SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 21. November 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C251/23 und C308/23

OB (C251/23),

YV (C308/23)

gegen

Mercedes-Benz Group AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Duisburg [Deutschland])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Genehmigung von Kraftfahrzeugen – Richtlinie 2007/46/EG – Art. 18 Abs. 1 – Art. 26 Abs. 1 – Art. 46 – Verordnung (EG) Nr. 715/2007 – Art. 3 Nr. 10 – Art. 4 Abs. 1 und 2 – Art. 5 Abs. 1 und 2 – Dieselkraftfahrzeuge – Die Schadstoffemissionen betreffender Zulassungstest – Über den in dieser Verordnung vorgesehenen Grenzwerten liegende Stickstoffoxid(NOx)-Emissionen – Erhöhung der NOx-Emissionen und gleichzeitige Verringerung der Emissionen anderer schädlicher Substanzen – Abschalteinrichtung – Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern – Ausnahme von diesem Verbot – Schutz der Interessen eines individuellen Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs – Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller aufgrund deliktischer Haftung – Beweislast – Effektivitätsgrundsatz – Art und Weise der Berechnung des Schadensersatzes “






I.      Einleitung

1.        Die Tragweite der Vorschriften der Europäischen Union über Schadstoffemissionen von Dieselkraftfahrzeugen gab dem Gerichtshof bereits mehrfach Anlass, über die Auslegung der Richtlinie 2007/46/EG(2) und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007(3) zu entscheiden. Mit seinen Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen ersucht das Landgericht Duisburg (Deutschland) den Gerichtshof, im Anschluss an das von der Großen Kammer erlassene Urteil C‑100/21(4) diese Rechtsprechung insbesondere hinsichtlich der Frage zu vertiefen, welcher Schadensersatzanspruch dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs zusteht, das die in dieser Verordnung vorgesehenen Grenzwerte von Stickstoffoxid(NOx)-Emissionen nicht einhält.

2.        Diese Vorabentscheidungsersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den natürlichen Personen OB (Rechtssache C‑251/23) bzw. YV (Rechtssache C‑308/23) und der Mercedes-Benz Group AG wegen des Anspruchs der Kläger auf Schadensersatz wegen des Erwerbs von Dieselkraftfahrzeugen, die mit nach dem Unionsrecht unzulässigen Einrichtungen ausgerüstet sein sollen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2007/46

3.        Die Richtlinie 2007/46 wurde durch die Verordnung (EU) 2018/858(5) gemäß deren Art. 88 mit Wirkung vom 1. September 2020 aufgehoben. In Anbetracht des streitgegenständlichen Zeitraums findet diese Richtlinie auf die Ausgangsverfahren jedoch weiterhin Anwendung.

4.        Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2007/46 bestimmte:

„Diese Richtlinie schafft einen harmonisierten Rahmen mit den Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in ihren Geltungsbereich fallenden Neufahrzeuge und der zur Verwendung in diesen Fahrzeugen bestimmten Systeme, Bauteile und selbstständigen technischen Einheiten; damit sollen ihre Zulassung, ihr Verkauf und ihre Inbetriebnahme in der Gemeinschaft erleichtert werden.

Zur Durchführung dieser Richtlinie werden in Rechtsakten besondere technische Anforderungen für den Bau und den Betrieb von Fahrzeugen festgelegt; Anhang IV enthält eine vollständige Auflistung dieser Rechtsakte.“

5.        Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 5 und 36 dieser Richtlinie sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie und der in Anhang IV aufgeführten Rechtsakte – soweit dort nichts anderes bestimmt ist – bezeichnet der Ausdruck

5.      ‚EG-Typgenehmigung‘ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht;

36.      ‚Übereinstimmungsbescheinigung‘ das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht.“

6.        Art. 18 („Übereinstimmungsbescheinigung“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmte:

„Der Hersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge legt jedem vollständigen, unvollständigen oder vervollständigten Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung bei.

…“

7.        In Art. 26 („Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen“) Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 hieß es:

„Unbeschadet der Artikel 29 und 30 gestatten die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 versehen sind.

…“

8.        Art. 46 („Sanktionen“) dieser Richtlinie sah vor:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen diese Richtlinie, insbesondere gegen die in Artikel 31 vorgesehenen oder sich daraus ergebenden Verbote und die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte, anzuwenden sind, und ergreifen alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. …“

2.      Verordnung Nr. 715/2007

9.        In den Erwägungsgründen 1 und 6 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:

„(1)      … Die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen sollten folglich harmonisiert werden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften erlassen, und um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

(6)      Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der [NOx-Emissionen] bei Dieselfahrzeugen erforderlich. …“

10.      Art. 1 („Gegenstand“) Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Diese Verordnung legt gemeinsame technische Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen (nachstehend ‚Fahrzeuge‘ genannt) und Ersatzteilen wie emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen fest.“

11.      Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 6 und 10 der Verordnung Nr. 715/2007 sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:

6)      ,Auspuffemissionen‘ die Emissionen gasförmiger und partikelförmiger Schadstoffe;

10)      ‚Abschalteinrichtung‘ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

12.      Art. 4 („Pflichten des Herstellers“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 bestimmt:

„(1)      Der Hersteller weist nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Der Hersteller weist außerdem nach, dass alle von ihm in der Gemeinschaft verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.

Diese Pflichten schließen ein, dass die in Anhang I und in den in Artikel 5 genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

(2)      Der Hersteller stellt sicher, dass die Typgenehmigungsverfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung der Produktion, der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge beachtet werden.

Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden. …

Die Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge wird insbesondere im Hinblick auf die Auspuffemissionen geprüft, die die in Anhang I enthaltenen Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. … “

13.      Art. 5 („Anforderungen und Prüfungen“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthält folgende Regelung:

„(1)      Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

(2)      Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a)      die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;

…“

14.      Anhang I („Emissionsgrenzwerte“) dieser Verordnung enthält u. a. in Bezug auf Fahrzeuge der Fahrzeugklasse M für Euro-5-Fahrzeuge (Tabelle 1) und für Euro-6-Fahrzeuge (Tabelle 2) die Emissionsgrenzwerte für gasförmige Schadstoffe. Tabelle 4 dieses Anhangs legt u. a. in Bezug auf Fahrzeuge der Fahrzeugklasse M die Grenzwerte für die Auspuffemissionen von Kohlenmonoxid (CO) und Kohlenwasserstoffen (HC) nach Kaltstart fest.

3.      Verordnung (EG) Nr. 692/2008

15.      Die Verordnung (EG) Nr. 692/2008(6) wurde durch die Verordnung (EU) 2017/1151(7) gemäß deren Art. 19 mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des streitgegenständlichen Zeitraums findet die Verordnung Nr. 692/2008 auf die Ausgangsverfahren jedoch weiterhin Anwendung.

16.      Art. 1 („Gegenstand“) dieser Verordnung lautete:

„In dieser Verordnung werden Maßnahmen zur Durchführung der Artikel 4, 5 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 festgelegt.“

17.      Anhang III („Ermittlung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen) [Prüfung Typ 1]“ der Verordnung Nr. 692/2008 sah vor:

„1.      Einführung

Dieser Anhang enthält Vorschriften für die Prüfung Typ 1 zur Ermittlung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen.

2.      Allgemeine Vorschriften

2.1.      Die allgemeinen Vorschriften entsprechen denen von Absatz 5.3.1 der UN/ECE‑Regelung Nr. 83[(8)] mit den in den Absätzen 2.2 bis 2.5 beschriebenen Ausnahmen.

2.2.      Die Fahrzeuge, die der in Absatz 5.3.1.1 beschriebenen Prüfung unterzogen werden, sind als alle unter diese Verordnung fallenden Fahrzeuge zu verstehen.

2.3.      Die in Absatz 5.3.1.2.4 genannten Schadstoffe sind als alle in Anhang I Tabellen 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgeführten Schadstoffe zu verstehen.

2.5.      Die in Absatz 5.3.1.4 genannten Emissionsgrenzwerte gelten bei Euro-5-Fahrzeugen als Bezugnahme auf die Emissionsgrenzwerte nach Anhang I Tabelle 1 und bei Euro-6-Fahrzeugen auf die Grenzwerte nach Anhang I Tabelle 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.

…“

B.      Deutsches Recht

18.      § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lautet:

„(1)      Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2)      Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.“

III. Ausgangsrechtsstreitigkeiten, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

A.      Rechtssache C251/23

19.      Mit Kaufvertrag vom 25. Mai 2016 erwarb OB bei einem Autohändler ein Gebrauchtfahrzeug der Marke Mercedes-Benz, Modell GLK 200 CDI, bei einem Tachostand von 39 000 km zum Preis von 23 700 Euro (im Folgenden: Fahrzeug 1). In dem ausweislich des Kaufvertrags am 21. November 2012 erstmals zugelassenen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 651 der Generation Euro 5 verbaut.

20.      OB erhob eine Schadensersatzklage gegen Mercedes-Benz Group beim Landgericht Duisburg, dem vorlegenden Gericht, und machte geltend, dass dieses Fahrzeug nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtungen enthalte.

21.      OB trägt hierzu u. a. vor, dass aufgrund der in das Motorsteuergerät des Fahrzeugs 1 integrierten Software (im Folgenden: Software 1) eine Abgasrückführung nach zwei Betriebsmodi erfolge, nämlich einem Modus 0, der beim Fahrbetrieb im Straßenverkehr aktiviert werde, und einem Modus 1, der beim im Labor durchgeführten, die Schadstoffemissionen betreffenden Zulassungstest namens „New European Driving Cycle“ (NEDC) (Neuer Europäischer Fahrzyklus [NEFZ]) (im Folgenden: NEFZ-Test) zum Einsatz komme; dieser Test sei im für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum zur Anwendung gelangt(9). Diese Software werde in allen Motoren des Typs OM 651 verwendet und führe zu geringeren NOx-Emissionen, wenn Modus 1 aktiv sei. Außerdem sei diese Software als ein „Thermofenster“ programmiert worden, das bei Außentemperaturen ab 9° C und darunter die Abgasrückführung reduziere oder ganz abschalte mit der Folge, dass die NOx-Emission erheblich ansteige. Dabei handele es sich um eine nach der Verordnung Nr. 715/2007 verbotene Abschalteinrichtung. Ferner sei das Fahrzeug mit mehreren weiteren unzulässigen Abschaltvorrichtungen ausgerüstet, darunter die Funktion Bit 15, die bewirke, dass die Abgasreinigung nach 26 km Fahrt abschalte. Im Übrigen sei die Software 1 so programmiert, dass die Regeneration der Einrichtung zur Abgasreinigung durch selektive katalytische Reduktion (SKR) (im Folgenden: SKR-Katalysator), die für die Abgasreinigung erforderlich sei, beinahe ausschließlich in den ersten 20 bis 25 Minuten des Betriebs von Fahrzeug 1, also für die Dauer des NEFZ-Tests, erfolge. Überdies sei am 2. Mai 2019 auf diesem Fahrzeug ein sogenanntes Softwareupdate aufgespielt worden. Allerdings habe dieses Update nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der NOx-Emissionen geführt.

