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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Prioritäten für die Sicherheit des Straßenverkehrs in der EU — Fortschrittsbericht und Einstufung der Maßnahmen"

Amtsblatt Nr. C 014 vom 16/01/2001 S. 0030 - 0033


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Prioritäten für die Sicherheit des Straßenverkehrs in der EU - Fortschrittsbericht und Einstufung der Maßnahmen"

(2001/C 14/05)

Die Kommission beschloss am 20. März 2000, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 28. September 2000 an. Berichterstatter war Herr Ghigonis.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 376. Plenartagung am 19. Oktober 2000 einstimmig folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. In dieser neuen Mitteilung zum Thema Straßenverkehrssicherheit nimmt die Kommission eine Bewertung der Fortschritte vor, die seit der Verabschiedung ihrer Mitteilung vom April 1997(1) erzielt wurden. Die Kommission stellt fest, dass sich die Abnahme der tödlichen Verkehrsunfälle verlangsamt, und schlägt für eine weitere Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit folgende Maßnahmen vor:

- sechs kurz- und mittelfristige Schlüsselprioritäten:

- weitere Umsetzung und Weiterentwicklung des EuroNCAP (Europäisches Programm zur Bewertung von Neufahrzeugen);

- Kampagnen und Rechtsvorschriften zur Verwendung von Sicherheitsgurten und Kinderrückhaltesystemen;

- Empfehlung an die Mitgliedstaaten zum maximalen Blutalkoholspiegel im Verkehr;

- Rechtsvorschriften zu Geschwindigkeitsbegrenzern für leichte Nutzfahrzeuge;

- Ausarbeitung von Leitlinien zur Behandlung von Unfallschwerpunkten und Entwicklung "entschärfter" Straßenauslegungen (d. h. weniger gefährliche Straßenauslegung);

- Rechtsvorschriften zu Fahrzeugfrontkonstruktionen, die bei Unfällen für Fußgänger und Radfahrer weniger gefährlich sind.

- fünf Betätigungsfelder für weiterführende Untersuchungen hinsichtlich der Kostenwirksamkeit denkbarer Maßnahmen:

- medizinische Anforderungen für die Ausstellung von Führerscheinen;

- Standards für Führerscheinprüfungen;

- Fahren mit Abblendlicht bei Tag;

- Auswirkungen von Medikamenten auf die Fahrtüchtigkeit;

- Unfallopferversorgung.

- drei vorrangige Begleitmaßnahmen:

- Führung der CARE-Unfallstatistiken;

- ein integriertes Informationssystem;

- Forschungen im Bereich der Fahrzeugstandards und der Telematik.

1.2. Schließlich empfiehlt die Kommission den Behörden der Mitgliedstaaten, auf sämtlichen Ebenen (national, regional, lokal) die Kosten und die Auswirkungen von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr zu ermitteln und Mechanismen zu entwickeln, welche die Vorteile der Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr unmittelbarer für diejenigen deutlich machen sollen, die entsprechende Entscheidungen treffen und die Umsetzung dieser Entscheidungen finanzieren.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Allgemeines Ziel

2.1.1. Der Ausschuss unterschreibt die gemeinschaftspolitischen Ziele im Bereich der Straßenverkehrssicherheit und befürwortet diese neue Initiative der Kommission.

2.1.2. Er teilt den Standpunkt der Kommission, dass die insgesamt festzustellende Verlangsamung der Abnahme der Verkehrstotenzahl neue Maßnahmen gerechtfertigt erscheinen lässt. In Ermangelung anderer quantitativer Ziele ist es in der Tat von vitaler Bedeutung, zumindest zu einer kontinuierlichen Entwicklung bei der Rückläufigkeit der Verkehrstotenzahlen zu gelangen. Der Ausschuss bedauert, dass in der Kommissionsmitteilung keine Analyse der Ursachen für diesen Verlangsamungsprozess enthalten ist, anhand derer geeignete Lösungen gefunden werden könnten. Alle betroffenen europäischen und einzelstaatlichen Institutionen müssen sich wirklich engagieren und durch ein aktives Vorgehen dafür Sorge tragen, dass solche Fortschritte auf Dauer erreicht werden können.

2.2. Vorgeschlagene Konzeption

2.2.1. Der Ausschuss stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass die von der Kommission angekündigten Initiativen den Rahmen respektieren, der in der vorhergehenden Kommissionsmitteilung für das Programm 1997-2001 abgesteckt wurde, und den vom Ausschuss in seiner Stellungnahme vom 10. September 1997(2) festgestellten Notwendigkeit einer Rangordnung und Kostenwirksamkeitsbewertung Rechnung trägt:

- Kombination von legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen, bei deren Auswahl Effizienz und Kostenwirksamkeitsüberlegungen zum Einsatz gebracht werden;

- objektive und einfach anzuwendende Kriterien für die Festlegung einer Rangordnung denkbarer Maßnahmen;

- Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes in einem Bereich, in dem die nationalen und regionalen Besonderheiten sich sehr stark auf die Effizienz einer Maßnahme auswirken können;

- gleichwohl Streben nach einer größtmöglichen Harmonisierung im Interesse des europäischen Bürgers, der sich zwischen Mitgliedstaaten bewegt, sowie der gewerblichen Straßenbenutzer.

