SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 13. Juli 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑518/22

J. M. P.

gegen

AP Assistenzprofis GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78/EG – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Persönliche Assistenzdienstleistung für Menschen mit Behinderung – Stellenangebot unter Angabe eines Mindest- und eines Höchstalters der einzustellenden Person – Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse der Person mit Behinderung“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ( 2 ) im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ( 3 ) sowie des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde ( 4 ).

2.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. M. P. und der Assistenzprofis GmbH, einem Anbieter von Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderung, über die Zahlung einer von J. M. P. geforderten Entschädigung wegen einer angeblichen Altersdiskriminierung im Rahmen eines Einstellungsverfahrens für eine persönliche Assistenzkraft. J. M. P. macht nämlich geltend, ihre Bewerbung sei abgelehnt worden, weil sie außerhalb der im Stellenangebot verlangten Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren gelegen habe.

3.

Daher fragt das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) den Gerichtshof nach der in Betracht kommenden Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen des Alters und ersucht ihn insbesondere um Auslegung von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und/oder Art. 7 der Richtlinie 2000/78 im Licht der Bestimmungen der Charta und des VN-Übereinkommens.

4.

Mit den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, für Recht zu erkennen, dass Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie die einschlägige Bestimmung darstellt und im Licht von Art. 26 der Charta und Art. 19 des VN-Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er es nicht verbietet, auf der Grundlage einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass die Wünsche von Menschen mit Behinderung hinsichtlich der Organisation der ihnen zustehenden persönlichen Assistenz zu berücksichtigen sind, um die Autonomie und die Eingliederung dieser Personen in die Gesellschaft zu gewährleisten, die Einstellung einer persönlichen Assistenzperson von einer Altersvoraussetzung abhängig zu machen, sofern eine solche Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich ist.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Völkerrecht

5.

Art. 1 („Zweck“) des VN‑Übereinkommens bestimmt:

„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

…“

6.

In Art. 3 („Allgemeine Grundsätze“) dieses Übereinkommens heißt es:

„Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind:

a)

die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;

b)

die Nichtdiskriminierung;

c)

die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;

d)

die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;

…“

7.

In Art. 5 („Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung“) dieses Übereinkommens heißt es:

„(1)   Die Vertragsstaaten anerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben.

(4)   Besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.“

8.

Art. 12 („Gleiche Anerkennung vor dem Recht“) Abs. 2 dieses Übereinkommens sieht vor:

„Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.“

9.

Art. 19 („Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“) des VN-Übereinkommens lautet:

„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass

a)

Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

b)

Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;

c)

gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.“

B.   Unionsrecht

10.

Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2000/78 sieht vor:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

11.

Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

(5)   Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

12.

Art. 4 („Berufliche Anforderungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“

13.

Art. 5 („Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“) dieser Richtlinie lautet:

„Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaats ausreichend kompensiert wird.“

14.

In Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“) der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(1)   Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)

die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)

die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c)

die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

…“

15.

Art. 7 („Positive und spezifische Maßnahmen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden.

(2)   Im Falle von Menschen mit Behinderung steht der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern.“

C.   Deutsches Recht

1. Grundgesetz

16.

Art. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ( 5 ) vom 23. Mai 1949 in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)   Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2)   Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

…“

17.

Art. 2 Abs. 1 GG sieht vor:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

2. AGG

18.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ( 6 ) vom 14. August 2006 dient der Umsetzung der Richtlinie 2000/78 in deutsches Recht.

19.

§ 1 AGG, in dem das Ziel dieses Gesetzes bestimmt wird, lautet:

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

20.

In § 3 Abs. 1 AGG heißt es:

„Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. …“

21.

§ 5 AGG bestimmt:

„Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 … benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.“

22.

In § 7 Abs. 1 AGG heißt es:

„Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden …“

23.

§ 8 Abs. 1 AGG lautet:

„Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“

24.

§ 10 AGG bestimmt:

„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

1.

die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,

2.

die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,

3.

die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,

…“

25.

§ 15 Abs. 1 und 2 AGG bestimmt:

„(1)   Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. …

(2)   Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. …“

3. Sozialgesetzbuch

26.

§ 33 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ( 7 ) vom 11. Dezember 1975 lautet:

„Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.“

27.

§ 8 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ( 8 ) vom 23. Dezember 2016 bestimmt:

„Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 [SGB I]. …“

28.

§ 78 Abs. 1 SGB IX lautet:

„Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

29.

AP Assistenzprofis, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ist ein Unternehmen, das gemäß § 78 Abs. 1 SGB IX für Menschen mit Behinderung Assistenz- und Beratungsdienstleistungen erbringt, die gewährleisten sollen, dass diese Menschen ihren Alltag selbständig bewältigen können.

30.

Im Juli 2018 veröffentlichte dieses Unternehmen ein Stellenangebot, wonach die 28-jährige Studentin A. zu ihrer Unterstützung in allen Lebensbereichen des Alltags weibliche Assistentinnen suchte, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten.

31.

J. M. P., die 1968 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens, bewarb sich auf dieses Stellenangebot und erhielt von der Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Absage.

32.

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung ihrer Ansprüche erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Arbeitsgericht Köln (Deutschland) Klage gegen die Beklagte des Ausgangsverfahrens auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Altersdiskriminierung.

