31971D0023

71/23/EWG: Entscheidung der Kommission vom 29. Dezember 1970 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages (IV/25107 - "Rabattbeschluß der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke") (Nur der deutsche Text ist verbindlich)

Amtsblatt Nr. L 010 vom 13/01/1971 S. 0015 - 0023


ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION vom 29. Dezember 1970 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages (IV/25107 - "Rabattbeschluß der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke") (Nur der deutsche Text ist verbindlich) (71/23/EWG)

DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 85,

gestützt auf die Verordnung Nr. 17 vom 6. Februar 1962 (1), insbesondere auf die Artikel 1, 3, 5 und 7,

im Hinblick auf die Anmeldung der "Vereinbarung eines Rabattkartells" der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke in Frankfurt/Main, das durch einen Beschluß ihrer Gesellschafterversammlung vom 19. Dezember 1958 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 14. Dezember 1961 zustande gekommen ist und dessen Anmeldung durch den Sprecher der Interessengemeinschaft am 25. März 1964 bewirkt wurde, um die Vorteile des Artikels 85 Absatz 3 des Vertrages zu erlangen, falls der Beschluß unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fallen sollte;

nach Anhörung der beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigung gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und der Verordnung Nr. 99/63/EWG (2);

im Hinblick auf die vom Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen am 7. Juli 1970 gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 17 abgegebene Stellungnahme und

in Erwägung nachstehender Gründe:

I 1. Die "Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke" mit Sitz in Frankfurt/Main, nachstehend als "Interessengemeinschaft" bezeichnet, ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die am 30. September 1958 von zwölf deutschen Herstellern von keramischen Wand- und Bodenfliesen gegründet wurde. Ihr gehören oder gehörten die folgenden Unternehmen an: 1. Aktiengesellschaft Norddeutsche Steingutfabrik, Bremen-Grohn,

2. AGROB Aktiengesellschaft für Grob- und Feinkeramik, Ismaning bei München,

3. Albertwerke Klingenberg Keramische Fliesen und Mosaik GmbH, Trennfurt-Klingenberg/Main,

4. Wilhelm Gail'sche Tonwerke KGaA, Gießen (die am 1. Oktober 1969 Mitglied der Interessengemeinschaft geworden ist),

5. Marienberger Mosaikplattenfabrik AG, Broitzem üb. Braunschweig (die im Oktober 1966 Konkurs anmelden musste und seitdem jede Produktionstätigkeit unterlassen hat),

6. OSTARA Fliesen GmbH & Co. KG, Osterath/Niederrhein,

7. Servais-Werke AG, Witterschlick b. Bonn,

8. Steinzeug- und Mosaikplattenfabrik GmbH, Ransbach/Westerwald,

9. Steuler-Industriewerke GmbH, Mühlacker/Württemberg,

10. Villeroy und Boch, Keramische Werke KG, Mettlach/Saar,

11. Wandplattenfabrik Engers GmbH, Engers/Rhein (die nach der Gründung der Interessengemeinschaft einen der Gründer, die Rheinische Wandplattenfabrik Johann Witte, Bendorf/Rhein, erworben hat),

12. Wessel-Werk GmbH, Bonn/Rhein;

Gemäß Artikel 2 des Gründungsvertrags verfolgt die Interessengemeinschaft den Zweck, "im Rahmen der nach dem deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bestehenden Möglichkeiten Beschlüsse kartellmässiger Art zu fassen und diese der Kartellbehörde gegenüber zu vertreten".

Der Gesellschaft kann jedes Unternehmen, das im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keramische Wand- und Bodenfliesen gemäß DIN 18155 herstellt, (1)ABl. Nr. 13 vom 21.2.1962, S. 204/62. (2)ABl. Nr. 127 vom 20.8.1963, S. 2268/63.

durch Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags beitreten.

Organe der Interessengemeinschaft sind die Gesellschafterversammlung, die allein berechtigt ist, die vorstehend erwähnten Beschlüsse zu fassen, und der Sprecher, der die Interessengemeinschaft vertritt und der Gesellschafterversammlung verantwortlich ist.

2. Der am 19. Dezember 1958 von der Gesellschafterversammlung gefasste Beschluß zur Errichtung eines Rabattkartells, nachstehend "Rabattbeschluß" genannt, enthält in der Fassung des Beschlusses vom 14. Dezember 1961 im wesentlichen folgende Bestimmungen: a) Abnehmer, die innerhalb eines Jahres von Mitgliedern der Interessengemeinschaft oder anderen deutschen Herstellern Wand- oder Bodenfliesen entweder direkt vom Hersteller oder über den Handel bezogen haben, haben Anrecht auf einen Rabatt auf die jeweiligen Listenpreise der einzelnen Werke. Die Höhe des Rabatts richtet sich nach der Menge, die der Abnehmer bei der Gesamtheit der vorstehend genannten Hersteller in der Bezugsperiode bezogen hat, und zwar in folgender Weise: >PIC FILE= "T0010813">

b) Zu Beginn eines jeden Jahres wird für jeden Abnehmer an Hand der Gesamtbezuege des vergangenen Jahres ein provisorischer Rabatt dergestalt festgesetzt, daß der Abnehmer zunächst einen Rabatt erhält, der um eine Stufe unter dem Satz des Vorjahres, jedoch nicht unter 10 % liegt. Die Möglichkeit der Einstufung nach einem höheren Satz besteht von dem Augenblick an, zu dem der Abnehmer nachweisen kann, daß er die dafür erforderliche Mindestmenge bezogen hat. Von dem genannten Augenblick an werden dem Abnehmer sofort die Rabattdifferenzen für alle seit Beginn des laufenden Referenzjahres bezogenen Mengen gutgebracht. Auf neue Käufe wird der höhere Rabattsatz angewandt. Bonusvergütungen werden hingegen erst nach Ablauf des Rabattjahres ausgezahlt.

