11.4.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 88/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Vorlage

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008-2013 innerhalb des generellen Programms ‚Solidarität und Steuerung der Migrationsströme‘“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Außengrenzenfonds für den Zeitraum 2007-2013 innerhalb des generellen Programms ‚Solidarität und Steuerung der Migrationsströme‘“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Einrichtung des Europäischen Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen für den Zeitraum 2007-2013 innerhalb des generellen Programms ‚Solidarität und Steuerung der Migrationsströme‘“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Rückkehrfonds für den Zeitraum 2008-2013 innerhalb des generellen Programms ‚Solidarität und Steuerung der Migrationsströme‘“

(KOM(2005) 123 endg. — 2005/0046 (COD) — 2005/0047 (COD) — 2005/0048 (CNS) — 2005/0049 (COD))

(2006/C 88/05)

Der Rat beschloss am 20. Juli 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. Januar 2006 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 424. Plenartagung am 14./15. Februar 2006 (Sitzung vom 14. Februar) mit 125 gegen 2 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorhaben der Kommission und Ziele des Gesamtpakets

1.1

Die Mitteilung zur Aufstellung eines Rahmenprogramms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ enthält als Teil eines zusammenhängenden Bündels von Vorschlägen (1) ein Programm zur Umsetzung der „Finanziellen Vorausschau für die Jahre 2007-2013“ (2) und der in der Mitteilung „Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“ (3) genannten Maßnahmen (zu der der EWSA seinerzeit Stellung nahm, Berichterstatter: Herr DASSIS (4)). Darin wird vorgeschlagen, für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Jahr 2006 Mittel (aus der Haushaltslinie 3: Unionsbürgerschaft, Freiheit, Sicherheit und Justiz) in einer Gesamthöhe von 1.381 Mio. EUR bereitzustellen und diese bis zum Jahr 2013 schrittweise auf 3.620 Mio. EUR anzuheben.

1.2

Durch diese Instrumente sollten die drei wesentlichen Ziele Freiheit, Sicherheit und Recht mit der gleichen Intensität gefördert und ein ausgewogenes, der Theorie nach auf den Grundsätzen der Demokratie und der Achtung der Grundrechte und -freiheiten beruhendes Vorgehen gewährleistet werden.

1.3

Von der ursprünglich vorgeschlagenen gesamten Mittelausstattung (9,5 Mrd. EUR) waren für das Rahmenprogramm „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ im Zeitraum 2007-2013 5,866 Mrd. EUR vorgesehen, davon 1,184 Mrd. EUR für den Bereich Asyl, 759 Mio. EUR für den Rückkehrfonds, 1,771 Mrd. EUR für die Integration von Drittstaatsangehörigen und 2,152 Mrd. EUR für den integrierten Grenzschutz. Die den Mitgliedstaaten und den direkten Gemeinschaftsaktionen (NGO und Projekten) zugewiesenen Mittel können nicht von einem Fonds auf einen anderen übertragen werden.

1.4

Nicht im Rahmenprogramm „Solidarität“ genannt werden die Einrichtungen und anderen Instrumente im Bereich Freiheit, Sicherheit und Justiz. Dazu gehören die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, die im Rahmen des vorgeschlagenen Rahmenprogramms und der Finanziellen Vorausschau tätig werden soll, das System EURODAC (Vergleich digitalisierter Fingerabdrücke), das Visa-Informationssystem sowie das Schengen-II-Informationssystem. Dies sind langfristige Verpflichtungen, und die diesbezüglichen Rechtsakte sehen dementsprechend keine zeitliche Beschränkung vor.

1.5

Das Rahmenprogramm soll insbesondere für die nötige Kohärenz zwischen den Maßnahmen der einzelnen Handlungsfelder sorgen und die verfügbaren Ressourcen den politischen Zielsetzungen zuordnen. Der Kommissionsvorschlag zielt darauf ab, die bestehenden Förderinstrumente zu vereinfachen und zu straffen. Mit dem Rahmenprogramm wird weiterhin eine größere Transparenz und eine flexiblere Schwerpunktsetzung angestrebt.

