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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der Beitrag der Europäischen Union zu einer bedarfsgerechten Arzneimittelpolitik: bessere Versorgung, Wiederbelebung der innovativen Forschung und kontrollierte Kostenentwicklung im Gesundheitswesen"

Amtsblatt Nr. C 014 vom 16/01/2001 S. 0122 - 0132


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der Beitrag der Europäischen Union zu einer bedarfsgerechten Arzneimittelpolitik: bessere Versorgung, Wiederbelebung der innovativen Forschung und kontrollierte Kostenentwicklung im Gesundheitswesen"

(2001/C 14/24)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 23. Februar 1999 gemäß Artikel 23 Absatz 3 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 19. Juli 2000 an. Berichterstatter war Herr Colombo.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 376. Plenartagung am 19. Oktober 2000 mit 81 gegen 3 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Die vorliegende Initiativstellungnahme ist Teil eines Bündels von Vorhaben des WSA unter dem Sammelbegriff "Europa der Bürger" und soll einige wichtige Aspekte der Arzneimittelpolitik in den Mitgliedstaaten der EU unter die Lupe nehmen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung in Anerkennung der wichtigen Rolle der Arzneimitteltherapie in der modernen Gesellschaft auf den Interessen der Patienten, ihren Erwartungen und ihrem Recht auf ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes.

1.2. Der europäische Bürger zählt heute darauf, dass er auf sichere und wirksame Arzneimittel von hoher Qualität sowie auf unabhängige Informationsquellen zurückgreifen kann und die Sicherheit hat, frühzeitig an alle Produktneuheiten zu kommen. Auch neuartige Arzneimittel, die noch nicht lange auf dem Markt sind, müssen umgehend zu vertretbaren Preisen allen europäischen Bürgern zur Verfügung stehen.

1.3. Auf diese Erwartungen muss der Sektor mit einem Qualitätssprung antworten und sich dabei auf eine Politik stützen, die darauf abzielt, Regelungen zu finden, mit deren Hilfe sich eine sorgfältige Beurteilung der Patientenbedürfnisse mit der Eignung und Wirksamkeit der vom Gesundheitswesen durch die Arzneimittel angebotenen Lösungen in Beziehung setzen lässt.

1.4. Der Ausschuss ist sich der Tatsache bewusst, dass die Arzneimittelfinanzierung in engem Zusammenhang mit den Problemen der Sozialschutzsysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten gesehen werden muss. Die sozialen Sicherheitssysteme, die nach Artikel 152 unter die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, sind heute vor allem wegen der gegenwärtigen demographischen Entwicklung, der Verbesserung der Diagnosetechniken und des medizinischen Fortschritts einem großen Kostendruck ausgesetzt.

1.5. Außerdem will der Ausschuss auf den Kostenanstieg im Gesundheitswesen hinweisen, der den für die Finanzierung zuständigen Einrichtungen in den einzelnen Mitgliedstaaten wachsende Schwierigkeiten verursacht. Auch wenn die Arzneimittelkosten in manchen Mitgliedstaaten langsamer ansteigen als die Kosten anderer Bereiche des Gesundheitswesens, ist sich der Ausschuss der Wahrscheinlichkeit bewusst, dass die Kosten der Sozialschutzsysteme der Mitgliedstaaten aufgrund der Einführung bestimmter besonders innovativer und kostspieliger pharmazeutischer Erzeugnisse in naher Zukunft steil ansteigen: Diese Tendenz würde dazu führen, dass es einerseits in den nächsten Jahren schwierig wird, den gegenwärtigen Stand der medizinischen Versorgung zu halten, während andererseits die Erwartungen der Bürger in Sachen Lebensqualität immer weiter steigen.

1.6. Als Antwort sind nur Maßnahmen denkbar, die einerseits den Gemeinschaftsregeln wie beispielsweise der Freiheit des Handels und dem freien Dienstleistungsverkehr und andererseits den Sozialschutzbelangen der europäischen Bürger gerecht werden. Um jedoch diese Erfordernisse unter einen Hut zu bringen, muss man nach Ansicht des Ausschusses die Hindernisse, die der Vollendung des Binnenmarkts der pharmazeutischen Erzeugnisse noch im Wege stehen, überwinden.

1.7. Wie umfangreich die ungelösten Probleme, die einer völligen Freigabe des Arzneimittelverkehrs in der Europäischen Union im Wege stehen, noch immer sind, zeigte sich mit aller Deutlichkeit bei den dritten Bangemann-Gesprächen am runden Tisch, die im Dezember 1998 in Paris stattfanden und die Perspektiven der gemeinschaftlichen Gesetzgebung auf diesem Felde zum Thema hatten. Dort gelangte man allerdings zu keinen einvernehmlichen Lösungen für die diskutierten Probleme; Alleingänge der Mitgliedstaaten oder der Kommission widersprächen jedoch dem Geist des Vertrags, und bei den Folgetreffen, die "Dreiparteiendialog" genannt wurden, sind auch keine erheblichen Fortschritte erzielt worden.

1.8. Da dieser Stillstand angesichts eines immer engeren Zusammenwachsens Europas nicht hinnehmbar ist, fordert der Ausschuss den Rat Binnenmarkt auf, sich diesem Thema, nachdem er am 18. Mai 1998 dazu Stellung bezogen hat, wieder entschlossener zuzuwenden und die gesamte interne Problematik des Sektors erneut aufzurollen.

1.9. Zu den Themen Entwicklung und Bedeutung des Arzneimittelsektors in Europa lieferte der WSA in der Vergangenheit zahlreiche Beiträge, in denen er stets die strategische Rolle der Pharmaindustrie herausstrich. Zumal in seiner Initiativstellungnahme "Freier Warenverkehr mit Arzneimitteln in der Europäischen Union - Beseitigung der bestehenden Handelshemmnisse"(1) zeigte er den Weg für eine fortschreitende Verstärkung der industriellen Präsenz des Sektors in Europa auf, ohne die beiden Prinzipien, die diesem zugrunde liegen, nämlich den raschen Zugang der Patienten zu neuen Produkten und die Notwendigkeit für die Mitgliedstaaten, die Arzneimittelkosten unter Kontrolle zu halten, in Frage zu stellen.

1.10. Die Leitlinien, wesentliche Voraussetzung für ein gemeinschaftliches Vorgehen, blieben jedoch großenteils toter Buchstabe. Obwohl der Gerichtshof einerseits und der Rat Binnenmarkt vom 18. Mai 1998 andererseits die Gemeinschaftsbehörden aufgefordert haben, die von den unterschiedlichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedsländern verursachten Verzerrungen zu beheben und sich für die Festlegung konkreter Modalitäten für eine fortschreitende Deregulierung des Arzneimittelmarktes aussprachen, hat die Entwicklung des Binnenmarktes in den letzten Jahren nur geringe Fortschritte auf dem Wege zum freien Warenverkehr mit sich gebracht.

1.11. Das Beharrungsvermögen bindet der Kommission, die sich bei ihren Bemühungen um Fortentwicklung des Rechts oft behindert sieht, die Hände. Dieser Umstand verhindert, dass alle europäischen Bürger gleichen Zugang zu Medikamenten haben, und wirkt sich selbst auf die Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaindustrie in Europa ungünstig aus.

1.12. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten müssen daher die Empfehlungen des Ausschusses aufgreifen und den Rückstand in diesem Sektor aufholen, indem sie die Verantwortlichkeiten, die Zuständigkeiten und dazugehörigen Aufgaben festlegen und die Maßnahmen aufzeigen, die erforderlich sind, soll den europäischen Bürgern ein gleicher Zugang zu den Vorteilen, die ihm die Arzneimittel bieten können, verschafft und die Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelindustrie gestärkt werden.