22.      OB ergänzt, seine Entscheidung zum Kauf von Fahrzeug 1 habe darauf beruht, dass das Fahrzeug die Mindestvoraussetzungen einhalte, um in Betrieb genommen werden zu können. Wenn er von der seitens Mercedes-Benz Group verübten Täuschungshandlung Kenntnis gehabt hätte, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Mithin habe er einen Schaden erlitten, weshalb er vor dem vorlegenden Gericht beantragt habe, das Unternehmen zu verurteilen, 23 700 Euro nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung von Fahrzeug 1 und Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 953,35 Euro an ihn zu zahlen und ihn von 1 242,84 Euro an Rechtsanwaltskosten freizustellen.

23.      Mercedes-Benz Group erwidert, die Klage sei abzuweisen, da Mercedes-Benz Group OB weder vorsätzlich geschädigt noch ihn betrogen habe. Das Fahrzeug 1 habe eine wirksame EG-Typgenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden. OB sei kein Schaden entstanden, zumal für das streitige Fahrzeug bereits ein Update für die Software 1 entwickelt und freigegeben worden sei. Der Kaufvertrag sei für OB nicht wirtschaftlich nachteilig, da das Fahrzeug keinen Minderwert aufgrund der angeblichen Mängel habe und seine Lebensdauer aufgrund der angeblichen Mängel auch nicht gemindert sei. Das Fahrzeug halte im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Tests die NOx-Grenzwerte ein. Allein darauf komme es an. Im Vorlagebeschluss legt das vorlegende Gericht sodann sehr ausführlich das Vorbringen technischer Natur von Mercedes-Benz Group zum Betrieb von Fahrzeug 1 dar.

24.      Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Duisburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen(10):

1.      Widerspricht ein dieselgetriebener Pkw, für den die Abgasnorm Euro 5 gilt, unabhängig davon, ob in seiner Steuerung eine Schaltung installiert ist, die begrifflich als Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 einzustufen ist, europarechtlichen Vorschriften, wenn aufgrund seiner Bauart und der Steuerung der darin installierten Funktionen von vornherein klar ist, dass er, nachdem der Motor warmgelaufen ist, selbst dann im „Mix“ mehr als 180 mg je km Stickoxide ausschließt, wenn er in diesem Zustand einen Prüflauf nach dem NEFZ-Test durchfährt?

2.      Kann ein Konstruktionsteil in einem Fahrzeug, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um je nach Ergebnis dieser Ermittlung die Parameter des Verbrennungsvorgangs im Motor zu verändern, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems auch dann im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 verringern und demnach eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung darstellen, wenn die aufgrund des Ergebnisses der Ermittlung durch das Konstruktionsteil bewirkte Veränderung der Parameter des Verbrennungsvorgangs zwar einerseits die Emissionen einer bestimmten schädlichen Substanz, zum Beispiel Stickoxide, erhöht, aber gleichzeitig andererseits die Emissionen einer oder mehrerer anderer schädlicher Substanzen, zum Beispiel Partikel, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und/oder Kohlendioxid, verringert?

3.      Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Unter welchen Voraussetzungen liegt in einem derartigen Fall in dem Konstruktionsteil eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007?

4.      Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Stehen Vorschriften des nationalen Rechts, die dem Käufer eines Fahrzeugs in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss, im Urteil C‑100/21 genanntem Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 entgegen, soweit sich aus den letzteren Vorschriften ergibt, dass dem Käufer eines Fahrzeugs für den Fall, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert ist, ein Schadensersatzanspruch gegen dessen Hersteller zustehen muss (vgl. Rn. 91 und 93 des genannten Urteils)?

5.      Falls die vierte Frage zu bejahen ist: Welche Beweislastverteilung ist in dem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Fahrzeugs und seinem Hersteller über einen Schadensersatzanspruch des Ersteren gegen den Letzteren für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 nach europäischem Recht vorgesehen? Kommen den Parteien jeweils Beweiserleichterungen zustatten oder treffen sie gegebenenfalls Obliegenheiten, falls ja, welche? Falls Obliegenheiten gelten: Welche Folgen hat ihre Nichteinhaltung?

6.      Haben die Regelungen in der Richtlinie 2007/46, insbesondere deren Art. 18 Abs. 1 und Art. 3 Nr. 36, auch den Zweck, den individuellen Erwerber eines Fahrzeugs spezifisch davor zu schützen, einen Erwerb eines nicht den Anforderungen des Rechts der Europäischen Union genügenden Fahrzeugs zu tätigen, den er in Kenntnis dessen, dass das Fahrzeug nicht den Anforderungen des Rechts der Europäischen Union genügt, nicht getätigt hätte, weil seinerseits nicht gewollt?

7.      Muss unabhängig von der Beantwortung der vorstehenden Frage nach dem Recht der Europäischen Union im Falle eines vom Hersteller eines Fahrzeugs begangenen Verstoßes gegen die Regelungen in der Richtlinie 2007/46 bzw. die auf ihrer Grundlage ergangenen nationalrechtlichen Vorschriften, insbesondere eines seitens des Herstellers des Fahrzeugs begangenen Verstoßes gegen das Verbot, eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung zu erteilen, der Hersteller stets oder jedenfalls in bestimmten Fällen verpflichtet sein, den Erwerber von den Folgen des auf diesem Verstoß beruhenden Erwerbs eines Fahrzeugs, das nicht den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union entspricht, in Gänze freizustellen, mithin ihm, wenn er dies begehrt – gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes etwaiger sonstiger seitens des Erwerbers aufgrund des Erwerbs des Fahrzeugs erlangter Vorteile –, die Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs zu erstatten? Falls dies nur in bestimmten Fällen der Fall ist: In welchen Fällen ist dies der Fall?

8.      Falls die siebte Frage zu verneinen oder nur für bestimmte Fälle zu bejahen ist: Steht eine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs des Käufers eines Fahrzeugs, das nicht den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union über seine Abgasemissionen und/oder die Beschaffenheit seines Emissionskontrollsystems entspricht, auf denjenigen Betrag, um den der Käufer das Fahrzeug mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat, stets mit den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union in Einklang, wenn der Hersteller lediglich fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug erteilt hat, aus der sich seine Übereinstimmung mit allen Rechtsakten zum Zeitpunkt seiner Herstellung ergibt? Falls dies nicht stets der Fall ist: In welchen Fällen ist dies nicht der Fall?

9.      Soweit die achte Frage zu bejahen ist: Steht eine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs des Käufers eines Fahrzeugs, das nicht den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union über seine Abgasemissionen und/oder die Beschaffenheit seines Emissionskontrollsystems entspricht, auf denjenigen Betrag, um den der Käufer das Fahrzeug mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat, jedoch höchstens 15 % des Kaufpreises, stets mit den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union in Einklang, wenn der Hersteller lediglich fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug erteilt hat, aus der sich seine Übereinstimmung mit allen Rechtsakten zum Zeitpunkt seiner Herstellung ergibt? Falls dies nicht stets der Fall ist: In welchen Fällen ist dies nicht der Fall?

B.      Rechtssache C308/23

25.      YV erwarb aufgrund Bestellung vom 14. September 2016 bei einem Kraftfahrzeughändler ein Fahrzeug der Marke Mercedes Benz, Modell E 220 BlueTec, mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 der Generation Euro 6, das über einen SKR-Katalysator verfügt (im Folgenden: Fahrzeug 2).

26.      YV erhob beim Landgericht Duisburg, dem vorlegenden Gericht, eine Schadensersatzklage gegen Mercedes-Benz Group mit der Begründung, diese habe ihn vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und betrogen. Außerdem habe er gegenüber diesem Unternehmen u. a. deshalb einen Anspruch, weil das Fahrzeug 2 entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung nicht mit den Anforderungen des Unionsrechts genüge.

27.      Hierzu trägt YV insbesondere vor, das Fahrzeug sei mit einer in das Motorsteuergerät integrierten Software ausgestattet, die auf die Außentemperatur reagiere. Das Fahrzeug verwende somit ein Thermofenster, wonach bei höheren oder niedrigeren Außentemperaturen als denen beim NEFZ-Test, nämlich 20° C bis 30° C, die NOx-Emissionen verändert würden. Demzufolge habe das Fahrzeug im normalen Regelbetrieb einen erheblich höheren NOx-Ausstoß als seitens Mercedes-Benz Group für dieses serienmäßig produzierte Fahrzeug angegeben. Außerdem sei im Fahrzeug 2 eine sogenannte „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“ aktiv. Dieses System sorge dafür, dass bei Erkennung des NEFZ-Tests der Motor künstlich kälter gehalten werde als unter normalen Betriebsbedingungen, was bewirke, dass der Kühlmittelkreislauf künstlich kälter gehalten und somit die Aufwärmung des Motoröls verzögert werde. Dadurch sorge dieses System dafür, dass beim NEFZ-Test die NOx-Emissionsgrenzwerte eingehalten würden, während im normalen Betrieb auf der Straße dieses System nicht aktiv sei mit der Folge der Überschreitung dieser Emissionsgrenzwerte.

