7.8.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

LI 199/7


DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2018/1101 DER KOMMISSION

vom 3. August 2018

zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (1), insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Verordnung (EG) Nr. 2271/96 bietet Schutz vor den unrechtmäßigen Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung einiger gelisteter Rechtsvorschriften, einschließlich Verordnungen und anderer von Drittländern erlassener Rechtsakte, und von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen und wirkt diesen Auswirkungen entgegen, wenn diese Anwendung die Interessen natürlicher und juristischer Personen im Sinne von Artikel 11 dieser Verordnung, die am internationalen Handels- und/oder Kapitalverkehr und an damit verbundenen Geschäftstätigkeiten zwischen der Union und Drittländern teilnehmen, beeinträchtigt.

(2)

In der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 wird bestätigt, dass solche Rechtsvorschriften, einschließlich Verordnungen und anderer Rechtsakte, durch ihre extraterritoriale Anwendung das Völkerrecht verletzen.

(3)

Nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 dürfen Personen im Sinne von Artikel 11 dieser Verordnung weder selbst noch durch einen Vertreter oder einen anderen Vermittler aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, nachkommen, die auf solchen Rechtsvorschriften oder darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben.

(4)

Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 können Personen im Sinne von Artikel 11 dieser Verordnung die Kommission jedoch um die Genehmigung ersuchen, solchen Forderungen oder Verboten ganz oder teilweise nachzukommen, soweit die Nichteinhaltung ihre Interessen oder die Interessen der Union schwer schädigen würde.

(5)

Um Rechtssicherheit zu schaffen und für eine wirksame Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 zu sorgen, müssen die Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates unter Berücksichtigung des unter bestimmten und ordnungsgemäß belegten Umständen möglichen Risikos einer schweren Schädigung der Interessen der natürlichen und juristischer Personen im Sinne von Artikel 11 dieser Verordnung festgelegt werden.

(6)

Angesichts der Rolle der Kommission bei der einheitlichen Umsetzung des EU-Rechts, einschließlich der Verordnung (EG) Nr. 2271/96, wird die Kommission die Anwendung der vorliegenden Verordnung aufmerksam verfolgen und auf der Grundlage ihrer Bewertung der Umsetzung alle erforderlichen Anpassungen vornehmen.

(7)

Zudem sollten die wichtigsten Schritte des Verfahrens festgelegt werden, das auf die Einreichung eines Antrags auf Genehmigung einer teilweisen oder vollständigen Einhaltung solcher Forderungen oder Verbote bei der Kommission folgt.

(8)

Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten natürlicher Personen im Rahmen der vorliegenden Verordnung sollten die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) und die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates (3) eingehalten werden.

(9)

Anträge nach dieser Verordnung sollten Maßnahmen oder Unterlassungen betreffen, die direkt oder indirekt auf den im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 aufgeführten Rechtsvorschriften oder den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben.

(10)

Die eingehenden Anträge werden so bald wie möglich bearbeitet.

(11)

Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ausschusses für extraterritoriale Rechtsakte und wurden nach der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) angenommen —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Gegenstand

In dieser Verordnung werden die Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 festgelegt.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a)

„gelistete extraterritoriale Rechtsakte“ die im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 aufgeführten Gesetze, Verordnungen und anderen Rechtsakte, einschließlich Verordnungen und sonstiger auf diesen beruhenden oder sich daraus ergebender Rechtsakte;

b)

„Folgemaßnahmen“ Maßnahmen, die auf den gelisteten extraterritorialen Rechtsakten beruhen oder sich aus diesen ergeben;

c)

„Nichteinhaltung“ die Nichteinhaltung — sei es aktiv oder durch bewusste Unterlassung — von Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, die direkt oder indirekt auf den gelisteten Rechtsakten oder Folgemaßnahmen beruhen;

d)

„geschützte Interessen“ die Interessen von Personen im Sinne von Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96, die Interessen der Union oder beides;

e)

„Antragsteller“ eine Person im Sinne von Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96, die eine Genehmigung nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 beantragt hat.

Artikel 3

Einreichung von Anträgen

(1)   Genehmigungsanträge nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 sind schriftlich an folgende Anschrift zu richten:

Europäische Kommission

Dienst für außenpolitische Instrumente

EEAS 07/99

B-1049 Brüssel Belgien

EC-AUTHORISATIONS-BLOCKING-REG@ec.europa.eu

(2)   Die Anträge müssen den Namen und die Kontaktdaten des Antragstellers enthalten, ferner die Angabe der einzelnen betroffenen Bestimmungen der gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder der Folgemaßnahmen sowie eine Beschreibung des Gegenstands der beantragten Genehmigung und des Schadens, der durch Nichteinhaltung eintreten würde.

(3)   Antragsteller müssen in ihrem Antrag ausreichende Belege dafür vorlegen, dass die Nichteinhaltung der Vorschriften einen schweren Schaden im Hinblick auf mindestens ein geschütztes Interesse verursachen würde.

(4)   Falls erforderlich, kann die Kommission den Antragsteller um zusätzliche Belege ersuchen, die von diesem innerhalb einer von der Kommission festgelegten angemessenen Frist vorzulegen sind.