1.13. Diese Gründe haben den WSA zur vorliegenden Stellungnahme bewogen, in der die Problematik aus einem anderen Blickwinkel als in der Vergangenheit behandelt werden soll; im Mittelpunkt der Untersuchung sollen nun die Bedürfnisse der Bürger und die Frage stehen, inwieweit das "Arzneimittelwesen" in der Lage ist, dieselben zu befriedigen.

2. Die Rolle des Arzneimittels in der Gesellschaft

2.1. Seit unvordenklichen Zeiten spielt die Arznei eine entscheidende Rolle in der Heilungspraxis. Diese Rolle hat sich in der Industriegesellschaft noch verstärkt.

2.2. In den letzten Jahrzehnten war es ständige Politik der europäischen Regierungen, die Arzneimittel als sozialen Segen zu betrachten und die medizinische Versorgung aller Bürger, vor allem deren Versorgung mit Arzneimitteln, sicherzustellen. An dieser grundsätzlichen Haltung haben auch die jüngsten Vorstöße, die einerseits auf eine größere Leistungsfähigkeit der öffentlichen Gesundheitsdienste und andererseits auf die Öffnung von Freiräumen für private Anbieter im Gesundheitswesen abzielten, nichts geändert.

2.3. Daher müssen den Bürgern wirklich innovative Arzneimittel so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden, auf jeden Fall aber innerhalb der gesetzlichen Fristen - ohne Verzögerungen aufgrund schleppender Preisfestsetzungsverhandlungen und ohne dass die Klassifizierung oder die Einfügung von Hinweisen für eine Beschränkung des Gebrauchs instrumentalisiert wird -, sodass die Industrie das Inverkehrbringen nicht aus rein wirtschaftlichen Motiven verhindern kann.

2.4. Denn nach Auffassung des Ausschusses dürfen die Gesundheitsreformen in den Mitgliedstaaten nicht zur Verhinderung therapeutischer Maßnahmen führen, zumal wenn ein rechtmäßiger Gebrauch von Medikamenten nicht nur die geeignete Lösung für eine Vielzahl von Krankheiten darstellt, sondern auch noch einen Spareffekt mit sich bringt, weil sich auf diese Weise Kosten in anderen Sparten des Gesundheitswesens senken lassen.

2.5. Den Vorschlag für eine Verordnung über Arzneimittel für seltene Krankheiten(2) hat der WSA bereits begrüßt und einige Verbesserungen für eine breitere Anwendung und für raschere Registrierungsverfahren vorgeschlagen. All dies geschah gerade mit dem Ziel, nach denjenigen Arzneimitteln zu forschen, diese herzustellen und verfügbar zu machen, die den Bedürfnissen der Patienten am ehesten entsprechen, bis hin zum Extremfall eines Medikaments, das man entwickelt, um das Leben eines einzigen Bürgers zu retten.

3. Die Bedeutung einer innovativen und wettbewerbsfähigen Pharmaindustrie

3.1. Eine wettbewerbsfähige und innovative europäische Pharmaindustrie ist in der Lage, die Versorgung mit neuen, wirksameren und sichereren Medikamenten sicherzustellen. Sie bringt in kurzer Zeit unleugbare Vorzüge in Gestalt hochqualifizierter Arbeitsplätze und eines wichtigen Beitrags zu einer positiven Handelsbilanz mit sich und trägt langfristig zur Senkung der Kosten der medizinischen Behandlung durch die Verkürzung der Krankenhausaufenthalte und die Verringerung der Abhängigkeit von Einfuhren aus anderen Teilen der Erde bei.

3.2. In Europa haben die Arzneimittel, zumal in den letzten 40 Jahren, zweifelsohne eine entscheidende Rolle bei den Bemühungen gespielt, das Gesundheitsniveau der Bevölkerung zu heben. Man muss der Pharmaindustrie zugute halten, dass sie dem Markt ständig neue Erzeugnisse zugeführt hat, um neu auftauchende Krankheiten zu bekämpfen und die Behandlung der herkömmlichen Leiden zu verbessern. Bei diesem Prozess müssen die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen jedoch sorgfältig mit den gesundheitlichen Bedürfnissen der Bürger austariert werden.

3.3. Heute weist die pharmazeutische Industrie folgende Merkmale auf:

- ein hohes Maß an technischer Raffinesse und Spezialisierung;

- im Vergleich zu den anderen Sektoren der Industrie überdurchschnittliche Investitionen in Forschung und Entwicklung;

- komplexe Vermarktungsstrategien infolge der komplexen Verhältnisse in dem Sektor, in dem eine deutliche Asymmetrie zwischen Angebots- und Nachfrageseite hinsichtlich des Kenntnisstandes besteht und auf der Nachfrageseite - aufgrund wechselnder Kombinationen der drei Parteien verbrauchender Patient, verschreibender Arzt und zahlende Seite - Durcheinander herrscht;

- die Fähigkeit, mit immer ausgeklügelteren und komplexeren Regeln und Kontrollverfahren fertig zu werden oder diese zu entwickeln.

Die wenigen verfügbaren Studien zeigen, dass die Pharmaindustrie, zumindest in den Vereinigten Staaten, unter diesen Bedingungen im Vergleich zu den anderen Sektoren der Industrie überdurchschnittlich hohe Profite erwirtschaften konnte.

3.4. Nicht zu übersehen sind die günstigen Auswirkungen, die von dieser Industrie nicht nur auf die Zulieferindustrie im herkömmlichen Sinne, sondern auch auf die Tätigkeit ausgehen, die in Zusammenarbeit von Hochschulen und Krankenhäusern für die Forschung und die nach den einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften erforderlichen klinischen Studien geleistet wird (Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Richtlinie 75/318/EWG und die darauffolgenden geänderten Fassungen sowie 93/39/EWG und 93/40/EWG).

3.5. Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, zu dem der Ausschuss bereits Stellung genommen hat(3), stellt einen weiteren Schritt auf dem Wege zu einer Harmonisierung der von den Regelungsbehörden der Mitgliedstaaten geübten Praxis dar. Der Ausschuss hofft, dass die Richtlinie rasch verabschiedet wird und dass seine Empfehlungen, welche die Bestimmungen wirksamer machen sollen, darin Berücksichtigung finden.

3.6. Der Wettbewerb, der auf dem Arzneimittelmarkt herrschen sollte, darf weder durch eine missbräuchliche Anwendung des patentrechtlichen Schutzes noch durch Hindernisse, die eine wirkliche und faire Konkurrenz beim Handel mit generischen Arzneimitteln beeinträchtigen, begrenzt werden. An dem Schutz des geistigen Eigentums, den das Patent bietet, sollte man nicht rütteln, weil er einerseits als Mittel dient, die Forschung über den Profit, der dem Auftraggeber winkt, zu stimulieren, und weil er andererseits dafür sorgt, dass Wissensfortschritte, die weiterführende Forschungsanstrengungen anderer fördern, bekannt werden. Die Dauer des Patentschutzes muss jedoch den Erfordernissen eines echten Wettbewerbs auch bei den Preisen für gleichartige Arzneimittel entsprechen.

3.7. Um die angesprochene negative Entwicklung zu verhindern, sollte die Gemeinschaft ihr Handeln auf geeignete, genau definierte Ziele ausrichten. Dabei könnte es sich beispielsweise um folgende Ziele handeln:

- Förderung von Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit, einschließlich des Vertriebs generischer Erzeugnisse, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass parallele Einfuhren den Importeuren mehr Vorteile bringen als den Patienten und auf einem stark reglementierten Markt wie dem für Arzneimittel im Allgemeinen Wettbewerbsverzerrungen verursachen;

- Schaffung der Voraussetzungen dafür, dass neue Medikamente wirklich überall in der Europäischen Union erhältlich sind;

- Unterstützung der Forschungsanstrengungen in Sachen Tropenkrankheiten mit dem Ziel, den Zugang zu Medikamenten zu erleichtern, die der Bekämpfung der für Entwicklungsländer typischen Krankheiten dienen.

