Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
TAMARA ĆAPETA
vom 3. Juli 2025(1)
Rechtssache C‑84/24
„EM SYSTEM“ UAB
gegen
SEB bankas AB,
„Citadele banka“ AS Lietuvos filialas
(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberstes Gericht Litauens, Litauen])
(Vorabentscheidungsersuchen – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Belarus – Verordnung [EG] Nr. 765/2006 – Einfrieren der Gelder bestimmter Personen und Organisationen – Auswirkung auf die Gelder einer Gesellschaft, bei der eine gelistete Person 50 % der Anteile besitzt)
I. Einleitung
1. Beschlagnahmen von Yachten, schnellen Autos und Luxuswohnungen zur Durchsetzung der restriktiven Unionsmaßnahmen fanden in den vergangenen Jahren große Beachtung in den Medien. Diese Aktionen kommen in der Öffentlichkeit zwar gut an, die eigentliche Herausforderung für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen liegt aber darin, die finanziellen Interessen der vom Rat der Europäischen Union in die Liste aufgenommenen Personen gezielt zu erfassen.
2. In der vorliegenden Rechtssache geht es genau um diesen Aspekt, nämlich um die Frage, ob den „Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen“ einer natürlichen Person, die einzufrieren sind, weil diese Person in einer Verordnung über restriktive Maßnahmen aufgeführt ist, auch das Vermögen einer Gesellschaft zuzurechnen ist, an der diese Person mit einem Anteil von 50 % beteiligt ist.
3. Diese Frage stellt sich im Zusammenhang mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 (im Folgenden: Belarus-Sanktionsverordnung)(2). Nachdem Herr A. V. S., ein belarussischer Staatsangehöriger, in der Liste im Anhang dieser Verordnung aufgeführt worden war, sperrten die SEB bankas AB und die „Citadele banka“ AS Lietuvos filialas (im Folgenden: beklagte Banken) die Konten der EM SYSTEM UAB, einer litauischen Gesellschaft, an der Herr A. V. S. genau 50 % der Anteile hält.
4. EM SYSTEM erhob Klage gegen diese Entscheidung vor den zuständigen litauischen Gerichten. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie eine eigenständige juristische Person sei und daher nicht davon ausgegangen werden könne, dass das gegen einen ihrer Gesellschafter verhängte Einfrieren von Vermögenswerten sich auch auf ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen erstrecke.
II. Hintergrund des vorliegenden Verfahrens und Vorlagefragen
5. Am 24. März 2006 verurteilte der Rat „das Vorgehen der belarussischen Behörden, die … friedliche Demonstranten, die ihr legitimes Recht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben, um gegen den Ablauf der Präsidentschaftswahlen [in Belarus] zu protestieren, festgenommen haben“, und beschloss „restriktive Maßnahmen gegen diejenigen zu ergreifen, die für die Verletzungen internationaler Wahlstandards verantwortlich sind, auch gegen Präsident Lukaschenko“(3).
6. Am 10. April 2006 verabschiedete der Rat den Gemeinsamen Standpunkt 2006/276/GASP(4).
7. Dieser Gemeinsame Standpunkt wurde durch den Gemeinsamen Standpunkt 2006/362/GASP(5) geändert, um das Einfrieren von Vermögenswerten in Bezug auf bestimmte Personen zu verhängen, die bei diesem harten Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus eine Rolle gespielt hatten.
8. Diese beiden Gemeinsamen Standpunkte wurden durch die Belarus-Sanktionsverordnung auf der Grundlage von (jetzt) Art. 215 AEUV umgesetzt.
9. Am 15. Oktober 2012 erließ der Rat den Beschluss 2012/642/GASP(6). In diesem Beschluss wird erklärt, dass im Hinblick auf die „systematische und koordinierte Verletzung von internationalen Menschenrechtsstandards und von Gesetzen der Republik Belarus“ auch „Maßnahmen gegen Personen in Führungspositionen in Belarus sowie Personen und Organisationen, die von dem Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen, insbesondere Personen und Organisationen, die das Regime finanziell oder materiell unterstützen“, verhängt werden sollten(7).
10. Demgemäß bestimmt Art. 4 des Beschlusses 2012/642:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum folgender im Anhang aufgeführter Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren:
a) Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, oder mit ihnen in Verbindung stehende natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sowie die in ihrem Eigentum stehenden und von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen,
b) natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die von dem Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen, sowie die in ihrem Eigentum stehenden oder von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen.
(2) Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“
11. Dieser Beschluss wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1014/2012(8) umgesetzt, mit der wiederum die Belarus-Sanktionsverordnung geändert wurde, u. a. im Hinblick darauf, dass mit dem Beschluss 2012/642 beschlossen worden war, „die Kriterien für die Aufnahme von natürlichen und juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen in die Listen … zu präzisieren“(9).
12. In der geänderten Fassung lautet Art. 2 der Belarus-Sanktionsverordnung wie folgt:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.
(2) Den in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.
(3) Es ist verboten, sich wissentlich und vorsätzlich an Tätigkeiten zu beteiligen, mit denen unmittelbar oder mittelbar die Umgehung der in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen bezweckt oder bewirkt wird.
(4) Anhang I enthält eine Liste der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die vom Rat nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a des Beschlusses [2012/642] … als Personen, Organisationen oder Einrichtungen ermittelt wurden, die für schwere Menschenrechtsverletzungen oder Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, und der mit ihnen in Verbindung stehenden natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen sowie der in ihrem Eigentum stehenden oder von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen.
(5) Anhang I enthält auch eine Liste der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die vom Rat nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b des Beschlusses [2012/642] als natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen ermittelt wurden, die Nutznießer des Lukaschenko-Regimes sind oder es unterstützen, sowie der in ihrem Eigentum stehenden oder von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen.“
13. Angesichts der anhaltenden Repression der Zivilgesellschaft in Belarus erließ der Rat am 17. Dezember 2020 die Durchführungsverordnung (EU) 2020/2129 (im Folgenden: Verordnung über die Aufnahme in die Liste von 2020)(10), um der Liste in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung eine Reihe von natürlichen und juristischen Personen hinzuzufügen.
14. Herr A. V. S gehört zu den vom Rat in die Liste aufgenommenen Personen. In seiner Begründung für die Aufnahme von Herrn A. V. S. in die Liste führt der Rat aus, dass er vom Lukaschenko-Regime profitiert und es unterstützt habe und dass er öffentlich die Oppositionsproteste in Belarus verurteilt und damit zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in diesem Land beigetragen habe(11).
15. Am 18. Dezember 2020, dem Tag nach der Aufnahme von Herrn A. V. S. in die Liste durch den Rat, froren die beklagten Banken einseitig und somit aus eigener Initiative die Gelder von EM SYSTEM im Hinblick auf die 50%ige Beteiligung von Herrn A. V. S. an dieser Gesellschaft ein.
16. Aus den nationalen Akten geht hervor, dass die beklagte Bank SEB bankas AB an diesem Tag auch das Außenministerium der Republik Litauen kontaktierte, um zu klären, ob es angesichts der Aufnahme von Herrn A. V. S. in die Liste der Personen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, und seiner Beteiligung an EM SYSTEM richtig gewesen sei, die Vermögenswerte einzufrieren, und ob sie das Einfrieren der Konten von EM SYSTEM aufrechterhalten solle.
17. Wie in der Sitzung bestätigt gaben die zuständigen litauischen Behörden keine Erklärung darüber ab, ob EM SYSTEM dem nach Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung verhängten Einfrieren von Vermögenswerten unterlag. Erst am 14. Oktober 2022, nach dem Inkrafttreten neuer Rechtsvorschriften, erließ der Direktor des Finansinių nusikaltimų tyrimo tarnyba prie Lietuvos Respublikos vidaus reikalų ministerija (Ermittlungsdienst für Finanzkriminalität des Innenministeriums der Republik Litauen) einen Bescheid, in dem er klarstellte, dass EM SYSTEM Verbindungen zu einer Person habe, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt worden seien. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ist eine gesonderte Klage auf Nichtigerklärung dieses Bescheids beim Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionalverwaltungsgericht Vilnius, Litauen) anhängig.