c) Der Sprecher der Interessengemeinschaft errechnet an Hand der ihm von den Herstellern gemachten Angaben die jeweiligen Gesamtabnahmen und teilt den einzelnen Abnehmern den auf sie jeweils anzuwendenden Rabattsatz mit. Der Sprecher ist verpflichtet, die bei ihm eingehenden Einzelmeldungen streng vertraulich zu behandeln.

d) Die Rabatte und Boni stellen nach Ziffer 5 des Rabattbeschlusses ein "Leistungsentgelt für alle Aufwendungen dar, die der erhöhte Absatz von Fliesen erfordert, insbesondere für die Werbung, die fachliche Beratung und sach- und ordnungsgemässe Bedienung der Kunden, die Unterhaltung eines angemessenen Lagers und zweckentsprechender Ausstellungsräume, für die Beachtung der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen des jeweiligen Lieferwerkes im Einkauf und der Sortierungsbestimmungen im Verkauf". Falls die genannten Leistungen trotz Ermahnung nicht ausgeführt werden, sind die einzelnen Hersteller berechtigt, Rabatte und Boni in entsprechendem Umfang abzulehnen.

3. Zur Beurteilung des Falles sind nachstehende Umstände zu berücksichtigen: a) Der Interessengemeinschaft gehören fast alle deutschen Hersteller von keramischen Wand- und Bodenfliesen an ; nur zwei Hersteller, deren Produktion zusammen nur etwa 1/100 der deutschen Erzeugung ausmacht, sind ihr nicht beigetreten. Nach dem Wortlaut des Rabattbeschlusses sind für die Rabattberechnung die Bezuege bei sämtlichen deutschen Herstellern - Mitgliedern wie Nicht-Mitgliedern der Interessengemeinschaft - maßgeblich. Nach den Angaben der Interessengemeinschaft werden in der Praxis jedoch Käufe bei Nicht-Mitgliedern nur auf ausdrücklichen Wunsch eines Abnehmers dann angerechnet, wenn dieser andernfalls nicht in den Genuß einer höheren Rabattstufe käme.

b) Wenn nach Ziffer 1 des Rabattbeschlusses die festgesetzten Rabatte und Boni ohne jede nähere Angabe "den Käufern" zugute kommen, so geht jedoch aus den Erklärungen der Interessengemeinschaft hervor, daß der Rabattbeschluß seinem Sinne nach nur auf deutsche Käufer anwendbar ist ; in der Praxis wird er auf in anderen Ländern ansässige Käufer von Fliesen aus der Produktion der Mitglieder der Interessengemeinschaft nicht angewandt.

c) Auf der Angebotsseite weist der deutsche Fliesenmarkt eine oligopolistische Struktur auf, die gekennzeichnet ist durch das Vorhandensein einer kleinen Zahl von Unternehmen unterschiedlicher Grösse : Mehr als zwei Drittel des Gesamtumsatzes werden durch die drei wichtigsten Wand- und die beiden wichtigsten Bodenfliesenhersteller getätigt. Im ganzen gesehen hat das Angebot an keramischen Fliesen den Charakter einer gewissen Homogenität, der sich in erster Linie aus der technischen Entwicklung und dem erreichten Grad der Normung erklärt (nach der deutschen Norm DIN 18155 sind keramische Fliesen sowohl in ihren Abmessungen als auch in technischer und qualitativer Hinsicht genormt). Diese Homogenität besteht insbesondere bei den Bodenfliesen und den gängigen Wandfliesen, während sich das Angebot der anderen Fliesentypen durch Qualität, Farbnuancen, Dekor, Festigkeit und Gewicht unterscheidet ; diese Unterschiede erklären sich zum Teil durch die technischen Herstellungsbedingungen und -verfahren in den verschiedenen Werken ; dies gilt insbesondere für das Brennen. Ausserdem weist das Sortiment der Hersteller bestimmte Unterschiede auf : wegen der bedeutenden Investitionen, die für die Herstellung eines ausgedehnten Sortiments von Typen und Farben erforderlich sind, beschränken sich die kleineren Unternehmen im allgemeinen darauf, einige besonders gebräuchliche Fliesentypen und ausserhalb der Grundfarben einige Spezialerzeugnisse anzubieten. Andererseits hat sich im Laufe der letzten Jahre ein gewisser Qualitätswettbewerb zwischen den Fliesenherstellern entwickelt : in gleicher Richtung wirkt auch eine Steigerung der Importe und der Wettbewerb von Substitutionserzeugnissen, während sich die Entwicklung des Geschmacks der Abnehmer in einem konstanten Anwachsen des Anteils der farbigen Fliesen am Gesamtangebot sowie durch die Schaffung origineller Dekors ausdrückt.

