23.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 318/195


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erfüllung der Flaggenstaatpflichten“

KOM(2005) 586 endg. — 2005/0236 (COD);

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden“

KOM(2005) 587 endg. — 2005/0237 (COD);

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kontrolle durch den Hafenstaat“

KOM(2005) 588 endg. — 2005/0238 (COD);

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr“

KOM(2005) 589 endg. — 2005/0239 (COD);

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinien 1999/35/EG und 2002/59/EG“

KOM(2005) 590 endg. — 2005/0240 (COD);

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung von Beförderern von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr bei Unfällen“

KOM(2005) 592 endg. — 2005/0241 (COD);

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zivilrechtliche Haftung und die Sicherheitsleistungen von Schiffseignern“

KOM(2005) 593 endg. — 2005/0242 (COD)

(2006/C 318/32)

Der Rat beschloss am 25. Januar 2006 (TEN/236), am 8. Februar 2006 (TEN/235), am 14. Februar 2006 (TEN/234 und TEN/239), am 28. Februar 2006 (TEN/237) bzw. am 15. März 2006 (TEN/233 und TEN/238), den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 Absatz 1 und Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 18. Juli 2006 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU, Mitberichterstatterin Frau BREDIMA-SAVOPOULOU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 429. Plenartagung am 13./14. September 2006 (Sitzung vom 13. September) mit 198 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt ganz allgemein das dritte Maßnahmenpaket zur Seeverkehrssicherheit, das ein weiterer konstruktiver und proaktiver Schritt hin zur Verbesserung der Seeverkehrssicherheit durch die Verhütung von Unfällen auf See und Meeresverschmutzung sowie die bessere Kontrolle ihrer Auswirkungen ist. Ferner befürwortet er weitgehend die Vorschläge über die Erfüllung der Flaggenstaatpflichten, die Hafenstaatkontrolle, die Überwachung der Klassifikationsgesellschaften durch Prüfungen, die Untersuchungen von Unfällen sowie das Überwachungssystem für den Schiffsverkehr (Vessel Traffic Management — VTM, Schiffe in Seenot und Notliegeplätze). Diese spiegeln über weite Strecken die Standpunkte des Ausschusses wider, die er in seinen Stellungnahmen zu den Maßnahmenpaketen ERIKA I und ERIKA II dargelegt hat. Mit diesen Vorschlägen werden unterschiedliche Aspekte in der Transportkette verbessert und das Engagement der EU für eine qualitätsorientierte Schifffahrt bekräftigt.

1.2

Der Ausschuss bringt gewisse Bedenken in Bezug auf die Vorschläge über die Haftung in der Personenschifffahrt auf der Grundlage des Athener Übereinkommens der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und die zivilrechtliche Haftung zum Ausdruck. Insbesondere letztgenannter Vorschlag bedarf einer eingehenderen Überprüfung.

1.3

Der Ausschuss erachtet die Anerkennung der Rolle der IMO in diesem Maßnahmenpaket als positiv, entspricht dies doch seinem in den (seit 1993) verabschiedeten Stellungnahmen zur Seeverkehrssicherheit und zur Vermeidung von Umweltverschmutzung verfochtenen Standpunkt, in denen er die Notwendigkeit eines internationalen Rechtsrahmens für Seeverkehrssicherheit und Vermeidung von Umweltverschmutzung anerkannt hat.

1.4

Der Ausschuss empfiehlt der Europäischen Kommission, alles daranzusetzen, um sicherzustellen, dass alle geltenden IMO-Übereinkommen, insbesondere das Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LLMC) in der Fassung von 1996, umgehend von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Diese Ratifizierung wird direkte positive Auswirkungen auf die Seeverkehrssicherheit, die Umwelt sowie die Haftung und Entschädigung für Umweltverschmutzung weltweit mit sich bringen.

1.5

Der Ausschuss empfiehlt der Europäischen Kommission, die Binnenschifffahrt aus ihrem Vorschlag über die Haftung der Beförderer von Reisenden im Binnenschiffsverkehr herauszunehmen und einen gesonderten Vorschlag im Rahmen des Programms NAIADES vorzulegen.

1.6

Der Ausschuss bekräftigt seine bereits als Reaktion zum ERIKA I- bzw. ERIKA II-Paket vorgebrachte Forderung nach einem weiteren Maßnahmenpaket zur Seeverkehrssicherheit, in dem der Schwerpunkt speziell auf den „Faktor Mensch“ gelegt wird, und bedauert, dass diesem Faktor auf Gemeinschaftsebene in diesem dritten Maßnahmenpaket nicht genügend Rechnung getragen wird. Er schlägt vor, als Grundlage für die Ausarbeitung geeigneter Vorschriften das von der internationalen Arbeitskonferenz (Seeschifffahrtstagung) der ILO im Jahr 2006 verabschiedete Seearbeitsübereinkommen heranzuziehen, das die Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine Harmonisierung der europäischen und internationalen Bestimmungen ratifizieren müssten. Das Kapitel „Empfehlungen“ (unverbindliches Rechtsoft law) dieses Übereinkommens sollte bei der Formulierung effizienterer europäischer Normen ebenfalls in geeigneter Weise berücksichtigt werden.

