Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten"
Amtsblatt Nr. C 155 vom 29/05/2001 S. 0021 - 0025
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten" (2001/C 155/06) Der Rat beschloss am 25. Juli 2000, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2001 an. Berichterstatterin war Frau Cassina. Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 380. Plenartagung (Sitzung vom 28. März 2001) mit 101 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme. 1. Einleitung und Inhalt des Vorschlags 1.1. Am 24. Mai 2000 nahm die Kommission gemäß den Bestimmungen des Vertrags(1) und im Rahmen des Auftrags, den ihr der Rat auf seiner Tagung in Tampere erteilte, den in dieser Stellungnahme zu prüfenden Vorschlag an. Dass die Gemeinschaft ein Instrument braucht, um den Andrang Vertriebener aus Drittländern in geordnete Bahnen zu lenken, hat das Eintreffen von Vertriebenen aus Bosnien und dem Kosovo in beträchtlicher Zahl während der letzten Jahren deutlich gezeigt. Mit ihrem Richtlinienvorschlag im Rahmen der Umsetzung des Vertrags will die Kommission jedoch über die Lösung dieser konkreten Notfälle hinausgehen und der Gemeinschaft mit diesen Bestimmungen und den anderen bereits vorgeschlagenen und/oder verabschiedeten Instrumenten eine einheitliche Visums-, Asyl- und Einwanderungspolitik verschaffen. 1.2. In dem Vorschlag werden zeitweilige und außerordentliche Regeln für die Steuerung des Massenzustroms Vertriebener aus Drittländern, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, ohne ihr Leben, ihre Freiheit oder ihre Menschenwürde aufs Spiel zu setzen, festgelegt. Das Instrumentarium besteht in einem Bündel inhaltlicher und verfahrenstechnischer Mindestanforderungen und Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass die Anstrengungen und Belastungen, die mit der Aufnahme der Vertriebenen verbunden sind, ausgewogen auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. 1.3. Die vorgeschlagene Regelung soll folgenden Zielen dienen: Sie soll - gemeinsame Mindeststandards bei den Verfahren und den Verhaltensmaßstäben der Mitgliedstaaten im Umgang mit dem Massenzustrom Vertriebener gewährleisten, damit es nicht zu Verzerrungen bei der spontanen Wahl des Aufnahmelandes kommt; - den betroffenen Personen eine menschliche Behandlung, eine Hilfe und einen Schutz sichern, die es ihnen ermöglichen, sich von den erlittenen Traumata zu erholen und sich zu gleichen Bedingungen wie Flüchtlinge vorläufig in das soziale, kulturelle und menschliche Umfeld des Aufnahmelandes oder der Aufnahmeländer einzugliedern; - die Betroffenen auf die Rückkehr in ihr Ursprungsland vorbereiten; - verhindern, dass die Asylsysteme der Mitgliedstaaten durch eine Antragsflut überlastet werden; - die Aufnahmebemühungen der Mitgliedstaaten solidarisch unterstützen, und zwar einerseits durch Finanzmittel aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds (mit dessen Mitteln auch Notfälle infolge eines Massenzustroms finanziert werden sollen) und andererseits durch eine freiwillige, auf Konsens beruhende und abgestimmte Verteilung der Vertriebenen unter den Mitgliedstaaten; - die früher vorgeschlagenen und nur teilweise verwirklichten Maßnahmen besser koordiniert und wirksamer gestalten; - das Verhältnis zwischen dem vorübergehenden Schutz und dem Bereich abklären, der von der Genfer Flüchtlingskonvention abgedeckt wird, die unangetastet bleiben muss und bestimmte Formen der Absprache und Zusammenarbeit mit dem Hohen Kommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) einführen. 1.4. In dem Vorschlag werden die wesentlichen Begriffe, die im Text vorkommen, definiert: "Vertriebene aus Drittländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können", "Flüchtlinge", "Unbegleitete Minderjährige", "Aufenthaltstitel" und "Massenzustrom". 