91997E4113

SCHRIFTLICHE ANFRAGE Nr. 4113/97 von Yves VERWAERDE an die Kommission. Geopolitische Situation in der Region der großen Seen

Amtsblatt Nr. C 174 vom 08/06/1998 S. 0162


SCHRIFTLICHE ANFRAGE E-4113/97 von Yves Verwärde (PPE) an die Kommission (16. Januar 1998)

Betrifft: Geopolitische Situation in der Region der grossen Seen

Kann die Kommission mitteilen, welchen Standpunkt sie zur politischen Situation in der Region der grossen Seen vertritt?

Antwort von Herrn Pinheiro im Namen der Kommission (29. Januar 1998)

Die Region der Grossen Seen wurde in den letzten zwei Jahren durch eine Reihe noch nie dagewesener politischer, sozialer und humanitärer Krisen erschüttert. Die Regime von Kigali und Kinshasa wurden durch eine militärische Allianz vertrieben, die die ethnischen Konflikte in der Region der Grossen Seen an das Schicksal des Kongo (ehemaliges Zaire) und die strategischen Interessen Ugandas und Angolas gekoppelt hat. Der Völkermord in Ruanda, der Bürgerkrieg in Burundi und die ethnischen Säuberungen vor und während des jüngsten Konfliktes im Kongo haben mehrere hunderttausend Opfer gefordert. Tausende von Menschen wurden vertrieben. Die Auseinandersetzungen und der tägliche Kampf ums Überleben haben tiefe Ressentiments zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinterlassen.

Aber die politischen und militärischen Umwälzungen haben auch die Hoffnung geweckt, daß neue Formen der Regionalintegration und Kooperation gefunden werden, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Länder dieser Region den Frieden wiederherstellen und den wirtschaftlichen Aufschwung einleiten können. Die Region der Grossen Seen und Zentralafrika verfügen über ausserordentlich reichhaltige und vielfältige Naturressourcen. Der demographische Druck ist zwar in einigen Ländern zu einem ernsten Problem geworden, da die Bevölkerungsgruppen von den starren nationalen Grenzen eingeengt werden, er stellt aber ebenfalls ein beträchtliches Potential dar, wenn es gelingt, einen regionalen Raum zu schaffen, in dem der freie und sichere Personen- und Warenverkehr und günstige wirtschaftliche Bedingungen gewährleistet sind. Die Kommission hatte seit langem diese Vision der Regionalentwicklung in der Region der Grossen Seen und ist zu einem ersten Dialog mit den Ländern der Region über die Regionalintegration bereit.

Die Kommission ist sich der Tatsache bewusst, daß der Weg zum Frieden und zur Regionalintegration von der Sicherheit in den betreffenden Ländern abhängt, die nach wie vor von Innen und von Aussen durch verschiedene bewaffnete Oppositionsgruppen bedroht ist. Aber der Friede kann nicht allein durch militärische Aktionen gegen Aufstände wiederhergestellt werden. Die legitime Verteidigung der nationalen Souveränität muß unbedingt einhergehen mit einer über die nationalen Grenzen hinausreichenden Politik der Aussöhnung. Die Interessen aller Bevölkerungsgruppen müssen sowohl auf der wirtschaftlichen Ebene als auch bei der Beteiligung an der Ausübung der Staatsgewalt gebührend berücksichtigt werden. Der Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts muß wieder Geltung verschafft werden. Die Sicherheit ist kein staatliches Privileg, sie ist auch ein individuelles Grundrecht. Diese Sicherheit für den einzelnen umfasst mehrere Aspekte, die in ihrer Gesamtheit zu verwirklichen sind: Schutz gegen Verfolgung, Sicherheit der Person und des Eigentums, aber auch Nahrungsmittelsicherheit und Armutsbekämpfung, schließlich Schutz der Umwelt und der Wirtschaftsgrundlagen für das Überleben der Gesellschaften.

Die Wiederherstellung des Friedens in diesem weitesten Sinn ist eine grosse Herausforderung, scheint aber der einzig mögliche Weg für die Schaffung einer nachhaltigen Stabilität in dieser krisengeschüttelten Region. Die Kommission ist bereit, den Ländern, die diesen Weg gehen wollen, zu helfen, aber die politischen Grundvoraussetzungen müssen in der Region selbst und von ihren politisch Verantwortlichen geschaffen werden: Dialog und Aussöhnung auf nationaler und regionaler Ebene, Schaffung eines verfassungsrechtlichen und juristischen Rahmens für offene Gesellschaften und ein offenes Wirtschaftsgefüge sowie Ausbildung einer Verwaltung, die zu einer verantwortungsvollen Staatsführung fähig ist. Diese Vorbedingungen entsprechen dem Geist und Buchstaben des Lomé-Abkommens, das die wichtigste Rechtsquelle für die Beziehungen der Gemeinschaft mit den Ländern Afrikas, des karibischen und pazifischen Raums (AKP) ist.