URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

21. Februar 2024 ( *1 )

„Pflanzenschutzmittel – Wirkstoff Cypermethrin – Durchführungsverordnung (EU) 2021/2049 – Antrag auf interne Überprüfung – Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 – Zurückweisung des Antrags – Ermittlung kritischer Problembereiche durch die EFSA – Risikobewertung und ‑management – Vorsorgeprinzip – Ermessen der Kommission“

In der Rechtssache T‑536/22,

Pesticide Action Network Europe (PAN Europe) mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten durch Rechtsanwalt A. Bailleux,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Becker, G. Gattinara und M. ter Haar als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos sowie der Richterinnen I. Reine und T. Pynnä (Berichterstatterin),

Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2023,

folgendes

Urteil ( 1 )

1

Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Pesticide Action Network Europe (PAN Europe), den Beschluss der Kommission vom 23. Juni 2022 (im Folgenden: angefochtener Beschluss) für nichtig zu erklären, mit dem die Kommission den Antrag auf interne Überprüfung zurückgewiesen hat, den die Klägerin gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Union (ABl. 2006, L 264, S. 13) für die Durchführungsverordnung (EU) 2021/2049 der Kommission vom 24. November 2021 zur Erneuerung der Genehmigung für den Wirkstoff Cypermethrin als Substitutionskandidat gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission (ABl. 2021, L 420, S. 6) gestellt hatte.

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

2

Cypermethrin ist ein Insektizid aus der Familie der Pyrethroide. Diese Familie von Insektiziden wird in der Europäischen Union in großem Umfang für die Bekämpfung von Pflanzenschädlingen genutzt. Cypermethrin ist für Insekten hoch toxisch.

3

Mit ihrer Richtlinie 2005/53/EG vom 16. September 2005 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Chlorthalonil, Chlortoluron, Cypermethrin, Daminozid und Thiophanatmethyl (ABl. 2005, L 241, S. 51) nahm die Kommission Cypermethrin als Wirkstoff in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 1991, L 230, S. 1) auf. In Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommene Wirkstoffe gelten als gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1) genehmigt und sind in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission vom 25. Mai 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 1107/2009 hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe (ABl. 2011, L 153, S. 1) aufgeführt.

4

Diese Genehmigung sollte am 28. Februar 2016 ablaufen. Aufgrund erheblicher Verzögerungen bei der Neubewertung und Entscheidungsfindung wurde diese Genehmigung jedoch im Wege von Durchführungsverordnungen der Kommission in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 durch den Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (im Folgenden: Ständiger Ausschuss) um jeweils ein Jahr verlängert.

5

Im Rahmen des Verfahrens zur Erneuerung der Genehmigung für Cypermethrin erstellte der berichterstattende Mitgliedstaat in Absprache mit dem mitberichterstattenden Mitgliedstaat einen Berichtsentwurf zur Bewertung der Erneuerung, den er am 8. Mai 2017 der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Kommission vorlegte.

6

Die EFSA übermittelte den Berichtsentwurf zur Bewertung der Erneuerung den Antragstellern und den Mitgliedstaaten zur Stellungnahme und brachte eine öffentliche Konsultation dazu auf den Weg. Anschließend leitete sie die eingegangenen Stellungnahmen an die Kommission weiter.

7

Die EFSA legte am 31. Juli 2018 ein wissenschaftliches Gutachten mit dem Titel „Peer Review of the pesticide risk assessment of the active substance Cypermethrin“ (Peer-Review der Risikobewertung von Pestiziden im Zusammenhang mit dem Wirkstoff Cypermethrin) vor (im Folgenden: Schlussfolgerung der EFSA). Die EFSA benennt dort vier „kritische Problembereiche“.

8

Wie aus der Schlussfolgerung der EFSA hervorgeht, benennt diese einen oder mehrere kritische Problembereiche in den folgenden Fällen:

wenn genügend Informationen verfügbar sind, um eine Bewertung der repräsentativen Verwendungszwecke nach den einheitlichen Grundsätzen gemäß Art. 29 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1107/2009 und gemäß der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 2011, L 155, S. 127) vorzunehmen, und wenn diese Bewertung nicht den Schluss zulässt, dass es zumindest bei einem der repräsentativen Verwendungszwecke wahrscheinlich ist, dass ein Pflanzenschutzmittel (im Folgenden: PSM), das den Wirkstoff enthält, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier, die Umwelt oder das Grundwasser oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben wird;

wenn die Bewertung auf einer höheren Ebene aufgrund fehlender Informationen nicht abgeschlossen werden konnte und die auf der unteren Ebene durchgeführte Bewertung nicht den Schluss zulässt, dass es zumindest bei einem der repräsentativen Verwendungszwecke wahrscheinlich ist, dass ein PSM, das den Wirkstoff enthält, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier, die Umwelt oder das Grundwasser oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben wird;

wenn unter Berücksichtigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik und unter Heranziehung der zum Zeitpunkt des Antrags verfügbaren Leitlinien der Wirkstoff voraussichtlich die Genehmigungskriterien von Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht erfüllt.

9

In Bezug auf Cypermethrin ermittelte die EFSA die folgenden kritischen Problembereiche:

ein hohes Risiko für Wasserorganismen;

ein hohes Risiko für Honigbienen;

ein hohes Risiko für Nichtzielarthropoden außerhalb der Behandlungsfläche;

das Fehlen von Informationen über die Zusammensetzung der Chargen von Pestiziden, die in den von den Antragstellern vorgelegten ökotoxikologischen Studien verwendet wurden, wodurch die EFSA nicht sicherstellen konnte, dass diese Chargen von Pestiziden den repräsentativen Verwendungszwecken eines den Wirkstoff enthaltenden PSM im Sinne von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1107/2009 entsprachen.

10

Auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses im Januar 2019 legte die Kommission einen Vorschlag zur Erneuerung der Genehmigung vor, mit dem die Verwendung von Cypermethrin auf die Jahreszeiten Herbst und Winter beschränkt wurde, um Bienen und Gewässer zu schützen, und der Maßnahmen zur Risikominderung enthielt, durch die die Abdrift von Pestiziden in die Umgebung um 95 % verringert werden sollte, um schädliche Auswirkungen auf die Umwelt zu verhindern.

11

Da sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten weigerte, einen Vorschlag zur Erneuerung der Genehmigung mit solchen Beschränkungen zu unterstützen, ersuchte die Kommission die EFSA, eine Erklärung zu Risikominderungsmaßnahmen in Bezug auf Cypermethrin zu veröffentlichen.

12

Im September 2019 veröffentlichte die EFSA eine Erklärung zu Risikominderungsmaßnahmen in Bezug auf Cypermethrin (im Folgenden: Erklärung von 2019). Darin weist die EFSA darauf hin, dass nur eine Maßnahme zur Risikominderung, durch die die Abdrift von Pestiziden um mehr als 95 % verringert werde, den Schluss zulasse, dass ein geringes Risiko für Wasserorganismen bestehe. Sie kommt zu demselben Ergebnis, was Nichtzielarthropoden anbelangt. Die EFSA weist auch darauf hin, dass in den vorgelegten Studien die Verwendung von Cypermethrin im Herbst nicht behandelt werde. Ferner ist die EFSA der Ansicht, dass es zum Schutz der Bienen ausreiche, wenn in der Kultur keine blühenden Beikräuter enthalten seien, wenn es verboten sei, blühende Kulturen zu besprühen, und die Abdrift um 54 % verringert werde, und dass dann auf ein geringes Risiko geschlossen werden könne.

13

Nach zahlreichen Sitzungen des Ständigen Ausschusses erließ die Kommission am 24. November 2021 die Durchführungsverordnung 2021/2049. Diese Erneuerung der Genehmigung geht jedoch mit einer Reihe von Sonderbestimmungen einher, die in Anhang I dieser Verordnung aufgeführt sind.

14

Am 20. Januar 2022 stellte die Klägerin auf der Grundlage von Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 bei der Kommission einen Antrag auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnung 2021/2049 mit dem Ziel, deren Aufhebung oder Ersetzung durch eine Verordnung zu erwirken, mit der der Antrag auf Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Cypermethrin zurückgewiesen werde. In diesem Antrag legt die Klägerin die Gründe dar, derentwegen diese Verordnung ihrer Ansicht nach gegen das Vorsorgeprinzip und die Verpflichtung der Union zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und die Umwelt verstößt, wie sie sich aus den Art. 9 und 11, aus Art. 168 Abs. 1 und aus Art. 191 Abs. 1 AEUV sowie aus den Art. 35 und 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergibt und in Bezug auf Pflanzenschutzmittel durch die Verordnung Nr. 1107/2009, insbesondere ihren Art. 4, konkretisiert wird.

