28.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 196/21


BESCHLUSS DER KOMMISSION

vom 27. Juli 2011

über Sicherheitsanforderungen, denen europäische Normen gemäß der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates genügen müssen, um bestimmten Risiken, die von inneren Abschlüssen, Fensterabdeckungen mit Schnüren und Sicherheitseinrichtungen ausgehen, zu begegnen

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2011/477/EU)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (1), insbesondere auf Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2001/95/EG gilt ein Produkt als sicher, wenn es den nicht bindenden nationalen Normen entspricht, die europäische Normen umsetzen, für die Verweise im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden.

(2)

Diese europäischen Normen sind von europäischen Normungsgremien auf Grundlage spezieller, von der Kommission festgelegter Sicherheitsanforderungen aufzustellen.

(3)

In vielen Wohnhäusern gibt es Abschlüsse und andere Fensterabdeckungen mit Schnüren, mit deren Hilfe sie hinauf- oder hinuntergelassen werden (Bedienschnur) oder die ihre verschiedenen Bestandteile verbinden (Innenschnur). Diese Schnüre stellen für Kinder eine Strangulationsgefahr dar, da sich Schlingen bilden können, in denen sich Kinder beim Spielen in der Nähe des Fensters verwickeln können. Außerdem können Kinder auf Fensterbänke oder Möbel klettern, um an die Schnüre zu gelangen. Zu Unfällen kann es auch kommen, wenn Betten oder Kinderbetten in der Nähe von Fenstern stehen, wo die Schnüre in Reichweite von Kindern sind.

(4)

Im Jahr 1998 wurden gemäß einer Krankenhauserhebung in den 15 Mitgliedstaaten der EU 129 Kinder aufgrund einer Verletzung im Zusammenhang mit einer Schlinge eines Fensterabschlusses oder einer Vorhangschnur behandelt (2). Im Vereinigten Königreich sterben jedes Jahr schätzungsweise ein oder zwei Kinder, die sich in den Schnüren eines Abschlusses verwickelt haben. In jüngerer Zeit hat die Kommission Kenntnis von zehn Unfällen erhalten, bei denen zwischen 2008 und 2010 in Irland, Finnland, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und der Türkei Kinder im Alter zwischen 15 und 36 Monaten ums Leben kamen. In den Vereinigten Staaten wurden seit 1999 im Zusammenhang mit Fensterabdeckungen mit Schnüren 119 Todesfälle und 111 Beinahe-Todesfälle verzeichnet. In Kanada werden seit 1986 auf das gleiche Produkt 28 Todesfälle und 23 Beinahe-Todesfälle zurückgeführt. In Australien erdrosselten sich seit 2000 mindestens 10 Kinder bei Unfällen mit Schnüren von Abschlüssen (3). Diese Zahlen spiegeln jedoch nur einen Teil des Problems wider, da viele derartige Unfälle nicht gemeldet werden (4).

(5)

Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten tödlichen Unfälle im Zusammenhang mit Schnüren von Abschlüssen in Schlafzimmern passieren und die betroffenen Kinder zwischen 16 und 36 Monate alt sind. Mehr als die Hälfte dieser Unfälle passieren Kindern im Alter von etwa 23 Monaten. Die Kinder sind in diesem Alter zwar vollständig mobil, können sich jedoch kaum selbst befreien, wenn sie sich in den Schnüren verwickelt haben, da ihr Kopf im Verhältnis zu ihrem Körper immer noch schwerer ist, als dies bei Erwachsenen der Fall ist, und ihre Muskelsteuerung noch nicht voll entwickelt ist. Außerdem ist ihre Luftröhre noch kleiner und weniger fest als bei Erwachsenen oder größeren Kindern, weil sie noch nicht voll entwickelt ist; daher ersticken sie schneller, wenn ihr Hals eingeschnürt wird (5).

(6)

Die Europäische Norm EN 13120:2009 enthält Leistungs- und Sicherheitsanforderungen für innere Abschlüsse. Einige Abschlussmodelle, die mit Unfällen in Zusammenhang gebracht wurden, sind jedoch im Anwendungsbereich dieser Norm nicht enthalten.

(7)

Die Europäische Norm EN 13120:2009 gilt sowohl für manuell betätigte als auch für motorbetätigte innere Abschlüsse; letztere sind durch die Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen (6) abgedeckt. Diese Richtlinie umfasst jedoch nicht die Kindersicherheit in Bezug auf das spezielle Risiko der Strangulation und gilt nicht für manuell betätigte Abschlüsse mit Schnüren.