1.7

Der Ausschuss hält fest, dass eine bessere Rechtsetzung eine bessere Durchsetzung impliziert. Daher verweist er auf die Bedeutung besserer Durchführungsbestimmungen. Er ruft alle betroffenen Akteure auf, die Umsetzung des neuen Maßnahmenpakets aufmerksam zu verfolgen.

1.8

Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass die für die Hafenstaatkontrolle bereitgestellten Ressourcen in den Mitgliedstaaten unbedingt aufgestockt werden müssen. Er fordert außerdem die Erhöhung der Zahl der Besichtiger in den Häfen, um die verschiedenen Aspekte der Maßnahmenpakete zur Seeverkehrssicherheit wirksam umzusetzen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission ferner auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um entsprechend qualifizierte Arbeitsmarkteinsteiger für den Beruf des Besichtigers zu interessieren und in der Folge auch deren Einstellung zu sichern.

2.   Einleitung

2.1

Nach den Havarien der ERIKA (1999) vor der französischen und der PRESTIGE (2002) vor der spanischen Küste, die gezeigt haben, welchen Gefahren die europäischen Küstenregionen ausgesetzt sind, hat die EU unmittelbar Maßnahmen zum Aufbau eines Abwehrmechanismus ergriffen, um die Küstenregionen vor Seeunfällen und Umweltverschmutzung zu schützen und die Sicherheitsbedingungen der Schiffe zu verbessern, die EU-Häfen anlaufen. So wurden zwei Maßnahmenpakete verabschiedet, die so genannten Pakete ERIKA I (1) und ERIKA II (2) aus dem Jahr 2001 bzw. 2002, die sechs Rechtsinstrumente, drei Richtlinien und drei Verordnungen umfassen. Am 23. November 2005 veröffentlichte die Europäische Kommission ihr drittes Legislativmaßnahmenpaket zur Seeverkehrssicherheit, mit dem die geltenden Bestimmungen zur europäischen Seeverkehrssicherheit gestärkt und ihre Wirksamkeit verbessert werden sollen.

3.   Die Kommissionsvorschläge

3.1

Seit der EU-Erweiterung beträgt der Anteil der europäischen Flotte an der Weltflotte 25 %. Die Europäische Kommission möchte diese Flotte zu einer Modellflotte aufbauen, die sichere, wettbewerbsfähige und umweltfreundliche Seeverkehrsdienste bietet.

3.2

Das dritte Maßnahmenpaket zur Seeverkehrssicherheit wird zur Stärkung der europäischen Seeverkehrssicherheit beitragen. Mit diesem Paket wird eine pro-aktive Politik forciert, mit der die Bedingungen für einen gesunden und nachhaltigen Wettbewerb für Betreiber, die die internationalen Vorschriften einhalten, wiederhergestellt werden sollen. Dieses Paket umfasst sieben Vorschläge, die den bei der Umsetzung der Gemeinschaftsvorschriften zur Seeverkehrssicherheit und Vorbeugung von Umweltverschmutzung gemachten Erfahrungen Rechnung tragen. Sie sind auf zwei Aktionslinien ausgerichtet:

verbesserte Unfall- und Umweltverschmutzungsvorbeugung und

Maßnahmen zur Unfallbewältigung.

3.3   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erfüllung der Flaggenstaatpflichten

3.3.1

Mit diesem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten die Einhaltung der international geltenden Vorschriften der IMO durch die unter ihrer Flagge fahrenden Schiffe wirksam kontrollieren und zu diesem Zweck eine nach hohen Qualitätsmaßstäben agierende Seeverwaltung unterhalten. Ferner soll mit diesem Vorschlag gewährleistet werden, dass die Mitgliedstaaten ihre internationalen Verpflichtungen effektiv und in koordinierter Weise einhalten.

3.4   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden

3.4.1

Mit diesem Vorschlag sollen die Arbeitsqualität der anerkannten Klassifikationsgesellschaften (die Schiffe überprüfen und zertifizieren) verbessert, das System der Sanktionen gegen Klassifikationsgesellschaften, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, durch die Einführung abgestufter und nach der Schwere des Verstoßes bemessener Geldstrafen reformiert und die Befugnisse der Europäischen Kommission gestärkt werden, um den Besichtigern die Besichtigung aller Schiffe zu ermöglichen, ganz gleich unter welcher Flagge sie fahren. Die Qualität der von den Klassifikationsgesellschaften durchgeführten Arbeiten sollte durch die Einrichtung eines Qualitätskontrollsystems verbessert werden.

3.5   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kontrolle durch den Hafenstaat

3.5.1

Mit diesem Vorschlag wird eine weitreichende Reform angestrebt, um das geltende System (Pariser Vereinbarung über die Hafenstaatkontrolle — Paris MoU), dem zufolge die Mitgliedstaaten mindestens 25 % der ihre Häfen anlaufenden Schiffe kontrollieren müssen, durch ein Gemeinschaftsziel zu ersetzen, nach dem alle Schiffe einer Kontrolle unterzogen werden, wobei jedoch der Notwendigkeit Rechnung getragen wird, die Kontrollen für Schiffe mit hoher Qualität zu erleichtern.

