URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

29. Februar 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Ernährungssicherheit – Futtermittelzusatzstoffe – Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 – Zulassungsverfahren – Verbot des Inverkehrbringens bei fehlender Zulassung – Status bereits bestehender Produkte – Gültigkeit im Hinblick auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Unternehmerische Freiheit – Eigentumsrecht – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Durchführungsverordnung (EU) 2021/758 – Marktrücknahme des Grapefruitextrakts – Futtermittel, das ein Extrakt aus Grapefruitkernen und ‑schalen enthält“

In der Rechtssache C‑13/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Osnabrück (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2023, in dem Verfahren

cdVet Naturprodukte GmbH

gegen

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LA-VES)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters J. Passer und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der cdVet Naturprodukte GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Immel,

des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LA-VES), vertreten durch L. Berning als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch G. Bain und J.‑L. Carré als Bevollmächtigte,

der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

des Europäischen Parlaments, vertreten durch G. C. Bartram, G. Mendola und L. Stefani als Bevollmächtigte,

des Rates der Europäischen Union, vertreten durch N. Brzezinski, L. Hamtcheva und A. Jaume als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Hofstötter, B. Rechena und M. Zerwes als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über Zusatzstoffe zur Verwendung in der Tierernährung (ABl. 2003, L 268, S. 29) in der durch die Verordnung (EU) 2019/1381 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 (ABl. 2019, L 231, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1831/2003) in Ansehung der Art. 16, 17 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/758 der Kommission vom 7. Mai 2021 über den Status bestimmter Erzeugnisse als Futtermittelzusatzstoffe im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates und die Marktrücknahme bestimmter Futtermittelzusatzstoffe (ABl. 2021, L 162, S. 5).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der cdVet Naturprodukte GmbH (im Folgenden: cdVet) und dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LA-VES) wegen des Verbots des Inverkehrbringens eines Futtermittels, das als Zusatzstoff ein Extrakt aus Grapefruitkernen und ‑schalen enthält.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1831/2003

3

In den Erwägungsgründen 4, 6 und 11 der Verordnung Nr. 1831/2003 heißt es:

„(4)

Um die Gesundheit von Mensch und Tier und die Umwelt zu schützen, sollten Futtermittelzusatzstoffe einer Sicherheitsbewertung mittels eines Gemeinschaftsverfahrens unterzogen werden, bevor sie innerhalb der Gemeinschaft in Verkehr gebracht, verwendet oder verarbeitet werden. …

(6)

Maßnahmen der Gemeinschaft in Bezug auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt sollten auf dem Vorsorgeprinzip basieren.

(11)

Hier sollte der Grundsatz gelten, dass nur diejenigen Zusatzstoffe, die nach dem in dieser Verordnung festgelegten Verfahren zugelassen wurden, in Verkehr gebracht, verwendet und in der Tierernährung verarbeitet werden dürfen, und zwar unter den in der Zulassung vorgesehenen Bedingungen.“

4

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Zweck dieser Verordnung ist die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Zulassung des Inverkehrbringens und der Verwendung von Futtermittelzusatzstoffen und die Festlegung von Bestimmungen für die Überwachung und Kennzeichnung von Futtermittelzusatzstoffen und Vormischungen, um so die Grundlage für die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit des Menschen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere, die Umwelt und die Anwender- und Verbraucherinteressen im Zusammenhang mit Futtermittelzusatzstoffen zu schaffen und gleichzeitig das effiziente Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen.“

5

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung lautet:

„Niemand darf einen Futtermittelzusatzstoff in Verkehr bringen, verarbeiten oder verwenden, sofern nicht

a)

eine entsprechende Zulassung gemäß der vorliegenden Verordnung erteilt wurde“.

6

Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Jede Person, die eine Zulassung für einen Futtermittelzusatzstoff oder für eine neue Verwendung eines Futtermittelzusatzstoffes anstrebt, muss einen Antrag nach Artikel 7 stellen.

