Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Kammer für Vorabentscheidungssachen)

3. Dezember 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Art. 41 und 42 der Richtlinie 2006/112/EG – Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen – Art. 141 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 – Dreiecksgeschäft – Vereinfachungsmaßnahme – Lieferkette, in die vier in drei verschiedenen Mitgliedstaaten steuerlich erfasste Wirtschaftsteilnehmer einbezogen sind – Steuerpflichtiger, der Kenntnis von Umsätzen, die einen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems darstellen, hat oder haben musste “

In der Rechtssache T‑646/24,

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien) mit Entscheidung vom 21. November 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2024, in dem Verfahren

MS KLJUČAROVCI, d.o.o., in Konkurs,

gegen

Republika Slovenija

erlässt

DAS GERICHT (Kammer für Vorabentscheidungssachen),

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, der Richter J. Laitenberger und G. Hesse, der Richterin M. Stancu und des Richters I. Dimitrakopoulos (Berichterstatter),

Generalanwalt: I. Gâlea,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund der Weiterleitung des Vorabentscheidungsersuchens an das Gericht vom 13. Dezember 2024 gemäß Art. 50b Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union,

in Anbetracht des Sachgebiets nach Art. 50b Abs. 1 Buchst. a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Nichtvorliegens einer eigenständigen Auslegungsfrage im Sinne von Art. 50b Abs. 2 der Satzung,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von MS KLJUČAROVCI in Konkurs, vertreten durch J. Ahlin, Odvetnik,

–        der slowenischen Regierung, vertreten durch V. Klemenc als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Herold und B. Rous Demiri als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 1 und Art. 141 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der MS KLJUČAROVCI, d.o.o. (im Folgenden: MS), einer Handelsgesellschaft in Konkurs, die in Slowenien für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, und der Republika Slovenija (Republik Slowenien), vertreten durch das Ministrstvo za finance (Finanzministerium, Slowenien), über die Rechtmäßigkeit eines von der Finančna uprava Republike Slovenije (Steuerverwaltung der Republik Slowenien, im Folgenden: slowenische Steuerverwaltung) erlassenen Bescheids über die Berechnung der Mehrwertsteuer.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Nach Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt „[a]ls ‚Lieferung von Gegenständen‘ … die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.

4        Ferner gilt gemäß Art. 20 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie „[a]ls ‚innergemeinschaftlicher‘ Erwerb von Gegenständen … die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird“.

5        Titel V der Mehrwertsteuerrichtlinie trägt die Überschrift „Ort des steuerbaren Umsatzes“. In Kapitel 2 dieses Titels definieren die Art. 40 bis 42 den Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen.

6        Nach Art. 40 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt „[a]ls Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen … der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden“.

7        In Art. 41 der Mehrwertsteuerrichtlinie wird ausgeführt:

„Unbeschadet des Artikels 40 gilt der Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, sofern der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb im Einklang mit Artikel 40 besteuert worden ist.

Wird der Erwerb gemäß Artikel 40 im Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung der Gegenstände besteuert, nachdem er gemäß Absatz 1 besteuert wurde, wird die Steuerbemessungsgrundlage in dem Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, entsprechend gemindert.“

8        Art. 42 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Artikel 41 Absatz 1 ist nicht anzuwenden und der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen gilt als gemäß Artikel 40 besteuert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

a)      der Erwerber weist nach, dass er diesen Erwerb für die Zwecke einer anschließenden Lieferung getätigt hat, die im Gebiet des gemäß Artikel 40 bestimmten Mitgliedstaats bewirkt wurde und für die der Empfänger der Lieferung gemäß Artikel 197 als Steuerschuldner bestimmt worden ist;

b)      der Erwerber ist der Pflicht zur Abgabe der zusammenfassenden Meldung gemäß Artikel 265 nachgekommen.“

9        Titel IX der Mehrwertsteuerrichtlinie trägt die Überschrift „Steuerbefreiungen“. Kapitel 4 dieses Titels behandelt Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen. Abschnitt 2 dieses Kapitels betrifft Steuerbefreiungen beim innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen. Art. 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der in diesem Abschnitt steht, lautet:

