SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 25. Mai 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑249/22

BM

gegen

Gebühren Info Service GmbH (GIS),

Beteiligte:

Bundesministerium für Finanzen,

Österreichischer Rundfunk

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs, Österreich)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. c – Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden – Begriff – Tätigkeit einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt, die aus einer Zwangsgebühr finanziert wird, die von Personen erhoben wird, die ein Rundfunkempfangsgerät besitzen und sich im terrestrischen Sendegebiet befinden – Art. 378 Abs. 1 und Anhang X Teil A Nr. 2 – Akte über den Beitritt Österreichs – Art. 151 Abs. 1 und Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h – Ausnahme – Anwendungsbereich“

Einführung

1.

In seinem Urteil vom 22. Juni 2016, Český rozhlas (C‑11/15, im Folgenden: Urteil Český rozhlas, EU:C:2016:470), entschied der Gerichtshof, dass eine Tätigkeit des öffentlichen Rundfunks, die durch eine gesetzlich vorgesehene Zwangsgebühr finanziert wird, die von Personen gezahlt wird, die Besitzer eines Rundfunkempfangsgeräts sind, keine Dienstleistung gegen Entgelt darstellt und somit nicht in den Anwendungsbereich des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems fällt.

2.

Im Anschluss an dieses Urteil forderten die Gebührenpflichtigen in einigen Mitgliedstaaten, in denen diese Gebühren mit der Mehrwertsteuer besteuert waren, die Erstattung dieser Steuer, da sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sei. In Österreich führte dies zur Einreichung einer Sammelklage, zu der auch das Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache gehört. Ein ähnliches Verfahren ist auch in Dänemark anhängig ( 2 ).

3.

In diesem Zusammenhang weisen die Beteiligten wie auch die Europäische Kommission darauf hin, dass die Mehrwertsteuervorschriften des Unionsrechts für einige Mitgliedstaaten eine Ausnahmeregelung vorsehen, die es ihnen erlaubt, die Tätigkeit öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten zu besteuern. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Ausnahmeregelung die Schlussfolgerungen aus dem Urteil Český rozhlas ändert.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

4.

Gemäß Art. 151 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge vom 26. Juli 1994 (im Folgenden: Beitrittsakte von 1994) ( 3 ) in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h ( 4 ) dieser Akte kann Österreich in Abweichung vom Unionsrecht über die Mehrwertsteuer unter anderem die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten besteuern ( 5 ). Diese Besteuerung darf sich nicht auf die Eigenmittel der Union auswirken, deren Grundlage gemäß der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 ( 6 ) wiederhergestellt werden sollte.

5.

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ( 7 ) bestimmt:

,,Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)

Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt …“.

6.

Art. 132 Abs. 1 Buchst. q dieser Richtlinie besagt:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

q)

Tätigkeiten öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter.“

7.

Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Österreich darf die in Anhang X Teil A Nummer 2 genannten Umsätze weiterhin besteuern.“

8.

In Anhang X dieser Richtlinie sind in Teil A Nr. 2 „Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die keinen gewerblichen Charakter aufweisen“ aufgeführt.

Österreichisches Recht

9.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Einhebung von Rundfunkgebühren (RGG) ( 8 ) hat, wer eine Rundfunkempfangseinrichtung in Gebäuden betreibt, „Rundfunkgebühren“ zu entrichten. Dem Betrieb einer solchen Rundfunkempfangseinrichtung ist deren Betriebsbereitschaft gleichzuhalten. Gemäß § 4 Abs. 1 RGG obliegt die Einbringung der Gebühren und sonstiger damit verbundener Abgaben und Entgelte der GIS Gebühren Info Service GmbH (im Folgenden: GIS).

10.

Gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF‑G) ( 9 ) wiederum wird eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit der Bezeichnung „Österreichischer Rundfunk“ (im Folgenden: ORF) eingerichtet.

11.

In § 31 ORF‑G wird ein „Programmentgelt“ festgelegt, dessen Höhe vom Stiftungsrat der oben genannten Stiftung bestimmt wird. Jeder Besitzer eines Rundfunkempfangsgeräts, der sich im terrestrischen Sendegebiet (in analoger oder digitaler Technik) der ORF‑Programme befindet, ist zur Zahlung des Programmentgelts verpflichtet. Die Einbringung des Programmentgelts erfolgt zur gleichen Zeit und unter den gleichen Bedingungen wie die Einbringung der Rundfunkgebühr.

12.

