beurkundung muss von einer Behörde vorgenommen worden sein; die Beurkundung muss sich auf den Inhalt und nicht nur z. B. auf die Unterschrift beziehen; die Urkunde muss in dem Staat, in dem sie ausgestellt worden ist, als solche vollstreckbar sein." Der Gerichtshof kommt zu dem Schluss, dass "ein nach dem Recht des Ursprungsstaats vollstreckbarer Schuldschein, der nicht von einer Behörde oder einer anderen von diesem Staat hierzu ermächtigten Stelle beurkundet worden ist, keine öffentliche Urkunde im Sinne von Artikel 50 des Brüsseler Übereinkommens ist." Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass bestimmte Protokolle, die im Rahmen von ADR-Verfahren geschlossen wurden, öffentliche Urkunden im Sinne der Verordnung "Brüssel I" darstellen könnten, sofern sie von öffentlichen Behörden erstellt und für vollstreckbar erklärt worden sind. Hiervon ausgenommen wären Vereinbarungen, die lediglich auf dem Willen der Parteien beruhen und nicht unter Mitwirkung einer öffentlichen Stelle (z. B. Gericht oder Notar) geschlossen worden sind. Diese Überlegungen zeigen, wie unterschiedlich die aus ADR-Verfahren hervorgegangenen Vereinbarungen sowohl hinsichtlich ihres Wesens und ihrer Rechtskraft als auch hinsichtlich ihrer internationalen Wirksamkeit auf europäischer Ebene bewertet werden. Im Übrigen ist es widersinnig, dass zur Erreichung eines wesentlichen Ziels der alternativen Streitbeilegung, nämlich das Vermeiden eines Gerichtsprozesses, unter Umständen ein Gericht angerufen werden muss, das den im ADR-Verfahren erzielten Vereinbarungen Rechtskraft verleiht.

[130] EuGH vom 17. Juni 1999, Rs. C-260/97, Unibank AS/Flemming G. Christensen, Slg. 1999, I-3715.

[131] ABl. C 189 vom 28. Juli 1990, S. 57, Ziff. 72.

Frage°17: Sollte Ihrer Ansicht nach auf Gemeinschaftsebene eine Regelung eingeführt werden, die nach Abschluss des ADR-Verfahrens vor der Unterzeichnung der Vereinbarung eine Bedenkzeit bzw. nach erfolgter Unterzeichnung eine Rücktrittsfrist vorsieht- Oder wäre diese Frage eher im Rahmen der beruflichen Standespflichten, an die die ADR-Verantwortlichen gebunden sind, zu behandeln-

Frage 18: Ist es erforderlich, die Wirksamkeit der ADR-Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten zu bestätigen- Wie lässt sich das Problem der Anerkennung und Vollstreckung von ADR-Vereinbarungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union am besten lösen- Bedarf es beispielsweise einer besonderen Regelung, um die Vollstreckbarkeit von ADR-Vereinbarungen zu gewährleisten- Wenn ja, welche Voraussetzungen müssten ADR-Vereinbarungen zu diesem Zweck erfuellen-

3.2.3 Welche Stellung für ADR-Verantwortliche-

(88) Die Personen, die für das ADR-Verfahren verantwortlich sind, werden von den Parteien ausgewählt. Die Parteien können sie entweder direkt benennen, oder sie werden von einer Einrichtung im Auftrag der Parteien bestellt. Erleichtert wird diese Auswahl, wenn die Verantwortlichen Garantien auf der Grundlage von Standesregeln, wie sie bereits weiter oben erwähnt wurden, bieten, zu deren Einhaltung sie sich verpflichtet haben. Die Ausbildung der ADR-Verantwortlichen wirft darüber hinaus die Frage nach ihrer Zulassung auf.

3.2.3.1 Ausbildung der ADR-Verantwortlichen

(89) Die Qualität der alternativen Streitbeilegung hängt in erster Linie von der Kompetenz der Personen ab, die diese Verfahren leiten. Die Beherrschung der ADR-Techniken setzt eine solide Ausbildung voraus. Die Fachausbildung spielt somit eine herausragende Rolle, und zwar nicht nur für die Leistungsfähigkeit der ADR, ihre Qualität und damit für den Schutz der ADR-Nutzer, sondern auch im Hinblick auf die in Artikel 49 EG-Vertrag garantierte Dienstleistungsfreiheit.

(90) Auch für Richter ist eine besondere Ausbildung erforderlich. Die mit ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens betrauten Personen müssen ihre Befähigung stets durch eine Ausbildung oder entsprechende Erfahrungen nachweisen, die vom Gericht von Fall zu Fall beurteilt werden oder die durch eine amtliche Zulassung anerkannt sind. Bei den für nichtgerichtliche ADR-Verfahren Verantwortlichen hingegen scheint es keine derartigen Auflagen zu geben.