1.5. Der Beschluss zur Gewährung eines vorübergehenden Schutzes wird vom Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission (die außerdem die Anträge der Mitgliedstaaten prüft) gefasst und legt fest, dass den Vertriebenen, auf die er sich bezieht, in allen Mitgliedsländern vorübergehender Schutz zu gewähren ist. Der Beschluss des Rates muss folgende Bestandteile enthalten: - die Beschreibung der spezifischen Personengruppen, denen vorübergehender Schutz gewährt wird; - den Zeitpunkt der Durchführung des vorübergehenden Schutzes; - Erklärungen der Mitgliedstaaten mit Angaben zur zahlenmäßigen oder allgemeinen Aufnahmefähigkeit oder mit Begründungen, weshalb sie sich außerstande sehen, Vertriebene aufzunehmen. Ein Mitgliedstaat hat später immer noch die Möglichkeit, dem Rat und der Kommission etwaige zusätzliche Aufnahmekapazitäten zu melden. 1.5.1. Seinen Beschluss wird der Rat auf die Beurteilung der Situation und des Umfangs des Zustroms sowie der Zweckmäßigkeit der Einleitung des vorübergehenden Schutzes (unter Berücksichtigung möglicher Soforthilfemaßnahmen und Maßnahmen vor Ort, wobei er entscheidet, ob diese ausreichen) stützen, oder er wird ihn aufgrund von Informationen der Mitgliedstaaten, der Kommission, des UNHCR und sonstiger beteiligter Organisationen fassen. Der Beschluss wird dem Europäischen Parlament mitgeteilt. 1.5.2. Der vorübergehende Schutzes endet bei Erreichen der genannten Hoechstdauer (von einem Jahr, verlängerbar um jeweils 6 Monate bis zu einer Gesamtdauer von höchstens zwei Jahren) oder aufgrund eines Beschlusses des Rates, den dieser jederzeit mit qualifizierter Mehrheit fassen kann, wenn die Lage im Herkunftsland eine dauerhafte, sichere Rückkehr der Betroffenen unter menschenwürdigen Bedingungen zulässt und Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten wird. Auch über diesen Beschluss wird das Europäische Parlament in Kenntnis gesetzt. 1.6. Der vorübergehende Schutz berührt nicht die Anerkennung des Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, und der Vertriebene kann bis zum Ablauf des vorübergehenden Schutzes, den er genießt, jederzeit den Status eines Flüchtlings beantragen. 1.7. Den Personen unter vorübergehendem Schutz müssen die Mitgliedstaaten - einen Aufenthaltstitel verschaffen und die Erlangung der erforderlichen (unentgeltlichen) Visa erleichtern; - ein Dokument in der bzw. den Amtssprachen des Herkunftslandes ausstellen, in dem die Bestimmungen zum vorübergehenden Schutz eindeutig wiedergegeben sind; - die Ausübung einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit unter den gleichen Bedingungen wie Flüchtlingen gestatten; - eine angemessene Unterkunft und, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen, die notwendige Hilfe (in Form von Sozialleistungen und anderen Leistungen sowie medizinische Versorgung) verschaffen; - eine angemessene, insbesondere medizinische Hilfe gewähren, wenn sie eine besondere Betreuung benötigen, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Opfer von Gewalt oder körperlicher und seelischer Folter; - wenn es sich um Minderjährige handelt, in gleicher Weise wie den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats den Zugang zum Bildungssystem gewähren und, im Falle von Erwachsenen, den Zugang zur allgemeinen Bildung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung oder Umschulung. 1.7.1. Das Aufnahmeland gestattet (bis zu zwei Monaten vor Ablauf des Schutzes und nach vorheriger Prüfung der Frage, ob die beteiligten Familienangehörigen mit der Zusammenführung einverstanden sind) die Zusammenführung mit dem Ehegatten oder nicht verheirateten Partner (sofern die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats unverheiratete Paare mit verheirateten Paaren gleichstellen), mit den unterhaltsberechtigten Kindern (wobei eine unterschiedliche Behandlung von ehelich oder außerehelich geborenen oder adoptierten Kindern nicht zulässig ist), sofern diese ledig sind und mit sonstigen Familienangehörigen, sofern sie gegenüber dem Zusammenführenden unterhaltsberechtigt sind, besonders schwere Traumata erlebt haben oder eine besondere medizinische Behandlung benötigen. 1.7.1.1. Fehlende Dokumente zum Nachweis der familiären Beziehung dürfen nicht automatisch als Hinderungsgrund für eine Zusammenführung angesehen werden, vielmehr genügt die Feststellung früherer stabiler Beziehungen. Befinden sich die Mitglieder ein und derselben Familie in verschiedenen Mitgliedstaaten, wird die Aufrechterhaltung der familiären Einheit im Aufnahmemitgliedstaat ihrer Wahl gestattet. 