12.12.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 472/24


Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 28. Oktober 2022 (Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgericht München — Deutschland) — Strafverfahren gegen HF

(Rechtssache C-435/22 PPU) (1)

(Vorlage zur Vorabentscheidung - Eilvorabentscheidungsverfahren - Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen - Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Art. 50 - Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen - Art. 54 - Grundsatz „ne bis in idem“ - Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung - Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an die Vereinigten Staaten aufgrund eines von einem Mitgliedstaat geschlossenen bilateralen Vertrags - Staatsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat rechtskräftig verurteilt worden ist und dort seine gesamte Strafe verbüßt hat)

(2022/C 472/29)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Oberlandesgericht München

Parteien des Ausgangsverfahrens

HF

Beteiligte: Generalstaatsanwaltschaft München

Tenor

Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung ist in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

diese Rechtsvorschriften der Auslieferung einer Person durch die Behörden eines Mitgliedstaats der Europäischen Union an einen Drittstaat unabhängig davon entgegenstehen, ob diese Person die Unionsbürgerschaft im Sinne von Art. 20 AEUV besitzt, sofern sie bereits in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat, auf die sich das Auslieferungsersuchen dieses Drittstaats bezieht, rechtskräftig abgeurteilt und dieses Urteil vollstreckt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung, die Auslieferung abzulehnen, nur unter Inkaufnahme der Verletzung eines mit diesem Drittstaat bestehenden bilateralen Auslieferungsvertrags möglich wäre.


(1)  ABl. C 326 vom 29.8.2022.