SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 29. Juni 2023 ( 1 )

Verbundene Rechtssachen C‑207/22, C‑267/22 und C‑290/22

Lineas – Concessões de Transportes SGPS, S.A. (C‑207/22)

Global Roads Investimentos SGPS, Lda (C‑267/22)

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Arbitral Tributário [Centro de Arbitragem Administrativa] [Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten (Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren), Portugal])

und

NOS-SGPS, S.A. (C‑290/22)

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

(Vorabentscheidungsersuchen des Supremo Tribunal Administrativo [Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wirtschafts- und Währungspolitik – Aufsicht über den Finanzsektors der Europäischen Union – Richtlinie 2013/36/EU – Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 – Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 – Finanzinstitut – Begriff – Holdinggesellschaft – Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen, die nicht den auf Bankgeschäfte oder Finanztätigkeiten anwendbaren aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen unterliegen“

I. Einleitung

1.

Die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2013/36/EU ( 2 ) und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 ( 3 ), insbesondere den Begriff „Finanzinstitut“, der in diesen beiden Rechtsakten in ihrer jeweiligen auf die Sachverhalte der Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung enthalten ist.

2.

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Lineas – Concessões de Transportes SGPS (Rechtssache C‑207/22), der Global Roads Investimentos SGPS (Rechtssache C‑267/22) und der NOS SGPS (Rechtssache C‑290/22) auf der einen und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) auf der anderen Seite über die Erhebung einer durch das portugiesische nationale Recht vorgeschriebenen Stempelsteuer.

3.

Die drei Rechtssachen geben dem Gerichtshof Gelegenheit, zu klären, ob eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen ist, die keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen ausüben und daher nicht den auf diese Tätigkeiten anwendbaren aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen unterliegen, als „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 anzusehen ist.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2013/36

4.

In den Erwägungsgründen 2, 20 und 54 der Richtlinie 2013/36 heißt es:

„(2)

Diese Richtlinie sollte unter anderem Bestimmungen über die Zulassung der betreffenden Institute, den Erwerb qualifizierter Beteiligungen, die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr, die diesbezüglichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden der Herkunfts- und der Aufnahmemitgliedstaaten sowie Bestimmungen über das Anfangskapital und die aufsichtliche Überprüfung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen enthalten. Hauptziel und Gegenstand dieser Richtlinie ist die Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, über die Modalitäten der Unternehmensführung und den Aufsichtsrahmen. … Daher sollte diese Richtlinie zusammen mit der [Verordnung Nr. 575/2013] gelesen werden und sollte zusammen mit jener Verordnung den Rechtsrahmen für die Regelung des Bankgeschäfts, den Aufsichtsrahmen und die Aufsichtsvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen bilden.

(20)

Die gegenseitige Anerkennung sollte auf diese Tätigkeiten ausgedehnt werden, wenn diese Tätigkeiten von einem Finanzinstitut, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts ist, ausgeübt werden, sofern das Tochterunternehmen in die auf konsolidierter Basis erfolgende Beaufsichtigung des Mutterunternehmens einbezogen ist und bestimmten strengen Anforderungen genügt.

(54)

Um die potenziell schädlichen Auswirkungen schlecht gestalteter Unternehmensführungsregelungen auf ein solides Risikomanagement einzudämmen, sollten die Mitgliedstaaten Grundsätze und Standards einführen, die eine wirksame Kontrolle durch das Leitungsorgan gewährleisten, eine solide Risikokultur auf allen Ebenen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen fördern und die zuständigen Behörden in die Lage versetzen, sich der Angemessenheit der internen Unternehmensführungsregelungen zu versichern. Diese Grundsätze sollten nach Maßgabe der Art, des Umfangs und der Komplexität der Geschäfte des Instituts gelten. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, Grundsätze und Standards der Unternehmensführung zu vorzuschreiben, die zu denen dieser Richtlinie hinzukommen.“

5.

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2013/36 sieht vor:

„(1)   Diese Richtlinie legt Vorschriften für folgende Bereiche fest:

a)

Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘),

b)

Aufsichtsbefugnisse und Instrumente für die Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden,

c)

Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden in einer Weise, die mit den Bestimmungen der [Verordnung Nr. 575/2013] vereinbar ist,

d)

Veröffentlichungspflichten für die im Bereich der Aufsichtsvorschriften und der Beaufsichtigung von Instituten zuständigen Behörden.“

6.

Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2013/36 sieht vor:

„(1)   Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

22.

‚Finanzinstitut‘ ein Finanzinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 26 der [Verordnung Nr. 575/2013],

…“

7.

Art. 34 der Richtlinie 2013/36 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die in der Liste in Anhang I genannten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet … sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege der Erbringung von Dienstleistungen von jedem Finanzinstitut eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt werden können, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrerer Kreditinstitute ist, dessen Satzung die Ausübung dieser Tätigkeiten gestattet und das alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt:

a)

Das (die) Mutterunternehmen ist (sind) in dem Mitgliedstaat, dessen Recht auf das Finanzinstitut Anwendung findet, als Kreditinstitut zugelassen,

b)

die betreffenden Tätigkeiten werden tatsächlich im Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaats ausgeübt,

c)

das (die) Mutterunternehmen hält (halten) mindestens 90 % der mit den Anteilen oder Aktien des Finanzinstituts verbundenen Stimmrechte,

d)

das (die) Mutterunternehmen macht (machen) gegenüber den zuständigen Behörden die umsichtige Geschäftsführung des Finanzinstituts glaubhaft und verbürgt (verbürgen) sich mit Zustimmung der zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats gesamtschuldnerisch für die von dem Finanzinstitut eingegangenen Verpflichtungen,

e)

das Finanzinstitut ist … insbesondere für die betreffenden Tätigkeiten wirksam in die Beaufsichtigung des (der) Mutterunternehmen(s) auf konsolidierter Basis einbezogen …

…“

8.

Anhang I der Richtlinie 2013/36 enthält die Liste der Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt.

2. Verordnung Nr. 575/2013

9.

Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 575/2013 sieht vor:

„Diese Verordnung legt einheitliche Regeln für allgemeine Aufsichtsanforderungen fest, die im Rahmen der [Richtlinie 2013/36] beaufsichtigte Institute im Hinblick auf folgende Punkte erfüllen müssen:

a)

Eigenmittelanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten von Kredit‑, Markt‑, operationellem und Abwicklungsrisiko,

b)

Vorschriften zur Begrenzung von Großkrediten,

c)

nach Inkrafttreten des in Artikel 460 genannten delegierten Rechtsakts Liquiditätsanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten des Liquiditätsrisikos,

d)

Berichtspflichten hinsichtlich der Buchstaben a bis c und hinsichtlich der Verschuldung,

e)

Offenlegungspflichten.

