BESCHLUSS DES GERICHTS (Erste Kammer)
14. Dezember 2022(*)
„Nichtigkeitsklage – Öffentliche Aufträge – Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung – Lieferung von Desinfektionsrobotern an europäische Krankenhäuser im Kontext der Covid-19-Krise – Höchstmenge der aufgrund eines Rahmenvertrags zu liefernden Waren – Handlung, die in einem rein vertraglichen Rahmen erfolgt ist – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“
In der Rechtssache T‑717/21,
ICA Traffic GmbH mit Sitz in Dortmund (Deutschland), vertreten durch die Rechtsanwälte S. Hertwig und C. Vogt,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission, vertreten durch L. Mantl, B. Araujo Arce und M. Ilkova als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DAS GERICHT (Erste Kammer)
zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann, des Richters R. Mastroianni und der Richterin M. Brkan (Berichterstatterin),
Kanzler: E. Coulon,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens
folgenden
Beschluss
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die ICA Traffic GmbH, die Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission, der mit einer Pressemitteilung vom 21. September 2021 veröffentlicht worden sein und darin bestehen soll, weitere 105 UV-Desinfektionsroboter für europäische Krankenhäuser zu bestellen (Covid-19) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerin ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die u. a. auf dem Markt für autonome Desinfektionsroboter tätig ist.
3 Um die Effizienz der Desinfektion und die Sicherheit des Krankenhauspersonals im Kontext der Covid-19-Pandemie zu gewährleisten, beschloss die Europäische Kommission, Desinfektionsroboter (im Folgenden: Roboter) zu erwerben und sie im Rahmen der Bestimmungen des Notfall-Unterstützungsinstruments (Emergency Support Instrument, ESI) einer Reihe europäischer Krankenhäuser zu spenden. Nach einer Analyse der verfügbaren Techniken wurde auf die Desinfektion durch selbstfahrende Roboter zurückgegriffen, die mit UV-Licht arbeiten.
4 In Anbetracht der Dringlichkeit, die sich aus der Covid-19-Krise ergab, beschloss die Kommission, ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung gemäß Anhang I Nr. 11.1 Buchst. c der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) einzuleiten.
5 Zur Vorbereitung des Vergabeverfahrens und zur Einholung von Informationen über den Markt für autonome Roboter und etwaige Anbieter unternahm die Kommission vorab eine Marktkonsultation gemäß Art. 166 der Haushaltsordnung.
6 Auf der Grundlage dieser Marktkonsultation erstellte die Kommission eine Datenbank von Anbietern, die anschließend auf der Grundlage vorab festgelegter Kriterien bewertet wurden.
7 Sechs Anbieter, die diese Kriterien erfüllten, wurden im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung (CNECT/LUX/2020/NP0084) zur Abgabe eines Angebots aufgefordert, aber nur drei von ihnen taten dies.
8 Am 30. Oktober 2020 wurde für die Zwecke der Auftragsvergabe ein Evaluierungsbericht gemäß Anhang I Nr. 30.1 der Haushaltsordnung erstellt. Am 3. November 2020 erteilte der zuständige Anweisungsbefugte im Einklang mit der Empfehlung im Evaluierungsbericht zwei Bietern den Zuschlag, während der dritte Bieter abgelehnt wurde, weil sein Angebot nicht die Eignungskriterien erfüllte.
9 Am 19. November 2020 wurden mit den ausgewählten Bietern zwei Rahmenverträge mit einer Laufzeit von zwölf Monaten geschlossen, darunter der Rahmenvertrag FW-00103506 mit der Gesellschaft UVD Robots APS (im Folgenden: in Rede stehender Rahmenvertrag). Ihre Unterzeichnung wurde am 9. Dezember 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union mit der Bekanntmachung vergebener Aufträge 2020/S 240-592299 mitgeteilt.
10 In dieser Vergabebekanntmachung („Desinfektionsroboter für europäische Krankenhäuser [Covid-19]“) hieß es, dass der Gesamtwert der Beschaffung (ohne Mehrwertsteuer) 15 Mio. Euro betrage und dass die Kommission beschlossen habe, bis zu 200 Roboter anzuschaffen.