15

Am 18. Februar 2022 ersuchte die Kommission die EFSA um technische und wissenschaftliche Unterstützung in Bezug auf alle einschlägigen wissenschaftlichen Gesichtspunkte, die in dem Antrag auf interne Überprüfung dargelegt wurden. Auf dieses Ersuchen hin veröffentlichte die EFSA am 15. März 2022 einen technischen Bericht (im Folgenden: technischer Bericht), der sich auf die Prüfung einer einzigen von der Klägerin erhobenen Rüge beschränkte, nämlich die Nichtberücksichtigung bestimmter Studien aus der unabhängigen Literatur bei der Prüfung der endokrinschädlichen Eigenschaft von Cypermethrin.

16

Mit E‑Mail vom 18. Juli 2022 übermittelte die Kommission der Klägerin eine Kopie des angefochtenen Beschlusses in französischer Sprache, der eine Anlage beigefügt war, in der die Gründe für die Zurückweisung des Antrags auf interne Überprüfung dargelegt wurden.

II. Anträge der Parteien

17

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

19

Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie einen Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip und einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Union zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und die Umwelt rügt, wie sie sich aus den Art. 9 und 11, Art. 168 Abs. 1 und Art. 191 Abs. 1 AEUV sowie aus den Art. 35 und 37 der Charta der Grundrechte ergebe und in Bezug auf Pflanzenschutzmittel durch die Verordnung Nr. 1107/2009, insbesondere ihren Art. 4, konkretisiert werde.

20

Der einzige Klagegrund der Klägerin besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil richtet sich gegen die Vorbemerkungen in Abschnitt I des Anhangs des angefochtenen Beschlusses. Der zweite Teil richtet sich gegen die spezifischen Gründe, die in Abschnitt II dieses Anhangs angeführt werden, um die sieben von der Klägerin in ihrem Antrag auf interne Überprüfung erhobenen Rügen zurückzuweisen.

21

Vorab sind die Frage, wann die Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV zu laufen beginnt, sowie das Vorbringen der Parteien zur Zulässigkeit bestimmter Argumente der Klägerin zu prüfen, soweit diese von der Kommission in Abrede gestellt werden. Ferner ist auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolle durch das Gericht einzugehen.

A.   Vorbemerkungen

1. Zum Beginn der Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV

22

Ohne dass die Kommission die Zulässigkeit der Klage im vorliegenden Fall wegen Verspätung in Abrede gestellt hätte, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, dass das Gericht den Beginn der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Klagefrist klarstelle und darauf hinweise, dass diese mit der am 18. Juli 2022 vorgenommenen Übermittlung der Kopie des angefochtenen Beschlusses in französischer Sprache und nicht mit der Mitteilung dieses Beschlusses in englischer Sprache am 23. Juni 2022 zu laufen begonnen habe.

23

Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) können Schriftstücke, die an Organe gerichtet sind, nach Wahl des Absenders in einer der Amtssprachen abgefasst werden und ist die Antwort in derselben Sprache zu erteilen.

24

Darüber hinaus ist festzustellen, dass aus keiner Bestimmung der Verordnung Nr. 1367/2006 hervorgeht, dass der Gesetzgeber bei Anträgen auf interne Überprüfung nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1367/2006 von den allgemeinen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1 über den Sprachgebrauch und insbesondere von deren Art. 2 abweichen wollte.

25

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin am 20. Januar 2022 in französischer Sprache einen Antrag auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnung 2021/2049 gestellt. Daher ist davon auszugehen, dass die Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV mit der Mitteilung des angefochtenen Beschlusses in französischer Sprache, die der Klägerin am 18. Juli 2022 zuging, zu laufen begann.

26

Da die vorliegende Klage am 31. August 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, ist sie mithin für zulässig zu erklären.

2. Zum Wesen der auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1367/2006 gestützten Klage und zur Tragweite des Grundsatzes der Übereinstimmung zwischen Überprüfungsantrag und Nichtigkeitsklage

27

Ohne die Klage insgesamt für unzulässig zu halten, wendet die Kommission an mehreren Stellen der Klagebeantwortung und der Gegenerwiderung ein, dass einige Argumente der Klägerin in ihrem Antrag auf interne Überprüfung nicht vorgebracht worden seien. Derartige Argumente seien daher nach dem Grundsatz, dass Überprüfungsantrag und Nichtigkeitsklage übereinstimmen müssten, für unzulässig zu erklären. Nach diesem Grundsatz könne eine Nichtigkeitsklage nicht auf neue Gründe oder Beweismittel gestützt werden, die im Überprüfungsantrag nicht enthalten gewesen seien (Urteil vom 12. September 2019, TestBioTech u. a./Kommission, C‑82/17 P, EU:C:2019:719, Rn. 38 und 39).

28

Die Kommission bestreitet nicht, dass die Klägerin zur Stützung ihres ursprünglichen Vorbringens auf die im angefochtenen Beschluss vorgebrachten Argumente antworten kann, ist aber der Ansicht, dass sie auf diesem Wege keine neue Argumentation entwickeln könne. Sonst ändere sich der „Bereich“, auf den sich das durch den Überprüfungsantrag eingeleitete Verfahren „erstrecken“ solle, was gerade verhindert werden solle, wie im 15. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) 2021/1767 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 2021 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 (ABl. 2021, L 356, S. 1) und in Rn. 39 des Urteils vom 12. September 2019, TestBioTech u. a./Kommission (C‑82/17 P, EU:C:2019:719), ausgeführt werde. Nach Ansicht der Kommission besteht insoweit der Zweck des internen Überprüfungsverfahrens zwar darin, den Zugang zu Gerichten zur Bekämpfung von möglicherweise gegen das Umweltrecht verstoßenden Handlungen zu gewährleisten, doch dürfe die Anwendung dieses Verfahrens nicht dessen „praktische Wirksamkeit“ beeinträchtigen, die daran gebunden sei, dass der „Gegenstand“ während des gesamten Verfahrens derselbe bleibe.

29

Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. September 2019, TestBioTech u. a./Kommission (C‑82/17 P, EU:C:2019:719), festgestellt habe, dass sich die Beweislast eines Antragstellers bei der internen Überprüfung ohne jede Einschränkung auf „die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte“ beziehe. Es könne daher keine „kontextuellen Elemente“ geben, die „sich der Logik [der] Übereinstimmung entziehen“.

30

Die Nichtigkeitsklage nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1367/2006 betreffe ihrer Logik nach nur Qualität und Stichhaltigkeit der Antwort auf den Überprüfungsantrag: Diese enthalte eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Maßnahme. Wenn die Antwort auf einen Antrag auf interne Überprüfung den Antragsteller nicht zufriedenstelle, könne er, da seine Anfechtung nach Art. 12 gerade darauf abziele, die Gültigkeit dieser Rechtmäßigkeitsbeurteilung in Abrede zu stellen, keine neuen Argumente hinzufügen, ohne den Gegenstand des durch den Antrag auf interne Überprüfung eingeleiteten Verfahrens zu verändern.

31

Aus dem 21. Erwägungsgrund der Verordnung 2021/1767 gehe klar hervor, dass vom Antragsteller verlangt werde, von Beginn des Verfahrens an hinreichend substantiierte tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte anzuführen, die „erhebliche Zweifel“ an der Beurteilung durch das Organ oder die Einrichtung der Union begründen könnten. Die Klägerin könne sich daher nicht auf die Rechtsprechung zu anderen Gerichtsverfahren wie etwa Rechtsmittel oder Vertragsverletzungsklage berufen, da mit einer solchen analogen Auslegung nicht von den Auslegungskriterien abgewichen werden könne, die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Verordnung Nr. 1367/2006 unmittelbar und speziell aufgestellt worden seien.

32

Somit dürfe die Klage, die die Klägerin erhoben habe, nachdem ihr Antrag auf interne Überprüfung beantwortet worden sei, dem Überprüfungsverfahren nicht die praktische Wirksamkeit nehmen und könne nur auf die konkrete Prüfung dessen gerichtet sein, ob die von der Klägerin im Überprüfungsantrag vorgebrachten tatsächlichen Argumente oder Zweifel sorgfältig und mit plausiblen Argumenten behandelt worden seien.