d) Die Preise und sonstigen Verkaufsbedingungen für keramische Fliesen sind bei allen deutschen Herstellern praktisch gleich, was Bodenfliesen und die gängigen Typen von Wandfliesen betrifft. Die Breite des Sortiments und die Vielfalt der Typen und Farben erschweren für die letzteren einen Preisvergleich ; aber es ist dennoch eine gewisse Einheitlichkeit in den verschiedenen Preiskategorien festzustellen. Nach den Erklärungen der Interessengemeinschaft spielt sich der Wettbewerb zwischen den Herstellern vor allem in Qualität und Sortiment ab.

e) Fliesen werden auf dem deutschen Markt über ein Netz von sogenannten Fliesenfachgeschäften abgesetzt, das sowohl reine Fachhandelsbetriebe (Verkauf von Baustoffen) als auch Fliesenverlegebetriebe sowie gemischte Handels- und Verlegebetriebe umfasst. Vor Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zu neuen Abnehmern holen die Hersteller nach einem vereinbarten Verfahren über ihre Interessengemeinschaft beim Bund deutscher Fliesengeschäfte Auskünfte über den neuen Kunden ein. Dabei erkundigen sie sich über die Fachkenntnisse des Interessenten, über den Umfang seiner Flieseneinkäufe, seine Lager- und Ausstellungsmöglichkeiten usw., um festzustellen, ob er die nach Ziffer 5 des Rabattbeschlusses von einem Fliesenfachgeschäft verlangten Leistungen erbringen kann. Gleichzeitig wird dem Interessenten Gelegenheit gegeben, sich zu äussern und den Umfang seiner Bezuege an deutschen Fliesen anzugeben. Für den Fall von Meinungsverschiedenheiten ist die Vermittlung eines unparteiischen Beraters vorgesehen. Es bleibt jedoch dem betreffenden Hersteller überlassen, ob er mit dem Interessenten in Geschäftsverbindung treten will oder nicht. Eine Verpflichtung, dem Bund deutscher Fliesengeschäfte beizutreten, besteht nicht. Nach Angaben der Interessengemeinschaft sind etwa 20 bis 25 % der Fliesenfachgeschäfte nicht Mitglieder des BdF. Auf dem deutschen Markt stehen den Herstellern gegenwärtig 1 150 Kunden, die Rabatte für Wandfliesen, und 1 050 Kunden, die Rabatte für Bodenfliesen erhalten, gegenüber. Die meisten dieser Kunden vertreiben jedoch beide Fliesenarten. Wiederverkaufspreise und -bedingungen werden von den Herstellern nicht vorgeschrieben. Nach Angaben der Interessengemeinschaft bestehen auch keine anderweitigen Bindungen zwischen Herstellern und Abnehmern.

f) Das Angebot ausländischer, nach Deutschland importierter Fliesen weist gegenüber dem Angebot deutscher Fliesen in bezug auf seine verhältnismässige Bedeutung sowie die Eigenschaften und Preise der Erzeugnisse und die Vertriebswege folgende Merkmale auf: aa) Etwa 35 % des deutschen Gesamtverbrauchs keramischer Wandfliesen werden gegenwärtig eingeführt, gegenüber 7,5 % im Jahre 1960. Die Einfuhr stammt zu 90 % aus den anderen EWG-Mitgliedstaaten, hauptsächlich aus Italien. Von 1960 bis 1969 konnte der innerdeutsche Verbrauch eine Zuwachsrate von mehr als 85 % verzeichnen, während in der gleichen Zeit die Lieferungen der deutschen Hersteller um 30 % zunahmen. Der Gesamtverbrauch keramischer Bodenfliesen hat hingegen wegen des Wettbewerbs von Substitutionserzeugnissen im gleichen Zeitraum verhältnismässig weniger zugenommen (um 43 %), während der Absatz der deutschen Hersteller auf dem Binnenmarkt um 14 % zurückging. Fast 43 % des Inlandsverbrauchs werden gegenwärtig durch die Einfuhr gedeckt, gegenüber 5,6 % im Jahre 1960 ; diese Importe kommen im wesentlichen aus Japan, während der Einfuhranteil der Gemeinschaft in diesem Bereich gering ist.

bb) Im allgemeinen bestehen zwischen den deutschen Erzeugnissen und den eingeführten ausländischen Erzeugnissen keine wesentlichen Unterschiede in bezug auf Eigenschaften und

Verwendungszweck. Allerdings besteht die Einfuhr japanischer Bodenfliesen fast ausschließlich aus emailliertem Mosaik, während den deutschen Herstellern nur der Markt für nicht emailliertes Mosaik verbleibt. Bei Wandfliesen liegen die Dinge so, daß zwar das Sortiment der deutschen Hersteller grundsätzlich mit dem der ausländischen Hersteller vergleichbar ist, die italienischen Hersteller genießen jedoch bei Dekorationsfliesen (auf die ein Anteil von etwa 5 % des Gesamtabsatzes auf dem deutschen Markt entfällt) gewisse Verbraucherpräferenzen.

cc) Die Einkaufspreise der nach Deutschland eingeführten ausländischen Erzeugnisse liegen im allgemeinen unter den Preisen der deutschen Erzeugnisse. Sowohl die japanische als auch die italienische Einfuhrware ist im Einkauf billiger - die italienische liegt durchschnittlich um 20 % unter dem Inlandspreis -, so daß die Verkaufspreise für Einfuhrware spürbar unter den von den Mitgliedern der Interessengemeinschaft verlangten Nettopreisen, wie sie sich nach Abzug der Rabatte ergeben, liegen.