1.7.2. Unbegleitete Minderjährige müssen durch einen gesetzlichen Vormund, oder eine Organisation, die für die Betreuung und das Wohlergehen der Minderjährigen verantwortlich ist, oder auf andere geeignete Weise vertreten werden. Es ist dafür zu sorgen, dass sie bei volljährigen Verwandten, in einer Pflegefamilie, in Aufnahmezentren für Minderjährige oder gegebenenfalls mit Personen, die sich ihrer auf der Flucht angenommen haben, untergebracht werden (davor ist das Einverständnis der unbegleiteten Minderjährigen und der betreffenden Personen zu prüfen). 1.7.3. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, das Prinzip der Nichtdiskriminierung einzuhalten. 1.7.4. Durch vorübergehenden Schutz begünstigte Personen haben jederzeit vor Ablauf der Schutzfrist Zugang zu einem Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass sich der Status einer Person unter vorübergehenden Schutz nicht mit dem eines Asylbewerbers, dessen Antrag geprüft wird, kumuliert werden können. Wird der Antrag einer Person, die unter vorübergehendem Schutz steht, auf den Flüchtlingsstatus abgelehnt, berührt das seinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz nicht. 1.7.5. Nach Beendigung des vorübergehenden Schutzes kommen die Bestimmungen der Mitgliedstaaten über Schutz, Einreise und Aufenthalt von Bürgern aus Drittländern zur Anwendung. Die Mitgliedstaaten prüfen, ob zwingende humanitäre Gründe vorliegen, die in bestimmten Fällen eine Rückkehr als unmöglich erscheinen lassen. Sie achten insbesondere darauf, ob Personen nach Ablauf des Schutzes noch eine ärztliche oder psychologische Behandlung benötigen, die nicht unterbrochen werden sollte, und dass minderjährigen Kindern ermöglicht wird, den laufenden Schulabschnitt zu beenden. Die freiwillige Rückkehr wird erleichtert; die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die betreffenden Personen ihre Entscheidung zur Rückkehr in Kenntnis der Sachlage treffen. 1.7.6. Die Mitgliedstaaten müssen Kontaktstellen für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden benennen und regelmäßig in kurzen Abständen die Zahl der unter vorübergehendem Schutz stehenden Personen melden. 1.7.7. Personen, die als Gefahr für die nationale Sicherheit anzusehen sind oder unter dem begründeten Verdacht stehen, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, oder aber unter die in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Ausschlussklauseln fallen, können vom vorübergehenden Schutz ausgeschlossen werden. Diese Ausschlussvorkehrungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen und die Einlegung von Rechtsmitteln ermöglichen. 1.7.8. Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind. Sie müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. 1.7.9. Spätestens zwei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten erstattet die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat über die Anwendung dieser Richtlinie Bericht. Danach legt sie alle fünf Jahre einen entsprechenden Bericht vor. 2. Bemerkungen 2.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag mit Nachdruck und gratuliert der Kommission zu dem Text, der zwar (wie ja auch aus der ausführlichen Zusammenfassung unter Ziffer 1 deutlich wird) ziemlich kompakt ausgefallen ist, aber ausgehend von den Grundwerten der Menschlichkeit und den wesentlichen Menschenrechten eine minimale, einfache und transparente Harmonisierung der einschlägigen Regeln und Verfahren vorsieht und einen angemessenen Rahmen für die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bietet. Wie der Rat auf seiner Tagung in Tampere festgestellt hat, werden vorübergehend und ausnahmsweise geltende Regeln für den Umgang mit dem möglichen Massenzustrom von Vertriebenen, die eine gemeinsame Grundlage für die Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Sachen vorübergehender Schutz darstellen können, dringend gebraucht. Der Ausschuss hofft daher, dass der Rat den vorgeschlagenen Text umgehend und ohne einschneidende Änderungen verabschiedet. 