4. Die Arzneimittelkosten

4.1. Die wichtigsten Faktoren, die sich auf die Ausgaben für Arzneimittel auswirken, sind (wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die Bedeutung der einzelnen Faktoren von Mitgliedsland zu Mitgliedsland stark variieren kann):

- das Gesamteinkommen der Familien;

- die Regelung der Arztwahl und der Arzthonorare sowie die Ausgabenbegrenzungen für Ärzte und Patienten - bei Regelungen, nach denen sich der Patient für einen Hausarzt entscheiden muss, die Wahlmöglichkeiten bei Fachärzten hingegen eingeschränkt sind, fallen die Ausgaben geringer aus als bei Regelungen, die bei jeder Sprechstunde eine völlig freie Wahl des praktischen Arztes und des Facharztes zulassen;

- das Durchschnittsalter der Bevölkerung - "ältere" Gesellschaften geben wegen der höheren Krankheitsrate älterer Menschen mehr für Arzneimittel aus;

- die medizinischen Erfordernisse in Relation zu den Krankheitszahlen der Bevölkerung;

- die Preis- und Erstattungsregelungen (die sich allerdings, wie sich gezeigt hat, nicht dauerhaft auf die Gesamtausgaben für Arzneimittel auswirken);

- das wirtschaftliche und politische Umfeld und das Vorhandensein einer leistungsfähigen nationalen Pharmaindustrie;

- die Verschreibungsgepflogenheiten.

4.2. Im letzten Jahrzehnt haben alle europäischen Länder Maßnahmen ergriffen, um die Arzneimittelkosten einzudämmen. Diese Maßnahmen, die eher auf budgetäre als auf gesundheitliche Überlegungen zurückzuführen sind, setzten sowohl am Preisniveau (Einfrieren der Ab-Werk-Preise, Einengung der Gewinnmargen der Großhändler und Apotheker) als auch an den Erstattungsregelungen an (Festpreise für die Erstattung, Einschränkung der Zahl der erstattungsfähigen Erzeugnisse, Einführung oder Heraufsetzung der Patientenselbstbeteiligung, Budgetierung der entsprechenden Posten im nationalen Haushalt, auf lokaler Ebene oder der erstattungsfähigen Ausgaben der einzelnen verschreibenden Ärzte).

4.3. Der Anstieg der Gesamtkosten, der gleichwohl festzustellen war, beweist, dass bestimmte soziale und wirtschaftliche Variablen einer Kosteneindämmung im Wege stehen. Daher erscheint es geboten, das genannte Vorgehen mit einem Bündel weiterführender Maßnahmen zu koppeln, um einerseits der globalen Entwicklung der verschiedenen Bereiche des Sektors gerecht zu werden und andererseits die Arzneimittelnachfrage in Richtung eines kostenbewussteren Umgangs zu lenken.

4.4. Gleichgültig, welches Verfahren zur Preiskontrolle man anwendet, stets sieht man sich dem Streit unterschiedlicher Argumentationsmuster, die sich kaum unter einen Hut bringen lassen, ausgesetzt. So argumentiert die Industrie, die Preise müssten die Finanzierung der FTE-Kosten ermöglichen. Wer aber die Arzneimittelkosten zu tragen hat, argumentiert ganz anders, denn er muss Rechenschaft ablegen, weshalb er einen wohl höheren Preis für ein Arzneimittel bezahlen sollte, das zwar neuer ist, aber keine größere Wirkung und Sicherheit bietet als ein billigeres Medikament. Wieder anders klingen die Forderungen der Bürger und Verbraucherverbände, die einen größeren Einfluss auf die Verschreibungs- und Forschungsentscheidungen wünschen, um sich ein möglichst hohes Gesundheitsschutzniveau zu sichern, ohne überhöhte Preise bezahlen zu müssen.

4.5. All dies gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen. Der Weg, die pharmazeutische Versorgung zu verbessern, indem man die Gesundheitsausgaben zu Lasten der nationalen Haushalte, der gesetzlichen Krankenkassen und der Zusatzkrankenversicherungen immer weiter erhöht, ist künftig versperrt. Denn die ohnehin ständig zunehmenden Schwierigkeiten, die öffentlichen Haushalte auszugleichen, verschärfen sich durch den Zwang, die Kriterien von Maastricht einzuhalten, noch zusätzlich, sodass es sich kein Mitgliedstaat mehr leisten kann, immer mehr Geld für die Arzneimittelversorgung auszugeben.

5. Die ungleichen Bedingungen bei der pharmazeutischen Versorgung der europäischen Bürger

5.1. Den Verspätungen, mit denen die neuen, nach einem zentralisierten Verfahren durch die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) zugelassenen Arzneimittel in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu den Bürgern gelangten, widmete die Kommission eine Studie, die sie im Auftrag des Rates Binnenmarkt vom 18. Mai 1998 erstellte und am 19. März 1999 anlässlich des Audits der Londoner Einrichtung erläuterte.

5.2. Die Ermittlungen der Kommission förderten folgenden unbefriedigenden Sachverhalt zutage:

- die EMEA ist im Großen und Ganzen in der Lage, die Verfahren zur Beurteilung der neuen Medikamente innerhalb des in der Verordnung vorgesehenen Zeitraums abzuschließen;

- auch der Entscheidungsprozess, in dessen Verlauf die befürwortende Stellungnahme der EMEA zu einer offiziellen Zulassung durch die Kommission mit dazugehöriger Veröffentlichung im Amtsblatt wird, bleibt innerhalb des zeitlichen Rahmens (wobei es nicht gerechtfertigt sein dürfte, dass die schlichte Umwandlung in eine Gemeinschaftszulassung, bei der die Registrierungsunterlagen nicht noch einmal inhaltlich geprüft werden, ein Drittel der Zeit verschlingt, die für die Prüfung von ein paar tausend Seiten technischer und wissenschaftlicher Unterlagen nötig ist);

- hingegen sind die Fristen, welche die Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen, um die bereits zugelassenen Arzneimittel in Umlauf bringen, übermäßig lang und daher unannehmbar.

5.3. Die zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede sind erheblich: Die Fristen reichen von 90 bis zu mehr als 250 Tagen - eine unverständliche und für die Patienten unannehmbare Ungleichbehandlung beim Zugang zu Arzneimitteln in den verschiedenen Mitgliedsländern. In manchen Mitgliedsländern wurden die meisten Arzneimittel nach der zentralisierten Zulassung auch in Umlauf gebracht, in anderen hingegen gelangten kaum 20-25 % der genehmigten Produkte auf den Markt.

5.4. Sowohl die unterschiedlichen Zeitspannen zwischen Genehmigung und Verfügbarmachung des Produktes als auch die unterschiedlichen Vermarktungsraten der genehmigten Produkte scheinen auf die Schwierigkeiten zurückzuführen zu sein, im Rahmen der unterschiedlichen Erstattungsregeln, die in den verschiedenen Mitgliedsländern gelten, annehmbare Arzneimittelpreise festzulegen. Konjunkturabhängige Kostenrechnungen gewinnen damit die Oberhand über das eigentlich vorrangige Ziel der Volksgesundheit.

5.5. Da es nicht angeht, dass die Zeitspannen, innerhalb derer die europäischen Bürger in den Genuss ein- und desselben Arzneimittels gelangen, derart unterschiedlich ausfallen, müssen sich Rat und Kommission dringend mit der Frage auseinandersetzen, wie man zu einvernehmlich beschlossenen Modalitäten zur Festlegung der Preise für Arzneimittel mit vergleichbarer Wirkung gelangen kann, um für die gleichen Produkte Preise, die nicht unverhältnismäßig voneinander abweichen, zu garantieren. Ausgangspunkt könnte die Festlegung eines europäischen Bezugsrahmens sein, der den Mitgliedstaaten als Richtschnur diente, um die verschiedenen Erstattungsmodelle in Bezug auf den spezifischen Aspekt der Klassifizierung für die Erstattung oder die weiterreichende Frage einklagbarer Rechte schrittweise aneinander anzunähern, sodass einheitliche Bedingungen für Bürger, Industrie und Mitgliedsländer bestehen.