dd) Die Einfuhr und der Vertrieb der ausländischen Erzeugnisse werden grundsätzlich von den gleichen Verteilern wie für Inlandserzeugnisse durchgeführt. Selbst wenn zunächst ein Generalimporteur eingeschaltet wird, wie es noch teilweise bei der Einfuhr aus Japan der Fall ist, so erfolgt der Verkauf über den Fliesenfachhandel. Andererseits kaufen die Fachhändler im allgemeinen unmittelbar in Italien ein, jedoch handelt es sich dabei um Handelsunternehmen und nicht um Verlegebetriebe. Es ist jedoch zu erwähnen, daß für die Direkteinfuhr aus praktischen Gründen nur Käufer mit ausreichendem Umsatz in Frage kommen, nämlich jene Kunden, die zu den oberen Gruppen der von der Interessengemeinschaft

beschlossenen Rabattskala zählen. Auf diese Kunden entfielen in den letzten Jahren etwa 75 % bzw. 60 % der Umsätze von Wandfliesen bzw. Bodenfliesen der Mitglieder der Interessengemeinschaft.

g) Etwa 20 % der von den Mitgliedern der Interessengemeinschaft erzeugten Wandfliesen werden ausgeführt. Diese Ausfuhren sind im Laufe der letzten Jahre verhältnismässig konstant geblieben. Die Ausfuhr von Bodenfliesen hingegen hat stetig zugenommen und stellt gegenwärtig mehr als die Hälfte der Produktion dar. Diese Ausfuhren gehen im wesentlichen nach Frankreich (1969 : 44 % der Gesamtausfuhr von Wandfliesen und 62 % der Gesamtausfuhr von Bodenfliesen) und den Niederlanden (19 % bzw. 15 %).

II

Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags bestimmt, daß alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. 1. Der von der Gesellschafterversammlung der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke am 19. Dezember 1958 gefasste und am 14. Dezember 1961 geänderte Rabattbeschluß ist als Beschluß einer Unternehmensvereinigung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages anzusehen.

2. Der Rabattbeschluß bezweckt und bewirkt aus folgenden Gründen eine spürbare Einschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt: a) Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit fast aller deutschen Hersteller keramischer Fliesen, nämlich der zur Einhaltung des Rabattbeschlusses verpflichteten Mitglieder der Interessengemeinschaft, wird schon dadurch eingeschränkt, daß sie ihren Abnehmern nur diejenigen Rabatte gewähren können, die gemeinsam festgesetzt worden sind. Der Beschluß nimmt diesen Herstellern die Möglichkeit, individuelle, von den kollektiv festgelegten abweichende Rabatte zu gewähren. Insbesondere aber ist der Rabattsatz nicht von der Warenmenge abhängig, die ein Abnehmer von einem bestimmten Hersteller bezogen hat, sondern richtet sich nach der bei sämtlichen deutschen Herstellern - gleichgültig ob sie Mitglieder der Interessengemeinschaft sind oder nicht - bezogenen Gesamtmenge. Infolgedessen ist der Rabattsatz unabhängig von den zwischen einem einzelnen Hersteller und einem einzelnen Abnehmer tatsächlich bestehenden Geschäftsbeziehungen.

b) Der Rabattbeschluß bewirkt somit, daß die Wettbewerbsposition der Abnehmer, d.h. des Fliesenfachhandels, über welchen der Verkauf der keramischen Fliesen erfolgt, auf dem deutschen Markt verändert wird: - Die Stellung der deutschen Abnehmer wird bereits durch die Tatsache beeinträchtigt, daß der Rabattbeschluß ihnen die Möglichkeit nimmt, bei den verschiedenen Herstellern individuelle Rabatte zu erlangen und zwischen den Mitgliedern der Interessengemeinschaft einen Rabatt-Wettbewerb hervorzurufen. Die Ausschaltung dieser Wettbewerbsform ist besonders schwerwiegend angesichts der oligopolistischen Struktur des betreffenden Marktes und des verhältnismässig einheitlichen Charakters eines Teils des Angebots.