1.6

Dem Vorhaben zufolge soll die finanzielle Solidarität der Europäischen Union zu einem ausgewogenen Gesamtkonzept zur Steuerung der Migrationsströme beitragen, das sich auf folgende vier Grundpfeiler stützt:

Einrichtung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen im Rahmen der Schengener Abkommen für die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien dieser Abkommen sind: „Außengrenzenfonds für den Zeitraum 2007-2013“;

Annahme eines Rückkehraktionsprogramms im Jahr 2002 (5): „Europäischer Rückkehrfonds für den Zeitraum 2008-2013“;

glaubwürdige Lösungsansätze für die komplexe Frage der Integration von Drittstaatsangehörigen: „Europäischer Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen für den Zeitraum 2007-2013“;

eine ausgeglichene Verteilung der Anstrengungen zur Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen auf die Mitgliedstaaten: „Europäischer Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008-2013“.

1.7

Der Vorschlag der Kommission war Gegenstand einer Folgenabschätzung (6), die dem Vorschlag beigefügt ist.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

In dem Programm werden zwar die auf der Ratstagung in Tampere und im Haager Programm hergestellte Kohärenz sowie Artikel 62 und 63 des Vertrags als Grundlagen angeführt, doch der abgesteckte Rahmen stützt sich trotz der Anstrengungen des Rates, im Rahmen des Tampere-Programms gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen, nur in geringem Maß auf harmonisierte Rechtsvorschriften (7). So hat der Europäische Rat auf seinem Gipfeltreffen am 4./5. November 2004 das Zweite Mehrjahresprogramm für die Schaffung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts („Haager Programm“) angenommen.

2.2

Der Ausschuss stellt fest, dass es ungeachtet des Haager Programms bislang keine wirklich zufriedenstellende gemeinsame politische Ausrichtung gibt. In seiner Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische ParlamentDas Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf JahreDie Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“  (8) hat sich der Ausschuss ausführlich zu dem Aktionsplan der Kommission zum Haager Programm geäußert. Die Verfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten sind je nach geografischer Lage in der Praxis recht unterschiedlich; die Staaten haben sich in Bezug auf die Behandlung anderer Unionsbürger und Drittstaatsangehöriger für jeweils eigene Verhaltensrichtlinien und Verantwortlichkeiten entschieden, was zu Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und in der Folge mitunter zu gegensätzlichen oder gar unvereinbaren Politiken innerhalb der Gemeinschaft führt, je nachdem, ob sie ganz, teilweise oder überhaupt nicht Vertragspartei der Abkommen Schengen I und II sowie Dublin I und II (9) sind und ob sie sich beispielsweise an den Gemeinschaftsprogrammen zur dauerhaften Neuansiedlung von Flüchtlingen (10) beteiligen oder nicht. Die Erfahrung lehrt, dass die Einrichtung von Fonds und Finanzinstrumenten nicht ausreicht, um eine Politik zur Verbesserung der Verfahren einerseits sowie zur ausgewogeneren Verteilung und Verzahnung der Zuständigkeiten mit Blick auf ein gemeinsames Ziel andererseits zu verfolgen.

2.3

Im Asyl- und humanitären Bereich ist die Aufstellung einer Liste sicherer Drittstaaten weiterhin umstritten, vor allem bei anerkannten NGO, die auf dem Gebiet der Menschenrechte und der humanitären Hilfe tätig sind. Der Ausschuss hält es nicht für zweckmäßig, dass Asyl und Einwanderung trotz unterschiedlicher Sachzwänge und Handlungsspielräume gemeinsam in einem Rahmen behandelt werden.