3.5.2

Es werden noch weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Wirksamkeit und Qualität von Schiffskontrollen in europäischen Häfen (einschl. der Arbeitsbedingungen für die Besatzung) getroffen. Im Mittelpunkt des neuen Kontrollsystems stehen die risikobehafteten Schiffe. So werden strengere Maßnahmen gegen unternormige Schiffe ergriffen, indem die Möglichkeiten für eine Zugangsverweigerung zu Gemeinschaftsgewässern ausgebaut werden.

3.6   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr

3.6.1

Mit diesem Vorschlag soll u.a. der Rechtsrahmen für Notliegeplätze für Schiffe in Seenot verbessert werden. Durch die Ermittlung aller potenziellen Notliegeplätze sollte die Beschlussfassung bei Seeunfällen beschleunigt und ihre Wirksamkeit erhöht werden. Die Europäische Kommission schlägt außerdem vor, alle Fischereifahrzeuge mit einem automatischen Identifizierungssystem (AIS) auszurüsten, um das Kollisionsrisiko mit großen Schiffen zu verringern.

3.6.2

Durch die Ausweitung des SafeSeaNet, des gemeinschaftlichen Systems für den Informationsaustausch, auf die gesamte EU können die Bewegungen von Schiffen und deren Fracht überwacht werden. Schiffe werden über die Gefahr von Eisgang in bestimmten Meeresregionen in Kenntnis gesetzt.

3.7   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinien 1999/35/EG und 2002/59/EG

3.7.1

Die Qualität der Normen für die Seeverkehrssicherheit hängt von der Fähigkeit ab, die Ursachen für Unfälle zu analysieren und Lehren aus ihnen zu ziehen. Mit diesem Vorschlag soll ein harmonisierter Gemeinschaftsrahmen für die Durchführung von Ermittlungen nach Unfällen geschaffen werden. Diese Ermittlungen werden von spezialisierten unabhängigen Stellen durchgeführt, die über die entsprechenden Ermächtigungen für die Wahrnehmung dieser Aufgabe verfügen. Der Vorschlag enthält klare EU-Leitlinien und fördert die Zusammenarbeit bei technischen Ermittlungen von Seeunfällen.

3.8   Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung von Beförderern von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr bei Unfällen

3.8.1

Mit diesem Vorschlag sollen die Bestimmungen des Athener Übereinkommens von 2002 (die nur für internationale Fahrten gelten, aber noch nicht in Kraft getreten sind) in das Gemeinschaftsrecht aufgenommen und der gemäß diesem Übereinkommen gewährte Schutz auf alle Fahrgäste an Bord von Schiffen im innerstaatlichen wie auch im innergemeinschaftlichen See- und Binnenschiffsverkehr ausgedehnt werden.

3.9   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zivilrechtliche Haftung und die Sicherheitsleistungen von Schiffseignern

3.9.1

Mit diesem Vorschlag sollen die Schiffseigner stärker in die Pflicht genommen und dazu verpflichtet werden, Schäden Dritter in Form einer Versicherungspolice oder einer sonstigen finanziellen Sicherheitsleistung sowie die Kosten für die Rückführung zurückgelassener Seeleute abzudecken.

3.9.2

Als ersten Schritt müssen die Mitgliedstaaten alle einschlägigen IMO-Übereinkommen einschl. des Protokolls zu dem Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LLMC) von 1996 ratifizieren. Dieses Protokoll wird dann in das Gemeinschaftsrecht aufgenommen, um seine völlige und einheitliche Anwendung in der gesamten EU sicherzustellen. In einem zweiten Schritt wird die Europäische Kommission um ein Mandat ersuchen, innerhalb der IMO die Überarbeitung des Protokolls zu diesem Übereinkommen zu verhandeln, um die Grenze zu überprüfen, bei der Schiffseigner das Recht verlieren, ihre Haftung einzuschränken. Schiffe, die unter der Flagge eines Staates fahren, der nicht Mitglied des Protokolls zu dem LLMC-Übereinkommen von 1996 ist, werden im Falle grober Fahrlässigkeit einer strengeren Haftungsregelung unterworfen.

3.9.3

Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass in Gemeinschaftsgewässern operierende Schiffseigner, gleich welcher Flagge, über eine finanzielle Sicherstellung für die zivilrechtliche Haftung in einer Höhe verfügen, die dem Doppelten der im Protokoll zu dem LLMC-Übereinkommen von 1996 festgelegten Obergrenze entspricht. Schiffseigner müssen ebenfalls über eine finanzielle Sicherstellung für zurückgelassene Seeleute verfügen. Diese finanzielle Sicherstellung muss in Form von Bescheinigungen nachgewiesen werden, die an Bord mitzuführen sind.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erfüllung der Flaggenstaatpflichten

4.1.1

Der Ausschuss unterstützt diesen Vorschlag voll und ganz, da die Mitgliedstaaten ihre Verantwortung in angemessener Weise übernehmen sowie die IMO-Instrumente, insbesondere den Flaggenstaat-Umsetzungskodex (flag state implementation code) und das Flaggenstaat-Kontrollsystem (flag state audit scheme), einhalten müssen.