(2)   Eine Zulassung darf ausschließlich auf der Grundlage der vorliegenden Verordnung und nach den darin festgelegten Verfahren … erteilt, verweigert, verlängert, abgeändert, ausgesetzt oder widerrufen werden.“

7

Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1831/2003 sieht vor:

„Ein Antrag auf Zulassung gemäß Artikel 4 der vorliegenden Verordnung ist … an die [Europäische] Kommission zu richten. Die Kommission unterrichtet unverzüglich die Mitgliedstaaten und leitet den Antrag an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit [(EFSA)] weiter.“

8

Art. 8 Abs. 1 und 3 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Die [EFSA] gibt innerhalb von sechs Monaten nach Eingang eines gültigen Antrags eine Stellungnahme ab. …

(3)   Zur Vorbereitung ihrer Stellungnahme

a)

prüft die [EFSA], ob die vom Antragsteller vorgelegten Angaben und Unterlagen Artikel 7 entsprechen, und nimmt eine Bewertung vor, um festzustellen, ob der Futtermittelzusatzstoff den in Artikel 5 festgelegten Voraussetzungen genügt;

…“

9

In Art. 9 Abs. 1 der Verordnung heißt es:

„Innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Stellungnahme der [EFSA] erstellt die Kommission im Hinblick auf die Erteilung oder Verweigerung der Zulassung einen Entwurf einer Verordnung. Bei diesem Entwurf berücksichtigt sie die Bestimmungen von Artikel 5 Absätze 2 und 3, das Gemeinschaftsrecht sowie andere legitime Faktoren, die für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt von Bedeutung sind, insbesondere den Nutzen für die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere und die Vorteile für den Verbraucher von tierischen Erzeugnissen.

Stimmt der Entwurf nicht mit der Stellungnahme der [EFSA] überein, erläutert sie die Gründe für die Unterschiede.

…“

10

Art. 10 Abs. 1, 2 und 5 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Abweichend von Artikel 3 [darf] ein Futtermittelzusatzstoff, der gemäß der Richtlinie 70/524/EWG [des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung (ABl. 1970, L 270, S. 1)] in Verkehr gebracht wurde, … gemäß den Bedingungen in Verkehr gebracht und verwendet werden, die in [dieser Richtlinie] und ihren Durchführungsbestimmungen, einschließlich insbesondere der speziellen Kennzeichnungsvorschriften für Mischfuttermittel und Futtermittel-Ausgangserzeugnisse, festgelegt sind, vorausgesetzt

a)

innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung melden die Personen, die die Markteinführung des Zusatzstoffs vornehmen, oder eine andere interessierte Partei der Kommission diese Tatsache. …;

(2)   Ein Antrag ist gemäß Artikel 7 zu stellen, und zwar für Zusatzstoffe mit einer begrenzten Zulassungsdauer spätestens ein Jahr vor Ablauf der gemäß der [Richtlinie 70/524] erteilten Zulassung und für Zusatzstoffe, die für einen unbegrenzten Zeitraum … zugelassen wurden, innerhalb von höchstens sieben Jahren nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung. Ein genauer Zeitplan, in dem die einzelnen Kategorien von Zusatzstoffen, die neu bewertet werden müssen, nach Prioritäten geordnet aufgeführt sind, kann nach dem in Artikel 22 Absatz 2 genannten Verfahren beschlossen werden. …

(5)   Werden die Meldung und die beigefügten Angaben nach Absatz 1 Buchstabe a) nicht innerhalb der genannten Frist vorgelegt oder für fehlerhaft befunden oder wird ein Antrag nicht gemäß Absatz 2 innerhalb der genannten Frist gestellt, so wird eine Verordnung gemäß dem in Artikel 22 Absatz 2 genannten Verfahren erlassen, um den betreffenden Zusatzstoff vom Markt zu nehmen. Diese Maßnahme kann einen begrenzten Zeitraum vorsehen, während dem Bestände des Erzeugnisses noch aufgebraucht werden können.“

11

In Anhang I Nr. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1831/2003 heißt es:

„In die Kategorie ‚sensorische Zusatzstoffe‘ werden folgende Funktionsgruppen aufgenommen:

b)

Aromastoffe: Stoffe, deren Zusatz zu Futtermitteln deren Geruch oder Schmackhaftigkeit verbessert.“

Durchführungsverordnung (EU) Nr. 230/2013

12

Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 230/2013 der Kommission vom 14. März 2013 über die Marktrücknahme bestimmter in die Funktionsgruppe „Aroma- und appetitanregende Stoffe“ einzuordnender Futtermittelzusatzstoffe (ABl. 2013, L 80, S. 1) wurde u. a. auf der Grundlage von Art. 10 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1831/2003 in ihrer ursprünglichen Fassung erlassen.