Diese Verordnung gilt nicht für die Bekanntmachungspflichten der zuständigen Behörden im Bereich der Aufsichtsvorschriften und der Beaufsichtigung von Instituten gemäß der [Richtlinie 2013/36].“

10.

In Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 575/2013 heißt es:

„(1)   Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

3. „Institut“ ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma;

26.

‚Finanzinstitut‘ ein Unternehmen, das kein Institut ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nummern 2 bis 12 und 15 der [Richtlinie 2013/36] genannten Geschäfte zu betreiben; diese Definition schließt Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute … und Vermögensverwaltungsgesellschaften ein, jedoch nicht Versicherungsholdinggesellschaften oder gemischte Versicherungsholdinggesellschaften gemäß der Definition in Artikel 212 Absatz 1 Buchstabe f beziehungsweise Buchstabe g der [Richtlinie 2009/138] ( 4 ).

…“

3. Verordnung (EU) 2019/876

11.

Die Verordnung Nr. 575/2013 wurde durch die Verordnung (EU) 2019/876 ( 5 ) geändert.

12.

Insbesondere sieht Art. 1 Nr. 2 der Verordnung 2019/876 vor:

„Artikel 4 [der Verordnung Nr. 575/2013] wird wie folgt geändert:

a)

Absatz 1 wird wie folgt geändert:

iii)

Nummer 26 erhält folgende Fassung:

26.

‚Finanzinstitut‘ ein Unternehmen, das kein Institut und keine reine Industrieholdinggesellschaft ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nummern 2 bis 12 und 15 der [Richtlinie 2013/36] genannten Geschäfte zu betreiben; diese Definition schließt Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute … und Vermögensverwaltungsgesellschaften ein, jedoch nicht Versicherungsholdinggesellschaften oder gemischte Versicherungsholdinggesellschaften im Sinne des Artikels 212 Absatz 1 Buchstabe f beziehungsweise Buchstabe g der [Richtlinie 2009/138].

…“

B.   Portugiesisches Recht

1. Decreto-Lei n. 495/88

13.

Decreto-Lei n. 495/88 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 495/88 vom 30. Dezember) ( 6 ) legt die auf portugiesische Holdinggesellschaften anwendbaren Rechtsvorschriften fest.

14.

Art. 1 („Sociedades gestoras de participações sociais [Holdinggesellschaften, im Folgenden: SGPS]“) des Decreto-Lei Nr. 495/88 bestimmt:

„(1)   Die [SGPS] haben als einzigen Gesellschaftszweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften als mittelbare Form der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit.

(2)   Für die Zwecke des vorliegenden Decreto-Lei wird eine Beteiligung an einer Gesellschaft als mittelbare Form der Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Gesellschaft angesehen, wenn sie nicht lediglich Gelegenheitscharakter hat und mindestens 10 % des stimmberechtigten Kapitals dieser Gesellschaft ausmacht, wobei die Beteiligung entweder unmittelbar oder über Beteiligungen an anderen Gesellschaften, in denen die SGPS eine beherrschende Stellung einnimmt, gehalten werden kann.

(3)   Für die Zwecke des vorstehenden Absatzes wird davon ausgegangen, dass die Beteiligung nicht lediglich Gelegenheitscharakter hat, wenn die SGPS sie für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hält.

(4)   Gemäß Art. 3 Abs. 3 bis 5 können die SGPS Beteiligungen in einer geringeren als der in Abs. 2 genannten Höhe erwerben oder halten.“

2. Código do Imposto do Selo

15.

Der Código do Imposto do Selo (Stempelsteuergesetz, im Folgenden: CIS) ( 7 ) regelt die Anwendung einer Steuer auf Handlungen, Verträge, Urkunden, Wertpapiere, Handelspapiere und sonstigen Sachverhalte oder Rechtsverhältnisse.

16.

Art. 7 Abs. 1 Buchst. e CIS sieht vor:

„(1)   Ebenfalls von der Steuer befreit sind:

e) Zinsen und Provisionen, Sicherheiten und die Inanspruchnahme von Krediten, die von Kreditinstituten, Finanzgesellschaften und Finanzinstituten an Risikokapitalgesellschaften sowie an Gesellschaften oder Unternehmen berechnet bzw. gewährt werden, die in Form und Zweck den im Unionsrecht vorgesehenen Arten von Kreditinstituten, Finanzgesellschaften und Finanzinstituten entsprechen, sofern diese Institute und Gesellschaften ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Staat, mit Ausnahme der durch Verordnung des Finanzministeriums als steuerlich begünstigte Gebiete eingestuften Staaten, haben,

…“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

17.

Die Schiedsklägerinnen der Ausgangsverfahren – die Lineas – Concessões de Transportes SGPS (Rechtssache C‑207/22), die Global Roads Investimentos SGPS (Rechtssache C‑267/22) und die NOS SGPS (Rechtssache C‑290/22) – sind Holdinggesellschaften mit Sitz in Portugal, deren ausschließlicher Gesellschaftszweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften als mittelbare Form der wirtschaftlichen Tätigkeit ist. Keine der Tätigkeiten der jeweiligen Gesellschaften, an denen diese Beteiligungen halten, fällt in den Bereich des Banken- oder des Finanzsektors.

18.

Jede der Schiedsklägerinnen nahm im Verlauf ihrer jeweiligen Geschäftstätigkeit zwischen den Jahren 2014 und 2017 Kredit- und Finanzvermittlungsgeschäfte mit mehreren Kreditinstituten auf – insbesondere über Darlehensverträge oder über Handelspapiere und Anleiheemissionen –, für die sie Mittel beantragte und erhielt. Diese Geschäfte unterlagen gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 CIS der Stempelsteuer, weshalb die Kreditinstitute als Steuerpflichtige diese Steuer an den Staat zahlten und anschließend auf die Schiedsklägerinnen abwälzten.

19.