4.1.2

Der Ausschuss hinterfragt jedoch, ob Artikel 9 „Untersuchungen des Flaggenstaats“ wirklich erforderlich ist, da es sich um Unfallermittlungen handelt, die bereits eingehend in dem 5. Richtlinienvorschlag des dritten Maßnahmenpakets zur Seeverkehrssicherheit behandelt werden. Mit diesem Artikel wird jedoch die Notwendigkeit von Untersuchungen und die Tatsache betont, dass die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung der diesbezüglich erforderlichen Ressourcen verpflichtet und angehalten werden müssen.

4.1.3

Der Ausschuss anerkennt, dass mit Artikel 10 „Sichere Schiffsbemannung“ darauf abgezielt wird, dass die Schiffe, die die Flagge eines Mitgliedstaates führen, hinsichtlich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See im Einklang mit der IMO-Entschließung A.890(21) über die Grundsätze für eine sichere Schiffsbesetzung (Principles on Safe Manning) angemessen bemannt sind. Der Ausschuss ist jedoch überzeugt, dass gleiche Ausgangsbedingungen, d.h. faire Wettbewerbsbedingungen in allen Flaggenstaaten, von grundlegender Bedeutung sind. Daher sollte der Vorschlag, dass die Europäische Kommission — wie in Artikel 15 „Kooperationsvereinbarungen“ betont — einen Bericht ausarbeiten soll, so rasch wie möglich umgesetzt werden.

4.2   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden

4.2.1

Klassifikationsgesellschaften übernehmen eine immer größere Verantwortung für die Sicherheit der Schifffahrt und den Umweltschutz und sind diesbezüglich immer stärker gegenüber den Verwaltungen der Flaggenstaaten rechenschaftspflichtig. Daher stimmt der Ausschuss den vorgeschlagenen Maßnahmen zu, mit denen die Qualität der Arbeit der Klassifikationsgesellschaften für die Mitgliedstaaten verbessert, die Kontrollen gestärkt und die Sanktionen durch die Einrichtung eines Systems abgestufter Sanktionen, das wirksamer als das geltende System ist, effizienter gestaltet werden.

4.2.2

Angesichts der derzeitigen Verquickung dieser Aufgaben vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die hoheitlichen besser von den Klassifizierungsaufgaben unterschieden werden müssen, indem beispielsweise unterschiedliche Besichtiger ein- und derselben Klassifikationsgesellschaft oder aber zwei unterschiedliche Einrichtungen damit betraut werden. Es wird zweifelsohne ein Übergangszeitraum erforderlich sein, in dem „bewährte Verfahren“ über Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und den betroffenen Klassifikationsgesellschaften sowie zwischen Klassifikationsgesellschaften untereinander kontinuierlich gefördert werden, um eine Zusammenstellung dieser bewährten Verfahren zur Vermeidung von Interessenkonflikten auszuarbeiten.

4.2.3

Gemäß Artikel 19 Absatz 3 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Entwicklung des Vorschriftenwerks der Klassifikationsgesellschaften mit diesen Einrichtungen zusammenzuarbeiten. Ungeachtet der Bestimmungen von Artikel 16 und 17 vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass den Klassifikationsgesellschaften im Gegenzug eine entsprechende Verpflichtung gegenüber den Mitgliedstaaten auferlegt werden sollte.

4.2.4

Der Ausschuss begrüßt die Bestimmungen von Artikel 20, nach denen die anerkannten Organisationen im Hinblick auf die Gleichwertigkeit und einheitliche Auslegung der internationalen Übereinkommen einander konsultieren und miteinander kooperieren müssen.

4.3   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kontrolle durch den Hafenstaat

4.3.1

Der Ausschuss befürwortet die Änderung der Richtlinie, um sie klarer zu fassen und die Effizienz der Hafenstaatkontrolle zu steigern und zu verbessern. In den letzten sechs Jahren stieg die Zahl der Schiffe, die einer verpflichtenden eingehenden Kontrolle unterzogen wurden, von 700 auf 4.000.

4.3.2

Der Ausschuss unterstützt das Vorhaben, Qualitätsschiffe zu „belohnen“ und weniger häufig zu kontrollieren, den Schwerpunkt auf die Überprüfung der mit dem hohem Risiko behafteten Schiffe zu legen und die Betreiber von unternormigen Schiffen abzuschrecken, indem ihnen der Zugang zu EU-Häfen verwehrt wird. Da die Bestimmungen des neuen Systems auf den in Anhang II enthaltenen Grundsätzen beruhen, bietet die Überarbeitung der Richtlinie die einzigartige Möglichkeit, dieses neue System unverzüglich einzuführen und anzuwenden.

4.3.3

Der Ausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass der Rolle der Lotsen bei der Früherkennung möglicher Schäden mehr Bedeutung beigemessen wird, zeigt sich jedoch darüber besorgt, dass die Verquickung von Handels- und Besichtigungsfunktionen den Lotsen wie beispielsweise den Überseelotsen, die von ihrem nicht verpflichtende Pilotendienste erbringenden Unternehmen abhängig sind, das Leben nicht gerade einfach machen.