13

Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 230/2013 lautet:

„Die in Teil A des Anhangs genannten Futtermittelzusatzstoffe, die in die Gruppe ‚Aroma- und appetitanregende Stoffe‘ einzuordnen sind, werden vom Markt genommen.“

14

In Teil A des Anhangs dieser Durchführungsverordnung sind u. a. unter „Natürliche Stoffe und die ihnen entsprechenden synthetischen Stoffe“ folgende Zusatzstoffe aufgeführt:

„Citrus x paradisi Macfad.: Grapefruit, Konzentrat CoE 140/Zitrus-Schale, Extrakt CAS 94266‑47‑4 FEMA 2318 Einecs 304‑454‑3/Grapefruit, Öl, terpenfrei CAS 90045‑43‑5 CoE 140/Grapefruit, Essenz-Öl CoE 140/Grapefruit, Tinktur CoE 140/Grapefruit, Terpene CoE 140“.

Durchführungsverordnung 2021/758

15

Ebenso wie die Durchführungsverordnung Nr. 230/2013 wurde die Durchführungsverordnung 2021/758 u. a. auf der Grundlage von Art. 10 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1831/2003 erlassen.

16

Der siebte Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2021/758 lautet:

„Die Marktrücknahme der in Anhang I aufgeführten Erzeugnisse schließt nicht aus, dass sie zugelassen werden oder einer Maßnahme hinsichtlich ihres Status gemäß der Verordnung [Nr. 1831/2003] unterliegen.“

17

Art. 1 dieser Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die in Anhang I aufgeführten Futtermittelzusatzstoffe werden für die ebenfalls in Anhang I aufgeführten Tierarten oder Tierkategorien vom Markt genommen.“

18

Art. 2 Abs. 1 und 3 dieser Durchführungsverordnung sieht vor:

„(1)   Vorhandene Bestände an in den Kapiteln I.A und I.C des Anhangs I aufgeführten Futtermittelzusatzstoffen dürfen bis 30. Mai 2022 weiterhin in Verkehr gebracht und verwendet werden.

(3)   Mischfuttermittel und Einzelfuttermittel, die aus den in Absatz 1 genannten Futtermittelzusatzstoffen … hergestellt wurden, dürfen bis 30. Mai 2023 weiterhin in Verkehr gebracht und verwendet werden.“

19

In Anhang I der Durchführungsverordnung 2021/758 sind die gemäß deren Art. 1 vom Markt zu nehmenden Futtermittelzusatzstoffe aufgeführt. Kapitel I.A Teil 1 dieses Anhangs enthält die Zusatzstoffe, die für alle Tierarten und Tierkategorien vom Markt zu nehmen sind; zu ihnen gehören als „Aroma- und appetitanregende Stoffe – Natürlich vorkommende Stoffe, botanisch definiert“ folgende Zusatzstoffe:

„Citrus x paradisi Macfad.: Grapefruit, Öl, gepresst CAS 8016‑20‑4 FEMA 2530 CoE 140 Einecs 289‑904‑6/Grapefruit, Extrakt CoE 140“.

Deutsches Recht

20

§ 21 Abs. 3 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (im Folgenden: LFGB) sieht vor:

„Soweit in Satz 2 nichts anderes bestimmt ist, dürfen Futtermittel,

1. bei deren Herstellen oder Behandeln

b)

ein Futtermittelzusatzstoff einer anderen als der in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung [Nr. 1831/2003] genannten Kategorie

verwendet worden ist,

nicht in Verkehr gebracht und nicht verfüttert werden. Satz 1 Nummer 1 gilt nicht, wenn der verwendete Futtermittelzusatzstoff durch einen unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zugelassen ist und der verwendete Futtermittelzusatzstoff oder das Futtermittel einer im Rahmen dieses unmittelbar geltenden Rechtsaktes oder in der Verordnung [Nr. 1831/2003] festgesetzten Anforderung entspricht, sofern eine solche Anforderung dort festgesetzt worden ist. …“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

21

cdVet stellt Futtermittel her und vertreibt diese, u. a. das Produkt „DarmRein Pulver/GutClean Powder“, ein Futterergänzungsmittel für Hunde, Katzen und andere Heimtiere (im Folgenden: fragliches Produkt). Dieses Produkt enthält einen auf dem Produktetikett als „Grapefruitkernextrakt“ bezeichneten sensorischen Zusatzstoff (im Folgenden: fraglicher Zusatzstoff).

22

Am 24. Februar 2022 führten Mitarbeiter des LA-VES eine amtliche Kontrollmaßnahme im Betrieb von cdVet durch, die u. a. das fragliche Produkt betraf. Die hierbei vorgenommene Überprüfung des vom Vorlieferanten für den fraglichen Zusatzstoff ausgestellten Produktspezifikationsblatts (im Folgenden: Produktspezifikationsblatt) ergab, dass der fragliche Zusatzstoff darin als „Grapefruitkern-Extrakt S“ bezeichnet wurde und im Wesentlichen aus einem glyzerinhaltigen Extrakt bestand, das durch Extraktion mit pflanzlichem Glyzerin aus Grapefruitkernen und ‑schalen gewonnen wurde.