Schließlich bezieht § 10 des Bundesgesetzes über die Besteuerung der Umsätze ( 10 ) insbesondere die Leistungen der Rundfunkunternehmen, soweit hierfür Rundfunk- und Fernsehrundfunkentgelte entrichtet werden, in die ermäßigte Besteuerung ein.

Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13.

BM, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine Rundfunkteilnehmerin, die zur Entrichtung des Programmentgelts verpflichtet ist. Zwischen dem 1. Oktober 2013 und dem 31. Oktober 2018 zahlte sie u. a. Mehrwertsteuer in Höhe von 100,57 Euro auf das zu entrichtende Programmentgelt. Am 23. Oktober 2018 stellte sie bei der GIS einen Antrag auf Erstattung dieses Betrages, da er unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sei. Insbesondere im Lichte des Urteils Český rozhlas unterlägen die Tätigkeiten öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten, die durch eine Abgabe wie das österreichische Programmentgelt finanziert würden, nämlich nicht der Mehrwertsteuer.

14.

Die GIS lehnte die Erstattung der Mehrwertsteuer ab, woraufhin BM beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einlegte. Das Gericht wies diese Beschwerde jedoch mit der Begründung ab, dass die sich aus diesem Urteil ergebende Auslegung nicht auf das österreichische Programmentgelt anwendbar sei. BM legte gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Revision beim vorlegenden Gericht ein.

15.

Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist ein Entgelt wie das österreichische ORF‑Programmentgelt, das die öffentliche Rundfunkanstalt selber festsetzt, um ihren Betrieb zu finanzieren, unter Berücksichtigung der primärrechtlichen Bestimmung des Art. 151 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge als Entgelt im Sinne des Art. 2 in Verbindung mit Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 anzusehen?

2.

Ist bei Bejahung der Frage 1 das dort genannte ORF‑Programmentgelt auch insoweit als Entgelt im Sinne der Richtlinie 2006/112 anzusehen, als Personen zu deren Entrichtung verpflichtet sind, die zwar ein Rundfunkempfangsgerät in einem Gebäude betreiben, das vom ORF mit seinen Programmen terrestrisch versorgt wird, diese Programme des ORF aber mangels eines erforderlichen Empfangsmoduls nicht empfangen können?

16.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 11. April 2022 beim Gerichtshof eingegangen. Schriftliche Erklärungen wurden eingereicht von den Parteien des Ausgangsverfahrens, dem ORF, der österreichischen und der dänischen Regierung sowie der Kommission. Dieselben Verfahrensbeteiligten waren, ebenso wie die französische Regierung, in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2023 vertreten.

Würdigung

17.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrt die Erstattung der Mehrwertsteuer, die auf das von ihr gezahlte Programmentgelt aufgeschlagen wurde. Sie ist nämlich der Meinung, dass im Lichte des Urteils Český rozhlas diese Steuer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sei. Mit den zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen in dieser Rechtssache, die ich gemeinsam zu behandeln vorschlage, möchte das vorlegende Gericht somit im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 378 Abs. 1 dieser Richtlinie sowie Art. 151 Abs. 1 der Beitrittsakte von 1994 und deren Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h dahin auszulegen sind, dass die Republik Österreich berechtigt ist, auf das Programmentgelt im Sinne des § 31 ORF‑G Mehrwertsteuer zu erheben.

18.

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst das Wesen des Programmentgelts im Licht von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 zu analysieren und sodann zu prüfen, welche Auswirkungen Art. 378 Abs. 1 dieser Richtlinie und, davon ausgehend, Art. 151 Abs. 1 der Beitrittsakte von 1994 sowie die entsprechende Nummer des Anhangs XV dieser Akte auf diese Rechtsfrage haben können.

Zum Wesen des Programmentgelts

19.

Sowohl das vorlegende Gericht in seinem Beschluss als auch die GIS, der ORF und die österreichische Regierung in ihren Schriftsätzen machen geltend, dass sich das österreichische Programmentgelt in grundlegender Weise von dem in der Rechtssache, in der das Urteil Český rozhlas ergangen sei, in Rede stehenden Entgelt unterscheide und daher als Entgelt für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen des ORF angesehen werden könne und dass diese Dienstleistungen daher als entgeltlich im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 anzusehen seien.

20.