2.4

Obgleich der Ausschuss sich der übergeordneten, holistischen Zielsetzung des Programms bewusst ist, meldet er Vorbehalte gegen die Art und Weise an, in der Grenzschutz und Integration von Migranten in ein und derselben Initiative behandelt werden. Er ist jedoch der Ansicht, dass eine koordinierte und schlüssige Verwaltung dieser Fonds aus folgenden Gründen erforderlich ist:

Erstens haben beide Programme unterschiedliche Zielsetzungen. Zudem sind die für ihre Umsetzung zuständigen Akteure (Behörden, öffentliche Leistungsträger, Hilfsorganisationen für Migranten usw.) und damit auch die Empfänger der finanziellen Mittel nicht die gleichen. Die verschiedenen Akteure dürften also nicht gleich behandelt werden, es sei denn, die Staaten hätten die Absicht, die Überwachung der Grenzen in Übertragung hoheitlicher Aufgaben in die Hände privater Agenturen zu legen, was eine angemessene demokratische Debatte voraussetzen würde.

Zweitens betrifft die Integration von Einwanderern den Staat in seiner Funktion als Träger öffentlicher Gewalt, aber auch zivile Einrichtungen bestimmter Akteure der organisierten Zivilgesellschaft (Vereinigungen) und schließlich die Bürger selbst. Diese verschiedenen Interventionsebenen und Empfänger von Mitteln aus dem Rahmenprogramm machen eine differenzierte Behandlung sowie unterschiedliche Verfahren und Garantien notwendig.

Andererseits dringt der Ausschuss — gerade auch vor dem Hintergrund des übergeordneten Ziels — auf eine ausreichende Klarheit der beiden Programme, die nicht miteinander vermengt werden dürfen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass der Vorschlag für eine Mitteilung je nachdem, ob der Verfassungsvertrag ratifiziert und die Grundrechtecharta darin aufgenommen wird oder nicht, möglicherweise anders ausfallen müsste.

3.2

Der Ausschuss befürwortet die Einrichtung von Solidarfonds, appelliert jedoch an die Kommission, sie unter Berücksichtigung seiner Stellungnahme (11) auf das Haager Programm abzustimmen.

4.   Stimmigkeit des Entwurfs

Im Hinblick auf die in der Mitteilung vorgeschlagenen Ziele wirft der Ausschuss die Frage nach der Vereinbarkeit des vorgeschlagenen Rahmenprogramms mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten und dem Harmonisierungsniveau des Gemeinschaftsrechts auf.

Die Verquickung verschiedener Aspekte lässt das Vorhaben der Mitteilung und des Rahmenprogramms fragwürdig erscheinen.

4.1   Zur Mitteilung

4.1.1

Asyl, Einwanderung, Integration, komplexe Frage, glaubwürdige Antwort, dauerhafte Lösung — all diese Aspekte finden sich in den Zielstellungen des Programms. In Ergänzung zu dem von ihr im Grünbuch über ein EU-Konzept für die Migration (12) vertretenen wirtschaftlichen Ansatz sollte die Kommission in ihrer Mitteilung den Aspekt der Individual- und der Universalrechte bei der Migrationsproblematik vertiefen und dazu an das Rahmenprogramm „Grundrechte und Justiz“ anknüpfen und sich auf die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitnehmern und ihrer Familienangehörigen (13) stützen.

Weiterhin appelliert der Ausschuss an die Kommission, sich stärker auf den Bewertungsbericht zu stützen, den der unabhängige Ausschuss von Rechtsexperten alle vier Jahre erstellt und dem zwischenstaatlichen Ausschuss — der die institutionelle Überprüfung der Folgemaßnahmen zur überarbeiteten Sozialcharta des Europarates verkörpert — vorlegt, und diese Erkenntnisse in ihren ergänzenden Vorschlägen berücksichtigen.

