25.2.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 49/36


BESCHLUSS (EU) 2017/329 DER KOMMISSION

vom 4. November 2016

über die Maßnahme SA.39235 (2015/C) (ex 2015/NN) Ungarns bezüglich der Besteuerung von Werbeumsätzen

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2016) 6929)

(Nur der ungarische Text ist verbindlich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 108 Absatz 2 Unterabsatz 1,

gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a,

nach Aufforderung der Beteiligten zur Stellungnahme gemäß den genannten Bestimmungen (1) und unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

1.   VERFAHREN

(1)

Im Juli 2014 erlangte die Kommission Kenntnis darüber, dass Ungarn einen Rechtsakt erlassen hat, auf dessen Grundlage aus Werbeaktivitäten erzielte Umsätze besteuert werden (im Folgenden „Werbesteuer“). Mit Schreiben vom 13. August 2014 übermittelte die Kommission ein Auskunftsersuchen an die ungarischen Behörden, das diese mit Schreiben vom 2. Oktober 2014 beantworteten. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 wurden weitere Fragen an die ungarischen Behörden gestellt, woraufhin diese mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 zusätzliche Informationen übermittelten.

(2)

Mit Schreiben vom 2. Februar 2015 wurden die ungarischen Behörden darüber unterrichtet, dass die Kommission den Erlass eines Beschlusses zur Aussetzung der Maßnahme gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates (2) in Erwägung ziehen werde. Mit Schreiben vom 17. Februar 2015 übermittelten die ungarischen Behörden ihre Stellungnahme zu diesem Schreiben.

(3)

Am 12. März 2015 teilte die Kommission Ungarn ihren Beschluss mit, das Verfahren nach Artikel 108 Absatz 2 AEUV (im Folgenden „Einleitungsbeschluss“) in Bezug auf die Maßnahme einzuleiten und eine Aussetzungsanordnung nach Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 zu erlassen.

(4)

Der Einleitungsbeschluss und die Aussetzungsanordnung wurden im Amtsblatt der Europäischen Union  (3) veröffentlicht. Die Kommission hat die Beteiligten zur Stellungnahme zu der Maßnahme aufgefordert.

(5)

Bei der Kommission gingen Stellungnahmen von drei Beteiligten ein. Sie leitete diese an die ungarischen Behörden weiter, die Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten.

(6)

Am 21. April 2015 übermittelten die ungarischen Behörden der Kommission den Entwurf eines Vorschlags zur Änderung der Werbesteuer. Am 8. Mai 2015 ersuchte die Kommission Ungarn um Informationen zu der geplanten Änderung.

(7)

Am 4. Juni 2015 änderte Ungarn die Werbesteuer ohne vorherige Anmeldung bei der — oder Genehmigung durch die — Kommission. Am 5. Juli 2015 traten die Änderungen in Kraft.

(8)

Mit Schreiben vom 6. Juli 2015 übermittelte Ungarn seine Erwiderung auf den Einleitungsbeschluss und auf die Stellungnahmen der Beteiligten sowie Erläuterungen zu der Änderung der Werbesteuer.

2.   AUSFÜHRLICHE BESCHREIBUNG DER WERBESTEUER

2.1.   GELTUNGSBEREICH UND BEMESSUNGSGRUNDLAGE DER STEUER

(9)

Am 11. Juni 2014 erließ Ungarn das Werbesteuergesetz XXII von 2014 (im Folgenden „Gesetz“), das am 4. Juli und 18. November 2014 geändert wurde. Mit dem Gesetz wurde eine neue Sondersteuer auf Umsätze eingeführt, die in Ungarn aus der Veröffentlichung von Werbung erzielt werden; die neue Steuer gilt zusätzlich zu bestehenden Unternehmenssteuern, insbesondere der Einkommensteuer. Ziel des Gesetzes ist Ungarn zufolge die Förderung des Grundsatzes der öffentlichen Lastenverteilung.

(10)

Die Werbesteuer wird auf Umsätze erhoben, die aus Werbung in den im Gesetz aufgeführten Medien erzielt werden (z. B. bei Mediendiensten, in Presseunterlagen, in der Außenwerbung, auf Fahrzeugen oder Immobilien, in Druckerzeugnissen und im Internet). Besteuert werden alle Medienunternehmen; steuerpflichtig ist grundsätzlich der Herausgeber der Werbung. Räumlicher Geltungsbereich der Steuer ist Ungarn.

(11)

Die Steuerbemessungsgrundlage ist der Umsatz, den der Herausgeber aus den von ihm erbrachten Werbedienstleistungen erzielt, ohne Abzug von Kosten. Die Steuerbemessungsgrundlage verbundener Unternehmen wird aggregiert. Der effektive Steuersatz ergibt sich daher aus dem von der gesamten Unternehmensgruppe in Ungarn erzielten Werbeumsatz.

(12)

Für Eigenwerbung, d. h. für Werbung im Zusammenhang mit den Produkten, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten, dem Namen und dem Auftritt des Herausgebers selbst, gilt eine besondere Steuerbemessungsgrundlage. In diesem Fall werden als Steuerbemessungsgrundlage die dem Herausgeber unmittelbar in Verbindung mit dem Veröffentlichen der Werbung entstandenen Kosten herangezogen.

2.2.   PROGRESSIVE STEUERSÄTZE

(13)

Das Gesetz sieht für die Steuersätze eine progressive Struktur zwischen 0 % und 1 % für Unternehmen mit geringen bzw. mittleren Werbeumsätzen und 50 % für Unternehmen mit hohen Werbeumsätzen vor, die wie folgt gestaffelt ist:

Für den Teil des Umsatzes unter 0,5 Mrd. HUF: 0 %

Für den Teil des Umsatzes zwischen 0,5 und 5 Mrd. HUF: 1 %

Für den Teil des Umsatzes zwischen 5 und 10 Mrd. HUF: 10 %

Für den Teil des Umsatzes zwischen 10 und 15 Mrd. HUF: 20 %

Für den Teil des Umsatzes zwischen 15 und 20 Mrd. HUF: 30 %

Für den Teil des Umsatzes über 20 Mrd. HUF: 50 %

(14)

Durch das 2014 erlassene Gesetz LXXIV über die Änderung bestimmter steuerrechtlicher Vorschriften und damit verbundener Rechtsvorschriften und des 2010 erlassenen Gesetzes CXXII über die nationale Zoll- und Steuerverwaltung, mit dem das Gesetz geändert wurde, wurde der Höchstsatz ab dem 1. Januar 2015 von 40 % auf 50 % angehoben.

2.3.   ABZUG VORGETRAGENER VERLUSTE VON DER STEUERBEMESSUNGSGRUNDLAGE FÜR 2014

(15)

Nach dem Gesetz konnten Unternehmen 50 % der von ihnen nach dem Körperschaftsteuer- und Einkommensteuergesetz vorgetragenen Verluste früherer Jahre von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014 abziehen.

(16)

Durch eine Änderung dieses Gesetzes vom 4. Juli 2014 wurde dieser Abzug auf Unternehmen beschränkt, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben (d. h. deren Gewinn vor Steuern im Geschäftsjahr 2013 gleich null oder negativ war). Daher haben Unternehmen mit Verlustvorträgen aus früheren Jahren, die jedoch 2013 einen Gewinn erzielt haben, keinen Anspruch auf den Abzug. Ungarn zufolge sollen durch die Änderung Steuerhinterziehung und die Umgehung der Steuerpflicht verhindert werden.

(17)

Die Abzugsfähigkeit des Verlustvortrags gilt nur für die Steuererklärung für 2014. Sie gilt nicht für die Steuererklärung für 2015 oder die darauffolgenden Jahre.