33

Die Klägerin wendet sich allgemein gegen die Auslegung des Grundsatzes der Übereinstimmung durch die Kommission. Sie führt aus, die Kommission scheine sie in eine unmögliche Lage versetzen zu wollen, da sie ihr zum einen vorwerfe, die im Antrag auf interne Überprüfung vorgebrachten Argumente zu wiederholen, ohne auf die im angefochtenen Beschluss entwickelte Argumentation einzugehen, und zum anderen einwende, dass bestimmte Argumente deswegen unzulässig seien, weil sie in Anbetracht dessen neu seien, dass sie von der Klägerin in Erwiderung auf die erstmals im angefochtenen Beschluss entwickelte Argumentation der Kommission vorgebracht worden seien. Eine solche Auslegung widerspreche offensichtlich dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und dem Geist der Verordnung Nr. 1367/2006.

34

Aus dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung 2021/1767 gehe hervor, dass es nach dem Grundsatz der Übereinstimmung den Klägern nur deshalb versagt sei, „Gründe oder Beweismittel …, die im Überprüfungsantrag nicht enthalten waren“, vorzutragen, um die „praktische Wirksamkeit“ des Antrags auf interne Überprüfung zu wahren und die Antragsteller daran zu hindern, den „Gegenstand des durch diesen Antrag eingeleiteten Verfahrens [zu verändern]“. In Anbetracht ihrer üblichen Bedeutung und des mit dem Grundsatz der Übereinstimmung verfolgten Ziels könnten die Begriffe „Gründe“ und „Beweismittel“ vernünftigerweise nicht dahin ausgelegt werden, dass sie jedwedes Vorbringen umfassten, mit dem ein bereits im Überprüfungsantrag enthaltenes Argument präzisiert oder kontextualisiert werden solle.

35

Insoweit sollte nach Ansicht der Klägerin eine Parallele zwischen diesem Grundsatz der Übereinstimmung und der im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens sowie der im Rahmen von Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung geltenden Regel gezogen werden.

36

Die Begriffe „Gründe“ und „Beweismittel“ könnten vernünftigerweise auch nicht so verstanden werden, dass sie einen Kläger daran hinderten, auf ein Argument einzugehen, das die Kommission selbst zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung über die Ablehnung der Überprüfung vorgebracht habe.

37

In Anbetracht dieser Erwägungen ersucht die Klägerin das Gericht um die Feststellung, dass keiner der Gesichtspunkte, deren Zulässigkeit die Kommission in Abrede stelle, als neuer „Grund“ oder neues „Beweismittel“ angesehen werden könne. Sie alle seien von der Klägerin als Erwiderung auf eine Argumentation der Kommission im angefochtenen Beschluss zur Rechtfertigung ihrer Ablehnung der Überprüfung vorgebracht worden. Im Übrigen handele es sich um Gesichtspunkte des Kontexts, der Klarstellung oder der Diskussion, die der Kommission bereits bekannt gewesen seien und bei denen man nicht davon ausgehen könne, dass sie entscheidend oder an sich geeignet seien, eine Feststellung der Rechtswidrigkeit zu begründen. In diesem Sinne veränderten sie keineswegs den Gegenstand des Verfahrens, noch beeinträchtigten sie die praktische Wirksamkeit des Überprüfungsverfahrens.

38

Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 kann jede Nichtregierungsorganisation, die die in Art. 11 dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfüllt, mit begründetem Antrag bei dem Organ oder der Einrichtung der Union, das bzw. die einen Verwaltungsakt nach dem Umweltrecht angenommen hat, eine interne Überprüfung beantragen. Betrifft wie im vorliegenden Fall der Gegenstand des betreffenden Verwaltungsakts einen Beschluss über die Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs wie Cypermethrin, so bezieht sich der Gegenstand eines Überprüfungsantrags nach dieser Bestimmung auf die Neubewertung einer solchen Genehmigung.

39

Der Antrag auf interne Überprüfung eines Verwaltungsakts ist somit auf die Feststellung einer Rechtswidrigkeit oder der fehlenden Begründetheit des betreffenden Rechtsakts gerichtet. Der Antragsteller kann sodann gemäß Art. 12 in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung Nr. 1367/2006 die Unionsgerichte anrufen, indem er gegen den Beschluss, mit dem der Antrag auf interne Überprüfung als unbegründet zurückgewiesen wurde, eine Klage wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhebt.

40

Daraus folgt, dass nach Art. 10 in Verbindung mit Art. 12 der Verordnung Nr. 1367/2006 eine Nichtigkeitsklage nur zulässig ist, wenn sie sich gegen die Antwort auf diesen Antrag richtet und die Klagegründe, die im Hinblick auf die Nichtigerklärung geltend gemacht werden, speziell gegen diese Antwort gerichtet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2016, TestBioTech u. a./Kommission, T‑177/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:736, Rn. 56).

41

Eine solche Klage kann nicht auf neue Gründe oder Beweismittel gestützt werden, die im Überprüfungsantrag nicht enthalten waren, da sonst dem in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 enthaltenen Erfordernis in Bezug auf die Begründung eines solchen Antrags seine praktische Wirksamkeit genommen und der Gegenstand des durch diesen Antrag eingeleiteten Verfahrens verändert würde (Urteil vom 12. September 2019, TestBioTech u. a./Kommission, C‑82/17 P, EU:C:2019:719, Rn. 39).

42

Somit ist es dem Überprüfungssystem immanent, dass der eine Überprüfung Beantragende konkrete und genaue Argumente vorbringt, die geeignet sind, die Beurteilungen, auf die der Genehmigungsbeschluss gegründet ist, in Frage zu stellen. Um die Gründe für die Überprüfung in der erforderlichen Art und Weise anzugeben, muss daher derjenige, der eine interne Überprüfung eines Verwaltungsakts nach dem Umweltrecht beantragt, alle wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte anführen, die erhebliche, d. h. beträchtliche Zweifel an der Beurteilung wecken können, die das Organ oder die Einrichtung der Union in dem betreffenden Rechtsakt vorgenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, TestBioTech u. a./Kommission, C‑82/17 P, EU:C:2019:719, Rn. 68 und 69).

43

Zudem können die Klagegründe und Argumente, die im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses über die Zurückweisung eines Antrags auf interne Überprüfung vor dem Gericht geltend gemacht werden, nur insoweit für zulässig erachtet werden, als der Kläger sie bereits im Antrag auf interne Überprüfung vorgetragen hat, und zwar so, dass die Kommission dazu Stellung nehmen konnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 2016, TestBioTech u. a./Kommission, T‑177/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:736, Rn. 68, und vom 4. April 2019, ClientEarth/Kommission, T‑108/17, EU:T:2019:215, Rn. 55).

44

Wie die Kommission einräumt, kann jedoch von einem Kläger, der beim Gericht eine Klage nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1367/2006 erhebt, nicht verlangt werden, dass er sich darauf beschränkt, die in seinem Antrag auf interne Überprüfung vorgebrachten Argumente wörtlich zu wiederholen.

45

Denn ebenso wie es zum einen zulässig ist, dass ein Rechtsmittelführer ein Rechtsmittel einlegt, mit dem er vor dem Gerichtshof Rechtsmittelgründe geltend macht, die sich aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben und mit denen dessen Begründetheit aus rechtlichen Erwägungen gerügt wird (Urteile vom 29. November 2007, Stadtwerke Schwäbisch Hall u. a./Kommission, C‑176/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:730, Rn. 17, vom 10. April 2014, Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, C‑231/11 P bis C‑233/11 P, EU:C:2014:256, Rn. 102, und vom 25. Januar 2022, Kommission/European Food u. a., C‑638/19 P, EU:C:2022:50, Rn. 77), muss ein Kläger nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1367/2006 Argumente vorbringen dürfen, mit denen aus rechtlichen Erwägungen die Begründetheit desjenigen Beschlusses gerügt wird, der auf seinen Antrag auf interne Überprüfung hin erlassen wurde. Ein solches Vorbringen darf jedoch den Gegenstand des mit diesem Antrag eingeleiteten Verfahrens nicht verändern, da diesem sonst seine praktische Wirksamkeit genommen würde. Insbesondere darf das fragliche Vorbringen keine neuen Argumente oder Beweismittel enthalten, die bereits im Überprüfungsantrag hätten vorgebracht werden können.