(91) Diese Personen sind unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem reglementierten Berufsstand mitunter in Fachverbänden organisiert. Diese Verbände halten ihre Mitglieder dazu an, an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, oder bilden selbst Fachkräfte im Bereich der alternativen Streitbeilegung aus. Parallel zu der von ihnen angebotenen Fortbildung sorgen sie auch für die Zertifizierung, Zulassung und regelmäßige Beurteilung ihrer Mitglieder. Verhaltenskodizes und Verfahrensregeln werden häufig auf ihre Initiative hin ausgearbeitet. Es wäre nicht unwichtig, im Bereich der alternativen Streitbeilegung für eine eigene Ausbildung zu sorgen, vor allem wenn die ADR-Verantwortlichen keinem reglementierten Berufsstand angehören, und eine Kontrolle der Befähigungsnachweise sicherzustellen, um auf diese Weise die Niederlassungsfreiheit der ADR-Verantwortlichen innerhalb der Europäischen Union zu ermöglichen.

3.2.3.2 Zulassung der ADR-Verantwortlichen

(92) Es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass es Mindestgarantien für die Qualifikation der ADR-Verantwortlichen gibt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Staat nun die von privater Seite begonnenen Arbeiten weiterführen und ein Zulassungssystem für ADR-Verantwortliche einrichten soll, ohne allerdings Anpassungsfähigkeit und Unkompliziertheit der ADR-Verfahren zu beeinträchtigen [132].

[132] Siehe hierzu u. a. die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem vorgenannten Vorschlag für eine Verordnung "Brüssel I", Abänderungen 35 und 39, ABl. C 146 vom 17. Mai 2001, S. 94.

(93) Gehören die ADR-Verantwortlichen einem reglementierten Berufsstand an, finden die allgemeine Regelung zur Anerkennung der einzelstaatlichen Befähigungsnachweise [133] oder die Richtlinien zur Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassung von Rechtsanwälten [134] Anwendung. Ist dies nicht der Fall, könnten Probleme auftreten.

[133] Arbeitspapier der Dienststellen der Europäischen Kommission vom 21. Mai 2001 zur künftigen Regelung der Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in der EU: http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/qualifications/consultation_de.pdf.

[134] Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, ABl. L 78 vom 26. März 1977, S. 17 und Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. L 77 vom 14. März 1998, S. 36. Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. L 19 vom 24. Januar 1989, S. 16; Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG, ABl. L 209 vom 24. Juli 1992, S. 25; Richtlinie 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juni 1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl. L 201 vom 31. Juli 1999, S. 77.

3.2.3.3 Haftung der ADR-Verantwortlichen

(94) Schließlich stellt sich auch die Frage nach der Haftung der ADR-Verantwortlichen. Die Person, die ein ADR-Verfahren leitet, muss für die Folgen ihres Handelns im Verfahren persönlich haftbar gemacht werden können, wenn sie als Privatperson tätig wird und in bestimmten Fällen auch dann, wenn sie in einem öffentlich-rechtlichen Rahmen handelt und ihr Unregelmäßigkeiten im ADR-Verfahren zur Last gelegt werden können. Zu denken wäre hier beispielsweise an einen Verstoß gegen die Vertraulichkeitspflicht oder an die Parteinahme zugunsten eines Beteiligten. Der ADR-Verantwortliche könnte auf der Grundlage der allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsbestimmungen der Mitgliedstaaten zur Rechenschaft gezogen werden, auch wenn die Mitgliedstaaten keine besondere Haftungsregelung für Schlichter oder Mediatoren vorsehen [135]. Es bliebe zu überlegen, inwieweit sich die Einführung einer allgemeinen Haftungsregelung oder zumindest spezieller Haftungsvorschriften empfiehlt, die deutlich machen würden, welche Rolle dem ADR-Verantwortlichen, der häufig lediglich als Katalysator wirkt, im Verfahren genau zukommt. Es sollte in jedem Fall wohl darauf geachtet werden, dass die positiven Vorsätze und Initiativen nicht durch zu starre Vorgaben eingeengt werden.

[135] Zumindest wurde dies in den Antworten auf den Fragebogen nicht erwähnt. In manchen Ländern gibt es konkrete Vorschriften für die Ernennung der ADR-Verantwortlichen und die für ihre Tätigkeit erforderlichen Befähigungsnachweise. Folglich ist bei einer Pflichtverletzung auch ihre Abberufung oder die Einstellung ihrer Tätigkeit vorzusehen. Nach Artikel 3-2 des französischen Dekrets vom 20. März 1978 über die gerichtlichen Schlichter (conciliateurs de justice) kann die zuständige Justizbehörde die Schlichter im Wege einer begründeten Entscheidung nach einer Anhörung vor Ablauf ihres Mandats ihres Amts entheben.