2.4.   FESTSETZUNG DER STEUERSCHULD UND STEUERANMELDUNG

(18)

Nach dem Gesetz ermittelt der Steuerpflichtige seine Steuerschuld selbst und reicht bis zum letzten Tag des fünften Monates nach Ende des Steuerjahres eine Steueranmeldung bei der Steuerbehörde ein.

2.5.   ENTRICHTUNG DER STEUER

(19)

Das Gesetz sieht vor, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschuld bis zum letzten Tag des fünften Monats nach Ende des Steuerjahres ermittelt, anmeldet und begleicht.

(20)

Für 2014 war die Steuer ab Inkrafttreten des Gesetzes am 18. Juli 2014 auf der Grundlage des 2014 erzielten Werbeumsatzes anteilig fällig. Der Steuerpflichtige musste die Steuer im Voraus für das Jahr 2014 (auf Grundlage seines 2013 erzielten Werbeumsatzes) bis zum 20. August 2014 ermitteln und erklären und sie in zwei gleichen Raten bis zum 20. August 2014 bzw. 20. November 2014 zahlen.

(21)

Den von den ungarischen Behörden übermittelten vorläufigen Daten zufolge wurden bis zum 28. November 2014 Steuervorauszahlungen für 2014 in Höhe von insgesamt 2 640 100 000 HUF (~ 8 500 000 EUR) eingenommen. Ca. 80 % der im Rahmen dieser Vorauszahlungen erhaltenen Steuereinnahmen wurden von einer Unternehmensgruppe entrichtet.

2.6.   MIT DEM GESETZ LXII VOM 4. JUNI 2015 EINGEFÜHRTE ÄNDERUNGEN

(22)

Mit dem Gesetz LXII vom 4. Juni 2015 änderte Ungarn — nach dem Erlass des Einleitungsbeschlusses — das Werbesteuergesetz, indem die progressive Staffelung von sechs Steuersätzen zwischen 0 % und 50 % durch die folgende zweistufige Regelung ersetzt wurde:

0 % auf den Teil des Umsatzes, der 100 Mio. HUF nicht überschreitet sowie

5,3 % auf den Teil des Umsatzes, der über 100 Mio. HUF liegt.

(23)

Die Änderung sieht eine optionale rückwirkende Anwendung zum Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2014 vor. Die Steuerpflichtigen können also für die Vergangenheit wählen, ob sie nach dem neuen zweistufigen System oder nach der alten progressiven Staffelung mit sechs Steuersätzen besteuert werden.

(24)

Die Bestimmungen über den Abzug von Verlustvorträgen von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014, die auf Unternehmen beschränkt ist, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, bleiben unverändert.

3.   FÖRMLICHES PRÜFVERFAHREN

3.1.   GRÜNDE FÜR DIE EINLEITUNG DES FÖRMLICHEN PRÜFVERFAHRENS

(25)

Die Kommission leitete das förmliche Prüfverfahren ein, weil sie zu dem Zeitpunkt die progressive Struktur der Steuer und die im Gesetz festgelegten Bestimmungen zur Abzugsfähigkeit vorgetragener Verluste von der Steuerbemessungsgrundlage als staatliche Beihilfen betrachtete.

(26)

Nach Auffassung der Kommission wird bei den progressiven Steuersätzen zwischen Unternehmen mit hohen Werbeeinnahmen (und somit größeren Unternehmen) und Unternehmen mit geringen Werbeeinnahmen (und somit kleineren Unternehmen) unterschieden, wobei Letzteren auf Grundlage ihrer Größe ein selektiver Vorteil gewährt wird. Die Kommission hatte Zweifel daran, dass das von Ungarn geltend gemachte Argument der Zahlungsfähigkeit als Leitprinzip für Umsatzsteuern zugrunde gelegt werden kann. Daher gelangte die Kommission vorläufig zu dem Schluss, dass der im Gesetz vorgesehene progressive Charakter der Werbesteuer eine staatliche Beihilfe darstellte, da alle anderen einschlägigen Kriterien für das Vorliegen einer Beihilfe ebenfalls erfüllt zu sein schienen.

(27)

Ferner war die Kommission der Auffassung, dass die Bestimmungen des Gesetzes bezüglich der Möglichkeit des Abzugs von früheren, nach dem Körperschaftsteuer- und Einkommensteuergesetz vorgetragenen Verlusten sowie insbesondere die Beschränkung auf Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, dazu führen, dass Unternehmen, die sich hinsichtlich der umsatzbezogenen Steuer in einer vergleichbaren Situation befinden, unterschiedlich behandelt werden. Der Kommission zufolge schien Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, gegenüber Unternehmen, die vor 2013 Verluste verzeichneten oder aber gar nicht defizitär waren, mit den Bestimmungen ein selektiver Vorteil gewährt zu werden. Nach Auffassung der Kommission war diese unterschiedliche steuerliche Behandlung nicht durch die Natur und die Logik des Steuersystems gerechtfertigt, insbesondere da Ungarn geltend machte, dass der Erhebung der Werbesteuer der Ansatz zugrunde liegt, dass allein die Einnahme von Werbeumsätzen diese Besteuerung rechtfertigt. Deshalb betrachtete die Kommission die in Rede stehenden Bestimmungen als staatliche Beihilfe, da alle anderen einschlägigen Kriterien für das Vorliegen einer Beihilfe ebenfalls erfüllt zu sein schienen.

(28)

Die Maßnahmen schienen nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar zu sein.

3.2.   STELLUNGNAHMEN BETEILIGTER

(29)

Bei der Kommission gingen Stellungnahmen von drei Beteiligten ein.

(30)

Der ungarische Werbefachverband beschrieb die Situation der Werbebranche in Ungarn und äußerte sich kritisch zu der Werbesteuer als solche. Nach Ansicht des Verbands wird der schon jetzt unter rückläufigen Einnahmen leidende Sektor durch die Steuer zusätzlich belastet. Er weist darauf hin, dass kleine Medienunternehmen aufgrund ihrer geringen Gewinnmargen durch jede Art von Werbesteuer vom Markt verdrängt werden können.

(31)

Der ungarische private Fernsehsender TV2 nahm nur zum Abzug früherer, für körperschafts- oder einkommensteuerrechtliche Zwecke vorgetragener Verluste Stellung. Nach Auffassung von TV2 ist die Bestimmung über die Verrechnung früherer Verluste nicht selektiv, weil sie in den Ermessensspielraum des Mitgliedstaats fällt, eine umsatzbezogene Steuer zu konzipieren, die auch Elemente einer auf der Zahlungsfähigkeit beruhenden Steuer beinhaltet. Wenn die Kommission feststelle, dass die Regelung über den Abzug früherer Verluste ein selektives Element enthält, könne es sich dabei nur um die weitere Beschränkung auf Unternehmen handeln, die 2013 keinen Gewinn erzielt haben, nicht jedoch um die allgemeine Bestimmung zur Abzugsfähigkeit früherer Verluste.

(32)

RTL stimmt der im Einleitungsbeschluss abgegebenen Bewertung der Kommission zu und führt an, dass zwei weitere selektive Elemente durch die Werbesteuer geschaffen würden: i) öffentlich-rechtliche Sender würden gegenüber kommerziellen Sendern bevorzugt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender angeblich in erster Linie durch staatliche Mittel finanziert werden und daher weniger stark von der Steuer betroffen wären; ii) in ungarischem Besitz befindliche Sender würden gegenüber internationalen Marktteilnehmern bevorzugt, weil in ungarischem Besitz befindliche Sender angeblich typischerweise geringere Werbeeinnahmen haben als größere internationale Marktteilnehmer.

