5.6.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 189/4


EMPFEHLUNG DES RATES

vom 22. Mai 2019

zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung

(2019/C 189/02)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 165,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In Grundsatz 11 der europäischen Säule sozialer Rechte (1) ist festgelegt, dass alle Kinder ein Recht auf hochwertige, bezahlbare frühkindliche Bildung und Betreuung haben. Dies steht im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2), die Bildung als Recht anerkennt, sowie mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes und mit dem VN-Ziel 4.2 für nachhaltige Entwicklung, das vorsieht, dass alle Mädchen und Jungen bis 2030 Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Erziehung, Betreuung und vorschulischer Bildung haben sollen.

(2)

In ihrer Mitteilung „Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur“ (3) beschreibt die Europäische Kommission die Vision eines europäischen Bildungsraums und erkennt die Rolle der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung bei der Schaffung solider Grundlagen für das schulische und lebenslange Lernen an. Die Schlussfolgerungen des Rates über Schulentwicklung und hervorragenden Unterricht (4) und die Empfehlung des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen (5) bekräftigten die entscheidende Rolle, die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung bei der Förderung des Lernens, des Wohlbefindens und der Entwicklung aller Kinder spielen können.

(3)

Politische Entscheidungsträger und Forscher erkennen an, dass es die frühe Kindheit (6) ist, in der sich die Grundlagen und Fähigkeiten für lebenslanges Lernen entwickeln. Lernen ist ein stufenweise erfolgender Prozess: Der Aufbau einer tragfähigen Grundlage in der frühen Kindheit ist eine Voraussetzung für die Kompetenzentwicklung und den Bildungserfolg auf höherem Niveau und ist von ebenso wesentlicher Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder. Daher müssen frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung als Fundament der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung betrachtet werden und ein integraler Bestandteil des Bildungskontinuums sein.

(4)

Die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung ist für alle Kinder und insbesondere für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen von Vorteil. Sie hilft, die Entstehung früher Qualifikationsdefizite zu vermeiden, und ist somit ein wesentliches Instrument zur Bekämpfung von Ungleichheit und Bildungsarmut. Das Angebot an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung muss Teil eines integrierten kinderrechtsbasierten Maßnahmenpakets mit dem Ziel sein, bessere Ergebnisse für die Kinder zu erreichen und den generationenübergreifenden Kreislauf der Benachteiligung zu durchbrechen. Ein besseres Angebot trägt daher zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Empfehlung der Kommission „Investitionen in Kinder: Den Kreislauf der Benachteiligung durchbrechen“ (7) und der Empfehlung des Rates von 2013 für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten (8) bei.

(5)

Die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung hat einen vielfältigen Nutzen (9) sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt, von verbesserten Bildungsabschlüssen und Arbeitsmarktergebnissen bis hin zu weniger sozial- und bildungspolitischen Interventionsmaßnahmen und einer stärker von Zusammenhalt und Inklusion geprägten Gesellschaft. Kinder, die länger als ein Jahr eine frühpädagogische Einrichtung besucht haben, haben in den PIRLS- (10) und den PISA-Studien (11) eine höhere Punktzahl in Sprachkompetenz und Mathematik erreicht. Die Teilnahme an hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung hat sich auch als wichtiger Faktor bei der Prävention eines frühzeitigen Schulabgangs erwiesen (12).

(6)

Betreuung, Bildung und Erziehung von frühester Kindheit an spielen eine wesentliche Rolle beim Erlernen des Zusammenlebens in heterogenen Gesellschaften. Diese Angebote können den sozialen Zusammenhalt und die Inklusion auf verschiedene Weise stärken. Sie können als Treffpunkt für Familien dienen. Sie können zur Entwicklung der Sprachkompetenz der Kinder beitragen, sowohl in der Sprache der jeweiligen Einrichtung als auch in der Erstsprache (13). Erfahrungen in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung können es Kindern durch sozial-emotionales Lernen ermöglichen, Empathie zu erlernen, mit ihren Rechten vertraut zu werden und Gleichberechtigung, Toleranz und Vielfalt zu erleben.

(7)

Die Rentabilität von Investitionen in frühe Bildungsstufen ist so hoch wie in keiner anderen Bildungsstufe, insbesondere bei Kindern aus benachteiligten Verhältnissen (14). Die Ausgaben für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung sind eine hochrentable frühzeitige Investition in Humankapital.

(8)

Die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit hochwertiger Kinderbetreuungseinrichtungen sind darüber hinaus Schlüsselfaktoren, die es Frauen und auch Männern mit Betreuungsaufgaben ermöglichen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, wie vom Europäischen Rat von Barcelona 2002, im Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (15) und in der Mitteilung der Kommission vom 26. April 2017 über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (16) anerkannt wurde. Die Erwerbstätigkeit von Frauen trägt unmittelbar zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Haushalte und zum Wirtschaftswachstum bei.

(9)

Investitionen in frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung lohnen sich nur dann, wenn die Angebote von hoher Qualität, zugänglich, bezahlbar und inklusiv sind. Es hat sich gezeigt, dass nur hochwertige Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung einen Nutzen bringen; minderwertige Angebote wirken sich in erheblichem Maße negativ auf die Kinder und die Gesellschaft insgesamt aus (17). Bei politischen Maßnahmen und Reformen muss Qualitätserwägungen Vorrang eingeräumt werden.

(10)

Insgesamt geben die Mitgliedstaaten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung deutlich weniger aus als für die Grundschulbildung. Wie aus dem Bericht über die Bewertung der Fortschritte bei den Barcelona-Zielen (18) hervorgeht, gibt es derzeit nicht genügend Plätze in Einrichtungen für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung, und die Nachfrage übersteigt in fast allen Ländern das Angebot. Mangelnde Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit hat sich als eines der Haupthindernisse für die Nutzung dieser Angebote erwiesen (19).