„Jeder Mitgliedstaat trifft besondere Maßnahmen, damit ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen, der nach Artikel 40 als in seinem Gebiet bewirkt gilt, nicht mit der Mehrwertsteuer belastet wird, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      der Erwerb von Gegenständen wird von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der nicht in diesem Mitgliedstaat niedergelassen ist, aber in einem anderen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist;

b)      der Erwerb von Gegenständen erfolgt für die Zwecke einer anschließenden Lieferung dieser Gegenstände durch den unter Buchstabe a genannten Steuerpflichtigen in diesem Mitgliedstaat;

c)      die auf diese Weise von dem Steuerpflichtigen im Sinne von Buchstabe a erworbenen Gegenstände werden von einem anderen Mitgliedstaat aus als dem, in dem der Steuerpflichtige für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, unmittelbar an die Person versandt oder befördert, an die er die anschließende Lieferung bewirkt;

d)      Empfänger der anschließenden Lieferung ist ein anderer Steuerpflichtiger oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die in dem betreffenden Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist;

e)      der Empfänger der Lieferung im Sinne des Buchstaben d ist gemäß Artikel 197 als Schuldner der Steuer für die Lieferung bestimmt worden, die von dem Steuerpflichtigen bewirkt wird, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Steuer geschuldet wird.“

10      In Titel XI („Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht Art. 197 Abs. 1 vor:

„Die Mehrwertsteuer schuldet der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      der steuerpflichtige Umsatz ist eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Artikel 141;

b)      der Empfänger dieser Lieferung von Gegenständen ist ein anderer Steuerpflichtiger oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die in dem Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, in dem die Lieferung bewirkt wird;

c)      die von dem nicht im Mitgliedstaat des Empfängers der Lieferung ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 5.“

11      Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:

11.      Verweis auf die einschlägige Bestimmung dieser Richtlinie oder die entsprechende nationale Bestimmung oder Hinweis darauf, dass für die Lieferung von Gegenständen beziehungsweise die Dienstleistung eine Steuerbefreiung gilt;

…“

 Slowenisches Recht

12      Die Mehrwertsteuerrichtlinie wurde durch den Zakon o davku na dodano vrednost (Mehrwertsteuergesetz) vom 16. November 2006 (Uradni list RS, Nr. 13/11, im Folgenden: ZDDV‑1) und durch den Pravilnik o izvajanju Zakona o davku na dodano vrednost (Durchführungsverordnung zum Mehrwertsteuergesetz) vom 30. Dezember 2006 (Uradni list RS, Nr. 141/06, im Folgenden: Durchführungsverordnung zum ZDDV‑1) in slowenisches Recht umgesetzt.

13      Art. 23 ZDDV‑1 bestimmt:

„(1)      Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt der Ort, an dem sich die Gegenstände im Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden.

(2)      Unbeschadet von Abs. 1 des vorliegenden Artikels gilt jedoch der Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Erwerber der Gegenstände die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, es sei denn, der Erwerber weist nach, dass dieser Erwerb im Einklang mit Abs. 1 des vorliegenden Artikels in einem anderen Mitgliedstaat besteuert worden ist.

(3)      Wird der Erwerb, nachdem er gemäß Abs. 2 dieses Artikels besteuert wurde, in dem Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung der Gegenstände besteuert, so wird die Steuerbemessungsgrundlage in dem Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, entsprechend gemindert.

(4)      Unbeschadet von Abs. 2 des vorliegenden Artikels gilt der Erwerb von Gegenständen als nach Abs. 1 besteuert, wenn der Erwerber:

a)      nachweist, dass er diesen Erwerb für die Zwecke einer anschließenden Lieferung getätigt hat, die im Gebiet eines gemäß Abs. 1 des vorliegenden Artikels bestimmten anderen Mitgliedstaats bewirkt wurde und für die der Empfänger der Lieferung als Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt worden ist, …

b)      der Pflicht zur Abgabe der zusammenfassenden Meldung nachgekommen ist.“

14      Art. 48 Abs. 2 ZDDV‑1 sieht vor:

„Ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen, der gemäß Art. 23 Abs. 1 des vorliegenden Gesetzes im Gebiet Sloweniens bewirkt wird, wird nicht besteuert, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      der Erwerb von Gegenständen wird von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der nicht in Slowenien niedergelassen ist, aber in einem anderen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist;

b)      der Erwerb von Gegenständen erfolgt für die Zwecke einer anschließenden Lieferung dieser Gegenstände, die durch den unter Buchst. a genannten Steuerpflichtigen im Gebiet Sloweniens bewirkt wird;

c)      die auf diese Weise von dem Steuerpflichtigen im Sinne von Buchst. a erworbenen Gegenstände werden von einem anderen Mitgliedstaat aus als dem, in dem der Steuerpflichtige für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, unmittelbar an die Person versandt oder befördert, an die er die anschließende Lieferung bewirkt;

d)      Empfänger der anschließenden Lieferung ist ein Steuerpflichtiger oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die in Slowenien für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist; …

e)      für die anschließende Lieferung der Gegenstände, die der Steuerpflichtige im Sinne von Buchst. a des vorliegenden Absatzes im Gebiet Sloweniens bewirkt, schuldet gemäß Art. 76 Abs. 1 Nr. 4 des vorliegenden Gesetzes der Empfänger der Gegenstände die Mehrwertsteuer.“