46

Zum anderen kann ein Argument, das im Stadium des Überprüfungsantrags nicht geltend gemacht wurde, dann nicht als neu und als im Stadium der Klage vor dem Gericht unzulässig angesehen werden, wenn es lediglich eine Erweiterung eines bereits im Rahmen dieses Überprüfungsantrags geltend gemachten Vorbringens darstellt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 3. März 2016, Spanien/Kommission, C‑26/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:132, Rn. 84, vom 13. Juli 2017, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission, C‑60/15 P, EU:C:2017:540, Rn. 51, und vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 28). Um als Erweiterung eines bereits zuvor vorgetragenen Klagegrundes oder einer bereits zuvor vorgebrachten Rüge betrachtet werden zu können, muss ein neues Argument mit den ursprünglich dargelegten Klagegründen oder Rügen einen so engen Zusammenhang aufweisen, dass es als Bestandteil der üblichen, sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 13. Juli 2022, Delifruit/Kommission, T‑629/20, EU:T:2022:448, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

In Anbetracht der besonderen Natur des mit der Verordnung Nr. 1367/2006 eingeführten Überprüfungsverfahrens muss eine solche Möglichkeit jedoch mit der Notwendigkeit in Einklang gebracht werden, die praktische Wirksamkeit dieses Verfahrens zu wahren, so dass es einem Kläger nicht erlaubt sein kann, den Gegenstand dieses Verfahrens zu verändern, indem er neue Gründe oder Beweismittel anführt, die keinen hinreichend engen Zusammenhang mit den im Stadium des Überprüfungsantrags erhobenen Rügen aufweisen. Somit kann sich die Klägerin, wie die Kommission geltend macht, im vorliegenden Fall nicht auf neue „kontextuelle“ Argumente berufen, die sich der Logik dieses Grundsatzes der Übereinstimmung entziehen, und es ist davon auszugehen, dass solche Argumente jedenfalls ins Leere gehen.

48

Anhand dieser Erwägungen wird das Gericht im Folgenden die Zulässigkeit der von der Klägerin vorgebrachten Argumente für jede einzelne Rüge prüfen, mit der die Begründetheit des angefochtenen Beschlusses in Frage gestellt werden soll.

3. Zum Umfang der dem Gericht obliegenden gerichtlichen Kontrolle

49

Ziel der Verordnung Nr. 1107/2009 sind nach ihrem Art. 1 Abs. 3 die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt, das bessere Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für das Inverkehrbringen von PSM und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion.

50

Die Vorgabe der Erhaltung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt durch die Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgt in Anwendung von Art. 11 und Art. 114 Abs. 3 AEUV. Gemäß Art. 11 AEUV müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und ‑maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden. Zur Konkretisierung dieser Verpflichtung bestimmt Art. 114 Abs. 3 AEUV, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, u. a. im Bereich Umweltschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt und dass im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union dieses Ziel ebenfalls anstreben. Dieser Schutz der Umwelt hat vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Außerdem sollte nach dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 das Vorsorgeprinzip angewandt werden und mit dieser Verordnung sichergestellt werden, dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, weder schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier noch unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben.

52

In diesem Rahmen ist der Kommission, damit sie die ihr von der Verordnung Nr. 1107/2009 gesetzten Ziele wirksam verfolgen kann, und im Hinblick darauf, dass sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, ein weites Ermessen zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 75). Das gilt u. a. für die Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements, die sie nach dieser Verordnung zu treffen hat (Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 143).

53

Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Nach ständiger Rechtsprechung müssen nämlich die Unionsgerichte im Rahmen dieser Kontrolle feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (vgl. Urteil vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Hinsichtlich der unionsgerichtlichen Prüfung dessen, ob ein offenkundiger Beurteilungsfehler vorliegt, ist darauf hinzuweisen, dass ein die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigender offensichtlicher Irrtum der Kommission bei der Würdigung komplexer Tatsachen nur festgestellt werden kann, wenn die vom Kläger vorgebrachten Beweise ausreichen, um die Sachverhaltswürdigung im Rechtsakt als nicht plausibel erscheinen zu lassen. Abgesehen von dieser Plausibilitätskontrolle darf das Gericht seine Beurteilung komplexer Tatsachen nicht an die Stelle der Beurteilung des Organs setzen, das den Rechtsakt erlassen hat (vgl. Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 145 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Die oben genannte Beschränkung der richterlichen Kontrolle berührt jedoch nicht die richterliche Pflicht, die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz zu prüfen sowie zu kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval, C‑12/03 P, EU:C:2005:87, Rn. 39, vom 9. Juli 2015, Deutschland/Kommission, C‑360/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:457, Rn. 37, und vom 4. Mai 2023, EZB/Crédit lyonnais, C‑389/21 P, EU:C:2023:368, Rn. 56).

56

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass in Fällen, in denen ein Organ über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, der Kontrolle der Einhaltung bestimmter Verfahrensgarantien fundamentale Bedeutung zukommt. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass zu diesen Garantien u. a. die Verpflichtung des zuständigen Organs gehört, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidung hinreichend zu begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, EU:C:2007:698, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

B.   Zu den Vorbemerkungen in Abschnitt I des Anhangs des angefochtenen Beschlusses (erster Teil des einzigen Klagegrundes)

57

Dieser erste Teil besteht aus drei verschiedenen Rügen, die sich erstens auf die Rolle der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009, zweitens auf die Rolle des Vorsorgeprinzips und drittens auf die Rolle beziehen, die den Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1107/2009 bei der Zulassung von PSM zugewiesen ist.

58

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Anhang des angefochtenen Beschlusses „eine Reihe allgemeiner Vorbemerkungen zu den Gesichtspunkten, die [ihren] regulatorischen Entscheidungen gemäß der Verordnung [Nr. 1107/2009 zugrunde liegen und die] für die Durchführung der internen Überprüfung relevant sind“, machen wollte.

59

Wie die Kommission in ihrer Klagebeantwortung einräumt, können sich mehrere Argumente der Klägerin, die sich auf diese Vorbemerkungen beziehen und die Rolle der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement, das Vorsorgeprinzip und die Rolle der Mitgliedstaaten betreffen, auf die Beurteilung der Begründetheit der Klage auswirken.

60

Unter diesen Umständen können die gegen diese Vorbemerkungen gerichteten Argumente der Klägerin, auch wenn sie ihrer Art nach transversal sind, nicht als unzulässig oder ins Leere gehend angesehen werden. Sie sind daher in der Sache zu prüfen.

1. Zur Rolle der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement und zur Rolle des Vorsorgeprinzips

61

Erstens wirft die Klägerin der Kommission vor, davon ausgegangen zu sein, dass sie als Verantwortliche für das Risikomanagement im Sinne von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1) „nicht verpflichtet ist, in ihren regulatorischen Entscheidungen den aus der wissenschaftlichen Risikobewertung gezogenen Schlussfolgerungen zu folgen“, da sie andere legitime Faktoren berücksichtigen und ihre Genehmigungsentscheidungen mit Maßnahmen zur Risikominderung verbinden könne.

62

Zunächst sei es falsch, die Systematik und die Grundsätze der Verordnung Nr. 178/2002 im Ganzen auf die Verordnung Nr. 1107/2009 anzuwenden. Denn im Gegensatz zur Verordnung Nr. 178/2002 beruhe die Verordnung Nr. 1107/2009 auf dem Vorsorgeprinzip, so dass sie die Wahrung dieser Interessen systematisch über die Befriedigung wirtschaftlicher Interessen stelle. Außerdem würden in Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 eine Reihe von Ausschlusskriterien aufgestellt, bei deren Nichteinhaltung die Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs nicht erteilt werden dürfe, ohne dass die Kommission insoweit über ein Ermessen verfüge. Dies gelte insbesondere für endokrinschädliche Eigenschaften, ein Risiko, auf das sich die Klägerin berufen habe, sowie für mehrere Umweltkriterien. Allgemeiner ausgedrückt dürfe die Kommission nach Nr. 3.8 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 einen Wirkstoff unter dem Gesichtspunkt der Ökotoxikologie nur dann genehmigen, wenn „die Risikobewertung ergebe, dass [die Risiken] annehmbar sind“ und insbesondere zu einer bloß „vernachlässigbaren Exposition von Bienen“ führten.

63

Aus diesen Vorschriften folge, dass die Kommission im Rahmen des Risikomanagements nicht befugt sei, Wirkstoffe zu genehmigen, deren unabhängige wissenschaftliche Bewertung zeige, dass sie nicht den in Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 festgelegten Kriterien entsprächen. Gleiches gelte auch für die „Annehmbarkeit“ des Risikos, die sich zuweilen im Stadium der Bewertung und nicht des Managements dieses Risikos bestimmen lasse. Nach der Mitteilung der Kommission vom 2. Februar 2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips (KOM[2000] 1 endgültig) werde auf eine solche Maßnahme des Risikomanagements nämlich nur dann zurückgegriffen, wenn „eine wissenschaftliche Risikobewertung wegen unzureichender, nicht eindeutiger oder ungenauer Daten keine hinreichend genaue Bestimmung des betreffenden Risikos zulässt“. Mit anderen Worten könne sich die Kommission, wenn das Risiko mit hinreichender Gewissheit festgestellt sei, über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bewertung nicht hinwegsetzen, indem sie sich auf ihre Befugnisse als Verantwortliche für das Risikomanagement stütze. Dies sei u. a. dann der Fall, wenn die EFSA auf das Vorliegen eines „hohen Risikos“ im Zusammenhang mit dem Stoff hinweise.