3.3.   STANDPUNKT DER UNGARISCHEN BEHÖRDEN

(33)

Die ungarischen Behörden bestreiten, dass die in Rede stehenden Maßnahmen eine staatliche Beihilfe darstellen. Sie argumentieren im Wesentlichen, dass sich die Zahlungsfähigkeit nicht nur an der Rentabilität eines Unternehmens zeigt, sondern auch an seinem Marktanteil und demzufolge auch am Umsatz. Ungarn führt an, dass die progressiven Steuersätze einer umsatzbezogenen Steuer durch die Zahlungsfähigkeit gerechtfertigt seien und es in die nationale Zuständigkeit falle, die Steuerstufen im Einzelnen festzulegen. Nach Auffassung Ungarns ist die Übergangsmaßnahme für Unternehmen, die 2013 unrentabel waren, gerechtfertigt, weil solche Unternehmen ohne diese Maßnahme eine zu hohe Steuerlast tragen müssten.

(34)

Ungarn bestreitet den selektiven Charakter der Steuerregelung insbesondere mit dem Argument, dass nicht vom Bezugssystem abgewichen werde, weil das Bezugssystem im Falle progressiver Steuern die Kombination aus Steuerbemessungsgrundlage und den entsprechenden Steuersätzen sei. Daher würden Unternehmen, die sich in derselben tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (d. h. für die dieselbe Steuerbemessungsgrundlage gilt), in gleicher Höhe besteuert.

3.4.   STELLUNGNAHME UNGARNS ZU DEN STELLUNGNAHMEN DER BETEILIGTEN

(35)

Ungarn erklärte, dass der ungarische Werbefachverband die Funktionsweise des ungarischen Werbemarktes in seinem Sachvortrag zutreffend beschrieben habe und bestätigte insbesondere die Schlussfolgerung, kleinere Unternehmen und neue Marktteilnehmer befänden sich in einer schwierigeren Lage als Unternehmen mit höherem Umsatz. Daher sei die Lage kleiner Marktteilnehmer auf dem Werbemarkt nicht mit der größerer Herausgeber vergleichbar, die über eine größere Zahlungsfähigkeit verfügten und progressiv höher besteuert werden sollten.

(36)

Ungarn stimmt der Stellungnahme von TV2 zu und weist darauf hin, dass die Rentabilität als Kriterium für die Besteuerung nach dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Gibraltar eine allgemeine steuerliche Maßnahme darstellt, weil sie Folge eines zufälligen Umstands ist.

(37)

Ungarn widerspricht den Argumenten von RTL aus den bereits in seinen vorherigen Sachvorträgen dargelegten Gründen. Ungarn erklärt ferner, dass öffentlich-rechtliche und kommerzielle Sender im Gesetz gleichbehandelt werden und dass gegen Vergütung erbrachte Werbedienstleistungen grundsätzlich der gleichen Steuerpflicht unterliegen.

4.   WÜRDIGUNG DER BEIHILFE

4.1.   VORLIEGEN EINER STAATLICHEN BEIHILFE IM SINNE DES ARTIKELS 107 ABSATZ 1 AEUV

(38)

Artikel 107 Absatz 1 AEUV lautet: „Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

(39)

Die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung setzt daher voraus, dass alle folgenden Bedingungen erfüllt sind: i) die Maßnahme muss dem Staat zurechenbar sein und durch staatliche Mittel finanziert werden; ii) dem Empfänger muss daraus ein Vorteil entstehen; iii) dieser Vorteil muss selektiv sein; iv) die Maßnahme muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

4.1.1.   STAATLICHE MITTEL UND ZURECHENBARKEIT ZUM STAAT

(40)

Um als staatliche Beihilfe eingestuft zu werden, muss eine Maßnahme einem Mitgliedstaat zurechenbar sein und durch staatliche Mittel finanziert werden.

(41)

Da die beanstandeten Maßnahmen auf ein Gesetz des ungarischen Parlaments zurückzuführen sind, sind sie eindeutig dem ungarischen Staat zurechenbar.

(42)

Auch im Hinblick auf die Finanzierung der Maßnahme durch staatliche Mittel, bei der der Staat infolge der Maßnahme auf Einnahmen verzichtet, die er unter normalen Umständen von einem Unternehmen erheben müsste, sind die Voraussetzungen erfüllt (4). Im vorliegenden Fall verzichtet Ungarn auf Einnahmen, die es andernfalls von Unternehmen mit einem geringeren einschlägigen Umsatz (und somit von kleineren Unternehmen) erheben müsste, wenn sie derselben Besteuerung unterlegen hätten wie Unternehmen mit höherem Umsatz (und somit größere Unternehmen).

4.1.2.   VORTEIL

(43)

Nach der Rechtsprechung der Gerichte der Union umfasst der Begriff der Beihilfe nicht nur positive Leistungen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat (5). Ein Vorteil kann durch verschiedene Arten der steuerlichen Entlastung eines Unternehmens gewährt werden, insbesondere durch eine Reduzierung des anwendbaren Steuersatzes, der Bemessungsgrundlage oder des fälligen Steuerbetrags (6). Auch wenn bei einer Steuerermäßigung kein positiver Transfer staatlicher Mittel erfolgt, begründet sie dennoch einen Vorteil, weil sie die betroffenen Unternehmen in eine günstigere finanzielle Lage versetzt und zu einem Einkommensverlust für den Staat führt (7).

(44)

Das Gesetz legt die progressiven Steuersätze fest, die für den mit Werbung in Ungarn erzielten Jahresumsatz gelten und von den Steuerstufen abhängen, in die der Umsatz des Unternehmens fällt. Der progressive Charakter dieser Steuersätze bewirkt, dass der Prozentsatz des auf den Umsatz eines Unternehmens erhobenen Beitrags progressiv in Abhängigkeit von der Zahl der Besteuerungsstufen, in die der Umsatz fällt, steigt. Die Folge ist, dass Unternehmen mit niedrigem Umsatz (kleinere Unternehmen) einem wesentlich niedrigeren durchschnittlichen Steuersatz unterliegen als Unternehmen mit hohem Umsatz (größere Unternehmen). Dadurch, dass Unternehmen mit niedrigem Umsatz einem wesentlich niedrigeren durchschnittlichen Steuersatz unterliegen, werden sie im Vergleich zu Unternehmen mit hohem Umsatz weniger belastet, was den kleineren Unternehmen gegenüber größeren Unternehmen einen Vorteil im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV verschafft.

(45)

Gleichermaßen verschafft die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit des Abzugs von nach dem Körperschaftsteuer- und Einkommensteuergesetz vorgetragenen Verlusten den Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, einen Vorteil, da ihre Steuerbemessungsgrundlage bzw. ihre Steuerbelastung im Vergleich zu Unternehmen, die von dieser Steuererleichterung nicht Gebrauch machen können, verringert wird.

4.1.3.   SELEKTIVITÄT

(46)

Eine Maßnahme ist selektiv, wenn sie bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV begünstigt. Für steuerliche Regelungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Selektivität einer Maßnahme auf Grundlage einer dreistufigen Analyse zu beurteilen ist (8). Erstens wird die im Mitgliedstaat anwendbare allgemeine oder normale Steuerregelung ermittelt: das „Bezugssystem“. Zweitens ist zu bestimmen, ob eine Maßnahme von diesem System abweicht, indem sie zwischen Wirtschaftsteilnehmern differenziert, die sich im Hinblick auf die inhärenten Ziele des Systems in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Wenn die betreffende Maßnahme keine Abweichung vom Bezugssystem darstellt, ist sie nicht selektiv. Wenn sie eine Abweichung darstellt (und daher prima facie selektiv ist), ist im dritten Schritt zu prüfen, ob die abweichende Maßnahme durch die Natur oder den inneren Aufbau des (Bezugs-)Steuersystems gerechtfertigt ist (9). Wenn eine prima facie selektive Maßnahme durch die Natur oder den inneren Aufbau des Systems gerechtfertigt ist, ist sie nicht als selektiv anzusehen und fällt daher nicht unter Artikel 107 Absatz 1 AEUV.