2.2. Der Ausschuss stellt fest, dass die politischen Umstände, auf die der Massenzustrom von Vertriebenen in den Mitgliedstaaten zurückzuführen war, sich offensichtlich gebessert haben und dass die auch von der EU und ihren Mitgliedstaaten unterstützten Bemühungen, die wirtschaftliche, soziale und politische Lage auf dem Balkan zu stabilisieren, Früchte zu tragen scheinen. Gleichwohl lässt sich niemals ausschließen, dass sich Ereignisse wie in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wiederholen. Falls dies geschieht, ist es unerlässlich, dass die Gemeinschaft über eine Regelung wie die vorgeschlagene verfügt, auch wenn die entsprechenden Gebiete weiter von der Union entfernt sind. Denn die zu prüfende Regelung ist keine "Balkanrichtlinie", sondern ein in geographischer und geschichtlicher Hinsicht neutrales Instrument, das einzusetzen ist, sobald sich die Notwendigkeit dafür ergibt. 2.3. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis und versteht, dass der Anwendungsbereich des vorliegenden Richtlinienvorschlags auf Vertriebene, die ihr Land aufgrund politischer Missstände verlassen müssen, begrenzt ist; er regt jedoch an, die Zweckmäßigkeit einer Richtlinie zu prüfen, die Regeln für den Schutz und die zeitlich begrenzte Aufnahme der Opfer von Naturkatastrophen festlegt. 2.4. Der Ausschuss begrüßt die Bestimmung des Vorschlags, dass die Entscheidung darüber, wann ein "Massenzustrom" vorliegt, durch einen Ratsbeschluss getroffen werden soll, da nur von einer dort übernommenen kollektiven Verantwortung zu erwarten ist, dass sie in wirksame und konkrete Maßnahmen mündet. Das ist um so wichtiger, als Ereignisse dieser Art einen plötzlichen und dramatischen Charakter haben. Daher muss eine solche Entscheidung zwar wohlüberlegt sein, aber sehr schnell, beispielsweise innerhalb von höchstens drei Monaten nach Übermittlung des Kommissionsvorschlags, fallen. Eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit ist infolgedessen das probate Verfahren, da die Alternative, das Einstimmigkeitsverfahren, zu langwierigen Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten führen und der Beschluss anschließend durch das Veto eines einzigen Staates zu Fall kommen könnte. 2.5. Der Ausschuss betont und begrüßt die Tatsache, dass die vorgeschlagene Richtlinie nur die Mindestanforderungen festlegt, also nur die wesentlichen, unbedingt harmonisierungsbedürftigen Regeln für die Verfahren, Verhaltensmaßstäbe und Kriterien im Umgang mit dem Massenzustrom von Vertriebenen nennt und den Mitgliedstaaten bei der praktischen Anwendung der geeigneten Maßnahmen weitgehend freie Hand lässt. 2.6. In hohem Maße begrüßenswert ist, dass die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag einerseits klar zwischen der Regelung des vorübergehenden Schutzes und dem Asyl unterscheidet und andererseits den Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, eindeutig die Tür zum Anerkennungsverfahren als politischer Flüchtling offen hält. Ein solcher "Durchschlupf", der bis zum Ablauf des vorübergehenden Schutzes offen steht, ist sinnvoll, da er den Betroffenen die Möglichkeit gibt, ihre Entscheidung gelassen und in Kenntnis der Sachlage zu treffen, und verhindert, dass die Asylsysteme der Mitgliedstaaten und das künftige Gemeinschaftssystem unter einer plötzlichen Antragsflut zusammenbrechen. Denn in vielen Fällen sehen sich die Vertriebenen in Ermangelung einer klaren Alternative veranlasst, die Anerkennung als politische Flüchtlinge anzustreben, auch wenn dieser Status weder ihren Erwartungen noch ihren augenblicklichen Bedürfnissen entspricht; in solchen Fällen stehen, sollte der Flüchtlingsstatus anerkannt werden, einer baldigen Rückkehr administrative und praktische Klippen und Schwierigkeiten im Wege, wenn sich die Verhältnisse im Ursprungsland oder -gebiet zum Besseren wandeln. 