11 Mit E‑Mail vom 24. November 2020 ersuchte die Klägerin die Kommission um Informationen über den in Rede stehenden öffentlichen Auftrag, von dem sie nach eigenen Angaben u. a. durch eine Pressemitteilung der Kommission vom 23. November 2020 Kenntnis erlangt hatte. Es folgte ein Schriftwechsel zwischen der Klägerin und der Kommission über die Tätigkeiten der Klägerin sowie den von ihr angebotenen Roboter.
12 Am 24. Dezember 2020 wurde unter der Nummer 2020/S 251-626998 ein Korrigendum zur Vergabebekanntmachung vom 9. Dezember 2020 veröffentlicht (im Folgenden: Vergabebekanntmachung).
13 Mit E‑Mail vom 5. August 2021 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass die in Rede stehende Ausschreibung beendet sei; sie werde die Klägerin aber berücksichtigen, wenn sie in Zukunft eine ähnliche Maßnahme organisiere und die von der Klägerin angebotene Lösung den Anforderungen eines solchen Verfahrens entspreche.
14 Am 21. September 2021 gab die Kommission in einer Pressemitteilung bekannt, dass der 200. unter die Vergabebekanntmachung fallende Roboter geliefert worden sei und dass sie beschlossen habe, weitere 100 Roboter von UVD Robots zu kaufen (im Folgenden: Pressemitteilung vom 21. September 2021).
15 Im vorliegenden Fall wurde der in Rede stehende Rahmenvertrag mittels zehn von UVD Robots und der Kommission unterzeichneten Bestellscheinen durchgeführt, die von der Kommission im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme vorgelegt wurden und aus denen sich ergibt, dass insgesamt 305 Roboter bestellt wurden.
16 Da die Klägerin der Auffassung war, dass die Vergabebekanntmachung eine Höchstmenge von 200 Robotern vorgesehen habe, erkundigte sie sich mit E‑Mail vom 24. September 2021 bei der Kommission nach dem Verfahren zur Beschaffung der übrigen Roboter.
17 Mit E‑Mails vom 7. und 27. Oktober 2021 antwortete die Kommission, dass sie die weiteren Roboter auf der Grundlage des in Rede stehenden Rahmenvertrags bestellt und daher keine neue Vergabe durchgeführt habe. Da der Höchstwert des Rahmenvertrags noch nicht erreicht worden sei und die allein in der „Beschreibung“ der Vergabebekanntmachung angegebene Menge von 200 zu erwerbenden Robotern nur eine Schätzung gewesen sei, sei sie davon ausgegangen, dass sie bis zum Höchstwert des Rahmenvertrags von 15 Mio. Euro so viele Roboter erwerben könne wie nötig.
18 Mit E‑Mail vom 28. Oktober 2021 trat die Klägerin den Erläuterungen der Kommission entgegen und wies darauf hin, dass die Höchstzahl der zu erwerbenden Roboter im Unterschied zum Gesamtwert der Beschaffung nicht als Schätzung angesehen werden könne.
19 Mit E‑Mail vom 29. Oktober 2021 teilte die Kommission der Klägerin mit, sie habe die Menge der benötigten Roboter lediglich schätzen, aber die Obergrenze der Rahmenverträge anhand der verfügbaren Haushaltsmittel festlegen können und sich deshalb speziell für den Abschluss von Rahmenverträgen entschieden. Die Kommission fügte hinzu, sie beabsichtige nicht, mehr als die zu einem Gesamtbetrag von weniger als 12 Mio. Euro erworbenen 305 Roboter zu kaufen; die letzten Verträge würden vor dem 18. November 2021, an dem die Rahmenverträge ausliefen, unterzeichnet.
Anträge der Parteien
20 Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,
– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
21 Die Kommission beantragt,
– die Klage für unzulässig zu erklären;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
22 Gemäß Art. 130 Abs. 1 und 7 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten vorab über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit entscheiden.
23 Im vorliegenden Fall beschließt das Gericht, aufgrund des dahin gehenden Antrags der Kommission ohne Fortsetzung des Verfahrens über die Unzulässigkeit zu entscheiden, da es sich durch die Aktenstücke für hinreichend unterrichtet hält.
24 Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin ihr Vorbringen auf die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) stützt und nicht auf die Haushaltsordnung, in der die für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Namen der Organe der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften zu finden sind.
