29.8.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 326/10


Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Belgien), eingereicht am 8. Juni 2022 — XXX/Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides

(Rechtssache C-374/22)

(2022/C 326/14)

Verfahrenssprache: Französisch

Vorlegendes Gericht

Conseil d’État

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kassationsbeschwerdeführer: XXX

Kassationsbeschwerdegegner: Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides

Vorlagefragen

1.

Sind die Art. 2 Buchst. j und 23 der Richtlinie 2011/95/EU (1) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes dahin auszulegen, dass sie auf den Vater zweier in Belgien geborener und dort als Flüchtlinge anerkannter Kinder Anwendung finden, obgleich Art. 2 Buchst. j vorsieht, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, von der Richtlinie 2011/95/EU erfasst werden, „sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat“?

2.

Bedeutet der vom Kassationsbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Umstand, wonach seine Kinder in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stehen und seiner Ansicht nach das Wohl seiner Kinder es gebietet, dass ihm internationaler Schutz gewährt wird, in Anbetracht der Erwägungsgründe 18, 19 und 38 der Richtlinie 2011/95/EU, dass der Begriff der von der Richtlinie 2011/95/EU erfassten Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, auf eine Familie ausgeweitet wird, die im Herkunftsland nicht bestanden hat?

3.

Falls die ersten beiden Vorlagefragen bejaht werden, kann Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU, der nicht in belgisches Recht umgesetzt worden ist, unmittelbare Wirkung haben, damit dem Vater von Kindern, die in Belgien geboren und dort als Flüchtlinge anerkannt worden sind, ein Aufenthaltstitel erteilt oder internationaler Schutz gewährt werden kann?

4.

Falls dies zu bejahen ist, verleiht Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU bei fehlender Umsetzung dem Vater von Kindern, die in Belgien geboren und dort als Flüchtlinge anerkannt worden sind, einen Anspruch auf die in den Art. 24 bis 35 genannten Leistungen, zu denen ein Aufenthaltstitel gehört, der ihm einen rechtmäßigen Aufenthalt mit seiner Familie in Belgien ermöglicht, oder einen Anspruch auf internationalen Schutz, auch wenn dieser Vater selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes erfüllt?

5.

Verpflichtet die praktische Wirksamkeit von Art. 23 der Anerkennungsrichtlinie unter Berücksichtigung der Art. 7, 18 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Erwägungsgründe 18, 19 und 38 der Anerkennungsrichtlinie einen Mitgliedstaat, der sein nationales Recht nicht so ausgestaltet hat, dass die Familienangehörigen (im Sinne von Art. 2 Buchst. j, der Richtlinie oder hinsichtlich deren besondere Umstände der Abhängigkeit vorliegen) der Person, der eine solche Eigenschaft zuerkannt worden ist, bestimmte Leistungen beanspruchen können, wenn sie selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung derselben Eigenschaft erfüllen, dazu, diesen Familienangehörigen einen Anspruch auf die abgeleitete Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, damit sie diese Leistungen beanspruchen können, um den Familienverband aufrechtzuerhalten?

6.

Verpflichtet Art. 23 der Anerkennungsrichtlinie unter Berücksichtigung der Art. 7, 18 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Erwägungsgründe 18, 19 und 38 der Anerkennungsrichtlinie einen Mitgliedstaat, der sein nationales Recht nicht so ausgestaltet hat, dass die Eltern eines anerkannten Flüchtlings die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie aufgeführten Leistungen in Anspruch nehmen können, dazu, den Eltern einen abgeleiteten internationalen Schutz zu ermöglichen, damit das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt und die Wirksamkeit seiner Flüchtlingseigenschaft gewährleistet wird?


(1)  ABl. 2011, L 337, S. 9.