2.7. Es ist wichtig, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, ein Dokument in der/den Amtssprache/n des Ursprungslandes auszustellen, in dem die für den vorübergehenden Schutz einschlägigen Bestimmungen klar aufgeführt sind. Der Ausschuss gibt allerdings zu bedenken, dass die Betroffenen unter Umständen bei der Einreise trotzdem noch mit Sprachproblemen zu kämpfen haben, wenn sie beispielsweise nur regionale Sprachen oder Dialekte sprechen - die Mitgliedstaaten sollten sich auch auf diese Eventualität einstellen und sich darauf vorbereiten, allen die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte und Pflichten zu verstehen, um den Vertriebenen unverzüglich den Weg zu einer bewussten und verantwortungsvollen Integration zu weisen. 2.8. Der Ausschuss begrüßt mit Nachdruck, dass die Kommission in ihrem Vorschlag dem Phänomen "unbegleiteter Minderjähriger" so große Beachtung schenkt, kommt dieses Phänomen doch immer häufiger vor und zieht in Notsituationen wegen der Ursachen, die es ausgelöst haben, oder wegen der Gefahren, die solchen Minderjährigen auf der Flucht oder auf dem Gebiet der EU nach einer oft abenteuerlichen Reise drohen, dramatische Folgen nach sich. Besonders wichtig ist, dass die Mitgliedstaaten Sorge dafür tragen, dass die der Obhut von Privatleuten anvertrauten Minderjährigen, zumal bei Anwendung von Artikel 14 Absatz 3, nicht in die Fänge von Menschenhändlern geraten und ausgebeutet werden. 2.9. Von besonderer Bedeutung ist auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Eingliederung der Vertriebenen, und sei sie zeitlich begrenzt, zu fördern, auch wenn es sich bei der Richtlinie nur um die Regelung eines vorübergehenden Zustands handelt. Die Möglichkeit zu arbeiten, eine Schule zu besuchen oder eine weiterführende Ausbildung zu beginnen, ist für die Personen unter vorübergehendem Schutz sehr nützlich, denn auf diese Weise können sie wenigstens teilweise ihren Lebensunterhalt bestreiten und durch die Wahrnehmung von Bildungsangeboten die sozialen und kulturellen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten kennen lernen, was ihnen bei der Überwindung der erlittenen Traumata hilft. Damit sie diese Möglichkeit auch wahrnehmen können, müssen die Mitgliedsländer alle erforderlichen Instrumente und Strukturen schaffen, um den Vertriebenen das Erlernen der Sprache des Gastlandes zu erleichtern. Eine solche Integration ist auch eine für die EU nützliche Investition in menschliche Ressourcen, in ein Netz menschlicher Begegnungen und gefühlsmäßiger Bindungen: nach Rückkehr in ihre Heimat können diejenigen, die unter vorübergehendem Schutz gestanden haben, zu Multiplikatoren von Kenntnissen und möglichen Trägern für die Beziehungen zwischen den Unionsländern und ihren Herkunftsländern werden. Auch auf diese Weise leistet die Richtlinie einen zwar beschränkten, aber unmittelbaren und wichtigen Beitrag zur Friedens- und Sicherheitspolitik und zu den internationalen Beziehungen der EU. Die Bestimmungen zur Familienzusammenführung, die zu dieser Thematik der vorübergehenden Integration gehören, scheinen gleichzeitig dem Erfordernis der Gerechtigkeit und der Vorsicht zu genügen. 2.10. Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass Richtlinie auch einige Bestimmungen zur Rückführung enthält und klare und weitreichende Mindestanforderungen dafür festlegt. 2.11. Was die konkrete Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten angeht, so findet zum einen natürlich die Einbeziehung des Europäischen Flüchtlingsfonds die Zustimmung des Ausschusses. Besonders begrüßt er jedoch die Tatsache, dass die Verteilung der Vertriebenen nach einem sehr einfachen, auf Bereitschaftserklärungen und Transparenz beruhenden Verfahren erfolgt, das einerseits an das Verantwortungsgefühl aller Beteiligten appelliert, gegenüber Menschen in großer Not tätig zu werden, andererseits aber auch den subjektiven Bedürfnissen der Mitgliedstaaten voll und ganz Rechnung trägt und die Zustimmung der Betroffenen voraussetzt. Der im Anhang zu dem Richtlinienvorschlag abgedruckte Entwurf einer Grenzkarte für den Übergang von einem Mitgliedsland zum anderen ist ein Musterbeispiel von Transparenz und einfachen Verwaltungsverfahren, das auch in anderen Sparten als Vorbild dienen könnte. 