28.      Ferner werde in einem dem vorlegenden Gericht in einer anderen Rechtssache überreichten Gutachten festgestellt, dass die Kühlerjalousie eines Fahrzeugs, in dem ebenfalls ein Motor des Typs OM 651 verbaut gewesen sei, bei normalem Betrieb erst ab einer Kühlmitteltemperatur von über 105° C geöffnet werde, während des NEFZ-Tests aber schon bei einer Kühlmitteltemperatur von über 69° C, wodurch der Motor zusätzlich gekühlt werde. So werde bei diesem Test der Fahrtwind mit einem Ventilator simuliert, und durch die geöffnete Kühlerjalousie werde der Motor zusätzlich gekühlt. Es sei davon auszugehen, dass das Fahrzeug 2 über die gleiche Abschaltvorrichtung verfüge. Im Übrigen arbeite der SKR-Katalysator so, dass dem Abgas während des NEFZ-Tests über einen Katalysator eine größere Menge an „AdBlue“(11) zugeführt werde (das NOx in unbedenkliche Substanzen umwandele) als im realen Fahrbetrieb. Das Fahrzeug 2 sei außerdem mit mehreren weiteren Abschaltvorrichtungen ausgestattet, u. a. mit dem Modus „BIT 15“, die während dieses Tests die Schadstoffemissionen reduzierten. Mercedes-Benz Group gehe es mit diesen Abschaltvorrichtungen nicht darum, den Motor ihrer Fahrzeuge vor Beschädigung zu schützen, sondern vielmehr darum, die für den NEFZ-Test vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einzuhalten.

29.      YV betont, der Kauf von Fahrzeug 2 sei für ihn nachteilig, da er ein nicht zulassungsfähiges Fahrzeug erworben habe. In Kenntnis aller Umstände hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Dementsprechend beantragte YV vor dem vorlegenden Gericht, Mercedes-Benz Group zu verurteilen, 21 841,66 Euro nebst Zinsen und weitere 1 006,63 Euro nebst Zinsen an ihn zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs 2. Er beantragte darüber hinaus festzustellen, dass sich Mercedes-Benz Group mit der Rücknahme dieses Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet, und sie weiter zu verurteilen, 673,90 Euro nebst Zinsen an ihn zu zahlen.

30.      Mercedes-Benz Group erwidert, dass die Klage abzuweisen sei, da insbesondere das Fahrzeug 2 eine wirksame EG-Typgenehmigung habe, deren Erlöschen nicht drohe, und auch kein Verlust der Zulassung oder Entzug der Betriebserlaubnis für dieses Fahrzeug drohe. Die EG-Typgenehmigung habe Tatbestandswirkung, die das erkennende nationale Gericht binde, und das Vorliegen dieser Genehmigung stehe einer unzulässigen Abschalteinrichtung entgegen. Sämtliche von YV beanstandeten Funktionen des Fahrzeugs 2 arbeiteten beim normalen Fahrbetrieb auf der Straße unter genau denselben Bedingungen wie beim NEFZ-Test und führten dabei nicht nur zufällig und punktuell zu einer Verbesserung der Schadstoffemissionen. Im Vorlagebeschluss legt das vorlegende Gericht sodann sehr ausführlich das Vorbringen technischer Natur von Mercedes-Benz Group zum Betrieb von Fahrzeug 2 dar.

31.      Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Duisburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen(12):

1.      Identisch mit der zweiten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

2.      Identisch mit der dritten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

3.      Kann eine Schaltung oder Steuerung in einem Fahrzeug, die durch die ihrerseits bewirkte Veränderung der Parameter des Verbrennungsvorgangs zwar einerseits die Emissionen einer bestimmten schädlichen Substanz, zum Beispiel Stickoxide, erhöht, aber gleichzeitig andererseits die Emissionen einer oder mehrerer anderer schädlicher Substanzen, zum Beispiel Partikel, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und/oder Kohlendioxid, verringert, nach europäischem Recht unter anderen Gesichtspunkten als demjenigen des Vorliegens einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig sein?

4.      Falls die dritte Frage zu bejahen ist: Unter welchen Voraussetzungen ist dies der Fall?

5.      Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 eine Abschaltvorrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung auch dann zulässig, wenn sie zwar nicht zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall notwendig ist, aber dennoch zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs?

6.      Falls die erste Frage zu bejahen ist: Stehen Vorschriften des nationalen Rechts, die dem Käufer eines Fahrzeugs in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 und überdies auch das Nichtvorliegen eines Sachverhalts, aufgrund dessen eine festzustellende Abschalteinrichtung im vorstehenden Sinne ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a dieser Verordnung zulässig ist, zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss, im Urteil C‑100/21 genanntem Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 entgegen, soweit sich aus den letzteren Vorschriften ergibt, dass dem Käufer eines Fahrzeugs für den Fall, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert ist, ein Schadensersatzanspruch gegen dessen Hersteller zustehen muss (vgl. Rn. 91 und 93 des genannten Urteils)?

7.      Falls die sechste Frage zu bejahen ist: Welche Beweislastverteilung ist in dem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Fahrzeugs und seinem Hersteller über einen Schadensersatzanspruch des Ersteren gegen den Letzteren für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 und für das Vorliegen eines Sachverhalts, aufgrund dessen diese ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a dieser Verordnung zulässig ist, nach europäischem Recht vorgesehen? Kommen den Parteien jeweils Beweiserleichterungen zustatten, falls ja, welche, oder treffen sie gegebenenfalls Obliegenheiten, falls ja, welche? Falls Obliegenheiten gelten: Welche Folgen hat ihre Nichteinhaltung?

8.      Falls die dritte Frage zu bejahen ist: Stehen Vorschriften des nationalen Rechts, die dem Käufer eines Fahrzeugs in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen einer zwar nicht als Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 zu qualifizierenden, aber aus sonstigen Gründen unzulässigen Schaltung bzw. Steuerung zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss, im Urteil C‑100/21 genanntem Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 entgegen, soweit sich aus den letzteren Vorschriften ergibt, dass dem Käufer eines Fahrzeugs für den Fall, dass darin eine unzulässige Schaltung bzw. Steuerung installiert ist, ein Schadensersatzanspruch gegen dessen Hersteller zustehen muss (vgl. Rn. 91 und 93 des genannten Urteils)?

9.      Falls die achte Frage zu bejahen ist: Welche Beweislastverteilung ist in dem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Fahrzeugs und seinem Hersteller über einen Schadensersatzanspruch des Ersteren gegen den Letzteren für das Vorliegen einer unzulässigen Schaltung bzw. Steuerung der in der achten Frage genannten Art nach europäischem Recht vorgesehen? Kommen den Parteien jeweils Beweiserleichterungen zustatten, falls ja, welche, oder treffen sie gegebenenfalls Obliegenheiten, falls ja, welche? Falls Obliegenheiten gelten: Welche Folgen hat ihre Nichteinhaltung?

10.      Identisch mit der sechsten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

11.      Identisch mit der siebten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

12.      Identisch mit der achten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

13.      Identisch mit der neunten Frage in der Rechtssache C‑251/23.

32.      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. Juni 2023 sind die Rechtssachen C‑251/23 und C‑308/23 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

33.      Mercedes-Benz Group, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Am 10. Juli 2024 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die vorgenannten Beteiligten mündliche Ausführungen gemacht haben.

IV.    Würdigung

A.      Zur ersten Frage in der Rechtssache C251/23

34.      Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑251/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte dann nicht einhält, wenn der Motor dieses Fahrzeugs, nachdem er warmgelaufen ist, mehr als 180 mg/km NOx ausstößt, wenn er in diesem Zustand den NEFZ-Test durchfährt.

35.      Für eine Beantwortung dieser Frage erscheint es mir zweckdienlich, darzulegen, wie das Unionsrecht in Verbindung mit dem internationalen Recht im für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum die NOx-Emissionsgrenzwerte für ein Dieselkraftfahrzeug wie Fahrzeug 1 festgelegt hatte.

36.      Erstens legte die Richtlinie 2007/46 den Rahmen für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen fest. So lautete der dritte Erwägungsgrund dieser Richtlinie: „Die technischen Anforderungen für Systeme, Bauteile, selbstständige technische Einheiten und Fahrzeuge sollten in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden. Diese Rechtsakte sollten vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen.“ In Art. 3 Nr. 5 dieser Richtlinie wurde die „EG-Typgenehmigung“ definiert als „das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI [dieser Richtlinie] aufgeführten Rechtsakte entspricht“. Dieser Anhang IV („Für die EG-Typgenehmigung von Fahrzeugen anzuwendende Vorschriften“) verwies in seinem Teil I („Aufstellung der Rechtsakte für die EG-Typgenehmigung von in unbegrenzter Serie hergestellten Fahrzeugen“) in Bezug auf die technischen Anforderungen für „Emissionen leichter Pkw und Nutzfahrzeuge (Euro 5 und 6)/Zugang zu Informationen“ für Fahrzeuge der Klasse M1, d. h. „Fahrzeuge für Personenbeförderung mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz“(13) auf die Verordnung Nr. 715/2007.

37.      Zweitens heißt es, was die Verordnung Nr. 715/2007 betrifft, in deren Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1, dass der Hersteller nachweist, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Union in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung schließt diese Verpflichtung ein, dass die in Anhang I und in den in Art. 5 der Verordnung genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 müssen die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen, dass u. a. die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. Ferner sieht Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vor, dass der Hersteller die Fahrzeuge so ausrüsten muss, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

38.      Drittens sollten mit der Verordnung Nr. 692/2008, die ausweislich ihres Art. 1 Maßnahmen zur Durchführung der Art. 4, 5 und 8 der Verordnung Nr. 715/2007 festlegte, insbesondere die Verfahren zur Kontrolle der Schadstoffemissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen durch den NEFZ-Test eingeführt werden. In Anhang III Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 hieß es, dass er Vorschriften für die Prüfung Typ 1 zur Ermittlung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen enthielt. Nach Abs. 2.1 dieses Anhangs entsprachen die allgemeinen Vorschriften denen von Abs. 5.3.1 der UN/ECE‑Regelung Nr. 83.