33.

In diesem Rahmen machte die Klägerin des Ausgangsverfahrens zum einen geltend, der Umstand, dass sich das Stellenangebot ausdrücklich an Personen im Alter „zwischen 18 und 30 Jahren“ gerichtet habe, begründe die Vermutung, dass sie im Bewerbungsverfahren wegen ihres Alters nicht berücksichtigt worden sei, was die Beklagte des Ausgangsverfahrens nicht widerlegt habe. Zum anderen sei die daraus resultierende Ungleichbehandlung wegen des Alters in Bezug auf die Assistenzdienstleistung unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Somit sei diese Ungleichbehandlung weder nach § 8 Abs. 1 AGG noch nach § 10 AGG zulässig, weil insbesondere ein bestimmtes Alter für das Vertrauensverhältnis im Rahmen einer solchen Assistenzdienstleistung nicht relevant sei. Nach Auffassung der Klägerin des Ausgangsverfahrens kann die persönliche Assistenz durch eine Person, die ein höheres als das in der Stellenausschreibung geforderte Alter hat, im Gegenteil aufgrund ihrer größeren Lebenserfahrung erhebliche Vorteile für die behinderte Person haben.

34.

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens beantragte die Abweisung der Klage und machte geltend, dass eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters nach § 8 Abs. 1 oder § 10 AGG gerechtfertigt sei. Sie wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die erforderliche Assistenz in einer höchstpersönlichen täglichen Begleitung bestehe, die alle Aspekte des Lebens umfasse und eine ständige und vollständige Abhängigkeit der betreuten Person von der Assistenzperson mit sich bringe. Das Erfordernis eines bestimmten Alters sei eine Voraussetzung für die Befriedigung der höchstpersönlichen Bedürfnisse der Assistenznehmerin A., damit diese adäquat am gesellschaftlichen Leben als Studentin an einer Universität teilnehmen könne.

35.

Nach Ansicht der Beklagten des Ausgangsverfahrens muss – wie § 8 Abs. 1 SGB IX dies vorsehe – den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Person Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang sei der legitime Wunsch, dass die Person, die diese Assistenz leiste, ein bestimmtes Alter habe, als eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG anzusehen, was es ermögliche, das in § 78 Abs. 1 SGB IX genannte Ziel der Leistungen für Assistenz zu erreichen. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hält eine solche Anforderung für angemessen. Darüber hinaus sei eine Ungleichbehandlung wegen des Alters auch nach § 10 AGG zulässig, weil sie objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung des in § 78 SGB IX genannten Ziels der persönlichen Assistenz angemessen und erforderlich seien.

36.

Das Arbeitsgericht Köln gab der Klage der Klägerin des Ausgangsverfahrens statt. Nachdem das Landesarbeitsgericht Köln (Deutschland) der Berufung der Beklagten des Ausgangsverfahrens gegen dieses Urteil stattgegeben hatte, legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen das Urteil dieses Gerichts beim vorlegenden Gericht Revision ein.

37.

Einleitend stellt dieses Gericht zum einen fest, dass eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 falle, da sie die Auswahlkriterien für den Zugang zur Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie betreffe. Zum anderen ist es der Ansicht, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens durch die Absage der Beklagten des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 erfahren habe.

38.

Das vorlegende Gericht, das sich mit einer Situation konfrontiert sieht, in der sowohl die Klägerin des Ausgangsverfahrens als auch die betroffene Person mit Behinderung Schutz vor Diskriminierung beanspruchen können, gibt an, dass sein Vorabentscheidungsersuchen darauf abziele, zu klären, wie im besonderen Fall der persönlichen Assistenz die Rechte jeder dieser Personen miteinander in Einklang zu bringen seien.

39.

Insoweit führt dieses Gericht aus, dass die persönliche Assistenz alle Lebensbereiche betreffe und in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person hineinreiche. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne diese Assistenz unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens sei eines der von A. geäußerten Bedürfnisse die Assistenz in der Universität, die in der Aufnahme und Verarbeitung der Studieninhalte bestehen und insbesondere das Anfertigen von Mitschriften einschließen könne. Bei jedem Zusammentreffen mit anderen Studierenden sei zwangsläufig persönliche Assistenz erforderlich, die damit integraler Bestandteil des universitären Lebens des betroffenen Menschen mit Behinderung sei.

40.

In allgemeiner Hinsicht weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die persönliche Assistenz auf dem Leitbild der Selbstbestimmung beruhe und somit darauf gerichtet sei, Menschen mit Behinderung zu befähigen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Dies bedeute insbesondere, dass diesen Personen die Befugnis übertragen werde, das Personal, das diese Unterstützung leiste, eigenständig auszuwählen, die Befugnis, diesem Personal Weisungen zu erteilen, sowie die Befugnis, die Modalitäten und den Umfang der Dienstleistungen festzulegen.

41.

So sei nach deutschem Recht bei der Entscheidung über die Leistungen und deren Ausführung gemäß § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen, soweit sie angemessen seien, wobei insbesondere auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht zu nehmen sei.

42.