Die Schiedsklägerinnen waren mit ihren jeweiligen Stempelsteuerbescheiden nicht einverstanden und legten im Wesentlichen jeweils erstens einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Umstands, dass diese Steuer auf sie abgewälzt wurde, und zweitens eine Verwaltungsbeschwerde ein. In diesen Verwaltungsverfahren beriefen sich die Schiedsklägerinnen auf die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e CIS vorgesehene Befreiung mit dem Argument, dass sie Holdinggesellschaften seien, die nach den maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts, auf die die nationalen Rechtsvorschriften verwiesen, als Finanzinstitute einzustufen seien. Die Steuerbehörden lehnten die Anträge jedoch ab bzw. wiesen die Verwaltungsbeschwerde zurück.

20.

Was erstens die Lineas – Concessões de Transportes SGPS und die Global Roads Investimentos SGPS betrifft, so hat jedes dieser Unternehmen beim Centro de Arbitragem Administrativa (Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren) die Einsetzung eines Schiedsgerichts beantragt, um die Aufhebung der Entscheidungen der Steuerbehörden zu erreichen und folglich die Erstattung der entrichteten Steuern zu erhalten.

21.

Das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal), das vorlegende Gericht in den Rechtssachen C‑207/22 und C‑267/22, stellt fest, dass aus den portugiesischen Rechtsvorschriften hervorgehe, dass die Stempelsteuer nicht auf Finanzinstitute im Sinne des Unionsrechts anwendbar sei. Jedoch gebe es innerhalb der nationalen Rechtsprechung Inkohärenzen hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“. Nach Auffassung dieses Gerichts ist daher zu entscheiden, ob dieser Begriff nur Holdinggesellschaften erfasst, die Beteiligungen an Unternehmen halten, bei denen es sich um Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen handelt und die daher den aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen unterliegen, die für Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen gelten.

22.

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

(Rechtssache C‑207/22) Kann eine Holdinggesellschaft, für die als mittelbare Form der wirtschaftlichen Tätigkeit die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, die im Bereich des Verkehrsinfrastrukturmanagements, einschließlich der Planung, des Baus und der Verwaltung von Straßen und/oder Autobahnen, tätig sind, ausschließlicher Gesellschaftszweck ist und die in diesem Zusammenhang Beteiligungen erwirbt und dauerhaft hält, die im Allgemeinen mindestens 10 % des Kapitals dieser Gesellschaften ausmachen, als „Finanzinstitut“ im Sinne der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 angesehen werden?

(Rechtssache C‑267/22) Fällt eine in Portugal ansässige, den Bestimmungen des Decreto-Lei Nr. 495/88 vom 30. Dezember 1988 unterliegende Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften als mittelbare Form der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist und die in diesem Rahmen diese Beteiligungen erwirbt und dauerhaft hält, die in der Regel mindestens 10 % des Kapitals dieser Gesellschaften, die weder dem Versicherungs- noch dem Finanzsektor angehören, ausmachen, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013?

23.

Was zweitens die NOS SGPS betrifft, hat dieses Unternehmen einen Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens gestellt, der vom Centro de Arbitragem Administrativa (Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren) zurückgewiesen wurde. Die Zentralstelle hat insbesondere festgestellt, dass eine Holdinggesellschaft kein Finanzinstitut für die Zwecke der Anwendung der im CIS vorgesehenen Befreiung sei, was nach Auffassung der NOS SGPO im Widerspruch zur Entscheidung der Zentralstelle in einem früheren Verfahren zu derselben Frage steht.

24.

Da nach Ansicht der NOS SGPS zu ein und derselben grundlegenden Rechtsfrage in einem identischen rechtlichen Rahmen entgegengesetzte Entscheidungen erlassen wurden, legte sie vor dem Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑290/22, einen Rechtsbehelf zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung ein. Dieses Gericht weist auch darauf hin, dass der portugiesische Gesetzgeber im Rahmen der Abgrenzung der Befreiung von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuer entschieden habe, ausdrücklich auf die Art und Form des Finanzinstituts im Sinne des Unionsrechts zu verweisen. Aus diesem Grund hält es dieses Gericht für erforderlich, zu bestimmen, ob dieser Begriff nur Holdinggesellschaften erfasst, die Beteiligungen an Unternehmen halten, die den für Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen geltenden aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen unterliegen.

25.

Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Fällt eine in Portugal ansässige, den Bestimmungen des Decreto-Lei Nr. 495/88 vom 30. Dezember 1988 unterliegende Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist, die nicht dem Versicherungssektor angehören, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013?

IV. Würdigung

26.

Mit den drei in den Rechtssachen C‑207/22, C‑267/22 und C‑290/22 vorgelegten Fragen ersuchen die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen um Klarstellung, ob eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist, und deren Tochterunternehmen bzw. die Unternehmen, an denen sie Beteiligungen hält, keine Bank- oder Finanztätigkeiten ausüben, als „Finanzinstitute“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 in der jeweiligen, auf die Sachverhalte der Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung anzusehen sind.

27.

Vorab weise ich im Hinblick auf die Zulässigkeit dieser Fragen kurz darauf hin, dass es sich bei der in den drei Rechtssachen in Rede stehenden Stempelsteuer um eine nach dem portugiesischen Recht vorgesehene indirekte Steuer handelt. Aus diesen Rechtsvorschriften ergibt sich, dass ein Unternehmen den Status eines Finanzinstituts haben muss, um die Befreiung von der Zahlung dieser Steuer in Anspruch nehmen zu können. Die Stempelsteuer ist nicht Gegenstand unionsrechtlicher Harmonisierung. Jedoch verweist das portugiesische Recht zur Bestimmung des Begriffs „Finanzinstitut“ unmittelbar und unbedingt auf das Unionsrecht, konkret auf die Richtlinie 2013/36 und die Verordnung Nr. 575/2013, weshalb die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof um weitere Klärung zur Auslegung dieses Begriffs ersuchen.

28.

Der Gerichtshof bejaht seine Zuständigkeit in ständiger Rechtsprechung auch für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betreffen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, die Vorschriften des Unionsrechts aber durch das nationale Recht für anwendbar erklärt worden sind ( 8 ). Es sollte daher kein Zweifel mehr an der Zuständigkeit des Gerichtshofs bestehen, über die vorliegenden Anträge zu entscheiden und sie für zulässig zu erachten.

29.