4.3.4

Ferner begrüßt er die Einführung von Überprüfungen der Arbeitsbedingungen an Bord, da der Faktor Mensch oftmals von grundlegender Bedeutung bei Seeunfällen ist. Für die Überprüfung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Seeleute an Bord und ihrer Befähigungen ist eine Erhöhung der Zahl an Besichtigern mit den entsprechenden Qualifikationen in diesem Bereich erforderlich. Denn für einen einzelnen Besichtiger wäre es schwer, innerhalb häufig sehr kurzer Fristen eine eingehende Überprüfung in doppelter Hinsicht, und zwar der technischen wie auch der sozialen Bedingungen, durchzuführen.

4.3.5

Der Ausschuss befürwortet außerdem die in Artikel 20 festgehaltene Forderung, dass die Europäische Kommission jedes Jahr eine Schwarze Liste erstellt und veröffentlicht, aus der die Leistung von Schiffsbetreibern und -gesellschaften hervorgeht.

4.4   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr

4.4.1

Der Ausschuss stellt erfreut fest, dass eine seiner früheren Forderungen, und zwar die Einrichtung eines Systems für in Seenot geratene Schiffe, endlich aufgegriffen wurde (Artikel 20). Daher unterstützt der Ausschuss den Vorschlag, die Richtlinie durch die Verbesserung und Harmonisierung der Anforderungen für „Notliegeplätze“ (3) zu stärken. Ein Nachweis der Mitgliedschaft in einem P&I-Club (Mutual Protection & Indemnity: Schutz und Schadloshaltung) sollte eine ausreichende finanzielle Garantie für einen Notliegeplatz darstellen. In diesem Zusammenhang sollte jedoch das Fehlen eines derartigen Nachweises nicht als Vorwand dienen können, einem Schiff in Seenot den Zugang zu einem Notliegeplatz zu verweigern.

4.4.2

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die unabhängige zuständige Behörde bei der Behandlung von Unfällen und der Lotsung von Schiffen in Seenot an Notliegeplätze ungeachtet der Verpflichtung, die betroffenen Akteure zu konsultieren, über die erforderlichen Befugnisse verfügen und in der Lage sein muss, Entscheidungen zu treffen und ihrer grundlegenden Verantwortung — auch im Hinblick auf die möglichen finanziellen Auswirkungen ihrer im Notfall getroffenen Entscheidungen — nachzukommen.

4.4.3

Der Ausschuss hält fest, dass die Fischerei nach wie vor einer der am stärksten benachteiligten Wirtschaftssektoren ist, und begrüßt die verpflichtende Mitführung von AIS-Geräten in Fischereifahrzeugen. Die mittelständischen Untenehmen, vor allem in der Küstenfischerei, sollten in den Genuss von Beihilfen oder Erleichterungen kommen, um sich entsprechend auszurüsten (4).

4.4.4

Ferner befürwortet der Ausschuss die Bestimmungen, aufgrund derer die Küstenstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen können, um die von der Eisbildung in bestimmten Küstengebieten im Norden der Europäischen Union ausgehenden Gefahren zu begrenzen. Dies ist angesichts des erhöhten Risikos der Beförderung von Öl in größeren Mengen in der Nordsee von besonderer Bedeutung. Um jedoch mögliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den von einigen Klassifikationsgesellschaften festgelegten Bestimmungen für Eisgang zu vermeiden, wäre eine Harmonisierung der Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten in diesem Bereich sinnvoll.

4.4.5

Der Ausschuss stimmt zu, dass die Umsetzung des gemeinschaftlichen Systems für den Informationsaustausch SafeSeaNet stark zur Verbesserung der Seeverkehrsicherheit in den Hoheitsgewässern der EU beitragen wird.

4.5   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinien 1999/35/EG und 2002/59/EG

4.5.1

Der Ausschuss befürwortet diesen Vorschlag, da angemessene Maßnahmen zur Verringerung der Chancen eines erneuten Unfalls ausschließlich durch unabhängige technische Untersuchungen von Unfällen ergriffen werden können. Außerdem unterstützt er die Einrichtung spezialisierter unabhängiger Stellen zur Durchführung derartiger Untersuchungen und die klare Trennung von weiteren Untersuchungen zur Strafverfolgung.

4.5.2

Der Ausschuss begrüßt ferner die Bestimmung in Artikel 7 zur Durchführung gemeinsamer Sicherheitsuntersuchungen.

4.5.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Bestimmung in Artikel 9 zur Nichtoffenlegung von Informationen zu anderen Zwecken als zur Sicherheitsuntersuchung von wesentlicher Bedeutung ist. Die Bestimmung, dass eine Justizbehörde über die Offenlegung von Informationen entscheiden kann, ist jedoch bedenklich. Der Ausschuss vertritt daher die Auffassung, dass es zweckdienlich wäre, Personen, die bei technischen Unfalluntersuchungen als Zeugen aussagen, Immunität oder gar Anonymität einzuräumen. Wie im Luftverkehr wäre die Teilnahme von Vertretern der Schiffsindustrie und der organisierten Zivilgesellschaft in den betroffenen Gebieten am Untersuchungsverfahren von Nutzen, stellt diese doch eine wertvolle Quelle an Erfahrungen für eine bessere Unfallverhütung in der Zukunft dar. Des Weiteren kann so auch für mehr Transparenz gesorgt werden. Die Europäische Kommission sieht übrigens zu Recht die Einrichtung eines Informationsrückflusses vor, um die Erfahrungen zu nutzen.