(11)

In seiner Entschließung vom 14. September 2017 zu einer neuen europäischen Agenda für Kompetenzen (20) fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten auf, die Qualität frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung zu verbessern und den Zugang zu ihr zu erweitern sowie das Defizit an hochwertigen und allen Einkommensgruppen offenstehenden Kinderbetreuungseinrichtungen abzubauen und zu erwägen, Familien, die in Armut und sozialer Ausgrenzung leben, diese Angebote kostenlos zugänglich zu machen.

(12)

Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung müssen kindzentriert sein; Kinder lernen am besten in Umgebungen, die auf der Einbeziehung und dem Interesse der Kinder am Lernen basieren. Die Gestaltung und die Auswahl von Aktivitäten und Lehrmaterialien werden oft zwischen den Erzieherinnen oder Erziehern und den Kindern besprochen. Die Angebote sollten eine sichere, fördernde und fürsorgliche Umgebung bieten und einen sozialen, kulturellen und physischen Raum schaffen, der eine Reihe von Möglichkeiten für die Kinder bietet, ihr Potenzial zu entfalten. Das Angebot ist dann optimal konzipiert, wenn es auf der Grundannahme beruht, dass Bildung, Betreuung und Erziehung untrennbar miteinander verbunden sind. Dies sollte auf der Einsicht beruhen, dass die Kindheit an sich einen Wert darstellt und dass Kinder nicht nur auf Schule und Erwachsenenleben vorbereitet werden, sondern auch in ihren ersten Lebensjahren unterstützt und geschätzt werden sollten.

(13)

In einem Kontext, der durch die nationalen, regionalen oder lokalen Vorschriften vorgegeben ist, sollten Familien in alle Aspekte der Betreuung, Bildung und Erziehung ihrer Kinder einbezogen werden. Die Familie ist der erste und wichtigste Ort, an dem Kinder aufwachsen und sich entwickeln können, und Eltern und Erziehungsberechtigte sind für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Entwicklung eines jeden Kindes verantwortlich. Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung sind eine ideale Möglichkeit, einen integrierten Ansatz zu schaffen, da hier der erste persönliche Kontakt zu den Eltern entsteht. Eltern, die Probleme haben, könnten bei Hausbesuchen individuell beraten werden. Um sie auch tatsächlich einzubeziehen, sollten Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung in Partnerschaft mit den Familien konzipiert werden und auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt beruhen (21).

(14)

Die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung kann ein wirksames Instrument sein, Bildungsgerechtigkeit für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen zu erreichen, wie z. B. Kinder von Migranten oder Angehörigen von Minderheiten (z. B. Roma) und Flüchtlingskinder, Kinder mit besonderen Bedürfnissen, einschließlich mit Behinderungen, Kinder in alternativer Betreuung und Straßenkinder, Kinder inhaftierter Eltern sowie Kinder in Haushalten, die besonders von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, wie Haushalte von Alleinerziehenden oder Großhaushalte. Flüchtlingskinder brauchen aufgrund ihrer prekären Lage besondere Unterstützung. Armut, körperliche und emotionale Stressfaktoren, Traumata und fehlende Sprachkenntnisse können ihre zukünftigen Bildungschancen und ihre erfolgreiche Integration in die neue Gesellschaft behindern. Die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung kann dazu beitragen, diese Risikofaktoren zu entschärfen.

(15)

Das Angebot einer inklusiven frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung kann zur Erfüllung von Verpflichtungen aus den von allen Mitgliedstaaten unterzeichneten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes bzw. über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beitragen.

(16)

Der 2014 veröffentlichte Vorschlag für Leitlinien eines Qualitätsrahmens (22) war die erste Handreichung europäischer Experten aus 25 Ländern zur Qualität der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Seine Leitsätze gliedern sich in fünf Bereiche: Zugang, Personal, Bildungsprogramme, Monitoring und Evaluation sowie Steuerung und Finanzierung. Insgesamt gibt es zehn Leitsätze zur Verbesserung der Qualität des Angebots an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung. Dieses Papier wurde in vielen Ländern von lokalen Akteuren aufgegriffen, die sich für politische Themen, Forschung und Ausbildungsinitiativen einsetzen. Dort wirkte der Entwurf für einen Qualitätsrahmen als starker Katalysator für Veränderungen, indem er zu politischen Konsultationsprozessen beitrug, die die bestehenden Reformpfade untermauerten.

(17)

Alle fünf Bereiche des Qualitätsrahmens sind für die Gewährleistung hochwertiger Angebote wesentlich. Insbesondere die Arbeit von Fachkräften im Bereich frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung wirkt sich nachhaltig auf das Leben der Kinder aus. In vielen Ländern hat das Berufsfeld jedoch einen eher niedrigen Stellenwert und geringes Ansehen (23).

(18)

Um ihrer beruflichen Rolle zur Unterstützung von Kindern und ihren Familien gerecht zu werden, benötigt das in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung tätige Personal komplexe Kenntnisse und Kompetenzen sowie ein tiefgreifendes Verständnis der kindlichen Entwicklung und Kenntnisse in der Elementarpädagogik. Die Professionalisierung des Personals ist entscheidend, da ein höheres Niveau der Vorbereitung auf die Berufstätigkeit positiv mit einer höheren Qualität der Angebote, einer stärkeren Interaktion zwischen Personal und Kindern und damit besseren Entwicklungsergebnissen bei den Kindern korreliert (24).

(19)

Viele Anbieter arbeiten mit Assistenzkräften, deren Hauptaufgabe darin besteht, die direkt mit Kindern und Familien arbeitenden Erzieherinnen und Erzieher zu unterstützen. Sie verfügen in der Regel über eine geringere Qualifikation als die Erzieherinnen und Erzieher, und in vielen Ländern bestehen für die Assistenztätigkeit gar keine Qualifikationsvoraussetzungen. Daher ist eine Professionalisierung des Personals einschließlich der Assistenzkräfte notwendig (25). Eine kontinuierliche Weiterbildung ist integraler Bestandteil des Kompetenzausbaus bei den Assistenzkräften.