2.3. Allgemeine Kritik und Anregungen

2.3.1. Angesichts der Feststellung in der Mitteilung, dass die allgemeine Anwendung bewährter Praktiken eine deutliche Reduzierung der Anzahl an Verkehrsunfällen und Verkehrsopfern bewirken würde, bedauert der Ausschuss, dass eine spezifische Initiative zur Förderung solcher Praktiken im Kommissionsdokument nicht vorgeschlagen wird. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, ihr Engagement zur aktiven Förderung der Verbreitung bewährter Praktiken zu bekräftigen.

2.3.2. Der Ausschuss stellt fest, dass die Nutzung der Datenbank CARE, die bereits seit 1993 besteht, nicht wirklich vom Fleck kommt. Die in Punkt 2.4 der Kommissionsmitteilung angesprochenen Analysen belegen deutlich die Zweckmäßigkeit einer solchen Datenbank. Allerdings hält sich deren Benutzung bis heute sehr in Grenzen. Wenn alle an der Straßenverkehrssicherheit interessierten Seiten (Behörden, Industrie, Wissenschaftler, Straßenbenutzer usw.) Zugang zu dieser Datenbank hätten, dann wäre CARE ein für die Straßenverkehrssicherheit weitaus leistungsfähigeres Instrument als es bisher der Fall ist.

2.3.3. Das Fehlen genauer und zuverlässiger Daten ist generell ein schwerwiegendes Hindernis für die Entwicklung fortgeschrittener politischer Konzepte im Bereich der Straßenverkehrssicherheit. Verbesserungen sind durchaus möglich und müssen unter Berücksichtigung aller Aspekte, die in ihrem Verbund die Entwicklung derartiger Politiken gestatten, in die Tat umgesetzt werden, als da sind:

- die Sammlung von Daten;

- die Verarbeitung der Daten;

- die Analyse der Daten;

- Information über das politische Vorgehen.

2.3.4. Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass das Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer weitgehend von den in jungen Jahren erworbenen Kenntnissen und Verhaltensweisen abhängt. Die Verkehrserziehung, insbesondere in der Grundschule, ist ein grundlegendes Element für den Erfolg in diesem Bereich, wofür aber keine gemeinschaftlichen Normen aufgestellt werden können.

3. Besondere Bemerkungen zu den vorgeschlagenen Initiativen

3.1. Prioritäre Maßnahmen

3.1.1. Der Ausschuss begrüßt den Ansatz der Kommission, die nichtlegislativen Maßnahmen stärker in eine kohärente Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit einzubetten.

3.1.2. Die mit dem EuroNCAP-Programm gewonnenen Erkenntnisse eignen sich besser als ein Gesetzgebungskonzept für die Vermarktung möglichst sicherer Fahrzeuge und entsprechende Kampagnen beeinflussen genau wie die Informationen für die Straßenbenutzer den Faktor Mensch, der für die Straßenverkehrssicherheit ausschlaggebende Bedeutung hat.

3.1.3. Der Ausschuss befürwortet des weiteren auch die Initiativen zur Förderung einer Verbesserung der Infrastrukturen unter dem Aspekt der Straßenverkehrssicherheit (Unfallschwerpunkte, entschärfte Straßenauslegungen). Die Verhütung von Unfällen und die Senkung der Schadwirkung bei einem Unfall sollten Teil dieser Formen der Verbesserung der Infrastruktur unter dem Blickwinkel der Straßenverkehrssicherheit sein. Die Betreiber der Infrastrukturen könnten genau wie die Fahrzeughersteller über das EuroNCAP-Programm die Veröffentlichung von Vergleichsdaten über die Sicherheit von Straßenverkehrsinfrastrukturen in diesem Sinne ermutigt werden.

3.1.4. Der Ausschuss hält die Fortsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Alkohol am Steuer für äußerst wichtig. Ohne die Schwierigkeiten bei der Herbeiführung einer Einigung unterschätzen zu wollen, bedauert der Ausschuss die von der Kommission zum Ausdruck gebrachte offensichtliche Unmöglichkeit, zu einer Verabschiedung einheitlicher Promillegrenzen zu gelangen. Er erinnert in diesem Zusammenhang an die in seiner früheren Stellungnahme(3) erhobene Forderung zur Verabschiedung einer Richtlinie zur Einführung einer Promillegrenze von 0,5 mg, die strengere Maßnahmen einiger Mitgliedstaaten freilich nicht in Frage stellen würde.