Diese Unterschiede ergäben sich erstens daraus, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Programmentgelts nicht an den bloßen Besitz eines Empfangsgeräts, sondern an die tatsächliche Möglichkeit des Empfangs von ORF‑Sendungen geknüpft sei. Diese Möglichkeit ergebe sich aus dem Vorhandensein eines Empfangsgeräts, das zum Empfang dieser Sendungen (terrestrisch, über Satellit oder Kabel) bereit sei und sich in deren Sendegebiet befinde ( 11 ). Der Erwerb eines solchen Empfangsgeräts und dessen Anpassung an den Empfang von ORF‑Sendungen sei ein Ausdruck des Wunsches des Empfängers, die Dienstleistungen dieser Rundfunkanstalt zu nutzen. Zweitens werde die Höhe des Programmentgelts im Gegensatz zu dem Entgelt in der Rechtssache, in der das Urteil Český rozhlas ergangen sei, nicht vom Gesetzgeber, sondern vom ORF festgelegt. Drittens schließlich habe der österreichische Gesetzgeber bei der Einführung des Programmentgelts im Jahr 1966 eine Rechtsfiktion in Form eines zivilrechtlichen Verhältnisses zwischen dem ORF und den (potenziellen) Empfängern der Programme dieser Rundfunkanstalt schaffen müssen. Dem vorlegenden Gericht zufolge ist das Bestehen dieser Rechtsfiktion trotz der seitherigen Gesetzesänderung in der Rechtsprechung österreichischer Gerichte weiterhin anerkannt.

21.

Meines Erachtens rechtfertigen die oben genannten Unterschiede zwischen dem österreichischen Programmentgelt und dem Entgelt in der Rechtssache, in der das Urteil Český rozhlas ergangen ist, jedoch keine unterschiedliche Beurteilung des österreichischen Entgelts unter dem Gesichtspunkt der Richtlinie 2006/112.

22.

Denn ähnlich wie in der oben genannten Rechtssache, handelt es sich um zwei rechtlich voneinander unabhängige Leistungen. Einerseits strahlt der ORF in Erfüllung des ihm vom Gesetzgeber übertragenen Auftrags Radio- und Fernsehprogramme zum freien Empfang aus, andererseits sind potenzielle Empfänger dieser Programme, die mit entsprechenden Empfangsgeräten ausgestattet sind, per Gesetz zur Zahlung des Programmentgelts verpflichtet. Dabei ist klar, dass diese Empfangsgeräte auch für den Empfang von Sendungen anderer Rundfunkveranstalter sowie für Zwecke, die mit dem Genuss von Sendungen von Rundfunk- und Fernsehanstalten nichts zu tun haben, verwendet werden können, so dass ihr Erwerb und ihre Adaptierung für den Empfang von Sendungen keinesfalls als Ausdruck des Wunsches nach Nutzung der Dienste des ORF angesehen werden kann.

23.

Wie in der Rechtssache, in der das Urteil Český rozhlas ergangen ist, so besteht auch im vorliegenden Fall zwischen dem ORF und den zur Zahlung des Programmentgelts verpflichteten Personen kein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden ( 12 ). Allein der Umstand, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Programmentgelts nicht an die formale Voraussetzung des Besitzes eines Empfangsgeräts, sondern an die tatsächliche Möglichkeit des Empfangs von Sendungen anknüpft, ändert hieran nichts Grundlegendes.

24.

Die Situation in der vorliegenden Rechtssache unterscheidet sich daher von derjenigen, die der Gerichtshof in der Rechtssache Kennemer Golf ( 13 ) geprüft hat, auf die das vorlegende Gericht in seinem Beschluss hinweist. Im letztgenannten Fall schloss der Dienstleistungsempfänger nämlich freiwillig einen Vertrag mit dem Dienstleistungserbringer ab, der ihn gegen eine Pauschalzahlung dazu berechtigte, die Anlagen des Sportvereins für einen bestimmten Zeitraum zu nutzen. Obwohl die Frage, ob er die Anlagen tatsächlich nutzte, für die Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts somit unerheblich war, war die Möglichkeit ihrer Nutzung streng von der Zahlung dieses Entgelts abhängig, und das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien wurde allein aufgrund ihres eigenen Willens begründet.

25.

Dasselbe gilt für das Urteil Air France-KLM und Hop!-Brit Air ( 14 ), auf das sich der ORF beruft. In den mit diesem Urteil abgeschlossenen Rechtssachen ging es um Flugtickets, die von den Käufern letztendlich nicht genutzt wurden. Die Tatsache, dass diese Käufer die Beförderungsleistung letztlich nicht in Anspruch genommen haben, ändert nichts an der Tatsache, dass ein Entgelt für eine Leistung gezahlt wurde, die seitens des Dienstleisters erbracht wurde (der Flug fand statt). Es handelte sich somit um eine entgeltliche Dienstleistung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112, die auf einem von den Parteien frei begründeten Rechtsverhältnis beruhte.

26.