4.6   Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung von Beförderern von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr bei Unfällen

4.6.1

Der Ausschuss stimmt dem grundsätzlichen Ziel dieses Vorschlags zu, auf Gemeinschaftsebene für alle Schiffsreisende das gleiche Schutzsystem bei Unfällen anzuwenden: überarbeitete Bestimmungen für die Haftung von Beförderern, ein verpflichtendes Versicherungssystem und zufriedenstellende Höchstgrenzen für die Haftung. Dieses Schutzsystem sollte auch für diejenigen Schiffsreisenden greifen, die ihre Fahrkarten in Europa gekauft haben, selbst wenn sie außerhalb der Gemeinschaftsgewässer oder an Bord eines unter der Flagge eines Drittstaates fahrenden Schiffes reisen.

4.6.2

Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass in einem Entscheidungsentwurf (aus dem Jahr 2003) die Mitgliedstaaten aufgefordert worden waren, das Athener Protokoll bis Ende 2005 zu ratifizieren. Bedauerlicherweise wurde dieses Ratifizierungsverfahren jedoch blockiert. Der vorliegende Verordnungsvorschlag ist eine Möglichkeit, um für eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen des Athener Protokolls in der gesamten EU zu sorgen. Die Aufnahme des Athener Protokolls in das Gemeinschaftsrecht wird die Mitgliedstaaten nicht von dessen Ratifizierung entbinden, um sicherzustellen, dass es letztlich auch auf internationaler Ebene Anwendung findet.

4.6.3

Der Ausschuss verweist jedoch auf zwei anzugehende wichtige Aspekte in Bezug auf die vorgeschlagene Ratifizierung des Athener Protokolls aus dem Jahr 2002 durch die IMO-Mitglieder und dessen Inkrafttreten. Erstens der Aspekt Krieg/Terrorismus: Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass die IMO-Entschließung es Mitgliedstaaten ermöglicht, Vorbehalte bei der Ratifizierung im Hinblick auf die Ausstellung der erforderlichen Versicherungsnachweise mit einer Ausschlussklausel für Krieg/Terrorismus anzumelden. Und zweitens die Frage der Haftungsobergrenzen: Die Internationale Vereinigung der P&I-Clubs hat erklärt, dass sie in der Lage sei, die in dem Protokoll festgeschriebenen Haftungsobergrenzen einzuhalten, sofern eine Lösung für das Problem „Terrorismus“ gefunden wird. Es wurden Alternativvorschläge zur Prüfung vorgelegt. Praktikable Lösungen könnten außerdem auf internationaler und/oder europäischer Ebene erzielt werden. Im Zuge der derzeitigen Überarbeitung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union (Verordnung (EG) Nr. 2012/2002), der in seiner neuen Fassung 2007 in Kraft treten soll, kann zwar eine Bestimmung über Nothilfen im Katastrophenfall einschl. infolge von Terroranschlägen aufgenommen werden, doch kann eine derartige Bestimmung nie eine ausgehandelte Lösung für die versicherungsmäßige Abdeckung von Schäden aufgrund eines möglichen Terroranschlags ersetzen, die der Ausschuss für dringlich erachtet.

4.6.4

Der Ausschuss anerkennt, dass das Ziel, allen Fahrgästen an Bord von auf internationalen oder innergemeinschaftlichen Routen fahrenden Schiffen die gleiche Entschädigung zugute kommen zu lassen, durchaus Sinn macht. Allerdings könnten sich daraus ernste Schwierigkeiten für kleinere Unternehmen oder bei der Erbringung bestimmter Dienstleistungen ergeben.

4.6.5

Im Zusammenhang mit der innerstaatlichen Beförderung von Reisenden auf See schlägt der Ausschuss einen Übergangszeitraum (Stufenplan) für die Anwendung dieses Richtlinienvorschlags vor, um jedweder negativen Auswirkung auf diesen Wirtschaftszweig vorzubeugen, da die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit von Dienstleistungen im örtlichen Fährverkehrsnetz andernfalls drastisch sinken würde, was wiederum Folgen für den Linienverkehr von und zu Inseln hätte.

4.6.6

In Bezug auf die Vorauszahlungen an Unfallopfer oder deren Rechtsnachfolgern im Zusammenhang mit Seeunfällen, für die im Athener Protokoll eine strenge Haftungsregel verankert ist, unterstützt der Ausschuss den Vorschlag.

4.6.7

Die Bestimmungen bezüglich Menschen mit Behinderungen und Vorabinformationen sollten als ergänzende Maßnahmen und nicht als Abweichung vom Athener Protokoll angesehen werden. Ähnliche Bestimmungen wurden in die Verordnung über die Fluggastrechte mit Verweis auf das Montrealer Übereinkommen aufgenommen.

