14.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 119/19


Rechtsmittel, eingelegt am 2. Dezember 2021 von der Altice Group Lux Sàrl, vormals New Altice Europe BV, in Liquidation, gegen das Urteil des Gerichts (Sechste Kammer) vom 22. September 2021 in der Rechtssache T-425/18, Altice Europe/Kommission

(Rechtssache C-746/21 P)

(2022/C 119/27)

Verfahrenssprache: Englisch

Parteien

Rechtsmittelführerin: Altice Group Lux Sàrl, vormals New Altice Europe BV, in Liquidation (vertreten durch Rechtsanwälte R. Allendesalazar Corcho und H. Brokelmann)

Andere Partei des Verfahrens: Europäische Kommission, Rat der Europäischen Union

Anträge

Die Rechtsmittelführerin beantragt,

die Art. 1, 2, 3 und 4 des Beschlusses C(2018) 2418 final der Kommission vom 24. April 2018 zur Verhängung einer Geldbuße wegen des Vollzugs eines Zusammenschlusses unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (1) des Rates (Fall M.7793 — Altice/PT Portugal, Verfahren nach Art. 14 Abs. 2) (im Folgenden: angefochtener Beschluss) für nichtig zu erklären;

hilfsweise, die in den Art. 3 und 4 des angefochtenen Beschlusses in der durch das Urteil des Gerichts geänderten Fassung verhängten Geldbußen in Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung erheblich herabzusetzen;

äußerst hilfsweise, die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen, wobei es an die Entscheidung des Gerichtshofs in Rechtsfragen gebunden ist;

ihre Kosten, sowohl des Rechtsmittelverfahrens als auch des Verfahrens vor dem Gericht, der Kommission aufzuerlegen.

Rechtsmittelgründe und wesentliche Argumente

1.

Im angefochtenen Urteil sei die von Altice erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit rechtsfehlerhaft zurückgewiesen worden.

Im angefochtenen Urteil sei ein Rechtsfehler begangen sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Doppelbestrafungsverbot, die sich aus den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die Normenkonkurrenz ergäben, verstoßen worden, indem die Einrede der Rechtswidrigkeit (Art. 277 AEUV) von Altice in Bezug auf Art. 14 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 EUFKVO zurückgewiesen worden sei. Art. 4 Abs. 1 EUFKVO enthalte keine von der „Stillhalteverpflichtung“ nach Art. 7 Abs. 1 EUFKVO zu unterscheidende „Anmeldepflicht“, da ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 EUFKVO notwendigerweise den „Vollzug“ eines Zusammenschlusses erfordere. Art. 4 Abs. 1 EUFKVO und der erste Teil von Art. 7 Abs. 1 EUFKVO gälten für dasselbe Verhalten und verfolgten dasselbe rechtliche Interesse. Die Möglichkeit der Verhängung von zwei kumulativen Geldbußen nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a und b EUFKVO verstoße daher gegen die genannten allgemeinen Grundsätze des EU-Rechts.

2.

Im angefochtenen Urteil sei rechtsfehlerhaft verneint worden, dass der angefochtene Beschluss insofern, als damit zwei kumulative Geldbußen für dasselbe Verhalten verhängt worden seien, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Doppelbestrafungsverbot verstoßen habe.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs habe sich die Behörde, wenn der Grundsatz ne bis in idem der Verhängung von zwei Geldbußen gegen ein Unternehmen in einer einzigen Entscheidung wegen desselben Sachverhalts nicht entgegenstehe, „jedoch zu vergewissern, dass die Geldbußen insgesamt der Art des Verstoßes angemessen sind“. Das angefochtene Urteil werde dem nicht gerecht. Nur eine einzige gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. b EUFKVO wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 EUFKVO verhängte Geldbuße könne mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot vereinbar sein. Eine zweite Geldbuße, die gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a EUFKVO verhängt werde, sei definitionsgemäß überschießend und damit unverhältnismäßig und verstoße zudem gegen das Doppelbestrafungsverbot, das sich aus den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die Normenkonkurrenz ergebe.

3.

Das angefochtene Urteil habe den Begriff „Vollzug“ in Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EUFKVO rechtsfehlerhaft ausgelegt.

Mit der Feststellung, dass die „Möglichkeit …, bestimmenden Einfluss auszuüben“, bereits dem Vollzug eines Zusammenschlusses gleichkomme, habe das Gericht im angefochtenen Urteil einen Rechtsfehler begangen, da es die Begriffe „Zusammenschluss“ und „Vollzug“ miteinander vermenge und sich auf eine unzutreffende Auslegung des Urteils vom 31. Mai 2018 in der Rechtssache C-633/16, Ernst & Young, stütze, in dem klargestellt worden sei, dass Vorgänge, die nicht erforderlich seien, um eine solche Veränderung der Kontrolle zu erreichen, nicht unter Art. 7 Abs. 1 EUFKVO fielen, da sie keinen funktionellen Zusammenhang mit deren Vollzug aufwiesen.

4.

Das Gericht habe im angefochtenen Urteil den Begriff „Vetorecht“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EUFKVO rechtsfehlerhaft ausgelegt oder — wie hilfsweise geltend gemacht wird — das SPA durch die Auslegung, dass es „Vetorechte“ gewähre, verfälscht.

Wenn man — fälschlicherweise — davon ausginge, dass die bloße „Möglichkeit …, bestimmenden Einfluss auszuüben“, einem „Vollzug“ eines Zusammenschlusses gleichkomme, verlange Art. 3 Abs, 2 EUFKVO eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle, die sich aus Maßnahmen ergebe, die „Vetorechte bei strategischen Geschäftsentscheidungen“ verliehen, d. h. die „Möglichkeit“, das strategische Verhalten eines Unternehmens „zu blockieren“. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es den Begriff „Vetorechte“ auf Situationen ausgedehnt habe, die nicht die Möglichkeit, strategische Entscheidungen zu blockieren, verliehen. Hilfsweise wird geltend gemacht, das Gericht habe das SPA verfälscht, indem es dessen früheren Vereinbarungen so ausgelegt habe, dass sie Altice „Vetorechte“ einräumten.

5.

Das Gericht sei rechtsfehlerhaft zu dem Schluss gekommen, dass der Austausch von Informationen einen „Vollzug“ eines Zusammenschlusses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EUFKVO darstelle.

Das Gericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Informationsaustausch im Rahmen eines Zusammenschlusses unter Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EUFKVO falle, während Art. 101 AEUV und die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (2) einen Ex-post-Mechanismus voraussetzten. Dies stehe im Widerspruch zum Urteil in der Rechtssache C-633/16 und würde den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 einschränken. Das angefochtene Urteil verfälsche die angefochtene Entscheidung auch insoweit, als das Gericht darin die Auffassung vertrete, dass der Informationsaustausch als solcher nicht gegen Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EUFKVO verstoße, sondern lediglich dazu „beigetragen“ habe, den Verstoß aufzuzeigen.

6.

Das Gericht habe die von Altice geltend gemachten Gründe der Rechtswidrigkeit und der fehlenden Verhältnismäßigkeit der Geldbußen rechtsfehlerhaft zurückgewiesen

Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es Altice Fahrlässigkeit unterstellt habe. Außerdem sei die Höhe der sich aus dem angefochtenen Urteil ergebenden Geldbußen nicht nur unangemessen, sondern auch derart überschießend, dass dies unverhältnismäßig sei. Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen, indem es die Höhe der Geldbußen nicht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung erheblich herabgesetzt habe.


(1)  Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (EG-Fusionskontrollverordnung) (ABl. 2004, L 24, S. 1) (im Folgenden: EUFKVO).

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).