64

Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Kommission in Anbetracht anderer Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Natur, einen Stoff genehmigen dürfe, dessen Bewertung durch die EFSA zeige, dass er den Kriterien von Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht entspreche, sei darauf hinzuweisen, dass die Durchführungsverordnung 2021/2049 auf keiner derartigen Begründung beruhe.

65

Zweitens beanstandet die Klägerin die Feststellung der Kommission, dass eine Genehmigungsregelung mit „strikten Risikominderungsmaßnahmen“ wie die Durchführungsverordnung 2021/2049 sowohl eine Anwendung des Vorsorgeprinzips als auch ein Mittel zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sein könne. Zum einen könne man sich unter Berufung auf diese Grundsätze nicht über die in Art. 4 und Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 festgelegten klaren und präzisen Genehmigungsvoraussetzungen hinwegsetzen. Wenn infolge einer wissenschaftlichen Bewertung festgestellt werde, dass ein Stoff diese Voraussetzungen nicht erfülle, könne die Kommission nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten und diesen Stoff aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen dennoch genehmigen. Zum anderen müsse der Erlass von Risikominderungsmaßnahmen mit dem Effektivitätsgrundsatz im Einklang stehen. Dieser Grundsatz werde aber durch Bedingungen ausgehebelt, die so streng seien, dass sie nicht praktikabel seien und daher die Gefahr bestehe, dass sie nicht angewandt, beachtet und kontrolliert würden. Bestimmte Voraussetzungen, die der Durchführungsverordnung 2021/2049 zugrunde lägen, wie Pufferzonen von mehr als 100 Metern, seien offensichtlich unrealistisch. Im Übrigen werde den Mitgliedstaaten keine spezifische Maßnahme auferlegt, was die Einhaltung dieser Voraussetzungen noch illusorischer mache.

66

Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

67

Vorab ist festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Kommission der Standpunkt der Klägerin, wonach der Kommission bei Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, ob eines der in Nr. 3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 genannten Kriterien erfüllt sei, automatisch „jedes Ermessen“ genommen werde, einen hinreichend engen Zusammenhang mit dem von der Klägerin in Rn. 16 ihres Antrags auf interne Überprüfung vorgebrachten Argument aufweist, woraus hervorgeht, dass „[n]ach den Grundsätzen der Vorsorge und eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sowie nach Art. 4 [Abs.] 1 der Verordnung [Nr. 1107/2009] die Ermittlung auch nur eines [kritischen bedenklichen Bereichs] zu einer [Nichterneuerung der Genehmigung] des Stoffes Anlass geben [sollte], da der Schutz der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt nicht gewährleistet werden kann“.

68

Ebenso ist in Bezug auf das auf Nr. 3.8 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 gestützte Vorbringen davon auszugehen, dass dieses Vorbringen einen hinreichend engen Zusammenhang mit den von der Klägerin in ihrem Antrag auf interne Überprüfung vorgebrachten Argumenten aufweist, so dass es nach der oben in Rn. 46 angeführten Rechtsprechung als zulässig anzusehen ist.

69

In der Sache ist, was die Rolle der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement und die Rolle des Vorsorgeprinzips anbelangt, zunächst darauf hinzuweisen, dass die in der Verordnung Nr. 1107/2009 für PSM und ihre Wirkstoffe vorgesehenen Verfahren der Zulassung und Genehmigung ein Ausdruck des Vorsorgeprinzips sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70

Das Vorsorgeprinzip stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der die betroffenen Behörden verpflichtet, im genauen Rahmen der Ausübung der ihnen durch die einschlägige Regelung zugewiesenen Befugnisse geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, indem sie den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen. Da die Unionsorgane in ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich für den Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt verantwortlich sind, kann das Vorsorgeprinzip als eigenständiger Grundsatz angesehen werden, der sich aus den Bestimmungen des Vertrags ergibt, insbesondere aus Art. 11, Art. 168 Abs. 1, Art. 169 Abs. 1 und 2 und aus Art. 191 Abs. 1 und 2 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 184, vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 121, und vom 11. Juli 2019, BP/FRA, T‑838/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:494, Rn. 396).

71

Das Vorsorgeprinzip bedeutet, dass bei verbleibenden Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken u. a. für die Umwelt Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig nachgewiesen werden. Wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unschlüssig sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Umwelt jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen (vgl. Urteil vom 6. Mai 2021, Bayer CropScience und Bayer/Kommission, C‑499/18 P, EU:C:2021:367, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Indessen rechtfertigt das Vorsorgeprinzip beschränkende Maßnahmen nur dann, wenn sie nicht nur diskriminierungsfrei und objektiv, sondern auch verhältnismäßig sind. Somit betrifft das in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerte Vorsorgeprinzip Handlungen auf Unionsebene und darf nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass ein Unionsorgan auf der Grundlage allein dieses Prinzips verpflichtet ist, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, wie z. B. die Verweigerung einer Zulassung. Zwar ist es zutreffend, dass dieser Grundsatz den Erlass einer beschränkenden Maßnahme durch ein Organ rechtfertigen kann, doch verpflichtet er das Organ nicht unter allen Umständen dazu (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 4. April 2019, ClientEarth/Kommission, T‑108/17, EU:T:2019:215, Rn. 282 und 284).

73

Erlaubt es die wissenschaftliche Beurteilung nicht, das Vorliegen des Risikos mit hinreichender Gewissheit festzustellen, so hängt der Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip im Allgemeinen davon ab, welches Schutzniveau die zuständige Behörde in Ausübung ihres weiten Ermessens gewählt hat. Diese Wahl muss jedoch mit dem Grundsatz des Vorrangs des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt vor wirtschaftlichen Interessen sowie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Diskriminierungsverbot in Einklang stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 186, und vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 125).

74

Innerhalb des Verfahrens, das mit dem Erlass geeigneter Maßnahmen durch ein Organ zur Vermeidung bestimmter potenzieller Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt aufgrund des Vorsorgeprinzips endet, lassen sich drei aufeinanderfolgende Schritte unterscheiden: erstens die Ermittlung der potenziell abträglichen Wirkungen, die sich aus einem Vorgang ergeben, zweitens die Bewertung der mit diesem Vorgang verbundenen Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und drittens, wenn die ermittelten potenziellen Gefahren die Schwelle der gesellschaftlichen Akzeptanz überschreiten, das Risikomanagement durch den Erlass geeigneter Schutzmaßnahmen (Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 111).

75

Erstens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sich die Kommission, wenn ein Risiko von der EFSA mit hinreichender Gewissheit festgestellt werde, über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bewertung nicht hinwegsetzen könne, indem sie sich auf ihre Befugnisse als Verantwortliche für das Risikomanagement stütze.

76

Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss Folgendes ausgeführt hat:

„Die Kommission wird beim Erlass von Durchführungsverordnungen zur Genehmigung oder Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs gemäß der [Verordnung Nr. 1107/2009] als Verantwortliche für das Risikomanagement im Sinne des Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 tätig. Sie handelt nach einem zweistufigen Risikobewertungsverfahren, das von einem berichterstattenden Mitgliedstaat und der EFSA in enger Abstimmung mit den für das Risikomanagement der Mitgliedstaaten Verantwortlichen durchgeführt wird, die im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel – Sektion Pflanzenschutzmittel – Gesetzgebung – vertreten sind.

Die Kommission weist daher erstens darauf hin, dass sie als Verantwortliche für das Risikomanagement nicht verpflichtet ist, in ihren regulatorischen Entscheidungen den aus der wissenschaftlichen Risikobewertung gezogenen Schlussfolgerungen zu folgen, sondern dass ihr diese als Grundlage für ihre Risikomanagemententscheidungen in Kenntnis der Sachlage (vgl. 34. Erwägungsgrund der Verordnung [EG] Nr. 178/2002) dienen, wobei verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören der vom berichterstattenden Mitgliedstaat erstellte Entwurf des Berichts über die Bewertung der Erneuerung und die Schlussfolgerung der EFSA zu den Ergebnissen des unter ihrer Leitung durchgeführten Peer-Reviews dieses Entwurfs des Berichts über die Bewertung der Erneuerung. Tatsächlich sieht Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 844/2012 vor, dass diese Ergebnisse von der Kommission bei Risikomanagemententscheidungen ‚berücksichtigt werden‘. Darüber hinaus kann die Kommission die EFSA um jede Klarstellung ersuchen, die sie für ihre Risikomanagemententscheidung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 für erforderlich hält, insbesondere wenn sie der Auffassung ist, dass die wissenschaftliche Sicherheit verbessert werden muss. Diese Erklärungen sind auch Teil der Risikobewertung, auf die die Kommission ihren Beschluss stützt.