Insgesamt solle das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten dem Anspruch behinderter Menschen auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung tragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation stärken, gleichberechtigt mit anderen und unter Achtung ihrer Würde an der Gesellschaft teilzuhaben. In diesem Zusammenhang führt das vorlegende Gericht mehrere Bestimmungen des VN-Übereinkommens an, darunter dessen Art. 1, 3, 5, 12 und 19, sowie mehrere Bestimmungen der Charta, darunter deren Art. 1, 7 und 26.

43.

Dieses Gericht ist der Ansicht, dass im Fall von Leistungen der persönlichen Assistenz die von Menschen mit Behinderung geäußerten Wünsche für die eigene Lebensgestaltung respektiert werden sollten. Insbesondere sollten diese Menschen, ebenso wie Menschen ohne Behinderung, die Wahl haben, mit wem sie ihr tägliches Leben teilen wollen. Daher sei zu entscheiden, ob es mit den Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 vereinbar sei, wenn Menschen mit Behinderung im Verfahren der Stellenbesetzung für eine persönliche Assistenz eine altersbezogene Präferenz zum Auswahlkriterium erhöben, obwohl Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters verbiete.

44.

Im Hinblick darauf fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, welche Bestimmung(en) dieser Richtlinie geeignet sein könnte(n), die in Rede stehende Ungleichbehandlung wegen des Alters zu rechtfertigen.

45.

Was als Erstes Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrifft, fragt sich dieses Gericht, ob der von einer Person mit Behinderung im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts geäußerte Wunsch, dass die Person, die die persönliche Assistenz leistet, einer bestimmten Altersgruppe angehören solle, ein Merkmal darstellt, das unter diese Bestimmung fällt, und ob eine Alterspräferenz eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Es äußert in dieser Hinsicht Zweifel, da sich der in Rede stehende konkrete Wunsch nicht verallgemeinern lasse und als solcher nicht durch die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben sei. So sei es beispielsweise möglich, dass ein anderer junger Mensch mit Behinderung seine Wahl eher auf eine Person im Alter seiner Eltern richten würde. Dies zeige, dass der von einem Menschen mit Behinderung jeweils geäußerte Wunsch auf subjektiven Prioritäten für die eigene, selbstbestimmte Lebensgestaltung beruhe.

46.

Was als Zweites Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrifft, führt das vorlegende Gericht aus, dass es sich nicht sicher sei, ob diese Bestimmung auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens anwendbar sei. Es meint, es könne zu erwägen sein, dass es ein „legitimes Ziel“ im Sinne dieser Bestimmung sein könne, dem Anspruch von Menschen mit Behinderung auf eine möglichst selbständige und unabhängige Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung zu tragen und die Eigenverantwortlichkeit dieser Menschen sowie ihre Motivation zur Teilhabe an der Gesellschaft zu stärken.

47.

Als Drittes führt das vorlegende Gericht aus, dass Art. 7 der Richtlinie 2000/78 die Gleichstellung im Berufsleben betreffe, was in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht Ziel der in Rede stehenden persönlichen Assistenz sei. Gleichwohl fragt sich dieses Gericht, ob dieser Artikel unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 und 4 des VN-Übereinkommens für eine Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Alters in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens von Bedeutung sein kann.

48.

Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78, der vorsieht, dass diese Richtlinie die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen unberührt lässt, die in einer demokratischen Gesellschaft u. a. für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens eine Benachteiligung wegen des Alters rechtfertigen kann. Unter Hinweis auf das Ziel der individuellen Assistenzdienstleistungen und angesichts der Tatsache, dass es einem Menschen ohne Behinderung im gleichen Alter von 28 Jahren wie A. freistehe, autonom darüber zu entscheiden, mit Menschen welchen Alters er das tägliche Leben teile, ist dieses Gericht der Ansicht, dass viel dafür spreche, dass für Menschen mit Behinderung ein solches freies Bestimmungsrecht auch im Hinblick auf die persönliche Assistenz gewährleistet sein müsse.

49.

Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 – im Licht der Vorgaben der Charta sowie im Licht von Art. 19 des VN-Übereinkommens – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?

50.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die griechische, die polnische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV. Würdigung

51.

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Achtung der individuellen Wünsche von Personen, die aufgrund ihrer Behinderung Anspruch auf Leistungen der persönlichen Assistenz haben, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters gemäß der Richtlinie 2000/78 rechtfertigen kann. In dieser Hinsicht ersucht dieses Gericht den Gerichtshof insbesondere um die Auslegung von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und/oder Art. 7 dieser Richtlinie im Licht der Bestimmungen der Charta und des VN-Übereinkommens ( 9 ).

52.

Zunächst ist zum einen klarzustellen, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt, weil ein Verfahren zur Einstellung einer persönlichen Assistenzperson, in dessen Rahmen verlangt wird, dass die Bewerberinnen vorzugsweise zwischen 18 und 30 Jahre alt sind, die „Bedingungen … für den Zugang zu[r] … Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie berührt, indem es zu diesem Zweck ein Auswahlkriterium im Sinne dieser Vorschrift vorsieht.

53.

Zum anderen lässt die Angabe dieser Alterspräferenz vermuten, dass eine Person, die sich auf das in Rede stehende Stellenangebot bewirbt und dieser Altersgruppe nicht angehört, eine weniger günstige Behandlung erfahren wird als eine andere Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet, aber dieser Altersgruppe angehört. Eine solche Ungleichbehandlung wegen des Alters stellt eine „unmittelbare Diskriminierung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dar.