(8)

Durch Motorantrieb können die von den Bedienschnüren, jedoch nicht die von Innenschnüren ausgehenden Risiken ausgeschlossen werden.

(9)

Andere Fensterabdeckungen mit gefährlichen freiliegenden Schnüren stellen ein ähnliches Risiko für Kinder dar.

(10)

In Berichten über Unfälle im Zusammenhang mit Schnüren wird als Todesursache Erstickung angegeben. Die geltenden europäischen Normen für Fensterabdeckungen und Abschlüsse enthalten keine Anforderungen, um diesem Risiko zu begegnen.

(11)

Um das Risiko der unsachgemäßen Montage oder der Nichtmontage auszuschließen, sollten die Hersteller die Konstruktion der Sicherheitseinrichtungen oder der Fensterabdeckungen verbessern, damit das Produkt nur betätigt werden kann, wenn die Sicherheitseinrichtungen ordnungsgemäß montiert sind.

(12)

Daher müssen Sicherheitsanforderungen festgelegt werden, damit innere Abschlüsse und andere Fensterabdeckungen mit Schnüren eigensicher für Kinder sind und somit das Risiko einer Strangulation und Erstickung durch zugängliche Schnüre und Kleinteile ausgeschlossen wird.

(13)

Zusätzlich zu Anforderungen an die sichere Bedienung von Fensterabdeckungen mit Schnüren und Abschlüssen müssen auch Anforderungen und Informationen zur Produktsicherheit für die Sicherheitseinrichtungen erarbeitet werden.

(14)

Die in diesem Beschluss vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des gemäß Artikel 15 der Richtlinie 2001/95/EG eingesetzten Ausschusses, und weder das Europäische Parlament noch der Rat haben ihnen widersprochen —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Für die Zwecke dieses Beschlusses gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)   „innerer Abschluss“: ein Fensterabdeckprodukt, das irgendwo in einem Gebäude an der Innenfläche befestigt ist;

b)   „Fensterabdeckung mit Schnüren“: ein anderes Produkt zur Abdeckung eines Fensters als ein innerer Abschluss, das freiliegende Schnüre besitzt. Fensterabdeckungen können außerhalb des Fensters oder zwischen zwei Fensterscheiben oder vor einem Fenster angebracht sein;

c)   „gefährliche Schlinge“: eine Schlinge einer freiliegenden Schnur, Kette o. Ä., mit oder ohne Behang, die groß genug ist, um über den Kopf oder um den Hals eines Kleinkinds zu passen und ein Strangulationsrisiko zu bewirken;

d)   „Sicherheitseinrichtung“: eine Einrichtung oder eine Konstruktion, die ein Kleinkind vor einem Strangulationsrisiko schützt, indem sie beispielsweise die Bildung einer gefährlichen Schlinge in der Schnur oder Kette verhindert, die gefährliche Schlinge bricht, eine Schnur oder eine Kette freigibt, wenn sich eine gefährliche Schlinge bildet oder wenn die Schnur oder eine Kette belastet wird, und somit die Schnur oder Kette für Kinder unzugänglich macht und verhindert, dass sich die Schnüre verwickeln;

e)   „zugängliche Schnur/Schnüre, Kette(n), Kugelkette(n) o. Ä.“: eine Schnur/Schnüre, Kette(n), Kugelkette(n) o. Ä., die von der Vorder- oder Rückseite oder von der Seite des Abschlusses oder der Fensterabdeckung zugänglich ist/sind und die ein Kleinkind erreichen und herausziehen kann, wodurch ein Strangulationsrisiko entsteht. Die Höhe gilt nicht als Einschränkung der Zugänglichkeit.

Artikel 2

Die Sicherheitsanforderungen für innere Abschlüsse, Fensterabdeckungen mit Schnüren und Sicherheitseinrichtungen, denen Europäische Normen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2001/95/EG genügen müssen, sind im Anhang dargelegt.

Artikel 3

Dieser Beschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Brüssel, den 27. Juli 2011

Für die Kommission

Der Präsident

José Manuel BARROSO


(1)  ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4.

(2)  http://ec.europa.eu/consumers/reports/rights_child_safety_prod.pdf.

(3)  http://www.ocba.sa.gov.au/productsafety/warning/blindcords.html.