23

Nach Anhörung von cdVet untersagte das LA-VES ihr mit Bescheid vom 30. März 2022 das Anbieten und Inverkehrbringen des fraglichen Produkts und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Bescheids an. Das LA-VES begründete seinen Bescheid im Wesentlichen damit, dass Grapefruitkernextrakt gemäß Art. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 230/2013 in Verbindung mit Teil A ihres Anhangs vom Markt genommen worden sei, weil für diesen Stoff binnen der hierfür vorgesehenen Fristen kein Antrag auf Zulassung gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1831/2003 gestellt worden sei. Daher verstoße das Inverkehrbringen des fraglichen Zusatzstoffs gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1831/2003 bzw. gegen § 21 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b LFGB.

24

Am 11. Oktober 2022 erhob cdVet gegen diesen Bescheid Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, und beantragte zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Sie machte geltend, der fragliche Zusatzstoff sei aufgrund seiner Zusammensetzung nicht als Grapefruitkernextrakt einzuordnen, sondern als Grapefruitextrakt bzw. als „Grapefruit, Extrakt“.

25

Aus dem Produktspezifikationsblatt ergebe sich eindeutig, dass der fragliche Zusatzstoff außer aus Grapefruitkernen – was den Vorlieferanten möglicherweise dazu bewogen habe, im Spezifikationsblatt die Bezeichnung „Grapefruitkernextrakt“ zu wählen – auch aus Grapefruitschalen gewonnen werde.

26

Zwar sei gemäß Art. 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 in Verbindung mit deren Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Zusatzstoff „Grapefruit, Extrakt CoE 140“ grundsätzlich vom Markt genommen worden. Die Übergangsvorschrift in Art. 2 Abs. 3 der Durchführungsverordnung erlaube ihr jedoch, das fragliche Produkt mit diesem Zusatzstoff bis zum 30. Mai 2023 weiter in Verkehr zu bringen.

27

Außerdem bestünden Zweifel an der Vereinbarkeit der vom LA-VES angewandten Vorschriften der Verordnung Nr. 1831/2003 mit dem Unionsrecht, da mit dieser Verordnung ein pauschales Verkehrs- und Verwendungsverbot sämtlicher Futtermittelzusatzstoffe ohne Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls einhergehe.

28

Vor dem vorlegenden Gericht hält das LA-VES dem entgegen, Grapefruitkernextrakt, der im fraglichen Produkt als Zusatzstoff verwendet werde, und Grapefruitextrakt seien keine identischen Stoffe, so dass cdVet sich nicht mit Erfolg auf die Übergangsregelung in Art. 2 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2021/758 berufen könne, die allein „Grapefruit, Extrakt“ betreffe.

29

Letztlich bestünden keine durchgreifenden unionsrechtlichen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Verordnung Nr. 1831/2003, da das in ihrem vierten Erwägungsgrund genannte Ziel, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt zu gewährleisten, nur mittels eines Zulassungsverfahrens erreicht werden könne, das eine Sicherheitsbewertung für Futtermittelzusatzstoffe im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip ermögliche.

30

Aufgrund seiner Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit und der Auslegung der in Rede stehenden Unionsregelung gab das vorlegende Gericht dem von cdVet gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz statt und stellte die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wieder her.

31

Das vorlegende Gericht hat erstens Zweifel, ob im vorliegenden Fall ein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta entsprechendes angemessenes Gleichgewicht zwischen der unternehmerischen Freiheit und dem Eigentumsrecht (Art. 16 bzw. Art. 17 Abs. 1 der Charta) einerseits und dem mit der Verordnung Nr. 1831/2003 bezweckten Schutz des Rechtsguts der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt andererseits besteht. Die Verordnung ordne ein pauschales Verkehrs‑, Verwendungs- und Verarbeitungsverbot für nicht zugelassene Futtermittelzusatzstoffe an, ohne insoweit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen, etwa die Frage nach der absoluten Menge oder der Konzentration dieses Zusatzstoffs in dem betreffenden Futtermittel oder die Frage, ob es sich bei dem Zusatzstoff um einen auch in der Natur vorkommenden pflanzlichen oder einen synthetischen Stoff handele. Dabei sei hervorzuheben, dass die Bestandteile des fraglichen Zusatzstoffs, dessen Konzentration zudem unterhalb des Nachweisbereichs liege, ausschließlich natürlichen Ursprungs seien, so dass eine Gefahr für die menschliche oder tierische Gesundheit nicht ersichtlich sei.