39.      Viertens sah die UN/ECE‑Regelung Nr. 83 in ihrer im für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung in ihrem Abs. 5.3.1 („Prüfung Typ I [Prüfung der Abgasemissionen nach einem Kaltstart]“) vor, dass das Fahrzeug auf einen Rollenprüfstand gebracht wurde, der mit Bremse und Schwungmasse ausgerüstet war. Danach wurde eine Prüfung durchgeführt, die insgesamt 19 Minuten und 40 Sekunden dauerte und aus zwei Teilen bestand. Teil 1 der Prüfung bestand aus vier Grund-Stadtfahrzyklen und Teil 2 der Prüfung bestand aus einem außerstädtischen Fahrzyklus. Mit diesem NEFZ-Test sollte insbesondere geprüft werden, ob die vom Testfahrzeug ausgestoßene NOx-Menge unter der in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Obergrenze lag. Hierzu ist diesem Anhang in Bezug auf die „Euro-5-Emissionsgrenzwerte“ in Tabelle 1 zu entnehmen, dass der NOx-Emissionsgrenzwert für die Klasse M (einschließlich der Klasse M1) bei einem Selbstzündungsmotor (auch Dieselmotor genannt) bei 180 mg/km liegt (Wert für ein Fahrzeug wie das Fahrzeug 1).

40.      Im vorliegenden Fall gibt das vorlegende Gericht an, nach dem Ergebnis der bisher durchgeführten Beweisaufnahme stoße das Fahrzeug 1, wenn der Motor in bereits betriebswarmem Zustand gestartet werde, selbst bei Durchlaufen eines NEFZ-Tests mehr als 180 mg/km NOx aus(14). Es möchte wissen, ob dieses Fahrzeug unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, allein schon deshalb die Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 nicht einhält.

41.      Das vorlegende Gericht hegt insoweit Zweifel an der Europarechtskonformität des Fahrzeugs, insbesondere mit Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007, und weist einerseits darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 14. Juli 2022, GSMB Invest (C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 41), ausgeführt hat, dass nach Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung der Hersteller die Fahrzeuge so ausrüsten muss, dass die Bauteile, die sich auf das Emissionsverhalten auswirken, es erlauben, dass die Fahrzeuge unter normalen Betriebsbedingungen die in der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einhalten. Eine Fahrt nach „Warmstart“ des Motors gehöre aber ohne Weiteres zu den im Gebiet der Union üblichen Verwendungen eines dieselgetriebenen Personenkraftwagens, weshalb der Emissionsgrenzwert von 180 mg/km für NOx auch für ein Fahrzeug wie Fahrzeug 1 gelte.

42.      Andererseits könnten die Vorschriften über Emissionsgrenzwerte auch dahin verstanden werden, dass sie nur unter den Bedingungen einzuhalten seien, unter denen der NEFZ-Test durchzuführen sei. So sei bisher nicht vertreten worden, dass ein Fahrzeug, solange seine Höchstleistung angefordert werde, es z. B. mit 180 km/h gegen eine Steigung gefahren werde, was bei entsprechend stark motorisierten Fahrzeugen durchaus einer im Gebiet der Union üblichen Verwendung entspreche, die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte einhalten müsse. Während insoweit zu den Bedingungen des NEFZ-Tests gehöre, dass dieser nach einem Kaltstart durchgeführt werde, gehe ein Warmstart mit einer höheren Verbrennungstemperatur einher, die zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen führe. Deshalb stelle sich die Frage, ob der NOx-Emissionsgrenzwert entsprechend der Norm Euro 5 auch dann einzuhalten sei, wenn ein Fahrzeug den NEFZ-Test nicht nach einem Kaltstart, sondern nach einem Warmstart durchfahre(15).

43.      In ihren schriftlichen Erklärungen macht Mercedes-Benz Group geltend, dass NOx-Grenzwerte nur in Verbindung mit der Prüfung Typ 1 im NEFZ-Test gültig seien. Nach Ansicht der deutschen Regierung wiederum kommt – wenn diese Grenzwerte unter den Bedingungen dieses Tests, also nach einem Kaltstart, eingehalten wurden – ein Verstoß gegen Unionsrecht nur in Betracht, wenn in dem betreffenden Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 verbaut ist. Nur bei der Frage, ob eine solche vorliegt, könne es eine Rolle spielen, ob das Starten eines bereits warmen Motors „bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten“ sei.

44.      Wie in Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, nimmt Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 auf die „normalen Betriebsbedingungen“ der Fahrzeuge im Rahmen der Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Schadstoffemissionen Bezug. Der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ wird auch in der Definition einer „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung genannt.

45.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs definiert die Verordnung Nr. 715/2007 den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und seiner Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Daher handelt es sich hierbei um einen unionsrechtlichen Begriff, der in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen er vorkommt, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind. Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, d. h. nicht nur auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen für den in Nr. 39 der vorliegenden Schlussanträge angesprochenen Zulassungstest, der zu dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt galt. Dieser Begriff verweist somit auf die Verwendung dieses Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind. Die Testzyklen für die Emissionen der Fahrzeuge im Zulassungsverfahren beruhen nach Auffassung des Gerichtshofs nämlich nicht auf den realen Betriebsbedingungen(16).

46.      Diese Auslegung – so der Gerichtshof weiter – wird durch den Kontext von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 gestützt. Nach Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung müssen die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen, dass u. a. die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. Ferner sieht Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vor, dass der Hersteller die Fahrzeuge so ausrüsten muss, dass die Bauteile, die sich auf das Emissionsverhalten auswirken, es erlauben, dass die Fahrzeuge unter normalen Betriebsbedingungen die in der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einhalten. Diesen Bestimmungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es möglich wäre, zwischen der Funktionsweise einer Einrichtung während der Phase der Zulassungstests und im Betrieb unter normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge zu unterscheiden. Im Gegenteil liefe nämlich der Einbau einer Einrichtung, die die Einhaltung der in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwerte nur während der Phase des Zulassungstests sicherstellen kann, obwohl diese Testphase normale Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs nicht nachstellen kann, der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen. Das Gleiche gilt für den Einbau einer Einrichtung, mit der diese Einhaltung nur innerhalb eines Thermofensters sichergestellt werden kann, das zwar die Bedingungen abdeckt, unter denen die Phase des Zulassungstests stattfindet, aber nicht den normalen Fahrbedingungen, wie sie in Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge definiert sind, entspricht. Die in dieser Nr. 45 vorgenommene Auslegung, wonach der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen verweist, wie sie im Unionsgebiet üblich sind, wird auch durch das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 1 und 6 ergibt, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die NOx-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen erheblich zu mindern(17).

47.      Nach dieser Rechtsprechung ist die Einhaltung der NOx-Emissionsgrenzwerte nicht nur im Rahmen des NEFZ-Tests zu prüfen, sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung. Wie in Nr. 39 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, sieht die Prüfung Typ I insoweit eine Prüfung der durchschnittlichen Abgasemissionen nach einem „Kaltstart“ vor. Das vorlegende Gericht spricht in seiner Frage einen Warmstart an, der zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen führe. Das Fahren eines Fahrzeugs mit warmgelaufenem Motor ist aber eine Verwendung unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung. Ein Dieselmotor, also ein Verbrennungs- und Explosionsmotor, läuft bei Betrieb zwangsläufig warm(18). Somit ist festzustellen, dass ein Dieselfahrzeug der Generation Euro 5, das nach einem Warmstart mehr als 180 mg/km NOx ausstößt, den in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Emissionsgrenzwert nicht einhält.

48.      Das vorlegende Gericht erwähnt im Übrigen den Fall eines Fahrzeugs, dessen Höchstleistung angefordert werde, wenn es z. B. mit 180 km/h gegen eine Steigung gefahren werde, was bei stark motorisierten Fahrzeugen durchaus einer im Gebiet der Union üblichen Verwendung entspreche. Hierzu weise ich darauf hin, dass in Anbetracht insbesondere der in der Union geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen, eine solche Fahrt keine normale Nutzung eines Fahrzeugs darstellt. Mit anderen Worten sind die Automobilhersteller nicht verpflichtet, die Grenzwerte für Schadstoffemissionen ausnahmslos, unter allen möglichen Umständen einzuhalten, sondern nur dazu, diese Grenzwerte im Normalbetrieb und bei normaler Nutzung eines Dieselkraftfahrzeugs nicht zu überschreiten.

49.      Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, auf die erste Frage in der Rechtssache C‑251/23 zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte dann nicht einhält, wenn der Motor dieses Fahrzeugs, nachdem er warmgelaufen ist, mehr als 180 mg/km NOx ausstößt, wenn er in diesem Zustand den NEFZ-Test durchfährt, da die Fahrt mit warmgelaufenem Motor eine im Sinne dieser Bestimmungen normale Nutzung, d. h. unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Gebiet der Union üblicherweise vorherrschen, dieses Fahrzeugs darstellt(19).

B.      Zur dritten und zur vierten Frage in der Rechtssache C308/23

50.      Mit seiner dritten und seiner vierten Frage in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 oder Euro 6 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einhält, wenn ein Konstruktionsteil in diesem Fahrzeug die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen, sich aber gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern.

51.      Im vorliegenden Fall spricht das vorlegende Gericht das aus der Kühlerjalousie eines Fahrzeugs mit einem Motor des Typs OM 651 bestehende Konstruktionsteil an, das nach Angaben von YV bei normalem Betrieb erst ab einer Kühlmitteltemperatur von über 105° C geöffnet werde, während des NEFZ-Tests aber schon bei einer Kühlmitteltemperatur von über 69° C, wodurch der Motor zusätzlich gekühlt werde. Nach dem Vorbringen von Mercedes-Benz Group, das durch die in anderen Verfahren dem vorlegenden Gericht bekannt gewordenen sachverständigen Ausführungen bestätigt werde, würden bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen durch die Senkung der Verbrennungstemperatur zwar die NOx-Emissionen verringert, gleichzeitig aber die Emissionen anderer schädlicher Substanzen, etwa Partikel, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und auch Kohlendioxid, erhöht, während umgekehrt bei Erhöhung der Verbrennungstemperatur die NOx-Emissionen erhöht, aber die Emissionen anderer schädlicher Substanzen gesenkt würden.

52.      Hierzu erinnere ich daran, dass nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen müssen, dass u. a. die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. In Art. 3 Nr. 6 der Verordnung wird der Begriff „Auspuffemissionen“ definiert als „die Emissionen gasförmiger und partikelförmiger Schadstoffe“. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird in diesen Vorschriften somit nur das von den Herstellern zu erreichende Ziel einer Begrenzung der Auspuffemissionen festgelegt, ohne die Mittel zu seiner Erreichung näher anzugeben(20).