In der Sache zielt die Richtlinie 2013/36 auf die Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, über die Modalitäten der Unternehmensführung und den Aufsichtsrahmen ab. Diese Richtlinie ist zusammen mit der Verordnung Nr. 575/2013 ( 9 ) zu lesen, die einheitliche und direkt anwendbare Aufsichtsanforderungen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen festlegt. Die beiden Rechtsakte bilden den Rechtsrahmen für Bankgeschäfte sowie für Finanzdienstleistungen und definieren die auf Kreditinstitute und Wertpapierfirmen anwendbaren Aufsichtsvorschriften.

30.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen sowohl die einheitliche Anwendung des Unionsrechts als auch der Gleichheitsgrundsatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der gesamten Europäischen Union autonom und einheitlich auszulegen sind ( 10 ).

31.

Da der Begriff „Finanzinstitut“ in Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 definiert ist und keine dieser Vorschriften für die Ermittlung seines Sinnes und seiner Bedeutung ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist er als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen, dessen Bedeutung und Tragweite daher in sämtlichen Mitgliedstaaten gleich auszulegen und anzuwenden sind. Daher ist es Aufgabe des Gerichtshofs, diesen Begriff in der Unionsrechtsordnung einheitlich auszulegen ( 11 ).

32.

Darüber hinaus ist bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern sind auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen ( 12 ). Ich werde die Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 daher im Wege einer wörtlichen, einer systematischen und einer teleologischen Auslegung beurteilen.

1.   Wörtliche Auslegung

33.

Was zunächst den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 betrifft, so verweist diese Bestimmung für die Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ unmittelbar auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013. Diese Vorschrift definiert den Begriff „Finanzinstitut“ wiederum als ein Unternehmen, das kein Institut ist und dessen Haupttätigkeit im Erwerb von Beteiligungen oder im Betreiben eines oder mehrerer der in Anhang I Nrn. 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36 genannten Geschäfte bestehen muss. Ein weiteres Beispiel findet sich in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013, wonach Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute im Sinne der Richtlinie 2007/64 und Vermögensverwaltungsgesellschaften ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Begriffs „Finanzinstitut“ erfasst sind. Im Gegensatz dazu sind Versicherungsholdinggesellschaften und gemischte Versicherungsholdinggesellschaften im Sinne von Art. 212 Abs. 1 Buchst. f bzw. Buchst. g der Richtlinie 2009/138 ausdrücklich vom Kreis der Finanzinstitute ausgenommen.

34.

In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Verweis auf den Begriff „Institut“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung Nr. 575/2013 zu lesen ist, der diesen Begriff als Kreditinstitut oder Wertpapierfirma definiert. Folglich fallen Kreditinstitute, bei denen es sich nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 um Unternehmen handelt, deren Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren, nicht unter den Begriff der Finanzinstitute. Dies gilt auch für Wertpapierfirmen, die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung Nr. 575/2013 unter Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2014/65/EU ( 13 ) definiert sind. Diese Bestimmung definiert solche Firmen als juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt.

35.

Zweitens muss, damit ein Unternehmen als „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 gilt, die Haupttätigkeit dieses Unternehmens darin bestehen, entweder Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nrn. 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36 genannten Geschäfte zu betreiben. Der Wortlaut legt nahe, dass es sich hierbei um alternative Bedingungen handelt, was bedeuten würde, dass die Erfüllung nur einer dieser Bedingungen ausreichen würde, damit ein Unternehmen unter diese Definition fiele.

36.

Drittens sind sowohl Versicherungsholdinggesellschaften als auch gemischte Versicherungsholdinggesellschaften im Sinne von Art. 212 Abs. 1 Buchst. f bzw. Buchst. g der Richtlinie 2009/138 vom Begriff „Finanzinstitut“ ausgenommen. Folglich würde ein Unternehmen, das von jenen Definitionen erfasst ist, die Voraussetzungen für ein „Finanzinstitut“ nicht erfüllen.

37.

Viertens enthält Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 eine Aufzählung von Holdinggesellschaften, die als Finanzinstitute anzusehen sind. Dies sind u. a. „Finanzholdinggesellschaften“ und „gemischte Finanzholdinggesellschaften“ ( 14 ).

38.

Eine „Finanzholdinggesellschaft“ wird in Art. 4 Abs. 1 Nr. 20 der Verordnung Nr. 575/2013 insoweit als ein Finanzinstitut definiert, das keine gemischte Finanzholdinggesellschaft ist und dessen Tochterunternehmen ausschließlich oder hauptsächlich Institute oder Finanzinstitute sind, wobei mindestens eines dieser Tochterunternehmen ein Institut ist.

39.

Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 der Verordnung Nr. 575/2013 enthält darüber hinaus die Begriffsbestimmung einer „gemischten Finanzholdinggesellschaft“. Diese Vorschrift verweist auf die in Art. 2 Abs. 15 der Richtlinie 2002/87/EG ( 15 ) enthaltene Definition, wonach eine gemischte Finanzholdinggesellschaft ein nicht der Aufsicht unterliegendes Mutterunternehmen ist, das zusammen mit seinen Tochterunternehmen, von denen mindestens eines ein beaufsichtigtes Unternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft ist, und anderen Unternehmen ein Finanzkonglomerat bildet. Der Begriff „beaufsichtigtes Unternehmen“ wird in der Richtlinie 2002/87 als ein Kreditinstitut, ein Versicherungsunternehmen oder eine Wertpapierfirma definiert ( 16 ).

40.

Zwar verfügen beide Arten von Holdinggesellschaften nach der Begriffsbestimmung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 über „Institute“ als Tochterunternehmen, doch ist zu prüfen, ob diese Beispiele nach dem Wortlaut dieser Bestimmung als nicht erschöpfend zu verstehen sind oder es sich vielmehr um eine abschließende Aufzählung handelt, von der bei der Prüfung, ob eine Holdinggesellschaft als „Finanzinstitut“ anzusehen ist, nicht abgewichen werden darf.

41.

Meines Erachtens sollten die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 enthaltenen Beispiele dahin ausgelegt werden, dass sie nicht erschöpfend sind. Diese Schlussfolgerung, die sich aus der Prüfung der englischen Sprachfassung der Verordnung Nr. 575/2013 – insbesondere aus der Verwendung des Wortes „including“ – ergibt, scheint auch durch den Wortlaut anderer Sprachfassungen von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 dieser Verordnung gestützt zu werden. So verwenden die französische und die deutsche Sprachfassung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 die Worte „en ce compris“ bzw. „schließt ein“, die mit einer nicht erschöpfenden Aufzählung in Einklang stehen. Darüber hinaus wird in der lettischen Sprachfassung das Wort „tostarp“ verwendet, das ebenfalls darauf hindeutet, dass die Aufzählung, die Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften enthält, nicht im Sinne einer abschließenden Aufzählung verstanden werden sollte.