32

Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es sich bei dem fraglichen Zusatzstoff um „Grapefruit, Extrakt CoE 140“ im Sinne von Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 handelt. Wäre dies der Fall, dürfe cdVet gemäß der Übergangsvorschrift in Art. 2 Abs. 3 der Durchführungsverordnung das fragliche Produkt bis zum 30. Mai 2023 weiter in Verkehr bringen. Als das LA-VES am 30. März 2022 seinen Bescheid erlassen habe, hätte es daher keine Verletzung futterrechtlicher Vorschriften feststellen dürfen.

33

Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Osnabrück beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die Verordnung Nr. 1831/2003, insbesondere deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5, durch die im Falle einer nicht bestehenden Zulassung ein pauschales Verkehrs‑, Verwendungs- und Verarbeitungsverbot für Futtermittelzusatzstoffe ohne Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles angeordnet wird, in Ansehung der durch Art. 16 der Charta geschützten unternehmerischen Freiheit sowie des Rechts auf Eigentum gemäß Art. 17 Abs. 1 der Charta mit dem in Art. 52 Abs. 1 der Charta normierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar?

2.

Für den Fall, dass der Gerichtshof die Vorlagefrage zu 1 bejahen sollte, mit der Folge, dass die Verordnung Nr. 1831/2003, insbesondere deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5, uneingeschränkt anzuwenden wäre: Handelt es sich bei dem von der Klägerin als Futtermittelzusatzstoff verwendeten Extrakt, das ausweislich des Produktspezifikationsblatts des Vorlieferanten aus Grapefruitkernen und ‑schalen hergestellt und in diesem als Grapefruitkernextrakt (genau: Grapefruitkern-Extrakt S) bezeichnet wird, (jedenfalls auch) um den in Art. 2 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2021/758 in Verbindung mit Anhang I Kapitel I.A Teil 1 aufgeführten Stoff „Grapefruit, Extrakt CoE 140“?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

34

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 1831/2003, insbesondere deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5, gültig ist, soweit durch die Verordnung im Fall einer nicht bestehenden Zulassung ein pauschales Verkehrs‑, Verwendungs- und Verarbeitungsverbot für Futtermittelzusatzstoffe ohne Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls angeordnet wird. Es ersucht den Gerichtshof, die Gültigkeit dieser Bestimmungen in Ansehung der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts, die in Art. 16 bzw. in Art. 17 Abs. 1 der Charta verankert sind, sowie des in Art. 52 Abs. 1 der Charta normierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen.

35

Vorab ist zum einen festzustellen, dass das vom vorlegenden Gericht in seiner Frage angesprochene Verbot in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1831/2003 vorgesehen ist. Zum anderen regelt ihr Art. 10 den Status vorhandener Produkte, d. h. von Futtermittelzusatzstoffen, die u. a. gemäß der Richtlinie 70/524 in Verkehr gebracht wurden, was bei dem fraglichen Zusatzstoff der Fall ist.

36

Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1831/2003 sehen im Wesentlichen lediglich vor, dass jede Person, die eine Zulassung nach der Verordnung anstrebt, einen Antrag bei der Kommission stellen muss. Somit sind diese Bestimmungen angesichts der Umstände des Ausgangsrechtsstreits für die Prüfung der Gültigkeit der Verordnung Nr. 1831/2003 ohne Belang. Der Rechtsstreit betrifft nämlich das Verbot des Inverkehrbringens eines Zusatzstoffs, für den kein Zulassungsantrag nach der Verordnung gestellt wurde, so dass die Modalitäten der Stellung eines solchen Antrags im vorliegenden Fall nicht relevant sind.

37

Folglich ist vorliegend allein die Gültigkeit von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a sowie von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 1831/2003 in Ansehung von Art. 16, Art. 17 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta zu prüfen.