18. Mit Klage vom 30. November 2021 vor dem Vilniaus miesto apylinkės teismas (Bezirksgericht Vilnius-Stadt, Litauen) wandte sich EM SYSTEM gegen die Entscheidung der beklagten Banken über das Einfrieren ihrer Vermögenswerte.
19. Mit Urteil vom 25. Januar 2023 wies der Vilniaus miesto apylinkės teismas (Bezirksgericht Vilnius-Stadt, Litauen) die Klage ab. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das Urteil dieses Gerichts im Wesentlichen auf der Annahme beruht, die 50%ige Beteiligung von Herrn A. V. S. an EM SYSTEM beinhalte „Kontrolle“ über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung. Das mit dieser Bestimmung verhängte Einfrieren von Vermögenswerten gelte daher auch für die Vermögenswerte von EM SYSTEM, die von Herrn A. V. S. kontrolliert würden.
20. EM SYSTEM legte gegen dieses Urteil Berufung beim Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius, Litauen) ein, das am 23. Mai 2023 das Urteil und dessen Begründung bestätigte.
21. Der mit der Kassationsbeschwerde befasste Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens, Litauen), das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache, stellt fest, dass in Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung nicht bestimmt sei, welches Kriterium bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen sei, ob eine juristische Person oder Organisation im „Eigentum, Besitz oder unter der Kontrolle“ einer anderen Person oder Organisation stehe. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass in der litauischen Fassung der Leitlinien von 2018(12) und des Dokuments über vorbildliche Verfahren von 2022(13) in Nr. 55a bzw. Nr. 62 als ein Kriterium für den Eigentumsbegriff der Besitz von „mehr als 50 %“ der Eigentumsrechte festgelegt werde(14). Darüber hinaus bezögen sich spätere Änderungen der Belarus-Sanktionsverordnung, die sich in Art. 1j und Art. 1k Buchst. c fänden, auf Sanktionen, die gegen eine juristische Person, Organisation oder Einrichtung zu verhängen seien, „deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar“ von einer gelisteten Person gehalten würden(15). Jedenfalls würden Nr. 55b der Leitlinien von 2018 und Nr. 63 des Dokuments über vorbildliche Verfahren von 2022 darauf hindeuten, dass der Begriff „Kontrolle“ u. a. so zu verstehen sei, dass er sich in der Befugnis widerspiegele, die Bestellung eines Leiters zu verhindern.
22. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht daher Unsicherheit darüber, wie die Begriffe „Eigentum“ und „Kontrolle“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung bei einem Sachverhalt wie dem in der vorliegenden Rechtssache zu bestimmen sind, bei dem eine gelistete Person genau 50 % der Anteile einer nicht gelisteten Gesellschaft besitzt.
23. Schließlich stellt sich dem vorlegenden Gericht für den Fall, dass eine Vermutung dafür besteht, dass die Voraussetzung für die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 erfüllt ist, die Frage, ob diese Vermutung widerlegt werden kann, und, falls ja, ob sich die unter diese Bestimmung fallende Organisation darauf berufen kann, dass die Bedingung nach Art. 2 Abs. 2 der Belarus-Sanktionsverordnung – dass das Verbot des Zugriffs auf Gelder Anwendung findet, wenn Gelder der Gesellschaft einer in Anhang I dieser Verordnung aufgeführten Person zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen – erfüllt ist.
24. Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 2 Abs. 1 und 2 der Belarus-Sanktionsverordnung dahin auszulegen, dass dann, wenn feststeht, dass eine in Anhang I der Verordnung aufgeführte Person genau 50 % der Anteile an einer Gesellschaft besitzt, die Vermutung besteht, dass die Gelder der Gesellschaft Eigentum der in Anhang I der Verordnung aufgeführten Person sind oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden?
2. Kann in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in dem eine Gesellschaft, deren Gelder eingefroren wurden, weil genau 50 % ihrer Anteile von einer in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführten Person gehalten werden, beantragt, die beklagten Banken zu verpflichten, die Verträge über die Führung eines Bankkontos zu erfüllen, so dass diese Gesellschaft uneingeschränkt auf die Gelder auf ihren Bankkonten zugreifen kann, gegenüber der Entscheidung der Bank, die Gelder der Gesellschaft einzufrieren, eingewendet werden, dass die Gelder der Gesellschaft nicht von einer in Anhang I der Verordnung aufgeführten Person verwendet werden oder ihr zugutekommen?
3. Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Welche Kriterien sind in einem solchen Verfahren vor einem nationalen Gericht anzuwenden, um festzustellen, ob die Gelder nicht von einer in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführten Person verwendet werden oder ihr zugutekommen? Können Umstände wie 1. die Trennung der Vermögenswerte der Gesellschaft von denen ihrer Anteilseigner, 2. der Umstand, dass der Leiter der Gesellschaft (und keine in Anhang I der Verordnung aufgeführte Person) im Namen der Gesellschaft handelt, und 3. der Umstand, dass nur der Leiter der Gesellschaft Zugang zu den Bankkonten der Gesellschaft hat, dafür sprechen, dass die Gelder der Gesellschaft nicht einer in Anhang I der Verordnung aufgeführten Person zugutekommen, deren Anteil an der Gesellschaft genau 50 % beträgt?
25. Schriftliche Erklärungen haben die Beklagten des ersten Rechtszugs, die Regierungen Finnlands, Estlands, Lettlands, Litauens und Deutschlands sowie die Europäische Kommission eingereicht. EM SYSTEM, SEB bankas AB und „Citadele banka“ AS Lietuvos filialas, die Regierungen Spaniens, Deutschlands, Litauens und Lettlands sowie der Rat der Europäischen Union und die Kommission haben in der Sitzung vom 27. März 2025 außerdem mündliche Erklärungen abgegeben.
III. Würdigung
26. Die von der Union gegen Belarus verhängten restriktiven Maßnahmen enthalten u. a. gezielte Maßnahmen gegen Personen, die Nutznießer des Lukaschenko-Regimes sind oder es unterstützen. Diese Maßnahmen sehen vor, dass Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der gelisteten Personen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, einzufrieren sind.
27. Ist Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung dahin auszulegen, dass Banken in dem Fall, dass eine gelistete Person zu 50 % an einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat beteiligt ist, auch die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft einfrieren müssen? Dies ist der Kern der ersten Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache.
28. Ich werde diese Frage in zwei Schritten prüfen. Zunächst werde ich klarstellen, dass das durch die Belarus-Sanktionsverordnung verhängte Einfrieren von Vermögenswerten nicht automatisch alle Gesellschaften erfasst, an denen die gelistete Person Anteile hält. Mit anderen Worten: Die Aufführung eines Gesellschafters in der Liste, selbst wenn er die Mehrheit der Anteile hält, bedeutet nicht automatisch, dass die Gesellschaft gelistet ist, deren Anteile er besitzt (Abschnitt III.A). Ich werde dann erläutern, dass, selbst wenn die Gesellschaft selbst nicht gelistet ist, ihr Vermögen dennoch als unter der „Kontrolle“ der gelisteten Person stehend anzusehen ist. Bei einem Anteilsbesitz von 50 % besteht die Vermutung, dass nicht nur die „Kontrolle“ über die Gesellschaft, sondern auch über ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen vorhanden ist (Abschnitt III.B). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die beklagten Banken nicht rechtsfehlerhaft handelten, als sie die Vermögenswerte von EM SYSTEM auf der Grundlage der 50%igen Beteiligung von Herrn A. V. S. an dieser Gesellschaft eingefroren haben. Wie ich noch erläutern werde, muss diese Vermutung jedoch widerlegbar sein. Der Gesellschaft muss der Nachweis offenstehen, dass die gelistete Person trotz ihres Gesellschaftsanteils zur Kontrolle des Vermögens der Gesellschaft nicht in der Lage ist (Abschnitt III.C).
29. Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Gesellschaft, bei der die Vermutung besteht, dass sie durch eine Beteiligung kontrolliert wird, diese Vermutung dadurch widerlegen kann, dass sie den Nachweis erbringt, dass das Gesellschaftsvermögen der gelisteten Person nicht zugutekommt. Wie ich jedoch zeigen werde, handelt es sich bei dem Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen nach Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung und dem Verbot nach Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung, einer im Anhang aufgeführten Person Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um zwei eigenständige und nicht miteinander verbundene Maßnahmen. Daher werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zu verneinen, d. h. dahin zu beantworten, dass den Wirkungen eines Einfrierens von Vermögenswerten nicht mit der Begründung entgegengetreten werden kann, dass die fraglichen Gelder nicht von einer gelisteten Person verwendet werden oder ihr zugutekommen. Unter diesen Umständen erübrigt sich die Beantwortung der dritten Vorlagefrage (Abschnitt III.D).
A. Kein automatisches Einfrieren von Vermögenswerten ohne Aufführung in der Liste
30. Wie die deutsche Regierung in ihren Erklärungen ausführt, geht das vorlegende Gericht bei seiner Prüfung offenbar davon aus, dass die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von EM SYSTEM schon allein deshalb eingefroren seien, weil 50 % der Anteile dieser Gesellschaft von Herrn A. V. S. gehalten werden.
31. Mit anderen Worten: Das vorlegende Gericht legt Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung offenbar in der Weise aus, dass die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen unabhängiger und rechtlich selbständiger Personen automatisch eingefroren sind, auch wenn diese juristische Person selbst in der Verordnung nicht aufgeführt ist.
32. Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.
33. Der Beschluss 2012/642 sieht vor, dass der Rat die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von Personen oder Organisationen einfrieren kann, über die eine gelistete Person „Kontrolle“ ausübt.
34. Dieser Beschluss erging auf der Grundlage von Art. 29 EUV, der die Annahme außenpolitischer Maßnahmen zu einer bestimmten Frage „geografischer oder thematischer Art“ vorsieht, für die der Rat den „Standpunkt der Union“ festlegt.
35. Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gemäß Art. 29 EUV werden durch Verordnungen des Rates auf der Grundlage von Art. 215 AEUV umgesetzt. Diese Art von Verordnung kann eine von zwei Formen annehmen: (i) Verordnungen, die die vollständige oder teilweise Unterbrechung oder Einschränkung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern vorsehen und auf der Grundlage von Art. 215 Abs. 1 AEUV erlassen werden(16), und (ii) Verordnungen mit Maßnahmen, die auf natürliche oder juristische Personen und Gruppierungen oder nicht staatliche Einheiten „zielen“ und in den Anwendungsbereich von Art. 215 Abs. 2 AEUV fallen.
36. In beiden Fällen erlässt der Rat mit qualifizierter Mehrheit eine Verordnung auf der Grundlage eines gemeinsamen Vorschlags des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission und unterrichtet das Europäische Parlament über die sich daraus ergebenden Maßnahmen.
37. Auch wenn Art. 215 Abs. 2 AEUV dem Rat die Möglichkeit gibt, gegen einzelne Personen oder Einheiten gerichtete Sanktionen zu verhängen, gewähren die dem Rat auf diese Weise übertragenen Befugnisse ihm keinen „Freibrief“ für die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen jede beliebige natürliche oder juristische Person.
38. In Anbetracht des engen Zusammenhangs mit Art. 29 EUV dürfen restriktive Maßnahmen nach Art. 215 Abs. 2 AEUV lediglich solche natürlichen und juristischen Personen betreffen, die eine hinreichend enge Verbindung zum thematischen oder geografischen Charakter der betreffenden Maßnahmen aufweisen(17).
39. Die für die Aufnahme natürlicher oder juristischer Personen in die Liste aufgrund ihrer Verbindung zu dem genannten geografischen oder thematischen Bereich gegebene Begründung(18) ist die Grundlage für die Ausübung der vollen Nachprüfungsbefugnis der Unionsgerichte(19) zur Kontrolle des vom Rat ausgeübten Ermessens(20).
40. In der vorliegenden Rechtssache geht es um restriktive Maßnahmen, die mit der Belarus-Sanktionsverordnung gegen Belarus verhängt wurden. Zu diesen Maßnahmen gehört auch das Einfrieren der Vermögenswerte der in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Personen gemäß Art. 2 Abs. 1. Nach Auffassung des Rates gibt es bei den in diesem Anhang aufgeführten Personen einen thematischen Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen und der Repression der Zivilgesellschaft und der Demokratie in diesem Staat.
41. Mit der Verordnung über die Aufnahme in die Liste von 2020 wurde Herr A. V. S. vom Rat in diese Liste der natürlichen oder juristischen Personen eingetragen.
42. In der Verordnung über die Aufnahme in die Liste von 2020 findet sich im Eintrag von Herrn A. V. S. jedoch kein Hinweis auf EM SYSTEM(21).
43. Auch wird diese Gesellschaft nicht als gesonderter Eintrag im Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung benannt(22)
44. Mit anderen Worten: Als die beklagten Banken am 18. Dezember 2020 die Konten von EM SYSTEM wegen der Verbindung dieser Gesellschaft zu Herrn A. V. S. einfroren, war diese Gesellschaft nicht in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführt.
45. Somit ist zwar eindeutig, dass der Rat im Fall von Herrn A. V. S. eine hinreichende Verbindung zum „geografischen oder thematischen Charakter“ der mit der Belarus-Sanktionsverordnung verhängten Maßnahmen für gegeben erachtete, doch gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Rat – unabhängig von den Gründen für die Aufnahme von Herrn A. V. S. in die Liste – auch im Fall von EM SYSTEM eine solche Verbindung für gegeben ansah(23).
46. Die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft wurden daher nicht automatisch durch die Belarus-Sanktionsverordnung eingefroren.
47. Die Auffassung, dass im Hinblick auf EM SYSTEM eine solche Aufnahme erfolgt sei, auch wenn es keine entsprechende Maßnahme des Rates gibt, würde den Anforderungen des durch das Unionsrecht garantierten Grundrechtsschutzes widersprechen.
48. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, müssen nämlich natürliche oder juristische Personen über restriktive Maßnahmen und die Gründe für ihre Aufnahme in die Liste unterrichtet werden sowie die Möglichkeit haben, gehört zu werden(24).
49. Wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2012/642, mit dem die Belarus-Sanktionsverordnung umgesetzt wird, eindeutig, dass nur die Vermögenswerte der im Anhang aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen automatisch eingefroren werden. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Gesellschaften handelt, die mit Personen verbunden sind oder in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle stehen, die gelistet wurden, weil sie für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind oder weil sie die Demokratie in Belarus ernsthaft untergraben.
50. Demnach können zwar Gesellschaften, die mit solchen Personen verbunden sind oder sich in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle befinden, aufgrund ihrer Verbindung zu einer gelisteten Person in die Liste aufgenommen werden, doch erlaubt der Beschluss 2012/642 nicht, dass die von diesen Gesellschaften gehaltenen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen ohne eine solche Aufnahme in die Liste automatisch eingefroren werden(25).
51. Da die auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassenen Maßnahmen des Rates darauf zielen, den Beschluss 2012/642 in Unionsrecht umzusetzen und ihm Wirkung zu verleihen, muss die Belarus-Sanktionsverordnung so weit wie möglich im Licht dieses Beschlusses ausgelegt werden(26).
52. Bei dieser Auslegung ist meines Erachtens eindeutig, dass das mit der Belarus-Sanktionsverordnung verhängte Einfrieren von Vermögenswerten so zu verstehen ist, dass es nur die in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Personen erfasst.
53. Daraus folgt, dass dieses Einfrieren der Vermögenswerte sich nicht auf die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von EM SYSTEM bezieht.
54. Diese Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen können jedoch auch dann unter diese Maßnahme fallen, wenn die betreffenden Vermögenswerte nicht von dieser Gesellschaft, sondern von einer gelisteten Person kontrolliert werden(27).
55. Damit komme ich zur ersten Vorlagefrage: Besteht eine Vermutung für das Vorliegen einer solchen Kontrolle, wenn eine gelistete Person 50 % der Anteile an einer nicht gelisteten Gesellschaft besitzt?
B. Kontrolle der Vermögenswerte einer nicht gelisteten Gesellschaft durch eine gelistete Person
56. Nach den nationalen Akten haben die beklagten Banken in der vorliegenden Rechtssache die Konten von EM SYSTEM mit der Begründung eingefroren, dass die darauf befindlichen Guthaben der „Kontrolle“ einer gelisteten Person unterlägen. Diese „Kontrolle“ ergebe sich aus der 50%igen Beteiligung von Herrn A. V. S. an dieser Gesellschaft.
