3.3.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 67/54


DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2023/459 DER KOMMISSION

vom 2. März 2023

zur Nichtgenehmigung von 2,2-Dibrom-2-cyanacetamid (DBNPA) als alten Wirkstoff zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 4 gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (1), insbesondere auf Artikel 89 Absatz 1 Unterabsatz 3,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Mit der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2014 der Kommission (2) wurde eine Liste der alten Wirkstoffe festgelegt, die im Hinblick auf ihre mögliche Genehmigung zur Verwendung in Biozidprodukten bewertet werden sollen. Diese Liste enthält 2,2-Dibrom-2-cyanacetamid (DBNPA) (EG-Nr.: 233-539-7; CAS-Nr.: 10222-01-2).

(2)

DBNPA wurde in Bezug auf die Verwendung in Biozidprodukten der in Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 definierten Produktart 4 (Lebens- und Futtermittelbereich) bewertet.

(3)

Dänemark wurde zum Bericht erstattenden Mitgliedstaat bestimmt, und seine zuständige bewertende Behörde übermittelte der Europäischen Chemikalienagentur (im Folgenden „Agentur“) am 27. Dezember 2016 den Bewertungsbericht und ihre Schlussfolgerungen. Nach der Vorlage des Bewertungsberichts fanden Diskussionen in Fachsitzungen statt, die von der Agentur organisiert wurden.

(4)

Gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ist es Aufgabe des Ausschusses für Biozidprodukte, die Stellungnahme der Agentur zu den Anträgen auf Genehmigung von Wirkstoffen auszuarbeiten. Gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2014 nahm der Ausschuss für Biozidprodukte am 25. Juni 2019 unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen der bewertenden zuständigen Behörde die Stellungnahme der Agentur (im Folgenden „Stellungnahme vom 25. Juni 2019“) (3) an.

(5)

Gemäß der Stellungnahme vom 25. Juni 2019 verfügt DBNPA auf Grundlage der in der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2100 der Kommission (4) festgelegten Kriterien über endokrinschädigende Eigenschaften, die schädliche Auswirkungen auf den Menschen und die Umwelt (Nichtzielorganismen) haben können. Damit treffen auf DBNPA die Ausschlusskriterien gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 zu. In der Stellungnahme vom 25. Juni 2019 wurden außerdem die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt infolge der Verwendung des in dem Antrag auf Genehmigung von DBNPA für die Produktart 4 angegebenen repräsentativen Biozidprodukts vorbehaltlich geeigneter Risikominderungsmaßnahmen als annehmbar erachtet, es wurde jedoch auch der Schluss gezogen, dass angesichts der Exposition von Mensch und Umwelt gegenüber DBNPA ein Risiko im Zusammenhang mit endokrinschädigenden Eigenschaften nicht ausgeschlossen werden kann.

(6)

Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 kann ein Wirkstoff, der die Ausschlusskriterien erfüllt, nur genehmigt werden, wenn nachgewiesen wird, dass mindestens eine der in dem genannten Artikel festgehaltenen Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung erfüllt ist. Bei der Entscheidung, ob ein Wirkstoff auf dieser Grundlage genehmigt werden kann, ist die Verfügbarkeit geeigneter und ausreichender alternativer Stoffe bzw. Techniken ein ausschlaggebender Faktor.

(7)

Die Kommission führte mit Unterstützung der Agentur vom 11. Oktober 2019 bis zum 10. Dezember 2019 eine öffentliche Konsultation (im Folgenden „öffentliche Konsultation“) durch, um Informationen darüber einzuholen, ob die Bedingungen gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 erfüllt sind.

(8)

Die Stellungnahme vom 25. Juni 2019 und die Beiträge zur öffentlichen Konsultation wurden von der Kommission in der Sitzung des Ständigen Ausschusses für Biozidprodukte im Februar 2020 mit den Vertretern der Mitgliedstaaten erörtert. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten ersucht, anzugeben, ob ihrer Einschätzung nach in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet mindestens eine der Voraussetzungen in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 erfüllt ist, und dies zu begründen. Es wurde der Schluss gezogen, dass die vom Antragsteller im Laufe der Konsultation vorgelegten Informationen weiter analysiert werden müssen, um zu beurteilen, ob die Bedingung gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a als erfüllt angesehen werden kann. Am 8. Juli 2020 ersuchte die Kommission die Agentur gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (5), ihre Stellungnahme zu überarbeiten und zu klären, ob im Hinblick auf die endokrinschädigenden Eigenschaften von DBNPA ein sicherer Schwellenwert abgeleitet werden kann, den Beitrag der Verwendung von DBNPA als biozider Wirkstoff zum durchschnittlichen täglichen Konsum von Bromid und zur Umwelt zu bewerten sowie eine Feststellung darüber zu treffen, ob die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt als annehmbar erachtet werden können.