15      In Art. 76 Abs. 1 Nr. 4 ZDDV‑1 heißt es:

„Die Mehrwertsteuer schuldet der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

–        beim steuerpflichtigen Umsatz handelt es sich um eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 48 Abs. 2 des vorliegenden Gesetzes;

–        der Empfänger der Lieferung ist ein anderer Steuerpflichtiger oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die in Slowenien für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist; …

–        die von dem nicht in Slowenien ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht dem vorliegenden Gesetz …“

16      Ferner heißt es in Art. 27 der Durchführungsverordnung zum ZDDV‑1:

„Als Dreiecksgeschäfte gelten aufeinanderfolgende Umsätze, an denen drei Steuerpflichtige mitwirken, die jeweils in ihrem eigenen Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst sind. Für eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen, die unmittelbar an einen steuerpflichtigen Empfänger der Gegenstände, der in einem dritten Mitgliedstaat ansässig ist, versandt bzw. befördert werden, stellt der in einem Mitgliedstaat ansässige steuerpflichtige Lieferer der Gegenstände dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen steuerpflichtigen Erwerber der Gegenstände eine Rechnung aus.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

17      MS, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine Handelsgesellschaft, die in Slowenien für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist. In den Jahren 2015 und 2016 erwarb sie von in Deutschland registrierten Lieferern Soja- und Rapstrester sowie Rapsöl, die sie an drei in Dänemark für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Gesellschaften weiterverkaufte. MS teilte den deutschen Lieferern eine Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer mit. Die Beförderung der von MS erworbenen Waren erfolgte unmittelbar aus Deutschland nach Dänemark und wurde von MS organisiert und bezahlt. Der Erwerb dieser Waren und die anschließenden Lieferungen an die drei dänischen Gesellschaften und Kunden von MS wurden in Slowenien in einer Mehrwertsteuererklärung und in einer zusammenfassenden Meldung aufgeführt. Die Rechnungen, die MS ihren Kunden ausstellte, enthielten den Vermerk „Umkehrung der Steuerschuldnerschaft“.

18      MS nutzte die in den Art. 23 und 48 ZDDV‑1 in Verbindung mit Art. 27 der Durchführungsverordnung zum ZDDV‑1 für sogenannte Dreiecksgeschäfte vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme, indem sie die Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen auf die drei dänischen Gesellschaften übertrug, ohne sich in Dänemark für Mehrwertsteuerzwecke erfassen zu lassen.

19      Die slowenische Steuerverwaltung ersuchte die dänische Steuerverwaltung auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. 2010, L 268, S. 1) um Auskunft darüber, ob die drei dänischen Gesellschaften und Kunden von MS den bei MS getätigten Erwerb angegeben hätten, die entsprechende Mehrwertsteuer ausgewiesen und entrichtet hätten sowie die Waren tatsächlich in Empfang genommen hätten. In Beantwortung dieses Ersuchens gab die dänische Steuerverwaltung an, dass diese drei Gesellschaften weder die in Rede stehenden Waren erworben hätten noch die entsprechende Mehrwertsteuer entrichtet hätten, sie weder über Lagerhallen noch über Büros in Dänemark verfügten und es sich bei ihnen deshalb um säumige Wirtschaftsteilnehmer handele.

20      Für den Erwerb der Waren wurde demnach weder in Dänemark noch in Slowenien Mehrwertsteuer entrichtet.

21      Tatsächlich wurden die von MS erworbenen Waren von MS als Organisator der Beförderung an Lager oder Mischanlagen in Dänemark geliefert, wo sie von verschiedenen Gesellschaften im Namen der Gesellschaft dänischen Rechts ANC Group, einem Kunden der drei oben in Rn. 17 genannten dänischen Gesellschaften, abgeholt wurden. Die Lieferkette umfasste somit vier in drei verschiedenen Mitgliedstaaten registrierte Wirtschaftsteilnehmer, d. h. nacheinander einen deutschen Lieferer, MS, eine dänische Gesellschaft, die Kunde von MS war, sowie ANC Group. Die in Rede stehenden Waren wurden in nur einem Beförderungsvorgang von dem ersten Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette, dem deutschen Lieferer, zu dem vierten Wirtschaftsteilnehmer in der Kette, ANC Group, befördert, der wie ein Eigentümer über diese Gegenstände verfügen konnte.

22      Die slowenische Steuerverwaltung führte bei MS in Bezug auf die Mehrwertsteuererklärung und die Abführung der Mehrwertsteuer für die Jahre 2015 und 2016 eine Steuerprüfung durch. Im Zuge dieser Prüfung setzte sie den von MS für diese beiden Jahre geschuldeten Gesamtbetrag der Mehrwertsteuer auf 1 802 408,04 Euro fest.