54.

Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie zählt Gründe auf, die eine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigen können. So berührt diese Richtlinie nach dieser Bestimmung „nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“.

55.

Wie der Gerichtshof bereits klargestellt hat, wollte der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass dieser Bestimmung auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf dem Entstehen eines Spannungsfelds zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung einerseits und der notwendigen Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, der Verhütung von Rechtsverstößen sowie dem Schutz der individuellen Rechte und Freiheiten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind, andererseits vorbeugen und vermittelnd eingreifen. Er hat somit beschlossen, dass in bestimmten, in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 aufgeführten Fällen die in dieser Richtlinie aufgestellten Grundsätze für Maßnahmen, die Ungleichbehandlungen wegen eines der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe enthalten, nicht gelten, vorausgesetzt allerdings, dass diese Maßnahmen zum Erreichen der oben genannten Ziele notwendig sind ( 10 ).

56.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht außerdem hervor, dass Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie eng auszulegen ist, weil er eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen begründet ( 11 ).

57.

Damit Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 einen Rechtfertigungsgrund für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung wegen des Alters darstellen kann, ist als Erstes zu prüfen, ob es sich um eine im einzelstaatlichen Recht vorgesehene Maßnahme handelt, wie es diese Bestimmung verlangt.

58.

Meines Erachtens ist dies der Fall. Die in dem betreffenden Stellenangebot genannte Altersvoraussetzung stellt nämlich eine im einzelstaatlichen Recht vorgesehene Maßnahme dar, weil nach den Angaben des vorlegenden Gerichts § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I bestimmt, dass bei der Entscheidung über Leistungen der persönlichen Assistenz und bei der Ausführung dieser Leistungen den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen ist, soweit sie angemessen sind, wobei u. a. die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse dieser Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ( 12 ). Wie das vorlegende Gericht ausführt, unterliegen Leistungen der persönlichen Assistenz somit der Einhaltung der Bestimmungen des nationalen Rechts, in denen das Recht von Menschen mit Behinderung verankert ist, ihre Wünsche hinsichtlich der Erbringung solcher Leistungen zu äußern, um ihre Autonomie und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu gewährleisten.

59.

Mit der Kommission bin ich der Ansicht, dass es für die Frage, ob Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 anwendbar ist, darauf ankommt, dass die Grundsatzentscheidung über die Relevanz bestimmter Interessen vom nationalen Gesetzgeber im Rahmen einer Abwägung der durch diese Richtlinie geschützten Interessen getroffen wurde. Auf der Grundlage dieser vom nationalen Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung können sodann individuelle Maßnahmen, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, erlassen werden. Dieser Artikel sollte mithin auf solche Maßnahmen anwendbar sein, mit denen die Erbringer persönlicher Assistenzleistungen im Ergebnis nur die vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen umsetzen ( 13 ).

60.

Als Zweites ist zu prüfen, ob die nationale Regelung eines der in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 vorgesehenen Ziele verfolgt, nämlich den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

61.

Dies ist hier zu bejahen. Wie das vorlegende Gericht ausführt, soll nämlich das durch diese Regelung garantierte Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsempfänger dem Anspruch von Menschen mit Behinderung auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung tragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation stärken, gleichberechtigt mit anderen und unter Achtung ihrer Würde an der Gesellschaft teilzuhaben.

62.

Daher stimme ich dem vorlegenden Gericht zu, dass angesichts der Tatsache, dass es einer nicht behinderten Person im Alter von A. freisteht, autonom darüber zu entscheiden, mit Menschen welchen Alters sie das tägliche Leben teilen möchte, für Menschen mit Behinderung ein solches freies Bestimmungsrecht auch im Hinblick auf die persönliche Assistenz gewährleistet sein sollte. Wie die polnische Regierung zutreffend ausführt, hilft ein persönlicher Assistent einem Menschen mit Behinderung, die Barrieren zu überwinden, die seine Fähigkeit beeinträchtigen, am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben in gleicher Weise wie Menschen ohne Behinderung teilzunehmen.

63.

Letztlich ist das schützenswerte Recht anderer im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 hier das Menschen mit Behinderung zustehende Recht auf Selbstbestimmung, das sie in die Lage versetzen muss, zu entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben, um ihre Autonomie und ihre Einbeziehung in die Gesellschaft zu gewährleisten. Dieses Recht bedeutet insbesondere, dass diese Menschen die Möglichkeit haben müssen, die ihnen zu erbringende Dienstleistung zu konzipieren und der Person, die ihnen Assistenz leistet, direkt Anweisungen zu erteilen, wozu auch gehört, die Kriterien für die Auswahl ihrer persönlichen Assistenzperson festzulegen und sich aktiv am Verfahren ihrer Einstellung zu beteiligen.

64.

Die Rechtmäßigkeit des in dieser Weise von der nationalen Regelung verfolgten Ziels steht außer Zweifel, weil es im Einklang mit Art. 26 der Charta die Eigenständigkeit und die soziale und berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung sowie ihre Teilhabe am Leben der Gemeinschaft gewährleisten soll.