5.6. Der unterschiedliche Vermarktungsgrad von Produkten, die nach dem zentralisierten Verfahren genehmigt wurden, gibt noch weit mehr Anlass zur Sorge: Ist der Zugang zu den neuesten Arzneimitteln nicht in ganz Europa gewährleistet, entstehen unterschiedliche Standards des Gesundheitsschutzes, was das Verfahren einer europäischen Registrierung in Frage stellt und die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und des in langjähriger Arbeit geschaffenen europäischen Rechts in ihren Fundamenten erschüttert.

5.7. Der Ausschuss bekräftigt seine Auffassung, dass die Kommission ihre Untersuchung der Gründe für die festgestellten Verzögerungen vervollständigen und kontrollieren muss, ob einer der Gründe für diese Verzögerungen darin besteht, dass die Unternehmen ihre Erzeugnisse nur in den Ländern, wo der Markt höhere Gewinne verheißt, vertreiben. Erforderlichenfalls muss sie eingreifen, um dafür zu sorgen, dass die Gemeinschaftsbestimmungen, die nach der zentralisierten Registrierung eine Vermarktung in allen Mitgliedstaaten vorsehen, eingehalten werden.

5.8. Denn das zentralisierte Genehmigungsverfahren soll ja gerade die zeitgleiche Vermarktung des jeweiligen Produkts in allen Mitgliedsländern der Gemeinschaft ermöglichen, und die Durchsetzung unberechtigter wirtschaftlicher Interessen, die das leitende Prinzip des Gesundheitsschutzes und die rechtliche Grundlage des Registrierungsverfahrens verletzen, kann nicht toleriert werden, auch wenn diese Praktiken auf die Knappheit der öffentlichen Mittel zurückzuführen sind.

6. Die Entwicklung neuer Arzneimittel

6.1. Die Arzneimittel, die in den letzten Jahrzehnten auf den Markt gelangten, sind fast ausschließlich Ergebnis der Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen (FTE) der Pharmaindustrie. Die Kosten des FuE-Aufwands sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen - die Industrie beziffert die Kosten für die Entwicklung eines neuen Moleküls bis zur Vermarktung auf 300-500 Mio. Euro. Diese Ausgaben schlagen sich dann in sehr hohen Verkaufspreisen nieder.

6.2. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Genehmigung für die Vermarktung eines neuen Arzneimittels nichts über seinen innovativen oder "Neuheits"-Wert oder über den therapeutischen Vorteil, den dieses Medikament im Verhältnis zu den bestehenden Therapien mit sich bringt, aussagt. Die Genehmigung ist mithin kein ausreichendes Indiz für dessen Neuheitswert. Dieser ließe sich besser mit Hilfe des Nachweises an signifikanten Patientengruppen ermitteln, dass das neue Arzneimittel wirksamer und/oder sicherer ist als die Therapie, die bisher bei gleicher Diagnose angewendet wurde.

6.3. Zur Zeit gibt es noch keine europäischen Einrichtungen, die den Auftrag haben, Untersuchungen dieser Art durchzuführen. Ohne eine solche Beurteilung ist aber eine sachliche Diskussion über den Begriff "Neuheit" nicht möglich, weil das wertvolle Prädikat nach willkürlichen Kriterien vergeben werden könnte, denn es kann ja nicht unterschieden werden, ob es sich um einen wirklichen therapeutischen Vorteil handelt oder eine Veränderung, die für die Patienten keine messbare Verbesserung darstellt. Außerdem dürfte sich die Pharmaindustrie, wenn sie für neue, aber nicht wirklich neuartige Arzneimittel hohe Verkaufspreise erzielt, nicht zu einer umsichtigen Kalkulation der FTE-Kosten veranlasst sehen.

6.4. Die Genehmigung, ein neues Arzneimittel zu vermarkten, muss nach den Kriterien Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit, die anhand gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften festzulegen sind, erfolgen. Denn es muss folgendes bedacht werden: Fällt die Entscheidung, die Vermarktung eines neuen Arzneimittels zu genehmigen, aufgrund des Neuheitsgrades des betreffenden Produktes, so kann dies folgende praktisch bedeutsame, aber unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen:

- Monopolstellungen in Bezug auf ganze Therapien mit unvorhersehbaren Folgen für die Preise;

- eine schlechtere Wettbewerbsstellung und Forschungskapazität der kleinen und mittleren Unternehmen, die keine Riesensummen in FTE-Vorhaben stecken können, sondern sich auf besondere Segmente konzentrieren müssen;

- der Zwang für ein ganzes Unternehmen, seine gesamten FTE-Kosten mit einem einzigen Produkt zu finanzieren.

6.5. Die Kosten der klinischen Forschung haben, zumal bei bestimmten Arten von Arzneimitteln (Herz-Kreislauf-Medikamenten, Antihypertensiva und blutfettsenkenden Mitteln), bei denen immer öfter auf sehr große Versuchsgruppen (5-10000 Patienten oder mehr) zurückgegriffen wird, astronomische Höhen erreicht. In diesen Fällen kann eine einzige klinische Studie mehrere Dutzend Millionen Euro kosten. Diese Kosten entstehen nicht nur aufgrund der komplizierten Organisation, die nötig ist, um eine Studie zu planen und durchzuführen, sondern auch durch die Bestreitung sämtlicher Ausgaben für die Behandlung der beteiligten Patienten während der gesamten klinischen Erprobung durch das betreffende Unternehmen.

6.6. Einen sehr wichtigen Vorstoß, der die Senkung der mit den Genehmigungsregelungen verbundenen Kosten begünstigen kann, stellt die Internationale Konferenz zur Harmonisierung technischer Anforderungen an die Registrierung von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch (International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, ICH) dar.

6.7. Mit dieser Initiative begann ein Prozess, in dessen Verlauf die Unterschiede zwischen den Anforderungen an die einschlägigen Studien in den drei Teilen der Welt, die drei Viertel des Weltmarktes beherrschen und über die am weitesten entwickelten Normen und Überwachungsregelungen verfügen, - in Japan, den USA und der Europäischen Union - eingeebnet wurden.

6.8. Es liegt auf der Hand, dass der mit der ICH eingeleitete Prozess nicht nur dazu beitrug, dass sich die Entwicklungskosten für neue Arzneimittel in beträchtlichem Umfang eindämmen ließen, sondern dass er es auch den Ländern, die nicht an der Konferenz teilnehmen, immer schwerer machen wird, Entscheidungen zu treffen, die wesentlich von denen der Behörden in den ICH-Ländern, den technisch am weitesten entwickelten und reichsten Ländern, abweichen. Der Prozess wird, da er eine Angleichung nach oben, eine Anpassung an die bestmöglichen Standards bewirkt, den pharmazeutischen Industrien von rein lokaler Bedeutung, insbesondere den in den Entwicklungsländern angesiedelten, das Überleben nach und nach immer schwerer machen.

7. Anreize für die pharmazeutische Forschung

7.1. Bis 1990 war die europäische Arzneimittelindustrie in Sachen FTE und Innovation in der Welt führend. Nach und nach verlor Europa jedoch gegenüber den USA an Boden, sodass diese die europäischen Länder hinsichtlich der in die pharmazeutische FTE investierten Mittel 1997 erstmals überfluegelten. In den Jahren 1990-1998 verdoppelten sich die FTE-Investitionen in Europa, während sie sich in den Vereinigten Staaten, vor allem durch die hohen Investitionen in die Biotechnologie verdreifachten.