(20)

Ein Qualitätsrahmen oder eine gleichwertige Handreichung kann ein wirksames Element einer verantwortungsvollen Steuerung im Bereich der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung darstellen. Nach Auffassung von Sachverständigen und gemäß einer kürzlich erfolgten Überprüfung politischer Maßnahmen (26) verfolgen Länder, die Qualitätsrahmen erarbeiten und umsetzen, umfassendere und kohärentere Ansätze für Reformen. Es ist wichtig, dass Interessenträger und Berufsvertreter an der Konzeption des Qualitätsrahmens beteiligt werden und sich ihm verpflichtet fühlen.

(21)

Die Mitgliedstaaten haben Richtwerte und Ziele für die Teilnahme von Kindern an der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung festgelegt. 2002 legte der Europäische Rat in Barcelona Ziele für das Versorgungsangebot bei der formalen Kinderbetreuung fest, denen zufolge bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder in der Union zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen sind (27). Diese Ziele wurden im Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter 2011-2020 bekräftigt. Eine Analyse der Fortschritte zur Erfüllung dieser Richtwerte ist in der Mitteilung der Kommission über die Ziele von Barcelona enthalten (28). Im strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung (29) wurde der Richtwert einer Teilnahme von 95 % der Kinder zwischen vier Jahren und dem Einschulungsalter festgelegt.

(22)

Insgesamt haben die Mitgliedstaaten in den letzten Jahren bei der Verbesserung der Verfügbarkeit frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung gute Fortschritte erzielt. Der Richtwert gemäß dem strategischen Rahmen für die allgemeine und berufliche Bildung 2020 und das Barcelona-Ziel für Kinder unter drei Jahren sind erreicht. Trotz der seit 2011 erreichten Fortschritte ist das Ziel von Barcelona für Kinder zwischen drei Jahren und dem schulpflichtigen Alter noch nicht verwirklicht worden. 2016 nahmen 86,3 % der Kinder aus dieser Altersgruppe an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung teil. Diese Durchschnittswerte verbergen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, Regionen und gesellschaftlichen Gruppen (30). Es sind weitere Anstrengungen erforderlich, um sicherzustellen, dass alle Kinder Zugang zu einer hochwertigen frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung haben, sobald die Eltern dies wünschen. Insbesondere sind spezifische Maßnahmen erforderlich, um einen besseren Zugang für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen zu schaffen (31).

(23)

Ziel dieser Empfehlung ist es, in der Frage, was Qualität in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung ausmacht, zu einem gemeinsamen Nenner zu gelangen. Sie legt mögliche Maßnahmen dar, die die Regierungen je nach ihren spezifischen Gegebenheiten in Betracht ziehen können. Die Empfehlung richtet sich auch an Eltern, Träger und Organisationen, einschließlich der Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftler, die den Sektor stärken wollen.

(24)

Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung im Sinne dieser Empfehlung (32) bezieht sich auf jede Regelung, die die Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern von der Geburt bis zum schulpflichtigen Alter — unabhängig von Einrichtung, Finanzierung, Öffnungszeiten oder Programminhalten — vorsieht und sich auf Kindertagesstätten- und Familienbetreuung, privat und öffentlich finanzierte Angebote sowie das vorschulische Betreuungs- und Bildungsangebot erstreckt.

(25)

Diese Empfehlung entspricht uneingeschränkt den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit —

EMPFIEHLT DEN MITGLIEDSTAATEN,

im Einklang mit den nationalen und europäischen Rechtsvorschriften, den verfügbaren Ressourcen und den nationalen Gegebenheiten sowie in enger Zusammenarbeit mit allen relevanten Interessenträgern,

1.

den Zugang zu hochwertigen Systemen der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung im Einklang mit den Leitsätzen aus dem „Qualitätsrahmen für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung“ im Anhang zu dieser Empfehlung und mit dem Grundsatz 11 der europäischen Säule sozialer Rechte zu verbessern;

2.

darauf hinzuwirken, dass Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung zugänglich, bezahlbar und inklusiv sind. Folgendes könnte erwogen werden:

a)

die kindliche Entwicklung konsequent zu unterstützen, damit so früh wie möglich zu beginnen und dabei Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung zu nutzen;

b)

das bestehende Angebot für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und die Nachfrage seitens Familien zu analysieren, um dieses Angebot besser an deren Bedürfnisse anzupassen und dabei die Wahl der Eltern zu berücksichtigen;

c)

die Hindernisse, mit denen Familien in Bezug auf den Zugang zu Angeboten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und deren Nutzung konfrontiert sein könnten — beispielsweise Kosten, armutsbedingte Hindernisse, geografische Lage, unflexible Öffnungszeiten, Hindernisse in Bezug auf unzulängliche Angebote für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, kulturelle und sprachliche Barrieren, Diskriminierung sowie Mangel an Informationen —, zu untersuchen und abzubauen;

d)

Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit Familien und insbesondere schutzbedürftigen und benachteiligten Familien zu schaffen, um sie über die Möglichkeiten und den Nutzen der Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung und gegebenenfalls über verfügbare Unterstützung zu informieren und das Vertrauen in die Angebote zu stärken und zur Teilnahme von früher Kindheit an zu ermutigen;

e)

zu gewährleisten, dass alle Familien, die Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung nutzen möchten, Zugang zu einer bezahlbaren, hochwertigen frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung haben, idealerweise indem auf der geeigneten behördlichen Ebene auf das Recht auf frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung von hoher Qualität hingearbeitet wird;

f)

inklusive Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung- und Erziehung für alle Kinder, einschließlich Kinder mit unterschiedlichem Hintergrund und Kinder mit besonderen Bedürfnissen, auch mit Behinderungen, bereitzustellen und dabei Ausgrenzung zu vermeiden und Teilnahmeanreize unabhängig vom Arbeitsmarktstatus ihrer Eltern oder Betreuer zu schaffen;

g)

alle Kinder unter Berücksichtigung und Wahrung ihrer Erstsprache beim Erlernen der Unterrichtssprache zu unterstützen;

h)

die Verbesserung von Präventivmaßnahmen, der frühzeitigen Erkennung von Schwierigkeiten und eines angemessenen Angebots für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und ihre Familien unter Beteiligung aller einschlägigen Interessenträger, beispielsweise Bildungs-, Sozial oder Gesundheitsdienste sowie Eltern, voranzutreiben;