38

Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht, die in Art. 16 bzw. in Art. 17 Abs. 1 der Charta verankert sind, nicht absolut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind (Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 170 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Sodann lässt Art. 52 Abs. 1 der Charta bei der Ausübung der von ihr verbürgten Rechte und Freiheiten Einschränkungen zu, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

40

Schließlich ist bei der Beurteilung dieser Einschränkungen, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüberstehen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht (Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 172 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem vierten Erwägungsgrund und aus Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1831/2003, dass ihr Zweck insbesondere in der Einführung eines Unionsverfahrens für die Zulassung des Inverkehrbringens und der Verwendung von Futtermittelzusatzstoffen besteht, um so die Grundlage für die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit des Menschen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere, die Umwelt sowie die Anwender- und Verbraucherinteressen im Zusammenhang mit diesen Zusatzstoffen zu schaffen und gleichzeitig das effiziente Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen.

42

Wie aus dem elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1831/2003 hervorgeht, hat der Unionsgesetzgeber hierfür vorgesehen, dass nur diejenigen Zusatzstoffe, die nach dem in dieser Verordnung festgelegten Verfahren zugelassen wurden, in Verkehr gebracht, verwendet und in der Tierernährung verarbeitet werden dürfen. Dieses Zulassungsverfahren ist in Kapitel II der Verordnung geregelt, das deren Art. 3 bis 15 umfasst. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung enthält das Verbot, einen Futtermittelzusatzstoff in Verkehr zu bringen, zu verarbeiten oder zu verwenden, sofern hierfür keine Zulassung erteilt wurde.

43

Aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und 3 sowie Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1831/2003 ergibt sich, dass der Zulassungsantrag in einem ersten Schritt Gegenstand einer Stellungnahme der EFSA ist, die eine Bewertung vornimmt, um festzustellen, ob der betreffende Zusatzstoff den in der Verordnung festgelegten Zulassungsvoraussetzungen genügt. In einem zweiten Schritt wird durch eine von der Kommission im Rahmen der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse erlassene Verordnung die Zulassung erteilt oder verweigert. Bei der Ausarbeitung des Entwurfs für die Verordnung, mit der die Zulassung erteilt oder verweigert wird, berücksichtigt die Kommission insbesondere diese Zulassungsvoraussetzungen sowie andere legitime Faktoren, die für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt von Bedeutung sind, insbesondere den Nutzen für die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere und die Vorteile für den Verbraucher von tierischen Erzeugnissen.

44

Art. 10 der Verordnung Nr. 1831/2003 sieht vor, dass u. a. Futtermittelzusatzstoffe, die gemäß der Richtlinie 70/524 in Verkehr gebracht wurden, abweichend von Art. 3 weiter in Verkehr gebracht und verwendet werden dürfen, sofern innerhalb von höchstens sieben Jahren nach Inkrafttreten dieser Verordnung ein Zulassungsantrag gestellt wird.

45

Daher ist erstens festzustellen, dass das mit der Verordnung Nr. 1831/2003 eingeführte Zulassungssystem im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen ist.

46

Zweitens achtet dieses Zulassungssystem den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts, die in Art. 16 bzw. in Art. 17 Abs. 1 der Charta verankert sind. Zum einen verbietet es nicht die Herstellung und den Vertrieb von Futtermitteln, sondern macht sie im Interesse der menschlichen und tierischen Gesundheit sowie der Umwelt von bestimmten Voraussetzungen abhängig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C‑157/14, EU:C:2015:823, Rn. 71). Zum anderen hat das Zulassungssystem keinen Eigentumsentzug zur Folge und stellt daher keinen Eingriff dar, der das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 89).

47

Drittens ist hinsichtlich der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die richterliche Überprüfung dieses Grundsatzes dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen in Bereichen zugebilligt hat, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Beurteilungen vornehmen muss. Infolgedessen ist eine in diesen Bereichen erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgen will, offensichtlich ungeeignet ist (Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 151 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2005, ABNA u. a., C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04, EU:C:2005:741, Rn. 69).

48

Insoweit ist, worauf das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen hinweisen, wie bei den in zahlreichen Unionsrechtsakten auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit vorgesehenen Zulassungssystemen auch das – in den Rn. 42 bis 44 des vorliegenden Urteils beschriebene – Zulassungssystem der Verordnung Nr. 1831/2003 gemessen an dem Ziel dieser Verordnung, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier, die Umwelt sowie Anwender- und Verbraucherinteressen zu gewährleisten, nicht offensichtlich ungeeignet.

49

Zu diesem Ziel ist festzustellen, dass, auch wenn das vorlegende Gericht auf Art. 16 und Art. 17 Abs. 1 der Charta Bezug nimmt, auch deren Art. 35, 37 und 38 zu berücksichtigen sind, die ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und die Verbraucher sicherstellen sollen. Ferner ergibt sich sowohl aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch aus Art. 13 AEUV, dass der Schutz des Wohlergehens der Tiere eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung darstellt (Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C‑336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 63).