(9)

Der Ausschuss für Biozidprodukte nahm am 30. November 2021 die überarbeitete Stellungnahme der Agentur (im Folgenden „Stellungnahme vom 30. November 2021“) (6) unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen der bewertenden zuständigen Behörde an.

(10)

Gemäß Stellungnahme vom 30. November 2021 werden die Risiken im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber aus DBNPA gewonnenem Bromid, die aufgrund der Verwendung von DBNPA enthaltenden Biozidprodukten der Produktart 4 entstehen, einschließlich der Risiken, die sich aus seinen endokrinschädigenden Wirkungen ergeben, in Bezug auf das in dem Antrag auf Genehmigung angegebene repräsentative Biozidprodukt vorbehaltlich geeigneter Risikominderungsmaßnahmen für Mensch und Umwelt als annehmbar erachtet. Unbeschadet der Bestimmungen in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 kann daher davon ausgegangen werden, dass Biozidprodukte der Produktart 4, die DBNPA enthalten, die Anforderungen gemäß Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b der genannten Verordnung erfüllen.

(11)

Die Stellungnahme vom 30. November 2021 und die Beiträge zur öffentlichen Konsultation wurden von der Kommission in den Sitzungen des Ständigen Ausschusses für Biozidprodukte im März 2022 und im Juni 2022 mit den Vertretern der Mitgliedstaaten erörtert. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten erneut ersucht, anzugeben, ob ihrer Einschätzung nach in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet mindestens eine der Voraussetzungen in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 erfüllt ist, und dies zu begründen. Angesichts der Verfügbarkeit von Alternativen, die im Zusammenhang mit Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ein ausschlaggebender Faktor ist, hat kein Mitgliedstaat angegeben, dass diese Bedingungen in seinem Hoheitsgebiet erfüllt sind.

(12)

Aus den erhobenen Daten und den Standpunkten der Mitgliedstaaten geht hervor, dass geeignete und ausreichende alternative Stoffe bzw. Techniken zur Verfügung stehen. Bei dem vom Antragsteller im Genehmigungsantrag angegebenen repräsentativen Biozidprodukt handelt es sich um ein Produkt, das von gewerblichen/industriellen Anwendern zur Desinfektion von in der Lebensmittelverarbeitung eingesetzten Behältern verwendet wird (z. B. von industriellen Mayonnaise- oder Joghurtherstellungsanlagen, Fermentern für Bier oder andere fermentierte Produkte). In der Stellungnahme vom 30. November 2021 werden mehrere Wirkstoffe als mögliche Alternativen aufgeführt (7). 26 Wirkstoffe wurden bereits zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 4 genehmigt, während weitere 37 Wirkstoffe im Rahmen des Arbeitsprogramms zur systematischen Prüfung alter Wirkstoffe gemäß Artikel 89 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 noch geprüft werden. Darüber hinaus wurden nach der Bewertung repräsentativer Biozidprodukte, die dem im Antrag auf Genehmigung von DBNPA angegebenen repräsentativen Biozidprodukt ähnlich sind, andere Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 genehmigt (8). Der Antragsteller hat keine Nachweise dafür vorgelegt, dass irgendeiner dieser Wirkstoffe nicht für denselben Zweck wie DBNPA verwendet werden könnte. Schließlich wiesen mehrere Vertreter der Mitgliedstaaten bei den Beratungen im Ständigen Ausschuss für Biozidprodukte darauf hin, dass trotz des Vorhandenseins lebensmittelverarbeitender Industrien in ihrem Hoheitsgebiet keine DBNPA enthaltenden Biozidprodukte für die Produktart 4 nach ihren nationalen Vorschriften registriert oder in Verkehr gebracht werden und dass in ihrem Hoheitsgebiet alternative Wirkstoffe und Biozidprodukte für dieselbe oder eine ähnliche Verwendung verfügbar sind, wie z. B. Biozidprodukte, die Peressigsäure oder Wasserstoffperoxid enthalten.