7.2. Es ist daher dringend erforderlich, die Voraussetzungen und das erforderliche rechtliche Umfeld zu schaffen, um die wissenschaftliche Forschung anzuregen und einen auf die Förderung wirklich innovativer Unternehmen ausgerichteten Prozess in Gang zu halten. Zu diesem Zwecke müssen die zur Förderung der FTE im Pharmasektor, vor allem im biotechnischen Bereich und in der Grundlagenforschung, bestimmten staatlichen Mittel besser verwendet und Anstrengungen unternommen werden, die Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft und den Universitäten zu verstärken.

7.3. Wie die Kommission schon in ihrer Mitteilung "Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor der Europäischen Gemeinschaft"(4) dargelegt und der WSA in seiner vorausgegangenen Stellungnahme zum freien Arzneimittelverkehr in der EU bekräftigt hat, stellen auch äußere Faktoren Anreize für die wissenschaftliche Forschung dar: die Sicherheit des Rechtsrahmens auf der Grundlage des Patentschutzes, die Transparenz der Verfahren, die Kohärenz und Stetigkeit der einzelstaatlichen Politik, die Garantie, dass die Erfordernisse der Industrie angemessen berücksichtigt werden, und das Tempo, mit dem die Behörden Entscheidungen treffen und Genehmigungen erteilen.

7.4. Es kommt darauf an, Verfahren zu entwickeln, die eine Ausdehnung der pharmazeutischen Forschung über den engen Bereich der wenigen multinationalen Unternehmen hinaus ermöglichen. Denn sollte sich die gegenwärtige Tendenz zur Konzentration noch verstärken, wäre die Unabhängigkeit hochspezialisierter mittelständischer Unternehmen de facto gefährdet und es könnte eine Situation entstehen, in der die Gesundheitssysteme von wenigen überaus innovativen Zulieferern abhängen, eine Lage, die wiederum einen unkontrollierbaren Druck auf die Preise und damit auf die Ausgaben der öffentlichen Hand als unmittelbare Folge nach sich zöge. Man sollte dagegen mit legislativen Mitteln einen Prozess unterstützen, der im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Konzentrationstendenzen in dem Sektor Freiräume für hohe Spezialisierungen auf bestimmten therapeutischen Feldern schüfe, womit sich die Entwicklung mittelständischer Unternehmen fördern ließe.

7.5. Der WSA betrachtet es als sehr erfreulich, dass die Kommission eine Verordnung über Arzneimittel für seltene Krankheiten und eine Richtlinie über klinische Studien sowie ein Aktionsprogramm für seltene Krankheiten und umweltverschmutzungsbedingte Leiden vorgeschlagen hat. Denn alle diese Initiativen fördern die Beteiligung unabhängiger Forschungszentren und mittelständischer Unternehmen an Forschungsvorhaben, die angesichts der Herausforderungen, vor denen der Gesundheitsschutz für die europäischen Bürger steht, außerordentlich nützlich sind.

7.6. Allerdings ist festzuhalten, dass die Mechanismen, mit deren Hilfe die Forschung gefördert werden soll, in der Europäischen Union noch nicht den gleichen Wirkungsgrad erreichen wie in den USA oder auch in Japan, wo das administrative Umfeld, die Fördermittel und insbesondere steuerliche Anreize in hohem Maße zur Zunahme der Forschungsinvestitionen beigetragen haben.

7.7. Nach Ansicht des Ausschusses hängt die FTE-Kapazität auch in entscheidendem Maße von verbesserten Marktzugangsbedingungen für neuartige Arzneimittel und von der Fähigkeit ab, die Zersplitterung des europäischen Arzneimittelmarktes zu überwinden.

8. Der Arzneimittelsektor und die EU-Erweiterung

8.1. Der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder wird der EU neue Mitgliedstaaten zuführen, in denen sehr viel geringere Mittel zum Erwerb pharmazeutischer Erzeugnisse zur Verfügung stehen als in den gegenwärtigen Mitgliedsländern. Befinden sich doch unter den Ländern, die sich für die Heranführungsphase qualifiziert haben, solche, deren BIP pro Einwohner zu Kaufkraftparitäten nur 28 % des Durchschnitts der heutigen EU ausmacht.

8.1.1. Die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen müssen berücksichtigen, dass zwischen den jetzigen und den künftigen Mitgliedstaaten im Gesundheits- und Urheberschutz, in der Industrie sowie bei den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen beträchtliche Unterschiede bestehen. So weist die Kommission selbst in ihrer Mitteilung zur künftigen Entwicklung der Gesundheitspolitik vom Jahre 1998 auf den Graben hin, der sich im Gesundheitswesen zwischen den gegenwärtigen Mitgliedsländern und den Bewerberländern auftut.

8.1.2. Die speziell das Gesundheitswesen betreffenden Fragen müssen bei der Ausarbeitung des Beitrittsvertrages notwendigerweise berücksichtigt werden, denn die Unionserweiterung und die Herausforderung, die diese in Sachen Gesundheitsfürsorge darstellt, sind ein entscheidender Gesichtspunkt bei den Bemühungen des Rates Binnenmarkt, Vorschläge zur Deregulierung des Arzneimittelmarktes zu formulieren.

9. Nutzung der im Sektor selbst steckenden Ressourcen

9.1. Die Finanzierung einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung, die erheblichen Mittel, die zur Förderung einer sehr innovativen Forschungstätigkeit nötig sind, und die Unmöglichkeit, die nationalen Haushalte durch einen ständigen und schrittweisen Anstieg der Gesundheitskosten immer stärker zu belasten, zwingt zu einer ernsthaften Prüfung der Möglichkeit, die jedem Sektor selbst innewohnenden Ressourcen zu nutzen. Wenngleich die Arzneimittelausgaben als Bestandteil der Gesundheitsausgaben zu betrachten sind und somit analysiert werden muss, wie eine korrekte Arzneimittelverwendung andere Gesundheitsausgaben reduzieren kann, erscheint es auch in diesem Sektor erforderlich, gegen Verschwendungen anzugehen, damit die Mittel optimal für die Gesundheit der Bürger eingesetzt werden können.

9.2. Eine solche Prüfung sollte nach Ansicht des Ausschusses an drei Punkten ansetzen: Verminderung eines nicht gerechtfertigten Arzneimittelgebrauchs, Verminderung der Verschwendung und eine verbesserte Leistungsfähigkeit des Vertriebs. Hier bringen noch in einigen Mitgliedsländern vorhandene unberechtigte Privilegien und vorteilhafte Bedingungen letztlich eine Verschwendung von Mitteln, die sich sinnvoller für die Gesundheitssysteme ganz allgemein nutzen ließen, mit sich.

10. Vorschläge

10.1. Die folgenden Vorschläge sollen dazu beitragen,

- die Leistungsfähigkeit der europäischen FTE zu fördern und zu verbessern, um die Verfügbarkeit hochinnovativer Arzneimittel sicherzustellen;

- die Gesundheits- und Arzneimittelausgaben einzudämmen, Vorbeugungsmaßnahmen und den optimalen Gebrauch von Arzneimitteln zu fördern und Leistungen von hoher Qualität zu gewährleisten;

- allen Unionsbürgern gleichen Zugang zu den Arzneimitteln zu sichern;

- einen Beitrag zu einem zweckmäßigen Umgang mit Arzneimitteln zu leisten;

- die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Arzneimittelvertriebssysteme weiterzuentwickeln.

10.2. Bewertung des therapeutischen Vorteils für den Patienten

Nach Ansicht des Ausschusses muss eine Bewertung des therapeutischen Vorteils hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit im Vergleich zu (einer) herkömmlichen Therapie(n) bei gleichen Indikationen und hinsichtlich des Beitrags zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürger auf wissenschaftlichen Kriterien beruhen, die von einer eigens geschaffenen Gemeinschaftsinstanz gutgeheißen werden, und darauf ausgerichtet sein, sowohl die ärztliche Verschreibung als auch die Anwendung durch den Patienten zu verbessern.