- Die wichtigste Auswirkung des Rabattbeschlusses auf die deutschen Abnehmer besteht jedoch darin, daß das Gesamtumsatzrabattsystem zu einer Konzentration der Aufträge auf die deutschen Hersteller führt. Die Staffelung des Gesamtumsatzrabatts nach bestimmten Gesamtabnahmemengen und die erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Rabattsätzen veranlassen denjenigen, der bereits einen Teil seines Bedarfs bei deutschen Herstellern gedeckt hat, seine sämtlichen Käufe auf die deutschen Hersteller zu konzentrieren, um den höchstmöglichen Rabatt zu erhalten. Denn bei Käufen von nichtdeutschen Herstellern muß der Abnehmer mit einem Rabattverlust rechnen, weil diese Käufe bei der Berechnung des Gesamtumsatzrabatts nicht berücksichtigt werden und der Rabatt daher niedriger ausfallen kann. Um den höchstmöglichen Rabatt zu erhalten, der ja nicht nur auf den letzten Einzelbezug, sondern auf sämtliche Bezuege bei deutschen Herstellern im Laufe eines Jahres angewandt wird, wird sich der Abnehmer veranlasst sehen, selbst vorteilhaftere Angebote nicht-deutscher Hersteller ausser Betracht zu lassen, um seine Bezuege auf deutsche Hersteller zu konzentrieren. Die sich hieraus ergebende Konzentrationswirkung beeinflusst nicht allein die Käufer, die im Begriff sind, von einer Rabattgruppe in eine höhere aufzusteigen. Die Abnehmer werden vielmehr schon bei ihren ersten Bestellungen im laufenden Rabattjahr die Rabattsätze berücksichtigen, die sie durch Konzentrierung ihrer Aufträge auf die deutschen Hersteller erzielen können. Dieses Rabattsystem ist somit geeignet, bereits in einem Stadium vor dem Übergang in eine neue Rabattgruppe eine Auftragskonzentration zum Nachteil der nicht-deutschen Hersteller zu bewirken. Letztlich bleiben nur die Bezugsmengen von dem Auftragssog dieses Systems unberührt, von denen der Abnehmer weiß, daß sie über einer bestimmten Rabattstufe liegen, jedoch im Laufe des Referenzzeitraums keinesfalls die nächst höhere Stufe erreichen werden. nie Konzentrationswirkung wird noch durch die Art und Weise verstärkt, in der die Rabatte angewandt werden, da dem Abnehmer seitens der an den Rabattbeschluß gebundenen Hersteller bereits für seine ersten Bezuege im Referenzjahr ein Rabattsatz gewährt wird, der nur um eine Stufe unter dem im Vorjahr erreichten Rabattsatz liegt. Um keine Rückzahlungen leisten zu müssen, werden die Abnehmer demzufolge daran interessiert sein, wenigstens die für diesen Satz erforderliche Mindestmenge abzunehmen und demzufolge Angebote ausländischer Hersteller auszuschlagen.

- Infolgedessen hat der Rabattbeschluß bei gleichen Leistungen eine unterschiedliche Behandlung von Handelspartnern zur Folge. Ein deutscher Kunde, der bei einem Mitglied der Interessengemeinschaft eine bestimmte Warenmenge bezieht, erhält infolge eines zusätzlichen Kaufes bei einem anderen deutschen Hersteller einen höheren Rabatt als der Abnehmer, der Fliesen gleicher Menge und Qualität bei dem gleichen Hersteller bezieht, aber den Zusatzkauf bei einem nicht-deutschen Hersteller tätigt. Der Bezug im Ausland wird bei der Ermittlung des diesem Abnehmer zu gewährenden Rabattsatzes ausser Betracht gelassen.

c) Aus dem Vorstehenden folgt, daß auch die Wettbewerbsstellung der nicht-deutschen Hersteller im Gemeinsamen Markt durch das Rabattsystem verändert wird. - Die Konzentration der Aufträge auf die deutschen Hersteller beschränkt die Absatzmöglichkeiten der ausländischen Hersteller, insbesondere der Hersteller der anderen Mitgliedstaaten, auf dem deutschen Markt, was einen wesentlichen Teil der dort getätigten Geschäfte anbelangt. Bei im übrigen gleichen Bedingungen müssten diese Hersteller anläßlich des Verkaufs Ermässigungen in einer Höhe gewähren, die den Abnehmer für den Rabattverlust seiner bei deutschen Herstellern während des Referenzjahres insgesamt getätigten oder beabsichtigten Bezuege entschädigt. Die nicht-deutschen Hersteller müssen also bei ihren Verkäufen über den deutschen Markt ein künstliches, kollektiv errichtetes Hindernis überwinden.

- Der Wettbewerb wird im Gemeinsamen Markt durch die Konzentration der Aufträge der deutschen Fliesenabnehmer zum Nachteil der ausländischen Lieferer spürbar verfälscht, da sie sich während der gesamten Fortentwicklung der Bezuege im Referenzjahr auswirken kann und in jedem Fall Bezuege in keineswegs unbeachtlicher Höhe betrifft. Tatsächlich sind die Bezuege sämtlicher Abnehmer - gleich in welcher Rabattgruppe sie sich befinden - insoweit geeignet, vom Angebot der ausländischen Hersteller abgelenkt zu werden, als sie zur Erreichung der den Abnehmern schließlich gewährten Rabattsätze beitragen. In diesem Zusammenhang ist überdies zu beachten, daß sich eine gewisse Abnehmerkonzentration unmittelbar oberhalb der Schwellen zwischen den Rabattgruppen ergibt. Dies hat zur Folge, daß der grösste Teil ihrer Bezuege der Sogwirkung des Systems unterliegt (so entfielen in den letzten Jahren durchschnittlich 26 % bzw. 35 % des Wand- und Bodenfliesenumsatzes der Rabattgruppe 17 % + 2 % Boni auf Abnehmer, die um weniger als 20 % über der Mindestabnahmegrenze von 195 000, - DM lagen).

- Bei der Beurteilung der Ziele und Auswirkungen des Rabattbeschlusses müssen schließlich auch die Begleitumstände berücksichtigt werden, insbesondere nämlich die Bestimmung des Gesellschaftsvertrags, wonach nur deutsche Unternehmen der Interessengemeinschaft beitreten können. Es liegt auf der Hand, daß diese Vorschrift ausländische Hersteller, die sich den nachteiligen Auswirkungen des Beschlusses auf ihren Absatz in Deutschland durch einen Beitritt zur Interessengemeinschaft entziehen möchten, von vornherein ausschließt. Hierdurch wird die Feststellung bestätigt, daß der Rabattbeschluß eine Konzentration der Aufträge bei deutschen Herstellern auf Kosten anderer Hersteller bezweckt und bewirkt.

