URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
18. April 2024 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Überstellung des Asylbewerbers in den für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat – Art. 17 Abs. 1 – Ermessensklausel – Art. 27 Abs. 1 und 3 und Art. 29 Abs. 3 – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Rechtsbehelfe – Aufschiebende Wirkung“
In der Rechtssache C‑359/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hohes Gericht, Irland) mit Entscheidung vom 28. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juni 2022, in dem Verfahren
AHY
gegen
Minister for Justice
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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von AHY, vertreten durch B. Burns, Solicitor, E. Dornan, BL, und C. Power, SC, |
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des Minister for Justice und Irlands, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce, M. Tierney und G. Wells als Bevollmächtigte im Beistand von S.‑J. Hillery, BL, und D. Colan Smyth, SC, |
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der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Grønfeldt und J. Tomkin als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. September 2023
folgendes
Urteil
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Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung), sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen AHY, einem somalischen Staatsangehörigen, und dem Minister for Justice (Justizministerin, Irland, im Folgenden: Ministerin) über deren Entscheidung, mit der sie es abgelehnt hat, ihr Ermessen nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung auszuüben, um den Antrag von AHY auf internationalen Schutz zu prüfen, und angegeben hat, dass AHY nach Schweden überstellt werde. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
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In den Erwägungsgründen 4, 5, 17 und 19 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:
…
…
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4 |
Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt: „Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.“ |
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Art. 17 („Ermessensklauseln“) der Dublin‑III-Verordnung gehört zu ihrem Kapitel IV und sieht in Abs. 1 vor: „Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 [der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (ABl. 2003, L 222, S. 3)] eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde. Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1)] mit, indem er den Zeitpunkt [der] erfolgte[n] Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.“ |
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Art. 27 („Rechtsmittel“) der Dublin‑III-Verordnung lautet: „(1) Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht. (2) Die Mitgliedstaaten sehen eine angemessene Frist vor, in der die betreffende Person ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen kann. (3) Zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung sehen die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht Folgendes vor:
(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. …“ |
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Art. 29 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt: „(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat. … (2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. …“ |
Irisches Recht
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Art. 3 der European Union (Dublin System) Regulations 2018 (Verordnung von 2018 über die Europäische Union [Dublin-System]) (S. I. Nr. 62 von 2018, im Folgenden: Verordnung von 2018) überträgt den für den internationalen Schutz zuständigen Beamten des International Protection Office (Amt für internationalen Schutz, Irland, im Folgenden: IPO) die Befugnis, gemäß den Kriterien nach Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung den für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen und Überstellungsentscheidungen zu erlassen. |
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Nach Art. 6 der Verordnung von 2018 ist das International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes, Irland) für die Prüfung eines gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelfs zuständig. |
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Art. 8 Abs. 1 der Verordnung von 2018 regelt die aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Buchst. a der Dublin‑III-Verordnung und sieht im Wesentlichen vor, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt und einen Rechtsbehelf nach Art. 6 der Verordnung von 2018 einlegt, berechtigt ist, bis zur Entscheidung über diesen Rechtsbehelf in Irland zu bleiben. |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
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Der Kläger des Ausgangsverfahrens, AHY, ist ein somalischer Staatsangehöriger. Am 21. Januar 2020 stellte er in Irland einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an, dass er in Somalia Opfer eines Bombenanschlags geworden sei, bei dem sein Geschäft zerstört und einer seiner Angestellten getötet worden sei und bei dem ihm bleibende Narben an Händen und am Arm zugefügt worden seien. |
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Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass AHY bereits am 5. November 2012 und am 2. Oktober 2017 in Schweden zwei Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte und diese Anträge zurückgewiesen worden waren. |
13 |