10.2.1. Eine korrekte Bewertung des tatsächlichen Innovationsgrades und der dem Patienten dadurch entstehenden Vorteile erfordert die Festlegung von Vergleichsmedikamenten/-therapien und eine ständige Anpassung der zugelassenen und harmonisierten Verfahren und Leitlinien. Die auf diese Weise entwickelten Verfahren müssen die unterschiedliche Reaktion der Patienten berücksichtigen und so diversifiziert werden, dass sowohl Bewertungen auf der Grundlage von Daten, die vor der Zulassung der Vermarktung zur Verfügung stehen, als auch Bewertungen während der Vermarktung durchgeführt werden können. Diese Bewertung muss jedoch aktualisiert werden, wenn neue Erkenntnisse infolge eines breiteren Gebrauchs des Arzneimittels in der Phase nach der Markteinführung vorliegen.

10.2.2. Um das Verständnis des Potentials eines neuen Arzneimittels und seine optimale Anwendung zu erleichtern, sollte diese Bewertung des therapeutischen Vorteils, die in jedem Fall kein weiteres Kriterium zur Zulassung eines Arzneimittels darstellt, auf geeignete Weise in den dem Arzt und ggf. dem Patienten zur Verfügung gestellten Informationen enthalten sein.

10.3. Eine bessere Nutzung der öffentlichen FTE-Fördermittel

Schaffung der Voraussetzungen dafür, dass die Generaldirektionen Unternehmen, Forschung und Informationsgesellschaft und die Pharmaindustrie enger zusammenarbeiten können, um die öffentlichen Mittel besser und gezielter zur Förderung der Forschung einschließlich der Grundlagenforschung, vor allem im Bereich der Biotechnologie, und unter besonderer Berücksichtigung der Präventivmedizin (z. B. Impfungen) und seltener Krankheiten ("orphan drugs"), einzusetzen.

10.3.1. Der Ausschuss wiederholt nochmals seine schon in der Stellungnahme zu Arzneimitteln für seltene Krankheiten(5) an die Kommission gerichtete Aufforderung, eine Empfehlung zur Förderung von Forschungsanreizen, zumal steuerlicher Art, abzugeben.

10.3.2. Durch eine stärkere Konzentration der öffentlichen Fördermittel auf die Forschung zur Entwicklung neuartiger Produkte (beispielsweise mit Beiträgen zur Bewertung des tatsächlichen Neuheitsgrades vor der Vermarktung) und neuer Forschungstechnologien (Prüfverfahren mit hohem Durchsatz, high throughput screening), rationelle Arzneimittelprojektierung und Genomik) ließen sich öffentliche Mittel sicherlich wirksamer einsetzen.

10.4. Ein sinnvoller Umgang mit Arzneimitteln

Es ist für ein angemessenes Verhältnis zwischen ärztlichen Verschreibungen und Morbidität zu sorgen, damit gewährleistet ist, dass die Menge der verschriebenen Medikamente den tatsächlichen Krankheitszahlen in der Bevölkerung entspricht. Daher scheint es erforderlich, Prüfverfahren auf regionaler und lokaler Ebene vorzusehen, damit - ohne die Freiheit der Ärzte bei der Verschreibung und das Recht des Patienten auf Datenschutz zu beschneiden - die zuständigen einzelstaatlichen Stellen kontrollieren können, ob ein Medikament, das nachgefragt wird, den Patienten einen tatsächlichen therapeutischen Nutzen bringt. Beiträge zu einem vernünftigen Umgang mit Arzneimitteln können die Arzneimittelausgaben nachhaltiger beeinflussen als strikte Preiskontrollen.

10.4.1. Erreichen lässt sich dieses Ziel durch die Förderung von Initiativen auf lokaler, nationaler und gemeinschaftlicher Ebene, deren Ziel es ist, Verfahren zur Analyse der Verschreibungspraxis und sonstige Tätigkeiten zur Feststellung und Förderung der wirksamsten und rentabelsten therapeutischen Ansätze zu entwickeln.

10.4.2. Die Ergebnisse dieser Initiativen sollten zu konkreten Vorschlägen in folgenden Bereichen führen:

- Verfahren zur Evaluierung der Verschreibungspraxis und des Verhältnisses zwischen Diagnose und verschriebenen Medikamenten;

- Verfahren zur Begutachtung der wirtschaftlichen Aspekte des Arzneimittelhandels;

- Verfahren zur pharmakologisch-klinischen Bewertung im allgemeinmedizinischen Kontext;

- Leitlinien für die Behandlung erster Wahl bei im allgemeinmedizinischen Kontext häufiger vorkommenden Krankheitsbildern;

- Leitlinien für einen angemessenen Gebrauch von Antibiotika, v.a. in der klinischen Praxis außerhalb des Krankenhauses;

- Studien zur Förderung einer rationaleren Klassifizierung von Arzneimitteln auf der Grundlage der "Internationalen Freinamen" (DCI/INN) (Übertragung von der Kategorie verschreibungspflichtiger Medikamente in die der Heilmittel, Ein-/Austragung in Erstattungslisten oder Listen für den ausschließlichen Gebrauch in Krankenhäusern), wobei eine Änderung der Richtlinie 26/92/EWG über die Einstufung vorgeschlagen wird.

10.4.3. Damit die im Gesundheitswesen Tätigen und vor allem die Patienten/Verbraucher bei der zweckmäßigen Verwendung von Arzneimitteln eine aktivere Rolle spielen und enger in den Prozess eingebunden werden können, muss man dem öffentlichen Gesundheitswesen und der Gesellschaft bei der Herstellung und Verbreitung unabhängigen Informationsmaterials über die Arzneimittel eine wichtigere Rolle zuweisen. Dazu gehört u. a., dass die bei der Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln anfallenden Daten über Sicherheit und Wirksamkeit nicht nur den Zulassungsbehörden, sondern nach der Zulassung der Vermarktung - und unter Ausschluss vertraulicher Daten - auch wissenschaftlichen Einrichtungen, Berufs-, Verbraucher- und Patientenverbänden zugänglich sein und gleichzeitig ständig aktualisiert werden sollen. Stützen könnte man sich dabei zweckmäßigerweise auf die schwedischen Bestimmungen oder US-amerikanischen (Freedom of Information Act, Title 5 of US Code, section 552), welche die Informationsfreiheit und die Transparenz der Arzneimittelzulassungsverfahren regeln.

10.4.4. Die Informationen für die Ärzte müssen von Maßnahmen zur Aufklärung der Patienten über Aspekte wie die Qualität und die Preise von Arzneimitteln, den zweckmäßigen Umgang mit ihnen und therapeutische Alternativen zu Arzneimitteln begleitet werden. Zusätzlich müssen Initiativen, mit denen sich eine bewusste und sachkundige Selbstmedikation fördern lässt, weiterentwickelt werden, da diese zur Gesundheit der Bürger beitragen und gleichzeitig den Kostendruck im Gesundheitswesen verringern kann. Ziel dieser Initiativen sollte in Zusammenarbeit mit den Ärzten und Apothekern die Gesundheitserziehung und eine intensivere Kommunikation zwischen den Bürgern und den im Gesundheitswesen Tätigen sein, und dies in Übereinstimmung mit der allgemeinen Tendenz, der zufolge sich die Gesundheit der Bürger durch stärkere Übernahme von Eigenverantwortung verbessern kann.

