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17.1.2022 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 24/17 |
Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien), eingereicht am 6. Oktober 2021 — WS/Intervyuirasht organ na Darzhavnata agentsia za bezhantsite pri Ministerskia savet
(Rechtssache C-621/21)
(2022/C 24/23)
Verfahrenssprache: Bulgarisch
Vorlegendes Gericht
Administrativen sad Sofia-grad
Parteien des Ausgangsverfahrens
Klägerin: WS
Beklagter: Intervyuirasht organ na Darzhavnata agentsia za bezhantsite pri Ministerskia savet (Anhörungsstelle der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat)
Vorlagefragen
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1. |
Kommen gemäß dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge und für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (1) die Definitionen und Begriffsbestimmungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979 und des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt für die Zwecke der Einstufung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen als Grund für die Gewährung internationalen Schutzes nach dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und nach der Richtlinie 2011/95/EU zur Anwendung oder hat die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als Grund für die Gewährung internationalen Schutzes nach der Richtlinie 2011/95 eine autonome Bedeutung, die sich von jener in den genannten völkerrechtlichen Instrumenten unterscheidet? |
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2. |
Kommt es im Fall, dass die Ausübung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen geltend gemacht wird, für die Feststellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe als Verfolgungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 ausschließlich auf das biologische oder soziale Geschlechts des Verfolgungsopfers (Gewalt gegen eine Frau, nur weil sie eine Frau ist) an, können die konkreten Formen/Akte/Handlungen der Verfolgung wie in der nicht abschließenden Aufzählung im 30. Erwägungsgrund entscheidend sein für die „Sichtbarkeit der Gruppe in der Gesellschaft“, d. h. ihr Unterscheidungsmerkmal, je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland oder können sich diese Akte nur auf die Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a oder f der Richtlinie 2011/95 beziehen? |
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3. |
Stellt das biologische oder soziale Geschlecht im Fall, dass die Person, die Schutz beantragt, geschlechtsspezifische Gewalt in Form von häuslicher Gewalt geltend macht, einen ausreichenden Grund für die Feststellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 dar oder ist ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal festzustellen, wenn Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU buchstabengetreu, dem Wortlaut nach ausgelegt wird, wonach die Voraussetzungen kumulativ und die Aspekte des Geschlechts alternativ vorliegen müssen? |
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4. |
Ist Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 im Fall, dass die antragstellende Person die Ausübung geschlechtsspezifischer Gewalt in Form von häuslicher Gewalt durch einen nichtstaatlichen Akteur, von dem die Verfolgung ausgeht, im Sinne des Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 geltend macht, dahin auszulegen, dass es für den Kausalzusammenhang hinreicht, wenn ein Zusammenhang zwischen den in Art. 10 angeführten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen im Sinne des Abs. 1 festgestellt wird, oder ist zwingend fehlender Schutz vor der geltend gemachten Verfolgung festzustellen bzw. besteht der Zusammenhang in jenen Fällen, in denen die nichtstaatlichen Akteure, von denen die Verfolgung ausgeht, die einzelnen Verfolgungs-/Gewaltakte als solche nicht als geschlechtsspezifisch wahrnehmen? |
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5. |
Kann die tatsächliche Androhung eines Ehrenmordes für den Fall einer etwaigen Rückkehr in das Herkunftsland bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hierfür die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 i.V.m. Art. 2 EMRK (niemand darf absichtlich getötet werden) begründen oder ist diese als Schaden nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 i.V.m. Art. 3 EMRK einzustufen, wie dies in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Gesamtbeurteilung der Gefahr von weiteren geschlechtsspezifischen Gewaltakten ausgelegt wird bzw. reicht es für die Gewährung diesen Schutzes aus, dass die antragstellende Person subjektiv den Schutz des Herkunftslandes nicht in Anspruch nehmen will? |