3.

die Professionalisierung des Personals in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung, einschließlich der Führungskräfte, zu unterstützen. Abhängig vom Grad der vorhandenen fachlichen Qualifikation und von den Arbeitsbedingungen können erfolgreiche Bemühungen Folgendes umfassen:

a)

Aufwertung des Berufsfelds der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung, indem hohe Berufsstandards ausgearbeitet werden, Erzieherinnen und Erziehern in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung ein attraktiver Berufsstatus und attraktive berufliche Perspektiven geboten werden, ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis angestrebt wird und Wege zur Professionalisierung von Personal mit geringer oder fehlender Qualifikation und spezifische Qualifikationsmöglichkeiten für Assistenzkräfte geschaffen werden;

b)

Verbesserung der Erstausbildung und der kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung, um dem Wohlbefinden, den Lern- und Entwicklungsbedürfnissen der Kinder, den relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen, der Gleichstellung der Geschlechter und dem umfassenden Verständnis der Rechte des Kindes in vollem Umfang Rechnung zu tragen;

c)

Einplanung von Zeit für berufliche Aktivitäten des Personals wie Reflexion, Planung, Elternarbeit und Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und Kollegen;

d)

Hinarbeiten auf die Ausstattung des Personals mit den Kompetenzen, die notwendig sind, um den individuellen Bedürfnissen von Kindern mit unterschiedlichem Hintergrund und Kindern mit besonderen Bedürfnissen, auch mit Behinderungen, entsprechen zu können, und Vorbereitung des Personals auf die Leitung vielfältiger Gruppen;

4.

die Entwicklung der Programme für die frühkindliche Bildung zu verbessern, damit sie den Interessen der Kinder entsprechen, das Wohlbefinden der Kinder fördern und dem individuellen Bedarf und Potenzial jedes einzelnen Kindes, auch von Kindern mit besonderen Bedürfnissen oder schutzbedürftiger und benachteiligter Kinder, gerecht werden. Ansätze zur Unterstützung des ganzheitlichen Lernens und der Entwicklung der Kinder könnten Folgendes umfassen:

a)

Gewährleistung des Gleichgewichts zwischen sozial-emotionaler und kognitiver Entwicklung, wobei die Bedeutung des Spielens und des Kontakts mit der Natur sowie die Rolle von Musik, Kunst und körperlicher Aktivität anerkannt werden;

b)

Förderung von Teilnahme, Initiative, Autonomie, Problemlösung und Kreativität sowie von Lerneinstellungen, die auf Überlegungen, Untersuchungen und Zusammenarbeit beruhen;

c)

Förderung von Empathie, Mitgefühl, gegenseitigem Respekt und des Bewusstseins für Gleichberechtigung und Vielfalt;

d)

Ermöglichung eines frühen Kontakts mit Fremdsprachen und des frühen Fremdsprachenerwerbs durch spielerische Aktivitäten sowie

e)

Erwägung — wenn möglich — von maßgeschneiderten mehrsprachigen Früherziehungsprogrammen, die auch den besonderen Bedürfnissen zwei- bzw. mehrsprachiger Kinder Rechnung tragen;

f)

Beratung der Anbieter über den altersgerechten Einsatz digitaler Hilfsmittel und neuer Technologien;

g)

Förderung der weiteren Integration der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in das Bildungskontinuum und Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen dem Personal von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und dem Grundschulpersonal, Eltern und Beratungsdiensten mit Blick auf den reibungslosen Übergang der Kinder in die Grundschule;

h)

Förderung eines schulischen Umfelds, das inklusiv, demokratisch und partizipatorisch ist und in dem jedes Kind willkommen ist und Gehör findet;

5.

Transparenz und Kohärenz bei Monitoring und Evaluation der Träger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung auf allen geeigneten Ebenen im Hinblick auf die Weiterentwicklung und Umsetzung der Politikmaßnahmen zu fördern. Wirksame Ansätze könnten Folgendes umfassen:

a)

Einsatz von Selbstbewertungsinstrumenten, Fragebögen und Beobachtungsleitlinien als Bestandteil des Qualitätsmanagements auf System- und Einrichtungsebene;

b)

Anwendung angemessener und altersgerechter Methoden, damit die Einbeziehung der Kinder gefördert wird, ihre Ansichten, Anliegen und Ideen Gehör finden und die Sicht der Kinder bei der Bewertung berücksichtigt wird;

c)

Einsatz der bestehenden Instrumente zur Verbesserung der Inklusivität der Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung, wie das von der Europäischen Agentur für sonderpädagogische Förderung und inklusive Bildung erarbeitete Instrument „Selbstreflexionsbogen für das Umfeld der inklusiven frühkindlichen Bildung und Erziehung“;

6.

auf die Gewährleistung einer angemessenen Finanzierung und eines Rechtsrahmens für die Bereitstellung von Angeboten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung hinzuarbeiten. Folgendes könnte erwogen werden:

a)

Aufstockung der Investitionen in die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung mit dem Schwerpunkt auf Verfügbarkeit, Qualität und Bezahlbarkeit, einschließlich gegebenenfalls der Nutzung der Finanzierungsmöglichkeiten der europäischen Struktur- und Investitionsfonds;

b)

Schaffung und Erhaltung maßgeschneiderter nationaler oder regionaler Qualitätsrahmen;

c)

Förderung einer besseren Zusammenarbeit zwischen Diensten oder der weiteren Integration von Diensten für Familien und Kinder, vor allem mit den Sozial- und Gesundheitsdiensten sowie Schulen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene;

d)