Der Ausschuss stellt fest, dass die meisten Mittel dieser Strukturfonds von den Mitgliedstaaten verwaltet werden, wozu sie gemäß dem Subsidiaritätsprinzip berechtigt sind. Hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist der Ausschuss — wie er bereits in seiner Stellungnahme zur Bewertung des Haager Programms und des Aktionsprogramms betont hat — folgender Ansicht: „Das Hauptaugenmerk des Haager Programms liegt eindeutig auf der Einsetzung von Mechanismen zur Bewertung bereits bestehender Maßnahmen. Der Annahme dieser Initiativen muss eine detaillierte unabhängige Untersuchung ihrer Effizienz, ihres Mehrwerts, ihrer Verhältnismäßigkeit und ihrer Legitimität (Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten) vorausgehen“ (14).

Der Ausschuss fragt sich außerdem mit Besorgnis, inwieweit die Ergebnisse der Anhörung von NGO und Verbänden der organisierten Zivilgesellschaft sowie der Sozialpartner zu dem vorgenannten Grünbuch, die am 14. Juni 2005 stattfand, künftig berücksichtigt werden. Zahlreiche Organisationen brachten dabei Einwände zum Primat der wirtschaftlichen Seite vor den Rechten des Einzelnen vor und betonten die Notwendigkeit, sämtliche Aspekte der menschlichen, kulturellen, sozialen und rechtlichen Folgen für die aufgenommenen wie für die aufnehmenden Bevölkerungsgruppen zu erfassen.

4.1.2

Schließlich wäre der Ausschuss erfreut gewesen, seine Vorschläge aus früheren Stellungnahmen in der Initiative der Kommission wiederzufinden.

4.1.3

Der Ausschuss betont, dass Fragen der Migration nicht von vornherein als Problem behandelt werden dürfen. Die heutige Einwanderung schafft zusätzlich zur Immigration früherer Jahre eine neue politische, wirtschaftliche und soziale Realität, die von der gesamten Gesellschaft getragen werden muss. Dabei ist das Recht des Einzelnen auf freie Wahl seiner Lebensgestaltung innerhalb des völkerrechtlichen, gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Rechtsrahmens (15) zu berücksichtigen.

4.1.4

Bei der von der Kommission als Lösung angesehenen Rückkehr dürfen die Rechte der vermeintlich legalen Einwanderer und die der vermeintlich irregulären nicht gegeneinander ausgespielt werden. Irregularität ist kein dauerhafter Zustand, der freiwillig gewählt wird, um unrechtmäßigerweise von einem lediglich angenommenen Status zu profitieren. Es gibt mehrere unterschiedliche Ursachen der Irregularität. Der Ausschuss hat bereits in mehreren Stellungnahmen den Versuch unternommen, den Institutionen der Gemeinschaft die wirtschaftlichen Aspekte und die Lebensumstände der Opfer näher zu bringen (16). Jede auf Rückkehr ausgerichtete Politik muss die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten beinhalten.

4.1.5

Grenzschutz und Visapolitik dürfen nicht über humanitäre, soziale, politische und rechtliche Aspekte gestellt werden.

Äußerst hartnäckige Migrationsursachen, wie zum Beispiel die im Afrika südlich der Sahara herrschende Dürre erfordern, dass für Entwicklung, Zusammenarbeit und die Bekämpfung der Erderwärmung andere Mittel eingesetzt werden als die 750 Mio. EUR für die erzwungene Rückkehr und 2,15 Mrd. EUR für die Verwaltung der Außengrenzen im Konsularbereich. Stattdessen muss sich die Politik dieser Problematik annehmen und sich entschlossen zu einem langfristigen Handeln verpflichten. Während die Bekämpfung von Hunger und Dürre leider nicht einmal zu den Millenniums-Zielen zählt, appelliert der Ausschuss an die Kommission und an den Rat, sich intensiv mit dieser Frage zu beschäftigen und:

1.

eine Politik der Schadensbehebung (Hilfe für die Entwicklung ländlicher Gemeinden) zu verfolgen, insbesondere innerhalb des hierfür angemessenen Cotonou-Abkommens sowie der Entwicklungs- und Kooperationspolitik;

2.

etwaige neue Vorschläge zu unterbreiten und die im Rahmen der internationalen Kooperation bestehenden Vorschläge zu unterstützen und dementsprechend zugleich gegen Umweltverschmutzung und für nachhaltige Entwicklung zu kämpfen.