4.1.3.1.    Bezugssystem

(47)

Das Bezugssystem stellt den Rahmen dar, in dem die Selektivität einer Maßnahme bewertet wird.

(48)

Im vorliegenden Fall besteht das Bezugssystem aus der Anwendung einer speziellen Werbesteuer auf Umsätze, die mit Werbedienstleistungen erzielt werden, d. h. auf die volle Vergütung, die Herausgeber für die Veröffentlichung von Werbung ohne Abzug von Kosten erhalten. Nach Auffassung der Kommission können die progressiven Steuersätze der Werbesteuer nicht als Teil dieses Bezugssystems betrachtet werden.

(49)

Wie der Gerichtshof klargestellt hat (10), ist es nicht immer ausreichend, die Prüfung der Selektivität auf die Frage zu beschränken, ob eine Maßnahme vom Bezugssystem, so wie es vom Mitgliedstaat definiert wird, abweicht. Es muss auch geprüft werden, ob der Mitgliedstaat die Grenzen dieses Systems auf einheitliche Weise, oder, im Gegenteil, eindeutig willkürlich oder voreingenommen festgelegt hat, um bestimmte Unternehmen gegenüber anderen zu bevorzugen. Andernfalls könnten die Mitgliedstaaten die Beihilfevorschriften umgehen, wenn sie, statt allgemeine Regeln für alle Unternehmen festzulegen, von denen sie für manche Unternehmen eine Abweichung treffen, das gleiche Ergebnis erreichen, indem sie ihre Regeln so anpassen und kombinieren, dass alleine durch ihre Anwendung verschiedene Unternehmen eine verschiedene Steuer- und Abgabenlast tragen (11). In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Artikel 107 Absatz 1 AEUV gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nach den Gründen oder Zielen staatlicher Beihilfen unterscheidet, sondern diese nach ihren Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken beschreibt (12).

(50)

Die mit dem Gesetz eingeführte progressive Steuerstruktur scheint von Ungarn gezielt darauf ausgelegt worden zu sein, bestimmte Unternehmen gegenüber anderen zu bevorzugen. Nach der mit dem Gesetz eingeführten progressiven Steuerstruktur werden Unternehmen, die Werbung veröffentlichen, nach unterschiedlichen progressiv steigenden Steuersätzen zwischen 0 % und 50 % besteuert, je nachdem in welche Steuerstufe ihr Umsatz fällt. Infolgedessen gilt für Unternehmen, die der Werbesteuer unterliegen, je nach Höhe des Umsatzes ein unterschiedlicher Steuersatz.

(51)

Die mit dem Gesetz eingeführten progressiven Steuersätze bewirken also, dass verschiedene Unternehmen abhängig von ihrer Größe einer unterschiedlichen Besteuerung unterliegen (ausgedrückt als Anteil an ihrem insgesamt aus Werbedienstleistungen erwirtschafteten Jahresumsatz), da der von den Unternehmen erzielte Werbeumsatz in gewissem Maße mit ihrer Größe korreliert.

(52)

Da jedes Unternehmen nach einem unterschiedlichen Satz besteuert wird, ist es der Kommission nicht möglich, in der Werbesteuer einen einzelnen Referenzsteuersatz zu ermitteln. Ungarn hat keinen spezifischen Steuersatz als Referenzsatz oder „normalen“ Satz angegeben und hat nicht erklärt, warum ein höherer Steuersatz bei Unternehmen mit höherem Umsatz gerechtfertigt wäre oder aus welchem Grund für Unternehmen mit geringeren Werbeumsätzen niedrigere Steuersätze gelten sollten.

(53)

Erklärtes Ziel der Werbesteuer ist die Förderung des Grundsatzes der öffentlichen Lastenverteilung. Unter Berücksichtigung dieses Ziels ist die Kommission der Auffassung, dass sich alle der Werbesteuer unterliegenden Betreiber in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Infolgedessen sollten alle Betreiber — außer in hinreichend begründeten Fällen — gleichbehandelt werden und unabhängig von der Höhe ihres Umsatzes den gleichen Umsatzanteil zahlen. Die Kommission weist darauf hin, dass die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes auf alle Betreiber bereits zur Folge hat, dass umsatzstarke Unternehmen einen größeren Beitrag zum Staatshaushalt leisten als umsatzschwache Unternehmen. Ungarn hat kein überzeugendes Argument dafür vorgebracht, das die Unterscheidung zwischen diesen Arten von Unternehmen durch eine progressiv höhere Besteuerung von Unternehmen mit höherem Werbeumsatz rechtfertigt. Daher hat Ungarn die Werbesteuer gezielt darauf ausgelegt, bestimmte Unternehmen — nämlich solche mit niedrigerem Umsatz (und somit kleinere Unternehmen) — willkürlich zu bevorzugen und andere (d. h. größere) Unternehmen zu benachteiligen (13).

(54)

Das Bezugssystem ist daher auf eine Weise selektiv angelegt, die im Hinblick auf das Ziel der Werbesteuer, nämlich die Förderung des Grundsatzes der öffentlichen Lastenverteilung und die Einnahme von Mitteln für den Staatshaushalt, nicht gerechtfertigt ist.

(55)

Ebenso kann die Abzugsfähigkeit früherer, für körperschafts- und einkommensteuerrechtliche Zwecke vorgetragener Verluste von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014 in diesem Fall aus mindestens zwei Gründen nicht als Teil des Bezugssystems betrachtet werden. Zum einen erfolgt die Besteuerung auf Grundlage des Umsatzes und nicht des Gewinns, was bedeutet, dass Kosten normalerweise nicht von der Steuerbemessungsgrundlage einer Umsatzsteuer abzugsfähig sind. Die ungarischen Behörden konnten in diesem Fall nicht erklären, wie diese Möglichkeit des Abzugs von Kosten mit dem Ziel oder dem Charakter der Umsatzsteuer zusammenhängen könnte. Zum anderen erhalten nur Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, die Möglichkeit, den Abzug in Anspruch zu nehmen. Hierbei handelt es sich nicht um eine allgemeine Regel für Steuerabzüge; diese Möglichkeit des Steuerabzugs scheint willkürlich zu sein bzw. ist zumindest nicht ausreichend kohärent, um Bestandteil eines Bezugssystems sein zu können.

(56)

Nach Ansicht der Kommission sollte das Bezugssystem für die Besteuerung von Werbeumsätzen aus einer mit dem Beihilferecht vereinbaren Steuer auf Werbeumsätze bestehen und somit folgende Voraussetzungen erfüllen:

die Werbeumsätze unterliegen einem einzigen, einheitlichen Steuersatz;

kein anderes Element wird beibehalten bzw. eingeführt, das bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil verschaffen würde.

4.1.3.2.    Abweichung vom Bezugssystem

(57)

In einem zweiten Schritt muss geprüft werden, ob die Maßnahme zugunsten bestimmter Unternehmen, die sich im Hinblick auf das dem Bezugssystem immanente Ziel in einer ähnlichen tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, vom Bezugssystem abweicht.

(58)

Die progressive Struktur der Werbesteuersätze führt dazu, dass zwischen Unternehmen, die in Ungarn Werbung veröffentlichen, auf der Grundlage des Umfangs ihrer Werbetätigkeiten — ausgedrückt durch ihren Werbeumsatz — differenziert wird.