2.12. Nach Ansicht des Ausschusses müsste die Richtlinie den Mitgliedstaaten vorschreiben, Minderjährigen, die vorübergehenden Schutz genießen, Zugang zum Schulwesen zu verschaffen, und sie nicht nur auf diese Möglichkeit hinweisen. Dabei verweist der Ausschuss mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, den Minderjährigen das sprachliche Rüstzeug zu verschaffen, damit sie sich in das Schulwesen des Gastlandes eingliedern können. 2.13. Der Ausschuss registriert mit Verwunderung, dass die Schutzfrist nur ein Jahr, verlängerbar auf höchstens zwei Jahre, betragen soll, und meint, dass es vielleicht angebracht wäre, eine Möglichkeit vorzusehen, die vorgesehene Frist in besonderen Fällen ausnahmsweise zu verlängern. Da die Vertriebenen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten oder Diktaturen stammen, die ihr Leben, ihre persönliche Unversehrtheit oder ihre menschliche Würde bedrohen, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass sich diese Verhältnisse in so kurzer Zeit dergestalt wandeln, dass eine Rückkehr "unter sicheren und menschenwürdigen Bedingungen", wie es in Artikel 21 Absatz 1 des zu beurteilenden Richtlinienvorschlags heißt, möglich wird. Der Ausschuss weist jedoch darauf hin, dass nach Ablauf des vorübergehenden Schutzes die in den verschiedenen Mitgliedstaaten geltenden allgemeinen (den Schutz, die Einreise und die Aufenthalt von Ausländern regelnden) Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, den Übergang von der gemeinschaftlichen rechtlichen Regelung zur nationalen sehr behutsam und verantwortlich zu gestalten, zumal wenn die Bedingungen und die Infrastrukturen in dem Ursprungsland oder der Ursprungsregion noch nicht stabil und sicher genug sind, um die Betroffenen aufzunehmen. Eine von den nationalen Rechtsvorschriften gedeckte Verlängerung des Schutzes (oder die Einführung einer anderen Regelung für den Schutz oder den gesetzmäßigen Aufenthalt) muss in solchen Fällen immer anwendbar sein. 2.14. Schließlich wünscht sich der Ausschuss, dass bei dem Umgang mit dem massenhaften Zustrom von Menschen alle erforderlichen Formen fruchtbarer Zusammenarbeit genutzt werden und dass die Mitgliedstaaten daher neben ihren regelmäßigen Beratungen mit dem Flüchtlingshochkommissariat und anderen einschlägigen internationalen Organisationen auch dafür Sorge tragen, dass die Sozialpartner und die auf nationaler und regionaler Ebene agierenden nichtstaatlichen Organisationen in angemessenem Umfang in die Verantwortung einbezogen werden. Deren Hilfe ist besonders wichtig, wenn die Vertriebenen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, eine Schule besuchen oder eine Ausbildung beginnen, aber auch wenn es darum geht, die Unterbringung der Flüchtlinge in angemessenen Unterkünften zu organisieren und die besonderen, vor allem gesundheitlichen Bedürfnisse der Betroffenen zu ermitteln. Denn die Erfahrung lehrt, dass die Tätigkeit und der Sachverstand dieser Vereinigungen bei der Lösung der hinter uns liegenden Krisen von großem Nutzen sein konnten, trugen doch zuweilen in der Vergangenheit sie allein die Last, die Flüchtlinge aufzunehmen, und sprangen somit in die Bresche, wenn die Mitgliedstaaten ihren administrativen und rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkamen. 2.14.1.1. Der Ausschuss fordert alle Mitgliedstaaten auf, auch unter Mitwirkung der oben genannten Verbände vorsorglich schon jetzt die Infrastrukturen für den Notfall aufzubauen, die sie im geeigneten Augenblick in Betrieb nehmen können, um den Massenzustrom zu bewältigen, indem sie insbesondere - ein Netz von Dolmetschern aufbauen, die schon bei Ankunft der ersten Flüchtlinge einsatzbereit sind; - für eine angemessene Transparenz sorgen und die bei der Aufnahme der Flüchtlinge anzuwendenden Verwaltungsverfahren vereinfachen; - Unterkünfte bereit stellen; - für medizinische und psychologische Behandlung sowie eine allgemeine Betreuung und Begleitung sorgen; - Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten einrichten und - sich um eine Integrationsbegleitung kümmern. Brüssel, den 28. März 2001. Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses Göke Frerichs (1) Rechtsgrundlage ist insbesondere Artikel 63, Ziffer 2 Buchstaben a) und b) des Vertrags.