4.6.8

In Bezug auf die Binnenschifffahrt ist der Ausschuss der Ansicht, dass das dritte Maßnahmenpaket den Unterschieden zwischen dem Schiffsverkehr auf Binnengewässern (Flüsse und Flussmündungen, Kanäle und Seen) und dem Seeverkehr (sowohl innerstaatliche Verbindungen zwischen dem Festland und den Inseln, deren Anbindung von öffentlichen Dienstleistern sichergestellt wird, als auch internationale Verbindungen) nicht Rechnung trägt. Da diese Routen sowohl in Bezug auf ihre Natur als auch ihren Betrieb unterschiedlich sind, ist eine gesonderte gesetzliche Regelung gerechtfertigt (Navigations-, Sicherheits-, Zuverlässigkeits-, Haftungs- und Pflichtversicherungsbestimmungen).

4.7   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zivilrechtliche Haftung und die Sicherheitsleistungen von Schiffseignern

4.7.1

Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagene Ratifizierung des Protokolls zum Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LLMC) von 1996, mit dem die Haftungshöhe von Schiffseignern im Vergleich zu dem Übereinkommen von 1976 verdoppelt wird. Das LLMC-Übereinkommen von 1976 ist ein Dachübereinkommen für alle Klagen im Seeverkehrsbereich. Der Ausschuss verweist jedoch auf den Vorschlag, dass alle Schiffe (ganz gleich unter welcher Flagge), die in Gemeinschaftsgewässer einfahren, über einen Nachweis für die finanzielle Haftung in doppelter Höhe des Protokolls zum LLMC-Übereinkommen von 1996 verfügen müssen.

4.7.2

Gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) können Küstenstaaten im Zusammenhang mit den Verpflichtungen für unter der Flagge von Drittstaaten fahrenden Schiffen, die ihre Häfen anlaufen, über die darin enthaltenen Bestimmungen hinausgehen. Die P&I-Clubs haben erklärt, dass sie lediglich bereit sind, Nachweise für eine Haftung für den im Protokoll zum LLMC-Übereinkommen von 1996 vorgesehenen Höchstbetrag auszustellen.

4.7.3

Natürlich ist eine Versicherung der Insolvenz vorzuziehen, und die Versicherung beruht auf klaren Haftungskriterien. Eine Folge der Aufhebung der Haftungsbegrenzung bei grober Fahrlässigkeit wird die Verkleinerung des Versicherungsmarktes und die Zunahme der Zahl an Ein-Schiff-Unternehmen in der Rechtsform von Gesellschaften mit beschränkter Haftung sein.

4.7.4

Der Ausschuss hält jedoch fest, dass sich die Wahrnehmung und die Einschätzung des Schadensausmaßes wie auch der Verantwortung in den letzten Jahren stark gewandelt haben. Die im Schadensfall erstatteten Entschädigungen werden nunmehr oftmals als weit unter der Höhe des direkt und vor allem auch indirekt erlittenen Schadens liegend erachtet. Eine Verbesserung in diesem Bereich wäre unbedingt zu wünschen. Der Ausschuss schlägt vor, dass die Europäische Kommission eine wirtschaftliche Überprüfung ihres Vorschlags vornimmt. In einer derartigen Überprüfung sollten die wirtschaftlichen Folgen der Aufhebung von Haftungsobergrenzen und die Frage untersucht werden, ob es wirklich Anlass für die Erhöhung der Haftungsobergrenzen gibt.

4.7.4.1

Der Ausschuss verweist auf seine früheren Stellungnahmen zu den Maßnahmenpaketen ERIKA I und ERIKA II und bekräftigt seine Forderung, dass der grundlegende Maßstab die umgehende und zuverlässige Entschädigung der Opfer für den erlittenen Schaden sein muss und keinesfalls der Zunahme der Streitfälle und der Verschleppung von Verfahren Tür und Tor geöffnet werden darf. Die Ratifizierung sämtlicher bestehender IMO-Übereinkommen sollte eine bessere zivilrechtliche Haftung, eine Pflichtversicherung und die direkte Geltendmachung gemäß bestimmter Ansprüche ermöglichen, wie dies in dem Richtlinienvorschlag vorgesehen ist.

4.7.4.2

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die zivilrechtliche Haftung klaren und transparenten Regeln unterliegen sollte. Im Seerecht kommt in der Regel das Konzept der „groben Fahrlässigkeit“ (gross negligence) in Streitfällen bezüglich der an der Fracht entstandenen Schäden zur Anwendung. Auf internationaler Ebene wird zur Vermeidung der verschuldensunabhängigen Haftung das Konzept der „groben Fahrlässigkeit im Bewusstsein des möglicherweise daraus resultierenden Schadens“ (recklessness with knowledge) angewendet, eine Lösung, die der Ausschuss in seiner Stellungnahme zum Paket ERIKA II unterstützt hatte, allerdings im Bereich der Ölverschmutzung. Der Ausschuss schlägt daher vor, einige objektive Faktoren in den Richtlinienvorschlag aufzunehmen, um den Mitgliedstaaten eine Richtschnur an die Hand zu geben, wann es sich wirklich um einen Fall grober Fahrlässigkeit handelt. Anderenfalls könnte die Gefahr bestehen, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie unterschiedlich umsetzen.