Einbettung robuster Kinderschutzmaßnahmen in das System der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung, um Kinder vor jeglicher Form von Gewalt zu schützen;

e)

Einrichtung eines Systems, das auf Folgendes abzielt:

(1)

eine ausgeprägte Kultur des Dialogs und der Reflexion, um einen kontinuierlichen Prozess der Entwicklung und des Lernens zwischen den Akteuren auf allen Ebenen zu fördern;

(2)

eine hochwertige frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und eine angemessene geografische Verteilung in Bezug auf das Lebensumfeld der Kinder;

7.

bestehende Rahmen und Instrumente zu nutzen, um über Erfahrungen und Fortschritte in Bezug auf Zugang zu Systemen der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung und deren Qualität zu berichten;

BEGRÜẞT HIERMIT DIE ABSICHT DER KOMMISSION,

8.

den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren unter den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem strategischen Rahmen für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung und den Nachfolgeprogrammen sowie im Ausschuss für Sozialschutz zu erleichtern;

9.

die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Nachfrage durch Peer-Learning und Peer-Counselling zu unterstützen;

10.

die Zusammenarbeit mit dem OECD-Netz für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung zu unterstützen, um die Verbreitung der Ergebnisse zu erleichtern und Doppelarbeit zu vermeiden;

11.

die Entwicklung hochwertiger inklusiver Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung durch Bereitstellung von Unionsmitteln, insbesondere im Rahmen des Programms Erasmus+ und gegebenenfalls der europäischen Struktur- und Investitionsfonds, einschließlich Interreg, zu unterstützen, ohne den Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorzugreifen;

12.

nach Konsultation der Mitgliedstaaten einen aktualisierten europäischen Richtwert oder ein aktualisiertes europäisches Ziel für die Bereitstellung von Angeboten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung im Einklang mit dem überarbeiteten Richtwert gemäß dem ET 2020 und den Zielen von Barcelona vorzuschlagen. Über diesen Vorschlag für einen Richtwert und andere vorgeschlagene europäische Benchmarks für die allgemeine und berufliche Bildung sollte der Rat im Zusammenhang mit der Schaffung eines neuen strategischen Rahmens für die allgemeine und berufliche Bildung für die Zeit nach 2020 beraten und entscheiden;

13.

dem Rat im Einklang mit den Berichterstattungsmodalitäten der derzeitigen Rahmen und Instrumente über die Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlung zu berichten.

Geschehen zu Brüssel am 22. Mai 2019.

Im Namen des Rates

Der Präsident

C. B. MATEI


(1)  Dok. 13129/17.

(2)  ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391.

(3)  Dok. COM(2017) 673 final.

(4)  ABl. C 421 vom 8.12.2017, S. 2.

(5)  ABl. C 189 vom 4.6.2018, S. 1.

(6)  Frühe Kindheit wird in der Regel definiert als die Zeit von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren; dies entspricht der Bildungsstufe ISCED 0.

(7)  ABl. L 59 vom 2.3.2013, S. 5.

(8)  ABl. C 378 vom 24.12.2013, S. 1.

(9)  Benefits of early childhood education and care and the conditions for obtaining them, Bericht des Europäischen Expertennetzwerks Bildungsökonomik (EENEE).

(10)  The Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS).

(11)  The Programme for International Student Assessment (PISA), OECD (2016), Education at a Glance.

(12)  Europäische Kommission (2014), Study on the effective use of early childhood education and care in preventing early school leaving.

(13)  Erstsprache: in der frühen Kindheit (ungefähr im Alter bis zu zwei oder drei Jahren), in der die menschliche Sprachfähigkeit zuerst erworben wird, erworbene und verwendete Sprachvariante(n). Dieser Begriff wird dem der Muttersprache vorgezogen, der oft nicht angemessen ist, da die Erstsprache nicht notwendigerweise nur die der Mutter ist.

(14)  The Economics of Human Development and Social Mobility. Annual Review of Economics, Bd. 6 (2014), S. 689-733.

(15)  ABl. C 155 vom 25.5.2011, S. 10.

(16)  Dok. COM(2017) 252 final.

(17)  A Review of Research on the Effects of Early Childhood Education and Care on Child Development. CARE Projektbericht (2015).

(18)  Dok. COM(2018) 273 final.

(19)  OECD (2017), Starting Strong 2017: Key OECD Indicators on Early Childhood Education and Care; Eurofound (2015) Early childhood care: Accessibility and quality of services.

(20)  P8_TA(2017)0360.

(21)  Strategiepapier der Fachzeitschrift Kinder in Europa (2008), Young children and their services: developing a European approach.

(22)  Vorschlag für die Leitlinien eines Qualitätsrahmens für die Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung, Bericht der Arbeitsgruppe für Frühkindliche Bildung und Betreuung (2014) unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission

(23)  Eurofound (2015), Frühkindliche Betreuung: Arbeitsbedingungen, berufliche Bildung und Qualität der Leistungen — Eine systematische Überprüfung.

(24)  Europäische Kommission (2011), CoRe: Competence Requirements in Early Childhood Education and Care.

(25)  Professionalisation of Childcare Assistants in Early Childhood Education and Care (ECEC): Pathways towards Qualification, Bericht des NESET II (2016).

(26)  The current state of national ECEC quality frameworks, or equivalent strategic policy documents, governing ECEC quality in EU Member States, Bericht 4/2017 des NESET II.

(27)  Dok. SN 100/1/02 REV 1.

(28)  Dok. COM(2018) 273 final.

(29)  ABl. C 417 vom 15.12.2015, S. 25.

(30)  Dok. COM(2018) 273 final.

(31)  Europäische Kommission (2017), Anzeiger für die allgemeine und berufliche Bildung.

(32)  ISCED 0.1 und ISCED 0.2.


ANHANG

Kinder haben das Recht auf hochwertige, bezahlbare frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung.