(59)

Aufgrund des progressiven Charakters der im Gesetz festgelegten Steuersätze werden Unternehmen, deren Umsätze in die unteren Steuerstufen fallen, wesentlich niedriger besteuert als Unternehmen, deren Umsätze in die höheren Steuerstufen fallen. Als Folge daraus gelten für umsatzschwache Unternehmen sowohl erheblich niedrigere Grenzsteuersätze als auch erheblich niedrigere Durchschnittssteuersätze als für umsatzstarke Unternehmen, mit der Konsequenz, dass umsatzschwache Unternehmen für die gleiche Geschäftstätigkeit wesentlich niedriger besteuert werden. Die Kommission stellt insbesondere fest, dass die Besteuerung von Umsätzen, die in die obersten Steuerstufen fallen (30 %, 40 %, 50 %), bei Unternehmen mit höheren Werbeumsätzen besonders hoch ist und daher eine sehr unterschiedliche Behandlung erfolgt.

(60)

Darüber hinaus geht aus den am 17. Februar 2015 von den ungarischen Behörden übermittelten Informationen über Steuervorauszahlungen hervor, dass die Steuersätze von 30 % und 40 %/50 %, die für Werbeumsätze in den zwei höchsten Steuerstufen gelten, 2014 tatsächlich nur bei einem Unternehmen anwendbar waren und dass auf dieses Unternehmen ca. 80 % der gesamten vom ungarischen Staat eingenommenen Steuervorauszahlungen entfielen. Diese Zahlen veranschaulichen die konkreten Auswirkungen der nach dem Gesetz geltenden unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen sowie den selektiven Charakter der darin festgelegten progressiven Steuersätze.

(61)

Daher ist die Kommission der Auffassung, dass die mit dem Gesetz eingeführte progressive Struktur der Steuersätze zugunsten von Unternehmen mit niedrigerem Umsatz von dem Bezugssystem abweicht, das eine Werbesteuer für alle Unternehmen vorsieht, die in Ungarn mit der Veröffentlichung von Werbung befasst sind.

(62)

Die Kommission ist ferner der Auffassung, dass die Möglichkeit für Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, frühere für körperschafts- und einkommensteuerrechtliche Zwecke vorgetragene Verluste von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014 abzuziehen, eine Abweichung vom Bezugssystem — d. h. von der allgemeinen Regel, Betreiber auf der Grundlage ihres Werbeumsatzes zu besteuern — darstellt. Die Steuer basiert auf der Besteuerung des Umsatzes und nicht des Gewinns, was bedeutet, dass Kosten normalerweise nicht von der Steuerbemessungsgrundlage einer Umsatzsteuer abzugsfähig sind.

(63)

Vor allem die Beschränkung des Abzugs von Verlusten auf Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, führt zur Differenzierung zwischen Unternehmen mit Verlustvorträgen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, auf der einen Seite und Unternehmen, die 2013 Gewinne erzielten aber Verluste aus früheren Steuerjahren hätten vortragen können, auf der anderen Seite. Zudem werden in der Bestimmung die mit der Werbesteuerschuld verrechenbaren Verluste nicht auf 2013 entstandene Verluste beschränkt; stattdessen kann ein Unternehmen, das 2013 keine Gewinne erzielt hat, auch die aus früheren Jahren vorgetragenen Verluste geltend machen. Des Weiteren vertritt die Kommission die Auffassung, dass der Abzug von Verlusten, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Werbesteuergesetzes bereits bestanden, eine Selektivität zur Folge hat, weil bestimmte Unternehmen mit erheblichen Verlustvorträgen durch die Gewährung solcher Abzüge bevorzugt werden könnten.

(64)

Nach Ansicht der Kommission differenzieren die Bestimmungen des Gesetzes, nach denen — unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen — Verlustvorträge abzugsfähig sind, zwischen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das Ziel der ungarischen Werbesteuer in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.

(65)

Die Kommission ist daher der Auffassung, dass die Maßnahmen prima facie selektiv sind.

4.1.3.3.    Rechtfertigung durch die Natur und den allgemeinen Aufbau des Steuersystems

(66)

Eine Maßnahme, die von dem Bezugssystem abweicht, ist nicht selektiv, wenn sie durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau dieses Systems gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn die selektive Behandlung in den für die Funktionsweise und Wirksamkeit des Systems notwendigen inhärenten Mechanismen begründet ist (14). Es ist Sache des Mitgliedstaats, eine entsprechende Rechtfertigung vorzulegen.

Progression der Steuersätze

(67)

Die ungarischen Behörden haben argumentiert, dass der Umsatz und die Größe eines Unternehmens Indikatoren für dessen Zahlungsfähigkeit sind und dass demzufolge ein Unternehmen mit hohem Werbeumsatz über eine größere Zahlungsfähigkeit verfügt als ein Unternehmen mit geringem Werbeumsatz. Nach Auffassung der Kommission belegen die von den ungarischen Behörden übermittelten Informationen weder, dass der Umsatz einer Unternehmensgruppe ein geeigneter Anhaltspunkt für ihre Zahlungsfähigkeit ist, noch dass die progressive Struktur der Steuer durch die Natur und den allgemeinen Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt ist.

(68)

Es ist eine natürliche Folge von Umsatzsteuern (mit einheitlichem Satz), dass Unternehmen mit höherem Umsatz entsprechend mehr Steuern zahlen. Anders als bei gewinnbezogenen Steuern (15) sollen bei Umsatzsteuern die Kosten, die bei der Generierung des Umsatzes entstehen, nicht berücksichtigt werden, und werden in der Tat nicht berücksichtigt. Da keine gegenteiligen Beweise vorliegen, kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die Höhe des generierten Umsatzes ein Indikator für die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens ist. Ungarn hat weder nachgewiesen, dass der vermeintliche Zusammenhang zwischen Umsatz und Zahlungsfähigkeit existiert, noch dass das Muster der Progression (von 0 % bis 50 % des Umsatzes) einen solchen Zusammenhang korrekt widerspiegelt.

(69)

Die Kommission ist der Auffassung, dass progressive Steuersätze bei Umsatzsteuern nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sind, d. h. wenn das spezifische Ziel einer Steuer progressive Steuersätze erforderlich macht. Progressive Steuersätze könnten beispielsweise gerechtfertigt sein, wenn sich die externen Effekte einer Tätigkeit, denen die Steuer entgegenwirken soll, ebenfalls progressiv — also überproportional — mit dem durch die Aktivität erzielten Umsatz erhöhen. Ungarn hat jedoch keine Rechtfertigung für die progressive Struktur der Steuer aufgrund möglicher externer Effekte von Werbeaktivitäten angeführt.

Abzug vorgetragener Verluste

(70)

Der Abzug vorgetragener Verluste für Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, lässt sich nicht als Maßnahme gegen Steuervermeidung und die Umgehung der Steuerpflicht rechtfertigen. Durch die Maßnahme wird eine willkürliche Unterscheidung zwischen zwei Gruppen von Unternehmen eingeführt, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Da die Unterscheidung willkürlich ist und nicht dem Charakter einer umsatzbezogenen Steuer im Sinne der Erwägungsgründe 62 und 63 entspricht, kann sie nicht als einheitliche Regel zur Missbrauchsbekämpfung betrachtet werden, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde.

Schlussfolgerung zur Rechtfertigung

(71)

Aus den dargelegten Gründen gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass die Zahlungsfähigkeit nicht als Leitprinzip für die ungarische Umsatzsteuer auf Werbung dienen kann. Die Kommission ist dementsprechend nicht der Auffassung, dass die Maßnahme durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Bezugssystems gerechtfertigt ist. Daher verschaffen diese Maßnahmen Werbeunternehmen mit niedrigerem Umsatz (und somit kleineren Unternehmen) und Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben und Verlustvorträge von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014 abziehen konnten, einen selektiven Vorteil.