3. Die sich aus dem Rabattbeschluß ergebende Wettbewerbsbeschränkung ist geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen: a) Für die Anwendung des Artikel 85 Absatz 1 ist es ausreichend, daß der Rabattbeschluß den freien Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu beeinträchtigen geeignet ist, die sich auf die Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes ungünstig auswirken kann. Der betreffende Rabattbeschluß bewirkt nämlich gerade eine Konzentration der Aufträge des deutschen Fliesenfachhandels bei der Gesamtheit der deutschen Hersteller zum Nachteil der sonstigen Hersteller in der EWG, die keramische Wand- und Bodenfliesen nach Deutschland ausführen wollen. Dadurch werden die ausländischen Hersteller unter sonst gleichen Umständen den deutschen Herstellern gegenüber in eine ungünstige Wettbewerbslage versetzt. Dieses künstliche, kollektiv errichtete Hindernis macht ihnen den Zugang zum deutschen Markt schwieriger als er bei Nichtbestehen dieses Beschlusses wäre. Er ist deshalb geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten in der obengenannten Weise zu beeinträchtigen.

b) Der Umstand, daß die Einfuhr keramischer Fliesen nach Deutschland, insbesondere aus Italien, in den letzten Jahren stark zugenommen hat, beweist keineswegs, daß der Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt worden ist. Dieser Einfuhranstieg muß besonderen und wahrscheinlich vorübergehenden Umständen zugeschrieben werden, die mit dem Rabattbeschluß selbst in keinem Zusammenhang stehen, wie z.B. die Nachfrageausweitung auf dem Binnenmarkt, der Einfluß von Preisvorteilen oder Verbraucherpräferenzen, die in bezug auf einige ausländische Hersteller die ungünstigen Auswirkungen des Rabattbeschlusses teilweise ausgeglichen haben ; ohne diesen Rabattbeschluß hätte die Einfuhr noch weiter zunehmen können. Übrigens schließt der Umstand, daß ein Beschluß einer Unternehmensvereinigung zu einer selbst beträchtlichen Ausweitung des Handelsvolumens zwischen Mitgliedstaaten führt, noch nicht aus, daß der Beschluß den Handel im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 beeinträchtigen kann.

4. Infolgedessen ist Artikel 85 Absatz 1 auf den von der Interessengemeinschaft gefassten Rabattbeschluß anwendbar, der unter das Verbot dieser Vorschrift fällt.

III

Nach Artikel 85 Absatz 3 des EWG-Vertrags können die Bestimmungen des Artikels 85 Absatz 1 auf Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen für nicht anwendbar erklärt werden, wenn sie unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne daß den beteiligten Unternehmen a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich sind, oder

b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

1. Die beteiligten Unternehmen haben zur Begründung des vorsorglich gestellten Antrags, Artikel 85 Absatz 3 auf den Rabattbeschluß für anwendbar zu erklären, der nach ihrer Ansicht zu einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt, im wesentlichen folgendes angeführt: - Der Rabattbeschluß gebe den Abnehmern die Gewähr, in bezug auf die Rabatte gleichmässig und unabhängig von der von jedem einzelnen Hersteller abgenommenen Menge behandelt zu werden. Hierdurch werde nicht nur die Markttransparenz gefördert, sondern es werde den Abnehmern auch ermöglicht, unter den in bezug auf Preise und Qualität unterschiedlichen Fliesen eine echte Auswahl zu treffen.

- Der Beschluß entschädige die Abnehmer nach einheitlichen Kriterien für ihre besonderen Bemühungen um eine Absatzsteigerung der Fliesen (durch Werbung, Beratung, Lagerhaltung, Ausstellung usw., gemäß Paragraph 5 des Rabattbeschlusses). Dies sei notwendig, weil einerseits Fliesen Halbfabrikate seien, deren weitere Behandlung von grosser Wichtigkeit für das Endergebnis wäre, und es andererseits dadurch ermöglicht werde, der starken Konkurrenz der Substitutionserzeugnisse zu begegnen, die schon in bezug auf die Verlegekosten begünstigt seien. Dieses System ermögliche es, ein wirtschaftliches Netz von Fliesenfachgeschäften aufrechtzuerhalten ; es fördere den Vertrieb durch fachgerechte Verlegung und sachkundige Beratung, was letztlich dem Verbraucher zugute käme.

- Ferner trage der Rabattbeschluß zur Verbesserung der Warenverteilung bei, weil er die Fliesenhändler und -verleger in die Lage versetze, der Kundschaft ein breites Sortiment von Fliesen sämtlicher Hersteller der Interessengemeinschaft anzubieten, wodurch Verbraucherpräferenzen für keramische Fliesen gegenüber Substitutionserzeugnissen aufrechterhalten oder erhöht werden könnten. Gäbe es hingegen kein Gesamtumsatzrabattsystem, so würden die Fliesenhersteller individuelle Rabattstufen festlegen, deren Anwendung sich nach der von jedem einzelnen Unternehmen abgenommenen Menge richten würde. Das würde eine Auftragskonzentration bei den Großherstellern zum Nachteil der Verschiedenartigkeit der den Kunden angebotenen Erzeugnisse zur Folge haben. Gleichfalls würde der Rabattbeschluß eine Verbesserung der Erzeugung bewirken, da er den kleinen und mittleren Unternehmen eine grössere Spezialisierung ermögliche, während diese andernfalls veranlasst würden, ihr Produktionsprogramm unrationell zu erweitern, um mit den grösseren Erzeugern auch auf dieser Ebene konkurrieren zu können.