Die irischen Behörden richteten daraufhin an das Königreich Schweden auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung ein Wiederaufnahmegesuch. Dieser Mitgliedstaat gab diesem Gesuch am 19. Februar 2020 statt. |
14 |
Am 23. Juli 2020 wurde AHY ein Bescheid mit der Überstellungsentscheidung zugestellt. Am 5. August 2020 legte AHY beim International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes) einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung des IPO ein, wobei er beantragte, die in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Ermessensklausel anzuwenden, und insbesondere geltend machte, dass er an Depressionen leide. |
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Das International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes) wies diesen Rechtsbehelf am 5. Oktober 2021 zurück und bestätigte die Überstellungsentscheidung. |
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Nachdem AHY aufgefordert worden war, am 16. Dezember desselben Jahres vor der Garda National Immigration Bureau (Nationale Einwanderungsbehörde, Irland) zu erscheinen, damit seine spätestens bis zum 6. April 2022 durchzuführende Überstellung nach Schweden vorbereitet werden könne, stellte AHY am 15. November 2021 bei der Ministerin einen Antrag auf Ausübung des Ermessens nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung. Dieser Antrag wurde am 16. Februar 2022 zurückgewiesen. |
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AHY reichte gegen diese Entscheidung der Ministerin beim vorlegenden Gericht, dem High Court (Hohes Gericht, Irland), Klage ein. Im Zusammenhang mit dieser Klage macht er insbesondere geltend, dass nach Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung Rechtsbehelfe, die sich gegen die Ablehnung der Ausübung eines Ermessens im Sinne von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung richteten, automatisch aufschiebende Wirkung hätten. |
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Erstens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass für die Entscheidung, eine Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantrage, vorzunehmen oder davon abzusehen, in Irland das IPO zuständig sei, während die Entscheidung, von dem sich aus Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ergebenden Ermessen Gebrauch zu machen oder davon abzusehen, in den Befugnisbereich der Ministerin falle. Im Übrigen müssten die in Art. 27 dieser Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen Überstellungsentscheidungen nach Art. 6 der Verordnung von 2018 beim International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes) eingelegt werden, während die Entscheidungen der Ministerin allein mit einer Klage auf judicial review, einer besonderen Klage auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln, vor dem High Court (Hohes Gericht) angefochten werden könnten. |
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Aus diesem System ergäben sich zahlreiche Schwierigkeiten, da die Verfahren und Fristen, innerhalb deren diese Entscheidungen zu treffen und diese Rechtsbehelfe einzulegen seien, nicht koordiniert seien. So könne eine Person, die internationalen Schutz beantrage und gegen die eine Überstellungsentscheidung ergangen sei, wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, nach der Zurückweisung seines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung durch das International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes) die Anwendung der Ermessensklausel nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung beantragen. |
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Zweitens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob eine Klage, die sich gegen eine Weigerung der Ministerin richtet, ihr nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eingeräumtes Ermessen auszuüben, gegenüber einer Überstellungsentscheidung aufschiebende Wirkung zeitigen kann, insbesondere wenn die Überstellungsentscheidung bereits mit einem Rechtsbehelf im Sinne von Art. 27 dieser Verordnung angefochten worden ist. Insoweit verweist es auf das Urteil vom 23. Januar 2019, M. A. u. a. (C‑661/17, im Folgenden: Urteil M. A. u. a., EU:C:2019:53), und führt aus, dass der Gerichtshof in diesem Urteil offenbar nicht über die Frage entschieden habe, ob die Bestimmungen über die aufschiebende Wirkung in Art. 27 der Verordnung Anwendung fänden, wenn ein Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung nach Art. 17 der Verordnung eingelegt werde. |
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Unter diesen Umständen hat der High Court (Hohes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Verfahren vor dem Gerichtshof
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Das vorlegende Gericht hat beantragt, die Rechtssache dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. |
23 |
Die Zweite Kammer des Gerichtshofs hat am 21. Juni 2022 auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben. |
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
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Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung vorzusehen, die aufgrund der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung erlassen wurde. |
25 |
Insoweit sieht Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass eine Person, gegen die eine Überstellungsentscheidung ergangen ist, das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen diese Entscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht hat. |
26 |