(4)  http://www.cpsc.gov/CPSCPUB/PREREL/PRHTML97/97136.html.

(5)  http://www.rospa.com/about/currentcampaigns/blindcords/.

(6)  ABl. L 157 vom 9.6.2006, S. 24.


ANHANG

Sicherheitsanforderungen an innere Abschlüsse, Fensterabdeckungen mit Schnüren und Sicherheitseinrichtungen

1.   ANWENDUNGSBEREICH

Die nachfolgend ausgeführten Sicherheitsanforderungen gelten für alle inneren Abschlüsse und Fensterabdeckungen mit Schnüren unabhängig von deren Konstruktion und der Art der verwendeten Werkstoffe, wie etwa für:

Jalousien/Raffstores;

Rollos;

Vertikaljalousien;

Faltstores und Faltstores mit Wabentextil;

Raffrollos;

Girlanden;

Flächenvorhang;

Innenklappläden;

Roll-up-Jalousien.

Diese Anforderungen gelten ebenfalls für Vorhänge, Insektenschutzgitter und Abschlüsse in geschlossenen Verglasungen, die mit zugänglichen Schnüren, Ketten und Kugelketten o. Ä. betätigt werden, welche eine gefährliche Schlinge bilden.

Diese Sicherheitsanforderungen gelten für Kinder („Kleinkinder“) im Alter von 0 bis mindestens 42 Monaten.

2.   ANFORDERUNGEN

Entscheidend bei der Festlegung von Leistungsanforderungen für innere Abschlüsse und Fensterabdeckungen mit Schnüren ist die Berücksichtigung ihrer vernünftigerweise vorhersehbaren Nutzungsbedingungen und der möglichen Gefahren, die von zugänglichen Schnüren, Ketten, Kugelketten o. Ä. für Kinder ausgehen können.

Zur Verringerung des Risikos der Strangulation und Erstickung müssen innere Fensterabschlüsse (und Fensterabdeckungen mit Schnüren) eigensicher konstruiert sein. Jedes nach dem Stand der Technik mögliche Mittel ist für die sichere Konstruktion des Produkts zu berücksichtigen, wenn dieses in allen vernünftigerweise vorhersehbaren Umgebungen, zu denen Kleinkinder Zugang haben oder in denen sie wahrscheinlich anwesend sind, wie etwa Wohnungen, Wohnhäuser, Hotels, Krankenhäuser, Kirchen, Geschäfte, Schulen, Kindertagesstätten und öffentlich zugängliche Orte im Allgemeinen, verwendet wird. Diese Anforderungen gelten ebenfalls für Abschlüsse und Fensterabdeckungen, die in Büros oder an einem anderen Ort eingebaut werden sollen, dessen ursprüngliche Nutzung geändert wird und in dem Kleinkinder wahrscheinlich anwesend sind.

Innere Abschlüsse und Fensterabdeckungen mit Schnüren, die zugängliche Schnüre, Ketten, Kugelketten o. Ä. besitzen, müssen den folgenden Mindestanforderungen genügen:

1.

Schnüre, Ketten, Kugelketten u. Ä. dürfen keine gefährliche Schlinge bilden.

2.

Schließt die Gestaltung des Produkts das Risiko, dass sich eine gefährliche Schlinge bildet, nicht aus, sind Sicherheitseinrichtungen in das Produkt einzubauen, die das Risiko der Strangulation auf ein Minimum beschränken.

3.

Sicherheitseinrichtungen müssen als Bestandteil des Produkts geliefert werden.

4.

Sicherheitseinrichtungen, die nicht Bestandteil des Produkts sind (wie etwa Klampen), müssen an den Bedienschnüren oder -ketten oder Kugelketten des Abschlusses bzw. der Fensterabdeckung vorinstalliert sein. Zusätzlich ist an der Sicherheitseinrichtung gut sichtbar ein Warnhinweis anzubringen, der mindestens folgenden Inhalt vermittelt: „Kinder können sich erdrosseln, wenn die Einrichtung nicht installiert ist. Lesen Sie die Anweisungen aufmerksam und installieren sie die Einrichtung entsprechend. Verwenden Sie diese Einrichtung immer, um Schnüre oder Ketten außer Reichweite von Kindern zu halten“.

5.