57. Da Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung auf Gelder und wirtschaftliche Ressourcen Anwendung findet, die „Eigentum oder Besitz“ von Herrn A. V. S. sind „oder von [ihm] gehalten oder kontrolliert werden“, ist es eindeutig, dass die von dieser Person gehaltenen Gesellschaftsanteile einzufrieren sind(28).
58. Diese Maßnahme soll ihn daran hindern, diese Anteile zu verkaufen, um Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zu erwerben und so das Einfrieren von Vermögenswerten zu umgehen.
59. Da auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassene Verordnungen unmittelbare Verpflichtungen für alle Rechtssubjekte in der Union begründen(29), ohne dass hierfür Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären(30), bestand für die beklagten Banken die Verpflichtung, die Wirksamkeit des gegen Herrn A. V. S. verhängten Einfrierens seiner Vermögenswerte sicherzustellen.
60. Vorbehaltlich einer Nachprüfung ist es jedoch wohl so, dass die Gelder, die Gegenstand dieses Rechtsstreits sind, weder „Eigentum“ von Herrn A. V. S noch in seinem „Besitz“ sind. Die Gelder, die von den beklagten Banken eingefroren wurden, stehen offenbar im Eigentum von EM SYSTEM.
61. Es ist daher der Begriff der „Kontrolle“, um dessen Auslegung es im Ausgangsverfahren in erster Linie geht.
62. Nur wenn sich herausstellt, dass Herr A. V. S. in der Lage ist, die Kontrolle über die Konten von EM SYSTEM auszuüben, würden auch die darauf befindlichen Gelder dem Einfrieren von Vermögenswerten nach Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung unterliegen.
63. In der Belarus-Sanktionsverordnung wird der Begriff der „Kontrolle“ allerdings nicht definiert.
64. Es ist daher nicht überraschend, dass die an diesem Verfahren Beteiligten diesen Begriff, soweit er in Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung enthalten ist, unterschiedlich auslegen.
65. Die Regierungen Spaniens, Estlands, Lettlands, Litauens und Finnlands sowie der Rat und die Kommission sind im Wesentlichen der Ansicht, dass sich die „Kontrolle“, die Herr A. V. S. aufgrund seines Anteils über EM SYSTEM ausüben könne, auch seine Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft beinhalte. Eine Kontrollbeteiligung an der Gesellschaft begründe daher die Vermutung einer Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft.
66. Die deutsche Regierung ist anderer Auffassung. Sie vertritt die Ansicht, dass die Kontrolle über eine Gesellschaft aufgrund von Gesellschaftsanteilen nicht ausreichend sei, um auch die Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft zu begründen. Aus einer Kontrollbeteiligung könne daher nicht die Vermutung der Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft abgeleitet werden; sie könne lediglich als ein Hinweis auf eine mögliche Kontrolle verstanden werden. Es seien daher zusätzliche Elemente erforderlich, um festzustellen, dass sich die Kontrolle über eine Gesellschaft auch auf die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft erstrecke. Bei Aufstellung einer Vermutung für die Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft käme es zu einer Umkehrung der Beweislast, die aber in der Belarus-Sanktionsverordnung nicht vorgesehen sei.
67. Betrachtet man die übliche Bedeutung, die dem Begriff „Kontrolle“ im Bereich des Gesellschaftsrechts zukommt, so ist die Auffassung der deutschen Regierung natürlich richtig. Die bloße Beteiligung an einer Gesellschaft, selbst auf Mehrheitsebene, verleiht keine unmittelbaren Rechte zur Kontrolle der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft. Eine Anteilsbeteiligung verleiht dem Eigentümer bestimmte Rechte, wie z. B. das Stimmrecht bei der Ernennung der Leitung der Gesellschaft und die Bezugsberechtigung bei der Gewinnausschüttung. Sie berührt jedoch in der Regel nicht die Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft. Deren Verwendung liegt weiterhin im Ermessen der Gesellschaft selbst und wird von ihren Leitern ausgeübt. Letztere wiederum unterliegen bestimmten berufsethischen und rechtlichen Pflichten, damit sichergestellt ist, dass sie im besten Interesse der Gesellschaft und nicht im Interesse von Anteilseignern handeln, wenn sie das Vermögen der Gesellschaft verwalten.
68. Würde man der Auslegung des Begriffs „Kontrolle“ durch die deutsche Regierung folgen, käme man zu dem Schluss, dass eine Beteiligung an einer Gesellschaft noch keine Vermutung einer Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft begründet.
69. Der Begriff „Kontrolle“ besitzt jedoch im Bereich der restriktiven Maßnahmen nicht dieselbe Bedeutung, die er normalerweise im Bereich des Gesellschaftsrechts hat(31).
70. Im Bereich der restriktiven Maßnahmen muss diesem Begriff eine Bedeutung gegeben werden, die sich an dem Ziel orientiert, das mit den Maßnahmen verfolgt wird, in deren Rahmen er verwendet wird.
71. Diese Maßnahmen richten sich gegen natürliche und juristische Personen, die nach Auffassung des Rates zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in Belarus beitragen, sowie gegen diejenigen, die nach seiner Ansicht vom Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen(32).
72. In diesem Kontext blieben bei einer engen Auslegung des Begriffs „Kontrolle“, wie sie die deutsche Regierung vertritt, die Vielzahl von Möglichkeiten unberücksichtigt, mit denen Herr A. V. S. die Verwendung dieser Vermögenswerte mittelbar beeinflussen und damit die Umgehung der betreffenden Maßnahmen möglich machen könnte(33).
73. Diese Gefahr der Umgehung ist besonders relevant, wenn es um ein Beziehungsnetz aus Protektionismus und Loyalität von Personen geht, die von einem Regime profitieren und es unterstützen, das restriktiven Maßnahmen unterliegt(34).
74. In einer solchen Situation entsprechen die Feinheiten des Gesellschaftsrechts (einschließlich der Pflichten unabhängiger Leiter) nicht der praktischen Wirklichkeit, in welch kurzer Zeit Vermögenswerte bewegt werden können(35).
75. Der Begriff „Kontrolle“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung muss daher, um die Wirksamkeit des betreffenden Einfrierens von Vermögenswerten zu gewährleisten, dahin ausgelegt werden, dass er sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Art der Einflussnahme auf die Verwendung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen einer mit einer gelisteten Person verbundenen Organisation umfasst(36).
76. In der vorliegenden Rechtssache geht es also nicht um die Frage, ob Herr A. V. S. aufgrund seines Anteils an EM SYSTEM frei über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft verfügen kann, sondern darum, ob diese Verbindung zu EM SYSTEM es ihm ermöglicht, die Entscheidungen der Gesellschaft in Bezug auf diese Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen zu beeinflussen(37).
77. Beim Einfrieren von Geldern ist Zeit von entscheidender Bedeutung. Der Gerichtshof hat daher bereits darauf hingewiesen, dass im Fall einer Verzögerung bei der Durchführung solcher Maßnahmen die Gefahr besteht, dass Kapital von der natürlichen oder juristischen Person, die Ziel der restriktiven Maßnahmen ist, abgezogen wird. Der Überraschungseffekt muss daher stets gewährleistet sein(38).
78. Das bedeutet, dass Personen, die dem Unionsrecht unterliegen, in der Lage sein müssen, das Einfrieren von Vermögenswerten innerhalb kürzester Zeit umzusetzen.
79. Dafür ist es erforderlich, mit bestimmten Annahmen hinsichtlich der internen Entscheidungsstruktur potenziell betroffener juristischer Personen zu arbeiten.
80. Dies ergibt sich auch aus den Leitlinien von 2018 und dem Dokument über vorbildliche Verfahren von 2022 des Rates, in denen es heißt, dass ein Kriterium für das Bestehen einer „Kontrolle“ die Befugnis sein kann, einen beherrschenden Einfluss in einer juristischen Person auszuüben(39).