(13)

Darüber hinaus kann das vom Antragsteller angegebene repräsentative Biozidprodukt nicht als Produkt angesehen werden, das in geschlossenen Systemen oder unter anderen Bedingungen verwendet wird, mit denen sichergestellt werden soll, dass der Kontakt mit Menschen und die Freisetzung in die Umwelt ausgeschlossen sind, da es gemäß der Stellungnahme vom 30. November 2021 bei seiner Verwendung zu Rückständen in desinfizierten Flaschen auch nach dem Spülen und zu Freisetzungen über das Abwasser in die Umwelt kommen kann. Obwohl in der Stellungnahme vom 30. November 2021 der Schluss gezogen wird, dass die Risiken für Mensch und Umwelt als annehmbar erachtet werden können, wird angesichts der Standpunkte der Vertreter der Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Biozidprodukte nicht der Schluss gezogen, dass die Risiken als vernachlässigbar angesehen werden können. Da darüber hinaus geeignete und ausreichende alternative Stoffe bzw. Techniken zur Verfügung stehen, ist die Bedingung gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 daher nicht erfüllt.

(14)

Der Antragsteller hat keine spezifischen Informationen oder Begründungen dafür vorgelegt, dass DBNPA nachweislich unbedingt erforderlich ist, um eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt zu vermeiden oder zu bekämpfen. Da darüber hinaus geeignete und ausreichende alternative Stoffe bzw. Techniken zur Verfügung stehen, ist die Bedingung gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 daher nicht erfüllt.

(15)

Der Antragsteller hat keine Informationen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass die Nichtgenehmigung von DBNPA — verglichen mit dem Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt, das sich aus der Verwendung des Stoffs ergibt — unverhältnismäßige negative Folgen für die Gesellschaft hätte. Da darüber hinaus geeignete und ausreichende alternative Stoffe bzw. Techniken zur Verfügung stehen, ist die Bedingung gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 daher nicht erfüllt.

(16)

Folglich hat der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass eine der in Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 genannten Bedingungen erfüllt ist. DBNPA sollte daher nicht zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 4 genehmigt werden.

(17)

Die in diesem Beschluss vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Biozidprodukte —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

2,2-Dibrom-2-cyanacetamid (DBNPA) (EG-Nr.: 233-539-7; CAS-Nr.: 10222-01-2) wird nicht als Wirkstoff zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 4 genehmigt.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Brüssel, den 2. März 2023

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1.

(2)  Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1062/2014 der Kommission vom 4. August 2014 über das Arbeitsprogramm zur systematischen Prüfung aller in Biozidprodukten enthaltenen alten Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 294 vom 10.10.2014, S. 1).

(3)  Biocidal Products Committee Opinion on the application for approval of the active substance: 2,2-Dibromo-2-cyanoacetamide (DBNPA), Product type: 4, ECHA/BPC/225/2019, angenommen am 25. Juni 2019.

(4)  Delegierte Verordnung (EU) 2017/2100 der Kommission vom 4. September 2017 zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 301 vom 17.11.2017, S. 1).

(5)  Ersuchen um Stellungnahme der ECHA gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung über Biozidprodukte, „Evaluation of the level of the risks for human health and for the environment of DBNPA used in biocidal products of product type 4“.

(6)  Biocidal Products Committee Opinion on the application for approval of the active substance: 2,2-Dibromo-2-cyanoacetamide (DBNPA), Product type: 4, ECHA/BPC/300/2021, angenommen am 30. November 2021.

(7)  Biocidal Products Committee Opinion on the application for approval of the active substance: 2,2-Dibromo-2-cyanoacetamide (DBNPA), Product type: 4, ECHA/BPC/300/2021, angenommen am 30. November 2021, S. 16. 2-Phenoxyethanol, Aktivchlor (hergestellt aus Natriumchlorid durch Elektrolyse oder freigesetzt aus Hypochlorsäure), Aktivchlor (freigesetzt aus Calciumhypochlorit), Aktivchlor (freigesetzt aus Natriumhypochlorit), Bromessigsäure, C(M)IT/MIT, Decansäure, Glutaraldehyd, Wasserstoffperoxid, Iod, L(+)-Milchsäure, Octansäure, Peressigsäure, Peressigsäure, hergestellt aus Tetraacetylethylendiamin (TAED) und Natriumpercarbonat, PHMB (1415;4,7), PHMB (1600;1,8), Polyvinylpyrrolidon-Iod, Propan-1-ol, Propan-2-ol, Salicylsäure.

(8)  Beispiele hierfür sind: Milchsäure, Octansäure, Decansäure, Peressigsäure oder Glutaraldehyd.