Die europäische Säule sozialer Rechte

Lern- und Bildungsprozesse beginnen mit der Geburt, und die frühe Kindheit prägt besonders, denn in diesen Jahren wird das Fundament für die lebenslange Entwicklung gelegt. Der vorliegende Qualitätsrahmen bietet Leitlinien und einen europäischen Ansatz für hochwertige frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) auf der Grundlage bewährter Verfahren der EU-Mitgliedstaaten und des aktuellen Stands der Forschung. Er umfasst zehn Qualitätsleitsätze, die in fünf weiter gefasste Qualitätsbereiche gegliedert sind: Zugang, Personal, Bildungsprogramme, Evaluation und Monitoring sowie Steuerung und Finanzierung. Die zehn Qualitätsleitsätze beschreiben die Hauptmerkmale hochwertiger Angebote, wie sie in der Praxis ermittelt wurden. Der Qualitätsrahmen ist ein Steuerungsinstrument, das bei der Entwicklung und Erhaltung von FBBE-Systemen der Orientierung dienen soll.

Das oberste Ziel des Qualitätsrahmens ist die Beschreibung eines Systems für die Bereitstellung hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung für alle Kinder und dessen Weiterentwicklung. Dabei gelten folgende Grundsätze:

Hochwertige Angebote sind für die Förderung der Entwicklung und des Lernens von Kindern entscheidend und verbessern langfristig ihre Bildungschancen.

Die Einbindung der Eltern als Partner solcher Angebote ist wesentlich, denn die Familie ist der wichtigste Ort für das Heranwachsen und die Entwicklung der Kinder, und Eltern (und Erziehungsberechtigte) sind für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Entwicklung ihrer Kinder verantwortlich.

Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung muss auf das Wohl der Kinder ausgerichtet sein, sie aktiv einbeziehen und ihre Ansichten berücksichtigen.

EU-QUALITÄTSRAHMEN FÜR FRÜHKINDLICHE BETREUUNG, BILDUNG UND ERZIEHUNG

Der ZUGANG aller Kinder zu hochwertigen Angeboten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung trägt zu ihrer gesunden Entwicklung und ihrem Bildungserfolg bei, hilft beim Abbau sozialer Ungleichheiten und verringert die Kompetenzlücke zwischen Kindern mit unterschiedlichem sozioökonomischen Hintergrund. Ein gerechter Zugang ist auch ausschlaggebend, wenn gewährleistet werden soll, dass Eltern, insbesondere Frauen, über die für den (Wieder-)Einstieg ins Arbeitsleben nötige Flexibilität verfügen.

Qualitätsleitsätze:

1.   Ein Angebot, das für alle Familien und ihre Kinder verfügbar und erschwinglich ist.

Der allgemeine Rechtsanspruch auf Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung bietet eine solide Grundlage dafür, dass alle Kinder erreicht werden. Bevölkerungsdaten und Elternbefragungen zum Bedarf an Plätzen für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung können als Basis für die Schätzung des künftigen Bedarfs und die Anpassung der Kapazitäten dienen.

Im Rahmen des Angebots kann auf Hemmnisse reagiert werden, die Eltern und Kinder an der Teilnahme hindern. Dies kann auch eine Anpassung der geforderten Gebühren für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung beinhalten, um auch einkommensschwachen Haushalten den Zugang zu ermöglichen. Flexible Öffnungszeiten und andere Vorkehrungen können nachweislich die Teilnahme insbesondere der Kinder berufstätiger Mütter, Alleinerziehender und von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen ermöglichen.

Wenn das Angebot gleichmäßig auf städtische und ländliche Gebiete, wohlhabende und arme Wohngegenden und Regionen verteilt ist, kann dadurch der Zugang benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen verbessert werden. Die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit hochwertiger Angebote in Wohngebieten, in denen arme Familien, Minderheiten oder Migranten- und Flüchtlingsfamilien leben, sollen den stärksten Einfluss auf die Förderung von Gerechtigkeit und sozialer Inklusion haben.

2.   Ein Angebot, das zur Teilnahme ermutigt, soziale Inklusion stärkt und Vielfalt unterstützt.

Einrichtungen für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung können die Einbeziehung von Eltern, Familien und Betreuern in Entscheidungsprozesse (z. B. in Elternausschüssen) aktiv fördern. Durch die Kontaktaufnahme zu Familien — insbesondere Alleinerziehenden und benachteiligten bzw. Minderheiten- oder Migrantenfamilien — im Rahmen gezielter Initiativen können die Betreffenden ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, sodass die FBBE-Träger diese Bedürfnisse bei der Anpassung des Angebots an die Nachfrage der lokalen Gemeinschaften berücksichtigen können.

Die Einstellung von Personal aus benachteiligten, Migranten- oder Minderheitengruppen kann gefördert werden, denn eine der Vielfalt der Gemeinschaft entsprechende Zusammensetzung des Personals von FBBE-Einrichtungen hat sich als vorteilhaft erwiesen.

Eine aufgeschlossene Umgebung für Kinder, die deren Sprache, Kultur und familiärem Hintergrund mit Wertschätzung begegnet, trägt dazu bei, dass die Kinder ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln. Durch angemessene kontinuierliche Weiterbildung wird das Personal auch auf die Aufnahme und Unterstützung zweisprachiger Kinder vorbereitet.

Einrichtungen für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung können für Familien bewährte Verfahren für einen reibungslosen Übergang von der häuslichen Umgebung in die Einrichtung entwickeln sowie durch spezielle Initiativen ein hohes Maß an elterlicher Beteiligung fördern.

Das PERSONAL ist der wichtigste Faktor für das Wohlbefinden, den Lernprozess und die Entwicklungsergebnisse der Kinder. Daher werden Arbeitsbedingungen und Weiterbildung des Personals als wesentliche Qualitätsmerkmale angesehen.

Qualitätsleitsätze:

3.   Gut geschultes Personal, dessen Erstausbildung und Weiterbildung es ihm ermöglicht, seine berufliche Rolle zu erfüllen.