10.5. Werbung für die Verwendung generischer Arzneimittel

Nach Ansicht des Ausschusses lassen sich die Arzneimittelausgaben mit generischen Arzneimitteln eindämmen, ohne dass bei der Qualität der Arzneimittelversorgung Abstriche gemacht werden müssten. Aus einer Reihe von Gründen (Unterschiede in der Verschreibungspraxis, bei den Erstattungsregelungen, beim Patentschutz) hat sich der Markt der generischen Arzneimittel in der Europäischen Union sehr ungleich entwickelt. Die EU sollte deshalb Initiativen entwickeln, um dafür zu werben, dass in allen Mitgliedsländern mehr generische Arzneimittel anstelle therapeutisch gleichwertiger, aber teurerer Medikamente verwendet werden. Die Gemeinschaftsbehörden sollten der Aufforderung des Rates Binnenmarkt nachkommen, die durch die Vielfalt der nationalen Rechtsvorschriften verursachten Wettbewerbsverzerrungen auszuräumen, indem sie die Festlegung konkreter Modalitäten für eine progressive Deregulierung des Arzneimittelmarktes unterstützen.

10.5.1. Solche Initiativen können die Gestalt länderspezifischer Fallstudien oder den wirtschaftlichen Aspekten des Arzneimittelhandels gewidmeter Untersuchungen annehmen, die zeigen, welche konkreten Maßnahmen man ergreifen muss, um mit Hilfe generischer Arzneimittel zu Einsparungen zu gelangen. Es ist allerdings hervorzuheben, dass, soll ein echter Wettbewerb entstehen, eine Reihe von Voraussetzungen überprüft werden muss. Zu nennen wäre beispielsweise die aktive Einbindung der Ärzte (damit diese bereit sind, generische Mittel zu verschreiben, und bestimmte Mittel durch andere zu ersetzen), der Apotheker (Bereitschaft zum Ersatz), der Zusatzkrankenversicherungen (die einen Teil der Erstattung oder Kostenübernahme der Arzneimittel für die Verbraucher tragen), der Behörden und der Institutionen zur Preiskontrolle (Ersatzlisten, obligatorischer Ersatz, eine auf den Preis des günstigsten therapeutischen Äquivalents begrenzte Erstattung, Kampagnen zur Patientenaufklärung, eine proportionale Beteiligung des Patienten an den Kosten eines Arzneimittels, wenn es ein entsprechendes generisches Arzneimittel gibt) und der Patienten (Vermittlung der wirtschaftlichen Dimension eines Arzneimittels).

10.5.2. Nach Auffassung des Ausschusses können die generischen Arzneimittel zu einem echten Preiswettbewerb beitragen, sodass die öffentliche Hand entlastet wird und wirklich neuartige Arzneimittel prämieren kann. Wichtig ist zu bemerken, dass der Markt für generische Arzneimittel sowohl für viele KMU als auch für multinationale Unternehmen, die nach Ablauf des Patentschutzes für ihre wichtigsten Erzeugnisse in diesen Markt eintreten, von großer Bedeutung ist. Der Ausschuss betrachtet den Wettbewerb, der durch die Entwicklung des Marktes für generische Arzneimittel entsteht, als Anreiz für Innovation.

10.6. Gleicher Zugang der europäischen Bürger zu Arzneimitteln

10.6.1. Die Untersuchungen über die Erhältlichkeit der nach dem zentralisierten Verfahren zugelassenen Arzneimittel (siehe Ziffer 5) belegen, dass manche Mitgliedstaaten die Marktzulassung weit über die in den geltenden Vorschriften genannten Fristen hinaus verschleppen und dass nur ein geringer Teil der zugelassenen Erzeugnisse überhaupt in den Handel gelangt.

10.6.2. Bei allem Respekt vor den nationalen Zuständigkeiten in Sachen Gesundheitsfürsorge und Regelung der Arzneimittelpreise und -erstattungen hält der Ausschuss es für erforderlich und dringend, dass die Kommission dafür sorgt, dass die in der Richtlinie 89/105/EWG betreffend die Transparenz enthaltenen Fristen und Modalitäten eingehalten werden, damit sich die Unterschiede bei der Behandlung der EU-Bürger beseitigen lassen.

10.6.3. Die Kommission müsste sich dagegen für eine Reform der Ausschüsse Arzneimittel und Transparenz in ihrer heutigen Form einsetzen. Denn diese müssen zu echten Foren für die Diskussion und kritische Wertung dringender nationaler Maßnahmen und konkreter Vorschläge für die Überwindung der gegenwärtigen Divergenzen werden und sicherstellen, dass ein Arzneimittel, das (nach den unter Ziffer 9.2 genannten Gesichtspunkten) wirklich neuartig ist und therapeutische Vorteile bietet, den Patienten so schnell wie möglich zur Verfügung steht (siehe Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 und Richtlinie 89/105/EWG).

10.6.4. Der WSA schlägt vor, ein Arzneimittel nach Ablauf der vorgesehenen Frist auf jeden Fall und ggf. gemäß den Modalitäten der einzelstaatlichen Erstattungsvorschriften zu vermarkten.

10.7. Arzneimittelpreis

Der Gerichtshof in Luxemburg hat anerkannt, dass die Regelung von Preiskontrollen unter bestimmten Umständen tatsächlich den Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern verfälschen kann, und hat die Gemeinschaftsinstitutionen aufgefordert, die durch die verschiedenen Regelungen in den Mitgliedsländern verursachten Verzerrungen durch eine geeignete Initiative zu beheben.

10.7.1. Trotz dieses Urteils von einflussreicher Stelle und obwohl sich der Rat Binnenmarkt vom 18. Mai 1998 für eine schrittweise Deregulierung des Arzneimittelmarktes ausgesprochen hat, konnten sich die Kommission und die Mitgliedstaaten bisher nicht auf konkrete Vorschläge in dieser Angelegenheit einigen.

10.7.2. In diesem Zusammenhang hält der WSA eine Angleichung der Märkte, d. h. den Abbau der entsprechenden Preisunterschiede, die in den verschiedenen Mitgliedsländern noch immer festzustellen sind, für geboten. Die Festlegung der Arzneimittelpreise ist Sache der Mitgliedstaaten; die gegenwärtig bestehenden Unterschiede werden aber erst mit der Einführung des Euro, der die Unterschiede bei identischen Produkten unmittelbar sichtbar macht, deutlich zutage treten. Manche Länder haben Preiskontrollmaßnahmen oft nur für Arzneimittel, deren Kosten von Krankenkassen getragen werden, ergriffen; diesen Maßnahmen liegen oft unterschiedliche Bewertungssysteme zugrunde. Es wäre von Bedeutung, Möglichkeiten für den Meinungsaustausch zwischen Mitgliedstaaten zu schaffen, um - unter Wahrung der Transparenzrichtlinie - praktische Vorschläge hervorzubringen, anhand derer sich Marktverzerrungen und aus anderen Mitgliedstaaten importierte Wirkungen verringern lassen.

10.7.3. Es muss daher betont werden, dass ohne konkrete Einwirkungen auf die Preisgestaltung die "parallelen Einfuhren" an Bedeutung gewinnen werden. Diese Importe haben schon heute einen beträchtlichen Umfang erreicht und könnten angesichts des abzusehenden Unionsbeitritts von Ländern mit viel geringerer Kaufkraft weiter wachsen. Der Ausschuss hält es für wichtig zu bemerken, dass die parallelen Einfuhren nicht zu einer wesentlichen Kostenreduzierung für die Patienten führen. Sie verursachen nämlich keine Preisangleichung nach unten, sondern lediglich einen Arzneimittelfluss aus Ländern mit niedrigeren in Länder mit höheren Verkaufspreisen.

10.8. Überwachung der Werbung

Es bedarf angemessener Mechanismen, um den verschreibenden Ärzten und den Verbrauchern genügend wissenschaftliche Angaben zu verschaffen, ohne dass diese Aufklärung die Form kommerzieller Werbung annimmt. Dies gilt auch für weitverbreitete und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und Heilmittel. Eine Initiative, die in diese Richtung weist, ist das Informationsnetz für pharmazeutische Erzeugnisse der Europäischen Gemeinschaft (EUDRA) sowie die Datenbank MINE, für die die EMEA in London zuständig ist.