42.

Eine nicht erschöpfende Aufzählung bedeutet jedoch nicht, dass diese Aufzählung nicht durch die darin enthaltenen Beispiele eingegrenzt werden sollte. Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Beispiele als Leitbegriffe dienen und die Auslegung auf solche Tätigkeiten begrenzen, die entweder in der Aufzählung ausdrücklich genannt sind oder derselben Kategorie zugeordnet werden können ( 17 ). Im vorliegenden Fall sollen die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 aufgeführten Arten von Holdinggesellschaften dazu dienen, den Anwendungsbereich der dort geregelten Definition festzulegen, so dass diese nur für Holdinggesellschaften gilt, die entweder dort ausdrücklich genannt sind oder derselben Kategorie zugeordnet werden können (eiusdem generis).

43.

In Bezug auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 ist daher zum einen hervorzuheben, dass sich die nicht erschöpfende Aufzählung nur auf Holdinggesellschaften bezieht und zum anderen darauf, dass diese Holdinggesellschaften „Institute“ als Unternehmen, an denen sie Beteiligungen halten, oder als Tochterunternehmen haben müssen. „Institute“ wiederum müssen aufgrund ihrer Haupttätigkeiten eine Verbindung zum Finanz- oder zum Bankensektor aufweisen. Selbst unter Berücksichtigung des von den Schiedsklägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Hauptarguments, wonach die Definition dieses Begriffs isoliert auszulegen sei, ergibt sich aus den oben genannten Erwägungen, dass jede andere Holdinggesellschaft, die nicht von diesen Beispielen erfasst ist, mit dem Banken- oder dem Finanzsektor in Verbindung stehen müsste.

44.

Es sei darauf hingewiesen, dass diese Auslegung des Wortlauts von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 auch durch die Antwort der Kommission auf eine Frage der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde aus dem Jahr 2014 ( 18 ) gestützt wird, in der die Kommission erklärte, dass der Teil der Definition des Begriffs „Finanzinstitut“, der sich auf die Haupttätigkeit des Erwerbs von Beteiligungen bezieht, aufgrund der Systematik der Begriffsbestimmungen in Art. 4 Abs. 1 Nrn. 26 und 27 dieser Verordnung sowie aufgrund des Zwecks der in Art. 36 dieser Verordnung vorgesehenen Abzüge keine reinen Industrieholdinggesellschaften umfasse. Im Einklang mit dieser Auslegung wurde die Begriffsbestimmung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 kürzlich durch die Verordnung 2019/876 dahin gehend geändert, dass „reine Industrieholdinggesellschaften“ vom Begriff des „Finanzinstituts“ ausdrücklich ausgenommen wurden. Auch wenn die Verordnung auf die vorliegenden Rechtssachen zeitlich nicht anwendbar ist ( 19 ), werde ich im Folgenden darlegen, dass diese Änderung geeignet ist, den Zweck der ursprünglichen Definition dieses Begriffs zu verdeutlichen.

45.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die wörtliche Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 nahelegt, dass eine Holdinggesellschaft nur dann als Finanzinstitut im Sinne der letztgenannten Vorschrift angesehen werden kann, wenn diese Gesellschaft Beteiligungen an Gesellschaften hält, die Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen ausüben. Hingegen fallen Holdinggesellschaften, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist, die keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen ausüben, offenbar nicht unter den Begriff des „Finanzinstituts“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen.

2.   Systematische Auslegung

46.

Wie vorstehend dargelegt, ist bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts deren Kontext zu berücksichtigen. In den vorliegenden Rechtssachen weisen die Finanzinstitute eine Verbindung zu besonderen Regelungen, Anforderungen und Vorteilen auf, die im Rahmen einer systematischen Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“ nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 von Nutzen sind.

47.

Insoweit habe ich bereits ausgeführt, dass die Verordnung Nr. 575/2013 einheitliche Regelungen für allgemeine Aufsichtsanforderungen vorsieht, die die nach der Richtlinie 2013/36 beaufsichtigten Finanzinstitute zu erfüllen haben. Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 betreffen diese Regelungen Eigenmittelanforderungen, Liquiditätsanforderungen sowie Berichts- und Offenlegungspflichten.

48.

Erstens werden die von der Verordnung Nr. 575/2013 erfassten Unternehmen durch Eigenmittelanforderungen wie diejenigen, die in Art. 93 dieser Verordnung angeführt sind, verpflichtet, Risiken nur in dem Umfang einzugehen, in dem sie durch angemessene Eigenmittel gedeckt sind ( 20 ). Solche Anforderungen stellen sicher, dass die Unternehmen über die erforderlichen Eigenmittel verfügen, um etwaigen Verlusten, die sich aus dem Eingehen von Risiken, wie dem Ausfall eines Darlehensnehmers, ergeben, standhalten zu können ( 21 ).

49.

Zweitens ergänzen die in den Art. 412 bis 414 der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehenen Liquiditätsanforderungen die Eigenmittelanforderungen, indem sie zwingend vorsehen, dass die Institute Aktiva verkaufen, wenn sie Mittel realisieren müssen, um Verbindlichkeiten zu begleichen oder um sich einem möglichen Ungleichgewicht zwischen Liquiditätszuflüssen und ‑abflüssen unter erheblichen Stressbedingungen stellen zu können ( 22 ).

50.

Drittens beschränken die Anforderungen betreffend Großkredite, die in den Art. 111 ff. der Verordnung Nr. 575/2013 geregelt sind, erhebliche Krediterweiterungen gegenüber einem einzigen Kunden oder einer Gruppe verbundener Kunden. Diese Vorschriften betreffen die Regulierung des mit der Kreditvergabe an bestimmte Kunden verbundenen Kreditrisikos, da die Verwirklichung eines solchen Risikos die finanziellen Interessen der Europäischen Union gefährden könnte.

51.

Wie vorstehend dargelegt, erlegen die Aufsichtsvorschriften Unternehmen zusätzliche und aufwändige aufsichtsrechtliche Anforderungen auf, die über allgemeine Fragen wie die Besteuerung und die finanzielle Konsolidierung hinausgehen. Diese Bestimmungen stehen in einem inneren Zusammenhang mit Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen und bilden zusammen ein Verwaltungssystem, um den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union zu gewährleisten.