Des Weiteren ist der Umstand, dass der ORF und nicht unmittelbar der Gesetzgeber das Programmentgelt festlegt, für die Beurteilung der Situation im vorliegenden Fall irrelevant. Der ORF legt nämlich die Höhe dieser Gebühr auf der Grundlage der im Gesetz enthaltenen Ermächtigung fest. Das Entgelt behält somit den Charakter einer gesetzlich festgelegten öffentlichen Abgabe, und der Gesetzgeber hat lediglich die Festsetzung des Betrags einer Einrichtung übertragen, die aus dem Aufkommen der Abgabe finanziert wird.

27.

Ich teile auch die Auffassung der Kommission, dass der Begriff „Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist und es daher für die Einstufung des Programmentgelts im Sinne dieser Bestimmung unerheblich ist, dass das österreichische Recht das Bestehen einer Rechtsfiktion anerkennt, wonach zwischen dem ORF und den zur Zahlung dieses Entgelts verpflichteten Personen ein Rechtsverhältnis vertraglicher Art besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hängt nämlich die Frage, ob ein bestimmter Umsatz der Mehrwertsteuer zu unterwerfen oder zu befreien ist, nicht davon ab, wie er nach nationalem Recht qualifiziert wird ( 15 ). Die Einstufung des Programmentgelts muss daher ausschließlich in Anlehnung an die Bestimmungen des Unionsrechts und die Rechtsprechung des Gerichtshofs erfolgen, in diesem Fall vor allem an das Urteil Český rozhlas.

28.

Ich bin daher der Ansicht, dass das Programmentgelt, ähnlich wie das Entgelt in der Rechtssache, in der das Urteil Český rozhlas ergangen ist, kein Entgelt für die vom ORF erbrachten Rundfunkleistungen darstellt. Zu prüfen ist noch, ob sich an dieser Schlussfolgerung durch Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und Art. 151 Abs. 1 der Beitrittsakte von 1994 in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h dieser Akte etwas ändert.

Zur Bedeutung von Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und Art. 151 der Beitrittsakte von 1994

29.

Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 setzt auf der Ebene des Sekundärrechts Art. 151 der Beitrittsakte von 1994 in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h dieser Akte um. Danach ist es der Republik Österreich erlaubt, auf Dienstleistungen öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten, d. h. in der Praxis auf Dienstleistungen des ORF, Mehrwertsteuer zu erheben. Doch wie es scheint, weicht der buchstäbliche Wortlaut dieser Bestimmungen von dem Zweck ab, den sowohl der Unionsgesetzgeber als auch die Mitgliedstaaten bei der Aushandlung der Beitrittsakte von 1994 mit diesen Bestimmungen verfolgten.

Buchstäblicher Wortlaut von Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und des Anhangs XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994

30.

Art. 151 Abs. 1 der Beitrittsakte von 1994 ist eine Rahmenbestimmung, nach der die in Anhang XV aufgeführten Rechtsakte für die neuen Mitgliedstaaten (einschließlich der Republik Österreich) unter den in jenem Anhang festgelegten Bedingungen gelten. Der eigentliche normative Inhalt der uns interessierenden Bestimmungen ist daher in diesem Anhang zu finden.

31.

Gemäß Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 kann die Republik Österreich „[b]ei der Anwendung“ von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388 die in Anhang E Nr. 7 dieser Richtlinie aufgeführten Umsätze besteuern. Art. 28 der Richtlinie 77/388 war im Abschnitt XVI („Übergangsbestimmungen“) dieser Richtlinie enthalten. Nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a konnten die Mitgliedstaaten die in Anhang E aufgeführten nach Art. 13 oder 15 befreiten Umsätze ausnahmsweise weiterhin besteuern. In Nr. 7 dieses Anhangs waren die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten aufgeführt, die nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. q der Richtlinie 77/388 grundsätzlich von der Steuer befreit sind. Mit anderen Worten wurde durch Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 die in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388 in Verbindung mit Anhang E Nr. 7 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahmeregelung auf die Republik Österreich ausgedehnt, wonach die Mitgliedstaaten, in denen die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten bisher der Mehrwertsteuer unterlagen, diese Besteuerung beibehalten konnten, obwohl diese Tätigkeiten nach den allgemeinen Bestimmungen der genannten Richtlinie befreit waren.

32.