23      Der slowenischen Steuerverwaltung zufolge war MS nicht berechtigt, die gemäß Art. 23 bzw. Art. 48 ZDDV‑1 in Verbindung mit Art. 27 der Durchführungsverordnung zum ZDDV‑1 für Dreiecksgeschäfte vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme zu nutzen, da mehr als zwei Lieferungen von Gegenständen im Rahmen nur eines Beförderungsvorgangs bewirkt worden seien. Sie begründete dies damit, dass der dritte Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette keine Verfügungsgewalt über die in Rede stehenden Waren gehabt habe und diese Waren stattdessen dem vierten Wirtschaftsteilnehmer in dieser Kette, ANC Group, ausgehändigt worden seien. Der Ort der Besteuerung der Erwerbsvorgänge von MS liege daher gemäß Art. 23 Abs. 2 ZDDV‑1 in dem Mitgliedstaat, in dem MS für Mehrwertsteuerzwecke erfasst sei, d. h. in Slowenien. Außerdem vertrat die slowenische Steuerverwaltung die Auffassung, dass MS keinen Anspruch auf Minderung ihrer Steuerbemessungsgrundlage gemäß Art. 23 Abs. 3 ZDDV‑1 in Höhe der in Dänemark entrichteten Mehrwertsteuer gehabt habe, da sie von ihrer Mitwirkung an Umsätzen, die auf die Begehung eines Mehrwertsteuerbetrugs gerichtet gewesen seien, Kenntnis gehabt habe.

24      Das Finanzministerium wies den Einspruch von MS als unbegründet zurück und bestätigte die von der slowenischen Steuerverwaltung für die Berechnung der Mehrwertsteuer angeführte Begründung.

25      MS erhob beim Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung des Bescheids der slowenischen Steuerverwaltung.

26      Die Voraussetzungen von Art. 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie seien im vorliegenden Fall erfüllt, auch wenn der in Rede stehende Umsatz drei aufeinanderfolgende Lieferungen umfasse. Dass die Waren im Mitgliedstaat der mehrwertsteuerlichen Erfassung des nachfolgenden Erwerbers (des dritten Wirtschaftsteilnehmers in der Lieferkette) an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer (den vierten Wirtschaftsteilnehmer in dieser Kette) geliefert würden, habe keinen Einfluss darauf, ob der in Rede stehende Umsatz als Dreiecksgeschäft eingestuft werden könne.

27      Die Republik Slowenien tritt dem oben in Rn. 26 dargelegten Standpunkt von MS entgegen und macht geltend, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsatz nicht um ein Dreiecksgeschäft handele, und zwar vor allem deshalb, weil mehr als zwei Lieferungen von Waren im Rahmen nur eines Beförderungsvorgangs zwischen Deutschland und Dänemark stattgefunden hätten. Zwar hänge die Anwendung der für Dreiecksgeschäfte vorgesehenen Vereinfachungsmaßnahme nicht davon ob, dass die Waren in die Räumlichkeiten des dritten Wirtschaftsteilnehmers der Lieferkette geliefert würden, doch müsse diesem Wirtschaftsteilnehmer, den die Verpflichtung treffe, die Mehrwertsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen zu entrichten, am Ende der Beförderung die Verfügungsgewalt über die Waren verschafft werden. Diese Voraussetzung werde von MS im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Waren in den Lagern oder Mischanlagen nicht im Namen und für Rechnung der dänischen Gesellschaften und Kunden von MS, die in ihrer Gesamtheit den dritten Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette bildeten, sondern im Namen des vierten Wirtschaftsteilnehmers in dieser Kette, ANC Group, in Empfang genommen worden seien.

28      Vor diesem Hintergrund liege es nahe, so das vorlegende Gericht, dass auf die Umsätze zwischen den ersten drei Wirtschaftsteilnehmern einer Lieferkette unter Beteiligung von vier Wirtschaftsteilnehmern die Vereinfachungsmaßnahme für Dreiecksgeschäfte im Sinne der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie Anwendung finden könne, sofern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien. Denn nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts ist eine sich an ein Dreiecksgeschäft im Sinne von Art. 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie anschließende Lieferung von Gegenständen nicht Bestandteil dieses Dreiecksgeschäfts und grundsätzlich ohne Einfluss darauf, ob der zweite Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette die Voraussetzungen für die Anwendung der Vereinfachungsmaßnahme erfüllt.