81. Zwar kann eine solche Befugnis auch bei geringeren Beteiligungen gegeben sein, doch ist eine Person, die zu 50 % an einer Gesellschaft beteiligt ist, in der Regel in der Lage, bestimmte Entscheidungen innerhalb dieser Gesellschaft zu diktieren oder zu verhindern oder zumindest dafür zu sorgen, dass die Geschäfte der Gesellschaft in Übereinstimmung mit ihren Wünschen geführt werden(40).
82. Es ist daher gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine Beteiligung von 50 % an einer Gesellschaft nicht nur die Kontrolle über diese Gesellschaft, sondern auch über deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen ermöglicht.
83. Für die vorliegende Rechtssache folgt daraus, dass die beklagten Banken keinen Rechtsfehler begangen haben, als sie die Konten von EM SYSTEM aufgrund der 50%igen Beteiligung von Herrn A. V. S. an dieser Gesellschaft eingefroren haben; sie waren vielmehr aufgrund von Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung zum Einfrieren dieser Konten verpflichtet.
84. Selbst wenn, wie das vorlegende Gericht ausführt, die „Kontrolle“ durch Herrn A. V. S. auch aus der Satzung von EM SYSTEM abgeleitet werden könnte, halte ich weder diese noch irgendeine andere Art von ergänzender Prüfung für notwendig oder nützlich. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass alle Personen, die dem Unionsrecht unterliegen, Zugang zu den Satzungen aller in der Union eingetragenen Gesellschaften haben.
85. Es kann auch sein, dass das Recht, bestimmte Stimmrechte aufgrund einer Beteiligung auszuüben, nicht notwendigerweise die „Kontrolle“ über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft beinhaltet. Doch selbst wenn man die Leitungsstruktur der betroffenen Gesellschaften kennen (und über das erforderliche Fachwissen verfügen) würde, wäre zu untersuchen, ob nicht im Einzelfall Stimmrechte aufgrund von Beteiligungen potenziell zu einer Kontrolle führen.
86. Solche zusätzlichen Schritte brauchen Zeit, aber Zeit ist ein knappes Gut, wenn das Einfrieren von Vermögenswerten schnell erfolgen muss.
87. Allerdings darf die Anwendung von Vermutungen nicht leichtfertig erfolgen und muss mit gewissen Einschränkungen verbunden sein, auf die ich nun eingehen werde.
C. Widerlegung der Vermutung der „Kontrolle“
88. Das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft hat erhebliche negative Auswirkungen auf den Ruf der Gesellschaft und ihre Geschäftstätigkeit(41).
89. Daher ist bei einer Auslegung von Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung dahin, dass bei einer Beteiligung von 50 % die Vermutung besteht, dass der Anteilseigner Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft innehat, diese Vermutung nur dann gerechtfertigt, wenn der betroffenen Gesellschaft die Möglichkeit zum Gegenbeweis offensteht und die Wahrung ihrer Verteidigungsrechte sichergestellt ist(42).
90. Ist diese Vermutung einmal aufgestellt (im vorliegenden Fall durch die beklagten Banken), verlagert sich die Beweislast auf die betroffene Gesellschaft. Sie muss dann den Nachweis erbringen, dass trotz des 50%igen Anteils der gelisteten Person keine Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft ausgeübt werden kann.
91. Entgegen der Auffassung der deutschen Regierung bedarf es für eine solche Umkehrung der Beweislast keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Dieses Ergebnis ist vielmehr impliziert, sobald Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung dahin ausgelegt wird, dass er bei einem Anteil von 50 % eine Vermutung für das Bestehen einer Kontrolle vorsieht.
92. Aber wem gegenüber soll der Gegenbeweis des Nichtbestehens einer Kontrolle erfolgen?
93. Eine Möglichkeit besteht darin, sich an die Person zu wenden, die die betreffende restriktive Maßnahme umgesetzt hat. In der vorliegenden Rechtssache wären das die beklagten Banken. Dass diese Organisationen über einen solchen Gegenbeweis entscheiden, wäre jedoch wohl zu viel verlangt. Außerdem besteht für sie nicht unbedingt ein Anreiz, ihren Standpunkt zu ändern, da die Belarus-Sanktionsverordnung eine ausdrückliche Bestimmung enthält, wonach diese Organisationen und ihre Direktoren und Angestellte bei der Umsetzung der fraglichen Maßnahmen in gutem Glauben vor Haftung geschützt sind(43).
94. Eine andere Möglichkeit besteht darin, diese Beweise bei einer Stelle des betreffenden Mitgliedstaats anzubringen. Im vorliegenden Fall hat sich offenbar, wie bereits erläutert, die litauische Gesetzgebung geändert, jedoch war eine solche Stelle bei Eintritt des Sachverhalts, der dem vorliegenden Rechtsstreits zugrunde liegt, noch nicht involviert(44).
95. In einem solchen Fall kann die Vermutung einer „Kontrolle“ nur vor den zuständigen Gerichten eines Mitgliedstaats widerlegt werden.
96. Vor diesen Gerichten muss die betroffene Gesellschaft den Nachweis führen können, dass die gelistete Person keine Kontrolle über ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen ausüben kann. Diese Gerichte müssen, wie die spanische Regierung ausführt, über die Befugnis zu unbeschränkter Überprüfung der ihnen vorgelegten Beweise verfügen.
97. Wie das vorliegende Verfahren zeigt, ist dieser Weg der unabhängigen Überprüfung in Litauen entsprechend den Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV eröffnet, da EM SYSTEM gegen die Entscheidung der beklagten Banken, ihre Konten einzufrieren, vor den zuständigen Zivilgerichten klagt(45).
98. Das vorlegende Gericht scheint sich jedoch zu fragen, in welcher Weise der Nachweis des Nichtvorhandenseins einer Kontrolle zu erbringen ist.
99. Insoweit möchte es mit seiner zweiten Frage wissen, ob die Tatsache, dass eine Gesellschaft gemäß Art. 2 Abs. 2 der Belarus-Sanktionsverordnung dem Verbot unterliegt, einer gelisteten Person Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, als Begründung für das Nichtbestehen einer Kontrolle herangezogen werden kann(46).
100. Es ist schwierig, die Gegenargumente abstrakt aufzuzählen, auf die sich eine Gesellschaft, für die die Vermutung der „Kontrolle“ gilt, berufen kann. Diese hängen von einer Reihe von Faktoren ab, wie z. B. der Leitungsstruktur der Gesellschaft, ihrer Satzung und den realen Gegebenheiten der Funktionsweise der betreffenden Gesellschaft(47).
101. Die Elemente, die das vorlegende Gericht in seiner dritten Frage anführt, nämlich i) die Trennung der Vermögenswerte der Gesellschaft von denen ihrer Anteilseigner, ii) der Umstand, dass der Leiter der Gesellschaft (und keine in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführte Person) im Namen der Gesellschaft handelt, und iii) der Umstand, dass nur der Leiter der Gesellschaft Zugang zu den Bankkonten der Gesellschaft hat, können Hinweise darauf sein, dass eine Kontrolle durch den Gesellschafter, hinsichtlich dessen eine Kontrollvermutung besteht, nicht gegeben ist.
102. Keines dieser Elemente für sich genommen ist jedoch für den Nachweis ausreichend, dass es aufgrund einer 50%igen Beteiligung nicht zu einer Kontrolle kommt, noch können diese Elemente für sich genommen sicherstellen, dass der betreffende Anteilseigner keinen Einfluss auf die Verwendung der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft nehmen kann und einen solchen auch nicht ausübt.
103. Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass sich das Einfrieren von Vermögenswerten, das gemäß Art. 2 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung gegen in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführte Personen verhängt wird, nicht automatisch auf eine in diesem Anhang nicht aufgeführte Gesellschaft erstreckt. Hält jedoch eine in diesem Anhang aufgeführte Person 50 % oder mehr der Anteile an dieser Gesellschaft, so besteht eine Vermutung dafür, dass die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft von der in dem Anhang aufgeführten Person kontrolliert werden und daher einzufrieren sind. Diese Vermutung ist widerlegbar und unterliegt der Überprüfung durch ein nationales Gericht.