Gemäß Art. 28 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 77/388 sollten die im ersten Absatz enthaltenen Ausnahmen während einer Übergangszeit gelten. Dieser Zeitraum sollte enden, wenn diese Abweichungen durch einen Beschluss des Rates abgeschafft werden. Tatsächlich ist die Übergangszeit jedoch noch nicht abgelaufen, und die noch geltenden Ausnahmen wurden als „[b]is zur Annahme einer endgültigen Regelung geltende Ausnahmen“ ( 16 ) in die Richtlinie 2006/112 übertragen. Die Ausnahme, die der Republik Österreich nach Art. 151 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 zusteht, ist in Art. 378 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang X Teil A Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 enthalten, der einen ähnlichen Wortlaut hat wie Anhang E Nr. 7 der Richtlinie 77/388.

33.

Weder in Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 noch in Anhang X Teil A dieser Richtlinie ist ausdrücklich festgelegt, dass sich die dort festgelegten Ausnahmen auf die in Art. 132 der Richtlinie vorgesehenen Befreiungen beziehen. Dies scheint mir jedoch selbstverständlich sein. Erstens ergibt sich dies aus der Entstehungsgeschichte von Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und dem Wortlaut seines Vorgängers, Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388 ( 17 ). Zweitens entspricht der Wortlaut von Anhang X Teil A Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 exakt dem Wortlaut der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. q der Richtlinie enthaltenen Befreiung.

34.

Folglich ist Art. 378 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang X Teil A Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 so zu verstehen, dass er zugunsten der Republik Österreich eine Ausnahme von der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. q der Richtlinie enthaltenen Befreiung begründet. Die im letztgenannten Artikel vorgesehenen Steuerbefreiungen können jedoch logischerweise nur für Umsätze gelten, die gegebenenfalls besteuert werden könnten, sonst wäre ihre Befreiung nicht erforderlich. Dies wurde vom Gerichtshof in seinem Urteil Český rozhlas ausdrücklich bestätigt ( 18 ).

35.

Ich teile daher nicht die Auffassung der GIS, der österreichischen, der dänischen und der französischen Regierung sowie der Kommission, dass Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Anhang X Teil A Nr. 2 dieser Richtlinie eine Besteuerung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie zulässt, wie er sich insbesondere aus deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. c ergibt ( 19 ). Eine Abweichung von einer Bestimmung, die in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fällt [im vorliegenden Fall Art. 132 Abs. 1 Buchst. q der Richtlinie 2006/112], kann logischerweise nicht selbst über diesen Anwendungsbereich hinausgehen.

36.

Ungeachtet des oben erörterten Anwendungsbereichs von Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 kann der Inhalt dieses Artikels wörtlich genommen keine Grundlage dafür sein, dass die Republik Österreich auf das Programmentgelt Mehrwertsteuer erhebt.

37.

Diese Bestimmung erlaubt es der Republik Österreich nämlich, die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Wie der Gerichtshof jedoch im Urteil Český rozhlas festgestellt hat, das, wie in den Nrn. 20 bis 29 dieser Schlussanträge erörtert, auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, stellen die Tätigkeiten solcher Rundfunkanstalten, soweit sie aus dem Aufkommen einer Abgabe wie des österreichischen Programmentgelts finanziert werden, keine Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden, dar und können als solche nicht dieser Steuer unterworfen werden.

38.

Die Mehrwertsteuer ist nämlich eine Verbrauchsteuer, deren Bemessungsgrundlage gemäß Art. 73 der Richtlinie 2006/112 der Preis einer Ware oder Dienstleistung darstellt, d. h. der Betrag, den der Steuerpflichtige als Entgelt für die Ware oder Dienstleistung erhält. Bei einer unentgeltlich erbrachten Dienstleistung gibt es daher keine Steuerbemessungsgrundlage, auf die die Mehrwertsteuer erhoben werden kann, so dass diese Steuer auch nicht zur Anwendung kommen kann.

39.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen bin ich der Auffassung, dass weder der buchstäbliche Wortlaut von Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und Anhang X Teil A Nr. 2 dieser Richtlinie noch – daraus folgend – der von Art. 151 der Beitrittsakte von 1994 in Verbindung mit Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h dieser Akte etwas an den in den Nrn. 20 bis 29 dieser Schlussanträge dargelegten Schlussfolgerungen ändern.

Ziel der Regelung in Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112

40.

Eine grammatische Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 würde daher zu dem Ergebnis führen, dass es mit diesen Bestimmungen unvereinbar wäre, die Tätigkeiten einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt, die aus dem Aufkommen des Programmentgelts finanziert werden, als steuerpflichtig zu behandeln. Doch wie es scheint, und wie das vorlegende Gericht in seinem Beschluss und insbesondere die dänische Regierung in ihren Erklärungen hervorheben, war dies offenbar nicht die Absicht der Mitgliedstaaten bei der Aushandlung von Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 und des Unionsgesetzgebers in Bezug auf Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Anhang X Teil A Nr. 2 dieser Richtlinie sowie zuvor Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 77/388 und deren Anhang E Nr. 7.