2. Zu diesem Tatbestandsmerkmal des Artikels 85 Absatz 3 ist in bezug auf die vorgetragenen Argumente folgendes zu bemerken: - Zu dem ersten Argument ist zu sagen, daß ein Rabatt normalerweise entsprechend den bei jedem einzelnen Unternehmen bezogenen Mengen variiert. Die Höhe des Rabatts steht dann in einem angemessenen Verhältnis zu den wirklich erzielten Einsparungen des Unternehmens. Auf alle Fälle kann die angeblich grössere Markttransparenz für die Abnehmer nicht als ein wirklicher Beitrag zu einer Verbesserung der Warenverteilung angesehen werden. Die Markttransparenz ist nämlich bereits weitgehend gesichert durch den Grad der Homogenität der Erzeugnisse und der Einheitlichkeit der Preise, was die gängigen Fliesentypen anbelangt, während für die übrigen Typen die Wahl des Käufers, der sich einer grossen Zahl von Erzeugnissen verschiedener Qualität und Preise gegenübersieht, durch das Bestehen des Rabattkartells nicht spürbar erleichtert wird. Vor allem aber ist festzustellen, daß, selbst wenn auf Grund des Rabattbeschlusses wirklich für die deutschen Abnehmer eine Verbesserung der Auswahl zwischen den Fliesen deutscher Erzeugung eintreten würde, dies nur um den Preis einer Verfälschung ihrer Wahlmöglichkeiten zwischen diesen Erzeugnissen und den konkurrierenden Auslandserzeugnissen auf dem deutschen Markt geschähe. Ferner würden die erwähnten Vorteile die ausländischen Abnehmer deutscher Fliesen, insbesondere jene aus anderen Mitgliedstaaten, nicht betreffen, weil der Rabattbeschluß auf sie nicht anwendbar ist. Dabei wird ein bedeutender Teil der deutschen Fliesenproduktion, darunter vor allem Bodenfliesen, exportiert, und zwar im wesentlichen in EWG-Länder.

- Dem zweiten Argument ist bereits entgegenzuhalten, daß kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den im Rabattbeschluß vorgesehenen Rabatten und den erbrachten besonderen Leistungen besteht. Maßstab für die Rabattsätze sind nicht diese Leistungen, sondern die Gesamtabnahme deutscher Fliesen. Aber selbst wenn ein solcher Zusammenhang gegeben wäre, so würden sich doch die in dem Rabattbeschluß genannten besonderen Leistungen der Abnehmer in keiner Weise von den Funktionen unterscheiden, die normalerweise vom Handel oder von anderen Wirtschaftsstufen anderer Branchen als Gegenleistung für die Gewährung individueller Rabatte ausgeuebt werden. Es ist in keiner Weise ersichtlich, warum ein normales System individueller Rabattgewährung in der Fliesenbranche nicht funktionieren sollte oder inwiefern das kollektive System in Form eines Gesamtumsatzrabattkartells den Nachteil höherer Verlegekosten ausgleichen könnte. Würde der Rabattbeschluß tatsächlich den Zweck haben, den Fliesenvertrieb weitgehend zu verbessern, und zwar insbesondere im Hinblick auf den Wettbewerb von Substitutionserzeugnissen, dann ist nicht ersichtlich, warum der Beschluß Bezuege ausländischer Fliesen als Handelsdienstleistung unberücksichtigt lässt oder warum er nur auf deutsche Abnehmer anwendbar ist.

- Das dritte Argument, wonach der Rabattbeschluß zu einer Verbesserung der Erzeugung und Verteilung der betreffenden Waren beitrage, weil er eine stärkere Spezialisierung bestimmter Mitglieder der Interessengemeinschaft sowie eine Angebotsverbreiterung auf der Handelsstufe ermögliche, ist ebenfalls nicht stichhaltig.

Es wäre zwar zu erwarten, daß bei freiem Wettbewerb einerseits sich Käufer in bestimmten Fällen, sofern es sich um gängige Fliesentypen handelt, veranlasst sehen würden, ihre Bestellungen auf bedeutende Unternehmen zu konzentrieren, so daß sie als Händler ihren Kunden nur ein weniger variiertes Sortiment anbieten könnten, und daß andererseits sich die übrigen Hersteller veranlasst sehen können, ihr Produktionsprogramm in vermutlich unrationeller Weise zu erweitern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Wirkung würde jedoch nicht eintreten, wenn diese letzteren Hersteller, auch oder gerade wenn es sich um kleinere Unternehmen handelt, anstatt sich, wie das Kartell es ihnen ermöglicht, darauf zu beschränken, einige gängige Fliesentypen anzubieten, sich auf die Fertigung bestimmter Typen spezialisieren würden, welche nicht von ihren Konkurrenten hergestellt werden und welche durch ihre Besonderheit in Dekor, Farbnuancen und Qualität geeignet wären, in den Genuß von Verbraucherpräferenzen zu gelangen, so daß sich diese Fliesen ebenfalls auf dem Markt durchsetzen würden und auch die kleineren Unternehmen konkurrenzfähig bleiben könnten.