4.7.4.3

Der Ausschuss bekräftigt seinen Standpunkt, dass die finanzielle Sicherheit durch eine Bescheinigung der Zugehörigkeit zu einem P&I-Club und nicht etwa eine von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellte Bescheinigung belegt werden sollte. Eine Bescheinigung über die Zugehörigkeit zu einem P&I-Club wird dem Zweck des vorgeschlagenen Instruments gerecht und ist seitens der P&I-Clubs bereits verfügbar.

4.7.5

Dieser Vorschlag steht nach Meinung des Ausschusses im Widerspruch zur Richtlinie 2004/35/EG vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, in der vor allem die Anwendung der IMO-Übereinkommen einschl. des LLMC-Übereinkommens anerkannt ist. Die Folge könnten Probleme im Bereich des internationalen Rechts für die Mitgliedstaaten des LLMC-Übereinkommens von 1976 und des Protokolls von 1996 sein.

4.7.5.1

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, dass Schiffe Bescheinigungen über die finanzielle Sicherstellung für zurückgelassene Seeleute mitführen müssen, und merkt an, dass die IMO-ILO-Arbeitsgruppe sich mit diesem Thema, das auf internationaler Ebene in seine Zuständigkeit fällt, befasst.

4.7.6

Die Haftung und Entschädigung für die Freisetzung von Chemikalien oder Bunkeröl sind Gegenstand des Bunkeröl-Übereinkommens sowie des Übereinkommens über Haftung und Entschädigung für Schäden bei der Beförderung schädlicher und gefährlicher Stoffe auf See (HNS). Sie sind Ausdruck eines Kompromisses, auf den sich die internationale Gemeinschaft geeinigt hat. Der Ausschuss legt der Europäischen Kommission nahe, alles daran zu setzen, dass diese beiden Übereinkommen in der EU durch ihre umgehende Ratifizierung durch die EU-Mitgliedstaaten vor dem geplanten Zeitpunkt in Kraft treten.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Ausschuss nimmt mit Interesse die Ergebnisse der 94. internationalen Arbeitskonferenz (Seeschifffahrtstagung) der ILO zur Kenntnis, auf der ein konsolidiertes Seearbeitsübereinkommen verabschiedet wurde, das Verpflichtungen und Empfehlungen enthält. Sämtliche seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts verabschiedete und immer wieder überarbeitete Übereinkommen wurden gebündelt, aktualisiert und in einem klaren und allgemein gültigen Seearbeitsübereinkommen zusammengeführt. Der Ausschuss nimmt ferner die Absicht der Europäischen Kommission zur Kenntnis, dieses ILO-Seerechtsübereinkommen in EU-Recht aufzunehmen, und befürwortet die Bemühungen der Arbeitsgruppe für den sozialen Dialog zur Umsetzung dieses Übereinkommens und zur Ermittlung der besten Wege, die Frage ihrer Aufnahme in das Gemeinschaftsrecht anzugehen.

5.2

Vor dem Hintergrund seines fortwährenden Engagements für die Förderung des Faktors Mensch im Seeverkehr fordert der Ausschuss die Europäische Kommission insbesondere auf, als eine vorrangige Maßnahme alle Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, dieses Übereinkommen so rasch wie möglich zu ratifizieren, um über eine harmonisierte Rechtsgrundlage zu verfügen. Es kann erst dann in Kraft treten, wenn es von 30 Mitgliedern ratifiziert wurde, die zusammen über einen Brutto-Schiffsraum von einem Drittel der weltweiten Handelsflotte verfügen. Die Europäische Union könnte einen grundlegenden Beitrag hierzu leisten, indem sie die Ratifizierung dieses Übereinkommens auch durch die Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Drittländer fördert, mit denen sie Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen hat.

5.3

Die Gesamtauswirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die Verwaltungen der Hafen- und Flaggenstaaten (Ausstellung von Zulassungen, Überprüfung der sozialen Bedingungen, verschärfte Kontrollen, das Ziel, alle Schiffe zu kontrollieren usw.) sollte umgehend von den betroffenen Behörden bewertet werden, damit diese rechtzeitig die erforderlichen verwaltungstechnischen, finanziellen und personellen Maßnahmen ergreifen können.

5.4

Angesichts der wichtigen Aufgaben, mit denen sie betraut ist, muss die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) ebenfalls über ausreichende Mittel verfügen, um diesen Aufgaben so gut wie möglich gerecht zu werden.

Brüssel, den 13. September 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/21/EG des Rates zur Durchsetzung internationaler Normen für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle);

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/57/EG des Rates über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden;

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffe (Stellungnahme des EWSA: ABl. C 14 vom 16.1.2001).

(2)  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr;

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Errichtung eines Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzung in europäischen Gewässern und damit in Verbindung stehende Maßnahmen;

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (Stellungnahme des EWSA: ABl. C 221 vom 7.8.2001).

(3)  Die bewährten Verfahren des britischen SOSREP-Systems stellen in diesem Bereich einen wertvollen Anhaltspunkt dar.

(4)  Der am 16. Juni 2006 vom Rat beschlossene Europäische Fischereifonds (EFF) bietet die Möglichkeit, bis zu 40 % der Kosten für die Sicherheitsausrüstung zu finanzieren. Zusätzliche Maßnahmen sind auch auf Ebene der Mitgliedstaaten denkbar.