29      Sodann gehe in Bezug auf die Auslegung von Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie aus dieser Richtlinie nicht hervor, dass die Absicht des dritten Wirtschaftsteilnehmers einer Lieferkette, die von ihm erworbenen Gegenstände weiterzuverkaufen, für den zweiten Wirtschaftsteilnehmer in dieser Kette von Belang sei. Insoweit ergebe sich aus der Formulierung von Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere der Wendung „an die Person, … an die er die anschließende Lieferung bewirkt“, nicht eindeutig, ob der dritte Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette die betreffenden Gegenstände, die ihm auf diese Weise zur Verfügung gestellt worden seien, tatsächlich in Empfang nehmen müsse oder ob die in dieser Bestimmung vorgesehene Voraussetzung auch im Fall einer unmittelbaren Lieferung an einen Kunden dieses Wirtschaftsteilnehmers erfüllt sei. Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass es zu dieser Frage keine Rechtsprechung des Gerichtshofs gebe, da es in der bisherigen Rechtsprechung um die formellen Voraussetzungen für die Anwendung der für Dreiecksgeschäfte vorgesehenen Vereinfachungsmaßnahme gehe.

30      Schließlich bereite die korrekte Besteuerung des Umsatzes im Ausgangsverfahren Schwierigkeiten, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der für Dreiecksgeschäfte vorgesehenen Vereinfachungsmaßnahme erfüllt seien, sich aber herausstellen sollten, dass MS wissentlich an betrügerischen Umsätzen mitgewirkt habe. Es sei fraglich, ob die slowenische Steuerverwaltung in einem solchen Fall für die Festsetzung der von MS geschuldeten Steuer nach Art. 41 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zuständig sei.

31      Unter diesen Umständen hat das Upravno sodišče (Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie, von dem gemäß den Art. 42 und 197 dieser Richtlinie die Nichtanwendung von Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie abhängt, dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung aufgestellte Voraussetzung erfüllt ist, wenn die betreffenden Gegenstände im Rahmen nur einer Beförderung zu einem Kunden des Erwerbers (und nicht zum dritten Wirtschaftsteilnehmer der Lieferkette) geliefert (d. h. ihm zur Verfügung gestellt oder übereignet) werden, der für Mehrwertsteuerzwecke im selben Mitgliedstaat erfasst ist wie der dritte Wirtschaftsteilnehmer der Lieferkette?

2.      Ist für die Erfüllung der in Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Voraussetzung erheblich, ob der Wirtschaftsteilnehmer, der die Vereinfachung für Dreiecksgeschäfte nutzt, von der anschließenden Lieferung Kenntnis hat?

In Abhängigkeit von der Antwort auf die beiden vorstehenden Fragen legt das Upravno sodišče (Verwaltungsgericht) folgende dritte Frage vor:

3.      Ist Art. 41 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie unter den Umständen des vorliegenden Falls dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer im Staat der mehrwertsteuerlichen Erfassung des Steuerpflichtigen festgesetzt werden kann, der der zweite Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette ist (d. h. in Slowenien), wobei die Steuerbemessungsgrundlage in diesem Zusammenhang nicht gemäß Art. 41 Abs. 2 dieser Richtlinie gemindert wird, sofern festgestellt wird, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er an Umsätzen mitgewirkt hat, die einen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems darstellen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

32      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in den Art. 42, 141 und 197 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme für Dreiecksgeschäfte auf den zweiten Wirtschaftsteilnehmer einer Lieferkette in dem speziellen Fall Anwendung findet, dass in diese Lieferkette nicht drei, sondern vier in drei verschiedenen Mitgliedstaaten für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Wirtschaftsteilnehmer einbezogen sind.

33      Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei einem Dreiecksgeschäft um ein Geschäft, mit dem ein Gegenstand von einem in einem ersten Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Lieferer an einen in einem zweiten Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Zwischenerwerber geliefert wird, der diesen Gegenstand seinerseits an einen in einem dritten Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Enderwerber liefert, wobei der Gegenstand unmittelbar vom ersten Mitgliedstaat in den dritten Mitgliedstaat befördert wird (Urteil vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 41).

34      Für dieses Dreiecksgeschäft kann eine Regelung genutzt werden, die von der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Regel abweicht, wonach der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt der Mehrwertsteuer unterliegt (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Die abweichende Regelung besteht darin, dass zum einen der innergemeinschaftliche Erwerb durch den Zwischenerwerber, der im zweiten Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, von der Steuer befreit wird, und zum anderen die Besteuerung dieses Erwerbs auf den im dritten Mitgliedstaat ansässigen und für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Enderwerber verlagert wird, wobei der Zwischenerwerber im dritten Mitgliedstaat von der Pflicht befreit ist, sich für Mehrwertsteuerzwecke erfassen zu lassen. Die Regelung ergibt sich aus dem Zusammenspiel der in Art. 40 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Regel und der Ausnahme gemäß Art. 42 dieser Richtlinie (Urteil vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 43).