65.

Um die Rechtmäßigkeit dieses Ziels zu untermauern, ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78 nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit dem VN-Übereinkommen auszulegen ist ( 14 ). Wie das vorlegende Gericht ausführt, zielt dieses Übereinkommen jedoch darauf ab, die individuelle Autonomie und die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft gleichberechtigt mit anderen Menschen und unter Achtung ihrer Würde zu gewährleisten. Insbesondere werden in Art. 19 dieses Übereinkommens mehrere Maßnahmen aufgeführt, die die Vertragsstaaten des Übereinkommens einführen müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehören die Möglichkeit für Menschen mit Behinderung, zu entscheiden, wo und mit wem sie leben ( 15 ), sowie die Gewährleistung des Zugangs zur persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist ( 16 ). Außerdem stellt Art. 5 Abs. 4 des VN-Übereinkommens klar, dass besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens gelten.

66.

Als Drittes ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine individuelle Maßnahme getroffen wurde, die die vom nationalen Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I getroffene Wahl konkretisiert, zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung wegen des Alters zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 notwendig ist.

67.

In dieser Hinsicht bin ich der Auffassung, dass die auf der Grundlage der nationalen Regelung im Hinblick auf die Einstellung einer persönlichen Assistenzperson eines Menschen mit Behinderung zum Ausdruck gebrachte Alterspräferenz angemessen ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, das im vorliegenden Fall darin besteht, das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderung zu schützen, um ihre Autonomie sowie ihre Integration in die Gesellschaft zu gewährleisten.

68.

Abgesehen davon, dass es sich um eine Präferenz („[sollten] am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“) und nicht um ein zwingendes Erfordernis handelt, ergibt sich nämlich aus § 78 Abs. 1 SGB IX, dass die Leistungen der persönlichen Assistenz insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen umfassen. Die persönliche Assistenz betrifft somit alle Lebensbereiche und reicht in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person hinein, was es rechtfertigt, die von dieser Person geäußerten Wünsche zu respektieren.

69.

Darüber hinaus kann eine solche Assistenz je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens ist eines der von A. geäußerten spezifischen Bedürfnisse die Assistenz bei ihrem Universitätsstudium. Diese Assistenz kann insbesondere in der Aufnahme und Verarbeitung der Studieninhalte bestehen und das Anfertigen von Mitschriften einschließen. Darüber hinaus ist bei jeder Begegnung mit anderen Studierenden zwangsläufig eine persönliche Assistenz erforderlich, die damit integraler Bestandteil des universitären Lebens des betroffenen Menschen mit Behinderung ist. Auf dieses besondere Bedürfnis dürfte die im hier in Rede stehenden Stellenangebot erwähnte Alterspräferenz zurückzuführen sein. Dem liegt nämlich der Gedanke zugrunde, dass aus der Sicht von A. eine Person, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt“ ist, aufgrund der psychologischen und sozialen Merkmale, die für diese Altersgruppe typisch sind, diesen Teil der erforderlichen persönlichen Assistenz besser erfüllen kann, insbesondere indem sie eine bessere Studienbetreuung und eine bessere Teilnahme sowie eine bessere Integration von A. in das soziale Leben an der Universität ermöglicht. In dieser Hinsicht machen die Beklagte des Ausgangsverfahrens und die polnische Regierung geltend, dass es einer Person, die persönliche Assistenz leistet und im ähnlichen Alter wie A. ist, leichter gelingen könnte, sich in das soziale Umfeld von A. zu integrieren und folglich deren Autonomie und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu stärken.

70.

So betrachtet scheint mir eine Alterspräferenz wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende das in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 vorgesehene Kriterium der Notwendigkeit zu erfüllen. Die Äußerung einer solchen Alterspräferenz stellt nämlich die Konkretisierung des Rechts von Menschen mit Behinderung dar, über ihr eigenes Leben zu bestimmen und alle sie betreffenden Entscheidungen zu treffen, weil dies dazu beiträgt, ihre Autonomie und ihre Integration in die Gesellschaft zu gewährleisten. Die Berücksichtigung des – in meinen Augen völlig legitimen – Standpunkts von A., dass ihr eine annähernd gleichaltrige Person eine zufriedenstellende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gewährleisten könne, geht jedenfalls meines Erachtens nicht über das hinaus, was notwendig ist, um das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

71.

Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der ihm zur Verfügung stehenden Angaben zu prüfen, ob das Kriterium der Notwendigkeit im vorliegenden Fall erfüllt ist.

72.

Da Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen – eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende rechtfertigen kann, besteht meines Erachtens für den Gerichtshof kein Anlass, zu prüfen, ob eine solche Maßnahme auch im Hinblick auf andere Bestimmungen dieser Richtlinie gerechtfertigt sein könnte ( 17 ).

73.

Jedenfalls halte ich die anderen Bestimmungen dieser Richtlinie, auf die sich das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen bezieht, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht für einschlägig.

74.

Was zunächst Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrifft, weise ich darauf hin, dass nach dieser Vorschrift „[die Mitgliedstaaten] [u]ngeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 [dieser Richtlinie] … vorsehen [können], dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“.

75.

Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen muss ( 18 ).

76.