25 Insoweit räumt die Klägerin in Rn. 17 ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit ein, dass die einschlägigen Bestimmungen der Haushaltsordnung zur Anwendung kommen, da die Kommission ein Unionsorgan ist. Wie aus Art. 161 der Haushaltsordnung im Wesentlichen hervorgeht, gelten für die Unionsorgane die gleichen Standards wie für die öffentlichen Auftraggeber nach der Richtlinie 2014/24. Folglich sind die von der Klägerin angeführten Bestimmungen als Bezugnahme auf die entsprechenden Bestimmungen der Haushaltsordnung zu verstehen.
26 Im vorliegenden Fall geht aus den Schriftsätzen und den von der Kommission am 24. Juni 2022 im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme vorgelegten Dokumenten hervor, dass sie auf der Grundlage des in Rede stehenden, mittels Einzelverträgen und Bestellscheinen durchgeführten Rahmenvertrags für einen Gesamtbetrag in Höhe von 10 931 225 Euro insgesamt 305 Roboter erworben hat, aufgeteilt auf zehn Bestellscheine. Sieben Bestellscheine für 203 Roboter wurden vor der oben in Rn. 14 genannten Pressemitteilung vom 21. September 2021 ausgestellt, drei Bestellscheine für 102 Roboter danach.
27 Die Kommission stützt ihre Einrede der Unzulässigkeit auf mehrere Argumente. In erster Linie macht sie geltend, es liege keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV vor. Hilfsweise trägt sie vor, der Klägerin fehle die Klagebefugnis. Höchst hilfsweise rügt sie das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin.
28 Zum Fehlen einer anfechtbaren Handlung weist die Kommission zunächst darauf hin, dass vor dem Abschluss von Einzelverträgen auf der Grundlage eines Rahmenvertrags nach dem Haushaltsrecht der Union weder ein weiteres Vergabeverfahren noch ein weiterer Zuschlag nötig sei. Rahmenverträge über die Lieferung in einem Kaskadensystem wie der in Rede stehende würden mittels von den Parteien unterzeichneter Einzelverträge und Bestellscheine durchgeführt, so dass die genauen Mengen und der Zeitplan der Lieferungen erst durch den Abschluss dieser Einzelverträge festgelegt würden. Folglich stelle der Abschluss der Einzelverträge, einschließlich der Bestellscheine über weitere 105 Roboter, auf der Grundlage des Rahmenvertrags nur eine Form seiner Durchführung dar. Da eine die Durchführung des Rahmenvertrags betreffende Pressemitteilung keine anfechtbare Handlung sei und die Kommission ausschließlich als Partei des Rahmenvertrags gehandelt habe, habe der angefochtene Beschluss weder verbindliche Rechtswirkungen außerhalb dieses Vertragsverhältnisses erzeugt noch die Ausübung hoheitlicher Befugnisse bewirkt, über die sie in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsbehörde verfüge.
29 Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen.
30 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht Partei des in Rede stehenden Rahmenvertrags ist, so dass im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits keine vertragliche Beziehung zwischen ihr und der Kommission besteht. Folglich kann ein etwaiges Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nur außervertraglicher Natur sein, so dass die vorliegende Nichtigkeitsklage gegen den angefochtenen Beschluss der Kommission nur zulässig ist, sofern dieser Beschluss eine anfechtbare Handlung darstellt und die Klägerin zugleich klagebefugt ist (vgl. entsprechend Beschlüsse vom 29. Juni 2010, Mauerhofer/Kommission, T‑515/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:260, Rn. 65, und vom 25. März 2015, Borde und Carbonium/Kommission, T‑314/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:197, Rn. 26).
31 Zu der Frage, ob der angefochtene Beschluss eine anfechtbare Handlung darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsrichter nach Art. 263 AEUV nur die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe und der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit verbindlicher Rechtswirkung gegenüber Dritten überwacht.
32 Diese Zuständigkeit betrifft nur die von Art. 288 AEUV erfassten, von den Organen und Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union unter den im AEU-Vertrag vorgesehenen Bedingungen erlassenen Rechtsakte (Beschluss vom 10. Mai 2004, Musée Grévin/Kommission, T‑314/03 und T‑378/03, EU:T:2004:139, Rn. 63).