Die Rolle der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement setzt voraus, dass sie bei ihren Entscheidungen zwischen geeigneten Präventions- und Kontrolloptionen wählen kann, um die in der Risikobewertung ermittelten Risiken zu mindern. Art. 6 der [Verordnung Nr. 1107/2009] bestimmt, dass die Genehmigung und die Erneuerung von Genehmigungsentscheidungen durch die Kommission Bedingungen und Einschränkungen unterworfen werden können, wie etwa der ‚Notwendigkeit, Maßnahmen zur Risikominderung … zu erlassen‘ (Art. 6 Buchst. i), um zu gewährleisten, dass die Genehmigungskriterien gemäß Art. 4 und Anhang II der [Verordnung Nr. 1107/2009] beachtet werden.

Die Kommission weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Genehmigungskriterium im Bereich der Umwelt das Fehlen von ‚unannehmbaren‘ Auswirkungen auf die Umwelt ist (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 1107/2009), was sich vom Kriterium betreffend die menschliche Gesundheit unterscheidet, das darin besteht, dass ‚keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen … oder von Tieren‘ vorliegen dürfen (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1107/2009).“

77

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die Bewertung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt für das Organ, das sich mit potenziell abträglichen Wirkungen eines Vorgangs konfrontiert sieht, in der wissenschaftlichen Einschätzung dieser Gefahren und der Feststellung besteht, ob diese die gesellschaftliche Akzeptanz überschreiten. Damit die Organe eine solche Einschätzung der Gefahren vornehmen können, müssen sie daher zum einen über eine wissenschaftliche Bewertung der Gefahren verfügen und zum anderen das Gefahrenniveau festlegen, das als für die Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erachtet wird (vgl. Urteil vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Die wissenschaftliche Risikobewertung ist ein wissenschaftliches Verfahren, mit dem so weit wie möglich eine Gefahr ermittelt und beschrieben, eine Abschätzung des Risikos vorgenommen und das Risiko seiner Art nach beschrieben wird (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79

Da es sich um ein wissenschaftliches Verfahren handelt, muss das Organ die wissenschaftliche Risikobewertung wissenschaftlichen Experten übertragen (vgl. Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80

Von einer wissenschaftlichen Risikobewertung kann nicht verlangt werden, dass sie den Organen zwingende wissenschaftliche Beweise für das tatsächliche Vorliegen des Risikos und die Schwere der potenziellen nachteiligen Wirkungen im Fall seiner Verwirklichung liefert. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips erfolgt nämlich definitionsgemäß in einem Kontext wissenschaftlicher Unsicherheit. Außerdem darf eine vorbeugende Maßnahme oder umgekehrt ihre Rücknahme oder Abschwächung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass keinerlei Risiken bestehen, weil ein solcher Nachweis im Allgemeinen aus wissenschaftlicher Sicht nicht erbracht werden kann, da es in der Praxis ein Risikoniveau „null“ nicht gibt. Eine vorbeugende Maßnahme darf indessen nicht mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf wissenschaftlich noch nicht verifizierte bloße Vermutungen gestützt ist (vgl. Urteil vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Die Risikobewertung muss nämlich auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten beruhen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 141 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Außerdem kann eine vorbeugende Maßnahme nur dann getroffen werden, wenn das Risiko, ohne dass seine Existenz und sein Umfang durch zwingende wissenschaftliche Daten in vollem Umfang nachgewiesen worden wären, auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Maßnahme verfügbaren wissenschaftlichen Daten gleichwohl hinreichend dokumentiert erscheint (Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 143, vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 120, und vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 73).

83

Sodann steht die Bestimmung des Risikoniveaus, das als für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erachtet wird, unter Wahrung der einschlägigen Rechtsvorschriften den Organen zu, die für die in der Festlegung des für diese Gesellschaft angemessenen Schutzniveaus bestehenden politischen Entscheidung zuständig sind. Diese Organe haben die kritische Schwelle für die Wahrscheinlichkeit nachteiliger Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und für die Schwere dieser potenziellen Wirkungen festzulegen, die ihnen für diese Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erscheint und bei deren Überschreitung im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Ungewissheit der Rückgriff auf vorbeugende Maßnahmen erforderlich wird (vgl. Urteil vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Bei der Bestimmung des für die Gesellschaft als nicht hinnehmbar erachteten Risikoniveaus sind die Organe durch ihre Pflicht zur Sicherstellung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt gebunden. Dieses hohe Schutzniveau muss nicht unbedingt auf das in technischer Hinsicht Höchstmögliche abzielen, um mit Art. 114 Abs. 3 AEUV vereinbar zu sein. Außerdem dürfen diese Organe keine rein hypothetische Betrachtung des Risikos vornehmen und ihre Entscheidungen nicht auf ein „Nullrisiko“ ausrichten (Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 146, und vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 76).

85

Die Bestimmung des als für die Gesellschaft als nicht hinnehmbar erachteten Risikoniveaus hängt von der Beurteilung der besonderen Umstände jedes Einzelfalls durch die zuständige öffentliche Stelle ab. Insoweit kann die betreffende Stelle insbesondere die Schwere der Auswirkungen, die der Eintritt dieses Risikos auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt hat, einschließlich des Umfangs der möglichen nachteiligen Wirkungen, die Dauer, die Reversibilität oder die möglichen Spätfolgen dieser Schäden sowie die mehr oder weniger konkrete Wahrnehmung des Risikos nach dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen (Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 147, vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 124, und vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 77).

86

Schließlich umfasst das Risikomanagement die Gesamtheit der Maßnahmen eines mit einem Risiko konfrontierten Organs, die dieses auf ein für die Gesellschaft hinnehmbar erscheinendes Niveau zurückführen sollen, wie es seiner Pflicht aufgrund des Vorsorgeprinzips zur Gewährleistung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt entspricht (Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 148, vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 125, und vom 17. März 2021, FMC/Kommission, T‑719/17, EU:T:2021:143, Rn. 78).

87

Diese Maßnahmen umfassen den Erlass vorläufiger Maßnahmen, die verhältnismäßig, frei von Diskriminierung, transparent und im Vergleich zu entsprechenden bereits erlassenen ähnlichen Maßnahmen kohärent sein müssen (vgl. Urteil vom 17. Mai 2018, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑429/13 und T‑451/13, EU:T:2018:280, Rn. 126 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88

Nach alledem kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Kommission, sobald die EFSA bestimmte kritische Problembereiche ermittele, insoweit über kein Ermessen mehr verfüge.

89

Wenngleich nämlich die Kommission nach Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 844/2012 der Kommission vom 18. September 2012 zur Festlegung der notwendigen Bestimmungen für das Erneuerungsverfahren für Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (ABl. 2012, L 252, S. 26) die Schlussfolgerung der EFSA und den Entwurf des Berichts über die Bewertung der Erneuerung des berichterstattenden Mitgliedstaats beim Erlass einer Verordnung über die Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs als Verantwortliche für das Risikomanagement „berücksichtigen“ muss, ist sie an die Feststellungen der EFSA oder des berichterstattenden Mitgliedstaats nicht gebunden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2023, Ascenza Agro und Industrias Afrasa/Kommission, T‑77/20, EU:T:2023:602, Rn. 246 und 247).

90

Eine solche Berücksichtigung kann nämlich nicht als eine Verpflichtung der Kommission ausgelegt werden, der Schlussfolgerung der EFSA oder des berichterstattenden Mitgliedstaats in allen Punkten zu folgen, auch wenn diese Schlussfolgerung Ausgangspunkt für die Bewertung ist und ihr darin folglich ein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2022, Taminco und Arysta LifeScience Great Britain/Kommission, T‑740/18, EU:T:2022:61, Rn. 141).

91

Das weite Ermessen der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement bleibt jedoch durch die erforderliche Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009, insbesondere deren Art. 4 in Verbindung mit Anhang II dieser Verordnung, sowie durch das Vorsorgeprinzip begrenzt, das allen Bestimmungen dieser Verordnung zugrunde liegt.