3.1.5. Der Ausschuss befürwortet die Initiativen betreffend gesetzliche Maßnahmen im Bereich der Gurtanlegepflicht und der Verwendung von Kinderrückhaltesystemen. Da Maßnahmen dieser Art bestimmte Fahrzeug- oder Transportkategorien nicht systematisch ausschließen sollten, empfiehlt der Ausschuss beispielsweise in bezug auf öffentliche Verkehrsmittel, Taxis und Nutzfahrzeuge in den Rechtsvorschriften den betrieblichen Aspekten dieser Verkehrsarten Rechnung zu tragen.

3.1.6. Der Ausschuss befürwortet vom Grundsatz her die verstärkte Installation von Geschwindigkeitsbegrenzern bei den anderen Nutzfahrzeugen. Auf lange Sicht erscheinen ihm indes variable Tempolimits etwa abhängig von den Witterungsbedingungen und vom Verkehrsaufkommen besser als feste Tempolimits. Technische Fortschritte dürften in nächster Zukunft die Einführung solcher Systeme für sämtliche Kategorien von Straßenfahrzeugen zulassen. Die derzeitigen Geschwindigkeitsbegrenzer sind für ein solches System hingegen nicht geeignet. Die Ausdehnung der obligatorischen Verwendung von Geschwindigkeitsbegrenzern sollte deswegen schrittweise erfolgen, und außerdem sollte besonderes Augenmerk auf etwaige Entartungseffekte verwendet werden wie etwa den verstärkten Einsatz von Fahrzeugen mit einem Bruttogewicht knapp unter dem betreffenden Schwellenwert, was mehr Fahrzeugkilometer, höheren Emissionsausstoß und größere Straßenverkehrssicherheitsrisiken mit sich brächte.

3.2. Weiterführende Untersuchungen

Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagenen Betätigungsfelder für weiterführende Untersuchungen. Vor allem müssten u. a. die Einfluesse von Medikamenten und Drogen auf die Fahrtüchtigkeit untersucht werden. Angesichts des immer größeren Konsums solcher Stoffe und trotz des Stellenwertes bestimmter konkreter Maßnahmen (Warnhinweise, Vergleichsdaten) empfiehlt der Ausschuss zwingende Maßnahmen zur Verhütung des Führens eines Fahrzeugs unter Medikamenteneinfluss, was jedoch von nun an eine bessere Information aller betroffenen Seiten (Arzneimittelhersteller, Ärzte, Apotheker, Arzneimittelkonsumenten) über die Auswirkungen von Medikamenten auf die Fahrtüchtigkeit impliziert.

3.3. Begleitende Maßnahmen

3.3.1. Nach Meinung des Ausschusses ist der rasche Ausbau der Datenbank CARE ein Schlüsselelement für eine jedwede rangmäßige Abstufung von Maßnahmen und politischer Konzeption im Bereich der Straßenverkehrssicherheit nach dem Prinzip der Kostenwirksamkeit. Deswegen hat sich der Ausschuss im Abschnitt "Allgemeine Kritik und Anregungen" zu diesem Punkt geäußert.

3.3.2. Der Ausschuss begrüßt die beiden anderen vorrangigen Begleitmaßnahmen sprich die Schaffung eines integrierten Informationssystems und Forschungen im Bereich der Fahrzeugstandards und der Telematik. Diese Forschungen sollten sich aber auch auf die Straßenverkehrsinfrastruktur erstrecken. Die Normen für diesbezügliche bauliche und Instandhaltungsmaßnahmen müssten sich stärker an dem Aspekt der Straßenverkehrssicherheit und die Telematik ausrichten, die durchaus geeignet ist, für eine bessere Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften zu sorgen und den Straßenbenutzern ein stärker sicherheitsorientiertes Verkehrsverhalten zu vermitteln.

4. Schlussfolgerung

Generell befürwortet der Ausschuss jedwede Maßnahmen zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit. Er begrüßt in diesem Zusammenhang vor allem die Verabschiedung einer Entschließung des Verkehrsrates vom 26. Juni über die Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, die im übrigen in die Richtung von Maßnahmen weist, wie sie der Ausschuss in seiner jetzigen Stellungnahme empfiehlt.

Brüssel, den 19. Oktober 2000.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) "Förderung der Straßenverkehrssicherheit in der EU" KOM(97) 131 endg.; Stellungnahme des WSA: ABl. C 73 vom 9.3.1988, S. 66.

(2) "Förderung der Straßenverkehrssicherheit in der EU" KOM(97) 131 endg.; Stellungnahme des WSA: ABl. C 73 vom 9.3.1988, S. 66.

(3) Stellungnahme des WSA zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Förderung der Straßenverkehrssicherheit in der der EU - Programm für 1997-2001 (ABl. C 73 vom 9.3.1998).