4.1.4.   MÖGLICHE VERFÄLSCHUNG DES WETTBEWERBS UND BEEINTRÄCHTIGUNG DES HANDELS INNERHALB DER UNION

(72)

Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags besagt, dass eine Maßnahme dann als staatliche Beihilfe anzusehen ist, wenn sie den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und den Handel innerhalb der Union beeinträchtigt.

(73)

Die Maßnahmen gelten für alle Unternehmen, die mit der Veröffentlichung von Werbung in Ungarn Umsätze erwirtschaften. Der ungarische Werbemarkt ist für den Wettbewerb geöffnet und durch die Präsenz von Marktteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten gekennzeichnet, sodass Beihilfen zugunsten bestimmter Werbeunternehmen den Handel innerhalb der Union beeinträchtigen können. Die Maßnahmen beeinflussen die Wettbewerbssituation der Unternehmen, die der Werbesteuer unterliegen. Umsatzschwächere Unternehmen sowie Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, werden von einer Steuer befreit, die sie hätten zahlen müssen, wenn sie derselben Werbesteuer unterlegen hätten wie Unternehmen mit höherem Umsatz und/oder Unternehmen, die 2013 einen Gewinn erzielt haben. Daher stellt die im Rahmen der in Rede stehenden Maßnahmen gewährte Beihilfe eine Betriebsbeihilfe dar, da sie die Unternehmen von Kosten befreit, die sie normalerweise im Zusammenhang mit ihrem Tagesgeschäft oder ihren üblichen Tätigkeiten hätten tragen müssen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs verfälschen Betriebsbeihilfen den Wettbewerb (16), sodass bei jeder Beihilfe, die diesen Unternehmen gewährt wird, davon auszugehen ist, dass sie den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, da sie die finanzielle Lage der Unternehmen auf dem ungarischen Werbemarkt stärkt. Folglich verfälschen diese Maßnahmen den Wettbewerb oder drohen ihn zu verfälschen und beeinträchtigen den Handel innerhalb der Union.

4.1.5.   SCHLUSSFOLGERUNG

(74)

Da alle Voraussetzungen des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllt sind, kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die in der Werbesteuer vorgesehene progressive Struktur der Steuersätze sowie der Abzug vorgetragener Verluste von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014, die auf Unternehmen beschränkt ist, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, staatliche Beihilfen im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

4.2.   VEREINBARKEIT DER BEIHILFE MIT DEM BINNENMARKT

(75)

Eine staatliche Beihilfe ist als mit dem Binnenmarkt vereinbar zu betrachten, wenn sie in eine der in Artikel 107 Absatz 2 AEUV (17) angeführten Kategorien fällt; sie kann als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden, wenn die Kommission feststellt, dass sie in eine der in Artikel 107 Absatz 3 AEUV (18) genannten Kategorien fällt. Jedoch trägt der Mitgliedstaat, der die staatliche Beihilfe gewährt, die Beweislast dafür, dass die von ihm gewährte staatliche Beihilfe nach Artikel 107 Absätze 2 oder 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar ist (19).

(76)

Die Kommission stellt fest, dass die ungarischen Behörden keine Argumente als Begründung dafür vorgebracht haben, dass die Maßnahmen mit dem Binnenmarkt vereinbar wären, und dass Ungarn zu den im Einleitungsbeschluss dargelegten Zweifeln hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme nicht Stellung genommen hat. Die Kommission ist der Auffassung, dass keine der in den vorstehenden Vertragsbestimmungen enthaltenen Ausnahmen zum Tragen kommt, da die Maßnahmen auf keines der in diesen Bestimmungen aufgeführten Ziele ausgerichtet zu sein scheinen.

(77)

Daher können die Maßnahmen nicht für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden.

4.3.   AUSWIRKUNG DER 2015 ERFOLGTEN ÄNDERUNG DER WERBESTEUER AUF DIE BEIHILFERECHTLICHE WÜRDIGUNG

(78)

Die mit dem Gesetz XXII 2014 eingeführte und im Einleitungsbeschluss beschriebene Werbesteuer trat ab dem Datum des Beschlusses der Kommission zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens und zum Erlass einer Aussetzungsanordnung außer Kraft. Die Werbesteuer 2014 wurde jedoch im Juni 2015 von den ungarischen Behörden ohne vorherige Unterrichtung der und/oder Genehmigung durch die Kommission geändert, sodass die Steuer in der geänderten Fassung weiterhin anwendbar war. Die Kommission ist der Auffassung, dass die geänderte Fassung der Werbesteuer auf denselben Grundsätzen beruht wie die ursprüngliche Steuer und dass sie — zumindest in gewissem Umfang — dieselben im Einleitungsbeschluss dargelegten Merkmale aufweist, die die Kommission zur Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens veranlasst hatten. Infolgedessen fällt die geänderte Fassung der Werbesteuer nach Auffassung der Kommission in den Anwendungsbereich des Einleitungsbeschlusses. In diesem Abschnitt prüft die Kommission, ob bzw. inwieweit die im Einleitungsbeschluss geäußerten Zweifel bezüglich der ursprünglichen Werbesteuer durch die geänderte Fassung der Steuer ausgeräumt werden.

(79)

Die 2015 eingeführte Änderung trägt zwar einigen der Bedenken Rechnung, die die Kommission im Rahmen des Einleitungsbeschlusses vorgebracht hatte, doch werden nicht alle in vollem Umfang berücksichtigt.

(80)

Erstens sieht die neue Struktur der Steuersätze weiterhin eine Ausnahme für Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen mit einem Umsatz von weniger als 100 Mio. HUF, entsprechend ca. 325 000 EUR, vor (es gilt ein Steuersatz von 0 %), während andere Unternehmen 5,3 % auf den über 100 Mio. HUF liegenden Teil ihres Umsatzes zahlen sollen. In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen mit einem über dem Schwellenwert liegenden Werbeumsatz weiterhin progressiv besteuert werden.

(81)

Der neue Schwellenwert, unter dem ein Steuersatz von 0 % gilt (100 Mio. HUF), ist niedriger angesetzt als der, unter dem nach den alten Rechtsvorschriften der Steuersatz von 0 % galt (500 Mio. HUF). Dennoch führt die Regelung zur Nichterhebung von Steuern in Höhe von etwa 17 000 EUR pro Jahr (5,3 % × 325 000 EUR).

(82)

Die Kommission gab Ungarn Gelegenheit, die Anwendung eines Steuersatzes von 0 % auf Werbeumsätze unter 100 Mio. HUF durch die Logik des Steuersystems (z. B. den Verwaltungsaufwand) zu rechtfertigen. Ungarn hat jedoch keine Argumente dafür vorgebracht, die zeigen, dass die Kosten der Steuererhebung (Verwaltungsaufwand) die Höhe der Steuereinnahmen (bis zu rund 17 000 EUR pro Steuerjahr) übersteigen würden.

(83)

Zweitens wird durch die Änderung eine optionale rückwirkende Anwendung zum Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2014 eingeführt: Für die Vergangenheit können die Steuerpflichtigen wählen, ob sie das neue oder das alte System anwenden möchten.

(84)

Dies führt in der Praxis dazu, dass Unternehmen, die zuvor dem Steuersatz von 0 % bzw. 1 % unterlagen, nicht rückwirkend mit 5,3 % besteuert werden, da es unwahrscheinlich ist, dass sie sich für die Entrichtung höherer Steuern entscheiden. Die optionale Rückwirkung der geänderten Steuer ermöglicht es daher den Unternehmen, die nach dem neuen System fällige Steuerzahlung zu umgehen, und verschafft Unternehmen, die sich gegen die Anwendung des Steuersatzes von 5,3 % entscheiden, einen wirtschaftlichen Vorteil.