92

Vor allem dann, wenn im Rahmen der Risikobewertung mehrere kritische Problembereiche im Sinne von Rn. 8 des vorliegenden Urteils ermittelt werden und eine Empfehlung ausgesprochen wird, die Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs nicht zu erneuern, darf die Kommission grundsätzlich nicht von den Ergebnissen einer solchen Bewertung abweichen, ohne gegen das Vorsorgeprinzip zu verstoßen.

93

Insoweit kann die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs nur erneuern, wenn hinreichend nachgewiesen wird, dass trotz der Ermittlung kritischer Problembereiche Maßnahmen zur Risikominderung den Schluss zulassen, dass die Kriterien von Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt werden. Ein solcher Nachweis kann nicht als ausreichend angesehen werden, wenn es keine wissenschaftliche Überprüfung der Eignung solcher Maßnahmen im Hinblick auf die genannten Kriterien gibt.

94

Wie die Kommission geltend macht, und vorbehaltlich der Einhaltung der oben in den Rn. 89 bis 93 genannten Grundsätze, besteht somit die Rolle der Kommission gerade darin, die gesellschaftlich annehmbaren Risiken zu bestimmen, wobei für den Schutz der Umwelt eine höhere Toleranzschwelle gilt als für die Gesundheit von Mensch oder Tier; dabei sind Managementmaßnahmen zur Verringerung bestimmter Risiken zu berücksichtigen.

95

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin bedeutet dies nicht, dass sich die Kommission bei der Erneuerung der Genehmigung für den Wirkstoff Cypermethrin und der gleichzeitigen Anordnung bestimmter Risikomanagementmaßnahmen über die wissenschaftlichen Bewertungen der EFSA „hinweggesetzt“ oder diese außer Acht gelassen hätte.

96

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall die Risikobewertung durch die EFSA in ihrer Schlussfolgerung später durch ihre Erklärung von 2019 präzisiert wurde, in der sie die Möglichkeit bestätigt hat, Risikomanagementmaßnahmen zu ergreifen. Folglich lässt der bloße Umstand, dass die EFSA in ihrer Schlussfolgerung vier kritische Problembereiche angeführt hat, nicht den Schluss zu, dass die Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement über keinen Ermessensspielraum mehr verfügt habe; sie muss allerdings sicherstellen, dass die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 genannten Kriterien erfüllt werden. Mit anderen Worten ist es für die Kommission nicht ausgeschlossen, unter Beachtung des Vorsorgeprinzips zu prüfen, ob das Risiko durch die Verhängung bestimmter Maßnahmen hätte hinnehmbar werden können.

97

Außerdem beruft sich die Klägerin auf solche Risikomanagementmaßnahmen zu Unrecht nur bei Vorliegen eines „Datenmangels“. Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 verweist nämlich auf „realistische Verwendungsbedingungen“ und erlaubt somit den Erlass der fraglichen Maßnahmen auch bei feststehenden Risiken, und zwar auch dann, wenn ein Risiko auf der Grundlage eines vollständigen Datensatzes festgestellt wird.

98

Die erste Rüge der Klägerin ist somit zurückzuweisen.

99

Zweitens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 stelle eine Reihe von Ausschlusskriterien auf, deren Nichteinhaltung die Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs verbiete, ohne dass die Kommission über ein Ermessen verfüge. Dies gelte insbesondere für die in den Nrn. 3.6.5 und 3.8.5 des Anhangs II dieser Verordnung vorgesehenen endokrinschädlichen Eigenschaften.

100

Insoweit geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die in den Nrn. 3.6.2, 3.6.3 und 3.6.5 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 genannten Kriterien, die sich auf die Genotoxizität, die Karzinogenität und endokrinschädliche Eigenschaften beziehen, auf die gleiche Art und Weise formuliert und auszulegen sind wie das Kriterium in Nr. 3.6.4 des Anhangs, nämlich dass ein Wirkstoff „nur dann zugelassen wird“, wenn er „nicht“ als mutagen, karzinogen oder als Stoff mit endokrinschädlichen Eigenschaften „eingestuft wird oder einzustufen ist“. In diesem Sinne handelt es sich um „Ausschlusskriterien“, und zwar in Abgrenzung zu den in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 genannten Voraussetzungen, für die Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung vorsieht, dass der in Rede stehende Wirkstoff genehmigt werden muss, wenn zu erwarten ist, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2023, Ascenza Agro und Industrias Afrasa/Kommission, T‑77/20, EU:T:2023:602, Rn. 118 bis 121).

101

Es genügt jedoch die Feststellung, dass im vorliegenden Fall aus dem angefochtenen Beschluss nicht hervorgeht, dass das in Nr. 3.6.5 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgesehene Kriterium kein Ausschlusskriterium im Sinne der oben in Rn. 100 angeführten Rechtsprechung darstellen würde. Darüber hinaus wurde Cypermethrin zu keinem Zeitpunkt von der EFSA oder dem berichterstattenden Mitgliedstaat als Wirkstoff mit endokrinschädlichen Eigenschaften im Sinne von Nr. 3.6.5 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 eingestuft. Im Übrigen gehörte die Beachtung des Kriteriums der endokrinschädlichen Eigenschaften nicht zu den von der EFSA in ihrer Schlussfolgerung festgestellten „kritischen Problembereichen“.

102

Die zweite Rüge der Klägerin ist daher als ins Leere gehend zurückzuweisen.

103

Was drittens das Vorbringen der Klägerin zur notwendigen Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes betrifft, so bleibt das weite Ermessen der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement, wie oben in Rn. 91 ausgeführt, durch Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 in Verbindung mit deren Anhang II begrenzt. Insoweit geht aus Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung hervor, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs nur erteilt werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung unter realistischen Verwendungsbedingungen erfüllt sind. Nach Abs. 5 dieses Artikels muss nachgewiesen werden, dass mindestens ein repräsentativer Verwendungszweck eines PSM, das diesen Wirkstoff enthält, diese Kriterien unter realistischen Verwendungsbedingungen erfüllt.

104

Daher kann die Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement nicht davon ausgehen, dass die Kriterien von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt sind, wenn eine solche Schlussfolgerung auf dem Erlass von Maßnahmen zur Risikominderung beruht, die es nicht erlauben würden, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt auszuschließen, insbesondere weil solche Maßnahmen unrealistisch sind. Mit anderen Worten kann sie nicht feststellen, dass eine Verwendung „sicher“ sei, ohne sich zu vergewissern, dass das festgestellte Risiko durch die zu diesem Zweck herangezogenen Maßnahmen zur Risikominderung tatsächlich und nicht bloß theoretisch auf ein annehmbares Maß verringert werden kann.

105

Die Kommission hat im angefochtenen Beschluss keineswegs geltend gemacht, dass sie berechtigt sei, Maßnahmen zur Risikominderung vorzusehen, die unrealistisch wären. Sie hat sich vielmehr auf die Erklärung von 2019 gestützt, in der die EFSA selbst festgestellt hat, dass die in Anhang I der Durchführungsverordnung 2021/2049 aufgeführten Maßnahmen zur Risikominderung, deren Einhaltung von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verfahren zur Zulassung von PSM, die den in Rede stehenden Wirkstoff enthalten, zu überprüfen ist, den Schluss zuließen, dass ein geringes Risiko für Wasserorganismen, Nichtzielarthropoden und Bienen bestehe. Im Übrigen hat die Kommission festgestellt, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, im Rahmen dieser Zulassungsverfahren zu prüfen, ob solche Maßnahmen in der Praxis möglich seien. Das Vorbringen der Klägerin ist somit zurückzuweisen.

106

Was den Verweis auf die wirtschaftlichen oder politischen Erwägungen anbelangt, denen die Kommission durch den Erlass der Durchführungsverordnung 2021/2049 Vorrang eingeräumt habe, so handelt es sich um ein Argument, das gegenüber den im Überprüfungsantrag erhobenen Rügen neu und daher im Rahmen der vorliegenden Klage unzulässig ist. Jedenfalls ist dieses Argument zu vage und hypothetisch, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage stellen zu können.

107

Schließlich hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen, als sie im angefochtenen Beschluss im Wesentlichen ausgeführt hat, dass sie bei der Anwendung und Durchführung der Verordnung Nr. 1107/2009 bei gleichzeitiger Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf das Vorsorgeprinzip zurückgreifen könne, wie der Gerichtshof bestätigt habe (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Mai 2021, Bayer CropScience und Bayer/Kommission, C‑499/18 P, EU:C:2021:367, Rn. 166).