36      Art. 40 der Mehrwertsteuerrichtlinie stellt nämlich die Regel auf, dass Ort der Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs der Ort ist, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden. Um die korrekte Anwendung dieser Regel zu gewährleisten, gilt nach Art. 41 dieser Richtlinie, sofern der Erwerber nicht nachweist, dass der Erwerb im Einklang mit Art. 40 der Richtlinie besteuert worden ist, der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat (Urteil vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 44).

37      Art. 42 der Mehrwertsteuerrichtlinie weicht im Rahmen der in Art. 141 dieser Richtlinie definierten Dreiecksgeschäfte von der Anwendung der oben in Rn. 36 genannten Regel ab, wenn der Erwerber zum einen nachweist, dass er den in Rede stehenden innergemeinschaftlichen Erwerb für die Zwecke einer anschließenden Lieferung getätigt hat, die im Gebiet des gemäß Art. 40 der Richtlinie bestimmten Mitgliedstaats bewirkt wurde und für die der Empfänger gemäß Art. 197 der Richtlinie als Steuerschuldner bestimmt worden ist, und wenn der Erwerber zum anderen der Pflicht zur Abgabe der zusammenfassenden Meldung gemäß Art. 265 der Richtlinie nachgekommen ist (Urteil vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 45).

38      Im Ausgangsverfahren umfasst die Lieferkette im Gegensatz zu einem „klassischen“ Dreiecksgeschäft (also einem Geschäft, an dem drei Wirtschaftsteilnehmer beteiligt sind) vier Steuerpflichtige, die in drei verschiedenen Mitgliedstaaten für Mehrwertsteuerzwecke erfasst sind. Im zugrunde liegenden Sachverhalt verkauft ein in Deutschland für Mehrwertsteuerzwecke erfasster Steuerpflichtiger (A) Gegenstände an einen in Slowenien für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Steuerpflichtigen (B), B diese Gegenstände an einen in Dänemark für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Steuerpflichtigen (C) und C seinerseits die Gegenstände an einen ebenfalls in Dänemark für Mehrwertsteuerzwecke erfassten Steuerpflichtigen (D).

39      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens der dritte und letzte Umsatz zwischen den Wirtschaftsteilnehmern C und D, der in demselben Mitgliedstaat wie der vorherige Umsatz erfolge, zumindest grundsätzlich als eine weitere Lieferung anzusehen sei, die keinen Einfluss auf die vorausgegangenen Umsätze habe, die in ihrer Gesamtheit als vorangegangenes Dreiecksgeschäft eingestuft werden könnten und für die die in den Art. 42, 141 und 197 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Maßnahme der Verwaltungsvereinfachung genutzt werden dürfe, sofern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien.

40      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht die Schwierigkeit darin, dass aus der Wendung „an die Person, an die er die anschließende Lieferung bewirkt“ in Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht klar hervorgehe, ob der dritte Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette die betreffenden Gegenstände, die ihm auf diese Weise zur Verfügung gestellt worden seien, tatsächlich in Empfang nehmen müsse oder ob die in dieser Bestimmung vorgesehene Voraussetzung auch im Fall einer unmittelbaren Lieferung an den Kunden dieses Wirtschaftsteilnehmers erfüllt sei.

41      Folglich geht es im Ausgangsverfahren im Wesentlichen darum, dass die „anschließende Lieferung“ im Sinne von Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht an den dritten Wirtschaftsteilnehmer (den Wirtschaftsteilnehmer C) bewirkt wurde, sondern unmittelbar an seinen Kunden (den Wirtschaftsteilnehmer D).

42      Das vorlegende Gericht möchte somit mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass die Gegenstände nicht physisch zu der Person befördert werden, an die im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts die anschließende Lieferung bewirkt wird, sondern zu ihrem Kunden, an den sie diese Gegenstände weiterverkauft und der in demselben Mitgliedstaat wie der Wiederverkäufer für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, der Erfüllung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzung nicht entgegensteht.

43      Unter diesen Umständen betrifft die erste Vorlagefrage im Wesentlichen die Auslegung des Begriffs „Empfänger der anschließenden Lieferung“ im Sinne von Art. 141 Buchst. c und d der Mehrwertsteuerrichtlinie.

44      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Lieferung von Gegenständen als „Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“ definiert.

45      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen, sondern umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. Urteil vom 2. Juli 2015, NLB Leasing, C‑209/14, EU:C:2015:440, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie setzt jedoch weder voraus, dass der Beteiligte, dem das Eigentum über diesen körperlichen Gegenstand verschafft wird, die tatsächliche Verfügungsgewalt über ihn erlangt, noch, dass der körperliche Gegenstand physisch zu ihm befördert und/oder physisch von ihm in Empfang genommen wird (Beschluss vom 15. Juli 2015, Itales, C‑123/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:511, Rn. 36; vgl. auch entsprechend Urteil vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C‑430/09, EU:C:2010:786, Rn. 42).