53.      Wie es in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt, wird die Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge insbesondere im Hinblick auf die Auspuffemissionen geprüft, die die in Anhang I dieser Verordnung enthaltenen Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. Insoweit verweisen die Tabellen 1 („Euro-5-Emissionsgrenzwerte“) und 2 („Euro-6-Emissionsgrenzwerte“) dieses Anhangs für Fahrzeuge der Klasse M auf die folgenden sieben Elemente: Masse des Kohlenmonoxids (CO); Masse der gesamten Kohlenwasserstoffe (THC); Masse der Nichtmethankohlenwasserstoffe (NMHC); Masse der Stickstoffoxide (NOx); Summe der Massen der gesamten Kohlenwasserstoffe und der Stickstoffoxide (THC + NOx); Partikelmasse (PM) sowie Partikelzahl (PN) und legen für jedes von ihnen Emissionsgrenzwerte fest. Die Tabelle 4 dieses Anhangs wiederum legt die Grenzwerte für Kohlenmonoxid (CO) und Kohlenwasserstoffe (HC) fest.

54.      Diesen Tabellen ist zu entnehmen, dass ein Kraftfahrzeug mit Dieselmotor der Generation Euro 5 oder Euro 6 bei seiner Genehmigung im NEFZ-Test alle Emissionsgrenzwerte in Bezug auf diese Elemente gleichzeitig einhalten muss. Wie sich aus meinem Vorschlag einer Antwort auf die erste Frage in der Rechtssache C‑251/23 ergibt, müssen diese Grenzwerte auch im Normalbetrieb und bei normaler Nutzung, d. h. unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Gebiet der Union üblicherweise vorherrschen, eingehalten werden. Wenn also ein Konstruktionsteil in einem solchen Fahrzeug die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, zugleich aber diese Grenzwerte nicht überschritten werden, werden die in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Bedingungen gewahrt. Wie sich aus Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, bleibt es dem Hersteller überlassen, mit welchen Mitteln er die Auspuffemissionen begrenzt.

55.      Führt dieses Konstruktionsteil hingegen dazu, dass die Emissionsgrenzwerte zumindest einer dieser schädlichen Substanzen überschritten werden, liegt ein Verstoß gegen die Verordnung Nr. 715/2007 selbst dann vor, wenn sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern. In Ansehung der Tabellen 1, 2 und 4 in Anhang I dieser Verordnung kann nämlich – abgesehen von dem ausdrücklich vorgesehenen Fall der Substanz „Summe der Massen der gesamten Kohlenwasserstoffe und der Stickstoffoxide (THC + NOx)“ – die Erhöhung der Emissionen einer schädlichen Substanz über deren Grenzwert hinaus keinesfalls durch die Verringerung der Emissionen einer anderen schädlichen Substanz kompensiert werden. Mit anderen Worten bin ich, anders als die deutsche Regierung, der Ansicht, dass die – selbst leichte – Erhöhung der Emissionen eines einzigen Schadstoffs über dessen Grenzwert hinaus als Verstoß gegen diese Verordnung zu betrachten ist, und zwar auch dann, wenn sich gleichzeitig die Emissionen anderer Schadstoffe in signifikantem Umfang verringern. Der gegenteilige Ansatz ließe sich im Übrigen kaum umsetzen, da im Einzelfall festgestellt werden müsste, ob tatsächlich eine Gesamtverringerung der Schadstoffemissionen gegeben ist, und weiter, in welchem Ausmaß ein Schadstoff schädlicher wäre als ein anderer.

56.      Daher schlage ich vor, auf die dritte und auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑308/23 zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 oder Euro 6 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte dann nicht einhält, wenn ein Konstruktionsteil in diesem Fahrzeug die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, diese Erhöhung aber zur Überschreitung des in diesem Anhang festgelegten, für die betreffende schädliche Substanz geltenden Grenzwerts führt.

C.      Zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C251/23 sowie zur ersten und zur zweiten Frage in der Rechtssache C308/23

57.      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie mit seiner ersten und seiner zweiten Frage in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass ein Konstruktionsteil in einem Dieselkraftfahrzeug, das die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

58.      Das vorlegende Gericht gibt an, nicht zu wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Abschalteinrichtungen oder sonstige nach dem Unionsrecht unzulässige Schaltungen oder Steuerungen in den Fahrzeugen 1 und 2 vorhanden sind. Die Beantwortung dieser Fragen sei für die abschließende Beurteilung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten aber unabdingbar. Der Gerichtshof habe im Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) (C‑693/18, EU:C:2020:1040), das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 festgestellt, nachdem er darauf hingewiesen habe, dass dann, wenn das Abgasrückführventil (im Folgenden: AGR-Ventil) unter normalen Nutzungsbedingungen ebenso funktioniert hätte wie bei den Genehmigungsverfahren, die betreffenden Fahrzeuge deutlich weniger NOx erzeugt hätten und sich ihr Verbrauch und ihre Leistung verringert hätten (vgl. Rn. 40 dieses Urteils). Es leitet daraus ab, dass in einer solchen Situation die Emissionen von NOx und von Kohlendioxid gleichzeitig verringert worden wären, was in den Ausgangsverfahren nicht der Fall sei. Daher ersuche es um eine Antwort des Gerichtshofs. Fraglich sei insbesondere, welcher Sinn der Wendung „Konstruktionsteil, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringere“ in Bezug auf die Steuerung der Abgasrückführung durch ein Thermofenster und die Steuerung des Motorkühlmittel-Thermostats beizumessen sei.

59.      Mercedes-Benz Group vertritt die Ansicht, dass die Gesamtwirksamkeit des Schadstoffemissionskontrollsystems zu prüfen und nicht eine etwaige Wirksamkeitsverringerung isoliert für jede Schadstoffemission separat zu beurteilen sei. Denn die Mengen bestimmter Schadstoff-Emissionen stünden so in Korrelation zueinander, dass die Reduzierung der einen prinzipiell, naturwissenschaftlich zwingend zu einer Erhöhung der anderen führe („Trade-Off“).

60.      Hierzu erinnere ich daran, dass in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 eine „Abschalteinrichtung“ definiert wird, als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine solche Definition der Abschalteinrichtung dem Begriff „Konstruktionsteil“(21) eine große Tragweite verleiht, die sich sowohl auf die mechanischen Teile als auch auf die ihre Aktivierung steuernden elektronischen Teile erstreckt, soweit sie auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirken und dessen Wirksamkeit verringern. Ferner fallen nach Auffassung des Gerichtshofs unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 sowohl die Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d. h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen die Emissionen im Vorhinein, d. h. bei ihrer Entstehung, verringert werden(22).

61.      Wie in Beantwortung der dritten und der vierten Frage in der Rechtssache C‑308/23 ausgeführt, muss ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor zeitgleich alle in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwerte einhalten, und zwar sowohl im NEFZ-Test als auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen. Insoweit bin ich mit der deutschen Regierung und der Kommission der Ansicht, dass der bloße Umstand, dass ein Konstruktionsteil einerseits die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöht und andererseits die Emissionen weiterer schädlicher Substanzen verringert, nicht dazu führt, dass im Sinne von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung die „Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert“ wird. Wie bereits ausgeführt können sich in Anbetracht der Entwicklung der Verbrennungstemperatur in einem Dieselmotor nämlich die Emissionen schädlicher Substanzen für einige von ihnen erhöhen, während sich die Emissionen anderer Substanzen verringern. Solche Veränderungen gehören zum Normalbetrieb eines Motors, sofern die verschiedenen Emissionsgrenzwerte der schädlichen Substanzen, einschließlich der „Summe der Massen der gesamten Kohlenwasserstoffe und der Stickstoffoxide“, eingehalten werden.

62.      Demgegenüber ist ein Konstruktionsteil, das zu einer Erhöhung der Emissionen zumindest einer schädlichen Substanz über den für diese geltenden, in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwert hinaus führt, als ein Teil im Sinne von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung anzusehen, das „die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert“, und zwar selbst dann, wenn sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen signifikant verringern. In einem solchen Fall erreicht das Emissionskontrollsystem nämlich nicht das Ziel, die Schadstoffemissionen unter den in dieser Verordnung aufgeführten Bedingungen zu verringern.

63.      In ihren schriftlichen Erklärungen macht die deutsche Regierung geltend, entscheidend für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung sei unter anderem eine Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems. Es sei jedoch fraglich, ob die Verbrennung als Kernprozess des Dieselmotors Teil des Emissionskontrollsystems sein könne. Insoweit ist zwar richtig, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Anhang I der Verordnung Nr. 692/2008 zwischen dem Motor und dem Emissionsminderungssystem unterscheidet(23). In seiner zweiten Frage in der Rechtssache C‑251/23 und seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑308/23 erwähnt das vorlegende Gericht aber „ein Konstruktionsteil …, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um je nach Ergebnis dieser Ermittlung die Parameter des Verbrennungsvorgangs im Motor zu verändern“. Das vorlegende Gericht geht also davon aus, dass sich die Änderung des Schadstoffausstoßes nicht aus dem Verbrennungsvorgang eines Dieselmotors selbst ergibt, sondern aus einem Konstruktionsteil, nämlich der Steuerung der Abgasrückführung durch ein Thermofenster oder der Steuerung des Motorkühlmittel-Thermostats. Nach seiner ständigen Rechtsprechung hat der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Europäischen Union und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, jedoch von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen. Wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der Vorlagefragen festgelegt hat, ist es daher nicht Sache des Gerichtshofs, dessen Richtigkeit zu überprüfen(24).

64.      Nach alldem schlage ich vor, auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie auf die erste und die zweite Frage in Rechtssache C‑308/23 zu antworten, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass ein Konstruktionsteil in einem Dieselkraftfahrzeug, das die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, dann eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn diese Erhöhung zur Überschreitung des in Anhang I dieser Verordnung festgelegten, für die betreffende schädliche Substanz geltenden Grenzwerts führt.

D.      Zur fünften Frage in der Rechtssache C308/23

65.      Mit seiner fünften Frage in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschaltvorrichtung unter die Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, wenn diese Einrichtung zum einen zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs notwendig ist, zum anderen aber nicht zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall benötigt wird.