Der Ausschuss hält es als Problemlösung weder für angemessen noch für akzeptabel, die Verantwortung für die Abschiebung den Transitländern zu übertragen. Er sieht die Notwendigkeit einer besseren Abstimmung zwischen den EU-Institutionen und den Behörden der Drittstaaten, aus denen die Einwanderer stammen. Die Einwanderungsproblematik sollte zudem Teil der Außenbeziehungen der Europäischen Union sein.

4.1.6

Der freie Personenverkehr kann nicht in derselben Weise wie der freie Kapital- oder Dienstleistungsverkehr gesteuert werden, um hier den Begriff aus dem Titel des Kommissionsdokuments zu verwenden.

4.1.7

Die vier von der Kommission vorgeschlagenen Finanzinstrumente, mit denen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich Einwanderung unterstützt werden, sollten auch zu einer abgestimmten Politik auf diesem Gebiet führen, zu der neben einer angemessenen Steuerung der Migration auch die Integration rechtmäßig in den einzelnen Mitgliedstaaten aufhältiger Drittstaatsangehöriger zu gleichen Bedingungen wie Staatsangehörige dieser Mitgliedstaaten gehört.

Bei dieser Gelegenheit möchte der Ausschuss vor der Gefahr von Sozialdumping im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen warnen. Dieser Sektor ist der Hauptkanal für die legale Einwanderung, wobei das Problem auch Arbeitnehmer aus denen neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union betrifft, für die ja Übergangsregelungen gelten.

Hierbei kommt es wesentlich auf die Arbeit der Sozialpartner und der Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft an, die es zu unterstützen und zu berücksichtigen gilt.

„Irreguläre Sekundärbewegungen“: Aufgrund der sehr restriktiven geltenden Bestimmungen und der Tatsache, dass die Einreiserichtlinie trotz der Unterstützung von EWSA und Europäischem Parlament vom Rat 2002 nicht verabschiedet wurde, handelt es sich bei regulären Sekundärbewegungen de iure und de facto um die Mobilität von länger als fünf Jahre in der EU aufhältigen Personen, die zum zweiten Mal einen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat beantragen, bzw. um die Mobilität von weniger als fünf Jahre in der EU aufhältigen Personen, die einen kurzfristigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat beantragen. Der Ausschuss nimmt daher an, dass mit der Bezeichnung „irreguläre Sekundärbewegungen“ der Personenverkehr illegal aufhältiger Einwanderer oder im ersten Aufnahmeland abgelehnter Asylbewerber gemeint ist. Diese haben aber nicht nur ein Antragsrecht, das ihnen allerdings nicht in allen Mitgliedstaaten gewährt wird, sondern auch das Recht auf Einzelfallprüfung und auf die Einlegung von Rechtsmitteln mit aufschiebender Wirkung. Diese Rechtsmittel existieren in bestimmten Mitgliedstaaten nicht oder ihre Ausübung wird verhindert oder sie haben keine aufschiebende Wirkung. Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass es möglich sein muss, die Umsetzung der Dublin- und Dublin-II-Abkommen, zu denen er sich bereits geäußert hat, durch ein Finanzinstrument zu unterstützen. In dieser Hinsicht muss die Kommission zwar eine gerechte Aufteilung der Fonds sicherstellen und zu einer fairen Lastenverteilung beitragen, doch sollte sie auch den Mitgliedstaaten besondere Beachtung schenken, die am stärksten vom Migrationsdruck betroffen sind. Dabei sollte sie nicht nur die Grenzlage der Mitgliedstaaten, sondern auch ihre Größe (zum Beispiel bei Zypern oder Malta) und ihre allgemeine Aufnahmekapazität (Asyl, Neuansiedlung, Einwanderung) sowie die besten Praktiken hinsichtlich der Erfüllung ihrer Pflichten berücksichtigen. Die Mitteilung liefert keine ausreichende Orientierung im Hinblick auf eine gerechte Lastenverteilung. Mitgliedstaaten, die Aufnahmezentren schließen oder deren Kapazität verringern, sollten keine finanzielle Unterstützung aus den in der Mitteilung geregelten Fonds erhalten.