D. Zusammenhang zwischen dem Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen und dem Kriterium der „Kontrolle“
104. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob EM SYSTEM den Nachweis, dass Herr A. V. S. keine Kontrolle über ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen hat, auf der Grundlage erbringen kann, dass ihm diese Vermögenswerte weder unmittelbar noch mittelbar zur Verfügung gestellt werden.
105. Ich werde kurz auf diesen Punkt eingehen.
106. Das Verbot nach Art. 2 Abs. 2 der Belarus-Sanktionsverordnung, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen den gelisteten natürlichen oder juristischen Personen unmittelbar oder mittelbar zur Verfügung zu stellen oder ihnen zugutekommen zu lassen, ist meines Erachtens autonom und unabhängig von der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung enthaltenen Verpflichtung zum Einfrieren von Geldern.
107. Dieser Auffassung sind auch die Kommission und die deutsche Regierung.
108. Erstens stellt die Belarus-Sanktionsverordnung keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Maßnahmen her und kann ein solcher Zusammenhang auch nicht aus ihrem Zweck abgeleitet werden.
109. Zweitens schließt das bloße Bestehen eines Verbots, einer gelisteten Person wie Herrn A. V. S. Gelder zur Verfügung zu stellen, nicht aus, dass diese Person die Kontrolle über die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer nicht gelisteten Gesellschaft wie EM SYSTEM ausübt.
110. Drittens besteht das Verbot, einer gelisteten Person wie Herrn A. V. S. Gelder zur Verfügung zu stellen, unabhängig davon, ob einer nicht gelisteten Gesellschaft wie EM SYSTEM der Nachweis gelingt, dass diese Person keine Kontrolle über ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen ausübt(48).
111. Daraus folgt, dass die Antwort auf die zweite Frage lauten muss, dass eine Entscheidung über das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer nicht in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführten Gesellschaft, die von einer in diesem Anhang aufgeführten Person kontrolliert wird, unabhängig von dem Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen für diese Person erfolgt. Einer Entscheidung über das Einfrieren von Geldern kann nicht mit dem Einwand begegnet werden, dass die Vermögenswerte einer Gesellschaft, deren Gelder eingefroren werden, nicht von der im Anhang aufgeführten Person verwendet werden oder ihr zugutekommen.
112. Da die dritte Frage für den Fall der Bejahung der zweiten Frage gestellt wird, erübrigt sich eine Antwort auf diese Frage.
IV. Ergebnis
113. Nach alledem schlage ich vor, dass der Gerichtshof dem Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens, Litauen) wie folgt antwortet:
1. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 des Rates vom 18. Mai 2006 über restriktive Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und verschiedene belarussische Amtsträger (im Folgenden: Belarus-Sanktionsverordnung)
ist dahin auszulegen, dass sich das Einfrieren von Vermögenswerten, das gemäß dieser Bestimmung gegen in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführte Personen verhängt wird, nicht automatisch auf eine in diesem Anhang nicht aufgeführte Gesellschaft erstreckt.
Hält jedoch eine in diesem Anhang aufgeführte Person 50 % oder mehr der Anteile an dieser Gesellschaft, so besteht eine Vermutung dafür, dass die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gesellschaft von der in dem Anhang aufgeführten Person kontrolliert werden und daher einzufrieren sind.
Diese Vermutung ist widerlegbar und unterliegt der Überprüfung durch ein nationales Gericht.
2. Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Belarus-Sanktionsverordnung
sind dahin auszulegen, dass eine Entscheidung über das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer nicht in Anhang I der Belarus-Sanktionsverordnung aufgeführten Gesellschaft, die von einer in diesem Anhang aufgeführten Person kontrolliert wird, unabhängig von dem Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen für diese Person erfolgt.
Einer Entscheidung über das Einfrieren von Geldern kann nicht mit dem Einwand begegnet werden, dass die Vermögenswerte einer Gesellschaft, deren Gelder eingefroren werden, nicht von der im Anhang aufgeführten Person verwendet werden oder ihr zugutekommen.
1 Originalsprache: Englisch.
2 Verordnung vom 18. Mai 2006 des Rates über restriktive Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und verschiedene belarussische Amtsträger (ABl. 2006, L 134, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1014/2012 des Rates vom 6. November 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2012, L 307, S. 1) geänderten Fassung.
3 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates (Tagung vom 23./24. März 2006 in Brüssel), CONCL 1, ST/7775/1/06, 24. März 2006, S. 35.
4 Gemeinsamer Standpunkt 2006/276/GASP des Rates vom 10. April 2006 über restriktive Maßnahmen gegen einzelne belarussische Amtsträger und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2004/661/GASP (ABl. 2006, L 101, S. 5).
5 Gemeinsamer Standpunkt 2006/362/GASP des Rates vom 18. Mai 2006 zur Änderung des Gemeinsamen Standpunkts 2006/276/GASP (ABl. 2006, L 134, S. 45).
6 Beschluss des Rates vom 15. Oktober 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2012, L 285, S. 1) (im Folgenden: Beschluss 2012/642).
7 Beschluss 2012/642, Erwägungsgründe 5 und 6.
8 Verordnung des Rates vom 6. November 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen gegenüber Belarus (ABl. 2012, L 307, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1014/2012).
9 Verordnung Nr. 1014/2012, zweiter Erwägungsgrund.
10 Durchführungsverordnung des Rates vom 17. Dezember 2020 zur Durchführung von Artikel 8a Abs. 1 der [Belarus-Sanktionsverordnung] (ABl. 2020, L 426I, S. 1).
11 Die Begründung lautet im Einzelnen wie folgt: „Er ist einer der führenden in Belarus tätigen Geschäftsleute, mit Geschäftsinteressen im Bau‑, Maschinenbau- und Agrarsektor sowie in anderen Sektoren. Es wird berichtet, dass er eine derjenigen Personen ist, die unter Lukaschenkos Präsidentschaft am meisten von der Privatisierung profitiert haben. Er ist auch ein Mitglied des Präsidiums der für Lukaschenko eintretenden öffentlichen Vereinigung ‚Belaya Rus‘ und Mitglied des Rates für die Entwicklung der Unternehmerschaft in der Republik Belarus. Damit profitiert er vom Lukaschenko-Regime und der für dieses geleisteten Unterstützung. Im Juli 2020 gab er öffentliche Bemerkungen ab, in denen er die Proteste der Opposition in Belarus verurteilte und damit zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition beitrug.“
12 Generalsekretariat des Rates, Leitlinien zur Umsetzung und Evaluierung restriktiver Maßnahmen (Sanktionen) im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, ST/5664/18 vom 4. Mai 2018 (im Folgenden: Leitlinien von 2018).
13 Generalsekretariat des Rates, Vorbildliche Verfahren der EU für die wirksame Umsetzung restriktiver Maßnahmen, ST/10572/22 vom 27. Juni 2022 (im Folgenden: Dokument über vorbildliche Verfahren von 2022).
14 Hervorhebung nur hier. In einer Fußnote zu Nr. 55a der Leitlinien von 2018 und Nr. 63 des Dokuments über vorbildliche Verfahren von 2022 wird in beiden Dokumenten auf die Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 70) (im Folgenden: Terrorismusbekämpfungsverordnung von 2001) verwiesen, in deren Art. 1 Abs. 5 es heißt: „‚Eigentum an einer juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft‘ ist der Besitz von mindestens 50 % der Eigentumsrechte oder eine Mehrheitsbeteiligung an der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft.“
15 Hervorhebung nur hier.
16 Nach der Rechtsprechung erstreckt sich diese Art von Maßnahmen auch auf „die Machthaber eines … Landes sowie die mit diesen Machthabern verbündeten oder unmittelbar oder mittelbar von ihnen kontrollierten Personen oder Organisationen“; vgl. Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 166), und in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2012, Tay Za/Rat (C‑376/10 P, EU:C:2012:138, Rn. 61).
17 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2015, Anbouba/Rat (C‑605/13 P, EU:C:2015:248, Rn. 52); dort heißt es: „der Rat … [erfüllt die] ihm obliegende Beweislast…, wenn er vor dem Unionsrichter auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime besteht.“ Vgl. in diesem Sinne in Bezug auf den jetzigen Art. 215 Abs. 1 AEUV auch die Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 166), vom 13. März 2012, Tay Za/Rat (C‑376/10 P, EU:C:2012:138, Rn. 64) und vom 28. Juli 2016, Tomana u. a./Rat und Kommission (C‑330/15 P, EU:C:2016:601, Rn. 46), jeweils mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer „hinreichenden Verbindung“ zwischen den betroffenen Personen und dem Drittland, gegen das sich die von der Union erlassenen restriktiven Maßnahmen richten.