41.

Die dänische Regierung erläutert, dass der Wortlaut dieser Bestimmungen Ausdruck eines Kompromisses zwischen den Mitgliedstaaten ist, die sich während der Gesetzgebungsarbeiten zur Richtlinie 77/388 nicht auf die Besteuerung von Dienstleistungen öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten einigen konnten, die aus dem Aufkommen von Gebühren wie dem österreichischen Programmentgelt finanziert werden. Der Kompromiss sollte darin bestehen, dass diese Dienstleistungen grundsätzlich von der Steuer befreit sind, den betroffenen Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit eingeräumt wird, von dieser Befreiung abzuweichen. In der Folge wurde diese Ausnahmeregelung auf einige neue Mitgliedstaaten ausgedehnt, darunter gemäß Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994, der nun in Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Anhang X Teil A Nr. 2 dieser Richtlinie in das Sekundärrecht umgesetzt wurde, auch auf die Republik Österreich.

42.

Diese Lösung war bei Erlass der Richtlinie 77/388 im Jahr 1977 möglicherweise gerechtfertigt. Damals hatten die meisten Mitgliedstaaten ein Monopol oder ein Quasi-Monopol der öffentlichen Rundfunkanstalten, insbesondere des Fernsehens, und die einzige praktische Verwendung von Radio- und Fernsehgeräten durch die Haushalte war der Empfang terrestrisch ausgestrahlter Sendungen. Es konnte daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Kauf eines solchen Empfangsgeräts gleichbedeutend mit der Nutzung der Dienste der öffentlichen Rundfunkanstalten ist, so dass die Zwangsgebühr für den Besitz eines solchen Empfangsgeräts ein Entgelt sui generis für diese Dienstleistungen darstellt. Außerdem ist zu bedenken, dass diese Lösung als vorübergehende Maßnahme eingeführt wurde, zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren.

43.

Diese Lösung war bereits bei der Aushandlung der Beitrittsakte von 1994 – nach der auf durch die Bestimmungen der Richtlinie 89/552/EWG ( 20 ) gestützten Liberalisierung des Rundfunk- und Fernsehmarktes in Europa und im Hinblick auf die Entwicklung des Kabel- und Satellitenfernsehens – weitaus weniger gerechtfertigt. Dagegen ist sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig ungerechtfertigt, da einerseits der Besitz eines Radio- oder Fernsehempfängers, selbst wenn er zum Empfang von Sendungen geeignet ist, in keiner Weise gleichbedeutend ist mit der Inanspruchnahme der Dienste öffentlicher Rundfunkanstalten (oder der Dienste von Rundfunk- oder Fernsehanstalten im Allgemeinen) und andererseits der Empfang dieser Sendungen auch ohne die Hilfe eines solchen Empfangsgeräts möglich ist, auch außerhalb des Gebiets des Mitgliedstaats der Rundfunkanstalt, insbesondere über das Internet. Die Gebühr wegen des Besitzes eines Empfangsgeräts stellt also eine Art öffentlichen Tributs dar, der zwar zur Finanzierung der Tätigkeit der öffentlichen Rundfunkanstalten dient, aber völlig losgelöst von der tatsächlichen Nutzung ihrer Dienstleistungen ist. Daher die Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil Český rozhlas.

44.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112, die der Gerichtshof in diesem Urteil vornimmt, weit zurückreicht und nicht überraschen sollte. Bereits in den Urteilen Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats ( 21 ) und Hong-Kong Trade Development Council ( 22 ), die noch auf der Grundlage der Richtlinie 67/228/EWG ( 23 ) aber kurz nach Inkrafttreten der Richtlinie 77/388 erlassen wurden, hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Dienstleistung der Besteuerung unterworfen werden kann, wenn die Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird, d. h. wenn ein direkter Zusammenhang zwischen der Leistung und der dafür tatsächlich erhaltenen Gegenleistung besteht. Andernfalls gibt es keine Steuerbemessungsgrundlage und hat die Beziehung zwischen den Parteien nicht den Charakter einer Vereinbarung, die der Steuerharmonisierung unterliegt. Diese Rechtsprechung wurde dann systematisch konsolidiert und weiterentwickelt ( 24 ), und das Urteil Český rozhlas ist die logische Folge davon.

45.