47      Der Gerichtshof hat insoweit bereits klargestellt, dass der Umstand, dass ein Gegenstand nicht unmittelbar vom Aussteller der Rechnung über den Kauf erlangt worden ist, nicht zwingend die Folge einer betrügerischen Verschleierung des tatsächlichen Lieferers ist, sondern andere Gründe haben kann, u. a. das Vorliegen zweier aufeinanderfolgender Verkäufe derselben Gegenstände, die auf Anweisung unmittelbar vom ersten Verkäufer zum zweiten Erwerber befördert worden sind, so dass zwei aufeinanderfolgende Lieferungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegen, aber nur eine tatsächliche Beförderung. Außerdem ist es nicht erforderlich, dass der erste Erwerber zum Zeitpunkt der Beförderung Eigentümer der in Rede stehenden Gegenstände geworden ist, da das Vorliegen einer Lieferung im Sinne dieser Bestimmung nicht voraussetzt, dass das Eigentum am Gegenstand übergeht (vgl. Beschluss vom 15. Juli 2015, Itales, C‑123/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:511, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Somit ist festzustellen, dass Art. 141 Buchst. c und d der Mehrwertsteuerrichtlinie weder verlangt, dass der Empfänger einer „anschließenden Lieferung“ im Sinne dieser Bestimmungen die tatsächliche Verfügungsgewalt über den gelieferten körperlichen Gegenstand erlangt, noch, dass dieser körperliche Gegenstand physisch zu dieser Person befördert und/oder physisch von ihr in Empfang genommen wird. Folglich kann eine solche Lieferung im Rahmen nur eines Beförderungsvorgangs zu der Person bewirkt werden, an die der Empfänger den körperlichen Gegenstand weiterverkauft.

49      Ferner wird diese Auslegung durch die Ziele gestützt, die mit der in den Art. 42 und 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung verfolgt werden. Insoweit soll nach der Rechtsprechung mit Art. 141 dieser Richtlinie zwar vermieden werden, dass sich der Zwischenerwerber (der Wirtschaftsteilnehmer B) im Bestimmungsmitgliedstaat der Gegenstände mehrwertsteuerlich erfassen lassen und eine Steuererklärung abgeben muss, doch soll mit den Art. 41 und 42 der Richtlinie sichergestellt werden, dass der in Rede stehende innergemeinschaftliche Erwerb beim Enderwerber (dem Wirtschaftsteilnehmer C), der Empfänger der anschließenden Lieferung ist, der Mehrwertsteuer unterliegt, und gleichzeitig verhindern, dass dieser Umsatz doppelt besteuert wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. April 2018, Firma Hans Bühler, C‑580/16, EU:C:2018:261, Rn. 41 und 50, sowie vom 8. Dezember 2022, Luxury Trust Automobil, C‑247/21, EU:C:2022:966, Rn. 53). Ob diese Ziele erreicht werden, hängt jedoch nicht davon ab, dass die Gegenstände physisch zu der Person befördert werden, an die die anschließende Lieferung bewirkt wird.

50      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass die Gegenstände, die im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts geliefert werden, nicht physisch zu der Person befördert werden, an die die anschließende Lieferung bewirkt wird, sondern zu ihrem Kunden, an den sie diese Gegenstände weiterverkauft und der in demselben Mitgliedstaat wie der Wiederverkäufer für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, der Erfüllung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzung nicht entgegensteht.

 Zur zweiten Frage

51      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es für die Erfüllung der in Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Voraussetzung von Bedeutung ist, ob ein Wirtschaftsteilnehmer, der die für Dreiecksgeschäfte vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme nutzt, Kenntnis davon hat, dass die anschließende Lieferung nicht an die Person erfolgt ist, an die diese Lieferung bewirkt wurde, sondern an ihren Kunden.

52      In Anbetracht der oben in den Rn. 46 bis 50 angestellten Erwägungen ist die zweite Frage zu verneinen. Ein gegenteiliger Ansatz liefe im Übrigen der Rechtsprechung zuwider, wonach bei der Besteuerung von Umsätzen auf ihre objektiven Merkmale abzustellen ist (vgl. Urteil vom 27. September 2007, Collée, C‑146/05, EU:C:2007:549, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2018, E LATS, C‑154/17, EU:C:2018:560, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 141 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass es für die Erfüllung der darin vorgesehenen Voraussetzung ohne Bedeutung ist, ob ein Wirtschaftsteilnehmer, der die für Dreiecksgeschäfte vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme nutzt, Kenntnis davon hat, dass die betreffenden Gegenstände nicht physisch zu der Person befördert werden, an die die anschließende Lieferung bewirkt wird, sondern an ihren Kunden, an den sie diese Gegenstände weiterverkauft und der in demselben Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist wie der Wiederverkäufer.