4.1.8

„Integriertes Rückkehrmanagement“: In seiner ausschließlich beratenden Funktion als Vertreter der Zivilgesellschaft gibt der Ausschuss zu bedenken, dass der Dreh- und Angelpunkt des vorgeschlagenen Maßnahmenpakets Menschen bzw. Individuen sind. Es kommt eher auf die Entwicklung einer dauerhaften, friedlich geprägten Zusammenarbeit an und darauf zu definieren, welche Kriterien berücksichtigt werden sollen, um festzustellen, wie freiwillig die Rückkehr der Betroffenen erfolgt.

4.1.9

Der Ausschuss ist überrascht, in dem Vorschlag zu lesen, dass zu den Maßnahmen im Rahmen der spezifischen Ziele des Europäischen Rückkehrfonds die „Gewährleistung spezieller Unterstützung für besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder, (...) und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben“, gehören könnte. Es sei jedoch daran erinnert, dass in der Genfer Konvention die Verfahren, Einzelprüfungen und Rechtsmittel festgelegt sind, auf die diese Personengruppen Anspruch haben. Da die Richtlinie über den Flüchtlingsstatus (17) in das europäische Gemeinschaftsrecht Eingang gefunden hat und die Mitgliedstaaten Vertragsparteien der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind, kann sich der Ausschuss nur schwerlich vorstellen, dass Personen in einer solchen Situation in die Kategorie „freiwillige Rückkehrer“ fallen könnten.

4.1.10

Die Kommission sollte die Kriterien für ein erfolgreiches Projekt einer freiwilligen Rückkehr überdenken. Der Ausschuss versteht diesen Punkt so, dass es sich dabei nicht um Zusammenarbeit oder die Entwicklung persönlicher Projekte von Einzelpersonen handelt, sondern um die Rückführung nach einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung bzw. einer Rückkehr- und Ausweisungsentscheidung. Der Ausschuss besteht auf der Notwendigkeit, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Grundrechtecharta zu beachten und zu unterstützen und sich an deren Anwendungsgrundsätze zu halten: Niemand darf zur Rückkehr gezwungen werden, wenn diese eine Gefahr für Leib und Leben darstellt. Hier sollte den Möglichkeiten für den Zugang zur Justiz ein wichtigerer Platz eingeräumt werden. Rechtsmittel sollten immer aufschiebende Wirkung haben. Schließlich sollte die Rückkehr nur in Ausnahmefällen und in Übereinstimmung mit dem in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats vertretenen Konzept erfolgen. Aus bestimmten Formulierungen des Vorschlags (z.B. aus den Finanzvorschriften in Kapitel 5.1.3) geht aber das Gegenteil hervor.

Die Kommission sollte detailliertere Bestimmungen zur Umsetzung vorschlagen, in denen die Beratung, materielle Unterstützung und andere geeignete Formen der Rückkehrförderung garantiert werden. Aufgenommen werden sollten auch Bestimmungen mit den Modalitäten zur unabhängigen und glaubhaften Weiterverfolgung und Kontrolle der Sicherheit, des Schutzes und des Wohlergehens von zurückgeführten Personen.

5.   Schlussfolgerung

Ein wirklich demokratisches EU-Programm, das in den Händen der Bürger liegt, im Einklang mit den Haushaltsverfahren der Institutionen und der Europäischen Union steht und auf Rechten beruht:

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, einen Europäischen Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen für den Zeitraum 2007-2013, einen Europäischen Flüchtlingsfonds in Fortsetzung des bestehenden Fonds und einen Außengrenzenfonds einzurichten.