In leistungsfähigen FBBE-Systemen wird darauf geachtet, den Berufsstatus des Personals — der als einer der Schlüsselfaktoren für Qualität allgemein anerkannt ist — durch Erhöhung der Qualifikationsstufe, einen attraktiven Berufsstatus und flexible berufliche Perspektiven sowie alternative Berufspfade für Assistenzkräfte zu verbessern. Dies kann unterstützt werden, indem ein pädagogischer Personalbestand angestrebt wird, der sich aus hoch qualifizierten Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung im Bereich frühkindliche Bildung und Assistenzkräften zusammensetzt.

Modernste Erstausbildungsprogramme werden gemeinsam mit Praktikern konzipiert und bieten ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Praxis. Es ist auch zweckmäßig, wenn das Personal im Rahmen der Ausbildungsprogramme darauf vorbereitet wird, gemeinsam zu arbeiten und reflektierter zu handeln. Solche Programme können auch davon profitieren, Personal für die Arbeit mit mehrsprachigen und multikulturellen Gruppen, mit Kindern aus Minderheiten-, Migranten- und einkommensschwachen Familien auszubilden.

Personal, das über das nötige Rüstzeug verfügt, um den Entwicklungsbedürfnissen, den Interessen und dem Potenzial von Kleinkindern zu entsprechen und mögliche Entwicklungs- und Lernschwierigkeiten zu erkennen, kann die Entwicklung und den Lernprozess der Kinder aktiver unterstützen. Regelmäßige, maßgeschneiderte und kontinuierliche Angebote für die berufliche Weiterentwicklung nützen allen Mitarbeitern einschließlich der Assistenz- und Hilfskräfte.

Was die Grundbausteine der kindlichen Entwicklung und der Kinderpsychologie betrifft, sollte das Kompetenzprofil des Personals — im Einklang mit den verschiedenen Ausbildungsstrukturen der Mitgliedstaaten — auch Kenntnisse über Kinderschutzsysteme sowie allgemeiner zu den Rechten des Kindes umfassen.

4.   Förderliche Arbeitsbedingungen unter professioneller Leitung, die Raum für Beobachtungen, Reflexion, Planung, Teamarbeit und die Zusammenarbeit mit den Eltern bieten.

Durch FBBE-Systeme, die auf bessere Arbeitsbedingungen, auch auf eine angemessenere Bezahlung, ausgerichtet sind, können Arbeitsplätze in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung für besser qualifiziertes Personal, das sich entsprechend beruflich weiterentwickeln will, attraktiver werden.

Das Betreuungsverhältnis von Erziehern und Kindern und die Gruppengröße sind optimal bemessen, wenn sie am Alter und an der Zusammensetzung der Kindergruppe ausgerichtet werden, da jüngere Kinder mehr Aufmerksamkeit und Betreuung benötigen.

Innerhalb von Strukturen angesiedelte oder strukturübergreifende professionelle Lerngemeinschaften haben nachweislich einen positiven Effekt, da sie dem Personal Zeit und Raum für kollegiale Vorgehensweisen und gemeinsames Arbeiten bieten.

Durch Mentoring und Supervision in der Einarbeitungsphase kann neu eingestelltes Personal dabei unterstützt werden, rasch seinen beruflichen Aufgaben gerecht zu werden.

BILDUNGSPROGRAMME sind ein leistungsstarkes Instrument zur Verbesserung des Wohlbefindens, der Entwicklung und des Lernprozesses der Kinder. In einem umfassenden pädagogischen Rahmen sind die Grundsätze dafür festgelegt, wie die Entwicklung und der Lernprozess der Kinder durch Bildungs- und Betreuungsmethoden, die den Interessen, Bedürfnissen und Möglichkeiten der Kinder entsprechen, gefördert werden sollen.

Qualitätsleitsätze:

5.   Bildungsprogramme, die auf pädagogischen Zielen, Werten und Ansätzen beruhen, die den Kindern ermöglichen, ihr Potenzial auszuschöpfen, und auf die soziale, emotionale, kognitive und körperliche Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder ausgerichtet sind.

Kindzentrierte pädagogische Ansätze eignen sich besser, um die Gesamtentwicklung von Kindern zu fördern, ihre Lernstrategien zu unterstützen und ihre kognitive und nicht-kognitive Entwicklung zu begünstigen, weil sie systematischer bei erfahrungsbasiertem Lernen, Spielen und sozialer Interaktion ansetzen.

Ein explizites Bildungsprogramm ist nachweislich von Vorteil, da es für Betreuung, Bildung und Sozialisierung — feste Bestandteile der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung — einen kohärenten Rahmen bieten kann. Im Idealfall sind in einem solchen Rahmen pädagogische Ziele festgelegt, mit deren Hilfe Erzieherinnen und Erzieher die eigene Herangehensweise den individuellen Bedürfnissen der Kinder anpassen können; außerdem können darin Leitlinien für eine hochwertige Lernumgebung vorgesehen sein. In dem Rahmen wird entsprechend darauf eingegangen, ob verfügbare Bücher und andere Printmedien aufgenommen werden sollen, um die Lese- und Schreibkompetenzen von Kindern zu fördern.

Durch die Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Sprachbewusstsein dienen leistungsfähige Bildungsprogramme der Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen. Sie können die Entwicklung sowohl der Muttersprache als auch der Unterrichtssprache fördern.

6.   Bildungsprogramme, die das Personal zur Zusammenarbeit mit den Kindern, Kollegen und Eltern und zur Reflektion über die eigene Arbeit verpflichten.

Bildungsprogramme können dazu beitragen, dass Eltern, Interessenträger und Personal besser eingebunden werden, und eine bessere Abstimmung auf die Bedürfnisse, die Interessen und das Potenzial der Kinder sicherstellen.

Im Bildungsprogramm können Aufgaben und Verfahren für die regelmäßige Zusammenarbeit des Personals sowohl mit den Eltern als auch mit Kollegen anderer Dienste für Kinder (auch im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen) festgelegt sein.