(85)

Drittens bleibt der Abzug von Verlustvorträgen von der Steuerbemessungsgrundlage für 2014, die auf Unternehmen beschränkt ist, die 2013 keinen Gewinn erwirtschaftet haben, unverändert. Den im Einleitungsbeschluss geäußerten beihilferechtlichen Bedenken wird in der geänderten Regelung also nicht Rechnung getragen, sie bleiben weiterhin bestehen.

(86)

Demzufolge ist die Kommission der Auffassung, dass den im Einleitungsbeschluss geäußerten Bedenken zum Werbesteuergesetz 2014 durch die 2015 eingeführten Änderungen des Werbesteuergesetzes nur teilweise Rechnung getragen wird. Das geänderte Gesetz weist dieselben Elemente auf, die die Kommission schon im Zusammenhang mit der vorherigen Regelung als staatliche Beihilfe gewertet hatte. Obwohl die Zahl der anwendbaren Steuersätze und Steuerstufen von sechs auf zwei reduziert wurde und der Höchststeuersatz von 50 % auf 5,3 % deutlich herabgesetzt wurde, ist die Steuer noch immer progressiv; die progressive Struktur ist nach wie vor nicht gerechtfertigt und der Abzug vorgetragener Verluste gilt weiterhin. Diese Bewertung gilt sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit, d. h. ab Inkrafttreten des geänderten Gesetzes am 5. Juli 2015 und möglicherweise rückwirkend zum Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2014.

(87)

Daher haben die 2015 eingeführten Änderungen der Werbesteuer keine Auswirkung auf die Schlussfolgerung der Kommission, dass die Werbesteuer weiterhin eine rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

4.4.   RÜCKFORDERUNG VON BEIHILFEN

(88)

Wie in Erwägungsgrund 78 erklärt, ist die Kommission der Auffassung, dass der Einleitungsbeschluss auch für die geänderte Regelung gilt. Daher betrifft dieser Beschluss das Werbesteuergesetz in der zum Zeitpunkt des Einleitungsbeschlusses (d. h. am 12. März 2015) geltenden Fassung sowie seine Änderungen vom 5. Juni 2015.

(89)

Die Kommission wurde weder über die Maßnahmen in Kenntnis gesetzt, noch hat sie die Maßnahmen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt. Die in Rede stehenden Maßnahmen stellen staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV und neue Beihilfen im Sinne des Artikels 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2015/1589 dar. Da die in Rede stehenden Maßnahmen unter Verstoß gegen das in Artikel 108 Absatz 3 AEUV vorgesehene Durchführungsverbot in Kraft getreten sind, stellen sie zudem rechtswidrige Beihilfen im Sinne des Artikels 1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2015/1589 dar.

(90)

Aus der Feststellung, dass die Maßnahmen rechtswidrige und nicht mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilfe darstellen, folgt, dass die Beihilfen von ihren Empfängern gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) 2015/1589 zurückzufordern sind.

(91)

In Bezug auf die progressive Struktur des Steuersatzes bedeutet die Rückforderung der Beihilfen, dass Ungarn alle Unternehmen gleichbehandeln muss, als wären sie nach einem einheitlichen festen Steuersatz besteuert worden. Die Kommission geht standardmäßig davon aus, dass der einheitliche feste Satz bei 5,3 % liegt, d. h. bei dem Satz, den Ungarn in der geänderten Fassung des Steuergesetzes festgelegt hat, sofern Ungarn nicht beschließt, innerhalb von zwei Monaten ab dem Datum des Erlasses dieses Beschlusses einen anderen einheitlichen Steuersatz festzulegen, der während des gesamten Anwendungszeitraums der Werbesteuer rückwirkend für alle Unternehmen gilt, oder die Werbesteuer rückwirkend ab dem Datum ihres Inkrafttretens aufzuheben.

(92)

In Bezug auf die aufgrund des Abzugs vorgetragener Verluste gewährten Beihilfen für Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erzielt haben, muss Ungarn den Differenzbetrag zwischen der Steuerschuld, die sich aus der Anwendung des festen Steuersatzes auf den gesamten Werbeumsatz der von der Werbesteuer betroffenen Unternehmen ohne Abzug von Verlusten ergibt, und den tatsächlich gezahlten Steuern zurückfordern. Dieser Differenzbetrag entspricht der Steuer, die nach dem Abzug vermieden wurde.

(93)

Wie in Erwägungsgrund 56 dargelegt, wäre das Bezugssystem für die Besteuerung von Werbeumsätzen folgendermaßen aufgebaut:

Sämtliche Werbeumsätze unterliegen der Steuer (keine Wahlmöglichkeit), ohne Abzug vorgetragener Verluste;

die Werbeumsätze unterliegen demselben (einheitlichen) Steuersatz; dieser einheitliche Steuersatz beträgt standardmäßig 5,3 %;

kein anderes Element wird beibehalten bzw. eingeführt, das bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil verschaffen würde.

(94)

Hinsichtlich der Rückforderung bedeutet dies, dass für den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der Werbesteuer im Jahr 2014 und dem Datum ihrer Aufhebung bzw. ihrem Ersatz durch eine beihilferechtlich einwandfreie Regelung die von Unternehmen mit Werbeumsätzen erhaltenen Beihilfebeträge als Differenz zwischen folgenden Beträgen berechnet werden sollten:

auf der einen Seite dem Steuerbetrag (1), den das Unternehmen bei Anwendung des mit dem Beihilferecht übereinstimmenden Bezugssystems (mit einem einheitlichen Steuersatz von standardmäßig 5,3 % auf den gesamten Werbeumsatz ohne Abzug vorgetragener Verluste) hätte zahlen müssen;

auf der anderen Seite dem Steuerbetrag (2), den das Unternehmen zu zahlen verpflichtet war oder bereits gezahlt hatte.

(95)

Wenn die Differenz zwischen Steuerbetrag (1) und Steuerbetrag (2) positiv ist, sollte der Beihilfebetrag einschließlich Zinsen ab Fälligkeit der Steuer zurückgefordert werden.

(96)

Eine Rückforderung wäre nicht erforderlich, wenn Ungarn das Steuersystem rückwirkend zum Datum des Inkrafttretens der Werbesteuer im Jahr 2014 aufhebt. Dies würde Ungarn nicht daran hindern, für die Zukunft (z. B. ab 2017) ein Steuersystem ohne Progression, bei dem nicht zwischen den besteuerten Wirtschaftsakteuren unterschieden wird, einzuführen.

5.   SCHLUSSFOLGERUNG

(97)

Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass Ungarn die in Rede stehende Beihilfe unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV rechtswidrig gewährt hat.

(98)

Ungarn muss die rechtswidrige Beihilferegelung entweder abschaffen oder durch eine neue Regelung ersetzen, die mit dem Beihilferecht übereinstimmt.

(99)

Ungarn muss die Beihilfen zurückfordern.

(100)

Die Kommission stellt jedoch fest, dass der Steuervorteil (d. h. die Steuerersparnis), der aus der Anwendung des Schwellenwerts von 100 Mio. HUF resultiert, möglicherweise mit der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission (20) (im Folgenden „De-minimis-Verordnung“) übereinstimmt. Der Höchstbetrag, den eine Unternehmensgruppe in einem Zeitraum von drei Jahren erhalten darf, liegt — unter Berücksichtigung aller De-minimis-Beihilfen — bei 200 000 EUR. Um den De-minimis-Vorschriften zu entsprechen, sollten alle anderen in der De-minimis-Verordnung festgelegten Bedingungen erfüllt sein. Falls der mit der Befreiung verbundene Vorteil mit den De-minimis-Vorschriften übereinstimmt, wird er nicht als rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe eingestuft und nicht zurückgefordert.