Der Umfang des betreffenden Rechtsbehelfs wird im 19. Erwägungsgrund dieser Verordnung näher umschrieben. Danach soll der durch die Verordnung geschaffene wirksame Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen, um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, zum einen die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung und zum anderen die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird (Urteil vom 2. April 2019, H. und R., C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280, Rn. 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
27 |
Nachdem der Gerichtshof in Rn. 75 des Urteils M. A. u. a. festgestellt hatte, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung eines Mitgliedstaats, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, nicht ausdrücklich vorsieht, hat er in Nr. 4 des Tenors jenes Urteils entschieden, dass Art. 27 Abs. 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einen solchen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wovon die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten. |
28 |
Im vorliegenden Fall macht AHY jedoch vor dem vorlegenden Gericht und in seinen schriftlichen Erklärungen vor dem Gerichtshof geltend, dass das in Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung auch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung umfassen müsse, da der Gerichtshof in Rn. 64 des Urteils M. A. u. a. auch festgestellt habe, dass das den Mitgliedstaaten durch Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung verliehene Ermessen ein integraler Bestandteil der in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren zur Bestimmung des für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats sei. |
29 |
Die Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung können nicht in dieser Weise ausgelegt werden. |
30 |
Zwar hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass der in Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Rechtsbehelf nicht restriktiv ausgelegt werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 53). |
31 |
So hat der Gerichtshof bereits entscheiden, dass in Anbetracht insbesondere der allgemeinen, mit dem Erlass der Dublin‑III-Verordnung eingetretenen Fortentwicklung des Systems zur Bestimmung des für einen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats sowie der mit dieser Verordnung verfolgten Ziele Art. 27 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass der dort gegen eine Überstellungsentscheidung vorgesehene Rechtsbehelf auf die Beachtung sowohl der Regeln über die Zuweisung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz als auch der von der Verordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien abzielen können muss (Urteil vom 2. April 2019, H. und R., C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280, Rn. 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
32 |
Auch wenn Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung als integraler Bestandteil der in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats anzusehen ist, kann diese Bestimmung jedoch ihrer Natur nach nicht den anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Kriterien zur Bestimmung des für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats gleichgestellt werden. |
33 |
Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt, nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung grundsätzlich allein von dem nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird. |
34 |
Das vom Unionsgesetzgeber geschaffene System zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, zu dem diese Verordnung gehört, soll nach deren Erwägungsgründen 4 und 5 insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden. |
35 |
In diesem Kontext ist ein Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, verpflichtet, die in Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Verfahren anzuwenden, um den für die Prüfung dieses Antrags zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen, ihn um Aufnahme der betreffenden Person zu ersuchen und sie ihm, nachdem dem Gesuch stattgegeben wurde, zu überstellen. |
36 |
Allerdings kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den entsprechenden Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. |
37 |
Ziel dieser Vorschrift ist es, die Prärogativen der Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Rechts auf Gewährung internationalen Schutzes zu wahren (Urteil vom 5. Juli 2018, X, C‑213/17, EU:C:2018:538, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Zudem geht aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung klar hervor, dass diese Vorschrift insofern fakultativ ist, als sie es dem Ermessen jedes Mitgliedstaats überlässt, zu beschließen, einen bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht für die Prüfung zuständig ist. Die Ausübung dieser Befugnis ist im Übrigen an keine besondere Bedingung geknüpft. Diese Befugnis soll es jedem Mitgliedstaat ermöglichen, sich aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen in voller Souveränität dazu bereit zu erklären, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den in der Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist (Urteil vom 30. November 2023, Ministero dell’Interno u. a. [Gemeinsames Merkblatt – Mittelbare Zurückweisung], C‑228/21, C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21, EU:C:2023:934, Rn. 146 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
39 |
Angesichts des Umfangs des den Mitgliedstaaten auf diese Weise eingeräumten Ermessens ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in der Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen (Urteil vom 30. November 2023, Ministero dell’Interno u. a. [Gemeinsames Merkblatt – Mittelbare Zurückweisung], C‑228/21, C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21, EU:C:2023:934, Rn. 147 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