Zudem ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, soweit er es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, im Licht des 23. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie, der auf „sehr [begrenzte] Bedingungen“ Bezug nimmt, unter denen eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann, eng auszulegen ( 19 ).

77.

Was die Frage betrifft, ob ein altersbezogenes Merkmal im Kontext des Ausgangsverfahrens eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen kann, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten mit dem Alter in Zusammenhang steht ( 20 ). Im Gegensatz zu den Berufsfeldern, die der Gerichtshof bislang zu beurteilen hatte, also beispielsweise bei den Tätigkeiten des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes ( 21 ), der Polizeibeamten ( 22 ) oder der Piloten von Luftfahrzeugen ( 23 ), kommt es jedoch im Rahmen des Ausgangsverfahrens auf die Anwendung mit dem Alter zusammenhängender körperlicher Kraft im Sinne des 18. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie nicht an.

78.

Abgesehen davon braucht ein altersbedingtes Merkmal meines Erachtens nicht notwendigerweise im Besitz besonderer körperlicher Fähigkeiten zu bestehen, um eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen zu können. Jedes Alter zeichnet sich nämlich auch durch andere Fähigkeiten, insbesondere sozialer oder psychologischer Art, aus. Für ausschlaggebend halte ich hingegen, dass das so bestimmte altersbezogene Merkmal von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist. Dieses Merkmal muss mit anderen Worten für die erfolgreiche Durchführung einer solchen Tätigkeit unerlässlich sein.

79.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die persönliche Assistenz für eine Person mit Behinderung alle Lebensbereiche betrifft und in die Privat- und Intimsphäre dieser Person hineinreicht. Außerdem kann diese Assistenz verschiedenen Bedürfnissen Rechnung tragen, im vorliegenden Fall etwa der Begleitung von A. bei ihrem Studium an der Universität.

80.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte scheint mir eine Alterspräferenz wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende durchaus verständlich zu sein, und dies hat mich im Übrigen zu der vorstehend dargelegten Auffassung veranlasst, dass es im Hinblick auf Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann, einem derartigen Wunsch zu entsprechen.

81.

Die Feststellung, dass es aus der Sicht von A. aufgrund der für diese Altersgruppe typischen psychologischen und sozialen Merkmale vorzuziehen ist, wenn ihre persönliche Assistentin zwischen 18 und 30 Jahre alt ist, bedeutet jedoch nicht, dass es sich dabei um Merkmale handelt, die für die Erfüllung der verschiedenen zur persönlichen Assistenz gehörenden Aufgaben, insbesondere derjenigen, die sich auf die Assistenz im Rahmen des Studiums an der Universität beziehen, als unerlässlich angesehen werden können. Wie die Kommission zu Recht feststellt, könnte nämlich auch eine Assistentin, deren Alter außerhalb der hier in Betracht gezogenen Altersspanne liegt, die Aufgaben erfüllen, die für die Erbringung der persönlichen Assistenz erforderlich sind, einschließlich der Aufgaben, die das Universitätsleben betreffen.

82.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs weist offenbar ebenfalls in die von mir angegebene Richtung. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 auf eine Anforderung verweist, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist. Er kann sich hingegen nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen, erstrecken ( 24 ). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich meines Erachtens, dass nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie nur solche Merkmale als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ eingestuft werden können, die im jeweiligen Einzelfall für die Ausübung der betreffenden beruflichen Tätigkeiten objektiv unerlässlich sind. Im vorliegenden Fall steht jedoch entgegen dem Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens fest, dass die betreffende berufliche Tätigkeit objektiv gesehen auch von einer Person ausgeübt werden könnte, deren Alter außerhalb der gewünschten Altersspanne liegt, auch wenn die erbrachte Leistung dann aus der Sicht von A. weniger zufriedenstellend auf ihre Bedürfnisse, insbesondere auf das Bedürfnis nach Assistenz im Rahmen ihres Universitätsstudiums, ausgerichtet wäre.

83.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass sich die Bedürfnisse, die eine Leistung der persönlichen Assistenz erfüllen soll, nicht oder zumindest nicht in ihrer Gesamtheit a priori bestimmen lassen, weil es zum Wesen dieser Art von Leistungen gehört, von Fall zu Fall auf die legitimen Wünsche der Person einzugehen, der diese Leistung zugutekommen soll.

84.

Gerade die Notwendigkeit, jede Leistung an jede besondere Situation entsprechend den geäußerten Bedürfnissen anzupassen, lässt es aufgrund ihrer subjektiven Dimension nicht zu, dieses oder jenes geforderte Merkmal als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung anzusehen, die objektiv durch die Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung vorgegeben ist.

85.

So ist der Wunsch nach einer bestimmten Altersgruppe das Ergebnis einer subjektiven Erwägung in dem Sinne, dass sie auf der individuellen Vorstellung der im vorliegenden Fall zu unterstützenden Person beruht, eine Person dieser Altersgruppe werde ihr eine qualitativ bessere Assistenz bieten. Allerdings bedeutet die Äußerung einer solchen Präferenz nicht, dass die Eigenschaften dieser Altersgruppe, insbesondere in Bezug auf soziale oder psychologische Fähigkeiten, objektiv von der Tätigkeit der persönlichen Assistenz vorgegeben sind. Mit anderen Worten: Aus der Sicht der unterstützten Person wird die erforderte Assistenz besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sein. Demgegenüber könnte eine andere unterstütze Person der Ansicht sein, dass eine ältere persönliche Assistentin aufgrund ihrer Erfahrung und Reife, die sie im Laufe ihres Berufslebens erworben hat, besser auf ihre Bedürfnisse eingehen kann.