108

Unbeschadet der im Folgenden zu prüfenden Frage, ob die Kommission davon ausgehen durfte, dass Cypermethrin die Genehmigungsbedingungen gemäß Nr. 3.6.5 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllte, ist daher das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen.

2. Zur Rolle der Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1107/2009

109

Die Klägerin ist der Ansicht, die Kommission dürfe nicht davon ausgehen, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, bei der Erteilung von Zulassungen für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die Cypermethrin enthielten, „geeignete Bedingungen wie Maßnahmen zur Risikominderung festzulegen“ und die in Art. 50 der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgesehene vergleichende Bewertung vorzunehmen, weil Cypermethrin als Substitutionskandidat eingestuft worden sei.

110

Sie ist der Ansicht, dass die Kommission ihre Verantwortung nicht auf die Mitgliedstaaten abwälzen dürfe. Zum einen hätten die meisten Mitgliedstaaten nicht die Verwaltungskapazität, um solche Maßnahmen zur Risikominderung zu erarbeiten, geschweige denn, um ihre Einhaltung in der Praxis zu überwachen. Indem die Kommission ihre Verantwortung auf die Mitgliedstaaten abwälze, verstoße sie mithin gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Zum anderen sehe die Verordnung Nr. 1107/2009 einen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vor, der es dem Inhaber einer Zulassung in einem Mitgliedstaat ermögliche, sich in anderen Staaten auf ihn zu berufen. Dieser Mechanismus habe zur Folge, dass den Mitgliedstaaten eine echte Kontrolle über die in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Erzeugnisse verwehrt werde, und könne zu einer „Nivellierung nach unten“ führen. Vor diesem Hintergrund stehe der Standpunkt der Kommission im Widerspruch zu den beiden Zielen der Verordnung Nr. 1107/2009, nämlich der Harmonisierung der Vorschriften für Pflanzenschutzmittel im Binnenmarkt und der Sicherstellung eines hohen Niveaus des Schutzes der Gesundheit und der Umwelt.

111

Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

112

Im Anhang des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission als „Vorbemerkungen“ in einem Abschnitt C („Die Rolle der Mitgliedstaaten gemäß der [Verordnung Nr. 1107/2009] für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln“) Folgendes ausgeführt:

„Die Kommission weist darauf hin, dass die Gesetzgeber beschlossen haben, die Genehmigung für Wirkstoffe auf Unionsebene anzusiedeln und gleichzeitig den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Zulassung von Erzeugnissen, die diese Wirkstoffe enthalten, für die Verwendung als Pestizide zu überlassen (vgl. 10. und 23. Erwägungsgrund der [Verordnung Nr. 1107/2009]). Deswegen müssen die Mitgliedstaaten die Sicherheit gewährleisten, indem sie geeignete Bedingungen wie Maßnahmen zur Risikominderung festlegen, die u. a. diejenigen umfassen, die im Rahmen der Genehmigung auf [Unionse]bene erforderlich sind. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten, wenn ein Stoff als Substitutionskandidat eingestuft wird, nur dann Zulassungen erteilen, wenn die in Art. 50 der [Verordnung Nr. 1107/2009] genannten Bedingungen erfüllt sind, d. h., nachdem eine vergleichende Bewertung durchgeführt worden ist.

Im Fall von Cypermethrin ist die Kommission sorgfältig vorgegangen und hat die Ansichten der Risikobewerter zur Erneuerung der Genehmigung für Cypermethrin eingehend geprüft. Sie hat auch erneut Kontakt mit der EFSA und dem [berichterstattenden Mitgliedstaat] aufgenommen. Sie hat die Tragfähigkeit ihrer Entscheidung weiter abgesichert, indem sie die EFSA um eine zusätzliche Erklärung zur Wirksamkeit möglicher Maßnahmen zur Risikominderung ersuchte und die Mitgliedstaaten verpflichtete, solche Maßnahmen im Rahmen ihrer Zulassungen zu verhängen (vgl. ‚Spezielle Bedingungen‘ in den Anhängen I und II der Verordnung der Kommission), darunter u. a.:

Beschränkung der Nutzung auf gewerbliche Anwender,

spezielle und messbare Bedingungen zum Schutz von Wasserorganismen und Nichtzielarthropoden, einschließlich Bienen,

spezielle Anweisungen, mit denen den Mitgliedstaaten aufgegeben wird, bei der Prüfung eines Antrags auf Zulassung besonderes Augenmerk auf eine Reihe von Aspekten zu legen, u. a. auf den Schutz von Wasserorganismen und Nichtzielarthropoden, einschließlich Bienen, auf die Bewertung der Risiken für die Verbraucher und auf die technische Spezifikation des Wirkstoffs, wie er hergestellt wird,

gegebenenfalls Vorausschau auf Folgemaßnahmen.“

113

Wie die Kommission jedoch zu Recht geltend macht, bestreitet die Klägerin nicht die Begründetheit der vorgenannten Argumente im Anhang des angefochtenen Beschlusses, sondern beschränkt sich im Wesentlichen zum einen auf das Vorbringen, dass sich die Kommission ihren Verpflichtungen entziehe, indem sie sie auf die Mitgliedstaaten „abwälze“, und zum anderen auf das Vorbringen, dass der in den Art. 40 ff. der Verordnung Nr. 1107/2009 verankerte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen den Zielen dieser Verordnung zuwiderlaufe.

114

Zum ersten Argument ist festzustellen, dass die Kommission keinen Rechtsfehler begangen hat, als sie darauf hingewiesen hat, dass nach der Verordnung Nr. 1107/2009 die Genehmigung des Wirkstoffs Sache der Kommission sei, während die Zulassung des Erzeugnisses Sache der Mitgliedstaaten sei. Die Klägerin beschränkt sich im Übrigen darauf, auf das Problem einer Überlastung der nationalen Verwaltungen hinzuweisen, bestreitet aber nicht das Vorbringen, dass es nach Art. 50 der Verordnung Nr. 1107/2009 Sache der Mitgliedstaaten sei, vor der Erteilung einer Zulassung für ein PSM, das einen Substitutionskandidaten enthalte, eine vergleichende Bewertung durchzuführen.

115

In der Erwiderung trägt die Klägerin vor, Art. 50 der Verordnung Nr. 1107/2009 hindere die Kommission keineswegs daran, selbst Maßnahmen zur Risikominderung in der Durchführungsverordnung 2021/2049 festzulegen. Dieses Vorbringen geht jedoch ins Leere, da es die von der Kommission im angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung nicht in Frage stellt, dass es auf der Grundlage des Systems der Verordnung Nr. 1107/2009 Sache der Mitgliedstaaten sei, bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln geeignete Bedingungen festzulegen, die über die auf Unionsebene auferlegten Beschränkungen für den Wirkstoff hinausgehen könnten. Auch die Verweise der Klägerin auf Art. 6 und Art. 36 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 – ihre Zulässigkeit unterstellt – können dieses Ergebnis auch nicht in Frage stellen.

116

Was das zweite Argument betreffend die gegenseitige Anerkennung betrifft, gehen die von der Klägerin vorgebrachten Gesichtspunkte ebenfalls ins Leere, da Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1107/2009, wenn es sich um einen Substitutionskandidaten handelt, einen solchen Stoff gerade von der Anwendung der obligatorischen gegenseitigen Anerkennung ausnimmt.

117

Die Klägerin macht jedoch geltend, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung berechtigt seien, das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung anzuwenden, was in der Praxis zu einer Nivellierung nach unten führe. Selbst wenn man davon ausginge, dass es sich tatsächlich so verhalte, kann jedoch, da von der Klägerin in Bezug auf Art. 41 der Verordnung Nr. 1107/2009 keine Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben wurde, mit diesem Vorbringen auch nicht dargetan werden, dass die Kommission einen Rechtsfehler oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, als sie im angefochtenen Beschluss auf die Rolle der Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1107/2009 hingewiesen hat.

118

Folglich ist das gesamte Vorbringen der Klägerin zu den Vorbemerkungen der Kommission im Anhang des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.

C.   Zu den von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf interne Überprüfung vorgebrachten Rügen (zweiter Teil des einzigen Klagegrundes)

[nicht wiedergegeben]

7. Zur siebten Rüge: Fehlen einer Prüfung der chronischen Toxizität der vom Antragsteller vorgelegten repräsentativen Formulierung

[nicht wiedergegeben]

435

Folglich ist die siebte Rüge zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

436

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Pesticide Action Network Europe (PAN Europe) trägt die Kosten.

 

da Silva Passos

Reine

Pynnä

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Februar 2024.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.