40 |
In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass kein Umstand, auch wenn er zu den Grundrechten gehört, einen Mitgliedstaat verpflichten kann, von dieser Klausel Gebrauch zu machen und einen Antrag, für den er nicht zuständig ist, selbst zu prüfen (vgl. entsprechend Urteil vom 14. November 2013, Puid, C‑4/11, EU:C:2013:740, Rn. 37, sowie Urteile vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 97, und M. A. u. a., Rn. 61 und 72). |
41 |
Zwar hat der Gerichtshof, wie in Rn. 31 dieses Urteils ausgeführt, mehrfach entschieden, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass der dort gegen eine Überstellungsentscheidung vorgesehene Rechtsbehelf auf die Beachtung sowohl der Regeln über die Zuweisung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz als auch der von der Verordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien abzielen können muss. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 62 und 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beruht diese insbesondere aus den Urteilen vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409), vom 7. Juni 2016, Karim (C‑155/15, EU:C:2016:410), und vom 26. Juli 2017, Mengesteab (C‑670/16, EU:C:2017:587), hervorgegangene Rechtsprechung indessen auf der Prämisse, dass alle in jenen Urteilen in Frage stehenden Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung zu dem Rahmen gehören, in dem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats stattfinden muss. Diese Bestimmungen, wie z. B. Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Verordnung oder ihr Art. 21 Abs. 1, enthalten nämlich Regeln, die der betreffende Mitgliedstaat nach der Dublin‑III-Verordnung anzuwenden hat und die folglich der Person, die internationalen Schutz beantragt, ein Recht darauf zuweisen, dass dieser Staat seinen Verpflichtungen insoweit nachkommt. |
42 |
Wie sich jedoch aus dem 17. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung ergibt, werden durch die Bestimmungen in ihrem Kapitel III die „verbindlichen [K]riterien“ für die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats festgelegt, wobei den Mitgliedstaaten durch Art. 17 der Verordnung, der zu ihrem Kapitel IV gehört, die Möglichkeit eingeräumt wird, von diesen Zuständigkeitskriterien abzuweichen und einen in ihrem Hoheitsgebiet oder im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie nach diesen verbindlichen Kriterien nicht für die Prüfung zuständig sind. Folglich ist die Entscheidung eines Staates, von der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Befugnis Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen oder es nicht zu tun, eine Ermessensentscheidung, die nicht auf den verbindlichen Kriterien beruht, die dieser Mitgliedstaat nach dieser Verordnung einzuhalten hat. |
43 |
Daraus folgt, dass eine nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung erlassene Entscheidung nicht einer Überstellungsentscheidung im Sinne von Art. 27 Abs. 1 dieser Verordnung gleichgestellt werden kann, so dass Art. 27 Abs. 1 die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine solche Ermessensentscheidung vorzusehen. |
44 |
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof im Urteil M. A. u. a. festgestellt hat, dass der Umstand, dass Art. 27 Abs. 1 der Verordnung die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einen solchen Rechtsbehelf vorzusehen, die betroffene Person nicht daran hindert, eine solche Ermessensentscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die sie betreffende Überstellungsentscheidung anzufechten. |
45 |
Aus dieser Erwägung ergibt sich nämlich keineswegs, dass die Möglichkeit, eine solche Weigerung, von der Ermessensklausel Gebrauch zu machen, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten, ihre Grundlage im Unionsrecht findet. |
46 |
Da der Gerichtshof entschieden hat, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht verlangt, dass die Mitgliedstaaten einen speziellen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung vorsehen, mit der die Ausübung des in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessens abgelehnt wird, kann die Möglichkeit, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten, vielmehr nur auf dem nationalen Recht beruhen. |
47 |
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung vorzusehen, die aufgrund der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung erlassen wurde. |
Zur zweiten Frage
48 |
Die zweite Frage wird für den Fall gestellt, dass die erste Frage bejaht wird. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage demnach nicht zu beantworten. |
Zur dritten Frage
49 |
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen und für den Fall, dass die erste Frage verneint wird, wissen, ob Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat eine Überstellungsentscheidung durchführt, bevor über den Antrag auf Ausübung seines Ermessens nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung oder über einen nach nationalem Recht eingelegten speziellen gerichtlichen Rechtsbehelf, mit dem die Bescheidung dieses Antrags angefochten wird, entschieden wurde. Hilfsweise möchte es wissen, ob Art. 29 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass die darin genannte Frist von sechs Monaten für die Durchführung der Überstellung der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, ab der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder ab der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder über deren Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung aufschiebende Wirkung hat, zu laufen beginnt und nicht ab dem Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die nach Erlass der Überstellungsentscheidung ergangene Entscheidung des ersuchenden Mitgliedstaats, nicht von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung Gebrauch zu machen, um den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. |