66.      Mercedes-Benz Group hält diese Frage für nicht entscheidungserheblich und damit für unzulässig. Die Auspuffanlage sei nämlich notwendiger und integraler Bestandteil eines jeden Verbrennungssystems, auch des Verbrennungsmotors. Außerdem diene der Schutz vor einem Brand des Dieselpartikelfilters dem sicheren Betrieb des Fahrzeugs, das sonst in Flammen aufgehen könnte. Maßnahmen, die notwendig seien, um zu vermeiden, dass sich dieser Filter entzünde, seien daher nach Art 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 gerechtfertigt, ohne dass es auf die vorgelegte Frage ankäme.

67.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung und die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen, für die eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof ist folglich grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betrifft, es sei denn, dass die erbetene Auslegung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, dass das Problem hypothetischer Natur ist oder dass der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage erforderlich sind(25).

68.      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass diese Frage, wie das vorlegende Gericht hervorhebt, tatsächlich auf der Prämisse beruht, dass der Partikelfilter kein Bestandteil des Motors eines Dieselkraftfahrzeugs ist. Allerdings ist eine solche Bewertung mit der Bestimmung des Begriffs „Motor“ im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 verknüpft. Diese Rechtsfrage fällt unter die Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens durch das vorlegende Gericht(26). Jedenfalls ist nicht offensichtlich, dass die erbetene Auslegung in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Rechtsstreits steht.

69.      Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot gibt es jedoch drei Ausnahmen, darunter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a, nämlich wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

70.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007, da er eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, eng auszulegen. Außerdem ist schon dem Wortlaut dieser Bestimmung zu entnehmen, dass eine Abschalteinrichtung, um unter die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme zu fallen, nicht nur notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, sondern auch, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Angesichts der Verwendung der Konjunktion „und“ in dieser Bestimmung ist diese nämlich dahin auszulegen, dass die darin vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind(27).

71.      Das vorlegende Gericht ist unter Hinweis auf diese Rechtsprechung angesichts dessen, dass auch andere als vom Motor ausgehende Sicherheitsrisiken ganz erheblich sein können, nicht sicher, ob für diesen Fall die Abschalteinrichtung unzulässig bleibt. Die Rechtfertigung einer Abschalteinrichtung sei nämlich aufgrund nicht vom Motor ausgehender Sicherheitsrisiken rechtlich möglich. So sei dem vorlegenden Gericht aufgrund sachverständiger Ausführungen in einer weiteren Rechtssache zu der auch im Ausgangsverfahren vorliegenden Problematik der Steuerung der Abgasrückführung eines Dieselkraftfahrzeugs bekannt geworden, dass die übermäßige Bildung von Rußpartikeln unter Umständen, wenn auch diese nur sehr selten gegeben seien, dazu führen könne, dass der Dieselpartikelfilter sich beim Regenerationsvorgang entzünde und es zu einem Fahrzeugbrand komme.

72.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtssache, in der das Urteil C‑134/20 ergangen ist, der betreffende Kraftfahrzeughersteller geltend gemacht hat, dass die Versottung von Bauteilen des Abgasrückführungssystems dadurch, dass sie eine Fehlfunktion des AGR-Ventils bis hin zu dessen Verklemmen hervorrufen könne, zu einem Durchbrand des Dieselpartikelfilters und einem Motorbrand oder sogar, als Folge davon, einem Brand des gesamten Fahrzeugs führen könne, was den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gefährdete(28). Ausgehend jedoch davon, dass das AGR-Ventil ein vom Motor getrenntes Bauteil darstellt(29), hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind, und entschieden, dass in Anbetracht der Tatsache, dass diese Ausnahme eng auszulegen ist, eine Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen(30). Dementsprechend muss eine Abschalteinrichtung selbst bei übermäßiger Bildung von Rußpartikeln notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, und zugleich auch, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

73.      Daher schlage ich vor, auf die fünfte Frage in der Rechtssache C‑308/23 zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschaltvorrichtung nur dann unter die Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, wenn diese Einrichtung nicht nur zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall, sondern auch zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs notwendig ist.

E.      Zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C251/23 sowie zu den Fragen 6 bis 9 in der Rechtssache C308/23

74.      Mit seiner vierten und seiner fünften Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie mit seinen Fragen 6 bis 9 in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie Vorschriften des nationalen Rechts entgegenstehen, die in einem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Kraftfahrzeugs und dessen Hersteller über einen Schadensersatzanspruch wegen einer in dem Fahrzeug installierten Abschalteinrichtung oder anderer unzulässiger Schaltungen bzw. Steuerungen dem Käufer in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen dieser Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 und auch das Nichtvorliegen einer Ausnahme vom Verbot der Verwendung einer solchen Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss.

75.      Nach Angaben des vorlegenden Gerichts sieht die Beweislastverteilung nach deutschem Recht ohne Einschränkungen vor, dass der Käufer eines Fahrzeugs in vollem Umfang alle tatsächlichen Voraussetzungen des Vorliegens einer Abschalteinrichtung oder anderer unzulässiger Schaltungen bzw. Steuerungen beweisen muss, da er das Vorliegen eines Schadens und auch den Verstoß gegen ein seinem Schutz dienendes Gesetz beweisen muss. Ohne Vorlage von Unterlagen und Bekanntgabe der Programmierungen – zu der nach deutschem Recht der Fahrzeughersteller nicht verpflichtet sei – könne bereits das Vorliegen einer Abschalteinrichtung oder anderer unzulässiger Schaltungen bzw. Steuerungen aber allenfalls durch sehr kostspielige Versuche bewiesen werden.

76.      Mercedes-Benz Group und die deutsche Regierung halten diese Fragen wegen unzureichender Darlegung des Sachverhalts sowie unzureichender und unzutreffender Darstellung des nationalen Rechtsrahmens für unzulässig. Statt dem Gerichtshof eine genaue Darstellung des nationalen Rechts und darauf aufbauend konkrete Fragen zur Vereinbarkeit bestimmter Normen des nationalen Rechts mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu präsentieren, erwarte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof ein Konzept der zivilprozessualen Beweis- und Darlegungslastverteilung. Außerdem seien, soweit das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑308/23 auf die Kühlerjalousie abstelle, die Vorlagefragen nicht entscheidungserheblich, weil diese Jalousie nicht Teil des Emissionskontrollsystems sei.

77.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dieser im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Europäischen Union und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen hat. Wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der Vorlagefragen festgelegt hat, ist es daher nicht Sache des Gerichtshofs, dessen Richtigkeit zu überprüfen(31). Hier stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, inwieweit bestimmte Voraussetzungen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung oder anderer unzulässiger Schaltungen bzw. Steuerungen möglicherweise nicht bewiesen oder widerlegt sind und, daraus folgend, welche Partei die Beweislast für diese Voraussetzungen trägt. Mit ihren Einwänden gegen die Zulässigkeit der Vorlagefragen beanstanden Mercedes-Benz Group und die deutsche Regierung die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des vorlegenden Gerichts sowie dessen Beurteilung hinsichtlich der Erheblichkeit dieser Fragen für die Entscheidung des jeweiligen Ausgangsrechtsstreits. Der Gerichtshof ist aber nicht befugt, die Beurteilung des vorlegenden Gerichts durch seine eigene zu ersetzen, weder in Bezug auf die Feststellung des Sachverhalts und des nationalen Rechtsrahmens noch im Hinblick auf die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit. Zudem soll der Gerichtshof diese Fragen durch Auslegung des Unionsrechts beantworten, so dass er seine Antwort erteilen kann, ohne maßgeblich über den Sachverhalt des jeweiligen Ausgangverfahrens zu entscheiden. Mithin sind die vierte und die fünfte Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie die Fragen 6 bis 9 in der Rechtssache C‑308/23 zulässig.

78.      In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ergibt, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen. Allerdings stünden nationale Rechtsvorschriften, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang. Unter diesem Vorbehalt sind die nationalen Gerichte befugt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt(32).

79.      Insoweit ist – weiter nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs –, damit die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes gewährleistet ist, das nationale Gericht, wenn es feststellt, dass der Umstand, dass einer Partei die Beweislast auferlegt wird, geeignet ist, die Führung dieses Beweises praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, u. a. weil er Angaben betrifft, über die diese Partei nicht verfügen kann, gehalten, alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen auszuschöpfen, darunter die Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen, einschließlich der Vorlage von Urkunden oder Schriftstücken durch eine Partei oder einen Dritten(33). Außerdem impliziert der Grundsatz der Effektivität das vom nationalen Gericht zu wahrende, in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Erfordernis eines gerichtlichen Schutzes(34).

80.      Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass das angerufene nationale Gericht u. a. vom betreffenden Fahrzeughersteller die Vorlage bestimmter Unterlagen verlangen kann, um festzustellen, ob – wie der Käufer dieses Fahrzeugs behauptet – es mit einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 oder anderen unzulässigen Schaltungen bzw. Steuerungen ausgerüstet ist. Sind für diese Feststellung kostspielige Versuche erforderlich, impliziert die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes außerdem, dass das nationale Gericht beschließen kann, einen Teil der Kosten dieser Versuche dem Hersteller aufzuerlegen. Es kann ebenso die Auffassung vertreten, dass der Käufer nicht verpflichtet sei, sämtliche Kosten für ein Sachverständigengutachten im Voraus zu entrichten(35).

81.      Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, auf die vierte und die fünfte Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie auf die Fragen 6 bis 9 in der Rechtssache C‑308/23 zu antworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie zur Einhaltung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes Vorschriften des nationalen Rechts entgegenstehen, die in einem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Kraftfahrzeugs und dessen Hersteller über einen Schadensersatzanspruch wegen einer in dem Fahrzeug installierten Abschalteinrichtung oder anderer unzulässiger Schaltungen bzw. Steuerungen dem Käufer in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen dieser Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 und auch das Nichtvorliegen einer Ausnahme vom Verbot der Verwendung einer solchen Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss.