50

Außerdem stellt ein Zulassungssystem wie das durch die Verordnung Nr. 1831/2003 eingeführte ein geeignetes Mittel dar, um die Einhaltung des Vorsorgeprinzips sicherzustellen, das gemäß dem sechsten Erwägungsgrund der Verordnung im betreffenden Bereich Anwendung findet.

51

Im Übrigen enthält die Verordnung Nr. 1831/2003 mehrere Bestimmungen, die entsprechend dem Vorsorgeprinzip darauf abzielen, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Ziel dieser Verordnung und den Interessen der Unternehmen zu finden, die Futtermittelzusatzstoffe verwenden. Was insbesondere das Verfahren zur Neubewertung von Produkten betrifft, die wie der fragliche Zusatzstoff gemäß der Richtlinie 70/524 in Verkehr gebracht wurden, so ist dies bei dem in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Übergangszeitraum von höchstens sieben Jahren der Fall, während dem diese Produkte, ohne dass ein Zulassungsantrag nach Art. 7 der Verordnung gestellt wurde, weiter in Verkehr gebracht werden dürfen, sowie bei der Befugnis der Kommission, im Rahmen der Anordnung einer Marktrücknahme von Zusatzstoffen nach Art. 10 Abs. 5 der Verordnung einen begrenzten Zeitraum vorzusehen, während dem Bestände des betreffenden Erzeugnisses noch aufgebraucht werden können. Im vorliegenden Fall hat die Kommission eine solche Frist in Art. 2 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2021/758 vorgesehen, auf die sich cdVet im Ausgangsrechtsstreit beruft.

52

Außerdem neigt das vorlegende Gericht zu der Auffassung, dass das mit der Verordnung Nr. 1831/2003 eingeführte Zulassungssystem keine Berücksichtigung der „Umstände des jeweiligen Einzelfalls“ zulasse, und möchte insbesondere wissen, welche Auswirkungen es hat, wie groß die absolute Menge oder die Konzentration des dem fraglichen Futtermittel zugesetzten Zusatzstoffs ist und ob es sich bei ihm um einen natürlichen oder einen synthetischen Stoff handelt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Durchführungsverordnungen Nr. 230/2013 und 2021/758 das weitere Inverkehrbringen einer Vielzahl von Zusatzstoffen untersagen, die in ihren Anhängen als natürlich vorkommende Stoffe beschrieben werden. Überdies lässt sich die Festlegung abstrakter Schwellenwerte für die absolute Menge oder die Konzentration eines Zusatzstoffs ohne eine Bewertung seiner Risiken nur schwer mit den Anforderungen des Schutzes der menschlichen und tierischen Gesundheit vereinbaren, insbesondere unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips.

53

Schließlich schließt, wie sich aus dem siebten Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2021/758 ergibt, die Marktrücknahme der in ihrem Anhang I aufgeführten Zusatzstoffe deren Zulassung nach der Verordnung Nr. 1831/2003 nicht aus. Daher könnten etwaige besondere Umstände des Ausgangsrechtsstreits von cdVet im Rahmen eines möglichen Antrags auf Zulassung des fraglichen Zusatzstoffs angeführt werden.

54

Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Prüfung der ersten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a sowie von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 1831/2003 in Ansehung von Art. 16, Art. 17 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta beeinträchtigen könnte.

Zur zweiten Frage

55

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Begriff „Grapefruit, Extrakt“ in Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 dahin auszulegen ist, dass ein aus Grapefruitkernen und ‑schalen hergestelltes Extrakt unter diesen Begriff fällt.

56

Vorab ist zum einen festzustellen, dass sowohl im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 230/2013 als auch in Anhang I der Durchführungsverordnung 2021/758 in einigen Sprachfassungen für dieselbe Frucht, die den wissenschaftlichen Namen „Citrus x paradisi“ trägt, zwei unterschiedliche umgangssprachliche Namen angegeben sind. Dies gilt insbesondere für die französischen Fassungen dieser beiden Anhänge, in denen die Begriffe „pampelmousse (grapefruit)“ und „pomélo (grapefruit)“ verwendet werden.

57

Zum anderen wird, wie die französische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, „Grapefruit, Extrakt“ in Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 als „Aroma- und appetitanregender Stoff“ bezeichnet.