Dennoch bin ich der Ansicht, dass der Zweck, dem Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dienen sollte, nämlich Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 umzusetzen, bei seiner Auslegung zu berücksichtigen ist. Andernfalls würde Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie gegenstandslos, da es keine von der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt in Österreich erbrachten Dienstleistungen gäbe, die nach diesem Artikel besteuert werden könnten. Diese Bestimmung hat nämlich den Charakter einer Stillhalteklausel, und die einzige Art von Tätigkeit, auf die diese Klausel Anwendung finden kann, ist die des ORF, die aus dem Aufkommen des Programmentgelts finanziert wird, das vor dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union als steuerpflichtig galt. Es bestünde daher ein innerer Widerspruch zwischen Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 und Art. 378 Abs. 1 dieser Richtlinie. Das Vorhandensein eines solchen Widerspruchs untergräbt meines Erachtens jedoch die Schlussfolgerungen, die sich aus einer grammatischen Auslegung ergeben, und rechtfertigt im vorliegenden Fall den Rückgriff auf eine systematische und teleologische Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112.

46.

Mit der Vereinbarung der Ausnahmeregelung in Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 wollten die Mitgliedstaaten der Republik Österreich gestatten, seine nationalen Rechtsvorschriften beizubehalten, wonach die Tätigkeiten einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt, die aus dem Aufkommen des Programmentgelts finanziert werden, als mehrwertsteuerpflichtig gelten, wobei die entsprechende Steuer auf den Betrag des Entgelts aufgeschlagen wird und die öffentliche Rundfunkanstalt das Recht hat, die Mehrwertsteuer abzuziehen, die sie auf die von ihr für die Zwecke dieser Tätigkeiten verwendeten Waren und Dienstleistungen entrichtet hat.

47.

Wie sowohl aus dem Vorlagebeschluss als auch aus den Erklärungen des ORF hervorgeht, war die Beibehaltung dieses Vorsteuerabzugsrechts das Hauptmotiv der Republik Österreich, nach dem Beitritt an der bestehenden Steuerregelung für die Tätigkeiten dieser öffentlichen Rundfunkanstalt festzuhalten, und der eigentliche Zweck der Regelung in Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994.

48.

Nach alledem ist Art. 378 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 meines Erachtens dahin auszulegen, dass die Republik Österreich die Tätigkeiten einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt als steuerpflichtige Tätigkeiten behandeln darf, so dass die Rundfunkanstalt berechtigt ist, die auf einer vorhergehenden Umsatzstufe entrichtete Mehrwertsteuer abzuziehen, und der daraus resultierende Steuerausfall durch eine zusätzliche Gebühr, die zum Programmentgelt hinzugerechnet wird, ausgeglichen wird. Das Aufkommen dieser Gebühr fließt jedoch nicht dem Haushalt des ORF, sondern dem Staatshaushalt zu.

49.

Diese zusätzliche Gebühr stellt keine Mehrwertsteuer im Sinne der Richtlinie 2006/112 dar, da ihre Grundlage nicht eine gegen Entgelt erbrachte Leistung darstellt. Vielmehr handelt es sich um eine direkte öffentliche Abgabe, die völlig außerhalb des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems liegt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie unter Verstoß gegen die Richtlinie 2006/112 ( 25 ) oder das Unionsrecht im Allgemeinen erhoben wird. Zugegebenermaßen mag es als ungeschickt empfunden werden, dass diese Art von zusätzlicher Gebühr als „Mehrwertsteuer“ bezeichnet und den zu ihrer Zahlung verpflichteten Personen als solche präsentiert wird. Da dies jedoch die Wirksamkeit des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems nicht gefährdet, scheint es mir kein Problem zu sein, das es rechtfertigen würde, diese zusätzliche Abgabe für rechtswidrig, jedenfalls als mit dem Unionsrecht unvereinbar, zu erklären.

50.

Diese Auslegung benachteiligt die zur Zahlung des Programmentgelts Verpflichteten nicht in ungerechtfertigter Weise, da der ORF aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung die Höhe des Entgelts insgesamt, einschließlich dieser zusätzlichen Gebühr, festlegt. Letztere stellt also keine zusätzliche Belastung für die Verpflichteten dar, lediglich der Zweck des erhobenen Betrages ist ein anderer.

51.