Der Ausschuss appelliert an den Rat, den Vorschlag für eine Mitteilung zur Aufstellung eines Rahmenprogramms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ sowie die Entscheidungen zur Einrichtung spezieller Fonds im Hinblick auf die Umsetzung des Rahmenprogramms gemeinsam zu erörtern und zu verabschieden.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, in ihrem Aktionsplan zum Haager Programm seine Empfehlungen zu berücksichtigen.

Der Ausschuss empfiehlt dem Rat und der Kommission, zwischen dem Haager Programm und der vorliegenden Mitteilung eine klar erkennbare Kohärenz herzustellen, um eine transparente Funktionsweise der neuen Strukturfonds zu gewährleisten.

Der Ausschuss legt den Verantwortlichen nahe, in den Entscheidungen zur Einrichtung der verschiedenen Fonds konkrete Vorkehrungen zu treffen, um die nichtstaatlichen Akteure so früh wie möglich in den von den Mitgliedstaaten und der Kommission festzulegenden mehrjährigen Orientierungsrahmen einzubinden.

Brüssel, den 14. Februar 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 122, KOM(2005) 124.

(2)  KOM(2004) 487 endg. vom 14.7.2004 (bislang vom Rat nicht angenommen).

(3)  KOM(2004) 101 vom 10.2.2004

(4)  Stellungnahme des EWSA vom 15.9.2004 zur Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“ (KOM(2004) 101 endg.) (ABl. C 74/2005).

(5)  Beschluss des Rates vom 28.11.2002.

(6)  SEK(2005) 435 vom 6.4.2005.

(7)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat, 15./16. Oktober 1999 in Tampere.

(8)  Stellungnahme des EWSA vom 15.12.2005 zur der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre - Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (CESE 1504/2005), Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS.

(9)  Stellungnahme des EWSA vom 20.3.2002 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat“, Berichterstatter: Herr SHARMA (ABl. C 125 vom 27.5.2002).

(10)  Stellungnahme des EWSA vom 15.12.2004 zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Zur kontrollierten Einreise von Personen, die internationalen Schutz benötigen, in die EU und zur Stärkung der Schutzkapazität von Herkunftsregionen: Verbesserung des Zugangs zu dauerhaften Lösungen“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

(11)  Siehe Fußnote 8.

(12)  Stellungnahme des EWSA vom 9.6.2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (KOM(2004) 811 endg.), Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 286 vom 17.11.2005).

(13)  Initiativstellungnahme des EWSA vom 30.6.2004 zu der „Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitnehmern“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 302 vom 7.12.2004).

(14)  Ziffer 3.2.20 der Stellungnahme des EWSA vom 15.12.2005 zur der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre - Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (CESE 1504/2005) Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS.

(15)  Dieser Rechtsrahmen umfasst insbesondere Artikel 13 und 14 der Internationalen Menschenrechtscharta (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte), den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und sein Regionales Protokoll aus dem Jahr 1966 sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenfalls aus dem Jahr 1966 - die Übertragung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Sekundarrecht -, Artikel 6 Absätze 1 und 2 des EU-Vertrags (konsolidierte Fassung von Nizza, Artikel 6 Absatz 1: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“), Artikel 13 des Cotonou-Abkommens und die Genfer Konvention aus dem Jahr 1951 hinsichtlich des Asylrechts.

(16)  Stellungnahme des EWSA vom 18.9.2002 zu dem „Grünbuch über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS - ABl. C 61 vom 14.3.2003 und Stellungnahme des EWSA vom 11.12.2002 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS, ABl. C 85 vom 8.4.2003).

(17)  Die Genfer Konvention lässt keinen Zweifel daran. „Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck ‚Flüchtling‘ auf jede Person Anwendung: […] die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“ Ebenso die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.