Nach Möglichkeit sind im Bildungsprogramm Leitlinien dafür vorgesehen, wie das FBBE-Personal in Bezug auf den Übergang der Kinder in die Grund- bzw. Vorschule mit dem Schulpersonal zusammenarbeitet.

MONITORING UND EVALUATION sind Grundlagen für Qualität. Da im Rahmen dieser Prozesse Stärken und Schwachstellen aufgezeigt werden, können sie wesentlich zur Verbesserung der Qualität von Systemen der frühkindlichen Bildung beitragen. Sie können Akteuren und politischen Entscheidungsträgern bei Initiativen zur Abdeckung der Bedürfnisse von Kindern, Eltern und lokalen Gemeinschaften gute Dienste leisten.

Qualitätsleitsätze:

7.   Durch Monitoring und Evaluation werden auf der relevanten lokalen, regionalen und/oder nationalen Ebene wichtige Informationen für die fortlaufende Verbesserung der Qualität von Politik und Praxis gewonnen.

Transparente Informationen zu Angebot und Personal oder zur Umsetzung von Bildungsprogrammen auf der entsprechenden — nationalen, regionalen oder lokalen — Ebene können zur Verbesserung der Qualität beitragen.

Ein regelmäßiger Informationsrückfluss kann den Prozess der Evaluation politischer Maßnahmen erleichtern, da dadurch unter anderem die Möglichkeit besteht, die Verwendung öffentlicher Mittel und die Wirksamkeit von Maßnahmen in Abhängigkeit vom Kontext zu analysieren.

Damit der Lernbedarf des Personals ermittelt werden kann und die richtigen Entscheidungen zur Verbesserung der Qualität des Angebots und der beruflichen Entwicklung getroffen werden, sollten die Verantwortlichen im Bereich frühkindliche Bildung rechtzeitig einschlägige Daten erheben.

8.   Monitoring und Evaluation im besten Interesse des Kindes.

Zur Wahrung der Rechte des Kindes sollten robuste Kinderschutzmaßnahmen in das System der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung integriert werden, um dazu beizutragen, dass Kinder vor jeglicher Form von Gewalt geschützt sind. Wirksame Maßnahmen zum Schutz des Kindes sollten sich auf vier große Bereiche erstrecken: 1) Politik, 2) Menschen, 3) Verfahren und 4) Rechenschaftspflicht. Mehr Informationen zu diesen Bereichen finden sich in der Handreichung „Child safeguarding standards and how to implement them“ (Kinderschutznormen und ihre Umsetzung) von Keeping Children Safe.

Monitoring- und Evaluationsverfahren können die aktive Mitwirkung und Zusammenarbeit aller Akteure stärken. Jeder, der an Qualitätsverbesserungen interessiert ist, kann zu Monitoring- und Evaluationsverfahren seinen Beitrag leisten und davon profitieren.

Es gibt Hinweise dafür, dass durch die Kombination mehrerer Monitoringmethoden (z. B. Beobachtung, Dokumentation, Verbalbeurteilung von Fähigkeiten und Lernentwicklung) nützliche Informationen gewonnen und die Erfahrungen und die Entwicklung von Kindern gut beschrieben werden können und dass dadurch auch zu einem reibungslosen Übergang in die Grundschule beigetragen werden kann.

Es können Monitoringinstrumente und partizipatorische Evaluationsverfahren geschaffen werden, damit Kinder Gehör finden und sich zu ihren Lern- und Sozialisierungserfahrungen in den Einrichtungen explizit äußern können.

STEUERUNG UND FINANZIERUNG sind Voraussetzungen dafür, dass die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ihre Rolle bei der persönlichen Entwicklung und im Lernprozess der Kinder sowie bei der Verringerung des Leistungsgefälles und der Förderung des sozialen Zusammenhalts spielen kann. Qualität ergibt sich aus umfassenden und kohärenten staatlichen Maßnahmen, die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung mit anderen auf das Wohlbefinden von Kleinkindern und ihren Familien ausgerichteten Angeboten verbinden.

Qualitätsleitsätze:

9.   Die Akteure sind sich über ihre Aufgaben und Zuständigkeiten einig und im Klaren, und sie wissen, dass von ihnen die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen erwartet wird.

Die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung profitiert von einer engen Zusammenarbeit mit allen Diensten für Kinder (auch im Sozial- und Gesundheitswesen), Schulen und Akteuren vor Ort. Solche ressortübergreifenden Allianzen haben sich als wirksamer erwiesen, wenn sie einem kohärenten politischen Rahmen unterliegen, durch den die Zusammenarbeit und langfristige Investitionen in lokale Gemeinschaften proaktiv gefördert werden können.

Es hat sich gezeigt, dass die Einbindung der Akteure für die Konzipierung und Umsetzung der Angebote für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung entscheidend ist.

Die Einbeziehung und Koordinierung von Diensten, die für die verschiedenen Regelungen zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung zuständig sind, können positive Auswirkungen auf die Qualität des Systems haben.

10.   Rechtsvorschriften, Regelungen und/oder Finanzierung unterstützen Fortschritte bei der Verwirklichung eines allgemeinen Anspruchs auf eine hochwertige und erschwingliche frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und die relevanten Akteure werden regelmäßig über die Fortschritte informiert.

Ein verbessertes Angebot für alle Kinder kann möglicherweise eher erreicht werden, wenn der allgemeine Rechtsanspruch schrittweise eingeführt wird. Hierzu gehört, dass die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung von früher Kindheit an unterstützt wird. Es kann sinnvoll sein, zu prüfen, ob marktbasierte FBBE-Angebote zu einem ungleichen Zugang oder minderer Qualität für benachteiligte Kinder führen, und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorzusehen.

Eine enge Verknüpfung mit arbeits-, gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen wäre eindeutig von Vorteil, denn so könnten Ressourcen durch gezielte Bereitstellung zusätzlicher Mittel für benachteiligte Gruppen und Wohngegenden effizienter umverteilt werden.

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