52.

Darüber hinaus erlegt Art. 11 der Verordnung Nr. 575/2013 Finanzinstituten zwar die Anforderungen der Beaufsichtigung auf, doch regulieren diese Anforderungen Finanzinstitute im Wesentlichen in einem Kontext, in dem die Finanzinstitute Tochterunternehmen von Instituten oder von Finanzinstituten sind, die Beteiligungen an Instituten im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung Nr. 575/2013 halten. Folglich unterliegt eine Holdinggesellschaft, die keine Verbindung mit dem Banken- oder zum Finanzsektor aufweist, tatsächlich keiner der oben dargelegten Anforderungen.

53.

Ein ähnlicher Sachverhalt ergibt sich im Hinblick auf die Vorteile, die den Finanzinstituten durch das in Rede stehende Regelungswerk gewährt werden. Einer der Hauptvorteile besteht in der Möglichkeit, die in Anhang I der Richtlinie 2013/36 genannten Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats auszuüben, sobald das Finanzinstitut im Herkunftsmitgliedstaat zugelassen ist. Art. 34 der Richtlinie 2013/36 sieht nämlich vor, dass Finanzinstitute in Bezug auf Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen gegenseitig anzuerkennen sind, wenn sie Tochterunternehmen von Kreditinstituten sind. Im Licht des 20. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie gelesen, erlaubt diese Bestimmung Finanzinstituten im Wesentlichen, Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten zu eröffnen und die in Anhang I der Richtlinie 2013/36 genannten grenzüberschreitenden Tätigkeiten aufzunehmen. Die Vorteile, von denen Finanzinstitute im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung profitieren, sind aufgrund der Verbindung der Finanzinstitute mit den Tätigkeiten nach Anhang I der Richtlinie 2013/36 immanent mit dem Finanz- oder dem Bankensektor verknüpft.

54.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen ist und deren Tochterunternehmen bzw. die Unternehmen, an denen sie Beteiligungen hält, keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen ausüben, nicht den oben dargelegten Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Beaufsichtigung, unterliegt. Darüber hinaus können sich solche Holdinggesellschaften nicht auf die gegenseitige Anerkennung gemäß der Richtlinie 2013/36 berufen. Diese Bestimmungen stehen nämlich in keinem Zusammenhang mit solchen Holdinggesellschaften, da diese weder entsprechende Beteiligungen halten noch Tochterunternehmen sind oder eine der in Anhang I der Richtlinie 2013/36 genannten Tätigkeiten ausüben.

55.

Folglich würde die von den Schiedsklägerinnen in den vorliegenden drei Rechtssachen vorgeschlagene Auslegung die Kohärenz innerhalb der Richtlinie 2013/36 in Frage stellen, da einige Finanzinstitute die Aufsichtsvorschriften zu befolgen hätten, während dies bei anderen nicht der Fall wäre. Aus systematischer Sicht scheint es nicht angemessen, Holdinggesellschaften als Finanzinstitute anzusehen, wenn sie i) nicht die Pflichten eines Finanzinstituts wahrnehmen, ii) sich nicht auf die Vorteile, die Finanzinstituten gewährt werden, berufen können und iii) nicht die Aufgaben ausführen, die Finanzinstituten allgemein zugeschrieben werden. Ließe man dies zu, würde eine Rechtsstellung ohne praktischen Zweck geschaffen.

56.

Ein weiterer herausfordernder Gesichtspunkt der Auslegung durch die Schiedsklägerinnen ist hervorzuheben. Würden Holdinggesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden als Finanzinstitute angesehen, wäre die Definition dieses Begriffs unnötig weit. Viele Gesellschaften würden auf die Struktur einer Holdinggesellschaft zurückgreifen können, um ihre Tätigkeiten und Investitionen zu verwalten, obwohl sie nicht über Institute als Tochterunternehmen oder Unternehmen, an denen sie Beteiligungen halten, verfügen.

57.

Die portugiesische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung ein anschauliches Beispiel für die Folgen einer solchen weiten Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“ gegeben. 94 % aller in Portugal eingetragenen SGPS waren als Nichtfinanzinstitute eingetragen, was bedeutet, dass nur 6 % der SGPS von den entsprechenden Behörden reguliert und geprüft wurden. Nach der von den Schiedsklägerinnen vorgeschlagenen Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“ würde sich dieser Prozentsatz auf 100 % erhöhen.

58.

Würden alle Holdinggesellschaften als Finanzinstitute nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 behandelt, entstünde eine sonderbare Situation. Die Verantwortlichkeiten der Holdinggesellschaften würden sich nämlich nicht wesentlich ändern, es sei denn, sie beschlössen, Beteiligungen an Instituten zu erwerben oder Tochterunternehmen von Instituten zu werden. Im Wesentlich hätten sie keine zusätzlichen Belastungen, wären aber berechtigt, nach nationalem Recht gewährte Vorteile wie (im Fall Portugals) die Befreiung von der Stempelsteuer in Anspruch zu nehmen. Dies hätte zur Folge, dass Beteiligungen, die von SGPS verwaltet werden, im Vergleich zu anderen Gesellschaften auf einem ähnlichen Markt, die nicht durch SGPS verwaltet werden, einen Wettbewerbsvorteil erhielten.

59.

Zudem entsteht eine ähnliche Situation, wenn man die Zuständigkeiten der nationalen Behörden betrachtet. Würden alle Holdinggesellschaften als Finanzinstitute behandelt, würden die nationalen Behörden im Hinblick auf die Pflichten, die ihnen auf dem Gebiet der Beaufsichtigung u. a. gemäß Art. 4 der Richtlinie 2013/36 obliegen, in unverhältnismäßiger Weise belastet.

60.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kann man zwei Arten von Holdinggesellschaften unterscheiden: einerseits Holdinggesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren betroffenen Holdinggesellschaften, die für ihre industriellen Tochterunternehmen Verwaltungstätigkeiten ausüben, und andererseits Holdinggesellschaften, die Beteiligungen erwerben, die zum Banken- oder zum Finanzsektor gehören. Nach einer systematischen Auslegung scheint nur diese letzte Kategorie von der Verordnung Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36 erfasst zu sein.

61.

Diese engere Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“ scheint auch mit der Änderung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 durch die Verordnung 2019/876 in Einklang zu stehen, die, wie oben in Nr. 44 dargelegt, „reine Industrieholdinggesellschaften“ von dieser Definition ausnimmt.