F.      Zu den Fragen 6 bis 8 in der Rechtssache C251/23 und den Fragen 10 bis 12 in der Rechtssache C308/23

82.      Mit seinen Fragen 6 bis 8 in der Rechtssache C‑251/23 und seinen Fragen 10 bis 12 in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 36 und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sind, dass die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung für den individuellen Käufer eines Fahrzeugs durch den Hersteller den Zweck hat, diesen Käufer spezifisch davor zu schützen, einen Erwerb eines nicht den Anforderungen des Unionrechts genügenden Fahrzeugs zu tätigen, und ob in dem Fall, dass lediglich fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt wurde, der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet ist, dem Erwerber den Anspruch auf, wenn er dies begehrt, Erstattung der Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs einzuräumen, gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes etwaiger sonstiger seitens des Erwerbers aufgrund des Erwerbs des Fahrzeugs erlangter Vorteile.

83.      Das vorlegende Gericht hat nach eigenen Angaben sein Vorabentscheidungsersuchen um diese Fragen und um die neunte Frage in der Rechtssache C‑251/23 sowie die 13. Frage in der Rechtssache C‑308/23 in Anbetracht der Urteile ergänzt, die der Bundesgerichtshof (Deutschland) am 26. Juni 2023(36) im Anschluss an das Urteil C‑100/21 erlassen hat. Im vorliegenden Fall bestehe der von OB und YV geltend gemachte Anspruch auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB, der den Verstoß gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz voraussetze. Der Bundesgerichtshof habe das unionsrechtlich geschützte Interesse des Erwerbers eines Fahrzeugs aber lediglich darin gesehen, nicht wegen eines bloß fahrlässigen Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das Abgasrecht der Union eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der unionsrechtliche Schutz erstrecke sich aber nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden. Der Bundesgerichtshof spreche deswegen dem Erwerber eines solchen Fahrzeugs keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs – gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes sonstiger aufgrund des Fahrzeugerwerbs erlangter Vorteile – zu, sondern lediglich einen solchen auf Erstattung eines Differenzschadens.

84.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 et Art. 46 der Richtlinie 2007/46 ergibt, dass die Richtlinie eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt. Da der Hersteller eines Fahrzeugs bei der Aushändigung der Übereinstimmungsbescheinigung an den individuellen Käufer des Fahrzeugs für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme dieses Fahrzeugs die sich aus Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007 ergebenden Anforderungen beachten muss, ermöglicht diese Bescheinigung insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, nicht einhält. Es ist indes nicht ausgeschlossen, dass ein Fahrzeugtyp, der über eine EG-Typgenehmigung verfügt, mit der dieses Fahrzeug auf der Straße verwendet werden kann, ursprünglich von der Typgenehmigungsbehörde genehmigt worden sein kann, ohne dass ihr das Vorhandensein einer als Thermofenster programmierten Software offenbart wurde. Die Richtlinie 2007/46 spricht insoweit den Fall an, dass die Unzulässigkeit eines Bauteils eines Fahrzeugs, z. B. im Hinblick auf die Anforderungen von Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007, erst nach dieser Genehmigung entdeckt wird. So sieht Art. 8 Abs. 6 dieser Richtlinie vor, dass diese Behörde die Typgenehmigung eines Fahrzeugs entziehen kann. Außerdem ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Richtlinie 2007/46, dass ein Mitgliedstaat, der die EG-Typgenehmigung erteilt hat, dann, wenn ihn der Hersteller über eine Änderung der Angaben in den Beschreibungsunterlagen unterrichtet, im Benehmen mit dem Hersteller entscheiden kann, dass eine neue EG-Typgenehmigung zu erteilen ist, sofern dies erforderlich ist. Ferner sieht Art. 30 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass ein Mitgliedstaat, der eine EG-Typgenehmigung erteilt hat, wenn er eine fehlende Übereinstimmung mit dem Fahrzeugtyp, für den er die Genehmigung erteilt hat, feststellt, die notwendigen Maßnahmen, einschließlich erforderlichenfalls eines Entzugs der Typgenehmigung, ergreift, um sicherzustellen, dass die Fahrzeuge mit dem jeweils genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden(37).

85.      Die nach Erteilung der EG-Typgenehmigung für ein Kraftfahrzeug entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der dieses Fahrzeug ausgerüstet ist – so der Gerichtshof weiter –, kann die Gültigkeit dieser Genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der bescheinigt werden soll, dass dieses Fahrzeug, das zur Baureihe des genehmigten Typs gehört, zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entsprach, in Frage stellen. In Anbetracht der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 genannten Regel kann diese Unzulässigkeit somit u. a. eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen. Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist(38). Somit hat der Gerichtshof klar geäußert, dass die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung für den individuellen Käufer eines Fahrzeugs durch den Hersteller den Zweck hat, diesen Käufer spezifisch davor zu schützen, einen Erwerb eines nicht den Anforderungen des Unionrechts genügenden Fahrzeugs zu tätigen. Der Käufer eines solchen Fahrzeugs ist daher nicht verpflichtet, darzutun, dass ihm ein spezifischer Schaden entstanden ist, wie etwa der Umstand, dass er Schwierigkeiten hatte, sein Fahrzeug weiterzuverkaufen. Der ihm entstandene Schaden ist mit dem Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs als solchem verbunden(39).

86.      Was den Umfang des Schadensersatzanspruchs betrifft, ist es – wie in Nr. 78 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt – in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines Ersatzes durch die Käufer, die vom Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs betroffen sind, Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen, sofern der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität gewahrt wird. Insoweit teile ich den Standpunkt von Mercedes-Benz Group und der deutschen Regierung, wonach in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften der betreffende Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, dem Käufer einen Anspruch gegen den Hersteller einzuräumen, ihn vom Erwerb des Fahrzeugs in Gänze freizustellen, d. h., sich gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes seitens des Erwerbers aufgrund des Fahrzeugs erlangter Vorteile die Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs erstatten zu lassen. Eine solche Auslegung widerspricht nicht dem Effektivitätsgrundsatz, da der Käufer einen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens in Gestalt der betragsmäßigen Erstattung der Vermögensdifferenz hat, die durch den wirtschaftlich nachteiligen Erwerb eines nicht den Vorgaben des Unionsrechts entsprechenden Fahrzeugs entstanden ist(40).

87.      In diesem Sinne handelt es sich, wie der Gerichtshof entschieden hat, nicht um einen reinen Vermögensschaden, sondern um einen materiellen Schaden, der zu einem Wertverlust jedes betroffenen Fahrzeugs führt und sich daraus ergibt, dass mit der Aufdeckung des Einbaus der Software zur Manipulation der Abgasdaten die Gegenleistung der für den Erwerb eines solchen Fahrzeugs geleisteten Zahlung ein Fahrzeug ist, das mit einem Mangel behaftet ist und daher einen geringeren Wert hat. Im Fall des Vertriebs von Fahrzeugen, die von ihrem Hersteller mit einer Software ausgerüstet sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, ist der Schaden des Letzterwerbers somit weder ein mittelbarer Schaden noch ein reiner Vermögensschaden und tritt beim Erwerb eines solchen Fahrzeugs von einem Dritten ein(41).

88.      Daher schlage ich vor, auf die Fragen sechs bis acht in der Rechtssache C‑251/23 sowie die Fragen zehn bis zwölf in der Rechtssache C‑308/23 zu antworten, dass Art. 3 Nr. 36 und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sind, dass die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung für den individuellen Käufer eines Fahrzeugs durch den Hersteller den Zweck hat, diesen Käufer spezifisch davor zu schützen, einen Erwerb eines nicht den Anforderungen des Unionrechts genügenden Fahrzeugs zu tätigen, und dass in dem Fall, in dem lediglich fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug erteilt wurde, dieser Käufer einen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens in Gestalt der betragsmäßigen Erstattung der entstandenen Vermögensdifferenz hat, ohne dass der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet wäre, dem Erwerber den Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs, gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes etwaiger sonstiger seitens des Erwerbers aufgrund des Erwerbs des Fahrzeugs erlangter Vorteile, einzuräumen.

G.      Zur neunten Frage in der Rechtssache C251/23 und zur 13. Frage in der Rechtssache C308/23

89.      Mit seiner neunten Frage in der Rechtssache C‑251/23 und seiner 13. Frage in der Rechtssache C‑308/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Schadensersatzanspruch des Käufers eines Fahrzeugs, das nicht den Vorgaben des Unionsrechts über seine Abgasemissionen und/oder die Beschaffenheit seines Emissionskontrollsystems entspricht, auf höchstens 15 % des Kaufpreises beschränkt werden darf.

90.      Das vorlegende Gericht verweist auf die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023(42), in denen dieser die Auffassung vertreten habe, dass der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs nach unten auf mindestens 5 % des Kaufpreises dieses Fahrzeugs und nach oben auf höchstens 15 % des Kaufpreises zu begrenzen sei.

91.      Insoweit ist mit der deutschen Regierung und der Kommission festzustellen, dass in den Vorlagebeschlüssen zwar Angaben zum Kaufpreis der Fahrzeuge 1 und 2 gemacht werden, sie aber nichts in Bezug auf die Höhe der Vermögensdifferenz enthalten, die OB und YV entstanden ist. Mithin wird in diesen Beschlüssen nicht dargetan, dass OB und YV ein 15 % des jeweiligen Kaufpreises dieser beiden Fahrzeuge übersteigender Schaden entstanden sei. Vor diesem Hintergrund sind diese Fragen meiner Meinung nach hypothetisch und daher unzulässig.

V.      Ergebnis

92.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Landgericht Duisburg (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.      Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in der durch die Verordnung (EU) Nr. 459/2012 der Kommission vom 29. Mai 2012 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen,

dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte dann nicht einhält, wenn der Motor dieses Fahrzeugs, nachdem er warmgelaufen ist, mehr als 180 mg/km Stickoxide ausstößt, wenn er in diesem Zustand den Test „New European Driving Cycle“ (NEDC) durchfährt, da die Fahrt mit warmgelaufenem Motor eine im Sinne dieser Bestimmungen normale Nutzung, d. h. unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Gebiet der Union üblicherweise vorherrschen, dieses Fahrzeugs darstellt.

2.      Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung Nr. 459/2012 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen,

dass ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 oder Euro 6 unabhängig davon, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte dann nicht einhält, wenn ein Konstruktionsteil in diesem Fahrzeug die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, diese Erhöhung aber zur Überschreitung des in diesem Anhang festgelegten, für die betreffende schädliche Substanz geltenden Grenzwerts führt.

