21.8.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 296/14


Rechtsmittel des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum gegen das Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 7. Dezember 2022 in der Rechtssache T-487/21, Neoperl AG gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, eingelegt am 17. Februar 2023

(Rechtssache C-93/23 P)

(2023/C 296/16)

Verfahrenssprache: Deutsch

Verfahrensbeteiligte

Rechtsmittelführer: Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (vertreten durch D. Hanf, T. Klee und E. Markakis als Bevollmächtigte)

Andere Verfahrensbeteiligte: Neoperl AG

Anträge des Rechtsmittelführers

Der Rechtsmittelführer beantragt, der Gerichtshof möge

das angefochtene Urteil aufheben;

jede Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten verurteilen;

die gegen die streitgegenständliche Entscheidung gerichtete Klage abweisen.

Rechtsmittelgründe und wesentliche Argumente

Der Rechtsmittelführer macht als Rechtsmittelgrund eine Verletzung von Art. 72 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/1001 (1) durch das angefochtene Urteil geltend, welche eine für die Einheit, Kohärenz und Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage i.S.d. Art. 58a Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs aufwirft:

1.

Das angefochtene Urteil verstoße gegen Art. 72 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001, indem es feststelle, dass die inhaltliche Prüfung des Zurückweisungsgrunds von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 4 der Verordnung 207/2009 (2) eine notwendige rechtliche Vorfrage für die Prüfung der ihm vorgelegten Nichtigkeitsklage darstelle. Das Gericht habe dabei verkannt, dass dies für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entscheidung der Beschwerdekammer nicht erforderlich gewesen sei. Denn eine solche Kontrolle habe bereits durch die Untersuchung der Frage gewährleistet werden können, ob die Beschwerdekammer durch das Unterlassen der Prüfung von Art. 7 Abs. 1 Bucht. a i.V.m. Art. 4 der Verordnung 207/2009 gegen die von der Klägerin im ersten Rechtszug geltend gemachten Klagegründe Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 207/2009 und Art. 71 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe. Das Gericht habe sich die diesbezügliche originäre Zuständigkeit der Beschwerdekammer (Art. 165 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001) für die inhaltliche Prüfung des Zurückweisungsgrunds von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 4 der Verordnung 207/2009 unrechtmäßig angemaßt.

2.

Das angefochtene Urteil verstoße gegen Art. 72 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001, da das Gericht die materielle inhaltliche Prüfung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 4 der Verordnung 207/2009 selbst durchführe. Das Gericht sei für diese Prüfung sachlich nicht zuständig, weil die Beschwerdekammer zur Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 4 der Verordnung 207/2009 keine inhaltlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbare Entscheidung getroffen habe. Damit stelle sich die vom Gericht vorgenommene Prüfung in der Sache als eine rechtswidrige Abänderung der streitgegenständlichen Entscheidung dar. Das Gericht habe die diesbezüglich originäre Zuständigkeit (Art. 165 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001) der Beschwerdekammer effektiv ausgeübt und dadurch in rechtswidriger Weise definitiv entzogen.

3.

Der entgegen der Klageanträge der Klägerin im ersten Rechtszug durch das Gericht von Amts wegen geprüfte „Verstoß gegen den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 207/2009“ stelle eine unzulässige Umgehung der in Art. 72 der Verordnung 2017/1001 durch den Unionsgesetzgeber niedergelegten Zuständigkeitsregelung dar. Dies habe die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Urteils in seiner Gesamtheit zur Folge, da dieses in seiner Gesamtheit auf dieser Rechtsverletzung beruhe.

4.

Die Verletzung von Art.72 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001 durch das angefochtene Urteil impliziere notwendigerweise weitere Rechtsverletzungen zu Lasten der Rechtsmittelführerin, nämlich (i) den definitiven Entzug der originären (Art. 165 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001) sowie der spezifischen (Art. 71 Abs. 1 Satz 2 1. Alternative der Verordnung 2017/1001) Prüfungs- und Entscheidungskompetenzen der Beschwerdekammer, und (ii) die Verletzung der Unabhängigkeit ihrer Mitglieder in der Ausübung dieser Zuständigkeit (Art. 166 Abs. 7 der Verordnung 2017/1001). Diese Verletzungen würden darüber hinaus in rechtswidriger Weise den vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen mehrstufigen und spezifischen Rechtsschutz der Klägerin im ersten Rechtszug gegen die Entscheidung der Prüferin des EUIPO sowie gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer (Art. 66 Abs. 1, Art. 165 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 30 der Verordnung 2017/1001; Art. 72 der Verordnung 2017/1001) beschneiden.

5.

Das Rechtsmittel werfe eine „für die Einheit, die Kohärenz und die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage“ i.S.d. Art. 58a Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs auf, da das angefochtene Urteil Rechtsunsicherheit in einer Frage zu schaffen drohe, welche von besonderer struktureller Bedeutung für das spezifische System und die „Logik des institutionellen Gefüges“ sei, welche der Unionsgesetzgeber zur Sicherstellung eines umfassenden, sachgemäßen, effektiven und mehrstufigen Rechtsschutzes gegen Entscheidungen des EUIPO vorgesehen habe. Aufgrund ihrer horizontalen und konstitutionellen Natur sei diese Frage für die gerichtliche Überprüfung sämtlicher Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO in Marken- und Geschmacksmustersachen bedeutsam. Sie betreffe zudem den Rechtsschutz gegen Entscheidungen aller EU-Agenturen, für welche der Unionsgesetzgeber als „besondere Bedingung“ i.S.d Art. 263 Abs. 5 AEUV eine spezifische, umfassende und vorgeschaltete Überprüfung durch eine unabhängige Beschwerdekammer zwingend vorgesehen habe.


(1)  Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).

(2)  Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung) (ABl. 2009, L 78, S. 1).