33 Handlungen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein können, sind somit Maßnahmen mit verbindlichen Rechtswirkungen, die geeignet sind, die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Handlungen der Organe und Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, die sich in einen rein vertraglichen Rahmen einfügen und von ihm nicht trennbar sind, gehören dagegen schon aufgrund ihrer Natur nicht zu den von Art. 288 AEUV erfassten Rechtsakten, deren Nichtigerklärung nach Art. 263 AEUV beantragt werden kann (Beschluss vom 10. Mai 2004, Musée Grévin/Kommission, T‑314/03 und T‑378/03, EU:T:2004:139, Rn. 64; vgl. auch Beschluss vom 27. Juni 2022, Equinoccio-Compañía de Comercio Exterior/Kommission, C‑3/22 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:504, Rn. 21).
35 Um zu klären, ob Maßnahmen Handlungen darstellen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV sein können, ist auf ihr Wesen abzustellen, während die Form, in der sie ergehen, insoweit grundsätzlich unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9).
36 Daraus folgt, dass bei Vorliegen eines rein vertraglichen Rahmens nur dann eine Klage nach Art. 263 AEUV bei den Unionsgerichten anhängig gemacht werden kann, wenn die angefochtene Handlung verbindliche Rechtswirkungen außerhalb der vertraglichen Beziehung erzeugen soll, mit denen die Ausübung der dem vertragschließenden Organ als Verwaltungsbehörde übertragenen hoheitlichen Befugnisse verbunden ist (vgl. Beschluss vom 14. November 2018, Spinoit/Kommission u. a., T‑711/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:803, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin, dass die Kommission beim Kauf der weiteren 105 Roboter im Rahmen des Rahmenvertrags gehandelt habe, da dieser nach der Lieferung der ursprünglich angekündigten 200 Roboter seine Wirkung verloren habe. Daher ist zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss Teil der Durchführung des in Rede stehenden Rahmenvertrags ist und ob er geeignet ist, die Rechtsstellung der Klägerin in qualifizierter Weise zu ändern.
38 Erstens wurde der in Rede stehende öffentliche Auftrag im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung wegen dringlicher, zwingender Gründe im Zusammenhang mit nicht vorhersehbaren Ereignissen im Sinne von Anhang I Nr. 11.1 Buchst. c der Haushaltsordnung vergeben (siehe oben, Rn. 4). In diesem Verfahren wurde der in Rede stehende Rahmenvertrag gemäß Anhang I Nr. 2.4 Buchst. b der Haushaltsordnung vor der Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung unterzeichnet.
39 Zweitens heißt es in Unterabschnitt II.1.4) („Kurze Beschreibung“) der Vergabebekanntmachung:
„Um die Effizienz der Desinfektion und die Sicherheit des Krankenhauspersonals angesichts der Covid-19-Pandemie zu gewährleisten, wird die Kommission Desinfektionsroboter beschaffen und im Rahmen der Bestimmungen des [ESI] an eine Reihe von Krankenhäusern spenden. Die UV-Licht-Desinfektion wurde als effizientes Verfahren zur Desinfektion nachgewiesen, und UV-Desinfektionsroboter wurden bereits erfolgreich in Krankenhäusern eingesetzt. Die Kommission wird bis zu 200 einfach zu bedienende, selbstfahrende UV-Desinfektionsroboter anschaffen, die in der Lage sind, Bakterien, Viren und andere schädliche Mikroben zu vernichten, damit sie in Krankenhäusern eingesetzt und mindestens 12 Monate lang verwendet werden können.“
40 Ferner heißt es in Unterabschnitt II.1.7) („Gesamtwert der Beschaffung [ohne MwSt.]“) dieser Bekanntmachung, dass sich der Beschaffungswert auf 15 000 000 Euro beläuft. Dies wird in Abschnitt V („Auftragsvergabe“) unter V.2.4) bestätigt, wonach sowohl der ursprünglich veranschlagte Gesamtwert des Auftrags als auch der Gesamtwert des Auftrags 15 000 000 Euro betragen.
41 Drittens bezeichnet nach Art. 2 Nr. 31 der Haushaltsordnung der „Rahmenvertrag“ „einen öffentlichen Auftrag zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern, der zum Ziel hat, die Bedingungen für die Einzelverträge, die auf ihm beruhen und die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge“.