62.

Zu betonen ist, dass der Begriff „reine Industrieholdinggesellschaft“ nicht definiert worden ist und dass die Verordnung 2019/876 keine Hinweise zur Begriffsbestimmung bietet. Überdies enthalten auch die Vorarbeiten zu der Verordnung 2019/876 keine relevanten Hinweise für die Auslegung dieses Begriffs.

63.

Jedoch wurde in jüngerer Zeit, in einem Vorschlag der Kommission ( 23 ) aus dem Jahr 2021, eine Definition des Begriffs der „reinen Industrieholdinggesellschaften“ vorgeschlagen. Art. 1 Buchst. f dieses Vorschlags, mit dem eine neue Nr. 26a in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 eingefügt wird, sieht vor, dass eine reine Industrieholdinggesellschaft ein Unternehmen ist, das drei Bedingungen erfüllt: Erstens muss die Haupttätigkeit des Unternehmens darin bestehen, Beteiligungen zu erwerben oder zu halten, zweitens darf weder das Unternehmen noch eines der Unternehmen, an denen es beteiligt ist, ein unter Nr. 27 Buchst. a, d, e, f, g, h, k und l genanntes Unternehmen sein und drittens darf weder das Unternehmen noch eines der Unternehmen, an denen es beteiligt ist, als Haupttätigkeit eine der in Anhang I der Richtlinie 2013/36 aufgeführten Tätigkeiten oder eine der in Anhang I Abschnitt A oder B der Richtlinie 2014/65 aufgeführten Tätigkeiten in Bezug auf die in Abschnitt C des vorgenannten Anhangs jener Richtlinie aufgeführten Finanzinstrumente ausüben oder eine Wertpapierfirma, ein Zahlungsdienstleister im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/2366 ( 24 ), eine Vermögensverwaltungsgesellschaft oder ein Anbieter von Nebendienstleistungen sein.

64.

Die vorgeschlagene Definition entfaltet zwar keine Rechtswirkung, steht jedoch mit meiner oben dargelegten Analyse in Einklang. Sie legt fest, dass reine Industrieholdinggesellschaften keine Verbindung mit dem Finanz- oder dem Bankensektor aufweisen, weil es sich bei ihnen nicht um Unternehmen handelt, deren Haupttätigkeit eine der in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 genannten Tätigkeiten ist, und sie auch keine Beteiligungen an Unternehmen halten, die diese Tätigkeiten als Haupttätigkeit ausüben. Daher muss selbst bei Gesellschaften, die Beteiligungen erwerben, eine Verbindung mit dem Banken- oder dem Finanzsektor bestehen.

65.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen gelange ich zu dem Schluss, dass der Verweis auf ein „Unternehmen, dessen Haupttätigkeit im Erwerb von Beteiligungen besteht“, im Rahmen der systematischen Betrachtung der Verordnung Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36 eng auszulegen ist. Eine solche Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 würde bedeuten, dass eine Holdinggesellschaft, deren Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an Gesellschaften ist, die keinen rechtlichen und aufsichtlichen Anforderungen unterliegen und daher nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie und dieser Verordnung fallen, nicht als „Finanzinstitut“ anzusehen wäre.

3.   Teleologische Auslegung

66.

Was die teleologische Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 betrifft, so steht fest, dass beide Rechtsakte erlassen wurden, um die für Finanzinstitute geltenden Anforderungen an die Unternehmensführung zu verschärfen. Die Finanzkrise, die im Jahr 2008 begann, zeigte, dass es eines größeren Vertrauens in das Finanzsystem der Europäischen Union und einer größeren Zuverlässigkeit dieses Finanzsystems bedurfte. Vor dieser Krise wurden die Entscheidungsprozesse des Managements infolge des Fehlens wirksamer institutsinterner Kontrollen nicht wirksam überwacht. Dadurch nahmen kurzfristig ausgerichtete und übermäßig risikoreiche Management-Strategien zu ( 25 ). Dank einer soliden Praxis der internen Unternehmensführung konnten einige Unternehmen die Finanzkrise jedoch deutlich besser bewältigen als andere ( 26 ).

67.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Fehlen eines internen Unternehmensführungssystems potenziell schädliche Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Europäischen Union haben kann, wie aus den Erwägungsgründen 53 und 54 der Richtlinie 2013/36 sowie aus den Erwägungsgründen 113 und 114 der Verordnung Nr. 575/2013 hervorgeht. Das Ziel, das mit der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 erreicht werden sollte, bestand daher in der Aufhebung des bestehenden Unternehmensführungssystems.

68.

Folglich muss die Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ in Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 mit diesem Ziel in Einklang stehen und diesen Grundgedanken berücksichtigen. Insbesondere sollte die Funktion von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin verstanden werden, dass diese Bestimmung aufzeigt, welche Einheiten strengere interne Unternehmensführungssysteme erfordern und welche eine Bedrohung für die finanziellen Interessen der Europäischen Union darstellen. Die Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ muss daher geeignet sein, zwischen Unternehmen, die eine solche Bedrohung darstellen könnten, auf der einen Seite und Unternehmen, die keine solchen Auswirkungen hätten, auf der anderen Seite zu differenzieren. Auf diese Weise können die Richtlinie 2013/36 und die Verordnung Nr. 575/2013 von den betreffenden Behörden wirksam genutzt werden und das Ziel, das mit ihnen verfolgt wurde, erreichen.

69.

In diesem Zusammenhang scheint eine Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“, die alle Holdinggesellschaften umfasst, in gewisser Weise losgelöst vom Umfang der Definition, den der Unionsgesetzgeber erfassen wollte. Bei allen in den Nrn. 47 bis 50 der vorliegenden Schlussanträge genannten Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen sowie den genannten Anforderungen in Bezug auf Großkredite handelt es sich um Maßnahmen, die für Finanzinstitute gelten und eine solide interne Unternehmensführung sowie angemessene Risikomanagementpraktiken gewährleisten sollen. Dies beruht darauf, dass diese Anforderungen präventive Wirkungen auf die potenziell negativen Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Europäischen Union sowie auf die natürlichen und juristischen Personen entfalten, die mit diesen Finanzinstituten zusammenarbeiten. Holdinggesellschaften, die Beteiligungen an Unternehmen halten, die keine Institute sind, tragen dieses Risiko jedoch nicht. Folglich würde ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Begriffs „Finanzinstitut“ nicht zur Verwirklichung des Ziels beitragen, das Fehlen interner Führungssysteme von Unternehmen, die eine Gefahr für die finanzielle Sicherheit und die finanziellen Interessen der Union darstellen, zu beheben.