86.

Ein altersbezogenes Merkmal, das aus der Sicht der Person mit Behinderung die Bedingungen der Ausübung einer Leistung der persönlichen Assistenz verbessert, kann daher nach meiner Auffassung keine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen, da dies bedeuten würde, dass in jedem Fall der Standpunkt der Person, die diese Leistung in Anspruch nimmt, berücksichtigt werden müsste. So legitim die geäußerten Wünsche auch sein mögen, wäre die Annahme, dass sie für die Feststellung des Bestehens einer solchen wesentlichen Anforderung ausreichten, darüber hinaus nach meiner Ansicht nicht mit der Notwendigkeit vereinbar, diese Bestimmung eng auszulegen und die darin vorgesehene Rechtfertigung nur unter „sehr begrenzten Bedingungen“ zuzulassen, wie es im 23. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt.

87.

In Anbetracht dessen bin ich der Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung wegen des Alters nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden kann.

88.

Was sodann Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrifft, ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass „[u]ngeachtet des Artikels 2 Absatz 2 [dieser Richtlinie] … die Mitgliedstaaten vorsehen [können], dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“.

89.

Zum Erfordernis eines legitimen Ziels im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die Ziele, die als „legitim“ und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung sind. Diese legitimen Ziele unterscheiden sich insoweit, als sie im Allgemeininteresse stehen, von rein individuellen Beweggründen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind ( 25 ).

90.

Wie ich bereits erwähnt habe, soll die nationale Regelung, die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Einzelmaßnahme zugrunde liegt, dem Anspruch von Menschen mit Behinderung auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung tragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation stärken, gleichberechtigt mit anderen und unter Achtung ihrer Würde an der Gesellschaft teilzuhaben. Ein solches Ziel stellt jedoch kein legitimes Ziel der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarkts oder der beruflichen Bildung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 dar. Meines Erachtens ist diese Bestimmung daher für die Zwecke der Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ungleichbehandlung wegen des Alters nicht relevant.

91.

Schließlich ist zu prüfen, ob Art. 7 der Richtlinie 2000/78 im vorliegenden Fall Anwendung findet.

92.

Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt, dass „[d]er Gleichbehandlungsgrundsatz … die Mitgliedstaaten nicht daran [hindert], zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 [dieser Richtlinie] genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden“. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie sieht vor, dass „[i]m Falle von Menschen mit Behinderung … der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen[steht], Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch … Maßnahmen entgegen[steht], mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern“.

93.

Mit der Kommission bin ich der Ansicht, dass weder die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einzelmaßnahme noch die nationale Regelung, auf der diese Maßnahme beruht, unter Art. 7 der Richtlinie 2000/78 fallen, der, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, die Gleichstellung im Berufsleben gewährleisten soll. Dies ist aber nicht das Ziel, das mit dieser Regelung und dieser Maßnahme verfolgt wird.

94.

Was zum einen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrifft, ergibt sich aus Rn. 64 des Urteils vom 22. Januar 2019, Cresco Investigation ( 26 ), dass diese Bestimmung den bestimmten und begrenzten Zweck hat, Maßnahmen zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber im sozialen Leben etwa bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen. Da sich sowohl aus dem Titel und den Erwägungsgründen als auch aus dem Inhalt und der Zielsetzung dieser Richtlinie ergibt, dass diese einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf schaffen soll ( 27 ), ist der Begriff „soziales Leben“ meines Erachtens schon nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin zu verstehen, dass er sich allein auf das „Berufsleben“ bezieht.

95.

Was zum anderen Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 betrifft, soll dieser spezifische Maßnahmen erlauben, die effektiv darauf abzielen, etwaige faktische Ungleichheiten, die Menschen mit Behinderungen in ihrem Sozial- und insbesondere Berufsleben beeinträchtigen, zu beseitigen oder zu verringern und dadurch eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herzustellen ( 28 ). Auch wenn Rn. 47 des Urteils vom 9. März 2017, Milkova ( 29 ), dahin gehend ausgelegt werden könnte, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht auf das Berufsleben beschränkt ist, sollte eine solche Auslegung meines Erachtens aus dem mit dem Ziel dieser Richtlinie zusammenhängenden Grund, den ich in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angegeben habe, verworfen werden. Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. Juli 2008, Coleman ( 30 ), den Geltungsbereich dieser Bestimmung ausdrücklich auf das „Arbeitsleben“ beschränkt hat.

96.

Um auf eine diesbezügliche Frage des vorlegenden Gerichts einzugehen, bin ich außerdem nicht der Ansicht, dass die Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 und 4 des VN-Übereinkommens dazu führen könnte, den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie 2000/78 über die Maßnahmen zur Gleichstellung im Berufsleben hinaus auszuweiten.

97.