18 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung) mit dem Hinweis, „dass in dieser Begründung die einzelfallbezogenen, spezifischen und konkreten Gründe genannt werden [müssen], aus denen die zuständigen Behörden der Auffassung sind, dass gegen die betroffene Person restriktive Maßnahmen verhängt werden müssen“.
19 Vgl. Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 326) mit folgendem Hinweis: „[D]ie Gemeinschaftsgerichte [müssen] im Einklang mit den Befugnissen, die ihnen aufgrund des EG‑Vertrags zustehen, eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Gemeinschaft im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewährleisten, und zwar auch in Bezug auf [die GASP].“
20 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 88), mit folgendem Hinweis: „Wegen des breiten Spektrums der in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der GASP verfügt der Rat bei der Festlegung des Gegenstands der restriktiven Maßnahmen über einen großen Spielraum.“
21 Ein solches Format enthält der Beschluss 2008/475/EG des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 163, S. 29), mit dem der Anhang der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 103, S. 1) wie folgt ergänzt wurde: „Bank Melli, Melli Bank Iran und alle ihre Zweigstellen und Niederlassungen, u. a.: (a) Bank Melli plc (b) Bank Melli Iran Zao“. Während zwar die Nennung mehrerer Unternehmen in derselben Begründung dem Erfordernis des Schutzes der Grundrechte genügen kann, wie die deutsche Regierung und die Kommission unter Bezugnahme auf das Urteil vom 9. Juli 2009, Melli Bank/Rat (T‑246/08 und T‑332/08, EU:T:2009:266, Rn. 146), ausführen, wird ein unbestimmter Verweis auf ein bestimmtes Merkmal, das mehrere nicht gelistete Unternehmen gemeinsam haben, wie etwa die Eigenschaft als „Tochtergesellschaft“ einer gelisteten Gesellschaft, diesem Erfordernis nicht gerecht.
22 Auf die Frage in der Sitzung, warum EM SYSTEM nicht selbst in die Liste aufgenommen wurde, insbesondere nachdem der zweite Anteilseigner, der die verbleibenden 50 % der Anteile an dieser Gesellschaft besitzt, im Jahr 2024 in die Liste aufgenommen wurde, hat der Rat erklärt, dass der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik diese Aufnahme nicht vorgeschlagen habe (vgl. Eintrag 278 der Durchführungsverordnung [EU] 2024/3177 des Rates vom 16. Dezember 2024 zur Durchführung von Art. 8a Abs. 1 der Verordnung [EG] Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression gegen die Ukraine [ABl. L 2024/3177]).
23 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 8a der Belarus-Sanktionsverordnung, in dem das besondere Verfahren festgelegt ist, das der Rat bei Änderungen von Anhang I der Verordnung einzuhalten hat. Abs. 1 bestimmt: „Beschließt der Rat, eine natürliche oder juristische Person, Organisation oder Einrichtung den in Artikel 2 Absatz 1 genannten Maßnahmen zu unterwerfen, so ändert er Anhang I entsprechend.“ Abs. 2 sieht vor: „Der Rat setzt die in den Absatz 1 genannten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen entweder auf direktem Weg, falls deren Anschrift bekannt ist, oder durch die Veröffentlichung einer Bekanntmachung von seinem Beschluss und den Gründen für ihre Aufnahme in die Liste in Kenntnis und gibt dabei diesen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen Gelegenheit zur Stellungnahme.“
24 Vgl. insoweit Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 284), mit dem Hinweis, dass die Achtung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft ist und dass Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, in der Rechtsordnung der Union nicht als rechtens anerkannt werden können. Vgl. auch Art. 215 Abs. 3 AEUV, wonach in den gemäß dieser Bestimmung verhängten restriktiven Maßnahmen „die erforderlichen Bestimmungen über den Rechtsschutz vorgesehen sein müssen“, sowie die Erklärung Nr. 25 zu den Artikeln 75 und 215 [AEUV], in der es heißt: „… dass die Achtung der Grundrechte und ‑freiheiten es insbesondere erforderlich macht, dass der Rechtsschutz der betreffenden Einzelpersonen oder Einheiten gebührend berücksichtigt wird. Zu diesem Zweck und zur Gewährleistung einer gründlichen gerichtlichen Prüfung von Beschlüssen, durch die Einzelpersonen oder Einheiten restriktiven Maßnahmen unterworfen werden, müssen diese Beschlüsse auf klaren und eindeutigen Kriterien beruhen. Diese Kriterien müssen auf die Besonderheiten der jeweiligen restriktiven Maßnahme zugeschnitten sein.“
25 Anzumerken ist ferner, dass sich die Bedeutung des Wortes „kontrolliert“, wie es in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642 und in Art. 2 Abs. 5 der Belarus-Sanktionsverordnung verwendet wird, von der Bedeutung desselben Wortes, wie es in Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Beschlusses 2012/642 verwendet wird, zu unterscheiden scheint. Während in ersterer Bestimmung die Kriterien festgelegt werden, nach denen der Rat bestimmt, welche Personen in die Liste aufgenommen werden können (d. h. der persönliche Anwendungsbereich der Maßnahme), wird in letzterer Bestimmung festgelegt, dass die von der in der Liste aufgeführten Organisation kontrollierten Vermögenswerte einzufrieren sind (d. h. der sachliche Anwendungsbereich der Maßnahme).
26 Vgl. Urteil vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 141), mit dem Hinweis, dass, da mit einer auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassenen Verordnung des Rates der Erlass von Maßnahmen bezweckt wird, die zur Durchführung eines Beschlusses des Rates im Bereich der GASP erforderlich sind, der Wortlaut dieser Verordnung so weit wie möglich im Licht dieses Beschlusses auszulegen ist.
27 So auch der Rat in Nr. 35 des Dokuments über vorbildliche Verfahren von 2022: „… nicht erfasst werden die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer nicht benannten Organisation, die eine von der benannten Person oder Organisation getrennte Rechtspersönlichkeit besitzt, sofern diese Gelder und Ressourcen nicht von der benannten Person oder Organisation kontrolliert oder gehalten werden.“
28 Nach Art. 1 Nr. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung „bezeichnet der Ausdruck … ‚Gelder‘ finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art, die Folgendes einschließen, aber nicht darauf beschränkt sind … c) öffentlich und nicht öffentlich gehandelte Wertpapiere … einschließlich Aktien und Anteilen …“. Es ist daher eindeutig, dass Anteile vom Anwendungsbereich des Einfrierens von Vermögenswerten nach Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung erfasst werden.
29 Insoweit ist auf Art. 288 AEUV zu verweisen: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“
30 Vgl. entsprechend Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat (Betroffenheit eines Drittstaats) (C‑872/19 P, EU:C:2021:507, Rn. 90), mit dem Hinweis, dass die restriktiven Maßnahmen gegenüber Venezuela „außerdem anwendbar [sind], ohne dass dies den Erlass von Durchführungsmaßnahmen erforderlich macht, und zwar weder seitens der Union noch durch die Mitgliedstaaten“.
31 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2019, HTTS/Rat (C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 70), mit folgendem Hinweis: „…der Begriff der im Eigentum oder unter Kontrolle stehenden Gesellschaft [hat] im Bereich der restriktiven Maßnahmen nicht dieselbe Bedeutung wie allgemein im Gesellschaftsrecht bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit einer Gesellschaft, deren Entscheidungen rechtlich unter der Kontrolle eines anderen Unternehmens stehen, im Geschäftsverkehr.“
32 Beschluss 2012/642, Erwägungsgründe 6 und 7.
33 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2019, HTTS/Rat (C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 69), mit dem Hinweis, dass eine Auslegung der Begriffe „Eigentum“ oder ‚Kontrolle‘ nur im Sinne von unmittelbarem Eigentum oder unmittelbarer Kontrolle es ermöglichen würde, dass die restriktiven Maßnahmen „mit einer Vielzahl von Möglichkeiten vertraglicher oder tatsächlicher Kontrolle umgangen werden“.