Sofern die Sicherheitseinrichtung(en) vorhanden ist/sind, darf sie/dürfen sie nicht von Kleinkindern betätigt werden können. Darüber hinaus darf die Sicherheitseinrichtung/dürfen die Sicherheitseinrichtungen kein Risiko körperlicher Verletzungen für Kinder bergen, etwa durch scharfe Kanten, Einklemmen von Fingern oder vorstehende Teile. Die Sicherheitseinrichtungen müssen außerdem Haltbarkeits- und Ermüdungstests (Verschleiß) bestehen und alterungsbeständig bei Bewitterung sein. Von der Sicherheitseinrichtung dürfen sich keine Kleinteile ablösen, die zur Erstickung des Kindes führen könnten.

6.

Von Schnüren, Ketten, Kugelketten u. Ä. dürfen sich keine Kleinteile ablösen, die zur Erstickung des Kindes führen könnten.

3.   INFORMATIONEN ZUR PRODUKTSICHERHEIT

In der Verkaufsstelle, auf der Verpackung, auf dem Produkt und in der Gebrauchsanweisung sind unmissverständliche und deutlich erkennbare Warnhinweise anzubringen. Die Warnhinweise müssen mindestens zum Ausdruck bringen:

„Durch Schlingen in Zugschnüren, Ketten und Bändern sowie Bedienschnüren des Produkts wurden Kleinkinder erdrosselt.“

„Zur Vermeidung von Strangulation und Verwicklung sind die Schnüre außer Reichweite von Kindern zu halten. Schnüre können sich um den Hals eines Kindes wickeln.“

„Stellen Sie Betten, Kinderbetten und Möbel entfernt von den Schnüren für Fensterabdeckungen auf.“

„Binden Sie die Schnüre nicht zusammen. Stellen Sie sicher, dass die Schnüre sich nicht verwickeln und eine Schlinge bilden.“

Die Warnhinweise müssen das entsprechende Piktogramm umfassen.

Der Name oder die Marke des Herstellers oder Importeurs und des gewerblichen Monteurs (sofern zutreffend) müssen ebenfalls auf dem Produkt angebracht sein.

Die Packung muss die Anleitung für Zusammenbau, Montage und sichere Verwendung des Abschlusses bzw. der Fensterabdeckung (einschließlich der Sicherheitseinrichtung(en)) enthalten.

4.   ANFORDERUNGEN AN SICHERHEITSEINRICHTUNGEN ZUR NACHRÜSTUNG

Ein innerer Abschluss oder eine Fensterabdeckung mit Schnüren, der/die mit einer entsprechenden Sicherheitseinrichtung(en) befestigt wird, muss die Anforderungen gemäß Abschnitt 2 erfüllen.

Der/den Sicherheitseinrichtung(en) müssen folgende Warnhinweise, Informationen und Anweisungen beiliegen:

Name oder Marke des Herstellers oder Importeurs und des gewerblichen Monteurs (sofern zutreffend);

die Anweisung: „Bitte lesen Sie diese Anleitung vor dem Anbringen und der Benutzung der Vorrichtung aufmerksam durch. Kinder können sich erdrosseln, wenn die Vorrichtung nicht ordnungsgemäß montiert wird. Bitte diese Anleitung für spätere Bedarfsfälle aufbewahren.“„Die Verwendung zusätzlicher Sicherheitseinrichtungen hilft, das Strangulationsrisiko zu vermindern, kann jedoch nicht als vollständig geschützt vor missbräuchlicher Verwendung angesehen werden.“;

die Anweisung: „Prüfen Sie die Vorrichtung, wenn sie nicht regelmäßig verwendet wird.“ und „Ersetzen Sie die Vorrichtung, wenn sie schadhaft ist.“;

ein Warnhinweis, dass die Ablösung von Kleinteilen zur Erstickung des Kindes führen könnte;

Informationen über die Art des inneren Abschlusses bzw. der Fensterabdeckung mit Schnüren, für die das Produkt konstruiert und geprüft wurde;

Gebrauchsinformationen (Zweck und mögliche Einschränkungen der Sicherheitseinrichtung);

genaue Anweisungen zur ordnungsgemäßen Montage und zum Anbringungsort der Vorrichtung(en). Ist ein spezielles Montagewerkzeug erforderlich, so hat der Lieferant der Vorrichtung(en) dieses zur Verfügung zu stellen;

der Anleitung sind Piktogramme zur besseren Verständlichkeit beizufügen;

sonstige Informationen zur sicheren Verwendung.