(101)

Dieser Beschluss wird unbeschadet möglicher Untersuchungen über die Vereinbarkeit der Maßnahmen mit den im Vertrag festgelegten Grundfreiheiten, insbesondere mit der nach Artikel 49 des Vertrags garantierten Niederlassungsfreiheit, erlassen —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Die staatlichen Beihilfen, die Ungarn im Rahmen des ungarischen Werbesteuergesetzes, auch nach dessen Änderung vom 5. Juni 2015, durch die Anwendung einer Umsatzsteuer mit progressiven Steuersätzen sowie die Möglichkeit, dass Unternehmen, die 2013 keinen Gewinn erzielt haben, vorgetragene Verluste von ihrer Steuerbemessungsgrundlage für 2014 abziehen, unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union rechtswidrig gewährt hat, sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

Artikel 2

Einzelbeihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt werden, stellen keine Beihilfen dar, sofern sie zum Zeitpunkt ihrer Gewährung die Voraussetzungen erfüllen, die in einer nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rates (21) oder Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates (22) erlassenen und zum Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfen geltenden Verordnung vorgesehen sind.

Artikel 3

Einzelbeihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt werden und zum Zeitpunkt ihrer Gewährung die Voraussetzungen erfüllen, die in einer nach Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 994/98, aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EU) 2015/1588, erlassenen Verordnung oder in einer anderen genehmigten Beihilferegelung vorgesehen sind, sind bis zu den für diese Art von Beihilfen geltenden Beihilfehöchstintensitäten mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Artikel 4

(1)   Ungarn fordert die mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, wie in den Erwägungsgründen 88 bis 95 dargelegt, von den Empfängern zurück.

(2)   Der Rückforderungsbetrag umfasst Zinsen, die von dem Tag, an dem die Beihilfen dem Empfänger zur Verfügung gestellt wurden, bis zur tatsächlichen Rückzahlung berechnet werden.

(3)   Die Zinsen werden nach Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission (23) und nach der Verordnung (EG) Nr. 271/2008 (24) zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 anhand der Zinseszinsformel berechnet.

(4)   Ungarn stellt mit dem Tag des Erlasses dieses Beschlusses alle Zahlungen für die Beihilfen ein, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden.

Artikel 5

(1)   Die Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, werden sofort in wirksamer Weise zurückgefordert.

(2)   Ungarn stellt sicher, dass dieser Beschluss innerhalb von vier Monaten nach seiner Bekanntgabe umgesetzt wird.

Artikel 6

(1)   Ungarn übermittelt der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses die folgenden Informationen:

a)

Liste der Empfänger, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung Beihilfen erhalten haben, sowie Gesamtbetrag der Beihilfen, die jeder von ihnen auf der Grundlage dieser Regelung erhalten hat;

b)

Gesamtbetrag (Nennbetrag und Zinsen), der von jedem Empfänger zurückzufordern ist;

c)

ausführliche Beschreibung der Maßnahmen, die getroffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss nachzukommen;

d)

Unterlagen, die belegen, dass Rückzahlungsanordnungen an die Empfänger ergangen sind.

(2)   Ungarn unterrichtet die Kommission über den Fortgang seiner Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses, bis die Rückzahlung der Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, abgeschlossen ist. Auf Anfrage der Kommission legt Ungarn unverzüglich Informationen über die Maßnahmen vor, die getroffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss nachzukommen. Ferner übermittelt Ungarn ausführliche Angaben über die Beihilfebeträge und die Zinsen, die von den Empfängern bereits zurückgezahlt wurden.

Artikel 7

Dieser Beschluss ist an Ungarn gerichtet.

Brüssel, den 4. November 2016

Für die Kommission

Margrethe VESTAGER

Mitglied der Kommission


(1)  ABl. C 136 vom 24.4.2015, S. 7.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 83 vom 27.3.1999, S. 1), aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. L 248 vom 24.9.2015, S. 9).

(3)  Vgl. Fußnote 1.

(4)  Urteil Frankreich/Ladbroke Racing Ltd und Kommission, C-83/98 P, ECLI:EU:C:2000:248 und ECLI:EU:C:1999:577, Rn. 48 bis 51. Gleichermaßen kann eine Maßnahme, mit der bestimmten Unternehmen eine Steuerreduzierung oder die Aufschiebung einer normalerweise fälligen Zahlung gewährt wird, eine staatliche Beihilfe darstellen (vgl. Urteil Paint Graphos u. a., C-78/08 bis C-80/08, Rn. 46).

(5)  Urteil Adria-Wien Pipeline, C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598, Rn. 38.

(6)  Vgl. Urteil Italien/Kommission, C-66/02, ECLI:EU:C:2005:768, Rn. 78; Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u. a., C-222/04, ECLI:EU:C:2006:8, Rn. 132; Urteil Ministerio de Defensa und Navantia, C-522/13, ECLI:EU:C:2014:2262, Rn. 21 bis 31. Vgl. Randnummer 9 der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung (ABl. C 384 vom 10.12.1998, S. 3).

(7)  Urteil Air Liquide Industries Belgium, C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403 und ECLI:EU:C:2006:216, Rn. 30 sowie Urteil Banco Exterior de España, C-387/92, ECLI:EU:C:1994:100, Rn. 14.

(8)  Vgl. z. B. Urteil Kommission/Niederlande (NOx), C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551; Urteil Adria-Wien Pipeline, C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598, Urteil Paint Graphos u. a., C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550 und ECLI:EU:C:2010:411, Urteil GIL Insurance, C-308/01, ECLI:EU:C:2004:252 und ECLI:EU:C:2003:481.

(9)  Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung.

(10)  Urteil Kommission und Spanien/Regierung von Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732.

(11)  Ebd., Rn. 92.

(12)  Urteil British Aggregates/Kommission, C-487/06, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 und die dort angeführte Rechtsprechung und Urteil Kommission/Niederlande (NOx), C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51.

(13)  Urteil Kommission und Spanien/Regierung von Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732.

(14)  Vgl. zum Beispiel Urteil Paint Graphos u. a., C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550 und EU:C:2010:411, Rn. 69.

(15)  Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, Rn. 24). Die Feststellung zur Umverteilungslogik, die eine progressive Besteuerung rechtfertigen kann, wird explizit nur für die Besteuerung von Gewinnen oder (Netto-)Einkommen formuliert, nicht aber für die Besteuerung von Umsätzen.

(16)  Urteil Heiser, C-172/03, ECLI:EU:C:2005:130, Rn. 55. Vgl. auch Urteil Kommission/Italien und Wam, C-494/06 P, ECLI:EU:C:2009:272, Rn. 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung und Urteil Rousse Industry/Kommission, C-271/13 P, ECLI:EU:C:2014:175, Rn. 44. Urteil Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, ECLI:EU:C:2011:368, Rn. 136. Vgl. auch Urteil Deutschland/Kommission, C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.

(17)  Die in Artikel 107 Absatz 2 AEUV genannten Ausnahmen betreffen: a) Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher; b) Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind; c) Beihilfe zugunsten bestimmter Gebiete der Bundesrepublik Deutschland.

(18)  Die in Artikel 107 Absatz 3 AEUV genannten Ausnahmen betreffen: a) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung bestimmter Gebiete; b) Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats; c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete; d) Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes; e) durch einen Beschluss des Rates bestimmte Beihilfen.

(19)  Urteil Olympiaki Aeroporia Ypiresies/Kommission, T-68/03, ECLI:EU:T:2007:253, Rn. 34.

(20)  Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen (ABl. L 352 vom 24.12.2013, S. 1).

(21)  Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rates vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (ABl. L 142 vom 14.5.1998, S. 1).

(22)  Verordnung (EG) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (ABl. L 248 vom 24.9.2015, S. 1).

(23)  Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. L 140 vom 30.4.2004, S. 1).

(24)  Verordnung (EG) Nr. 271/2008 der Kommission vom 30. Januar 2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 82 vom 25.3.2008, S. 1).