70.

Unter einem anderen Aspekt ist festzustellen, dass in Anhang I der Richtlinie 2013/36 Tätigkeiten aufgeführt sind, für die, wie bereits dargelegt, die gegenseitige Anerkennung gilt. Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 sieht vor, dass ein Unternehmen, dessen Haupttätigkeit darin besteht, eine der in den Nrn. 2 bis 12 und 15 dieses Anhangs genannten Geschäfte zu betreiben, als Finanzinstitut gilt, solange es die übrigen Anforderungen der sich aus dieser Bestimmung ergebenden Definition erfüllt. Um den Zusammenhang aufzuzeigen: Beispiele der umfassten Tätigkeiten sind u. a. Finanzierungsleasing, Kreditvergabe, Geldmaklergeschäfte und die Ausgabe von E‑Geld.

71.

Aus einer Betrachtung dieser Tätigkeiten können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens ist die in Anhang I dieser Richtlinie enthaltene Liste der jeweiligen Tätigkeiten weit gefasst. Zweitens stehen diese Tätigkeiten ganz eindeutig in Verbindung mit dem Banken- oder dem Finanzsektor. Meines Erachtens wollte der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich des Begriffs „Finanzinstitut“ zur Vermeidung von Schlupflöchern, durch die einige Unternehmen versuchen könnten, Aktiva aus dem Anwendungsbereich der Beaufsichtigung zu verbringen, so weit wie möglich fassen, aber doch so, dass er eindeutig mit dem Banken- und dem Finanzsektor in Verbindung steht.

72.

Es ist offensichtlich, dass, wenn man solche Überlegungen auf eine Auslegung anwendet, die alle Holdinggesellschaften in den Anwendungsbereich des Begriffs „Finanzinstitut“ einschließt, dies nur mit einer der beiden zuvor dargelegten Schlussfolgerungen vereinbar wäre. Zwar würden Unternehmen in großem Umfang einbezogen, jedoch bestünde keine Verbindung zum Banken- oder zum Finanzsektor. Daher bin ich der Ansicht, dass eine teleologische Reduktion erforderlich ist, um sicherzustellen, dass eine solche Auslegung den Anwendungsbereich der Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ nicht übermäßig ausweitet.

73.

Aufgrund der oben dargelegten Analyse wäre es nicht angemessen, Holdinggesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren betroffenen im Kontext der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 als „Finanzinstitute“ anzusehen. Ferner steht diese Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 mit der vorstehenden Analyse zur systematischen Auslegung in Einklang und stützt diese.

74.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist offensichtlich, dass alle Auslegungsmethoden zu einer restriktiven Lesart von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 führen. Daher komme ich zu dem Schluss, dass Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin ausgelegt werden sollten, dass eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist und deren Tochterunternehmen bzw. die Unternehmen, an denen sie Beteiligungen hält, keine Tätigkeiten im Banken- oder im Finanzsektor ausüben, nicht als Finanzinstitut im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.

V. Ergebnis

75.

Auf der Grundlage der vorstehenden Würdigung schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal) und dem Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012

sind dahin auszulegen, dass eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist und deren Tochterunternehmen bzw. die Unternehmen, an denen sie Beteiligungen hält, keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen ausüben, nicht als Finanzinstitut im Sinne dieser Vorschrift in der jeweiligen, auf die Sachverhalte der Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung anzusehen ist.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) in der Fassung der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 60, S. 34).

( 3 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/1014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 (ABl. 2016, L 171, S. 153).

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335, S. 1).

( 5 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2019, L 150, S. 1).

( 6 ) Diário da República Nr. 301/1988, 6. Beilage, Serie I vom 30. Dezember 1988, in später geänderter Fassung (im Folgenden: Decreto-Lei Nr. 495/88).

( 7 ) Gesetz Nr. 150/99 vom 11. September 1999 in der durch das Decreto-Lei (gesetzesvertretende Verordnung) Nr. 287/2003 vom 12. November 2003 geänderten Fassung (Diário da República Nr. 213/1999, Serie I-A, vom 11. September 1999).

( 8 ) Urteil vom 19. Oktober 2017, Europamur Alimentación (C‑295/16, EU:C:2017:782, Rn. 29).

( 9 ) Vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/36.

( 10 ) Urteil vom 3. Februar 2022, Finanzamt A (C‑515/20, EU:C:2022:73, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Ebd. (Rn. 27).

( 12 ) Vgl. Urteil vom 9. März 2023, ACER/Aquind (C‑46/21 P, EU:C:2023:182, Rn. 54).

( 13 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. 2014, L 173, S. 349).

( 14 ) Diese Bestimmung verweist auch auf Zahlungsinstitute im Sinne der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1) und auf Vermögensverwaltungsgesellschaften nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 der Verordnung Nr. 575/2013. Da es sich hierbei jedoch nicht um Holdinggesellschaften handelt, sind diese Arten von Finanzinstituten für die vorliegende Untersuchung nicht relevant.

( 15 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2003, L 35, S. 1).

( 16 ) Vgl. Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2002/87.

( 17 ) Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 69). Vgl. auch Urteil vom 16. Dezember 2008, Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia (C‑73/07, EU:C:2008:727, Rn. 41), und Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist (C‑101/01, EU:C:2003:596, Rn. 43 und 44).

( 18 ) Antwort der Kommission auf die Frage 2014_857 zur Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ gemäß der Verordnung Nr. 575/2013 vom 18. Juli 2014, abrufbar unter https://www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa/-/qna/view/publicId/2014_857.

( 19 ) Vgl. Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2019/876.

( 20 ) Chiu, I. H.‑Y., und Wilson, J., Banking Law and Regulation, Oxford University Press, 2019, S. 330.

( 21 ) A. a. O., S. 330.

( 22 ) A. a. O.

( 23 ) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf Vorschriften für das Kreditrisiko, das Risiko einer Anpassung der Kreditbewertung, das operationelle Risiko, das Marktrisiko und die Eigenmitteluntergrenze (Output-Floor). 2021/0342(COD).

( 24 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35).

( 25 ) Europäische Bankenaufsichtsbehörde, Final Report on Guidelines on internal governance under Directive 2013/36/EU, EBA/GL/2021/05, 2. Juli 2021, S. 5.

( 26 ) Ebd.