In Anbetracht dessen halte ich Art. 7 dieser Richtlinie nicht für relevant, um die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung wegen des Alters zu rechtfertigen, deren Ziel es ist, allgemein die Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderung und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu gewährleisten ( 31 ).

V. Ergebnis

98.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist im Licht von Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

dahin auszulegen, dass

er es nicht verbietet, die Einstellung einer persönlichen Assistenzperson auf der Grundlage einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass die Wünsche von Menschen mit Behinderung hinsichtlich der Organisation der ihnen zustehenden persönlichen Assistenz zu berücksichtigen sind, um die Autonomie und die Eingliederung dieser Personen in die Gesellschaft zu gewährleisten, von einer Altersvoraussetzung abhängig zu machen, sofern eine solche Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2000, L 303, S. 16.

( 3 ) Im Folgenden: Charta.

( 4 ) ABl. 2010, L 23, S. 35, im Folgenden: VN‑Übereinkommen.

( 5 ) BGBl. 1949 I S. 1, im Folgenden: GG.

( 6 ) BGBl. 2006 I S. 1897, im Folgenden: AGG.

( 7 ) BGBl. 1975 I S. 3015, im Folgenden: SGB I.

( 8 ) BGBl. 2016 I S. 3234, im Folgenden: SGB IX.

( 9 ) Ich stelle fest, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Stellenangebot auch ein Auswahlkriterium enthält, das sich auf das Geschlecht der gesuchten persönlichen Assistenzperson bezieht. Da das vorlegende Gericht den Gerichtshof jedoch nur nach der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen des Alters im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78 fragt, hat der Gerichtshof in seinem Urteil den möglicherweise diskriminierenden Charakter dieses geschlechtsbezogenen Kriteriums, das nicht unter diese Richtlinie fällt, nicht zu prüfen.

( 10 ) Vgl. u. a. Urteil vom 12. Januar 2023, TP (Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen) (C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Vgl. u. a. Urteil vom 12. Januar 2023, TP (Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen) (C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 12 ) Das vorlegende Gericht verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Gesetzesbegründung zu § 78 Abs. 2 SGB IX.

( 13 ) Im gleichen Sinne weise ich darauf hin, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass die Mitgliedstaaten es den Sozialpartnern über Ermächtigungsvorschriften gestatten können, Maßnahmen im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 auf den in dieser Bestimmung genannten Gebieten, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, zu treffen. Diese Ermächtigungsvorschriften müssen hinreichend genau sein, damit gewährleistet wird, dass die genannten Maßnahmen die in Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie genannten Anforderungen beachten; vgl. Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a. (C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 61).

( 14 ) Vgl. u. a. Urteil vom 10. Februar 2022, HR Rail (C‑485/20, EU:C:2022:85, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Vgl. Art. 19 Buchst. a des VN-Übereinkommens.

( 16 ) Vgl. Art. 19 Buchst. b des VN-Übereinkommens. Vgl. zu diesen Aspekten UN Committee on the Rights of Persons with Disabilities, „General comment No. 5 (2017) on living independently and being included in the community“.

( 17 ) Vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen Urteile vom 12. Januar 2010, Wolf (C‑229/08, EU:C:2010:3, Rn. 45), und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 49).

( 18 ) Vgl. u. a. Urteil vom 17. November 2022, Ministero dell’Interno (Altersgrenze für die Einstellung von Polizeikommissaren) (C‑304/21, EU:C:2022:897, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Vgl. u. a. Urteil vom 21. Oktober 2021, Komisia za zashtita ot diskriminatsia (C‑824/19, EU:C:2021:862, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 20 ) Vgl. u. a. Urteil vom 17. November 2022, Ministero dell’Interno (Altersgrenze für die Einstellung von Polizeikommissaren) (C‑304/21, EU:C:2022:897, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Vgl. Urteil vom 12. Januar 2010, Wolf (C‑229/08, EU:C:2010:3).

( 22 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873).

( 23 ) Vgl. Urteil vom 7. November 2019, Cafaro (C‑396/18, EU:C:2019:929).

( 24 ) Vgl. Urteil vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH (C‑188/15, EU:C:2017:204, Rn. 40).

( 25 ) Vgl. Urteil vom 5. März 2009, Age Concern England (C‑388/07, EU:C:2009:128, Rn. 46).

( 26 ) C‑193/17, EU:C:2019:43.

( 27 ) Vgl. u. a. Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 31).

( 28 ) Vgl. Urteil vom 9. März 2017, Milkova (C‑406/15, EU:C:2017:198, Rn. 47).

( 29 ) C‑406/15, EU:C:2017:198.

( 30 ) C‑303/06, EU:C:2008:415, Rn. 42.

( 31 ) Ferner weise ich – obwohl das vorlegende Gericht dies in seiner Vorlagefrage nicht erwähnt – für alle Fälle darauf hin, dass die Anwendung von Art. 5 der Richtlinie 2000/78, der sich mit angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung befasst, ebenfalls nicht in Betracht kommt, weil dieser Artikel die Maßnahmen betrifft, die der Arbeitgeber ergreifen muss, um einem Menschen mit Behinderung den Zugang zu einer Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg oder eine Ausbildung zu ermöglichen, was nicht der Situation entspricht, um die es im Ausgangsverfahren geht.