(5)   Die Kommission unterrichtet den Ausschuss für extraterritoriale Rechtsakte unmittelbar nach Eingang der Anträge.

Artikel 4

Bewertung der Anträge

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine schwere Schädigung der geschützten Interessen im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 eintreten würde, berücksichtigt die Kommission gegebenenfalls unter anderem die folgenden Kriterien, von denen jedes einzelne das Eintreten eines schweren Schadens begründen kann:

a)

eine wahrscheinliche spezifische Gefährdung des geschützten Interesses, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Art und des Ursprungs einer Schädigung des geschützten Interesses;

b)

das Vorliegen anhängiger behördlicher oder gerichtlicher Ermittlungen gegen den Antragsteller seitens des Drittlands, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte zurückgehen, oder einer früheren Vergleichsvereinbarung mit diesem Drittland;

c)

das Bestehen einer wesentlichen Verbindung zu dem Drittland, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder die Folgemaßnahmen zurückgehen; beispielsweise wenn Antragsteller Mutterunternehmen oder Tochterunternehmen oder eine Beteiligung natürlicher oder juristischer Personen haben, die der primären Zuständigkeit des Drittlandes, auf das die gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder die Folgemaßnahmen zurückgehen, unterliegen;

d)

die Frage, ob der Antragsteller zumutbare Maßnahmen ergreifen könnte, um den Schaden zu vermeiden oder abzumildern;

e)

die nachteiligen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit, insbesondere ob dem Antragsteller erhebliche wirtschaftliche Verluste entstünden, die beispielsweise seine Rentabilität gefährden oder ein erhebliches Insolvenzrisiko darstellen könnten;

f)

die Frage, ob die Tätigkeit des Antragstellers aufgrund des Verlusts wesentlicher Inputs oder Ressourcen, die nicht mit vertretbarem Aufwand ersetzt werden können, übermäßig erschwert würde;

g)

die Frage, ob die Wahrnehmung der individuellen Rechte des Antragstellers erheblich behindert würde;

h)

das Bestehen einer Bedrohung für Sicherheit, Gefahrenabwehr, Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesundheit sowie den Umweltschutz;

i)

das Bestehen einer Bedrohung für die Fähigkeit der Union, ihre Politik in den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungs- und Handelspolitik oder die externen Aspekte ihrer internen Politikbereiche durchzuführen;

j)

die Sicherheit der Versorgung mit strategischen Gütern oder Dienstleistungen innerhalb der Union oder auf dem Weg in die Union bzw. innerhalb eines Mitgliedstaats oder auf dem Weg in einen Mitgliedstaat sowie die Auswirkungen etwaiger diesbezüglicher Versorgungsengpässe oder Versorgungsunterbrechungen;

k)

die Folgen für den Binnenmarkt im Hinblick auf den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sowie für die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität oder für zentrale Infrastrukturen der Union;

l)

die systemischen Auswirkungen des Schadens, insbesondere in Bezug auf die Spillover-Effekte auf andere Sektoren;

m)

die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt eines oder mehrerer Mitgliedstaaten und deren grenzübergreifende Auswirkungen innerhalb der Union;

n)

sonstige relevante Faktoren.

Artikel 5

Ergebnis des Antrags

(1)   Kommt die Kommission nach Abschluss der in Artikel 4 genannten Bewertung zu dem Schluss, dass hinreichende Belege dafür vorliegen, dass die Nichteinhaltung den geschützten Interessen einen schweren Schaden zufügen würde, unterbreitet die Kommission dem Ausschuss für extraterritoriale Rechtsakte unverzüglich einen Entwurf für einen Beschluss mit den zu treffenden geeigneten Maßnahmen.

(2)   Kommt die Kommission nach Abschluss der in Artikel 4 genannten Bewertung zu dem Schluss, dass keine hinreichenden Belege dafür vorliegen, dass die Nichteinhaltung den geschützten Interessen einen schweren Schaden zufügen würde, unterbreitet die Kommission dem Ausschuss für extraterritoriale Rechtsakte einen Entwurf für einen Beschluss zur Ablehnung des Antrags.

(3)   Die Kommission teilt die endgültige Entscheidung dem Antragsteller unverzüglich mit.

Artikel 6

Datenverarbeitung

(1)   Die Kommission verarbeitet personenbezogene Daten, um ihre Aufgaben nach dieser Verordnung zu erfüllen.

(2)   Die Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgt unter Einhaltung der Verordnung (EU) 2016/679 und der Verordnung (EG) Nr. 45/2001.

(3)   Für die Zwecke dieser Verordnung wird der Dienst für außenpolitische Instrumente zu dem „für die Verarbeitung Verantwortlichen“ der Kommission im Sinne von Artikel 2 Buchstabe d der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 bestimmt, um sicherzustellen, dass die betreffenden natürlichen Personen ihre Rechte nach dieser Verordnung ausüben können.

Artikel 7

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 3. August 2018

Für die Kommission

Der Präsident

Jean-Claude JUNCKER


(1)  ABl. L 309 vom 29.11.1996, S. 1.

(2)  Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1).

(3)  Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr.(ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1).

(4)  Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13).