In Anbetracht dieser Auslegung ist auch die in der zweiten Vorlagefrage aufgeworfene Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich der Verpflichtung zur Zahlung des Programmentgelts unbeachtlich, da dieses Entgelt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

52.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h Unterabs. 2 der Beitrittsakte die auf seiner Grundlage beibehaltene Besteuerung keine Auswirkungen auf die Eigenmittel der Union haben darf. Zugleich wird, wie der ORF in seinen Erklärungen ausführt, für das Programmentgelt ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz (10 %) berechnet, wofür er im Gegenzug zum vollen Abzug der auf der vorhergehenden Umsatzstufe gezahlten Mehrwertsteuer berechtigt ist. Im Gegensatz dazu werden die vom ORF für seine Tätigkeit erworbenen Waren und Dienstleistungen zumeist mit dem normalen Mehrwertsteuersatz (20 %) besteuert, was einen erheblichen Überschuss an gezahlter Steuer und das Recht auf Rückerstattung dieser Steuer aus dem Staatshaushalt bedeutet, wodurch die Eigenmittel der Union geschmälert werden. Dies wirft die Frage nach der Vereinbarkeit eines solchen Sachverhalts mit der angegebenen Bestimmung in Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h der Beitrittsakte von 1994 auf. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Frage der ordnungsgemäßen Erfüllung der Verpflichtungen der Republik Österreich im Bereich der Eigenmittel der Union, die die Vereinbarkeit der auf das Programmentgelt aufgeschlagenen zusätzlichen Gebühr selbst mit dem Unionsrecht nicht berührt.

Ergebnis

53.

Nach alledem schlage ich vor, die dem Gerichtshof vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art. 378 Abs. 1 dieser Richtlinie sowie Art. 151 Abs. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge vom 26. Juli 1994 und deren Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchst. h

sind dahin auszulegen, dass

sie dem nicht entgegenstehen, dass die Republik Österreich eine zusätzliche Gebühr zum Programmentgelt im Sinne des § 31 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk erhebt, um die Minderung der Mehrwertsteuereinnahmen auszugleichen, die sich aus dem Recht einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt auf Abzug der Steuer ergibt, die sie für Waren und Dienstleistungen entrichtet hat, die sie für die Zwecke ihrer aus dem Aufkommen dieses Programmentgelts finanzierten Tätigkeit erworben hat.


( 1 ) Originalsprache: Polnisch.

( 2 ) Im Rahmen dieses Verfahrens ging beim Gerichtshof ein ähnliches Vorabentscheidungsersuchen ein wie in der vorliegenden Rechtssache (anhängige Rechtssache C‑573/22, Foreningen C u. a.).

( 3 ) ABl. 1994, C 241, S. 21.

( 4 ) Die letztgenannte Bestimmung findet sich im ABl. 1994, C 241, auf S. 336.

( 5 ) Mit dieser Bestimmung fiel die Republik Österreich in den Anwendungsbereich der ursprünglich in Art. 28 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) – vorgesehenen Ausnahmeregelung für eine durch eine Entscheidung des Rates abzuschließende Übergangszeit; eine solche Entscheidung wurde jedoch nie erlassen.

( 6 ) Verordnung des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel (ABl. 1989, L 155, S. 9).

( 7 ) ABl. 2006, L 347, S. 1.

( 8 ) BGBl. I 159/1999 mit Änderungen.

( 9 ) BGBl. 379/1984 mit Änderungen.

( 10 ) BGBl. 663/1994 mit Änderungen.

( 11 ) Nach den von BM im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Informationen sind 95 % der österreichischen Haushalte in dieser Situation.

( 12 ) Siehe Urteil Český rozhlas, Rn. 20-28.

( 13 ) Urteil vom 21. März 2002, C‑174/00, EU:C:2002:200.

( 14 ) Urteil vom 23. Dezember 2015, C‑250/14 und C‑289/14, EU:C:2015:841.

( 15 ) Vgl. zuletzt Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis (C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Siehe die Überschrift von Kapitel 1 im Titel XIII der Richtlinie 2006/112.

( 17 ) In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2006/112 eine Neufassung der Richtlinie 77/388 darstellt und daher grundsätzlich keine inhaltlichen Änderungen ihrer Bestimmungen vornimmt (vgl. dritter Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112).

( 18 ) In Rn. 32.

( 19 ) Vgl. ähnlich Urteil Český rozhlas, Rn. 32 in fine.

( 20 ) Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. 1989, L 298, S. 23).

( 21 ) Urteil vom 5. Februar 1981, 154/80, EU:C:1981:38, Rn. 12 bis 14.

( 22 ) Urteil vom 1. April 1982, 89/81, EU:C:1982:121, Rn. 10.

( 23 ) Zweite Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 71 vom 14.4.1967, S. 1303).

( 24 ) Siehe Urteil Český rozhlas, Rn. 20 bis 22 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 25 ) Es ist auch nicht erforderlich, Art. 401 der Richtlinie 2006/112 heranzuziehen, da dieser die Besteuerung von Umsätzen regelt, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, auch wenn es sich um steuerbefreite Umsätze handelt.