50 |
Was erstens die Fragen des vorlegenden Gerichts zu Art. 47 der Charta betrifft, soll mit ihnen geklärt werden, ob diese Bestimmung eine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Durchführung der Überstellungsentscheidung gebietet, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, die Anwendung der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung beantragt hat oder wenn der Antragsteller gegen die Bescheidung eines solchen Antrags einen Rechtsbehelf eingelegt hat. |
51 |
Da Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, wie in Rn. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt, als integraler Bestandteil der in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats anzusehen ist, ist insoweit festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation, soweit sie die Ausübung eines Ermessens betrifft, das diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einräumt, eine „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta umfasst, so dass die Charta allgemein auf diese Situation anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, TSN und AKT, C‑609/17 und C‑610/17, EU:C:2019:981, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
52 |
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Art. 47 der Charta nach ständiger Rechtsprechung nur Anwendung findet, wenn sich die Person, die ihn geltend macht, auf durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten beruft oder wenn diese Person Gegenstand von Verfolgungsmaßnahmen ist, die eine Durchführung des Unionsrechts darstellen (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
53 |
Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich jedoch, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet sein kann, von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Gebrauch zu machen. |
54 |
In Ermangelung einer solchen Verpflichtung hat eine Person, die internationalen Schutz beantragt, kein vom Unionsrecht garantiertes Recht darauf, dass ein Mitgliedstaat von dieser Klausel und dem damit verbundenen Ermessen Gebrauch macht. |
55 |
Da das Ausgangsverfahren weder eine Situation betrifft, in der die Person, die Art. 47 der Charta geltend macht, sich auf durch das Unionsrecht garantierte Rechte oder Freiheiten beruft, noch im Übrigen offensichtlich eine Situation, in der eine solche Person Gegenstand von Verfolgungsmaßnahmen ist, die eine Durchführung des Unionsrechts darstellen, ergibt sich aus der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass Art. 47 der Charta auf eine Situation wie jene des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist. Folglich hindert er einen Mitgliedstaat nicht daran, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, bevor er über einen nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung gestellten Antrag oder über einen Rechtsbehelf gegen die Bescheidung eines solchen Antrags entschieden hat. |
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Was zweitens die vom vorlegenden Gericht hilfsweise gestellten Fragen betrifft, so soll mit ihnen geklärt werden, ob Art. 29 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung ergangene Entscheidung des ersuchenden Mitgliedstaats, nicht von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung Gebrauch zu machen, um den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, zu laufen beginnt. |
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Der Wortlaut von Art. 29 Abs. 1 ist insoweit klar und eindeutig. |
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Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass die Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung aufschiebende Wirkung hat, zu laufen beginnt. |
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Da diese Bestimmung nicht vorsieht, dass diese Frist ab der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung ergangene Entscheidung des ersuchenden Mitgliedstaats, nicht von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung Gebrauch zu machen, um den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, zu laufen beginnt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die in Art. 29 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene Frist für die Durchführung einer Überstellungsentscheidung durch einen solchen Rechtsbehelf gehemmt wird oder dieser auf andere Weise eine aufschiebende Wirkung in Bezug auf die Überstellungsentscheidung hat. |
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Daher beginnt die Frist von sechs Monaten für die Überstellung der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einer Situation wie jener des Ausgangsverfahrens im Zeitpunkt der Zurückweisung des Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung über die Überstellung der betreffenden Person zu laufen und nicht im Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung ergangene Entscheidung des ersuchenden Mitgliedstaats, nicht von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung Gebrauch zu machen, um den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. |
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Nach alledem ist auf die dritte Frage wie folgt zu antworten:
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Kosten
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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.