23.6.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 140/9


Klage, eingereicht am 23. März 2007 — Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Österreich

(Rechtssache C-161/07)

(2007/C 140/16)

Verfahrenssprache: Deutsch

Parteien

Klägerin: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Prozessbevollmächtigte: E. Traversa und G. Braun, Bevollmächtigte)

Beklagte: Republik Österreich

Anträge

Die Klägerin beantragt

der Gerichtshof möge feststellen, dass die Republik Österreich, indem für die Eintragung von Gesellschaften ins Handelsregister auf Antrag der Staatsangehörigen der neuen Mitgliedstaaten der EU — mit Ausnahme Maltas und Zyperns — die Feststellung ihrer Selbständigkeit durch den Arbeitsmarktservice oder die Vorlage eines Befreiungsscheines erforderlich ist, wobei für die Feststellung der Selbständigkeit von Gesellschaftern einer Personengesellschaft sowie von Minderheitsgesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Arbeitsleistungen für die Gesellschaft erbringen, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden, ein Feststellungsverfahren durchzuführen ist, während dessen Dauer, längstens drei Monate, die selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann, gegen Artikel 43 EG verstoßen hat;

der Republik Österreich die Kosten aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Artikel 43 Absatz 1 EG garantiere jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates das Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auszuüben, sowie in einem anderen Mitgliedstaat Gesellschaften zu gründen und Unternehmen zu leiten. Als Ausdruck des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Artikels 12 EG verbiete Artikel 43 EG Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit im Bereich der selbständigen Erwerbstätigen. Das Gebot der Inländergleichbehandlung komme in Artikel 43 Absatz 2 zum Ausdruck. Demnach umfasse die Niederlassungsfreiheit das Recht auf Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten jeder Art sowie auf Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaates nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates, die für seine eigenen Staatsangehörigen gelten.

Für die Eintragung einer nach österreichischem Recht gegründeten Gesellschaft auf Antrag eines Bürgers der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am 1. Mai 2004 beigetreten sind — mit Ausnahme Maltas und Zyperns — verlangten die Firmenbuchgerichte in Österreich die Feststellung seiner Selbständigkeit. Für die Unterscheidung zwischen Selbständigen und unselbständig Beschäftigten sei der „wahre wirtschaftliche Gehalt der Tätigkeit“ maßgeblich. Nach der österreichischen Regelung gälten insbesondere Gesellschafter einer Personengesellschaft sowie Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Geschäftsanteil von weniger als 25 %, die Arbeitsleistungen erbringen, welche typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden, als unselbständig Beschäftigte. Diese Vermutung gelte solange, bis die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Antrag des Gesellschafters feststelle, dass dieser einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausübe. Den Nachweis für die Selbständigkeit habe der Antragsteller zu erbringen. Bis zur Feststellung der Selbständigkeit durch Bescheid, längstens aber drei Monate, könnten die Betroffenen ihre Tätigkeit nicht aufnehmen.

Diese Vorschrift sei mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 43 EG nicht vereinbar. Sie behindere Selbständige aus acht neuen Mitgliedstaaten in ihrer Freiheit, sich in Österreich niederzulassen, indem sie ihnen die Gründung einer Gesellschaft erheblich erschwere, ohne dass hierfür eine Rechtfertigung vorliegen würde. Selbst wenn es zuträfe, dass die in Frage stehende Vorschrift nur einen beschränkten Anwendungsbereich habe, verliere die Regelung dadurch aber nicht ihren diskriminierenden Charakter. Auch wenn Staatsangehörigen der betroffenen acht Mitgliedstaaten nicht immer und ausnahmslos einen Antrag stellen müssten, so sei entscheidend, dass österreichische Staatsbürger und Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten niemals einen solchen Antrag stellen müssten. Die Übergangsbestimmungen der Beitrittsverträge sähen ferner Beschränkungen ausschließlich bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Für die Niederlassungsfreiheit gebe es solche Beschränkungsmöglichkeiten gerade nicht. Dass die einschlägige Regelung nach ihrer ratio legis eine Umgehung der Übergangsvorschriften für die Arbeitnehmerfreizügigkeit verhindern solle und nicht die Niederlassungsfreiheit beschränken will, ändere nichts daran, dass die Vorschrift im Ergebnis die Niederlassungsfreiheit behindere.

Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit könnten nur gemäß Artikel 46 EG durch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit sowie, wenn es sich um nicht offen diskriminierende Maßnahmen handele, durch sonstige zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Als Einschränkung einer Grundfreiheit müssten solche Maßnahmen jedenfalls geeignet sein, das verfolgte Ziel zu erreichen und dürften nicht über das dafür Erforderliche hinausgehen. Die in Frage stehende österreichische Regelung entspreche nicht diesen Erfordernissen der Rechtfertigung.

Es gebe nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der österreichischen Regierung befürchtete Umgehung der Übergangsregelungen durch Staatsangehörige aus den betroffenen acht Mitgliedstaaten solche Ausmaße erreichen könnte, dass das Funktionieren des österreichischen Arbeitsmarkts tatsächlich grundlegend in Gefahr wäre. Ferner seien die beiden Kriterien der Beurteilung der Art der Beschäftigung — Art der Arbeitsleistung und Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft — zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit nicht geeignet. Was die Erforderlichkeit der Beschränkung betreffe, gehe aus der Darstellung der österreichischen Regierung nicht hervor, warum auch eine nachträgliche Kontrolle nach der Eintragung der Gesellschaft als milderes Mittel nicht ebenfalls den gewollten Zweck erfüllen könnte.