Auf jeden Fall ist jedoch zu bemerken, daß eine hypothetische, dem Gesamtumsatzrabattsystem zu verdankende Verbreitung des vom Fliesenfachhandel auf dem deutschen Markt angebotenen Sortiments sich nur auf die Fliesen deutscher Herstellung erstrecken würde, während der Rabattbeschluß eine durch die Sogwirkung des Systems bewirkte Verschlechterung der Verteilung ausländischer Erzeugnisse auf dem deutschen Markt nach sich ziehen würde, insbesondere der aus den anderen Mitgliedstaaten stammenden Produkte. Ebenso kann man eine angenommene Verbesserung der Herstellungsmethoden in der deutschen Fliesenindustrie nicht isoliert betrachten, da der eventuell daraus entstehende Gewinn nur zum Nachteil der Hersteller in den anderen Mitgliedstaaten erzielt werden könnte, welche sich - wie bereits dargelegt wurde - auf dem deutschen Markt in einer Wettbewerbslage befinden, die weniger günstig ist als sie es wäre, wenn der Rabattbeschluß nicht gefasst worden wäre. Die objektiv feststellbare Verbesserung, die für die Gewährung der Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 erforderlich ist, darf nicht mit der Berücksichtigung der spezifischen Interessen der Teilnehmer an dem Rabattbeschluß verwechselt und nicht mit allen Vorteilen identifiziert werden, welche die Mitglieder der Interessengemeinschaft hinsichtlich ihrer eigenen wirtschaftlichen Betätigung aus diesem Rabattbeschluß ziehen.

In Anbetracht dieser Umstände bewirkt der angemeldete Rabattbeschluß gegenüber der Lage, die bestehen würde, wenn er nicht ergangen wäre, für die Fliesenherstellung oder -verteilung offensichtlich keine spürbaren objektiven Vorteile, die die sich aus dem Beschluß ergebenden Wettbewerbsnachteile ausgleichen. Anderweitige objektive und konkrete Gründe für die Annahme, daß der Rabattbeschluß zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt, sind nicht vorgetragen worden und zeichnen sich nicht ab.

Nach allem ist es nicht möglich, Artikel 85 Absatz 1 gemäß Artikel 85 Absatz 3 des EWG-Vertrags auf den Rabattbeschluß für nicht anwendbar zu erklären, weil das erste Tatbestandsmerkmal dieser Bestimmung nicht erfuellt ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 erfuellt sind.

IV

Die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 7 der Verordnung Nr. 17, auf den in der Anmeldung Bezug genommen wurde, sind nicht gegeben. Die Mitglieder der Interessengemeinschaft, die den Rabattbeschluß fassten, haben seine Anwendung fortgesetzt und ihn auch nicht derart abgeändert, daß er nicht mehr unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fällt oder daß Artikel 85 Absatz 1 gemäß Artikel 85 Absatz 3 für nicht anwendbar erklärt werden kann. Demgemäß ist Artikel 7 der Verordnung Nr. 17 nicht anwendbar -

HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Der Beschluß der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke vom 19. Dezember 1958 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 14. Dezember 1961, durch den eine "Vereinbarung eines Rabattkartells" begründet wird, stellt eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dar.

Artikel 2

Die von der Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke beantragte Nichtanwendbarkeitserklärung von Artikel 85 Absatz 3 wird versagt.

Artikel 3

Die Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke und die in Artikel 4 bezeichneten Unternehmen sind gehalten, die in Artikel 1 festgestellte Zuwiderhandlung sofort abzustellen.

Artikel 4

Diese Entscheidung ist an die "Interessengemeinschaft der deutschen keramischen Wand- und Bodenfliesenwerke" in Frankfurt/Main, Deutschland, sowie an die folgenden Unternehmen gerichtet: - Aktiengesellschaft Norddeutsche Steingutfabrik, Bremen-Grohn,

- AGROB Aktiengesellschaft für Grob- und Feinkeramik, Ismaning bei München,

- Albertwerke Klingenberg Keramische Fliesen und Mosaik GmbH, Trennfurt-Klingenberg/Main,

- Wilhelm Gail'sche KGaA, Gießen,

- Marienberger Mosaikplattenfabrik AG, Broitzem üb. Braunschweig, vertreten durch den Konkursverwalter, Rechtsanwalt G. Jacobi, Braunschweig,

- OSTARA Fliesen GmbH & Co. KG, Osterath/Niederrhein,

- Servais-Werke AG, Witterschlick b. Bonn,

- Steinzeug- und Mosaikplattenfabrik GmbH, Ransbach/Westerwald,

- Steuler-Industriewerke GmbH, Mühlacker/Württemberg,

- Villeroy und Boch, Keramische Werke KG, Mettlach/Saar,

- Wandplattenfabrik Engers GmbH, Engers/Rhein,

- Wessel-Werk GmbH, Bonn/Rhein.

Brüssel, den 29. Dezember 1970

Für die Kommission

Der Präsident

Franco M. MALFATTI