 Zur dritten Frage

54      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 41 und 42 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen gilt, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, und dieser Erwerber keinen Anspruch auf die in Art. 41 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Minderung der Steuerbemessungsgrundlage hat, wenn festgestellt wird, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an Umsätzen mitgewirkt hat, die einen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems darstellen.

55      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti u. a., C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Außerdem ist nach gefestigter Rechtsprechung die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch ein von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkanntes und gefördertes Ziel (vgl. Urteil vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona, C‑273/11, EU:C:2012:547, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass die nationalen Behörden und Gerichte in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Rechte, die in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise geltend gemacht werden, grundsätzlich unabhängig davon versagen müssen, ob es sich um Rechte auf Abzug, auf Befreiung von oder auf Erstattung der auf eine innergemeinschaftliche Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer handelt (Urteil vom 18. Dezember 2014, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti u. a., C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 49).

58      Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz mitwirkte, der in eine vom Lieferer oder Leistenden oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti u. a., C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Da missbräuchliche oder betrügerische Handlungen kein in der Unionsrechtsordnung vorgesehenes Recht begründen können, bedeutet die Versagung eines sich aus der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebenden Vorteils nicht, dass dem Einzelnen nach dieser Richtlinie eine Verpflichtung auferlegt wird, vielmehr ist sie die bloße Folge der Feststellung, dass die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils, die in der Richtlinie in Bezug auf dieses Recht vorgesehen sind, in Wirklichkeit nicht erfüllt sind (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti u. a., C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Insoweit ist mit der Republik Slowenien festzustellen, dass nach der Rechtsprechung die Versagung eines sich aus der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebenden Vorteils weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen die Grundsätze der Neutralität, der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes verstößt. Denn ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, kann sich nicht mit Erfolg auf diese Grundsätze berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2010, R., C‑285/09, EU:C:2010:742, Rn. 53 und 54).

61      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sowie der oben in Nr. 49 genannten Ziele, die mit der in den Art. 42 und 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung verfolgt werden, ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Art. 41 und 42 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die Behörden und Gerichte des Mitgliedstaats, der dem Erwerber die von ihm für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, diesem Erwerber die Nutzung der in den Art. 42 und 141 dieser Richtlinie vorgesehenen Regelung und die in Art. 41 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Minderung der Steuerbemessungsgrundlage zu versagen haben, wenn festgestellt wird, dass der Erwerber wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem Umsatz, den er zur Anwendung dieser Regelung geltend macht, an einem im Rahmen einer Lieferkette begangenen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems mitgewirkt hat.

 Kosten

62      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Kammer für Vorabentscheidungssachen)

für Recht erkannt:

1.      Art. 141 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

der Umstand, dass die Gegenstände, die im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts geliefert werden, nicht physisch zu der Person befördert werden, an die die anschließende Lieferung bewirkt wird, sondern zu ihrem Kunden, an den sie diese Gegenstände weiterverkauft und der in demselben Mitgliedstaat wie der Wiederverkäufer für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, der Erfüllung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzung nicht entgegensteht.

2.      Art. 141 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

es für die Erfüllung der darin vorgesehenen Voraussetzung ohne Bedeutung ist, ob ein Wirtschaftsteilnehmer, der die für Dreiecksgeschäfte vorgesehene Vereinfachungsmaßnahme nutzt, Kenntnis davon hat, dass die betreffenden Gegenstände nicht physisch zu der Person befördert werden, an die die anschließende Lieferung bewirkt wird, sondern an ihren Kunden, an den sie diese Gegenstände weiterverkauft und der in demselben Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist wie der Wiederverkäufer.

3.      Die Art. 41 und 42 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

die Behörden und Gerichte des Mitgliedstaats, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete MehrwertsteuerIdentifikationsnummer erteilt hat, diesem Erwerber die Nutzung der in den Art. 42 und 141 dieser Richtlinie vorgesehenen Regelung und die in der in Art. 41 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Minderung der Steuerbemessungsgrundlage zu versagen haben, wenn festgestellt wird, dass der Erwerber wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem Umsatz, den er zur Anwendung dieser Regelung geltend macht, an einem im Rahmen einer Lieferkette begangenen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems mitgewirkt hat.

Papasavvas

Laitenberger

Hesse

Stancu

 

      Dimitrakopoulos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Dezember 2025.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Slowenisch.