3.      Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung Nr. 459/2012 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen,

dass ein Konstruktionsteil in einem Dieselkraftfahrzeug, das die Parameter des Verbrennungsvorgangs dahin verändert, dass sich die Emissionen einer schädlichen Substanz erhöhen und sich gleichzeitig die Emissionen anderer schädlicher Substanzen verringern, dann eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn diese Erhöhung zur Überschreitung des in Anhang I dieser Verordnung festgelegten, für die betreffende schädliche Substanz geltenden Grenzwerts führt.

4.      Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung Nr. 459/2012 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen,

dass eine Abschaltvorrichtung nur dann unter die Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, wenn diese Einrichtung nicht nur zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall, sondern auch zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs notwendig ist.

5.      Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 136/2014 der Kommission vom 11. Februar 2014 geänderten Fassung,

sind dahin auszulegen,

dass sie zur Einhaltung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes Vorschriften des nationalen Rechts entgegenstehen, die in einem Rechtsstreit zwischen dem Käufer eines Kraftfahrzeugs und dessen Hersteller über einen Schadensersatzanspruch wegen einer in dem Fahrzeug installierten Abschalteinrichtung oder anderen unzulässigen Schaltungen bzw. Steuerungen dem Käufer in vollem Umfang auferlegen, das Vorliegen dieser Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung Nr. 459/2012 geänderten Fassung und auch das Nichtvorliegen einer Ausnahme vom Verbot der Verwendung einer solchen Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung zu beweisen, ohne dass der Hersteller des Fahrzeugs in einer Beweisaufnahme hierüber Informationen beisteuern muss.

6.      Art. 3 Nr. 36 und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 in der durch die Verordnung Nr. 136/2014 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung für den individuellen Käufer eines Fahrzeugs durch den Hersteller den Zweck hat, diesen Käufer spezifisch davor zu schützen, einen Erwerb eines nicht den Anforderungen des Unionrechts genügenden Fahrzeugs zu tätigen, und dass in dem Fall, dass lediglich fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug erteilt wurde, dieser Käufer einen Schadensersatzanspruch in Gestalt der betragsmäßigen Erstattung der entstandenen Vermögensdifferenz hat, ohne dass der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet wäre, dem Erwerber den Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Erwerb des Fahrzeugs, gegebenenfalls Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und unter Anrechnung des Wertes etwaiger sonstiger seitens des Erwerbers aufgrund des Erwerbs des Fahrzeugs erlangter Vorteile, einzuräumen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 136/2014 der Kommission vom 11. Februar 2014 (ABl. 2014, L 43, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2007/46).


3      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 459/2012 der Kommission vom 29. Mai 2012 (ABl. 2012, L 142, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 715/2007).


4      Urteil vom 21. März 2023, Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen) (C‑100/21, im Folgenden: Urteil C‑100/21, EU:C:2023:229).


5      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG (ABl. 2018, L 151, S. 1).


6      Verordnung der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2008, L 199, S. 1).


7      Verordnung der Kommission vom 1. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Fahrzeugreparatur- und ‑wartungsinformationen, zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission sowie der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 der Kommission und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission (ABl. 2017, L 175, S. 1).


8      Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors [2015/1038] (ABl. 2015, L 172, S. 1, im Folgenden: UN/ECE‑Regelung Nr. 83) in ihrer im für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung.


9      Mit der Verordnung (EU) 2016/427 der Kommission vom 10. März 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6) (ABl. 2016, L 82, S. 1) hat die Kommission ein Prüfverfahren zur Messung von Emissionen in der Betriebspraxis (RDE) eingeführt, das ein realistischeres Bild von den im Fahrbetrieb auf der Straße gemessenen Emissionen vermitteln soll.


10      Im Rahmen seines am 19. April 2023 beim Gerichtshof eingereichten Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑251/23 hat das vorlegende Gericht die ersten fünf Fragen gestellt. In einer am 14. August 2023 beim Gerichtshof eingereichten Ergänzung dieses Ersuchens hat es die Fragen 6 bis 9 hinzugefügt.


11      „AdBlue“ ist eine beim Betrieb eines SKR-Katalysators eingesetzte wässrige Harnstofflösung bestehend aus 32,5 % Harnstoff und 67,5 % demineralisiertem Wasser.


12      Im Rahmen seines am 17. Mai 2023 beim Gerichtshof eingereichten Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑308/23 hat das vorlegende Gericht die ersten neun Fragen gestellt. In einer am 1. August 2023 beim Gerichtshof eingereichten Ergänzung dieses Ersuchens hat es die Fragen 10 bis 13 hinzugefügt.


13      Gemäß der Definition u. a. in Anhang II Abschnitt 1 der Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. 1992, L 225, S. 1).


14      Das vorlegende Gericht erwähnt das Ergebnis von Sachverständigengutachten, und zwar eines in dem unmittelbar nach Kaltstart erfolgten ersten am 11. November 2020 durchgeführten NEFZ-Test sowie eines in dem unmittelbar anschließend durchgeführten zweiten mit warmgelaufenem Motor für folgende Elemente: NOx, Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoffe (HC), Partikel und Methan (CH4) sowie Kraftstoffverbrauch.


15      Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass der Unionsgesetzgeber den Trade-off-Gedanken durch die Festlegung von Mischgrenzwerten explizit anerkenne. So beziehe sich etwa für Kohlenwasserstoffemissionen von Dieselkraftfahrzeugen der Grenzwert auf die Summe der kombinierten Kohlenwasserstoff- und NOx-Emissionen, nämlich 230 mg/km. Welchen Trade-off der Hersteller zur Einhaltung dieses kombinierten Grenzwerts wähle, sei gesetzlich nicht vorgegeben, sondern bleibe dem Hersteller überlassen.


16      Vgl. Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen (C‑134/20, im Folgenden: Urteil C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 45 bis 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17      Vgl. Urteil C‑134/20 (Rn. 48 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18      Damit der Motor ordnungsgemäß arbeitet, muss dessen Temperatur durch das Kühlsystem unterhalb bestimmter Grenzen gehalten werden.


19      In seinem Vorlagebeschluss erklärt das vorlegende Gericht, dass das Fahrzeug 1, sollte der Gerichtshof die erste Frage in der Rechtssache C‑251/23 bejahen, nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspräche und Mercedes-Benz Group daher für den daraus entstandenen Schaden jedenfalls OB ohne Weiteres verantwortlich wäre. Eine Beantwortung der weiteren Fragen erübrigte sich jedenfalls nach derzeitigem Sachstand. Für den Fall, dass der Gerichtshof die hier vorgeschlagene Auslegung nicht teilt, und der Vollständigkeit halber werde ich eine Antwort auf die weiteren in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen gestellten Fragen vorschlagen.


20      Vgl. Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) (C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 77 und 78).


21      Ich weise darauf hin, dass Abs. 2.16 der UN/ECE‑Regelung Nr. 83 eine „Abschalteinrichtung“ definiert als jedes „Konstruktionselement“, mit dem die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, das Übersetzungsverhältnis, der Krümmerunterdruck oder eine andere Größe erfasst wird, um die Funktion jedes Teils der Abgasreinigungsanlage, das die Wirksamkeit der Abgasreinigungsanlage unter Bedingungen verringert, mit denen beim normalen Betrieb und bei der normalen Nutzung des Fahrzeugs vernünftigerweise gerechnet werden kann, zu aktivieren, zu modulieren, zu verzögern oder zu deaktivieren. Daher gehe ich davon aus, dass im Rahmen der Definition einer „Abschalteinrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 die Begriffe „Konstruktionsteil“ und „Konstruktionselement“ als synonym zu betrachten sind.


22      Vgl. Urteil C‑134/20 (Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


23      Vgl. hierzu Urteil C‑134/20 (Rn. 64), wonach, was den Begriff „Motor“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 betrifft, Anhang I der Verordnung Nr. 692/2008 ausdrücklich zwischen dem Motor und dem Emissionsminderungssystem unterscheidet. Die Vorgaben für den „Motor“ sind nämlich in Abs. 3.3.1.2 dieses Anhangs aufgeführt, während die Vorgaben für die „Parameter des Emissionsminderungssystems“ in Abs. 3.3.1.3 dieses Anhangs enthalten sind, der unter Buchst. c ausdrücklich die Abgasrückführung umfasst.


24      Vgl. Urteil vom 29. Juni 2023, International Protection Appeals Tribunal u. a. (Anschlag in Pakistan) (C‑756/21, EU:C:2023:523, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Urteil vom 22. Februar 2024, Unedic (C‑125/23, EU:C:2024:163, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26      Vgl. hierzu, was den Begriff „Motor“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 betrifft, Fn. 23 der vorliegenden Schlussanträge.


27      Vgl. Urteil C‑100/21 (Rn. 61 und 62 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


28      Vgl. Urteil C‑134/20 (Rn. 72).


29      Vgl. Urteil C‑134/20 (Rn. 64).


30      Vgl. Urteil C‑134/20 (Rn. 74).


31      Vgl. Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge.


32      Urteil C‑100/21 (Rn. 91 bis 94).


33      Urteil vom 9. Juli 2020, Vueling Airlines (C‑86/19, EU:C:2020:538, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2015, Orizzonte Salute (C‑61/14, EU:C:2015:655, Rn. 48).


35      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung vorgetragen, dass das deutsche Recht derartige Regelungen vorsehe.


36      Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22.


37      Vgl. Urteil C‑100/21 (Rn. 82 und 83).


38      Vgl. Urteil C‑100/21 (Rn. 84 und 85).


39      In diesem Sinne hatte ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen) (C‑100/21, EU:C:2022:420, Nr. 50) ausgeführt, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2007/46 die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.


40      Ebenso kann der betreffende Mitgliedstaat beschließen, dass der immaterielle Schaden zu ersetzen ist, den der Käufer erlitten hat. Vgl. in diesem Sinne meine Schlussanträge in der Rechtssache Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen) (C‑100/21, EU:C:2022:420, Nr. 49). Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz schreibt dies aber nicht vor.


41      Vgl. Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 34 und 35).


42      Vgl. Nr. 83 der vorliegenden Schlussanträge.