42 Im vorliegenden Fall heißt es in Punkt I.5.1 des in Rede stehenden Rahmenvertrags: „Der Höchstbetrag, der sämtliche Käufe aufgrund dieses Rahmenvertrags abdeckt, liegt bei 15 000 000 (fünfzehn Millionen) Euro. Der öffentliche Auftraggeber ist jedoch nicht verpflichtet, den Höchstbetrag auszuschöpfen.“ Im Rahmenvertrag wird hingegen keine Höchstmenge zu erwerbender Roboter genannt. Daraus ist zu schließen, dass die Kommission den Umfang des Auftrags nicht auf eine Höchstmenge zu erwerbender Roboter begrenzen wollte, sondern nur auf einen Höchstwert von 15 000 000 Euro.
43 In Anbetracht dieser Gesichtspunkte kann daher die bloße Angabe in der – nach Abschluss des Rahmenvertrags veröffentlichten (siehe oben, Rn. 38) – Beschreibung der Vergabebekanntmachung, dass die Kommission „bis zu 200 … Desinfektionsroboter anschaffen“ werde, entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht als wesentliche, den Auftrag auf eine Höchstmenge beschränkende Bedingung verstanden werden, sondern sie ist als Schätzung einer Menge anzusehen, die von der Kommission – vorbehaltlich der Begrenzung des Auftragswerts auf 15 000 000 Euro – bei Bedarf überschritten werden konnte.
44 Da die Kommission angegeben hat, die Roboter für insgesamt 10 931 225 Euro erworben zu haben (siehe oben, Rn. 26), was – wie die Klägerin nicht bestreitet – unter dem Gesamtwert des Auftrags liegt, ging der Erwerb weiterer 105 Roboter nicht über die Grenzen hinaus, die der in Rede stehende Rahmenvertrag vorsah.
45 Diese Schlussfolgerung kann durch das auf das Urteil vom 17. Juni 2021, Simonsen & Weel (C‑23/20, EU:C:2021:490), gestützte Vorbringen der Klägerin, wonach eine Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliere, sobald die darin angegebene Menge erreicht sei, nicht in Frage gestellt werden. Der öffentliche Auftraggeber hatte dort nämlich in der Auftragsbekanntmachung weder die Höchstmenge noch den Höchstwert der zu erwerbenden Waren angegeben, woraufhin der Gerichtshof entschied, dass in der Bekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben sind und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist. Da der hier in Rede stehende Rahmenvertrag jedoch keine Höchstmenge zu erwerbender Roboter vorsah (siehe bereits oben, Rn. 42), konnte er seine Wirkung auf dieser Grundlage nicht verlieren.
46 Da der angefochtene Beschluss ausschließlich eine vertragliche Beziehung zwischen UVD Robots und der Kommission betraf, handelte diese im Rahmen der Rechte und Pflichten aus dem in Rede stehenden Rahmenvertrag, der vorsah, dass auf seiner Grundlage Einzelverträge, einschließlich Bestellscheine, abgeschlossen werden, als Vertragspartei, ohne dass sie im Sinne der oben in Rn. 36 angeführten Rechtsprechung in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsbehörde hoheitliche Befugnisse ausübte.
47 Daraus folgt, dass der angefochtene Beschluss alle seine Wirkungen im Rahmen der Durchführung des in Rede stehenden Rahmenvertrags, zu dessen Parteien die Klägerin nicht gehörte, entfaltet und verloren hat. Mithin ist dieser Beschluss nicht geeignet, die Rechtsstellung der Klägerin im Sinne der oben in Rn. 33 angeführten Rechtsprechung in qualifizierter Weise zu ändern, und stellt daher ihr gegenüber keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV dar.
48 Nach alledem ist die Klage mangels einer anfechtbaren Handlung als unzulässig abzuweisen.
Kosten
49 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
50 Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Erste Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die ICA Traffic GmbH trägt die Kosten einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten.
Luxemburg, den 14. Dezember 2022
|
Der Kanzler |
Der Präsident |
|
E. Coulon |
D. Spielmann |
* Verfahrenssprache: Deutsch.