10.8.1. Denkbar wären Strategien, die zwischen den nationalen Überwachungsbehörden, den nationalen Körperschaften zur Finanzierung der Arzneimittelversorgung, den Berufs- und Verbraucherverbänden und der Pharmaindustrie abgestimmt würden.

10.8.2. Dabei könnten beispielsweise Verhaltenskodizes (auf der Grundlage der "Ethischen Kriterien für die Arzneimittelwerbung" der WHO) oder spezifische lokale Verhaltensregeln, welche die Aufklärungstätigkeit eingrenzen und beschreiben, ausgearbeitet werden. Zur Selbstkontrolle der Industrie muss eine strengere Anwendung der Richtlinie 92/28/EWG durch die nationalen Behörden kommen, die auch angesichts des Internet hoffentlich auf den neuesten Stand gebracht wird.

10.8.3. Außerdem muss man einheitliche Kriterien und Verfahren für die verschiedenen Mitgliedsländer festlegen, um die Direktwerbung bei den Verbrauchern zu regeln. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen Medikamenten, die nur über eine Verschreibung erhältlich sind, und solchen, die in Selbstmedikation verabreicht werden können, zu unterscheiden. Zumal bei letzteren müssen unbedingt Aufklärungsmaßnahmen, die dem Verbraucher Klarheit über das Verhältnis Nutzen/Risiko der Selbstmedikation verschaffen, gefördert werden.

10.8.4. Dringend entwickelt werden müssen auch geeignete Bestimmungen und Initiativen, die den Schutz der Verbraucher angesichts der Springflut von Internetadressen unkontrollierten oder unzuverlässigen Inhalts sowie solchen zur Werbung oder dem Verkauf von Arzneimitteln sicherstellen. Interessante Initiativen, die diesem Zweck dienen, sind die vom FDA der Vereinigten Staaten erstellten "Cyberletters" und die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation. Die EU sollte diesem Beispiel folgen und Informationskampagnen für die europäischen Bürger fördern, um diese nicht nur über die Vorteile, sondern auch über die Risiken des Internetgebrauchs bei Gesundheitsfragen zu informieren. Die Broschüre mit dem Titel "Enjoy the Internet but don't risk your health" ("Nutze das Internet, aber gefährde deine Gesundheit nicht"), herausgegeben von der Europäischen Ärztevereinigung und dem Zusammenschluss der Apotheker der EU, stellt dazu eine bemerkenswerte Initiative dar.

10.9. Wirtschaftlich leistungsfähigere Vertriebssysteme

10.9.1. Nach Ansicht des Ausschusses erfuellt der Vertrieb seine wesentlichen Funktionen, das heißt er stellt für das gesamte Vertriebsnetz sicher, dass die Medikamente optimal aufbewahrt und ausgeliefert, die richtigen Gesundheits- und Arzneimittelangaben verbreitet werden und dass für die Patienten alle Medikamente unmittelbar zugänglich oder zumindest kurzfristig zu beschaffen sind. In diesem Rahmen sollte die Rolle der Apotheken als Gesundheitszentrum für die Bürger so gestärkt werden, dass das vorhandene, leistungsfähige Netz voll genutzt werden kann.

10.9.2. Gleichwohl hält er es für notwendig, die bestehenden Systeme der Festlegung der Gewinnmargen beim Arzneimittelvertrieb zu prüfen, um sie an den tatsächlichen Beitrag zur Wertschöpfung anzupassen. Die Vergütungsregelungen sollten sich dabei nicht nur am Einheitspreis für ein Erzeugnis, sondern auch am jeweiligen Gesamtvolumen, an den zusätzlich erbrachten Dienstleistungen und an den Bemühungen der Akteure um Gesundheitsaufklärung und -schutz orientieren. Richtgröße sollte mit anderen Worten der von Grossist und Apotheker erbrachte Mehrwert für den Arzneimittelsektor sein.

10.9.3. Neue, alternative Verkaufskanäle für bestimmte Arten von Arzneimitteln dürfen nach Ansicht des Ausschusses nicht verteufelt werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass sich die EU mit angemessenen Instrumenten ausstattet, um die neuen, vom elektronischen Handel aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Der Arzneimittelverkauf an den Konsumenten über Internet könnte diesen unnötigen Gefahren aussetzen. Wie zuvor festgestellt, verlangt die medizinische Versorgung spezielle Sicherheitsstandards, die beim Kauf von Arzneimitteln über Internet nicht immer gewährleistet sind.

10.9.4. Es könnte sinnvoll sein, Arbeitsgruppen aufzustellen, die praktische Vorschläge ausarbeiten, um

- eine Liste der Arzneimittel zusammenzustellen, die aufgrund geringer Risiken auch in anderen Verkaufsstellen als in den Apotheken vertrieben werden können, und

- Leitprinzipien für die Festlegung einer weniger starr an den Arzneimittelpreis gekoppelten Vergütungsregelung für Großhändler und Apotheker festzulegen.

10.10. Beobachtung

Alle Regeln haben nur eine kurze Lebensdauer - die Regelungen müssen an die Verhältnisse angepasst werden, und die Akteure entdecken die jeweiligen Schwachpunkte. Daher müssen sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf EG-Ebene geeignete Mechanismen festgelegt werden, welche die Entwicklung des Verbrauchs/der Verwendung, der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Arzneimitteln verfolgen. Das ist nötig, damit die Regeln immer dann, wenn sie ihre Wirksamkeit einbüßen oder den Absichten zuwiderlaufende Folgen zeitigen, korrigiert werden können.

11. Schlussfolgerungen und Ausblick

11.1. Der Ausschuss ist erfreut darüber, dass sich die Inhalte der vorliegenden Initiativstellungnahme in vielen Referaten wiederfinden, die auf der Konferenz von Lissabon am 11. und 12. April 2000 zum Thema Arzneimittel und öffentliche Gesundheit gehalten wurden, und insbesondere auch in dem von der Arbeitsgruppe für Arzneimittel und öffentliche Gesundheit des Hochrangigen Ausschusses für Gesundheit (dessen Mitglieder von den Gesundheitsministern der Mitgliedstaaten ernannt werden) vorgelegten Dokument, das den Kommissionsdienststellen Ratschläge zu Themen im Zusammenhang mit der Gesundheit liefert.

11.2. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass noch viele weitere Aspekte der Arzneimittelpolitik hätten behandelt werden können; in dieser Stellungnahme sollte das Hauptaugenmerk jedoch auf dem Patienten liegen. Er behält sich vor, das Thema künftig noch eingehender zu behandeln, und verfolgt mit großem Interesse die Entwicklungen im Gesundheits- und Arzneimittelbereich, in dem starke Tendenzen bestehen, Änderungen herbeizuführen und die uneingeschränkte Anwendung von Artikel 152 des Vertrags von Amsterdam voranzutreiben.

11.3. Der Ausschuss hofft daher, dass die Kommission und der Hochrangige Ausschuss für Gesundheit die Beiträge nutzen, die er zur Analyse der Folgen solcher Veränderungen auf verschiedene Akteure und auf die organisierte Bürgergesellschaft leisten kann, und sich eine kontinuierlichere und nutzbringende Zusammenarbeit einstellt.

Brüssel, den 19. Oktober 2000.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) ABl. C 97 vom 1.4.1996, S. 1.

(2) ABl. C 101 vom 12.4. 1999, S. 37.

(3) ABl. C 95 vom 30.3.1998, S. 1.

(4) KOM(93) 718 endg., 2.3.1994.

(5) Stellungnahme zum "Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates über Arzneimittel für seltene Krankheiten (Orphan Drugs)", ABl. C 101 vom 12.4.1999, S. 37, Ziffer 3.1.3.1.