34 Vgl. Urteil vom 7. Juni 2023, Shakutin/Rat (T‑141/21, EU:T:2023:303, Rn. 153), mit dem Hinweis, dass der Rat festgestellt hat, dass „eine Ausübung wesentlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten durch Geschäftsleute in Belarus ohne die Billigung des Lukaschenko-Regimes nicht möglich ist“. Vgl. ähnlich das Urteil des Court of Appeal of England and Wales vom 27. Februar 2024 in der Rechtssache Dalston Projects Ltd. u. a./Secretary of State for Transport, (2024) EWCA Civ 172, Rn. 122, in dem auf eine Zeugenaussage verwiesen wird, in der erklärt wird, dass „die russische politische Ökonomie im Wesentlichen auf Klientelismus beruht“, d. h. „ein System, in dem der Staat einem kleinen Kreis von Insidern als Gegenleistung für ihre Loyalität und Unterstützung Möglichkeiten und materielle Vorteile, Regierungsaufträge und leitende Positionen in der Regierung und in mit der Regierung verbundenen Einrichtungen gibt“.
35 Vgl. auch Urteil des Court of Appeal of England and Wales vom 27. Februar 2024 in der Rechtssache Dalston Projects Ltd. u. a./Secretary of State for Transport (2024) EWCA Civ 172, Rn. 183, in dem das Gericht die Auffassung vertritt, es sei eine „Schlussfolgerung des gesunden Menschenverstands“ und „keine Frage der Feinheiten des Gesellschaftsrechts“, dass die Gefahr der Umgehung des Einfrierens von Vermögenswerten besteht, wenn zwei oder mehr Geschäftspartner mit Verbindungen zu einem Regime, das mit restriktiven Maßnahmen bekämpft werden soll, eine gemeinsame Beteiligung an einem Unternehmen besitzen.
36 Vgl. entsprechend Urteil vom 11. November 2021, Bank Sepah (C‑340/20, EU:C:2021:903, Rn. 43 und 56), in dem zum Umfang des Einfrierens von Vermögenswerten festgestellt wird, dass „mit dem Einfrieren von Geldern die Transaktionen, die mit den eingefrorenen Geldern abgeschlossen werden können, so weit wie möglich begrenzt werden sollen“, und dass „es zur Erreichung dieser Ziele nicht nur legitim, sondern geradezu unerlässlich [ist], die Begriffe „Einfrieren von Geldern“ und „Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen“ weit auszulegen, da es darum geht, jede Verwendung der eingefrorenen Vermögenswerte zu verhindern, die es ermöglichen würde, die fraglichen Verordnungen zu umgehen und die Schwächen des Systems auszunutzen“.
37 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2019, HTTS/Rat (C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 70 und 71), mit dem Hinweis, dass der Begriff der „im Eigentum oder unter Kontrolle stehenden Gesellschaft“ so zu verstehen ist, dass eine natürliche oder juristische Person „in der Lage ist, die geschäftlichen Entscheidungen einer anderen Person zu beeinflussen, mit der sie in einer geschäftlichen Beziehung steht, auch wenn zwischen den beiden Wirtschaftseinheiten keine rechtliche Verbindung oder keine Verbindung in Form von Eigentum oder Kapitalbeteiligung besteht“.
38 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People's Mojahedin Organization of Iran (C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 61). Darin wird darauf hingewiesen, dass im Fall eines Einfrierens von Vermögenswerten sichergestellt werden muss, dass die Wirksamkeit dieser Maßnahme nicht beeinträchtigt wird: „Eine solche Maßnahme muss nämlich, um ihre Wirksamkeit nicht einzubüßen, schon aufgrund ihrer Natur überraschend kommen und sofort angewandt werden können.“
39 Vgl. Leitlinien von 2018, Nr. 55b, und Dokument über vorbildliche Verfahren von 2022, Nr. 63. Diese Bestimmungen unterscheiden jeweils zwischen dem Recht, einen solchen Einfluss auszuüben, und der Befugnis, von dem Recht zur Ausübung eines beherrschenden Einflusses Gebrauch zu machen, ohne dieses Recht selbst innezuhaben.
40 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den nationalen Akten ergibt, kurz nach der Veröffentlichung der Verordnung über die Aufnahme in die Liste von 2020 versucht wurde, einen erheblichen Geldbetrag von den Konten von EM SYSTEM auf das persönliche Bankkonto ihres Direktors zu überweisen. Diese Transaktion wurde von einer der beklagten Banken blockiert.
41 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat (C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 33), mit dem Hinweis, dass das Interesse an der Wiederherstellung des guten Rufes auch für Gesellschaften gilt, die von restriktiven Maßnahmen betroffen sind.
42 Vgl. Nr. 55c der Leitlinien von 2018 und Nr. 65 des Dokuments über vorbildliche Verfahren von 2022, in denen der Rat ausführt, dass die Vermutung des Eigentums oder der Kontrolle von Fall zu Fall widerlegt werden kann. Vgl. auch entsprechend Urteil vom 10. September 2019, HTTS/Rat (C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 74), mit dem Hinweis auf Ausführungen des Gerichts, wonach im Bereich der restriktiven Maßnahmen „in Form von Eigentum oder Beteiligung bestehende Rechtsbeziehungen unter Umständen durchaus die Möglichkeit begründen können, die Entscheidungen der im Eigentum oder unter Kontrolle stehenden Einrichtung zu beeinflussen, dies aber keine conditio sine qua non für die Ausübung eines solchen Einflusses ist“).
43 Vgl. Art. 6 der Belarus-Sanktionsverordnung.
44 Wie die litauische Regierung erklärt hat, besteht nun die Möglichkeit, die Vermutung der „Kontrolle“ vor der staatlichen Stelle zu widerlegen, die mit der Erstellung der Liste der Organisationen, deren Vermögenswerte von einer gelisteten Person kontrolliert werden, beauftragt ist. Ein erfolgloser Widerspruch gegen diese „Umsetzung“ eröffnet dann die Möglichkeit, vor den Verwaltungsgerichten dieses Mitgliedstaats Klage zu erheben.
45 Wie in der Vorlageentscheidung des vorlegenden Gerichts hervorgehoben wird, gibt es offenbar in Litauen zudem ein System, mit dem die Freigabe eingefrorener Vermögenswerte beantragt werden kann, wenn eine gelistete Person die betreffenden Vermögenswerte nicht mehr im Eigentum hat oder sie nicht mehr kontrolliert oder wenn eine der im Unionsrecht vorgesehenen Ausnahmeregelungen, wie die in Art. 3 Abs. 1 der Belarus-Sanktionsverordnung, zur Anwendung kommt.
46 Wie ich in Abschnitt III.D erläutern werde, halte ich dies nicht für möglich.
47 Wie die litauische Regierung zutreffend ausgeführt hat, ist es für diese Beurteilung unerheblich, ob die gelistete Person, die eine Beteiligung von 50 % hält, in der Vergangenheit tatsächlich eine beherrschende Kontrolle ausgeübt oder in die laufende Entscheidungsfindung in Bezug auf die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der nicht gelisteten Gesellschaft eingegriffen hat. Entscheidend ist, dass eine solche Möglichkeit aufgrund der Beteiligung dieser Person an dieser Gesellschaft besteht. Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 9. Juli 2009, Melli Bank/Rat (T‑246/08 und T‑332/08, EU:T:2009:266, Rn. 125), und vom 4. Februar 2014, Syrian Lebanese Commercial Bank/Rat (T‑174/12 und T‑80/13, EU:T:2014:52, Rn. 110). In beiden Urteilen wird das Argument zurückgewiesen, dass im Kontext restriktiver Maßnahmen aus dem Fehlen einer früheren Einflussnahme des kontrollierenden Anteilseigners auf sein künftiges Verhalten geschlossen werden könnte.
48 Unabhängig davon, ob ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen aufgrund der Beteiligung von Herrn A. V. S. an EM SYSTEM eingefroren sind, ist diese Gesellschaft beispielsweise daran gehindert, ihm auf seine Anteile eine Gewinnbeteiligung auszuzahlen.