58

Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der fragliche Zusatzstoff auf dem Etikett des fraglichen Produkts als „sensorischer Zusatzstoff“ bezeichnet wird. Nach Anhang I Nr. 2 der Verordnung Nr. 1831/2003 sind Aromastoffe in die Kategorie der sensorischen Zusatzstoffe einzuordnen. Somit wird offenbar – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – der fragliche Zusatzstoff im fraglichen Produkt tatsächlich als Aroma- und appetitanregender Stoff verwendet.

59

Der Begriff „Grapefruit, Extrakt“ im Sinne von Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 wird weder in ihr noch in der Durchführungsverordnung Nr. 230/2013 definiert.

60

Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung von Unionsvorschriften nicht nur ihr Wortlaut entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu berücksichtigen ist, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden. Außerdem ist eine Durchführungsverordnung nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Grundverordnung auszulegen (Urteil vom 7. Dezember 2023, Syngenta Agro, C‑830/21, EU:C:2023:959, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Der Begriff „Grapefruit, Extrakt“ ist entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch dahin zu verstehen, dass er jedes aus einer Grapefruit gewonnene Extrakt bezeichnet, unabhängig davon, ob ein konkretes Extrakt aus bestimmten Teilen dieser Frucht oder aus der gesamten Frucht gewonnen wurde.

62

Diese Auslegung des Begriffs „Grapefruit, Extrakt“ wird durch die Ziele der Regelung bestätigt, zu der er gehört. Mit der Durchführungsverordnung 2021/758 soll nämlich Art. 10 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1831/2003 umgesetzt werden. Mit Letzterer wird aber, wie sich aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils ergibt, das grundsätzliche Verbot eingeführt, einen Futtermittelzusatzstoff in Verkehr zu bringen, zu verarbeiten oder zu verwenden, für den keine Zulassung erteilt wurde. Durch Art. 10 der Verordnung Nr. 1831/2003 wird dieser Grundsatz für Zusatzstoffe, die zuvor gemäß der Richtlinie 70/524 in Verkehr gebracht wurden, für die aber kein neuer Zulassungsantrag nach der Verordnung gestellt wurde, in der Weise umgesetzt, dass er u. a. einen Übergangszeitraum von höchstens sieben Jahren vorsieht, nach dessen Ablauf die Zusatzstoffe vom Markt zu nehmen sind.

63

Da dieses Verbot die Grundregel ist, auf die sich die Verordnung Nr. 1831/2003 stützt, ist es weit auszulegen, so dass jeder nicht ausdrücklich zugelassene Zusatzstoff verboten ist, auch wenn er zuvor gemäß der Richtlinie 70/524 in Verkehr gebracht wurde.

64

Da die Durchführungsverordnung 2021/758 die Marktrücknahme des Zusatzstoffs „Grapefruit, Extrakt“ vorsieht, ohne zwischen den verschiedenen Bestandteilen der Grapefruit zu unterscheiden, ist davon auszugehen, dass sie Extrakte erfasst, die aus irgendeinem Teil der Frucht oder aus der gesamten Frucht gewonnen wurden.

65

Für die in Rn. 61 des vorliegenden Urteils herangezogene Auslegung spricht auch der Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 230/2013, wonach zu den Zusatzstoffen auf der Grundlage von „Citrus x paradisi“ u. a. Zitrusschalenextrakt gehört, was ohne Zweifel Grapefruitschalenextrakt umfasst. Hätte der Unionsgesetzgeber zwischen den aus verschiedenen Teilen dieser Frucht gewonnenen Extrakten unterscheiden wollen, hätte er dies klargestellt, wie er es bei Zitrusschalenextrakt getan hat.

66

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung 2021/758 dahin auszulegen ist, dass ein aus Grapefruitkernen und ‑schalen hergestelltes Extrakt unter den Begriff „Grapefruit, Extrakt“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.

Kosten

67

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Prüfung der ersten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a sowie von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über Zusatzstoffe zur Verwendung in der Tierernährung in der durch die Verordnung (EU) 2019/1381 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 geänderten Fassung in Ansehung von Art. 16, Art. 17 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beeinträchtigen könnte.

 

2.

Anhang I Kapitel I.A Teil 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/758 der Kommission vom 7. Mai 2021 über den Status bestimmter Erzeugnisse als Futtermittelzusatzstoffe im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates und die Marktrücknahme bestimmter Futtermittelzusatzstoffe

ist dahin auszulegen, dass

ein aus Grapefruitkernen und ‑schalen hergestelltes Extrakt unter den Begriff „Grapefruit, Extrakt“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.

 

Biltgen

Passer

Arastey Sahún

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. Februar 2024.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Kammerpräsident

F. Biltgen


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.