Frage 19: Welche Initiativen sollten die Gemeinschaftsorgane Ihrer Ansicht nach ergreifen, um die Ausbildung von Personen zu fördern, die im Bereich der alternativen Streitbeilegung tätig sind-

Frage 20: Sollten beispielsweise Initiativen gefördert werden, die mit Blick auf die Zulassung von ADR-Verantwortlichen darauf abzielen, Mindestkriterien für die Ausbildung festzulegen-

Frage 21: Sollten spezielle Haftungsvorschriften für ADR-Verantwortliche erlassen werden- Wenn ja, welche- Welchen Stellenwert sollten Verhaltenskodizes in diesem Bereich erhalten-

Die Fragen im Überblick

Frage 1: Gibt es Problemstellungen, die im Bereich der alternativen Streitbeilegung ein Vorgehen auf Gemeinschaftsebene rechtfertigen würden- Wenn ja, welcher Art sind diese Probleme- Welchen Ansatz sollten die EU-Organe Ihrer Ansicht nach im Bereich der alternativen Streitbeilegung verfolgen- Wie weit könnten die Initiativen gehen-

Frage 2: Sollten die anzuwendenden Grundsätze lediglich für einen Bereich (z.B. Handelsrecht oder Familienrecht) festgelegt und die einzelnen Bereiche folglich differenziert betrachtet werden- Oder sollten die Grundsätze vielmehr so weit wie möglich auf alle Bereiche des Zivil- und Handelsrechts Anwendung finden-

Frage 3: Sollten bei den zu treffenden Maßnahmen zwischen Online-Schlichtungsverfahren, die im Zuge der neuen Technologien entstanden sind und sich durch ihnen eigene Besonderheiten auszeichnen, und herkömmlichen Verfahren unterschieden werden oder nicht-

Frage 4: Wie wäre eine stärkere Inanspruchnahme von ADR im Bereich des Familienrechts zu erreichen-

Frage 5: Sollen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Klauseln zur Inanspruchnahme von ADR-Verfahren in rechtlichen Hinsicht etwa gleichwertig sind-

Frage 6: Wenn ja, sollten die Klauseln generell Geltung haben, oder sollte ihre Geltung begrenzt sein, wenn sie Teil von allgemeinen Geschäftsbedingungen, Vertragsformblättern oder speziell von Verbraucherverträgen sind -

Frage 7: Welche Tragweite sollten die Klauseln haben-

Frage 8: Sollte gegebenenfalls sogar festgelegt werden, dass bei einem Verstoß gegen die Klauseln das Gericht den Fall zumindest vorläufig abweisen kann-

Frage 9: Müssten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Frist zur Klageerhebung ausgesetzt wird, wenn ein ADR-Verfahren in Anspruch genommen wird-

Frage 10: Welche Erfahrungen wurden bisher bei der Anwendung der beiden Kommissionsempfehlungen von 1998 und 2001 gemacht-

Frage 11: Wäre es denkbar, die in den beiden Empfehlungen niedergelegten Grundsätze unterschiedslos auf andere Bereiche als das Verbraucherrecht, d. h. das Zivil- und Handelsrecht, auszudehnen und anzuwenden-

Frage 12: Welche der in den Empfehlungen formulierten Grundsätze könnten in das Recht aller Mitgliedstaaten übernommen werden-

Frage 13: Sollten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bereichen wie dem Familienrecht Ihrer Ansicht nach angeglichen werden, um gemeinsame Grundsätze für Verfahrensgarantien festzulegen-

Frage 14: Welche Initiative müssten die Institutionen der Europäischen Union in enger Zusammenarbeit mit den Beteiligten hinsichtlich der berufsethischen Regeln ergreifen, die für ADR-Verantwortliche zu gelten hätten-

Frage 15: Müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, damit die Vertraulichkeit von ADR-Verfahren in jedem Mitgliedstaat gewährleistet ist-

Frage 16: Wenn ja, in welcher Weise und bis zu welchem Grad müsste die Vertraulichkeit gewährleistet werden- Inwieweit sollte sich die Vertraulichkeit auch auf die Veröffentlichung der Ergebnisse des ADR-Verfahrens erstrecken-

Frage°17: Sollte Ihrer Ansicht nach auf Gemeinschaftsebene eine Regelung eingeführt werden, die nach Abschluss des ADR-Verfahrens vor der Unterzeichnung der Vereinbarung eine Bedenkzeit bzw. nach erfolgter Unterzeichnung eine Rücktrittsfrist vorsieht- Oder wäre diese Frage eher im Rahmen der beruflichen Standespflichten, an die die ADR-Verantwortlichen gebunden sind, zu behandeln-

Frage 18: Ist es erforderlich, die Wirksamkeit der ADR-Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten zu bestätigen- Wie lässt sich das Problem der Anerkennung und Vollstreckung von ADR-Vereinbarungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union am besten lösen- Bedarf es beispielsweise einer besonderen Regelung, um die Vollstreckbarkeit von ADR-Vereinbarungen zu gewährleisten- Wenn ja, welche Voraussetzungen müssten ADR-Vereinbarungen zu diesem Zweck erfuellen-

Frage 19: Welche Initiativen sollten die Gemeinschaftsorgane Ihrer Ansicht nach ergreifen, um die Ausbildung von Personen zu fördern, die im Bereich der alternativen Streitbeilegung tätig sind-

Frage 20: Sollten beispielsweise Initiativen gefördert werden, die mit Blick auf die Zulassung von ADR-Verantwortlichen darauf abzielen, Mindestkriterien für die Ausbildung festzulegen-

Frage 21: Sollten spezielle Haftungsvorschriften für ADR-Verantwortliche erlassen werden- Wenn ja, welche- Welchen Stellenwert sollten Verhaltenskodizes in diesem Bereich erhalten-